S 2 R 8042/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Regensburg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 R 8042/16
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

I. Der Bescheid vom 21.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2016 wird aufgehoben und festgestellt, dass die Beigeladene in ihrer Tätigkeit für die Klägerin in der Zeit vom 13.10.2014 bis 14.06.2016 selbständig tätig war.


II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.


III. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

 

T a t b e s t a n d :


Zwischen den Beteiligten ist der sozialversicherungsrechtliche Status der Beigeladenen in ihrer Tätigkeit für die Klägerin in der Zeit vom 13.10.2014 bis 14.06.2016 streitig.

Die Klägerin ist eine Steuerberatungsgesellschaft. Sie übernimmt für ihre Mandanten, je nach Auftrag, die Finanzbuchhaltung, erstellt Jahresabschlüsse und ist steuerberatend tätig (u. a. Fertigung von Steuererklärungen). Als Steuerberater sind die beiden Partner Dipl.-Kfm. F. und Dipl.-Kfm. G. tätig. Der Steuerberater H., der ebenfalls Partner bei der Klägerin war, ist mittlerweile ausgeschieden. Ab dem Jahr 2012 wurde eine Steuerberaterin von der Klägerin fest angestellt. Mittlerweile befinden sich zwei Steuerberaterinnen in einem Anstellungsverhältnis zur Klägerin. Ferner beschäftigt die Klägerin Steuerfachgehilfinnen. Bei der Klägerin fallen ganzjährig - bei entsprechendem Auftrag der Mandanten - Finanzbuchungen an, die von den Angestellten der Klägerin vorgenommen werden und die dann dem jeweiligen Jahresabschluss zu Grunde liegen. Anders als bei Jahresabschlüssen sind die Daten der Finanzbuchhaltung für die Bearbeitung der Steuererklärungen nur teilweise von Bedeutung. Wesentlich für die Steuererklärungen sind die Datenmitteilungen des Steuerpflichtigen.

Die Klägerin hatte am 13.10.2014 mit Frau D. (Beigeladene) einen Vertrag geschlossen, der als "Freier-Mitarbeiter-Vertrag" überschrieben war und von der Klägerin auch als "Kooperationsvertrag" bezeichnet wird. Die Beigeladene war vom 13.10.2014 bis 14.06.2016 für die Klägerin tätig. Die Beigeladene war von der Steuerberaterkammer J-Stadt im Jahr 2014 zur Steuerberaterin bestellt worden und hatte daraufhin im März 2014 eine eigene Steuerberaterkanzlei eröffnet. Mit der Eröffnung der Praxis der Beigeladenen war der Beitritt der Beigeladenen als Mitglied der DATEV eG verbunden (vgl. Schreiben der DATEV vom 01.04.2014 mit der Mitteilung der Mitgliedsnummer).

 

Gegenstand des von der Klägerin mit der Beigeladenen am 13.10.2014 geschlossenen Vertrages waren freiberufliche steuerberatende Tätigkeiten für Mandanten der Klägerin. In § 1 Abs. 1 des Vertrages wird dabei ausdrücklich die Erstellung von Jahresabschlüssen und Steuererklärungen angeführt. Der freie Mitarbeiter soll dabei die ihm übertragenen Aufträge, nach den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Berufsausübung selbständig und eigenverantwortlich durchführen (vgl. § 1 Abs. 2 des Vertrages). Dem freien Mitarbeiter ist das Recht eingeräumt, die Aufträge des Auftraggebers ohne Angabe von Gründen abzulehnen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 3 des Vertrages). Als Honorar wurde ein Stundensatz von 40,00 Euro zzgl. USt. vereinbart. Für Schäden auf Grund vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verhaltens in Ausführung des Auftrages haftete nach § 7 Abs. 1 des Vertrages der freie Mitarbeiter.

Nach Angaben des Herrn Dipl.-Kfm. und Steuerberaters G. und der Beigeladenen wurde jeweils besprochen, welche Aufträge von der Beigeladenen übernommen wurden. Dabei wurde die besondere Sachkunde der Beigeladenen im Bereich der Heilberufe berücksichtigt. Bei der Bearbeitung der Aufträge, die sie in ihrer Tätigkeit für die Klägerin übernommen hatte, forderte die Beigeladene die notwendigen Daten über die Betriebsnummer der Klägerin an, da die Daten der Mandanten der Klägerin über diese Zugriffsberechtigung bei der DATEV gespeichert sind. Für ihre Tätigkeit verwendete die Beigeladene die Daten der Finanzbuchhaltung. Bestanden die Mandantschaftsverhältnisse bereits in der Vergangenheit mit der Klägerin, führte die Beigeladene auf deren Wunsch die Besprechungen auch in den Räumlichkeiten der Klägerin durch, ansonsten in ihrer Kanzlei.

