L 5 R 240/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 34/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 240/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 31/24 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung, die mit einer reinen Anfechtungsklage angefochten wird, ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage immer der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 2016, B 14 AS 4/15 R = SozR 4-4200 § 60 Nr. 4). 

2. Während der Wohlverhaltensphase nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ist eine Verrechnung nach §§ 51, 52 SGB I grundsätzlich in den unpfändbaren Teil der Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge möglich.
 


I.    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 20. September 2021 wird zurückgewiesen.

II.    Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. 

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Verrechnung der Erwerbsminderungsrente des Klägers mit einer Beitragsforderung der Beigeladenen durch die Beklagte während eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers. 

Der 1964 geborene Kläger, der Zeiten in der knappschaftlichen Rentenversicherung zurückgelegt hat, ist bei der Beklagten gesetzlich rentenversichert. Zeitweise war er selbständig tätig und betrieb ein Unternehmen im Bereich Feuerfestbau.

Mit Schreiben vom 19. Dezember 2013 und 28. Januar 2014 ermächtigte die Beigeladene die Beklagte, eine Forderung in Höhe von 1.529,09 € aufgrund geschuldeter Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit von Januar 2006 bis Dezember 2007, Säumniszuschläge in Höhe von 1.094,50 € sowie weitere Kosten in Höhe von 85,65 € mit von der Beklagten an den Kläger zu erbringenden Geldleistungen zu verrechnen. Ihre Forderung sei am 16. Juni 2008 rechtskräftig festgestellt worden und nicht verjährt.

Durch Beschluss vom 4. Juli 2014 eröffnete das Amtsgericht Kassel das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers (Az.: XXX IN XX/14). Die Beigeladene meldete ihre Forderung in Höhe von 1.529,09 € aus Sozialversicherungsbeiträgen für den Zeitraum von Januar 2006 bis Dezember 2007, Säumniszuschläge bis 30. Juni 2014 in Höhe von 1.319,50 € und Kosten bis Dezember 2007 in Höhe von 85,65 € zur Insolvenztabelle an. Ausweislich des Schlussberichts des Insolvenzverwalters vom 12. November 2015 stand ein Betrag zur Verteilung an die Gläubiger nicht zur Verfügung. Auf die anerkannte Forderung der Beigeladenen entfielen in der Schlussverteilung 0,00 € (Schlusstermin am 19. Januar 2016). Mit Beschluss vom 19. Januar 2016 stellte das Amtsgericht dem Kläger die Erteilung der Restschuldbefreiung in Aussicht. Mit weiterem Beschluss vom 17. Februar 2016, rechtskräftig am 17. März 2016, hob das Amtsgericht Kassel das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers auf. 

Aufgrund seines Antrags vom 21. Mai 2014 gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 1. Dezember 2016 aufgrund eines Leistungsfalls am 9. März 2015 ab 1. Oktober 2015 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (Zahlbetrag ab 1. Januar 2017: 1.013,76 €). Diese Rente wird dem Kläger durchgehend laufend gewährt. Bis 31. Oktober 2016 bezog der Kläger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II), die für den Zeitraum ab 1. Oktober 2015 im Wege eines Erstattungsanspruchs zwischen den Trägern ausgeglichen wurden. 

Auf Anfrage der Beklagten teilte die Beigeladene mit Schreiben vom 12. Dezember 2016 hinsichtlich des Verrechnungsersuchens mit, dass die Forderung nur noch bedingt in voller Höhe bestehe. Sie habe die gesamte Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet und diese sei festgestellt worden. Die aus rückständigen Gesamtsozialversicherungsbeiträgen aufgrund Arbeitgebertätigkeit (Einzelfirma) resultierende Gesamthöhe der Forderung bezifferte sie auf insgesamt 2.816,48 €. Sofern dem Kläger die Restschuldbefreiung nicht erteilt werde, bestehe die Forderung in voller Höhe fort. 

Mit Schreiben vom 16. Januar 2017 hörte die Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Verrechnung an. Es sei in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens beabsichtigt, dem Verrechnungsersuchen der Beigeladenen nachzukommen und den sich aus dem Verrechnungsersuchen ergebenden Gesamtbetrag von 2.816,48 €, dem ein Anspruch auf Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen betreffend den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2007 zugrunde liege, in monatlichen Raten in Höhe der Hälfte der zuerkannten monatlichen Rente vermindert um die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, mithin monatlich 506,88 €, von der laufenden Rente des Klägers einzubehalten. Soweit der Kläger durch die beabsichtigte Verrechnung hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB II oder des Sozialgesetzbuchs, Zwölftes Buch (SGB XII) werde, solle er dies durch die Vorlage einer Bedarfsbescheinigung des Hilfeträgers nachweisen. 

