Freizügigkeitsberechtigung nach Art. 10 EUV 492/2011 für Familienangehörige

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Speyer (RPF)
Aktenzeichen
S 14 AS 692/23 B ER
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 3 AS 207/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1.

Zur Begründung der jeweils eigenständigen, die Anwendung der Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und Nr 2 SGB II ausschließenden Freizügigkeitsrechte aus Art. 10 EUV 492/2011 genügt es, wenn Arbeitnehmerstatus des Elternteils und Ausbildung des Kindes während des Aufenthaltes zusammenfallen; es ist nicht erforderlich, dass zum Zeitpunkt der Einschulung des minderjährigen Kindes oder zum Zeitpunkt seiner Wohnsitznahme eine Arbeitnehmereigenschaft eines Elternteils vorlag.

 

2.

Die Familienangehörigen der nach Art. 10 EUV 492/2011 freizügigkeitsberechtigten Eltern können von diesen nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU bzw. in entsprechender Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ein Aufenthaltsrecht ableiten, das die Anwendung der Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und Nr 2 ausschließt.

 

3.

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II gilt nur für Sachverhalte, in denen das Aufenthaltsrecht auf der Richtlinie 2004/38/EG beruht und erfasst demnach nur Personen, die ihr voraussetzungsloses dreimonatiges Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG in Anspruch nehmen.

  1. Auf die Beschwerden der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 18.12.2023 geändert und der Entscheidungssatz zu 1 wie folgt gefasst:
    Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, 
    a. den Antragstellern für die Monate Oktober und November 2023 vorläufig Leistungen zu den Bedarfen für Unterkunft und Heizung von insgesamt 1.151,12 € sowie b. den Antragstellern ab dem 1.11.2023 jeweils bis zum 30.4.2024, längstens aber bis zur Rechtskraft einer Entscheidung in der Hauptsache, vorläufig Bürgergeld zu gewähren.
  2. Der Antragsgegner hat den Antragstellern ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
  3. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe gewährt und ihnen R              B   , B      , beigeordnet.

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten sind Ansprüche auf Bürgergeld nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB) streitig.

Die Antragsteller sind polnische Staatsangehörige. Die 1984 geborene Antragstellerin zu 1 ist die Mutter der Antragsteller zu 2 bis 4. Sie hält sich seit Januar 2020 in Deutschland auf, die am 19.1.2007 geborene Antragstellerin zu 2 zog im Juni 2021 von Polen zu ihr. Die Antragstellerin zu 3 wurde am 23.11.2020 in R           geboren. Der am 11.9.2004 geborene Antragsteller zu 4 hält sich seit Ende August 2023 in Deutschland bei seiner Mutter auf. Der Vater der Antragsteller zu 2 und 4 ist der Ehemann der Antragstellerin zu 1 und lebt nach Aktenlage in Polen. Er hat vor dem dortigen zuständigen Gericht seine Unterhaltsverpflichtung in bestimmter Höhe anerkannt. Nach Angaben der Antragstellerin zu 1 wird tatsächlich Kindesunterhalt von monatlich 110,00 € für die Antragstellerin zu 2 und 160,00 € für den Antragsteller zu 4 gezahlt. Der Vater der Antragstellerin zu 3 ist ebenfalls polnischer Staatsangehöriger, lebt in Deutschland, hat die Vaterschaft anerkannt und zahlt nach Angaben der Antragstellerin zu 1 Unterhalt von 150,00 € monatlich. Seine aktuelle Anschrift ist der Antragstellerin zu 1 ihren Angaben zufolge nicht bekannt. Sie bezieht Kindergeld für die Antragstellerinnen zu 2 und 3.

Die Antragstellerinnen zu 1 bis 3 wohnten zuvor in R         und bezogen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zuletzt wurden ihnen vom Jobcenter G   -G     mit Bescheid vom 11.7.2022 Leistungen für die Zeit vom 1.9.2022 bis 31.8.2023 gewährt. Nach der Trennung der Antragstellerin zu 1 vom Vater der Antragstellerin zu 3 beschloss sie ihren Umzug in den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners, dessen Notwendigkeit das Jobcenter G   -G     mit Bescheid vom 11.7.2023 bestätigte. Am 14.7.2023 beantragte sie beim Antragsgegner Bürgergeld. Sie legte eine Mietangebotsbescheinigung für ihre aktuelle Wohnung in O         an der Q      vor. Die Gesamtmiete beträgt 728,56 €. Hiervon entfallen auf die Nettokaltmiete 385,56 €, auf die Vorauszahlungen für Betriebskosten 190,00 € und für Heizkosten 153,00 €. Warmwasser wird mit der Zentralheizung bereitet. Der Antragsgegner erteilte mit Bescheid vom 9.8.2023 die Zusicherung zu den genannten Kosten. Am 6.9.2023 schloss die Antragstellerin zu 1 einen Mietvertrag zu den o.g. Bedingungen ab. Die vereinbarte Mietkaution beträgt 1.156,00 €. Das Mietverhältnis begann am 10.9.2023.

