L 4 P 2751/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 10 P 4150/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 2751/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Bei einem Doppelbezug von deutscher und polnischer Altersrente entfällt der deutsche Krankenversicherungsschutz und damit auch Pflegeversicherungsschutz für eine in Polen lebende, früher in Deutschland Pflichtversicherte, wenn - wie hier - keine freiwillige Weiterversicherung bestand. Aus den Regelungen des europäischen Gemeinschaftsrechts folgt keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. März 2022 wird zurückgewiesen

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die in Polen lebende Klägerin Anspruch auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung hat.

Die 1957 geborene und in Polen wohnhafte Klägerin ist polnische Staatsangehörige. Nachdem sie zunächst ab Oktober 1976 in Polen beschäftigt war, war sie ab Juli 2010 in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) als 24-Stunden-Pflegekraft versicherungspflichtig beschäftigt, für die Zeit vom 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2019 entrichtete sie freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung; wegen der Beschäftigungszeiten im Einzelnen wird auf den Versicherungsverlauf der Anlage Seite 2/3 zum Rentenbescheid der Deutschen Rentenversicherung (DRV) B1 vom 28. Dezember 2021 (Bl. 61 f. der Akte des Sozialgerichts Stuttgart [SG] S 10 P 4150/21) Bezug genommen. In der Zeit vom 1. Juli 2010 bis 30. April 2013 war die Klägerin mit Unterbrechungen Mitglied der Beklagten; wegen der Mitgliedschaftszeiten im Einzelnen wird auf die Mitgliedsbescheinigung vom 3. April 2017 (Bl. 70 der Verwaltungsakte/Akte des Sozialgerichts Karlsruhe S 14 P 921/21) Bezug genommen.

Bereits im Januar 2013 erlitt die Klägerin einen linkszerebralen Infarkt und bezog zunächst Krankengeld von der Krankenkasse der Beklagten. Im März 2013 kehrte die Klägerin nach Polen zurück und hat seither dort ihren alleinigen Wohnsitz. Die DRV B1 gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 10. März 2015 Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Mai 2013 auf Dauer, mit Bescheid vom 2. Dezember 2020 ab dem 1. Dezember 2020 Altersrente für langjährig Versicherte. Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung wurden aus den Renten der Klägerin nicht entrichtet. Die Bescheide enthielten unter der Überschrift „Berechnung der Rente“ den Hinweis: „Es ist davon auszugehen, dass Sie in Ihrem Wohnstaat gesetzlich krankenversichert sind. Deshalb wird kein Beitrag zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung aus der Rente einbehalten. Sollte sich unsere Annahme als unrichtig herausstellen, werden wir prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Pflichtmitgliedschaft in der deutschen Krankenversicherung der Rentner und der sozialen Pflegeversicherung vorliegen. Gegebenenfalls werden wir die Rentenzahlung rückwirkend berichtigen, Ihren Beitragsanteil zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung aus der Rente einbehalten und zusammen mit unserem Beitragsanteil an die gesetzliche deutsche Krankenversicherung weiterleiten. Dadurch entstehende Überzahlungen werden zurückgefordert.“ Mit Schreiben vom 23. April 2015 teilte die DRV B1 der Klägerin mit, von der deutschen Rente würden keine Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung einbehalten, da sie in Polen krankenversichert sei. Pflegeleistungen würden durch den deutschen Rentenversicherungsträger nicht gezahlt.

Mit Bescheiden vom 10. Juli 2013, 27. August 2014, 19. August 2020 und 10. Juni 2021 gewährte der polnische Träger S1 (ZUS) der Klägerin zunächst ab dem 1. Mai 2013 auf Dauer Rente wegen vollständiger Arbeitsunfähigkeit, ab dem 1. Juli 2020 Altersrente (Bl. 209 ff. der Akte des Sozialgerichts Karlsruhe S 14 P 921/21 -).

Am 1. Oktober 2019 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf „Leistungen aus der Pflegeversicherung“.

