L 11 KR 2835/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 KR 353/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2835/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 04.09.2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Streitig ist die Erstattung von Kosten für Inkontinenzartikel.

Gegenüber dem 1966 geborenen und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherten Kläger, der über einen Grad der Behinderung von 100 verfügt sowie über die Merkzeichen B, G, aG, H und RF, bei dem Pflegebedürftigkeit nach Pflegegrad III besteht und der auf einen Rollstuhl angewiesen ist, wurde mit Bescheid vom 12.05.2021 das Ruhen der Leistungen wegen Beitragsrückständen festgestellt. Die hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts Freiburg [SG] vom 19.04.2022, S 15 KR 2631/21, Berufung vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg [LSG] zurückgenommen, L 4 KR 1498/22).

Nachdem ihm durch die B1 (K1, S1, R1) am 01.07.2022 ein Privatrezept über Inkontinenzartikel (Tena Pants plus XL – Einweghosen) ausgestellt worden war, bezog der Kläger am 04.07.2022 von der Apotheke A1 Inkontinenzartikel im Wert von 1.475,82 € und begehrte anschließend von der Beklagten Erstattung. Mit Bescheid vom 03.11.2022 lehnte die Beklagte eine Kostenerstattung ab, weil es sich um ein Privatrezept handele. Den dagegen vom Kläger eingelegten und nicht näher begründeten Widerspruch vom 02.12.2022 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.01.2023 (Eingang beim Bevollmächtigten des Klägers am 10.01.2023) zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 09.02.2023 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Er benötige bis zu 7 Pampers am Tag und könne aufgrund einer Hautunverträglichkeit nur Inkontinenzartikel der Firma Pants tragen. Selbst, wenn er mit erheblichen Beitragszahlungen im Rückstand sei, habe die Beklagte die Kosten zu tragen. Er habe bei der Beklagten die Bezahlung von Inkontinenzartikeln im Wert von insgesamt über 4.000 € beantragt. Er sei mittellos und erziele keine Einkünfte, sein notwendiger Lebensunterhalt werde durch Angehörige sichergestellt.

Mit Gerichtsbescheid vom 04.09.2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei unbegründet, da dem Kläger kein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die von ihm selbst beschafften Inkontinenzartikel auf Grundlage der Verordnung vom 01.07.2022 zustehe.  Anspruchsgrundlage für die Kostenerstattung selbst beschaffter Leistungen sei § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V). Voraussetzung sei danach, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig habe erbringen können oder dass sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt habe und dass dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden seien. Diese Kosten seien von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig gewesen sei. Das Gesetz sehe damit in Ergänzung des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) ausnahmsweise Kostenerstattung vor, wenn der Versicherte sich eine Leistung auf eigene Kosten selbst habe beschaffen müssen, weil sie von der Krankenkasse als Sachleistung wegen eines Mangels im Versorgungssystem nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt worden sei. Der Kostenerstattungsanspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 (Fall 1 und 2) SGB V reiche daher nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse (etwa auf Krankenbehandlung nach § 27 SGB V). Die Krankenkasse müsse Aufwendungen des Versicherten nur erstatten, wenn die selbst beschaffte Leistung ihrer Art nach oder allgemein von den Krankenkassen als Sachleistung zu erbringen sei oder nur deswegen nicht erbracht werden könne, weil ein Systemversagen die Erfüllung des Leistungsanspruchs im Wege der Sachleistung gerade ausschließe. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt. Bei den in einem Privatrezept verordneten Inkontinenzartikeln handele es sich bereits nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse. Zudem ruhe der Leistungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte aufgrund rückständiger Beitragszahlungen gemäß § 16 Abs. 3a Sätze 1-3 SGB V. Die gegen die Feststellung des Ruhens des Leistungsanspruchs gerichtete Klage sei erfolglos gewesen, die Berufung sei zurückgenommen worden. Dementsprechend seien vom Ruhen des Leistungsanspruches lediglich ausgenommen Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten nach §§ 25 f. SGB V und Leistungen, die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich seien. Die vom Kläger bezogenen Inkontinenzartikel stellten somit keine Leistungen dar, die vom Ruhen des Leistungsanspruches ausgenommen seien. Auf die vom Kläger geltend gemachte Hilfebedürftigkeit komme es insoweit nicht an. Überdies fehle es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Antrag des Klägers auf Kostenübernahme und der Ablehnungsentscheidung der Beklagten. Denn vorliegend habe sich der Kläger die Inkontinenzartikel bereits vor seiner Beantragung bei der Beklagten selbst beschafft, sodass ihre Ablehnungsentscheidung nicht ursächlich für die Beschaffung der Leistungen gewesen sei. Aus diesem Grund scheide auch ein Anspruch auf Kostenerstattung im Wege einer Genehmigungsfiktion gem. § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V aus, da Voraussetzung hierfür ebenfalls das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Antrag auf Kostenübernahme und der nicht fristgerechten Entscheidung der Krankenkasse sei.