Die Antragstellerin zu 2 besuchte seit September 2021 die M     -N        -Schule in R         und wechselte zum Schuljahr 2023/2024 an die Berufsbildende Schule S        W          in B   B         , die sie immer noch besucht.

Die Antragstellerin zu 1 war vom 31.1.2020 bis zum 27.3.2020, vom 12.5.2020 bis zum 11.6.2020 und vom 13.6.2022 bis zum 10.10.2022 in Deutschland abhängig beschäftigt. Bei dem zuletzt genannten Arbeitsverhältnis handelte es sich um eine geringfügige Beschäftigung. Sie erhielt einen monatlichen Nettolohn von 381,00 €.

In den Monaten September bis November 2023 zahlte die Antragstellerin zu 1 keine Miete. Der Rückstand belief sich ausweislich eines Kontoauszugs der Vermieterin am 28.11.2023 auf 1.967,11 €, bestehend aus der Teilmiete für September von 509,99 € und jeweils 728,56 € für Oktober und November. Auch die Kaution war nicht gezahlt worden. Die Vermieterin hat mit Schreiben vom 24.11.2023 die Zahlung der rückständigen Miete angemahnt und mit Schreiben vom 27.11.2023 hinsichtlich der Kautionsforderung die gerichtliche Geltendmachung angedroht. 

Der Antragsgegner lehnte mit Bescheid vom 30.11.2023 die Gewährung von Bürgergeld an die Antragsteller ab und führte zur Begründung aus, die Antragstellerinnen zu 1 bis 3 seien nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b SGB II von den Leistungen ausgeschlossen, da die Antragstellerin zu 1 sich nur zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhalte. Die Antragstellerin zu 2 habe kein Aufenthaltsrecht nach Art. 10 EUV 492/2011, da die Antragstellerin zu 1 zum Zeitpunkt des Beginns der Schulausbildung keine Beschäftigung gehabt habe. Hiergegen erhoben die Antragsteller Widerspruch, über den noch nicht entschieden wurde.

Am 30.11.2023 haben die Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Speyer den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und zur Begründung vorgetragen, die Antragstellerin zu 1 habe vom 13.6.2022 bis zum 10.10.2022, also während des Schulbesuchs der Antragstellerin zu 2, gearbeitet. Dies begründe für beide ein jeweils eigenes Aufenthaltsrecht aufgrund von Art. 10 EUV 492/2011. Die Antragstellerin zu 3 und der Antragsteller zu 4 seien als Familienangehörige nach § 3 Abs. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) analog zum Aufenthalt berechtigt. Die Mietrückstände seit September 2023 betrügen 1.151,12 €.

Der Antragsgegner hat erwidert, ein abgeleitetes Recht der Antragstellerin zu 1 aus Art. 10 EUV 492/2011 bestehe nicht, da die Antragstellerin zu 2 schon vor ihrer Einreise 18 Monate von der Mutter getrennt gelebt habe und keine elterliche Fürsorge mehr benötige.

Das SG hat durch Beschluss vom 18.12.2023 den Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellerinnen zu 1 bis 3 vorläufig Leistungen nach dem SGB II ab November 2023 für 6 Monate, längstens bis zur Rechtskraft in der Hauptsache, zu zahlen und den Antrag im Übrigen abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, hinsichtlich Leistungen für die Vergangenheit, hier die Monate September bis Oktober, würden im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur in seltenen Ausnahmefällen, die hier nicht vorlägen, Leistungen zugesprochen. Für den Antragsteller zu 4 sei keine Meldebescheinigung vorgelegt und deshalb schon nicht glaubhaft gemacht worden, dass er zur Bedarfsgemeinschaft gehöre. Die Antragstellerinnen zu 1 bis 3 hätten einen Anordnungsanspruch ab November 2023 glaubhaft gemacht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG – (Urteil vom 9.3.2022 – B 7/14 AS 30/21 R) genüge es für die Begründung von Aufenthaltsrechten nach Art. 10 EUV 492/2011, wenn ein Elternteil während des Schulbesuchs des Kindes den Arbeitnehmerstatus erlange. Die Antragstellerin zu 1 nehme auch die elterliche Sorge wahr, der Einwand des Antragsgegners, dies sei nicht erforderlich, gehe fehl.