Nachdem eine Äußerung des Klägers zur Sache ausblieb, verfügte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Februar 2017, dass der Betrag in Höhe von 2.816,48 € in Raten von monatlich 506,88 € ab 1. April 2017 von der laufenden Rente des Klägers einbehalten werde. Die Verrechnung bis zur Hälfte der ihm zustehenden Rente wegen Erwerbsminderung sei nach § 52 i.V.m. § 51 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I) zulässig, da er nicht nachgewiesen habe, dass durch die monatliche Verrechnung des Betrages von 506,88 € Hilfebedürftigkeit insbesondere im Sinne der Vorschriften des SGB XII eintrete. Unter Berücksichtigung der zu beachtenden haushaltsrechtlichen Vorgaben zur rechtzeitigen und vollständigen Erhebung von Einnahmen und mangels vorgebrachter Einwände des Klägers sei die Verrechnung durchzuführen. 

Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid am 2. März 2017 Widerspruch. Während des Widerspruchsverfahrens teilte der Insolvenzverwalter der Beklagten mit Schreiben vom 5. Mai 2017 mit, dass es sich bei den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen der Beigeladenen für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2007 um eine Insolvenzforderung handele, da sie vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 4. Juli 2014 entstanden seien. Beiträge aus dem vorgenannten Zeitraum seien von der Beigeladenen bereits zur Insolvenztabelle angemeldet und auch festgestellt worden. Eine Verrechnung sei nicht zulässig und der einbehaltene Betrag müsse an den Kläger zurückgezahlt werden. 

Nachdem die Beklagte ab April 2017 den angekündigten Betrag einbehielt, beantragte der Kläger bei dem Sozialgericht Kassel die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (Az. S 6 R 2/17 ER). Das Verfahren endete durch gerichtlichen Vergleich vom 5. Juli 2017, in dem sich der Kläger bereit erklärte, eine Bedarfsbescheinigung des zuständigen Hilfeträgers vorzulegen, während die Beklagte von einer weiteren Durchführung der Verrechnung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens Abstand nahm. Sie stellte den Einbehalt von Beträgen von der Rente des Klägers ab 1. Juli 2017 ein. Den im Juni 2017 einbehaltenen Betrag in Höhe von 506,88 € zahlte sie wieder an den Kläger aus, nachdem sie ihn von der Beigeladenen zurückerhalten hatte. 

Der Kläger teilte im laufenden Widerspruchsverfahren mit, dass er eine Bedarfsbescheinigung – wie im gerichtlichen Vergleich vom 5. Juli 2017 vereinbart – nicht vorlegen könne, da das Sozialamt Kassel ihm eine solche nicht ausstelle, weil er keine Leistungen von dort erhalte. Überdies verwies er erneut darauf, dass der Einbehalt für die Beigeladene vor dem Hintergrund des laufenden Insolvenzverfahrens unabhängig von der Vorlage einer solchen Bescheinigung unrechtmäßig sei und eine Umgehung des Insolvenzverfahrens durch die Beigeladene darstelle. 

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Trotz des Insolvenzverfahrens sei eine Aufrechnung zulässig, denn wenn ein Insolvenzgläubiger schon bei der Verfahrenseröffnung kraft Gesetzes oder aufgrund eines Vertrages zur Aufrechnung berechtigt gewesen sei, könne er gemäß § 94 Insolvenzordnung (InsO) weiterhin aufrechnen. Er verliere das Recht zur Aufrechnung auch nicht durch die Anmeldung seiner Forderung im Insolvenzverfahren, denn diese stelle keinen Verzicht auf die Aufrechnung dar. Darüber hinaus habe das Insolvenzverfahren für den vorliegenden Verrechnungsanspruch nach § 52 i.V.m. § 51 Abs. 2 SGB I keine unmittelbaren Auswirkungen, soweit sie unpfändbare Rentenbeträge erfasse, mit denen nur im Rahmen von § 51 Abs. 2 SGB I eine Aufrechnung zulässig sei. Eine Konkurrenzlage sei nicht gegeben, weil die Aufrechnung nicht auf die Insolvenzmasse zugreife. Auch habe der Kläger keine Bedarfsbescheinigung vorlegen können. Nach seinem Vortrag könne eine solche nicht ausgestellt werden, da gegenwärtig keine Hilfebedürftigkeit bestehe. Die bereits getroffene Ermessensentscheidung sei mangels neuer Ermessensgesichtspunkte nicht zu beanstanden. 

Am 23. Januar 2018 hat der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Gießen erhoben. 

Er ist weiterhin unter Verweis auf die Auskunft des Insolvenzverwalters vom 5. Mai 2017 der Auffassung, dass die Verrechnung unzulässig sei, da es sich um eine Insolvenzforderung handele. 

Mit Beschluss vom 30. November 2018 hat das Sozialgericht die IKK classic notwendig zum Verfahren beigeladen.