Mit Bescheid vom 18. Oktober 2019 lehnte die Beklagte den Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung ab. Wegen fehlender Mitgliedschaft bei der Beklagten könne die Klägerin keine Leistungen erhalten. Es werde ihr empfohlen, sich an ihre zuständige Pflege- bzw. Krankenkasse zu wenden. Der Bescheid enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung.

Auf den am 21. Februar 2020 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch der Klägerin, erläuterte ihr die Beklagte mit Schreiben vom 15. April 2020, der Pflegeantrag sei abgelehnt worden, weil die Klägerin nicht Mitglied der Beklagten sei. Wegen der fehlenden Mitgliedschaft könne eine Bearbeitung nicht erfolgen; die Klägerin möge ihre Antragsunterlagen bei ihrer zuständigen Krankenversicherung einreichen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. September 2021 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei überwiegend in Polen erwerbstätig gewesen. In Deutschland habe sie lediglich vorübergehend Tätigkeiten als Haushaltshilfe verrichtet. Aufgrund der in dieser Zeit entrichteten Beiträge habe sie auch einen Anspruch auf eine Rente der DRV erworben. Nach § 3 Nr. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) würden die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung gelten, soweit sie eine Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit nicht voraussetzen, für alle Personen, die einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hätten. Für Personen, die eine deutsche Rente bezögen und im Ausland wohnten, gelten die Vorschriften der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) und der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht. Auch aus dem nach § 6 SGB IV heranzuziehenden über- und zwischenstaatlichen Recht ergebe sich nichts anderes. Für die Klägerin, die eine gesetzliche Rente aus der Rentenversicherung in Polen und Deutschland beziehe und in Polen wohnhaft sei, finde Art. 23 VO (EG) Nr. 883/04 Anwendung, wonach eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedsstaaten erhält, wovon einer der Wohnmitgliedstaat ist, und die Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedsstaates hat, wie auch ihre Familienangehörigen diese Sachleistungen vom Träger des Wohnorts für dessen Rechnung erhalte, als ob sie allein nach den Vorschriften dieses Mitgliedsstaates Anspruch auf eine Rente hätte. Die Versicherungspflicht zur Pflegeversicherung lehne sich nach § 20 Abs. 1 Nr. 11 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) an die Krankenversicherung an. Demnach sei die Klägerin nicht nach deutschem Recht kranken- und pflegeversichert und habe deshalb auch keine Ansprüche auf Leistungen der Pflegekasse der Beklagten.

Bereits am 30. März 2021 hatte die Klägerin Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (Az. S 14 P 921/21) erhoben, das den Rechtsstreit mit Beschluss vom 8. November 2021 an das SG (S 10 P 2751/21) verwies.

Zur Klagebegründung trug die Klägerin vor, sie habe Ansprüche auf Leistungen der Pflegeversicherung. Die Ablehnung verletze ihre Rechte und Art. 18 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Sie werde als pflegebedürftiger behinderter Mensch diskriminiert. Die angefochtene Entscheidung verstoße gegen geltendes Europäisches Recht, insbesondere Art. 21 Abs. 1 AEUV, Art. 1a, Art. 2 Abs. 1, Art. 4, Art. 7 VO (EG) Nr. 883/2004 und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Seit sie im März 2013 Deutschland nach Polen verlassen habe, habe sie keine Arbeit aufgenommen und werde wegen der Krankheit weiterhin behandelt. Sie sei zum Zeitpunkt des Unfalls zu einer behinderten Person geworden. Sie habe den Status eines Arbeitnehmers und unterliege daher den Rechtsvorschriften des Landes, in dem sie beschäftigt sei. Krankengeld sei nach Polen gezahlt worden. Es sei ihr Pflegegeld in der Gesamthöhe zuzusprechen, auf die sie bei einem Wohnsitz in der BRD Anspruch hätte. Die freiwillige Versicherung sei zu berücksichtigen; insoweit werde auf den Bescheid der DRV B1 vom 27. Dezember 2021 (Bl. 44 der SG-Akte) hingewiesen.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Mit Urteil vom 11. März 2022 wies das SG die Klage ab. Es verwies im Wesentlichen auf die Entscheidungsgründe des Widerspruchsbescheids und führte ergänzend aus, entgegen der Auffassung der Klägerin verstoße die von ihr angefochtene Entscheidung gerade nicht gegen geltendes Europäisches Recht. Vielmehr finde auf sie Art. 23 VO (EG) Nr. 883/04 Anwendung. Nachdem die Klägerin ihren Wohnsitz in Polen habe und von dort eine polnische Rente beziehe, sei sie von Leistungen nach deutschem Recht ausgeschlossen.