Der Beschluss wurde den Antragstellern am 18.12.2023 zugestellt. Am selben Tag haben sie Beschwerde dagegen eingelegt. Sie tragen vor, hinsichtlich der Mietrückstände bestehe ein Anordnungsgrund, da ihnen wegen des Rückstands von mehr als 2 Monatsmieten die fristlose Kündigung drohe. Die Zahlung sei bereits angemahnt worden. Selbst bei Zahlung innerhalb der Schonfrist nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB werde nur eine zuvor ausgesprochene fristlose, nicht aber eine ordentliche Kündigung unwirksam (Verweis auf BGH, Urteil vom 5.10.2022 – VIII ZR 307/21). Es bestehe die Gefahr des Verlustes der Wohnung. Zudem dürften nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) die Anforderungen an den Anordnungsgrund im Falle einer drohenden Wohnungskündigung nicht überspannt werden. Sie tragen weiter vor, der Antragsteller zu 4 wohne in der gemeinsamen Wohnung und sei auch dort gemeldet. Sie legen hierfür eine Anmeldebestätigung ab dem 10.9.2023 vor.

Die Antragsteller beantragen,

den Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 18.12.2023 abzuändern und

  1. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen für die Monate September und Oktober 2023 vorläufig Leistungen zu den Bedarfen für Unterkunft und Heizung von insgesamt 1.151,12 € zu gewähren,
  2. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller zu 4 ab November 2023 für 6 Monate, längstens bis zur Rechtskraft einer Entscheidung in der Hauptsache, vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren,
  3. ihnen für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren und ihnen ihre Prozessbevollmächtigte beizuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er bleibt bei seiner Ansicht, dass die Antragsteller keine Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB II haben. Das Recht der Kinder nach Art. 10 EUV 492/2011 knüpfe an den Arbeitnehmerstatus eines Elternteils an und reiche zeitlich über die Beschäftigung hinaus. Erforderlich sei, dass die Schulausbildung während der Beschäftigung eines Elternteils oder der Fortwirkung des Arbeitnehmerstatus begonnen werde. Die Schulausbildung der Antragstellerin zu 2 habe vor Aufnahme der letzten Erwerbstätigkeit der Antragstellerin zu 1 vom 13.6. bis zum 10.10.2022 begonnen und könne somit keine Aufenthaltsrechte nach Art. 10 EUV 492/2011 begründen. Zudem benötige die Antragstellerin zu 2 keine elterliche Sorge mehr. Der Antragsteller zu 4 sei als Arbeitsuchender nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Ein Recht der Antragstellerin zu 2 aus Art. 10 EUV 492/2011 könne ihm kein Aufenthaltsrecht vermitteln.

Der Antragsgegner hat den Beschluss des SG mit Bescheid vom 22.12.2023 ausgeführt. Dabei hat er neben dem Kindergeld jeweils 100,00 € Kindesunterhalt für die Antragstellerinnen zu 2 und 3 berücksichtigt. In der Bedarfsberechnung ist der gleiche Betrag für den Antragsteller zu 4 aufgeführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen, der Gegenstand der Beratung des Senats war.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das SG hätte dem Antrag in vollem Umfang stattgeben müssen.

 

I. Nach § 86 b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Abs. 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend (Satz 4). Für den Erlass einer - hier beantragten - Regelungsanordnung bedarf es demnach eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes (vgl. § 920 ZPO). Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf das materielle Recht, für das vorläufiger Rechtsschutz beantragt wird, der Anordnungsgrund betrifft die Notwendigkeit des Eilverfahrens zur Abwendung wesentlicher Nachteile (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage, § 86 b Rn. 27 ff).

Die Angaben sind glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes setzt voraus, dass substantiiert dargelegt und glaubhaft gemacht wird, dass ein Eilverfahren notwendig ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Grundsätzlich darf eine einstweilige Anordnung die Hauptsache nicht vorwegnehmen. Lediglich ausnahmsweise kann es erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn sonst ein zumutbarer und angemessener Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für den Antragssteller unzumutbar wäre.