Während des Klageverfahrens hat der Kläger vorgetragen, dass er monatliche Ausgaben in Höhe von 590,00 € habe (Schreiben vom 24. September 2019) und zum Beleg Überweisungsbelege, Quittungen, einen Untermietvertrag vom 20. März 2014 (Mietbeginn am 1. April 2014; Miethöhe: 200,00 € monatlich zzgl. 50,00 € Nebenkosten), einen Mietvertrag vom 29. Februar 2018 (Mietbeginn am 1. März 2018; Miethöhe 370,00 € zzgl. 60,00 € Nebenkosten), eine Bescheinigung der Krankenkasse über den Zahlbetrag von 145,98 € für das Jahr 2020, um eine Zuzahlungsbefreiung zu erlangen, und eine Schulbescheinigung für seinen in Polen lebenden Sohn, an den er 50,00 € monatlich Unterhalt gezahlt hat, eingereicht. Letztes ergibt sich auch aus dem Schreiben des Bundesamtes für Justiz vom 16. Mai 2019 zur Durchführung des Auslandsunterhaltsgesetzes. 

Überdies hat die Unterhaltsvorschusskasse der Stadt Kassel am 31. Mai 2019 eine Abzweigung in Höhe von 202,00 € monatlich beantragt, da der Kläger seiner Unterhaltspflicht für einen weiteren Sohn nicht nachkomme. Mit Bescheid vom 8. August 2019 in der Fassung des Bescheides vom 6. Mai 2020 hat die Beklagte den Abzweigungsbetrag auf 90,93 € monatlich festgesetzt. 

Bereits mit Bescheid vom 14. Januar 2020 hat die Beklagte die in dem Verrechnungsbescheid vom 21. Februar 2017 festgesetzte Höhe des Einbehalts von 506,88 € nach Rücksprache mit der Beigeladenen auf monatlich 50,00 € ermäßigt. Den Differenzbetrag von 913,76 € für die bereits in den Monaten April und Mai 2017 einbehaltenen Beträge hat sie nach Rückzahlung durch die Beigeladene an den Kläger ausgekehrt. Ein weiterer Einbehalt ist bisher nicht erfolgt.
Mit Beschluss vom 14. August 2020 erteilte das Amtsgericht Kassel dem Kläger die Restschuldbefreiung (Rechtskraft 3. September 2020). Die Laufzeit der Abtretungserklärung habe mit dem 4. Juli 2020 geendet. Die Beschränkung der Rechte der Gläubiger und das Amt des Insolvenzverwalters endeten mit der Rechtskraft der Entscheidung. 

Während der Kläger unter Festhalten an seinem bisherigen Vorbringen davon ausgegangen ist, dass sich die Forderung durch die Restschuldbefreiung gänzlich erledigt habe, hat die Beklagte erneut darauf verwiesen, dass die Forderung der Beigeladenen bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden habe und daher die Ausnahme des § 94 InsO gegeben sei. Die Verrechnung könne daher auch nach dem Ende der Restschuldbefreiungsphase vorgenommen werden. Die Beigeladene hat sich zur Sache nicht geäußert. 

Durch Urteil vom 20. September 2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen von § 52 i.V.m. § 51 Abs. 2 SGB I lägen vor. Die erforderliche Aufrechnungslage sei gegeben. Die Forderung sei auch fällig und es läge eine wirksame Ermächtigung der Beigeladenen vor. Die Aufrechnung bzw. Verrechnung sei auch nicht aufgrund des Insolvenzverfahrens unwirksam. Zwar verliere der Insolvenzschuldner mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich die Möglichkeit, über zur Insolvenzmasse gehörende Vermögensgegenstände zu verfügen. Allerdings seien nur pfändbare Forderungen Vermögensbestandteil der Insolvenzmasse. Eine Erwerbsminderungsrente unterfalle nur mit dem pfändbaren Anteil der Insolvenzmasse. Da die dem Kläger gewährte Rente durchgehend unter der Pfändungsfreigrenze gelegen habe, sei sie nicht insolvenzbefangen gewesen. Auch stehe einer Verrechnung nach § 52 i.V.m. § 51 Abs. 2 SGB I nicht entgegen, dass die Beigeladene die Gesamtforderung zur Insolvenztabelle angemeldet habe. Eine Verrechnung könne auch nach erteilter Restschuldbefreiung erfolgen. Auch könne nicht vom Eintritt einer Hilfebedürftigkeit des Klägers durch die Verrechnung ausgegangen werden, da der Kläger den Nachweis einer Hilfebedürftigkeit nicht geführt habe. Zudem sei zu berücksichtigen, dass mit Bescheid vom 14. Januar 2020 die Höhe des festgesetzten einzubehaltenden Betrags auf 50,00 € monatlich reduziert worden sei. 

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 21. September 2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19. Oktober 2021 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Er ergänzt sein bisheriges Vorbringen dahingehend, dass er seit Jahren psychisch und physisch chronisch krank sei und eine vorsätzliche unerlaubte Handlung nicht vorliege. Überdies habe er bereits erstinstanzlich Nachweise vorgelegt, die seine Hilfebedürftigkeit belegten. 

Der Kläger beantragt (sinngemäß) 

das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 20. September 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2018 sowie den Bescheid vom 14. Januar 2020 aufzuheben und die bereits einbehaltenen Beträge wieder an ihn auszukehren. 

Die Beklagte beantragt, 

die Berufung zurückzuweisen. 