Die Beigeladene hat im Gegensatz zu den festangestellten Steuerberaterinnen der Klägerin als Steuerberaterin gezeichnet. Als Basis zur Vereinbarung der Vergütung der Beigeladenen in Höhe von 40 Euro wurde eine Gehaltsumfrage des Landesverbands der steuerberatenden und wirtschaftsprüfenden Berufe herangezogen und als Vergleichsmaßstab für die Vergütung von fest angestellten Steuerberatern ein Stundenvergütung von 25 Euro zu Grunde gelegt. Die Beigeladene stellte für die jeweiligen Monate Rechnungen aus, in denen die jeweilige Stundenzahl ausgewiesen war und die sich daraus ergebende Vergütung sowie die darauf entfallende Umsatzsteuer.


Die Beigeladene stellte bei der Beklagten den Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status für die Zeit ab Beginn der Tätigkeit für die Klägerin, der am 13.04.2015 bei der Beklagten einging.

Auf eine Anfrage der Beklagten gab die Beigeladene u. a. an, dass keine Verpflichtung bestehe, die Aufnahme, Unterbrechung und Beendigung der Tätigkeit beim Auftraggeber oder dessen Kunden zu melden oder im Rahmen einer Selbstaufschreibung festzuhalten. Die Tätigkeit werde nach Stunden abgerechnet. Sie habe die Tätigkeiten selbst ausgeführt, da sie erst am September 2015 eigene Mitarbeiter habe. Die Arbeitszeit werde frei eingeteilt. Die Tätigkeit werde teilweise in den Räumen des Auftraggebers, teilweise in den Räumen des Auftragnehmers ausgeführt.

Auf die Anfrage der Beklagten machte die Klägerin u. a. folgende Angaben: Die Beigeladene führe die Tätigkeiten teilweise in der Kanzlei der Klägerin, teilweise in ihrer eigenen Kanzlei aus. Der Nachweis des Umfanges der Tätigkeit sei in Form der Zeiterfassung zu erfüllen. Die Software für die Tätigkeit werde von der Klägerin zur Verfügung gestellt Sämtliche Daten der Mandanten seien bei der DATEV gespeichert. Ohne diese Software könnte die Beigeladene ihre Tätigkeit nicht ausüben. Die von der Beigeladenen ausgeübte Tätigkeit werde auch von fest angestellten Steuerberaterinnen der Klägerin ausgeführt. Die Beigeladene teile sich ihre Zeit frei ein. Es gebe keine Dienstpläne und Dienstbesprechungen.

Die Beklagte hörte die Klägerin und die Beigeladene mit den Schreiben vom 04.08.2015 über ihre Absicht an, einen Bescheid über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung zu erlassen. Hierzu nahm wiederum die Klägerin Stellung (vgl. Schreiben vom 14.08. 2015).

Mit Bescheid vom 21.09.2015 stellte die Beklagte fest, dass die seit dem 13.10.2014 von der Beigeladenen für die Klägerin ausgeübte Tätigkeit in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis ausgeübt wird. Es wurde insoweit Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung festgestellt. Zudem wurde festgestellt, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung keine Versicherungspflicht bestand. Das Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses wurde damit begründet, dass nach der Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis überwiegen würden.


Im Bescheid vom 21.09.2015 ist angeführt, dass die Gesamtwürdigung auf der Abwägung folgender Merkmale beruhte:
* Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis:
o Die Beigeladene sei in die Betriebsorganisation der Klägerin eingegliedert und für den Auftraggeber als Erfüllungsgehilfin tätig.