II. Die Antragsteller haben zunächst Anordnungsansprüche glaubhaft gemacht. Ihnen stehen ab dem 10.9.2023 (dem Zuzug in den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners) Ansprüche auf Bürgergeld nach § 19 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 2 SGB II zu.

1. Zunächst erfüllen die Antragstellerinnen zu 1 und 2 sowie der Antragsteller zu 4 die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr.  1 bis 4 SGB II. Sie haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, haben das Mindestalter überschritten und die Altersgrenze noch nicht erreicht, sind erwerbsfähig und auch hilfebedürftig, da sie ihren Bedarf nicht vollständig aus eigenem Einkommen und Vermögen decken können (§ 9 Abs. 1 SGB II). Die Antragstellerin zu 3 kann als nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, einen Anspruch auf Bürgergeld haben.

2. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II sind – von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen ‑ "ausgenommen", also keine leistungsberechtigten Personen im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II und ohne Leistungsberechtigung nach dem SGB II

  1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
  2. Ausländerinnen und Ausländer,
    1. die kein Aufenthaltsrecht haben oder
    2. deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
      und ihre Familienangehörigen.
  3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.

 

Dabei hindert bereits das Vorliegen der Voraussetzungen für ein mögliches anderes Aufenthaltsrecht als ein solches aus dem Zweck der Arbeitsuche sozialrechtlich die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" i.S. von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b SGB II bzw. lässt den Leistungsausschluss "von vornherein" entfallen (ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Urteile vom 27.1.2021 – B 14 AS 42/19 R – juris Rn. 14 und vom 9.3.2022 ‑ B 7/14 AS 30/21 R – juris Rn. 18).

3. Keiner der Antragsteller unterfällt einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II.

 

a. Dies gilt zunächst für die erwerbsfähigen Antragstellerinnen zu 1 und 2. Diese sind nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b SGB II von den Leistungen ausgeschlossen, da ihr Aufenthaltsrecht nicht allein auf dem Zweck der Arbeitssuche beruht. Aufgrund des Schulbesuchs der minderjährigen Antragstellerin zu 2 kommt beiden ein jeweils eigenständiges Aufenthaltsrecht nach Art. 10 EUV 492/2011 zu. Danach können die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaates, der im Hoheitsgebiet eines anderen Gebietsstaats beschäftigt oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsmitgliedsgebiet dieses Mitgliedsstaates wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedsstaates am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen.

aa. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH leitet sich aus diesem Schulbesuchsrecht ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zunächst der Kinder ab. Kinder eines EU-Bürgers, die in einem Mitgliedstaat seit einem Zeitpunkt wohnen, zu dem dieser Bürger dort als Wanderarbeitnehmer ein Aufenthaltsrecht hatte, sind zum Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat berechtigt, um dort weiterhin am allgemeinen Unterricht teilzunehmen (grundlegend EuGH, Urteil vom 17.9.2002, – C-413/99 –, juris Rn. 63; in seiner Entscheidung vom 6.10.2020 ‑ C-181/19 juris Rn. 38 ‑ hat der EuGH die Unabhängigkeit der Aufenthaltsrechte nach Art. 10 EUV 492/2011 von anderen unionsrechtlichen Bestimmungen zum Aufenthalt in einem anderen Mitgliedsstaat nochmals betont).

bb. Weiterhin leitet der EuGH in ständiger Rechtsprechung aus Art. 10 VO 492/2011 ein eigenständiges Aufenthaltsrecht jedes Elternteils ab, der die tatsächliche Sorge für ein Kind ausübt, das sein Schulbesuchsrecht wahrnimmt: Haben Kinder ein Aufenthaltsrecht in einem Aufnahmemitgliedstaat, um dort am allgemeinen Unterricht teilzunehmen, dann erlaubt dieser Artikel dem Elternteil, der die Personensorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit den Aufenthalt bei den Kindern, um diesen die Wahrnehmung ihres genannten Rechts zu erleichtern, selbst wenn die Eltern inzwischen geschieden sind oder der Elternteil, der Bürger der Europäischen Union ist, nicht mehr Wanderarbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17.9.2002 – C-413/99 –, juris Rn. 75). Das Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat, das der Elternteil genießt, dem die elterliche Sorge für das in Ausbildung befindliche Kind tatsächlich zukommt, während das Kind eine Ausbildung in diesem Staat absolviert, hängt nicht von der Voraussetzung ab, dass einer der Elternteile des Kindes zu dem Zeitpunkt, zu dem es seine Ausbildung begonnen hat, als Arbeitnehmer in diesem Mitgliedstaat berufstätig gewesen ist (EuGH, Urteil vom 23.2.2010 ‑ C-480/08 – juris Rn. 70).