Gegen den am 05.09.2023 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 05.10.2023 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingereichte Berufung. Der die Inkontinenzartikel verordnende Arzt habe lediglich ein Privatrezept ausstellen können, da die Beklagte untersagt habe, Rezepte zur gesetzlichen Krankenversicherung auszufertigen. Begründet worden sei dies mit dem ruhenden Leistungsanspruch wegen Prämienrückständen. Auf ein Ruhen des Leistungsanspruches könne sich die Beklagte vorliegend nicht berufen. Der Kläger leide unter diversen Erkrankungen, unter anderem Diabetes. Hierdurch bedingt sei die Haut des Klägers wundanfällig. Urin habe bekanntlich ätzende Wirkung. Nur durch das Tragen der verordneten Windeln dieser Marke ließen sich Wundstellen an den Beininnenseiten des Klägers vermeiden. Entstandene Wundstellen seien extrem schmerzhaft. Auch seien diese aufgrund der Diabeteserkrankung nur durch langfristige Behandlung wieder zu beseitigen. Der Kläger sei massivst psychisch belastet. Die vorliegende Inkontinenz wirke sich zerstörerisch auf sein Selbstbewusstsein aus. Minderwertigkeitsgefühle dominierten. Die Ablehnung der Kostenübernahme durch die Beklagte löse in der Person des Klägers „seelischen Schmerz“ aus.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 04.09.2023 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 03.11.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.01.2023 zu verurteilen, ihm die Kosten für die Inkontinenzartikel aufgrund der Verordnung vom 01.07.2022 in Höhe von 1.475,82 € zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Am 21.11.2023 um 11:16 Uhr ist ein Fax des Klägers beim LSG eingegangen, worin dieser zum einen unter Verweis auf ein beigefügtes Attest um Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung um 13:30 Uhr ersucht und zum anderen den Senat als befangen abgelehnt hat. Noch vor der mündlichen Verhandlung hat der Senatsvorsitzende den Verlegungsantrag abgelehnt. Dieser Beschluss ist dem Klägerbevollmächtigten um 14:14 Uhr mittels elektronischen Rechtsverkehrs übermittelt worden. Im Anschluss fand ab 14:25 Uhr die mündliche Verhandlung statt, zu der keine Beteiligten erschienen sind.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.




Entscheidungsgründe


Die Berufung hat keinen Erfolg.