o Die Beigeladene sei zwar vertraglich nicht verpflichtet, die Leistungen persönlich zu erbringen, die persönliche Leistungserbringung sei jedoch nach den Angaben der Beteiligten die Regel.
o Die Tätigkeit werde teilweise am Betriebssitz des Auftraggebers ausgeübt.
o Die Beigeladene übe die Tätigkeit im Namen des Auftraggebers aus und dieser hafte gegenüber den Endkunden (Mandanten).
o Die Beigeladene nehme an Besprechungen teil.
o Es seien Arbeitszeitnachweise zu erbringen.
o Die zur Aufgabenerfüllung notwendige Software werde vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt.
o Die Tätigkeit werde auch von fest angestellten Steuerberaterinnen ausgeübt.
o Die Beigeladene setze kein umfangreiches Kapital mit dem Risiko des Verlustes für die Ausübung dieser Tätigkeit ein.
o Es werde eine feste gewinnunabhängige Stundenvergütung gezahlt.
o Die Tätigkeit enthalte keine unternehmerischen Risiken und Chancen.
* Merkmale für eine selbständige Tätigkeit:
o Es bestünden keine festen Arbeitszeiten.
o Aufträge können abgelehnt werden.
o Die Ausführung der Tätigkeit werde nicht kontrolliert.
o Es bestehe keine Ausschließlichkeitsvereinbarung.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 06.10.2015 Widerspruch. Dieser wurde damit begründet, dass die Beklagte nicht alle Umstände, die für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status relevant sind, vollständig und zutreffend ermittelt habe. Schließlich wurde von der Klägerin eine sachverständige Stellungnahme des Klägerbevollmächtigten vorgelegt.

Der zuständige Sachbearbeiter der Beklagten schlug eine Abhilfe des Widerspruches vor. Dagegen wandte sich die Dezernatsleitung, was damit begründet wurde, dass kein Unternehmerrisiko ersichtlich sei und eine Zeichnung im Namen der Auftraggeberin erfolge (vgl. Vermerk vom 31.03.2016).

Mit Bescheid vom 26.05.2016 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. In den Gründen wird hervorgehoben, dass sich die im angefochtenen Bescheid vom 21.09.2015 getroffene Feststellung ausdrücklich auf das Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beigeladenen beschränkt. Der Umstand, dass der Beruf des Steuerberaters zu den freien Berufen zählt, schließt nach Auffassung der Widerspruchsstelle nicht aus, dass dieser als Angestelltenverhältnis im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt wird. Die Berufsordnung der Bundessteuerkammer stehe dem nicht entgegen. Das Arbeitsverhältnis sei zu bejahen, da Vereinbarungen getroffen und praktiziert seien, die zur Folge hätten, dass die Beigeladene ihre Tätigkeit nicht im Wesentlichen frei gestalten könne. In der Tätigkeit der Beigeladenen für die Klägerin wird kein wesentlicher Unterschied zur Tätigkeit von fest angestellten Steuerberatern gesehen. Die Beigeladene trage nur das für Arbeitnehmer typische Entgeltrisiko. Die in der Ausgangsentscheidung vorgenommene Gesamtabwägung wurde bestätigt.  


Hiergegen richtet sich die Klage vom 21.06.2016.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 28.07.2016 Frau D. nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Verfahren notwendig beigeladen.

Nach Auffassung der Klägerin ergibt die Gesamtabwägung der nach der obergerichtlichen Rechtsprechung maßgebenden Grundsätze, dass die Beigeladene in keinster Weise als abhängig Beschäftigte anzusehen sei. Die Beigeladene sei in ihrer freiberuflichen Tätigkeit für die Klägerin nicht weisungsgebunden. Gemäß § 8 Abs. 2 des Mitarbeitervertrages bestehe keinerlei Weisungsbefugnis gegenüber der Beigeladenen, insbesondere nicht hinsichtlich des Arbeitsortes, der Arbeitszeit und der Art der Durchführung des Auftrages. Es obliege alleine der Entscheidung der Beigeladenen, wo sie ihre Aufträge abarbeite. Eine Eingliederung der Beigeladenen in die Betriebsorganisation der Klägerin sieht die Klägerin bereits wegen der Art der geleisteten Tätigkeit als nicht gegeben an.