Gegen das ihr am 30. Juni 2022 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21. September 2022 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie wiederholt im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und trägt vor, nach der Rechtsprechung des EuGH habe sie Anspruch auf Leistungen der deutschen Pflegeversicherung. Ein Zusammentreffen von Pflegeleistungen aus zwei Mitgliedstaaten sei möglich, was sich aus Art. 34 VO (EG) Nr. 883/2004 ergebe. Sie würde diskriminiert, wäre ihr nicht die Wahrung der bereits in Deutschland erworbenen Ansprüche, Vorteile und Anwartschaften möglich. In Polen gebe es keine Pflegeversicherung. Aufgrund der obligatorischen Sozialabgaben habe sie Anspruch auf Leistungen in Deutschland erworben. Neben Entscheidungen des EuGH, auf die sie verwiesen hat, hat sie in Übersetzung einen Befundbericht für den polnischen Versicherungsträger ZUS vom 27. April 2021 (Bl. 498 der Senatsakte) und einen „Befund über die Behinderung“ vom 10. November 2015 des „Landkreisteams für Befinden über die Behinderung“ vom 10. November 2015 (Bl. 499 der Senatsakte) sowie (nicht übersetzt) ein Urteil des Bezirksgerichts O1 vom 14. Februar 2017 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. März 2022 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18. Oktober 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2021 zu verurteilen, ihr ab dem 1. Oktober 2019 Pflegegeld zu gewähren,
hilfsweise, dem Europäischen Gerichtshof die folgende Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorzulegen: „Wie gestaltet sich die Beziehung der Klägerin zur deutschen sozialen Pflegeversicherung nach Inkrafttreten der VO (EG) Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 und 492/2011, nachdem diese in Deutschland Pflichtmitglied in der deutschen sozialen Pflegeversicherung als Bezieher einer Rente aus der deutschen Rentenversicherung ist/war, diese Deutschland verlassen und ihren Wohnsitz nach Polen verlegt hat und in Polen - auch aufgrund des Bezugs einer Rente aus der polnischen Rentenversicherung - Pflichtmitglied in der polnischen Krankenversicherung, aber nicht Pflichtmitglied einer polnischen Krankenversicherung/Pflegeversicherung wird, weil es im polnischen Sozialrecht keine Pflegeversicherung gibt. Besteht weiterhin die Pflichtmitgliedschaft zur deutschen Pflegeversicherung bzw. bleibt ihr der Weg zur freiwilligen Weiterversicherung offen?“

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und wiederholt ihr bisheriges Vorbringen.

Die DRV B1 hat mit Schreiben vom 3. Juli und 23. November 2023 bestätigt, dass von der deutschen Rente der Klägerin keine Beiträge zur Krankenkasse abgeführt werden und die Klägerin neben der deutschen eine polnische Altersrente bezieht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.



Entscheidungsgründe

1. Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und gemäß §§ 153 Abs. 1, 87 Abs. 1 Satz 2 SGG fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß § 143 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte nicht der Zulassung, da die Klägerin Leistungen der sozialen Pflegeversicherung seit dem 1. Oktober 2019 und damit laufende Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Begehren der Klägerin auf Gewährung von Pflegegeld ab dem 1. Oktober 2019. Die Art der begehrten Leistung ergibt sich bereits aus dem Vortrag der Klägerin im Klageverfahren; im Berufungsverfahren hat sie einen entsprechenden Antrag gestellt. Streitbefangen ist der Bescheid der Beklagten vom
18. Oktober 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2021 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung dem Grunde nach ablehnte.

3. Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Diese hat keinen Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld, weil die Klägerin die allgemeine Leistungsvoraussetzung des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB XI nicht erfüllt. Die Klägerin ist nicht Pflichtmitglied der Beklagten als Träger der gesetzlichen Pflegeversicherung gemäß § 49 Abs. 1 SGB XI, denn sie unterliegt nicht der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung. Die Voraussetzungen für das Vorliegen von Versicherungspflicht sind nach deutschem Recht nicht erfüllt. Auch aus den Vorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts folgt keine Versicherungspflicht.

Rechtsgrundlage für die Gewährung von Pflegegeld ist § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI. Danach können Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Ob die Klägerin pflegebedürftig ist, kann dahinstehen, da sie die allgemeine Leistungsvoraussetzung des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB XI nicht erfüllt. Leistungen der Pflegeversicherung erhalten - auf Antrag - allein Versicherte. Die Klägerin gehört nicht zum Kreis der Versicherten und damit Leistungsberechtigten.

a) Nach § 49 Abs.1 Satz 1 SGB XI beginnt die Mitgliedschaft bei einer Pflegekasse mit dem Tag, an dem die Voraussetzungen des § 20, des § 21 oder des § 21a SGB XI vorliegen. Sie endet mit dem Tod des Mitglieds oder mit Ablauf des Tages, an dem die Voraussetzungen des § 20, des § 21 oder des § 21a SGB XI entfallen, sofern nicht das Recht zur Weiterversicherung nach § 26 SGB XI ausgeübt wird (Satz 2). Für die nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB XI Versicherten gelten § 186 Abs. 11 und § 190 Abs. 13 des Fünften Buches (SGB V) entsprechend (Satz 3).

D
ie Klägerin, die seit März 2013 ihren alleinigen Wohnsitz in Polen hat, gehört unter Beachtung allein der nationalen Kollisionsvorschrift (§ 3 SGB IV) nicht zum Kreis der gemäß § 20 SGB XI Versicherungspflichtigen. Zu diesen gehören im Wesentlichen die Versicherungspflichtigen der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 20 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 bis 11 SGB XI) sowie die freiwilligen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 20 Abs. 3 SGB XI) und daneben die in §§ 21, 25 SGB XI genannten Personengruppen (vgl. zu den in Betracht kommenden Versicherungstatbeständen: BSG, Urteil vom 26. Januar 2015 - B 12 P 9/03 R - juris, Rn. 25). In Betracht kommt hier allenfalls die Versicherungspflicht nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 SGB XI wegen einer Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V. Auf Grund des Wohnsitzes der Klägerin in Polen findet das deutsche Sozialversicherungsrecht gemäß der einseitigen Kollisionsnorm in § 3 Nr. 2 SGB IV aber bereits keine Anwendung, sodass schon aus diesem Grund die Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung ausgeschlossen ist.

§ 3 Nr. 1 SGB IV, wonach die Vorschriften über die Versicherungspflicht und Versicherungsberechtigung, soweit sie eine Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit voraussetzen, für alle Personen gelten, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes beschäftigt oder selbstständig sind, greift im Falle der Klägerin nicht, da sie im streitigen Zeitraum keine versicherungspflichtige Beschäftigung in der BRD ausgeübt hat. Soweit die Klägerin sinngemäß vorträgt, sie sei als Arbeitnehmerin zu behandeln, da sie den linkszerebralen Infarkt in Deutschland erlitten und zunächst Krankengeld bezogen habe, trifft dies nicht zu. Beschäftigung ist nach der Legaldefinition des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Zwar gilt die Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 SGB IV fortbestehend, solange das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortbesteht, jedoch nicht länger als einen Monat. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn u.a. Krankengeld in Anspruch genommen wird (§ 7 Abs. 3 Satz 3 SGB IV). Die Klägerin steht daher jedenfalls seit März 2013 nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis in der BRD. Auch aus einer unionsrechtlichen Bestimmung des Begriffs des Arbeitnehmers folgt nichts anderes. Arbeitnehmer im Sinne von Art. 45 AEUV ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (EuGH, Urteil vom 14. Juni 2012 - C-542/09 - Kommission/Niederlande, EU:C:2012:346, juris, Rn. 68, BSG, Urteil vom 12. September 2018 - B 14 AS 18/17 R - juris, Rn. 19). Eine Tätigkeit übt die Klägerin unstreitig seit Januar 2013 nicht mehr aus.