Der Senat war nicht wegen Befangenheit daran gehindert, in der vorliegenden Berufungssache ein Urteil zu fällen, da das Ablehnungsgesuch des Klägers offensichtlich unzulässig ist. Der Senat konnte darüber abweichend von § 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 45 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) in der aus dem Rubrum ersichtlichen Besetzung entscheiden. Soweit der Kläger zwei Stunden vor geplantem Sitzungsbeginn am 21.11.2023 ein Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit gegen den 11. Senat eingereicht hat, liegt zum einen ein offensichtlicher Missbrauch vor und zum anderen war das Ablehnungsgesuch verfristet, sodass weder eine dienstliche Stellungnahme des Senats noch eine Entscheidung über das Befangenheitsgesuch vorab durch gesonderten Beschluss erforderlich waren. Zwar sieht § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO ausdrücklich vor, dass der abgelehnte Richter eine dienstliche Äußerung zum Inhalt des Ablehnungsgesuchs abzugeben hat. Ihr Fehlen ist aber dann unschädlich, wenn das Ablehnungsgesuch - wie hier - offensichtlich unzulässig ist (BSG 23.02.2022, B 9 SB 74/21 B, juris, Rn. 18 m.w.N.).
In der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichtshöfe und des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass rechtsmissbräuchliche oder gänzlich untaugliche Ablehnungsgesuche ausnahmsweise im vereinfachten Ablehnungsverfahren in der geschäftsplanmäßigen Besetzung des Gerichts unter Beteiligung der abgelehnten Richter behandelt werden können, wenn für die Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist (s. hierzu und zum Folgenden auch LSG Baden-Württemberg 23.09.2022, L 4 KR 1047/20, juris). Dies ist der Fall, wenn das Gericht einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts für sachfremde Zwecke verhindern will oder lediglich eine bloße Formalentscheidung über ein offensichtlich unzulässiges Gesuch trifft, die keinerlei Beurteilung des eigenen Verhaltens durch die entscheidenden Richter und kein Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erfordert (BSG 07.09.2016, B 10 SF 2/16 C, juris). Zur Missbräuchlichkeit zählt auch ein Ablehnungsgesuch allein in Verfahrensverzögerungsabsicht, um eine Terminsaufhebung der zeitlich unmittelbar bevorstehenden mündlichen Verhandlung zu erreichen (Einsatz als prozesstaktisches Mittel; vgl. Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, Stand: Juni 2022, § 60 SGG Rn. 167). So liegt der Fall hier. Der Kläger hat nur zwei Stunden vor Sitzungsbeginn sein Ablehnungsgesuch gegen den Senat gerichtet. Aus dieser späten Einreichung seines Gesuchs und aus dem Inhalt des Schriftsatzes ergibt sich, dass es ihm hauptsächlich um eine Verlegung der mündlichen Verhandlung ging, hat er doch sein Schreiben mit einem Verlegungsantrag beginnen lassen und zur Begründung auch ein ärztliches Attest vorgelegt. Vor diesem Hintergrund kann die Ablehnung des gesamten Senats nur als Mittel gesehen werden, die Durchführung des Termins zu verhindern. Dies ist rechtsmissbräuchlich.
Darüber hinaus ist das Ablehnungsgesuch auch verfristet. Nach § 60 SGG i.V.m. §§ 41 ff. ZPO sind Ablehnungsgesuche wegen Besorgnis der Befangenheit gem. § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO in der ab 01.01.2020 geltenden Fassung unverzüglich anzubringen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen Ablehnungsgesuche ohne prozesswidriges Verzögern nach Kenntniserlangung des Ablehnungsgrundes geltend gemacht werden (vgl. BT.-Drs. 19/13828, S. 17, vgl. hierzu auch LSG Baden-Württemberg a.a.O. sowie Bayerisches LSG 29.07.2021, L 5 SF 174/21 AB, juris; Bayerisches LSG 02.02.2023, L 18 SF 210/22 AB, Rn. 14, juris). Nach der Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erfolgt eine Rechtshandlung dann unverzüglich, wenn sie ohne schuldhaftes Zögern vorgenommen wird. Diese Begriffsbestimmung kann auch zur Auslegung verfahrensrechtlicher Vorschriften und somit zur Auslegung des § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO herangezogen werden (Bundesgerichtshof (BGH) 19.01.2022, XII ZB 357/21, juris, Rn. 9). Ohne schuldhaftes Zögern und damit unverzüglich handelt ein Verfahrensbeteiligter dann, wenn er die gesetzlich notwendige Rechtshandlung innerhalb einer nach den Umständen des Einzelfalles zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungszeit vorgenommen hat (BGH, a.a.O., Rn. 12). Vorliegend hat sich der Kläger bei der Begründung seines Ablehnungsgesuchs darauf gestützt, die Mitglieder des 11. Senats seien bereits vor dem Beginn der Verhandlung auf eine Ablehnung aller Anträge des Klägers vorbereitet gewesen. Ergänzend hat der Kläger ausgeführt: „Anstelle das man ein Gutachten im Auftrag gibt, um die damit verbundene Gefahren sowie Schmerzzustände des Beschwerdeführers herauszufinden, so machte die Kammer dies nicht, die erklärten sich zugleich zu Fachärzten und somit sind diese Richter nicht Tragbar, die Bearbeitung der Angelegenheiten des Herrn A2 durch dies abgelehnte Richter stellt nicht nur einen Eklatanten Verletzung des Anspruchs auf Gesetzlichen Richter, sondern ist zugleich eine Zumutung für den Beschwerdeführer.“ Hintergrund der Ablehnung ist entweder, dass der Senat am 24.10.2023 aufgrund mündlicher Verhandlung drei Berufungen des Klägers zurückgewiesen hat – oder aber, dass der Senat nicht bereit war, im vorliegenden Verfahren noch weiter medizinisch zu ermitteln. In beiden Fällen hätte der Kläger sein Befangenheitsgesuch früher einreichen können und müssen, entweder unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung am 24.10.2023 oder aber nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung, die dem Klägerbevollmächtigten am 18.10.2023 zuging. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war dem Kläger bewusst, dass der Senat keine weiteren Ermittlungen mehr anstellen würde. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, warum er mit seinem Ablehnungsgesuch bis zum Sitzungstag vier Wochen später gewartet hat. Aufgrund der Missbräuchlichkeit des Ablehnungsgesuchs sowie dessen Verfristung kann offenbleiben, ob der Antrag auch deshalb als unzulässig abzulehnen war, weil er sich pauschal auf den 11. Senat bezog, ohne einzelne Richter zu benennen (vgl. hierzu Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Schmidt, 14. Auflage 2023, § 60 Rn. 10b m.w.N.).

