L 16 KR 659/23 NZB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 726/22
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 659/23 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 26.04.2023 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

 

Gründe

 

I.

 

Die bei der Beklagten als Rentenantragstellerin gesetzlich versicherte Klägerin bezog u.a. im Jahr 2021 Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II vom Jobcenter D. einschließlich eines Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung als Darlehen. Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 22.01.2022 Beitragsrückstände der Klägerin für den Monat Dezember 2021 feststellte und die Klägerin zur Nachzahlung eines Gesamtbetrages von 210,43 € (einschließlich Säumniszuschlag und Mahngebühr) aufforderte, legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Am 19.05.2022 hat sie Untätigkeitsklage bei dem Sozialgericht Köln erhoben. Mit Bescheiden vom 09.06.2022, 15.06.2022 und 22.06.2022 hat die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin abgeholfen, weil das Jobcenter alle Beiträge für das Jahr 2021 gezahlt habe, so dass kein Beitragsrückstand bestehe. Auch hat sie die erhobene Untätigkeitsklage als gerechtfertigt angesehen und sich bereit erklärt, die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu tragen. Die Klägerin hat die Klage aufrechterhalten.

 

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.04.2023 abgewiesen. Die Untätigkeitsklage sei unzulässig, weil ihr das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Die Beklagte habe den mit Widerspruch der Klägerin angefochtenen Bescheid vom 22.01.2022 mit den Bescheiden vom 09.06.2022, 15.06.2022 und 22.06.2022 aufgehoben und sich bereiterklärt, die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu tragen. Damit sei die Klägerin nicht mehr beschwert. Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen.

 

Gegen diesen ihr am 28.04.2023 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich der am 26.05.2023 eingelegte „Widerspruch“ der Klägerin.

 

 

II.

 

Der Senat legt den „Widerspruch“ der Klägerin zwecks prozessual ordnungsgemäßer Verfolgung ihres Rechtsschutzziels und damit in ihrem wohlverstandenen Interesse (s. § 123 SGG) als Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 26.04.2023 aus. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß § 145 i.V.m. § 144 Abs. 1 SGG statthaft. Die von der Klägerin erhobene Untätigkeitsklage wird von der Berufungsbeschränkung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG erfasst, weil sie entweder auf die Vornahme eines beantragten Verwaltungsaktes (§ 88 Abs. 1 SGG) oder den Erlass eines Widerspruchsbescheids (§ 88 Abs. 2 SGG) gerichtet ist. Betreffen die zu erlassenden Verwaltungsakte Geld-, Dienst- oder Sachleistungen, die einen Wert von 750 Euro nicht übersteigen, unterliegt auch die Untätigkeitsklage der Berufungsbeschränkung (BSG, Urteil vom 10.10.2017 – B 12 KR 3/16 R – Rn. 13, juris m.w.N.). Da die Beklagte die Klägerin mit ursprünglichem Bescheid vom 22.01.2022 zur Nachzahlung rückständiger Beiträge zuzüglich Säumniszuschlag und Mahngebühr i.H.v. insgesamt 210,43 € aufforderte und bei einer Untätigkeitsklage auf den Wert des angefochtenen oder erstrebten Verwaltungsaktes abzustellen ist (BSG, Urteil vom 10.10.2017 – B 12 KR 3/16 R – Rn. 14, juris), übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstands nicht 750,00 € (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und betrifft auch keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Ferner ist die Beschwerde form- und fristgerecht eingelegt worden.

 

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3). Diese enumerativen Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

 

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Diese liegt vor, wenn das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Rechtsprechung und Fortentwicklung des Rechts berührt bzw. wenn zu erwarten ist, dass die Entscheidung dazu führen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten. Das kann der Fall sein, wenn die Klärung einer Zweifelsfrage mit Rücksicht auf eine Wiederholung ähnlicher Fälle erwünscht bzw. wenn von einer derzeitigen Unsicherheit eine nicht unbeträchtliche Personenzahl betroffen ist. Die Weiterentwicklung des Rechts wird dabei gefördert, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesvorschriften aufzustellen oder Lücken zu füllen oder wenn die Entscheidung Orientierungshilfe für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Sachverhalte geben kann (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 144 Rn. 28). Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein. Die Klärungsbedürftigkeit fehlt insbesondere dann, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist und/oder wenn sie sich ohne weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 15.08.2012 – B 6 KA 97/11 B –, Rn. 12 m.w.N., juris, zur gleichlautenden Bestimmung des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die vorliegende Rechtssache wirft keine klärungsbedürftigen, über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfragen auf. Die prozessuale Auswirkung eines Bescheiderlasses durch die Behörde auf eine zuvor erhobene Untätigkeitsklage ist durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt. Eine Untätigkeitsklage kann nach § 88 SGG zulässigerweise nur auf die Verurteilung der beklagten Behörde gerichtet sein, über einen Antrag oder einen Widerspruch zu entscheiden. Erlässt die Behörde nach Erhebung einer Untätigkeitsklage einen entsprechenden Bescheid, hat sich das Klagebegehren objektiv erledigt, es bedarf zur Beendigung des Rechtsstreites aber gemäß § 88 Abs. 1 Satz 3 SGG der Erledigungserklärung (oder Klagerücknahmeerklärung) durch den Kläger. Erfolgt eine solche Erklärung nicht, ist die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzuweisen (BSG, Urteil vom 08.12.1993 – 14a RKa 1/93 – Rn. 13, juris; BSG, Urteil vom 17.09.2020 – B 4 AS 13/20 R – Rn. 21, juris; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 88 Rn. 11 m.w.N). Im Übrigen hat die Beklagte dem Begehren der Klägerin in der Sache vollumfänglich entsprochen, indem sie dem Widerspruch abgeholfen und den Mahn- und Forderungsbescheid vom 22.01.2022 aufgehoben hat. Damit ist auch insoweit ein Bedürfnis für die weitere Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes entfallen.

 

Der angefochtene Gerichtsbescheid weicht auch von keiner Entscheidung eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte ab. Eine Divergenz i.S.d. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegt nur vor, wenn das Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Dies ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung des Sozialgerichts steht vielmehr im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

 

Schließlich ist ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG), weder geltend gemacht noch liegen hierfür Anhaltspunkte vor.

 

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Beschwerde (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO) aus den o.a. Gründen abzulehnen.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG

 

Mit der Ablehnung der Beschwerde wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).

 

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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