b) Darüber hinaus besteht auch wegen der fehlenden Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI).

Beim alleinigen Bezug einer deutschen Rente hätte die Klägerin einen Sachleistungsanspruch bei Krankheit zulasten des deutschen Sozialleistungsträgers. Seit dem 1. Mai 2010 ist insofern die VO (EG) Nr. 883/2004 (vgl. zum Inkrafttreten Art. 90 Abs. 1, Art. 91 VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 97 der Verordnung [EG] Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009) maßgeblich. Art. 24 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 bestimmt: Eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält und die keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats hat, erhält dennoch Sachleistungen für sich selbst und ihre Familienangehörigen, sofern nach den Rechtsvorschriften des für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaats oder zumindest eines der für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaaten Anspruch auf Sachleistungen bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat wohnte. Die Sachleistungen werden vom Träger des Wohnorts für Rechnung des in Absatz 2 genannten Trägers erbracht, als ob die betreffende Person Anspruch auf Rente und Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats hätte. Die in Art. 24 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/04 normierte Wohnsitzfiktion gilt auch für das Beitragsrecht (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2005 - B 1 KR 4/04 R - juris, Rn. 14 zu den im Wesentlichen gleichlautenden Regelungen der VO <EG> Nr. 1408/71). Weil der deutsche Sozialleistungsträger in diesem Fall für die Ausgaben für Sachleistungen bei Krankheit aufkommen muss, dürfen ihm auch die Krankenversicherungsbeiträge zugewiesen werden (vgl. Art. 30 Abs. 1 VO <EG> Nr. 883/04). § 3 Nr. 2 SGB IV hätte deshalb bis zu einem Bezug der polnischen Rente einer Mitgliedschaft der Klägerin in der KVdR auch bei einem Wohnsitz in Polen nicht entgegengestanden.

Mit dem Bezug der polnischen Rente, der wie derjenige der deutschen Rente am 1. Mai 2013 begann, erhält die Klägerin gemäß Art. 23 VO (EG) Nr. 883/04 Leistungen bei Krankheit vom polnischen Sozialleistungsträger. Die Voraussetzungen des Art. 24 VO (EG) Nr. 883/04 liegen daher nicht vor. Gehen Leistungen nicht zu Lasten eines Mitgliedstaates, so darf dieser, auch wenn er eine Rente schuldet, gemäß Art. 30 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/04 keine Beiträge zur Deckung der Leistung bei Krankheit einbehalten. Damit fehlt die Grundlage für ein Pflichtversicherungsverhältnis, so dass die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin in der KVdR und über § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI auch die Versicherungspflicht in der Pflegeversicherung der Rentner (PVdR) aufgrund des Bezugs der polnischen Rente nicht eintrat.

Sowohl in § 5 SGB V als auch in § 20 SGB XI sind Versicherungspflichttatbestände normiert, sodass Versicherungspflicht automatisch mit dem Vorliegen der Voraussetzungen eintritt und mit ihrem Wegfall endet. Einer eigenständigen Verwaltungsentscheidung der Beklagten über den Wegfall der Versicherungspflicht in der Pflegeversicherung bedurfte es somit - ebenso wie in der Krankenversicherung - nicht.

c) Auch aus den Regelungen des europäischen Gemeinschaftsrechts folgt keine Versicherungspflicht der Klägerin in der sozialen Pflegeversicherung. Unionsrecht enthält insoweit keine nach § 6 SGB IV, wonach Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts unberührt bleiben, gegenüber § 3 SGB IV vorrangigen Regelungen zur Versicherungspflicht in der Sozialen Pflegeversicherung.