Dem Verlegungsantrag des Klägers war nicht zu entsprechen. Über einen Aufhebungs- oder Verlegungsantrag hat der Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 Zivilprozessordnung <ZPO>), und zwar noch vor Beginn der mündlichen Verhandlung (vgl. BSG 06.10.2010, B 12 KR 58/09 B, Rn. 8; BSG 25.02.2010, B 11 AL 113/09 B, Rn. 9; BSG 13.11.2012, B 2 U 269/12 B, Rn. 10 ff.). Dies ist hier erfolgt.  In der Rechtsprechung des BSG ist auch geklärt, dass die ohne mündliche Verhandlung ergehende Entscheidung über einen Verlegungsantrag den Beteiligten formlos zur Kenntnis gegeben werden kann (vgl. BSG 06.10.2022, B 8 SO 5/22 B, BeckRS 2022, 38406 Rn. 8, beck-online m.w.N.).
Die persönliche Verhinderung eines im Verfahren anwaltlich vertretenen Beteiligten stellt regelmäßig keinen erheblichen Grund für eine Terminsverlegung dar (anders im Einzelfall bei unverschuldeter Verhinderung des Prozessbevollmächtigten selbst: vgl. BSG 26.06.2007, B 2 U 55/07 B, juris Rn. 9). Insoweit begründen weder Art. 103 Abs. 1 GG noch § 62 SGG einen generellen Anspruch darauf, dass jeder Beteiligte auch persönlich vor Gericht auftreten kann (vgl. BSG 01.03.2023, B 5 R 2/23 B, juris Rn. 9; BSG 10.08.2023, B 2 U 174/22 B, Rn. 9, juris, m.w.N.). Daher hätte es weiteren Vortrags dazu bedurft, dass die Anwesenheit des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung - unabhängig von einer Anordnung des persönlichen Erscheinens - unerlässlich war (BSG 10.08.2023 a.a.O.). Hierzu enthält die Begründung des Klägers indes nichts, und dies ergibt sich auch aus den Akten nicht. Überdies ist auch nicht hinreichend begründet worden, aus welchen Gründen der Kläger nicht erscheinen konnte. Wird eine Terminverlegung erst einen Tag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung oder sogar – wie hier – nur zwei Stunden vor Verhandlungsbeginn beantragt und mit einer Erkrankung begründet, so muss dieser Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert werden, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- und/oder Reiseunfähigkeit besteht (st.Rspr.; z.B. BSG 07.11.2017, B 13 R 153/17 B, juris Rn. 9; BSG 27.05.2014, B 4 AS 459/13 B, juris Rn. 5). Dies erfordert grundsätzlich die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, aus der das Gericht Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen und so die Frage der Verhandlungs- und/oder Reiseunfähigkeit des Betroffenen selbst beurteilen kann (BSG 27.09.2022, B 7 AS 60/22 B, BeckRS 2022, 42515 Rn. 3, beck-online). Diesen Anforderungen genügt das eingereichte Attest vom 16.11.2023 des L1 nicht, da darin lediglich auf multimorbide Erkrankungen und die Einnahme von Psychopharmaka sowie Betäubungsmittel verwiesen wird. Der Kläger war am 24.10.2023 und damit vor vier Wochen ohne Weiteres in der Lage, an drei mündlichen Verhandlungen vor dem Senat in Stuttgart teilzunehmen, so dass das Attest ohnehin nicht überzeugt.