aaa. Allerdings hat der EuGH in diesem Urteil weiter ausgeführt, es genüge, dass das Kind, das im Aufnahmemitgliedstaat eine Ausbildung absolviert, in diesem Staat seinen Wohnsitz genommen hat, während einer seiner Elternteile dort ein Aufenthaltsrecht als Wanderarbeitnehmer hatte (a.a.O., Rn. 74). Diese Aussage kann jedoch nicht dahin verstanden werden, dass ein eigenständiges Aufenthaltsrecht des Kindes nach Art. 10 EUV 492/2011 voraussetzt, dass zu dem Zeitpunkt, in dem das Kind seinen Wohnsitz im Aufnahmemitgliedsstaat genommen hat, ein Elternteil Arbeitnehmer war oder aufgrund eines früheren Arbeitnehmerstatus ein nachwirkendes Aufenthaltsrecht hat (was hier auf die Antragstellerinnen zu 1 und 2 nicht zutrifft). Der EuGH hatte jeweils Vorlagefragen von nationalen Gerichten zu beantworten, die über Sachverhalte zu entscheiden hatten, in denen die Arbeitnehmereigenschaft eines Elternteils zu einem der infrage kommenden Zeitpunkte vorgelegen hatte. Was gewesen wäre, wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, hatte der EuGH nicht zu entscheiden. Die Anforderung, dass jedenfalls bei Wohnsitznahme des Kindes ein Elternteil den Arbeitnehmerstatus gehabt haben muss, würde auch zu Ergebnissen führen, die mit dem vom EuGH betonten Gedanken der Integration der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien nicht vereinbar wären. Reist etwa ein schulpflichtiges Kind mit seinen Eltern kurz vor Beginn des Schuljahres ein und wird zeitnah eingeschult, würde es kein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 EUV 492/2011 erwerben, wenn seine Eltern bzw. ein Elternteil erst kurz nach Beginn des Schuljahres eine Beschäftigung aufnähmen.

bbb. Dementsprechend hat der Senat bereits entschieden, dass es zur Begründung der Rechte aus Art. 10 EUV 492/2011 genügt, wenn Arbeitnehmerstatus und Ausbildung während des Aufenthaltes des Kindes und des Elternteils zusammenfallen (Urteil vom 19.12.2017 – L 3 AS 280/16 – juris Rn. 43). Die entscheidende und früher offene Frage war, ob ein auf Art. 10 EUV 492/2011 gestütztes Aufenthaltsrecht einem Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II entgegensteht. Der Senat hat dies verneint und im konkreten Fall festgestellt, dass die Kläger nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b SGB II von den Leistungen ausgeschlossen waren. Nachdem der EuGH in seinem Urteil vom 6.10.2020 (C-181/19 juris Rn. 79 und 89) den Leistungsausschluss für Inhaber von Aufenthaltsrechten aus Art. 10 EUV 492/2011 für unvereinbar mit dem Unionsrecht erklärt hat, hat das BSG durch Urteil vom 9.3.2022 – B 7/14 AS 30/21 R ‑ (juris) die o.g. Entscheidung des Senats aufgehoben. Darin hat das BSG wie der Senat das Aufenthaltsrecht aus Art. 10 EUV 492/2011 ausdrücklich nicht davon abhängig gemacht, dass zum Zeitpunkt der Einschulung des minderjährigen Kindes oder zum Zeitpunkt der Wohnsitznahme eine Arbeitnehmereigenschaft eines Elternteils vorlag (ebenso Sächsisches LSG, Urteil vom 18.4.2023 – L 4 AS 821/21 – juris Rn. 107). Der zwischenzeitlich mit Wirkung vom 29.12.2016 (BGBl. I S. 3155) ins Gesetz eingefügte § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. c SGB II wurde nach Ergehen der Entscheidung des EuGH vom 6.10.2020 aufgehoben (Gesetz vom 9.12.2020, BGBl. I S. 2855, 2859).

cc. Aus dem oben Gesagten folgt, dass die Antragstellerinnen zu 1 und 2 nicht von den SGB II-Leistungen ausgeschlossen sind.