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und verweist auf ihr bisheriges Vorbringen. 

Die Beigeladene stellt keinen Antrag und hält das erstinstanzliche Urteil ebenfalls für zutreffend. 

Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 10. Oktober 2022, 13. Oktober 2022 und 23. November 2022 jeweils einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. 

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der von der Beklagten und der Beigeladenen jeweils vorgelegten Verwaltungsakten sowie der beigezogenen Insolvenzakte des Amtsgerichts Kassel (Az. 660 IN 57/14), der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.


Entscheidungsgründe

Die statthafte Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 153 Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 SGG), ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG). 

Sie ist jedoch unbegründet. 

Das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 20. September 2021 ist in der Sache nicht zu beanstanden. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die von der Beklagten ab 1. April 2017 zukunftsoffen verfügte Verrechnung der Beitragsforderung der Beigeladenen mit der Erwerbsminderungsrente des Klägers mit monatlichen Einbehalten in Höhe von zuletzt 50,00 € ist rechtmäßig. Der Kläger ist durch die Bescheide der Beklagten vom 21. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2018 (§ 95 SGG) und vom 14. Januar 2020 (§ 96 Abs. 1 SGG) nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG beschwert. 

Sein Klagebegehren verfolgt der Kläger zutreffend im Wege der isolierten Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG. Diese Klageart ist statthaft, sofern der Leistungsträger über die Verrechnung - wie vorliegend - mittels Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) entschieden hat (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 12. Mai 2007, L 5 R 105/16, juris Rdnr. 32, m.w.N.). Im Falle der Aufhebung der angefochtenen Bescheide ist die Beklagte zur Auszahlung der einbehaltenen Beträge verpflichtet, ohne dass es einer gesonderten Leistungsklage bedarf. 

Der Bescheid vom 14. Januar 2020 ist nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des erstinstanzlichen Klageverfahrens geworden. Denn dieser erst nach Erhebung der Klage ergangene Bescheid hat den angefochtenen Bescheid vom 21. Februar 2017 hinsichtlich des Einbehalts abgeändert. Ein „Abändern“ oder „Ersetzen“ im Sinne dieser Vorschrift erfordert, dass der angefochtene Ausgangsbescheid und der neue Verwaltungsakt einen identischen Streitgegenstand betreffen. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn die Beschwer des Betroffenen im Hinblick auf den Streitgegenstand bzw. das Prozessziel vermindert oder vermehrt wird (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 6. Juli 2018, L 5 R 95/17, juris Rdnr. 21, m.w.N.). Danach ist vorliegend von einer Abänderung im Sinne des § 96 Abs. 1 SGG auszugehen. Die Beklagte hat mit ihrem Bescheid vom 14. Januar 2020 den zuvor mit Bescheid vom 21. Februar 2017 ab 1. April 2017 - und damit auf unbestimmte Zeit bis zur Tilgung der von der Beigeladenen bezifferten Gesamtforderung von 2.816,48 € geknüpft an die laufende Rente - verfügten Einbehalt in Höhe von 506,88 € auf 50,00 € reduziert, wodurch sich die Beschwer des Klägers entsprechend rückwirkend zu seinen Gunsten vermindert hat. Die Beklagte hat für die einzig einbehaltenen Monatsbeträge für April und Mai 2017 den Differenzbetrag von insgesamt 913,76 € wieder an den Kläger ausgekehrt (Schreiben der Beklagten vom 18. August 2020 an die Betreuerin des Klägers). Der Bescheid vom 14. Januar 2020 ist auch Gegenstand des erstinstanzlichen Urteils gewesen. Auch wenn sich dieser Bescheid nicht im sinngemäßen Klageantrag wiederfindet, ist er im Tatbestand aufgeführt und das Sozialgericht hat ihn in den Entscheidungsgründen berücksichtigt. Eine „Entscheidungslücke“ der erstinstanzlichen Entscheidung existiert daher nicht.

Die Verrechnung ist rechtmäßig. Die angefochtenen Bescheide stützen sich auf § 52 i.V.m. § 51 SGB I

Zunächst bestehen keine Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Bescheide. Insbesondere ist der Kläger vor Erlass des Bescheides vom 21. Februar 2017 mit Schreiben vom 16. Januar 2017 ordnungsgemäß im Sinne von § 24 Abs. 1 SGB X angehört worden. 

Die Bescheide sind auch materiell rechtmäßig.

Gemäß § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger - vorliegend die Beklagte - mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers - vorliegend die Beigeladene - dessen Ansprüche gegen den Berechtigten - vorliegend den Kläger - mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Gemäß § 51 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistung - hier die Rentenzahlung - mit Ansprüchen jedweder Art gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Ab. 1 und Abs. 4 SGB I pfändbar sind. Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen oder mit Beitragsansprüchen nach dem Sozialgesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger nach § 51 Abs. 2 SGB I gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig nach den Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung nach dem SGB II wird. Eine wirksame Verrechnung setzt mithin - mit Ausnahme der Gegenseitigkeit der Forderungen - eine Aufrechnungs- und damit eine Verrechnungslage voraus. Das Erfordernis einer Aufrechnungslage nach § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wird durch die §§ 51, 52 SGB I - mit Ausnahme der Gegenseitigkeit der Forderungen bei der Verrechnung - nicht modifiziert (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 8. Juni 2021, L 12 R 331/18, juris Rdnr. 28).

