S 9 SF 749/22 E

Sozialgericht
SG Konstanz (BWB)
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SF 749/22 E
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
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Kategorie
 
Leitsätze

 

1. Der besondere Vertreter nach § 72 SGG hat einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse aus § 45 Abs. 3 RVG.

 

2. Erfolgt die Vertretung auch vor einem Gericht des Bundes, kann der besondere Vertreter hierfür keine Vergütung gegen die Bundeskasse geltend machen, wenn seine Beiordnung allein durch ein Gericht des Landes erfolgt ist.

Die Erinnerung wird zurückgewiesen. 

Gründe:

I.

Die Erinnerungsführerin wurde mit Beschluss des SG Konstanz vom 16.9.2019 dem Kläger im Verfahren S 9 VG 1103/18 als besondere Vertreterin beigeordnet. In der Sache wurde die Klage des Klägers mit Gerichtsbescheid vom 17.8.2020 abgewiesen. Die von der Erinnerungsführerin im Namen des Klägers eingelegte Berufung wurde mit Urteil vom 14.1.2021 (Az. L 9 VG 2874/20) zurückgewiesen. Sodann erhob die Erinnerungsführerin für den Kläger eine Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BSG (Az. B 9 V 8/21 B). Diese wurde mit Beschluss vom 22.9.2021 als unzulässig verworfen. Gleichzeitig wurde mit diesem Beschluss auch der vom Kläger selbst gestellte Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt.

 

Mit Schreiben vom 8.11.2021 beantragte die Erinnerungsführerin die Festsetzung ihrer Vergütung für das Verfahren vor dem BSG in Höhe von 1.035,30 Euro. Mit Schreiben vom 27.1.2022 wurden die Kosten wie beantragt durch die zuständige Kostenbeamtin festgesetzt. Der Erinnerungsgegner teilte daraufhin mit Schreiben vom 10.2.2022 mit, dass die im Wege des Beschlusses des SG Konstanz vom 16.9.2019 getroffene Regelung im Hinblick auf eine Kostenerstattung zu Lasten der Staatskasse für ihn nicht bindend sei, auch wenn die Vertreterbestellung fortwirke. Die Erinnerungsführerin hätte zunächst beim Erinnerungsgegner Prozesskostenhilfe beantragen müssen. Ein entsprechender Antrag sei jedoch von ihr nicht gestellt worden. Der Antrag des Klägers selbst sei aufgrund dessen Prozessunfähigkeit unwirksam und daher abzulehnen gewesen.

 

Auf die Anhörung zur beabsichtigten Aufhebung der PKH-Festsetzung äußerte sich die Erinnerungsführerin inhaltlich nicht. Mit Beschluss der Amtsinspektorin vom 6.4.2022 wurde die PKH-Festsetzung vom 27.1.2022 für das Verfahren vor dem BSG aufgehoben.

 

Mit Schreiben vom 25.4.2022 hat die Erinnerungsführerin Erinnerung gegen den Beschluss vom 6.4.2022 eingelegt. Der Prozesskostenhilfeantrag sei vom Kläger selbst trotz Prozessunfähigkeit wirksam gestellt und von ihr genehmigt worden. Daher habe eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfolgen können und müssen. Sie beantragt sinngemäß, den Beschluss vom 6.4.2022 aufzuheben.

Der Erinnerungsgegner hält den Beschluss vom 6.4.2022 für rechtmäßig und verweist auf seine Ausführungen im Schreiben vom 10.2.2022.

 

II.

Die am 25.4.2022 eingelegte Erinnerung gegen den Beschluss der Amtsinspektorin vom 6.4.2022, mit dem die Festsetzung der Vergütung der Erinnerungsführerin im Rahmen der Kostenerstattung als besondere Vertreterin für das Verfahren vor dem BSG mit dem Aktenzeichen B 9 V 8/21 (B 9 V 6/21 C - PKH) aufgehoben wurde, ist – nachdem ihr die Amtsinspektorin nicht abgeholfen hat – nach §§ 55, 56 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) zulässig, aber unbegründet. Der Beschluss der Amtsinspektorin vom 6.4.2022 ist rechtlich nicht zu beanstanden.

 

Die Erinnerungsführerin kann als besondere Vertreterin keinen Anspruch auf Vergütung gegen die Bundeskasse für das Verfahren B 9 V 8/21 B geltend machen. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus § 45 RVG (a) noch kommen andere Anspruchsgrundlagen für einen Vergütungsanspruch gegen die Bundeskasse in Betracht (b).

 

a) Gem. § 45 Abs. 1 RVG i.d.F. vom 1.12.2021 erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete oder nach § 57 oder § 58 der Zivilprozessordnung (ZPO) zum Prozesspfleger bestellte Rechtsanwalt, soweit im 8. Abschnitt des RVG nichts anderes bestimmt ist, die gesetzliche Vergütung in Verfahren vor Gerichten des Bundes aus der Bundeskassen, in Verfahren vor Gerichten eines Landes aus der Landeskasse.