Die Antragstellerin zu 1 ging vom 13.6.2022 bis zum 10.10.2022, also während des Schulbesuchs der Antragstellerin zu 2, einer Beschäftigung nach. Dass sie in dieser Zeit Arbeitnehmerin i.S.d. Art. 45 AEUV war (vgl. dazu BSG, Urteil vom 9.3.2022 – B 7/14 AS 30/21 – juris Rn. 20), ist nicht zu bezweifeln.

Der Senat geht mangels Anhaltspunkten für das Gegenteil auch davon aus, dass die Antragstellerin zu 1 die elterliche Sorge für die 16jährige, zu ihrem Haushalt gehörende Antragstellerin zu 2, die zweifellos „Kind“ im Sinne des Art. 10 EUV 492/2011 ist, tatsächlich ausübt. Der Einwand des Antragsgegners, die Antragstellerin zu 2 sei alt genug und zuvor 18 Monate ohne die Mutter zurechtgekommen, ist nicht stichhaltig. Denn nach den oben dargelegten Grundsätzen kommt es lediglich darauf an, ob die elterliche Sorge von dem Elternteil tatsächlich wahrgenommen wird, nicht aber auf den individuellen Entwicklungsstand des Kindes. Auch ist weder anzunehmen noch feststellbar, dass die Antragstellerin zu 2 in der Zeit der Trennung von ihrer Mutter alleine gelebt hat und auf sich gestellt war.

Die Antragstellerinnen zu 1 und 2 verfügen somit jeweils über ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach Art. 10 EUV 492/2011. Sie sind deswegen nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b SGB II von den Leistungen ausgeschlossen.

b. Die Antragstellerin zu 3 und der Antragsteller zu 4 sind als Familienangehörige der Antragstellerin zu 1 aufenthaltsberechtigt und unterfallen aus diesem Grund keinem der Leistungsausschlüsse des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II.

aa. Was die 3jährige Antragstellerin zu 3 angeht, kommt es nicht darauf an, ob sie als Familienangehörige der Antragstellerin zu 1 ein Aufenthaltsrecht aus § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU in analoger Anwendung hat. Denn für sie ergibt sich jedenfalls ein von der Antragstellerin zu 1 abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach dem „Günstigkeitsprinzip“ des § 11 Abs. 14 FreizügG/EU. Danach findet das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auch dann Anwendung, wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als dieses Gesetz. Gem. § 32 Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG kann „im Übrigen“, also auch bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 29 AufenthG, dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es auf Grund der Umstände des Einzelfalls zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist (Satz 1). Hierbei sind das Kindeswohl und die familiäre Situation zu berücksichtigen (Satz 2). Danach wäre der Antragstellerin zu 3 eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Aufrechterhaltung der gem. Art. 6 Abs. 1 GG unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehenden familiären Gemeinschaft mit der sich rechtmäßig im Inland aufhaltenden Antragstellerin zu 1 zu erteilen. Das grundsätzlich der Ausländerbehörde eingeräumte Ermessen ist angesichts des Alters der Antragstellerin zu 3 und des Umstands, dass die Antragstellerin zu 1 über ein eigenes Aufenthaltsrecht verfügt, auf „Null“ reduziert (im Ergebnis ebenso LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 7.6.2016 – L 2 AS 84/16 B ER – juris Rn. 52).

bb. Für den 19jährigen Antragsteller zu 4 gelten entsprechende Erwägungen indes nicht, da die Vorschriften des § 32 AufenthG zum Kindernachzug auf minderjährige Kinder beschränkt sind und der Nachzug sonstiger Familienangehöriger nur zur Vermeidung einer besonderen Härte in Betracht kommt (§ 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Eine solche ist hier nicht ersichtlich, nachdem der Antragsteller zu 4 nach mehrjähriger Trennung zu seiner Mutter nachgezogen ist und erst seit wenigen Monaten wieder mit ihr zusammenlebt.

Der Antragsteller zu 4 kann jedoch in entsprechender Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz1 FreizügG/EU von der nach Art. 10 EUV 492/2011 freizügigkeitsberechtigten Antragstellerin zu 1 ein Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger ableiten. Dem steht der Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU nicht entgegen. Danach haben Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 FreizügG/EU genannten Unionsbürger das Recht nach § 2 Abs. 1, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen.