Unter Anknüpfung an Rechtsprechung des BayLSG und des BSG verweist die Klägerin darauf, dass von der Beigeladenen keine vorbereitenden Tätigkeiten vorgenommen wurden. Vielmehr habe die Tätigkeit der Beigeladenen als Berufsträgerin darin bestanden, die steuerrechtlichen und steuerberaterlichen Schritte vorzunehmen und mit der Mandantschaft abschließend zu erörtern. Der Umstand des Einsatzes von Mitarbeitern bei der Leistungserbringung sei bei Freiberuflern wie der Klägerin kein geeignetes Abgrenzungsmerkmal. Ob die Beigeladene von der ihr vertraglich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch mache, weitere Personen in die Leistungserbringung einzuschalten, sei ihre unternehmerische Entscheidung.
Die Klägerin verweist darauf, dass die Beigeladene immer wieder aufs Neue habe entscheiden können, ob sie einen Auftrag annehmt. Es bestehe keine wirtschaftliche Abhängigkeit der Beigeladenen von den Aufträgen der Klägerin. Dies ergebe sich bereits aus den in den vorgelegten Rechnungen der Beigeladenen für die Klägerin ausgewiesenen Stundenzahlen. Die Vergütung eines typischen Selbständigen sei gerade durch eine feste Zeitvergütung gekennzeichnet. Die prüfbare Abrechnung sei Grundlage der notwendigen Abrechnung, aber kein Arbeitszeitnachweis. Die Klägerin verweist auf einen Stundensatz von 42,00 Euro. Dieser beinhalte einen Kostenansatz von 2 Euro für die zeitweilige Nutzung der Räumlichkeiten der Klägerin. Daher sei gemeinsam ein Honorar von 40,00 Euro (zuzüglich Umsatzsteuer) ermittelt worden. Die Beigeladene nutze ihre Chancen, ihre Auslastung zu erhöhen. Die Klägerin legt das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 13.12.2016 (L 11 R 391/15) vor. Die Klägerin habe die Mandanten nicht einseitig der Beigeladenen zugewiesen. Die Beigeladene habe sich die Mandanten selbst ausgesucht. Soweit die Klägerin das Letztentscheidungsrecht bezüglich der Bearbeitung der Mandate gehabt habe, spreche dies nicht gegen die freie Mitarbeit, da die Klägerin die Vertragspartner der Mandanten sei und nicht die Beigeladene.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 21.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ein selbständige Tätigkeit der Beigeladenen in ihrer Tätigkeit für die Klägerin in der Zeit vom 13.10.2014 bis 14.06.2016 festzustellen und der Beklagten die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen und der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.  

Die Beklagte nimmt auf die Gründe des Widerspruchsbescheides Bezug. Das von der Klägerin vorgelegte Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 13.12.2016 sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, insbesondere wegen der dort vorliegenden reinen Umsatzbeteiligung. Im Termin zur mündlichen Verhandlung verweist die Beklagte insbesondere auf den Umstand, dass die Rechnungen monatsweise gestellt worden seien, ohne dass in den Rechnungen eine Aufschlüsselung nach den Mandanten erfolgt sei. Auch würden insbesondere die Regelungen in den §§ 9 und 10 für eine Eingliederung in die Betriebsorganisation der Klägerin sprechen.

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag der Klägerin an.

Zur weiteren Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten und auf den Inhalt der gerichtlichen Verfahrensakte Bezug genommen.

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :


Die form- und fristgerecht (§§ 90, 92, 87 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Regensburg (§§ 51 Abs. 1, 57 Abs. 1 Satz 1 SGG) erhobene Klage ist zulässig.

Die Klage hat auch Erfolg. Die Beigeladene war in ihrer Tätigkeit als Steuerberaterin für die Klägerin in der Zeit vom 13.10.2014 bis 14.06.2016 nicht abhängig beschäftigt und unterlag daher in dieser Tätigkeit auch nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI] und nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 25 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch [SGB III].  

Gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) ist Beschäftigung die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Eine Beschäftigung in diesem Sinne setzt voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist.


Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt (vgl. BSG, Urteil vom 24.01.2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 7). Vornehmlich bei Diensten höherer Art kann das Weisungsrecht des Arbeitgebers auch eingeschränkt und zur dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein, wenn der Versicherte nur in den Betrieb eingegliedert ist (vgl. BSG Urteil vom 18.12.2001, SozR 3-2400 Nr. 20, S. 78). Die selbständige Tätigkeit ist im Gegensatz hierzu vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit gekennzeichnet.


Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Daher sind alle Umstände des Falles zu berücksichtigen.

Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung (vgl. BSG SozR 2200 § 1227 Nr. 8; BSG SozR 4-2400 § 7 Nr. 5). Dabei bestimmt sich das Gesamtbild nach den tatsächlichen Verhältnissen.