Die VO (EG) Nr. 883/2004 erfasst persönlich alle Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates (Art. 2) und damit auch die polnische Klägerin. Der sachliche Geltungsbereich erstreckt sich u.a. nach Art. 3 Abs. 1 lit. a) auch auf Leistungen bei Krankheit. Nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des EuGH sind die einzelnen Leistungen der Pflegeversicherung vor allem deshalb als Ergänzung (nicht zwingend integraler Bestandteil) zu denen der Krankenversicherung zu sehen, weil deren Zweck und inhaltliche Ausgestaltung auf eine Verbesserung des Gesundheitszustandes und der Lebenssituation pflegebedürftiger Personen abziele und die beiden Leistungsträger organisatorisch verbunden seien (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. Dezember 2022 – L 5 P 14/21 – juris, Rn. 36 m.w.N.). Die VO (EG) Nr. 883/04 enthält jedoch keine Bestimmungen zum Bestehen von Versicherungspflicht sowie zum Bestehen einer Pflichtmitgliedschaft. Weder den allgemeinen Regelungen noch den besonderen Vorschriften für die einzelnen Leistungsarten können entsprechende Regelungen entnommen werden. Die Koordinierungs- und Kollisionsvorschriften in Titel III Kapitel 1 Abschnitt 2 VO (EG) Nr. 883/04 bestimmen für Leistungen bei Krankheit an Rentenberechtigte das anzuwendende Recht und regeln lediglich Leistungsansprüche und Kostentragungspflichten. Sie gelten auch für Leistungen bei Pflegebedürftigkeit, da diese „Leistungen bei Krankheit“ im Sinne von Art. 3 Nr. 1a VO (EG) Nr. 883/04 sind (vgl. Art. 34 VO <EG> Nr. 883/04; zur VO <EG> Nr. 1408/71 EuGH, Urteil vom 5. März 1998 - C-160/96 - <Molenaar>, SozR 3-3300 § 34 Nr. 2 S 15; Urteil vom 8. Juli 2004 - C-502/01 und C-31/02 - <Gaumain-Cerri und Barth>, juris; Urteil vom 8. März 2001 - C-215/99 -, <Jauch>, SozR 3-6050 Art 10a Nr. 1 S 7, zum Pflegegeld nach österreichischem Recht).
Auf die streitige Leistung der Pflegeversicherung findet damit insbesondere das Kapitel 1 des Titels III der VO Nr. 883/2004 Anwendung (vgl. Senatsurteil vom 24. Juni 2022 - L 4 P 2403/20 - juris, Rn. 28; Senatsbeschluss vom 13. Februar 2020 - L 4 P 993/19 - juris, Rn. 25; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. März 2021 - L 5 P 69/20 - juris, Rn. 37).

Die oben aufgezeigte grundsätzliche Pflichtmitgliedschaft in der KVdR (und damit korrespondierend die Pflichtmitgliedschaft in der PVdR) bis zu einem Bezug der polnischen Rente folgte allein daraus, dass der deutsche Sozialleistungsträger für die Kosten der Sachleistungsansprüche der Klägerin wegen Krankheit aufkommen musste.