aaa. Der Antragsteller zu 4 ist als Verwandter in gerader absteigender Linie, der das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, Familienangehöriger der Antragstellerin zu 1 i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c FreizügG/EU. Freizügigkeitsberechtigt sind nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU aber nur Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 genannten Unionsbürger, also derjenigen, die aufgrund der Regelungen der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG freizügigkeitsberechtigt sind, was auch den Vorgaben des Unionsrechts in der Gestalt des Art. 7 Abs. 1 Buchst. d Richtlinie 2004/38/EG entspricht. Zu diesen Unionsbürgen gehört die Antragstellerin zu 1 nicht (ebenso wenig sind die Voraussetzungen des § 4 FreizügG/EU erfüllt).

bbb. Ihr Status als betreuender Elternteil nach Art. 10 EUV 492/2011 begründet jedoch nicht nur ein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Wohnsitznahme, sondern vermittelt (sowohl den in Ausbildung befindlichen Kindern als auch den sie betreuenden Elternteilen) eine materielle Freizügigkeitsberechtigung i.S.d. § 2 Abs. 1 FreizügG/EU (BVerwG, Urteil vom 11.9.2019 – 1 C 48/18 – juris Rn. 26, 29; BSG, Urteil vom 12.9.2018 – B 4 AS 18/17 R – juris Rn. 24). Die scheinbar abschließende Aufzählung in § 2 Abs. 2 FreizügG/EU steht dieser Feststellung nicht entgegen. Denn das Gesetz bezieht sich nicht nur auf die in der Richtlinie 2004/38/EG zusammengefassten, sondern sämtliche sich unmittelbar aus dem Unionsrecht ergebenden und ggf. durch die Rechtsprechung des EuGH konkretisierten Freizügigkeitsrechte. Diese werden vom FreizügG/EU vorausgesetzt und nicht modifiziert (vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 15/420, S. 102). Der Aufzählung in § 2 Abs. 2 FreizügG/EU kommt insoweit nur eine deklaratorische Bedeutung zu (BVerwG, Urteil vom 11.9.2019 – 1 C 48/18 – juris Rn. 30).

ccc. § 2 Abs. 2 Nrn. 1 bis 5 FreizügG/EU schließen demnach die Anwendung des Gesetzes auf weitere Freizügigkeitsberechtigungen, insbesondere diejenigen nach Art. 10 EUV 492/2011, nicht aus. Daraus ergibt sich freilich nicht unmittelbar, dass die Familienangehörigen der nach Art. 10 EUV 492/2011 freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger von diesen nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU ein Aufenthaltsrecht ableiten können. Insbesondere hat sich das BSG in seinem Urteil vom 9.3.2022 (B 7/14 AS 30/21 R) zu dieser Frage nicht geäußert. Dazu bestand auch kein Anlass, da in dem zu entscheidenden Fall neben dem freizügigkeitsberechtigten Schulkind nur noch ein 4jähriges Geschwisterkind vorhanden war, dem unproblematisch ein anderweitiges Aufenthaltsrecht zukam (vgl. dazu oben). Auch fehlt es an einer ausdrücklichen unionsrechtlichen Regelung des Aufenthalts- bzw. Nachzugsrechts der Familienangehörigen der nach Art. 10 EUV 492/2011 freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger.

ddd. Der Senat sieht gleichwohl keinen Grund für eine Ungleichbehandlung der Angehörigen von nach Art. 10 EUV 492/2011 Freizügigkeitsberechtigten gegenüber denjenigen die von ihren Rechten aus der Unionsbürgerrichtlinie Gebrauch machen und die in der nicht abschließenden Aufzählung des § 2 Abs. 2 Nrn. 1 bis 5 FreizügG/EU enthalten sind. Bei dem Freizügigkeitsrecht nach Art. 10 EUV 492/2011 handelt es sich nach der Rechtsprechung des EuGH um eine besondere Ausprägung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Gegenstand der EUV 492/2011 ist. Zudem entspricht es, wie bereits dargelegt wurde, der Absicht des Gesetzgebers, alle Freizügigkeitsrechte des Unionsrechts in die Regelungen des FreizügG/EU einzubeziehen.

Im konkreten Fall des Antragstellers zu 4 wirkt sich zudem das Recht auf Schutz der familiären Gemeinschaft nach Art. 6 Abs. 1 GG aus. In den Schutzbereich der Norm fällt auch die familiäre Gemeinschaft mit volljährigen Kindern (BVerfG, Beschlüsse vom 5.2.1981 – 2 BvR 646/80 – juris LS 2 und vom 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. – juris Rn. 108).

Im Ergebnis verfügt der Antragsteller zu 4 über ein Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger der Antragstellerin zu 1 in entsprechender Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU. Er ist demnach nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil sich sein Aufenthaltsrecht nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.

eee. Auch der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II kommt auf ihn nicht zur Anwendung. Danach sind ausgeschlossen Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts.