Daran gemessen ist die angefochtene Verrechnung nicht zu beanstanden.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der mit den streitbefangenen Bescheiden verfügten Verrechnung ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Dies ist vorliegend das Ergehen des Änderungsbescheides vom 14. Januar 2020. Dies folgt nicht bereits daraus, dass es sich bei der statthaften Klageart vorliegend um eine reine Anfechtungsklage handelt, bei der grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich ist (BSG, Urteil vom 20. April 1993, 2 RU 52/92, SozR 3-1500 § 54 Nr. 18, juris Rdnr. 15; Urteil vom 22. September 2009, B 2 U 32/08 R, SozR 4-1500 § 73 Nr. 4, juris Rdnr. 17; Urteil vom 29. April 2015, B 14 AS 10/14 R, SozR 4-4200 § 11 Nr. 70, juris Rdnr. 16). Auch greift vorliegend nicht die anerkannte Ausnahme durch, wonach für Dauerverwaltungsakte - wie die zukunftsorientierte Verrechnung durch Verwaltungsakt einen darstellt - der Sach- und Rechtszustand zum Zeitpunkt der Entscheidung der letzten Tatsacheninstanz maßgeblich ist (BSG, Urteil vom 15. November 2016, B 2 U 19/15 R, juris Rdnr. 18, m.w.N.). Ebenso wenig kann der Senat sich der Auffassung anschließen, wonach für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verrechnung maßgeblich die Zeit ist, für die die Verrechnungsentscheidung Wirkung entfaltet (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Mai 2018, L 7 R 1498/17, juris Rdnr. 19). Vielmehr ist höchstrichterlich geklärt, dass entscheidend für die Festlegung des für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkts der Sach- und Rechtslage das materielle Recht - und nicht das Prozessrecht - ist (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 2016, B 14 AS 4/15 R = SozR 4-4200 § 60 Nr. 4, juris Rdnr. 12, m.w.N.). Die Entscheidung über die Aufrechnung bzw. Verrechnung steht im Ermessen des verrechnenden Trägers (vgl. BSG, Urteil vom 7. Februar 2012, B 13 R 85/09 R = SozR 4-1200 § 52 Nr. 5, juris Rdnr. 65, m.w.N.). Bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen, die mit der reinen Anfechtungsklage angefochten werden, ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage immer der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, weil das Gericht seine eigenen Erwägungen und neuere Erkenntnisse nicht an die Stelle derjenigen der Verwaltung setzen darf und eine Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung aufgrund des auf die Aufhebung des Verwaltungsakts gerichteten Streitgegenstands ausscheidet (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 2016, B 14 AS 4/15 R = SozR 4-4200 § 60 Nr. 4, juris Rdnr. 13, m.w.N.; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 54 Rdnr. 33). Soweit Änderungen in der Sach- und Rechtslage während der Wirkdauer des Dauerverwaltungsakts eintreten - hier insbesondere durch die rechtskräftige Restschuldbefreiung des Klägers im Insolvenzverfahren am 3. September 2020 -, steht den Beteiligten das Instrumentarium der § 44 ff. SGB X zur Verfügung. 

Dies zugrunde gelegt, begegnet zunächst die Verrechnungserklärung als solche keinen durchgreifenden Bedenken. Die Beklagte war vor allem berechtigt, die Verrechnung durch Verwaltungsakt (§ 31 Satz 1 SGB X) zu regeln (vgl. BSG Großer Senat, Beschluss vom 31. August 2011, GS 2/10 = SozR 4-1200 § 52 Nr. 4; BSG, Urteil vom 7. Februar 2012, B 13 R 109/11 R, juris). 

Der Verrechnung lag eine wirksame Ermächtigungserklärung der Beigeladenen zugrunde. Bei dieser Ermächtigung handelt es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die zu der Befugnis des ermächtigten Leistungsträgers führt, im eigenen Namen über ein Recht des Ermächtigenden zu verfügen, das heißt dessen Forderung zu verrechnen. Als empfangsbedürftige Willenserklärung muss die Ermächtigungserklärung hinreichend substantiiert sein. Sie muss daher Art und Umfang der Forderung so genau bezeichnen, dass der Ermächtigte als Empfänger der Willenserklärung ohne weiteres eine substantiierte Verrechnungserklärung abgeben kann (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juli 2003, B 4 RA 60/02 R = SozR 4-1200 § 52 Nr. 1). Diesen Anforderungen entspricht die Verrechnungsermächtigung der Beigeladenen vom 19. Dezember 2013 in Zusammenschau mit dem ergänzenden Schreiben vom 28. Januar 2014, welche auch von der Beklagten hinreichend geprüft worden sind. Die Ermächtigung enthält nicht nur Angaben zur Zusammensetzung der geltend gemachten Gegenforderung, sondern ebenso zum Zeitraum, in dem die Forderungen entstanden sind, sowie zu deren Fälligkeit. Zu einer weitergehenden Prüfung - namentlich der Rechtmäßigkeit der Beitragsforderung der Beigeladenen - war die Beklagte nicht verpflichtet. Mit Schreiben vom 12. Dezember 2016 hat die Beigeladene die Gegenforderung unter Hinweis auf die zur Insolvenztabelle angemeldete und festgestellte Forderung auf insgesamt 2.816,48 € beziffert. Der Kläger hat hiergegen keine Einwendungen erhoben. 