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl sowohl der Kläger als auch die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen sind, da beide mit der ordnungsgemäßen und zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurden (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet, da das SG die Klage zu Recht abgewiesen hat.


Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 03.11.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.01.2023, worin die Beklagte es abgelehnt hat, die Kosten für die selbst beschafften Inkontinenzartikel zu erstatten. Diese Ablehnung erfolgte zu Recht. Die hiergegen gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig, aber nicht begründet.

Da der Kläger vorliegend nicht eine Versorgung mit Inkontinenzartikeln, also eine Sachleistung, verlangt, sondern Kostenerstattung, kommt als Anspruchsgrundlage einzig § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht. Dessen Voraussetzungen sind aber nicht erfüllt.

Nach § 13 Abs. 3 Satz 1, 1. Alt SGB V sind von den Krankenkassen die Kosten für eine selbst beschaffte Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte. Unaufschiebbar ist eine Leistung allerdings nur dann, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr bestand, um vor der Beschaffung eine Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten (BSG 24.04.2018, B 1 KR 29/17 R, Rn 22 - juris). Für eine derartige Dringlichkeit sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.

Ein Kostenerstattungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt SGB V. Danach sind die Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung, soweit die Leistung notwendig war, zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Eine Ablehnung „zu Unrecht“ liegt nur vor, wenn ein entsprechender Naturalleistungsanspruch auf die beschaffte Leistung besteht, da ein Kostenerstattungsanspruch nicht weiterreicht als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch (vgl. BSG 17.12.2019, B 1 KR 18/19 R, juris Rn. 8). Voraussetzung für einen Kostenerstattungsanspruch des Klägers ist somit, dass die selbstbeschafften Inkontinenzartikel zu den Leistungen gehören, welche die Krankenkassen als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben, und dass die Beklagte seinen Antrag auf Versorgung mit diesen Artikeln zu Unrecht abgelehnt hat, somit Kausalität zwischen Ablehnung und Selbstbeschaffung vorliegt. Beide Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Zum einen hatte der Kläger bereits keinen Anspruch auf Versorgung mit Inkontinenzartikeln – und zwar unabhängig von der Art der Artikel, vgl. § 33 Abs. 6 Satz 2 SGB V, und auch unabhängig davon, dass hier lediglich eine Verordnung durch Privatrezept vorliegt -, da sein Leistungsanspruch ruhte. Gemäß § 16 Abs. 3a SGB V ruht der Anspruch auf Leistungen für nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) Versicherte, die mit einem Betrag in Höhe von Beitragsanteilen für zwei Monate im Rückstand sind und trotz Mahnung nicht zahlen, nach näherer Bestimmung des § 16 Abs. 2 KSVG. Satz 1 gilt nicht für den Anspruch auf Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten nach den §§ 25 und 26 und für den Anspruch auf Leistungen, die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für Mitglieder nach den Vorschriften dieses Buches (d.h. des SGB V), die mit einem Betrag in Höhe von Beitragsanteilen für zwei Monate im Rückstand sind und trotz Mahnung nicht zahlen; das Ruhen endet, wenn alle rückständigen und die auf die Zeit des Ruhens entfallenden Beitragsanteile gezahlt sind. Ist eine wirksame Ratenzahlungsvereinbarung zu Stande gekommen, hat das Mitglied ab diesem Zeitpunkt wieder Anspruch auf Leistungen, solange die Raten vertragsgemäß entrichtet werden. Das Ruhen tritt nicht ein oder endet, wenn Versicherte hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buches sind oder werden.