Dieser Leistungsausschluss stellt – ebenso wie Nr. 2 Buchst. b ‑ eine Umsetzung des Art. 24. Abs. 2 der (Unionsbürger-) Richtlinie 2004/38/EG in innerstaatliches Recht dar. Danach sind die Mitgliedsstaaten nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Abs. 4 Buchstabe b einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Dass es sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II um „Sozialhilfe“ in diesem Sinn handelt, hat der EuGH mehrfach entschieden (vgl. z.B. Urteil vom 6.10.2020 – C-181/19 – juris Rn. 57). Die Vorschrift regelt eine Ausnahme von dem in Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2004/38/EG geregelten Gleichbehandlungsgrundsatz. Sie ist folglich nur auf Personen anwendbar, die unter Abs. 1 fallen, also Unionsbürger, die sich „aufgrund dieser Richtlinie“ im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhalten (EuGH, Urteil vom 6.10.2020 – C-181/19 – juris Rn. 62). Sie gilt somit nur für Sachverhalte, in denen das Aufenthaltsrecht auf der Richtlinie 2004/38/EG beruht und erfasst demnach nur Personen, die ihr voraussetzungsloses 3monatiges Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG in Anspruch nehmen (so auch Sächsisches LSG, Urteil vom 18.4.2023 – L 4 AS 821/21 – juris Rn. 111).

Dies trifft auf den Antragsteller zu 4 nicht zu. Zwar hält er sich seit dem 28.8.2023 in Deutschland auf, ohne Arbeitnehmer, Selbständiger oder Auszubildender zu sein. Auch hatte er kein fortdauerndes Aufenthaltsrecht für Arbeitnehmer und Selbständige nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU. Jedoch nimmt er nicht sein voraussetzungsloses 3monatiges Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG, sondern ein Recht auf Familiennachzug zu seiner Mutter, der Antragstellerin zu 1 in Anspruch.

III. Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dem Antrag zu 1 betreffend die Kosten der Unterkunft und Heizung in den 2 Monaten vor der Stellung des Eilantrags kann nicht entgegengehalten werden, insoweit sei kein „Nachholbedarf“ (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl., § 86b Rn. 35a) glaubhaft gemacht worden. Zum einen stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System. Je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache, umso geringer sind die Anforderungen an den Anforderungsgrund und umgekehrt (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage, § 86 b Rn. 27). Da hier die von den Antragstellern geltend gemachten Ansprüche mit hinreichender Sicherheit auch im gerichtlichen Eilverfahren festgestellt werden können, spielt insoweit der Gedanke des Anordnungsgrundes keine entscheidende Rolle. Zudem können in Verfahren des Eilrechtsschutzes zu den Kosten der Unterkunft relevante Nachteile nicht nur in einer Wohnungs- beziehungsweise Obdachlosigkeit liegen. Vielmehr sind negative Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art zu berücksichtigen. Es darf nicht allein auf die Erhebung einer Räumungsklage abgestellt werden, da in diesem Fall eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechtsstellung der Betroffenen zumindest in Gestalt des Risikos, die Kosten des zivilgerichtlichen Rechtsstreits tragen zu müssen, bereits eingetreten ist (BVerfG, Beschluss vom 1.8.2017 ‑ 1 BvR 1910/12 – juris).

 

Vorliegend berechtigt der Mietrückstand die Vermieterin der Antragsteller zur fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses unabhängig davon, ob ab November 2023 die laufenden Mietforderungen beglichen werden. Die Zahlung wurde bereits angemahnt, wenn auch nicht mit einer Androhung der Kündigung verbunden. Wenn sich die Vermieterin auch bisher geduldig gezeigt hat, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie, eine börsennotierte Aktiengesellschaft, von einer Kündigung und gerichtlichen Durchsetzung ihrer Vermieterrechte im Fall der Antragsteller absehen wird, wenn nicht in allernächster Zeit die Rückstände ausgeglichen werden. Vor diesem Hintergrund kann ein Anordnungsgrund hinsichtlich der rückständigen Mietforderungen nicht verneint werden.

Allerdings haben die Antragsteller ihren Antrag insoweit auf einen Betrag von 1.151,12 € beschränkt. Der Senat ist gehindert, über diesen Antrag hinauszugehen und ihnen den vollen Mietrückstand zuzusprechen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

V. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
Saved