 

§ 45 Abs. 1 RVG sieht entsprechend seinem Wortlaut keine Kostenerstattung zulasten der Staatskasse wegen der Bestellung als besondere Vertreterin gem. § 72 SGG vor (vgl. so auch BSG, Beschluss vom 8.9.1982 – 5b BJ 170/82, SozR 1500 § 72 Nr. 2; Schnitzer in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 2. Aufl., § 72 SGG, Stand: 28.11.2023, Rn. 27; B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG, 14. Aufl. 2023, SGG § 72 Rn. 6; Arndt in: Fichte/Jüttner, SGG, § 72 [Möglichkeit der Bestellung eines besonderen Vertreters], Rn. 21).

 

Für die Verfahren vor den Gerichten des Landes bestand jedoch ein solcher Vergütungsanspruch in der Sache zutreffend unter Berücksichtigung von § 45 Abs. 3 RVG. Gem. § 45 Abs. 3 Satz 1 RVG erhält der Rechtsanwalt, der sonst gerichtlich bestellt oder beigeordnet wurde, die Vergütung aus der Landeskasse, wenn ein Gericht des Landes ihn bestellt oder beigeordnet hat, im Übrigen aus der Bundeskasse. § 45 Abs. 3 RVG regelt damit im Unterschied zu Abs. 1 den Vergütungsanspruch und den Vergütungsschuldner des nicht im Wege der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe, sondern aus sonstigen Gründen beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalts (Kießling in: Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 8. Auflage 2021, RVG § 45 Rn. 44). Vorliegend wurde die Erinnerungsführerin durch die 9. Kammer des SG Konstanz mit Beschluss vom 16.9.2019 als besondere Vertreterin beigeordnet. In der Folge ergibt sich hieraus als „sonst beigeordnete“ Rechtsanwältin i.S.d. § 45 Abs. 3 RVG einen Vergütungsanspruch gegen die Landeskasse für die Verfahren der ersten und zweiten Instanz.

 

Gegen die Bundeskasse lässt sich aus § 45 Abs. 3 RVG ein entsprechender Vergütungsanspruch der Erinnerungsführerin jedoch nicht ableiten. Die Erinnerungsführerin wurde ausschließlich durch ein Gericht des Landes beigeordnet, eine Beiordnung durch ein Bundesgericht erfolgte nicht. Insofern kommt weder eine Vergütung „im Übrigen“ nach § 45 Abs. 3 Satz 1 RVG durch die Bundeskasse, noch nach § 45 Abs. 3 Satz 3 und 2 RVG in Betracht. Denn eine eigene Entscheidung durch das BSG über die Beiordnung der Erinnerungsführerin wurde nicht getroffen. Daran ändert auch die Fortwirkung des in diesem Falle unbeschränkten Beiordnungsbeschlusses als besondere Vertreterin für die nachfolgenden Instanzen nichts.

 

b) Die Auffangvorschrift des § 45 Abs. 3 RVG steht einer analogen Anwendung von §§ 114, 121 ZPO (so noch der Beschluss zu den Kosten im Beiordnungsbeschluss) bzw. von § 45 Abs. 1 RVG entgegen, da es zur Überzeugung des Gerichts an einer planwidrigen Regelungslücke für die Vergütung des besonderen Vertreters gem. § 72 SGG fehlt (vgl. für eine entsprechende Anwendung: Roller in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage, § 72 SGG, Stand: 15.6.2022, Rn. 51 m.w.N.; Straßfeld in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 1.11.2023, SGG § 72 Rn. 31 ff.; Roller, SGb 2022, 216). Zudem besteht für als besondere Vertreter beigeordnete Rechtsanwälte auch die Möglichkeit, Prozesskostenhilfe für die Aufwendungen zu beantragen, bei denen es sich um Kosten der Prozessführung handelt (vgl. zum Umfang der Beiordnungsbefugnis: Roller in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 72 SGG, Stand: 15.6.2022, Rn. 49). Es erscheint auch unter Berücksichtigung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz und dem Grundsatz des fairen Verfahrens angemessen, die Vergütung des Rechtsanwaltes für Verfahren in der dritten Instanz von einer (erneuten bestätigenden) Beiordnung durch das BSG oder aber hinreichende Erfolgsaussichten in der Hauptsache (für die PKH-Bewilligung) abhängig zu machen.

 

Ein Vergütungsanspruch nach § 73a SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO besteht für das Verfahren vor dem BSG in diesem Verfahren mangels Vorliegen der Voraussetzungen nicht. Denn die Erinnerungsführerin war in dem Verfahren vor dem BSG nicht im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet. Auch eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe war nicht erfolgt. Zwar hatte der Kläger selbst im Nichtzulassungsverfahren vor dem BSG einen Prozesskostenhilfeantrag gestellt, dieser wurde jedoch gleichzeitig mit dem Beschluss in der Hauptsache abgelehnt. Eine Genehmigung dieses gem. § 105 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtigen Antrages des Klägers durch die Erinnerungsführerin ist nach den Vorschriften des BGB nicht möglich, denn es fehlt von vornherein an einem Schwebezustand (Klumpp in: Staudinger, Werkstand Neubearbeitung 2021, BGB § 105, Rn. 5).

 

Unberührt von dieser Entscheidung bleibt der Gebührenanspruch der Erinnerungsführerin, die als besonderer Vertreterin bestellt wurde, gegen den Kläger gem. § 41 RVG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 2 RVG.

 

Nach alledem war die Erinnerung gegen den Kostenaufhebungsbeschluss zurückzuweisen.

 

Rechtskraft
Aus
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