Zwar ist Pflegegeld im Kontext der VO Nr. 883/2004 als (exportfähige) Geldleistung bei Krankheit zu qualifizieren, auch wenn es bestimmte Kosten decken soll, die durch die Pflegebedürftigkeit verursacht werden (ständige Rechtsprechung, vgl. bspw. EuGH, Urteil vom 5. März 1998 - a.a.O., Rn. 33 ff.; EuGH, Urteil vom 30. Juni 2011 - C-388/09 -<da Silva Martins> juris, Rn. 43 ff. m.w.N.; Senatsurteil vom 24. Juni 2022 - L 4 P 2403/20 - juris, Rn. 30; Senatsbeschluss vom 13. Februar 2020 - a.a.O., Rn. 25; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. März 2021 - a.a.O., Rn. 41). Der durch die Verordnung nicht definierte Begriff der Geldleistung erfasst zwar typischerweise Leistungen, die Lohnersatzfunktion haben oder reine Zahlungspflichten betreffen, wie etwa die Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen für Pflegepersonen (EuGH, Urteil vom 5. März 1998 - a.a.O., Rn. 31; EuGH, Urteil vom 8. Juli 2004 - C-31/02 - juris, Rn 20 ff.; Bieback, a.a.O., Rn. 4), was beides beim Pflegegeld nicht der Fall ist. Da das Pflegegeld aber unabhängig von einem Nachweis tatsächlich angefallener Kosten periodisch als fester Betrag ausgezahlt und der Begünstigte über die Zahlung weitgehend frei verfügen kann, weist es Merkmale auf, die es entscheidend von den Sachleistungen der Krankenversicherung unterscheidet (EuGH, Urteil vom 5. März 1998 - a.a.O.). Voraussetzung auch für den „Export“ von Pflegegeld bleibt allerdings, dass die Klägerin in der deutschen sozialen Pflegeversicherung versichert ist. Dies ist, wie dargelegt, aufgrund des Bezugs der polnischen Rente bei der Klägerin nicht der Fall. Europarechtlich ist der selbstständige Fortbestand einer Mitgliedschaft in der sozialen Pflegeversicherung im Falle des Wegfalls der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung - zumindest noch - nicht gefordert. Das Urteil des EuGH vom 30. Juni 2011 (a.a.O.) mag zwar die Tendenz zu einer gewissen (europarechtlichen) Verselbständigung der Pflegeversicherung erkennen lassen, unionsrechtlich vollzogen ist diese - auch in der VO (EG) 883/2004 - jedoch noch nicht, sondern allenfalls angedacht. Der in dem Urteil des EuGH vom 5. März 1999 (a.a.O.) aufgestellte Grundsatz, dass die Pflegeversicherung europarechtlich als Krankenversicherung zu qualifizieren ist, besteht demnach fort. Europarechtliche Bedenken dagegen, den Schutz in der sozialen Pflegeversicherung gemeinsam mit dem Schutz in der gesetzlichen Krankenversicherung entfallen zu lassen, sind somit nicht ersichtlich (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen vom 21. November 2019 - L 5 P 19/17 - juris, Rn. 72, m.w.N.).

d) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Leistungen aufgrund einer freiwilligen Versicherung. Sie ist nicht freiwilliges Mitglieder in der sozialen Pflegeversicherung der Beklagten geworden, weil sie keinen entsprechenden Antrag gestellt hat.

Rechtsgrundlage für die freiwillige Weiterversicherung in der sozialen Pflegeversicherung ist § 26 SGB XI. Gemäß § 26 Abs. 1 SGB XI können Personen, die aus der Versicherungspflicht nach § 20, § 21 oder § 21a Abs. 1 SGB XI ausgeschieden sind und in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden mindestens zwölf Monate versichert waren, sich auf Antrag in der sozialen Pflegeversicherung weiterversichern, sofern für sie keine Versicherungspflicht nach § 23 Abs. 1 SGB XI eintritt. Der Antrag ist innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Mitgliedschaft zu stellen. Personen, die wegen der Verlegung ihres Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes ins Ausland aus der Versicherungspflicht ausscheiden, können sich gemäß § 26 Abs. 2 SGB XI auf Antrag weiterversichern. Der Antrag ist dann bis spätestens einen Monat nach Ausscheiden aus der Versicherungspflicht bei der Pflegekasse zu stellen, bei der die Versicherung zuletzt bestand. Ob die Voraussetzungen für eine freiwillige Weiterversicherung in der sozialen Pflegeversicherung vorlagen, kann dahinstehen, da eine solche mangels entsprechender Antragstellung der Klägerin nicht zustande gekommen ist (zum grundsätzlichen Recht zur Weiterversicherung bei sog. Doppelrentner vgl. EuGH, Urteil vom 30. Juni 2011 - C-388/09 - <da Silva Martins>, a.A. noch BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 - B 12 P 3/06 R - juris; zu den Voraussetzungen einer freiwilligen Weiterversicherung ausführlich Senatsurteil vom 23. März 2018 - L 4 P 4340/16 - juris, Rn. 33 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. November 2019 -juris, Rn. 76 ff.). Soweit die Klägerin hinsichtlich der freiwilligen Weiterversicherung auf den Bescheid der DRV B1 vom 27. Dezember 2021 (Bl. 44 der SG-Akte) verweist, wonach ihr Antrag auf Erstattung der für den Zeitraum vom 1. April bis 31. Dezember 2019 gezahlten freiwilligen Beiträge nicht entsprochen werden kann, betrifft dies allein freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Dass sie auch freiwillige Beiträge zur deutschen sozialen Pflegeversicherung gezahlt hätte, ist damit weder vorgetragen noch ersichtlich.