Zu den tatsächlichen Verhältnissen zählen die rechtlich relevanten Umstände, die eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. In erster Linie wird die Gestaltung der tatsächlichen Gegebenheiten durch Vereinbarungen vorgenommen. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben letztere den Ausschlag (vgl. BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 18).

Der von der Beigeladenen mit der Klägerin geschlossene "Freie Mitarbeiter Vertrag" hatte die Hilfeleistung in Steuersachen zum Gegenstand. Die Beigeladene ist Steuerberaterin. Die Ausbildung und die Pflichtenstellung der Steuerberaterin / des Steuerberaters ist dadurch geprägt, dass diese(r) unabhängiges Organ der Steuerrechtspflege sind. Der Beklagten ist darin zuzustimmen, dass die Zugehörigkeit des Berufes der Steuerberaterin / des Steuerberaters zu den freien Berufen der Annahme einer abhängigen Beschäftigung allerdings nicht entgegensteht. Die Klägerin selbst hat derzeit auch zwei Steuerberaterinnen angestellt. Als Steuerberaterin ist die Klägerin zur unbeschränkten Hilfeleistung in Steuersachen ermächtigt (vgl. § 2 iVm § 3 Nr. 1 Steuerberatungsgesetz - StBerG). Damit verbunden ist das Recht zur Zeichnung (vgl. § 60 StBerG).


Da die Beigeladene für die Klägerin außerhalb ihrer eigenen Kanzlei tätig war, konnte sie in Erledigung der Aufträge der Klägerin ein Zeichnungsrecht nur ausüben, wenn es ihr von der Klägerin auch ausdrücklich eingeräumt war. In § 2 des v. g. Vertrages wurde der Beigeladenen von der Klägerin auch die Berechtigung eingeräumt, die gefertigten Arbeiten zu unterzeichnen. Herr G. von der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung auf Frage des Beklagtenvertreters mitgeteilt, dass die bei ihm festangestellten Steuerberaterinnen nicht zeichnen. Mit dem Zeichnungsrecht der Klägerin ist zwingend verbunden, dass Weisungen der Partner der Klägerin bezüglich der Erledigung der Einzelaufträge nicht möglich waren. Dies ist ein wesentlicher, aber bei weitem nicht der einzige Unterschied zwischen der Tätigkeit der festangestellten Steuerberaterinnen der Klägerin und der hier streitgegenständlichen Tätigkeit der Beigeladenen.

Während den festangestellten Steuerberaterinnen von den Partnern der Klägerin die zu erledigenden Aufgaben zugewiesen werden, konnte die Beigeladene auch Aufträge ablehnen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 des Freier Mitarbeiter Vertrages). Die Beigeladene hat im Termin zur mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass sie bei der Auftragsannahme darauf geachtet hat, dass sie als Berufsanfängerin über die notwendigen Erfahrungen verfügte. Sie hatte sich auf steuerliche Hilfeleistungen bei Heilberufen spezialisiert, was auch ihre Auftragsannahme bzw. die Ablehnung von Aufträgen bestimmt hat.

Die Beigeladene war nicht in erheblichem Umfang in die organisatorischen Strukturen der Klägerin eingegliedert. Für die Klägerin war dort kein Arbeitsplatz eingerichtet. Das Abhalten von Besprechungen in den Räumen der Klägerin war ein Entgegenkommen gegenüber Mandanten. Der Zugriff auf die unter der Betriebsnummer der Klägerin gespeicherten Daten war zwar für die Arbeit der Klägerin erforderlich, führte aber gerade nicht zu einem arbeitsteiligen Zusammenwirken etwa mit den Steuerfachgehilfinnen in der Kanzlei der Klägerin. Bereits vor dem Hintergrund des einzuhaltenden Datenschutzes ergibt sich, dass die Klägerin in diesen Fällen nicht auf ihren eigenen Zugang bei DATEV zurückgreifen konnte.

Zwar bearbeitete die Beigeladene Angelegenheiten von Mandanten der Klägerin. Aber nach Übernahme eines Auftrages der Klägerin gestaltete die Beigeladene das Verhältnis zur jeweiligen Mandantschaft frei. Ort und Gegenstand der Besprechungen mit den Mandanten bestimmte die Beigeladene einvernehmlich mit diesen.