Auch das Vorliegen einer Verrechnungslage (entsprechend § 387 BGB) ist im maßgeblichen Zeitraum bis zum 14. Januar 2020 zu bejahen. Die Gesamtforderung der Beigeladenen (Gegenforderung) ist entstanden, fällig und erzwingbar, während die gleichartige Forderung des Klägers, gegen die verrechnet wird (Hauptforderung), zwar nicht insgesamt fällig, aber bereits entstanden und erfüllbar war. 

Die von der Verrechnungsermächtigung der Beigeladenen erfassten und gegen den Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung rückständiger Beiträge (einschließlich Nebenforderungen) in Höhe von insgesamt 2.816,48 € (Gegenforderung) sind entstanden und fällig. Die Beitragsforderung ist von der Beigeladenen gegenüber dem Kläger am 16. Juni 2008 rechtskräftig festgestellt worden und sie ist nicht verjährt. Dass die Hauptforderung des Klägers entstanden und erfüllbar ist, liegt angesichts dessen, dass ihm mit Bescheid vom 1. Dezember 2016 ab 1. Oktober 2015 und fortlaufend eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bindend zuerkannt worden ist, die zu monatlich zu erfüllenden und zum Ende des Monats fällig werdenden Einzelansprüchen führt, auf der Hand.

Der Verrechnung steht vorliegend auch nicht das durchgeführte Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers entgegen. 

Die Beklagte war nicht gehindert, die Verrechnung mit Ansprüchen der Beigeladenen auf rückständige Beiträge auf unpfändbare Teile der Rentenzahlungsansprüche des Klägers mit den streitbefangenen Bescheiden zu verfügen. Sowohl zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 21. Februar 2017 sowie des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2018 als auch zum Zeitpunkt des Erlasses des weiteren Bescheides vom 14. Januar 2020 befand sich der Kläger in der Wohlverhaltensphase des Insolvenzverfahrens. Denn zu diesem Zeitpunkt war das mit Beschluss vom 4. Juli 2014 eröffnete Insolvenzverfahren des Klägers nach erfolgter Schlussverteilung bereits wieder aufgehoben (Beschluss vom 17. Februar 2016, rechtskräftig am 17. März 2016) und es schloss sich das Restschuldbefreiungsverfahren an (Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 19. Januar 2016). Die Restschuldbefreiung wurde dem Kläger erst durch Beschluss des Amtsgerichts vom 14. August 2020, rechtskräftig am 3. September 2020, erteilt. Durch die Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 Abs. 1 InsO) erhielt der Kläger zwar seine Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse zurück (vgl. Meller-Hannich in Jaeger, Kommentar zur InsO, 2. Aufl., § 200 Rdnr. 12), die er durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 35 Abs. 1 InsO verloren hatte. So wie aber nur pfändbare Forderungen Vermögensbestandteil der Insolvenzmasse sind (§ 36 Abs. 1 InsO), trat der Schuldner - hier also der Kläger - in der Wohlverhaltensperiode nur seine pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder auf an deren Stelle tretende laufende Bezüge für den Zeitraum von sechs Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Abtretungsfrist) an einen vom Gericht bestimmten Treuhänder ab (§ 287 Abs. 2 InsO i.d.F. des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15. Juli 2013; BGBl I, 2379). Da nach § 294 Abs. 3 InsO nur eine Aufrechnung gegen die Forderung auf die Bezüge, die von der Abtretungserklärung erfasst werden, unzulässig ist, unterliegt folglich der unpfändbare Teil einer Geldleistung im Sinne eines laufenden Bezugs nicht der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO. Eine Aufrechnung im Rahmen des § 51 Abs. 2 SGB I kann also mit diesem unpfändbaren Teil der monatlichen Rentenleistung während der Wohlverhaltensphase erfolgen (vgl. auch Bigge, SGb 2020, 82, 85). 