d) Schließlich folgt auch nichts anderes aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO Nr. 883/2004. Dort ist lediglich angeordnet, dass Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates haben, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist. Das ist hier aber durch Art. 24 VO (EG) Nr. 883/2004 gerade geschehen, der die allgemeine Regelung des Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 insoweit verdrängt (vgl. vgl. auch insoweit Senatsurteil vom 24. Juni 2022 - L 4 P 2403/20 - juris, Rn. 28, Senatsbeschluss vom 13. Februar 2020 - a.a.O., Rn. 26). Hierin liegt weder eine unzulässige Diskriminierung (Art. 18, 45 Abs. 2 AEUV) noch eine ungerechtfertigte (systemwidrige) Ungleichbehandlung (Art. 20 der Grundrechtecharta der EU, Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG). Auch wenn im polnischen Recht eine dem Pflegegeld vergleichbare Leistung nicht vorgesehen ist, beruht dies nicht auf ihrer Staatsangehörigkeit, sondern ist allein Folge davon, dass die Klägerin bei einem polnischen Versicherungsträger gegen das Risiko der Krankheit versichert ist. Dem Gemeinschaftsrecht kommt auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit nur die Funktion zu, die unterschiedlichen nationalen Gesundheitssysteme zu koordinieren, nicht hingegen sie zu harmonisieren (Art. 48 AEUV; vgl.
Bassen, NZS 2010, 479 ff. m.w.N.) Da es die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer sozialen Sicherungssysteme unberührt lässt, dürfen die nationalen Leistungssysteme formelle und materielle Unterschiede aufweisen (EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - C-208/07 - juris, Rn. 84; EuGH, Urteil vom 28. April 1998 - C-158/96 - juris, Rn. 17 f.; BSG, Urteil vom 20. April 2016 - a.a.O., Rn. 34). Weder das Primärrecht noch die Koordinierungsregelungen der VO (EG) Nr. 883/2004 garantieren vor diesem Hintergrund einem Versicherten, dass die Wahl seines Wohnsitzes oder Arbeitsplatzes in Bezug auf Leistungen bei Krankheit oder Pflegebedürftigkeit neutral ist. Aufgrund der Unterschiede, die in diesem Bereich zwischen den Systemen und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen, können bei grenzüberschreitenden Sachverhalten vielmehr finanzielle Vorteile oder Nachteile eintreten, die gemeinschaftsrechtlich grundsätzlich hinzunehmen sind (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Juli 2012 - C-562/10 - juris, Rn. 57).

4. Zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 267 Abs. 2 AEUV ist der Senat nicht verpflichtet. Danach muss der EuGH nur angerufen werden, wenn sich das nationale Gericht im Rahmen einer letztinstanzlichen Entscheidung entscheidungserheblich auf europäisches Gemeinschaftsrecht stützt und an dessen Auslegung Zweifel bestehen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

6. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen. 



 

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