Art und Umfang der anzufordernden Unterlagen von den Mandanten erfolgte durch die Beigeladene eigenverantwortlich, was etwa insbesondere im Bereich der Hilfeleistungen bei Steuererklärungen notwendig war. Die Dauer der Erledigung der Aufgabe ergab sich aus der Aufgabe selbst und der Mitarbeit der Mandanten. Die im Widerspruchsbescheid der Beklagten erwähnten projektbezogenen Zeitvorgaben konnte es somit von vorneherein nicht geben. In der praktischen Durchführung ergaben sich somit keine wesentlichen Unterschiede zu den eigenen Mandantschaftsverhältnissen der Klägerin in ihrer eigenen Kanzlei. In diesem Zusammenhang ist nochmals auf das Zeichnungsrecht der Beigeladenen zu verweisen, mit der die Eigenständigkeit in der Bearbeitung der übernommenen Aufgaben deutlich wird. Dieser Umstand ist auch wesentlich für das Auftreten nach außen gegenüber den Mandanten der Klägerin. Damit wird nämlich auch den Mandanten deutlich, wer die Beratungsleistung verantwortet. Der Umstand, dass das Mandantschaftsverhältnis weiterhin mit der Klägerin bestand, tritt vor diesem Hintergrund zurück.

Von einer Zeiterfassung, wie sie bei angestellten Mitarbeiter*innen üblich ist, konnte im Fall der Beigeladenen keine Rede sein. Allein der Umstand, dass die Beigeladene auf Grund der Vergütungsvereinbarung den Aufwand an Stunden für den jeweiligen Auftrag aufschreiben musste, rechtfertigt nicht die Annahme einer Zeiterfassung. Nach den überzeugenden Darlegungen sowohl des Herrn G. als auch der Beigeladenen wurde die Höhe der Vergütung von 40,00 Euro auf der Grundlage einer aktuellen Gehaltsumfrage des Landesverbandes der steuerberatenden und wirtschaftsprüfenden Berufe ermittelt (vgl. die Anlage zum Schreiben der Klägerin an die Beklagte vom 14.08.2015). Die Höhe der Vergütung liegt nach Auffassung von Klägerin und Beigeladener - auf die Stunde gerechnet und unter Abzug der Pauschale für die Nutzung der Räumlichkeiten der Klägerin - ca. 15 Euro über der Vergütung für die festangestellten Steuerberaterinnen.

Nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen ist maßgebendes Risiko für ein unternehmerisches Risiko, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist (vgl. BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 13 Rn. 13). Aus dem (allgemeinen) Risiko, außerhalb der Erledigung einzelner Aufträge zeitweise die eigene Arbeitskraft nicht mehr verwerten zu können, folgt kein Unternehmerrisiko der einzelnen Einsätze (vgl. BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 13 Rn 13).


Im vorliegenden Fall nutzte die Beigeladene für ihre Tätigkeiten auch die Räumlichkeiten in ihrer eigenen Kanzlei. Der Kapitaleinsatz, etwa auch in Gestalt von Fachliteratur, hielt sich naturgemäß in überschaubaren Grenzen und war wenig risikobehaftet. Von Klägerseite wird aber zutreffend hervorgehoben, dass die Tätigkeit von Freiberuflern geistig und schöpferisch geprägt ist. Die Werthaltigkeit der Tätigkeit für die Klägerin war wesentlich von den Fähigkeiten der Beigeladenen geprägt und führte zur Erteilung von Aufträgen durch die Klägerin. Dies mindert in der Gesamtabwägung das Gewicht des Kriteriums des unternehmerischen Risikos. Daher kommt auch entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entscheidend darauf an, dass im vorliegenden Fall keine Umsatzbeteiligung vereinbart war. Die Gesamtwürdigung der Kriterien zur Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status führt daher zu dem Ergebnis einer selbständigen Tätigkeit der Beigeladenen für die Klägerin in der Zeit vom 13.10.2014 bis 14.06.2016.   


Die Kostenfolge ergibt sich aus § 197a SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO. Die von der Beklagten zu tragenden Kosten des Verfahrens umfassen sowohl die Gerichtskosten als auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Da sich die Beigeladene dem Antrag der Klägerin angeschlossen hat, hat die Beklagte auch deren außergerichtliche Kosten zu tragen.

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Rechtskraft
Aus
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