Der unpfändbare Betrag ermittelt sich nach § 54 Abs. 4 SGB I i.V.m. §§ 850c ff. Zivilprozessordnung (ZPO). Wie die Beklagte dem Insolvenzverwalter bereits mit Schreiben vom 6. Januar 2017 mitgeteilt hat, standen aus der laufenden Rentenzahlung sogar ohne Berücksichtigung einer unterhaltsberechtigten Person sowie einer Rentenhöhe zum damaligen Zeitpunkt von 1.013,76 € nach Abzug der Aufwendungen für Kranken- und Pflegeversicherung keine pfändbaren Beträge zur Verfügung. Die unpfändbaren Beträge nach § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO betrugen monatlich ab 1. Juli 2015 1.073,88 € (Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung vom 14. April 2015, BGBl I, 618), ab 1. Juli 2017 1.133,80 € (Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung vom 28. März 2017, BGBl I, 750) und ab 1. Juli 2019 1.178,59 € (Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung vom 4. April 2019, BGBl I, 443) für eine alleinstehende Person, so dass der zuletzt verfügte Einbehalt von der laufenden Erwerbsminderungsrente des Klägers in Höhe von 50,00 € ab 1. April 2017 weit hinter der grundsätzlich möglichen hälftigen Aufrechnung des unpfändbaren Teils der Rente zurückgeblieben ist. 

Im Übrigen steht der Aufrechnung vorliegend auch nicht § 294 Abs. 1 InsO entgegen, der die Zwangsvollstreckung einzelner Insolvenzgläubiger in das Vermögen des Schuldners in der Zeit zwischen Beendigung des Insolvenzverfahrens und dem Ende der Abtretungsfrist für nicht zulässig erklärt. Denn die Aufrechnung stellt keine Maßnahme der Vollstreckung im Sinne der Vorschriften der ZPO oder anderer Verfahrensgesetze über die Zwangsvollstreckung dar, sondern es handelt sich um einen der Zwangsvollstreckung ähnlichen, außergerichtlichen Zugriff auf die Gegenforderung, eine Forderungsdurchsetzung im Wege der Selbsthilfe (BGH, Urteil vom 26. Mai 1971, VIII ZR 137/70, juris; Bayerisches LSG, Urteil vom 21. März 2018, L 13 R 25/17, juris Rdnr. 27). 

Die §§ 94 ff InsO, die eine bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens erworbene Aufrechnungsbefugnis als Rechtsposition auch im Insolvenzverfahren uneingeschränkt anerkennen und das Vertrauen des Forderungsinhabers in die bestehende Aufrechnungslage auch während des Insolvenzverfahrens schützen, sind vorliegend nicht einschlägig, denn sie greifen nur ab (Insolvenz-)Verfahrens-eröffnung bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens ein. In der Wohlverhaltensperiode aber besteht kein allgemeines Aufrechnungsverbot für Insolvenzgläubiger (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2005, IX ZR 115/04, juris Rdnr. 20; Lojowsky in: Braun, InsO, 9. Aufl. 2022, § 94 Rdnr. 5), so dass es unschädlich ist, dass die Beigeladene ihre Forderung (auch) zur Insolvenztabelle angemeldet hatte.

Über die Frage, welche Auswirkungen die mit Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 14. August 2020 erteilte Restschuldbefreiung auf die Rechtmäßigkeit der Verrechnung hat, bedurfte es vorliegend aufgrund der Beurteilung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letztmaligen Verwaltungsentscheidung am 14. Januar 2020 keiner Entscheidung. Vielmehr dürfte der im gerichtlichen Verfahren von dem Kläger angebrachte Vortrag im Hinblick auf die erfolgte Restschuldbefreiung als Antrag auf Prüfung der Aufhebung bzw. Änderung der Verrechnungsentscheidung nach § 48 SGB X auszulegen sein. Hierüber hat die Beklagte zu befinden. Nur so ist sichergestellt, dass sie das ihr zustehende Ermessen auch eigenständig ausüben kann. Insoweit kommt es vorliegend auch nicht auf den Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren an, wonach es sich bei der zu verrechnenden Forderung nicht um eine Verbindlichkeit aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung handelt. Dass diese nach § 302 Nr. 1 InsO von der Restschuldbefreiung unberücksichtigt bliebe und ein solcher Fall hier nicht einschlägig ist, ist nach dem Vorgesagten unerheblich. 

Auch die übrigen Voraussetzungen einer Verrechnung liegen zum maßgeblichen Zeitpunkt am 14. Januar 2020 vor. 

Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Kläger durch die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung hilfebedürftig im Sinne von § 51 Abs. 2 SGB I geworden sein könnte. 