Vorliegend wurde, wie das SG zutreffend dargelegt hat, das Ruhen des Leistungsanspruchs bestandskräftig durch die Beklagte mit Bescheid vom 12.05.2021 festgestellt. Nähere Ausführungen zur Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII hat der Kläger nicht gemacht. Der Senat stellt vor dem Hintergrund der vorliegenden Informationen fest, dass der Kläger offenbar über Einkommen bzw. Vermögen verfügt und nicht hilfebedürftig ist. Der Kläger bezieht bereits seit 01.06.2019 keine Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung mehr und war dennoch in der Lage, im Mai und Juni 2021 Fahrkosten in Höhe von 8.000 € bzw. 1.000 € auszulegen (vgl. L 11 KR 1481/23 und L 11 KR 2602/23) bzw. sich mit Inkontinenzartikeln im Wert von
1.475,82 € zu versorgen (hiesiges Verfahren). Auch eine Ratenzahlungsvereinbarung ist nicht zustande gekommen, so dass das Ruhen fortbesteht.

Die Versorgung mit Inkontinenzartikeln ist keine Untersuchung zur Früherkennung und fällt auch nicht unter die Behandlung einer akuten Erkrankung bzw. Schmerzzustands.

Diese Regelung, der eine sozialethisch-humanitäre Wertung zugrunde liegt, ist § 4 Abs. 1 und 2 Asylbewerberleistungsgesetz vom 30.06.1993 i.d.F. d. Bek. v. 05.08.1997 (BGBl. I, 2022) nachgebildet (vgl. Ausschussber. z. GKV-WSG, BT-Drucks. 16/4247 - B. - zu Art. 1 Nr. 9, S. 31 = M 110b S. 62 f.). Eine „akute Erkrankung“ wird nur in solchen Fällen angenommen, in denen ein unvermutet auftretender, schnell und heftig verlaufender regelwidriger Körper- oder Geisteszustand aus medizinischen Gründen der ärztlichen Behandlung bedarf (vgl. Baierl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 264 SGB V [Stand: 20.06.2023], Rn. 69). Unter Schmerzzuständen wird ein mit einer aktuellen oder potenziellen Gewebsschädigung verknüpfter unangenehmer Sinnes- und Gefühlszustand verstanden. Sowohl bei einer akuten Erkrankung als auch bei Schmerzzuständen erfolgt keine langfristige Therapie, sondern eine überwiegende Behandlung der Krankheitssymptome im Sinne einer medizinischen Notversorgung (Baierl in: Schlegel/Voelzke, a.a.O.  § 264 SGB V, Rn. 70).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, da die Benutzung von Inkontinenzartikeln nicht der Behandlung einer akuten Erkrankung bzw. eines Schmerzzustands dient. Die Inkontinenz besteht hier nicht akut, sondern dauerhaft. Auch eine Schmerzbehandlung liegt nicht vor, da zwar durch die Inkontinenzartikel Wundstellen verhindert werden mögen, bereits vorhandene Wundstellen hierdurch aber nicht behandelt werden.

Im Ergebnis bestand daher schon kein Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit den Inkontinenzartikeln.


Zum anderen fehlt es auch an einem vorherigen Antrag auf Versorgung mit den Inkontinenzartikeln und damit an der erforderlichen Kausalität zwischen Antragsablehnung und Selbstbeschaffung. Der Kläger hat es versäumt, vor dem Kauf die Versorgung bei der Beklagten zu beantragen. Insofern scheitert die Erstattung der Kosten zusätzlich an der fehlenden Kausalität.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
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