Der von § 51 Abs. 2 SGB I geforderte Nachweis der Hilfebedürftigkeit ist seit der durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I, 2954) bewirkten Rechtsänderung zum 1. Januar 2005 durch den Leistungsberechtigten - hier den Kläger - zu erbringen. Im Gegensatz zur früheren Rechtslage, als die entsprechende Prüfung noch von dem Leistungsträger vorgenommen werden musste (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 9. November 1989, 11 RAr 7/89 = SozR 1200 § 51 Nr. 17), trifft seitdem den Leistungsberechtigten eine Obliegenheit im Sinne einer verstärkten Mitwirkungspflicht als weitergehende Pflicht nach § 21 Abs. 2 Satz 2 SGB X (vgl. Siefert in: BeckOGK, Stand 1. August 2022, SGB I § 51 Rdnr. 20). Die schlichte Erklärung des Leistungsberechtigten über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse ist dabei für die Beweisführung grundsätzlich nicht ausreichend. Denn der Nachweis über den Eintritt von Sozialhilfebedürftigkeit kann im Rahmen des § 51 SGB I in der Regel ohne großen Aufwand durch eine Bedarfsbescheinigung des örtlich für diese Leistung zuständigen Trägers geführt werden (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 8. April 2014, L 2 R 526/11, juris Rdnr. 30, m.w.N.). Legt der Leistungsberechtigte eine solche Bescheinigung nicht vor, muss er ersatzweise alle zur Ermittlung von Hilfebedürftigkeit notwendigen Angaben machen. Beweislosigkeit bzw. unklare und/oder unvollständige Angaben gehen zu seinen Lasten (vgl. Pflüger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl. 2018, Stand: 7. November 2023, § 51 Rdnr. 86, m.w.N.).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Kläger seiner Obliegenheit aus § 51 Abs. 2 SGB I nicht hinreichend nachgekommen. Trotz entsprechender Hinweise der Beklagten schon im Anhörungs- und Widerspruchsverfahren hat er weder eine Bedarfsbescheinigung des zuständigen Sozialhilfe- bzw. Grundsicherungsträgers vorgelegt noch ausreichend belastbare Angaben zu seinen finanziellen Verhältnissen gemacht, die seine Sozialhilfebedürftigkeit bei einer Verrechnung von 50,00 € ab April 2017 belegen würden. Aus den während des Klageverfahrens vorgelegten Unterlagen ergibt sich kein vollständiges Bild insbesondere zu den anerkennungsfähigen Ausgaben des Klägers. Angaben zum Vermögen fehlen gänzlich. Überdies hat er Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ausweislich des Erstattungsersuchens des Jobcenters der Stadt Kassel vom 21. Dezember 2016 nur bis 31. Dezember 2016 erhalten, wobei sich die erhaltenen SGB II-Leistungen auf monatlich 654,00 € belaufen haben, was gegen den Eintritt der Hilfebedürftigkeit selbst unter Berücksichtigung des unpfändbaren Anteils bei einem monatlichen Einbehalt von 50,00 € spricht. Im Berufungsverfahren hat er nur pauschal darauf verwiesen, dass er Unterlagen, die seine Hilfebedürftigkeit belegten, vorgelegt habe. Neue Gesichtspunkte ergeben sich hieraus nicht.

Ob und in welchem Umfang der Leistungsträger verrechnet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen (vgl. Siefert, a.a.O., § 51 SGB I, Rdnr. 17). Dieses ihm durch § 52 i. V. m. § 51 Abs. 2 SGB I grundsätzlich eingeräumte Ermessen bezüglich des „Ob“ und des Umfangs der Verrechnung hat die Beklagte fehlerfrei ausgeübt. 

Das Verrechnungsermessen ist entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und es sind die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I). Damit korrespondierend hat der Leistungsempfänger einen Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I). In diesem Umfang unterliegt die Ermessensentscheidung der richterlichen Kontrolle, insbesondere auf Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung oder Ermessensfehlgebrauch (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Insbesondere unter Berücksichtigung der Ausführungen der Beklagten in den angegriffenen Bescheiden und der zuletzt festgestellten Höhe des monatlichen Verrechnungseinbehalts mit Bescheid vom 14. Januar 2020 ergeben sich für den Senat keine Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Ermessensentscheidung, die Erwerbsminderungsrente des Klägers in Höhe von 50,00 € monatlich zu verrechnen. Mit diesem letztgenannten Bescheid hat die Beklagte die ursprüngliche Höhe des monatlichen Einbehalts im gesetzlich weitestgehend möglichen Umfang in Höhe der Hälfte des monatlichen Rentenzahlbetrags nach Vorlage verschiedener Unterlagen zu laufenden Ausgaben des Klägers während des Klageverfahrens zu seinen Gunsten erheblich herabgesetzt. Dafür, dass der Kläger auch nach der Herabsetzung des monatlichen Einbehalts hilfebedürftig im Sinne des SGB XII werden könnte, fehlt es an substantiiertem Vortrag ebenso wie an entsprechenden Anhaltspunkten. Ein Ermessensfehler ist unter Berücksichtigung der Ausführungen der Beklagten in den streitbefangenen Bescheiden nicht ersichtlich, insbesondere auch, weil der Kläger keine Gesichtspunkte vorgebracht hat, die in die erfolgte Ermessensentscheidung einzustellen gewesen wären. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse bzw. das Interesse der Versichertengemeinschaft an der Entrichtung rückständiger Beiträge mitsamt Nebenforderungen höher bewertet hat als das Interesse des Klägers an einer ungeschmälerten Auszahlung seiner Rente wegen Erwerbsminderung, auch wenn ihm diese aufgrund einer dauerhaften Erkrankung gewährt wird.

Nach alledem musste die Berufung des Klägers ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind. 
 

Rechtskraft
Aus
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