L 28 BA 42/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
28.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 182 BA 221/20
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 BA 42/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Insolvenzforderungen i. S. v. § 38 InsO können - anders als Masseverbindlichkeiten - wegen des aus § 87 InsO folgenden und rechtsgebietsübergreifend geltenden Grundprinzips, dass Insolvenzgläubiger aus dem begrenzten Schuldnervermögen gleichmäßig und gemeinschaftlich zu befriedigen sind, seitens der öffentlichen Hand nicht durch Verwaltungsakt festgesetzt werden. Dies gilt auch für Sozialversicherungsträger. Die zugunsten der Rentenversicherungsträger in 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV geregelte Ermächtigung, in Betriebsprüfungsverfahren Grundlagenbescheide zu erlassen, wird infolgedessen verdrängt. 

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juli 2021 wird zurückgewiesen.

 

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst zu tragen haben.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

 

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenüber dem klagenden Insolvenzverwalter bekanntgegebenen Betriebsprüfungsbescheid der Beklagten.

 

Über das Vermögen der P gesellschaft mbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) eröffnete das Amtsgericht Charlottenburg mit Beschluss vom 12. Dezember 2019 (36p IN 5794/19) das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter.

 

Anlässlich der Eröffnung des Insolvenzverfahrens führte die Beklagte am 2. Juni 2020 für die Zeit vom 1. Juni 2019 bis zum 11. Dezember 2019 eine Betriebsprüfung bei der Insolvenzschuldnerin durch. Nach Anhörung stellte sie mit Bescheid vom 4. Juni 2020 für die Monate Juli bis August sowie Dezember 2019 sich aus der Prüfung ergebende Insolvenzforderungen in Höhe von insgesamt 1.540,44 Euro fest. Der Bescheid nebst Anlagen stelle Beiträge als Insolvenzforderungen nach § 38 Insolvenzordnung (InsO) fest, die nach §§ 187 ff. InsO zu befriedigen seien. Sie würden von der zuständigen Einzugsstelle nach § 175 InsO zur Tabelle gemeldet. Eine Zahlungsaufforderung sei damit nicht verbunden. Es seien keine Beitragsnachweise an die Beigeladene zu 1. übermittelt worden. Bei der Beigeladenen zu 2. habe der gebuchte Beitragsnachweis korrigiert werden müssen, da er nicht in der richtigen Höhe eingereicht worden sei. Die Zusammenstellung der zu wenig gezahlten Beiträge ergebe sich aus der Anlage – „Berechnung der Beiträge“ – zum Bescheid. Die weitere Anlage – „Nachweis der Beiträge“ – gelte als Beitragsnachweis für die Sollstellung der jeweiligen Einzugsstelle.

 

Der Kläger erhob gegen den Bescheid – vertreten durch die bevollmächtigte Rechtsanwaltskanzlei, der er als Rechts- und Fachanwalt für Insolvenzrecht ebenfalls angehört – Widerspruch mit der Begründung, die Beklagte dürfe die geltend gemachten Forderungen nicht durch Verwaltungsakt festsetzen (Schreiben vom 2. Juli 2020). Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung könnten nur Masseverbindlichkeiten und nicht Insolvenzforderungen mittels Bescheids geltend gemacht werden. Auch der Erlass von Grundlagenbescheiden sei für Insolvenzforderungen unzulässig.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 3. September 2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Rentenversicherungsträger seien befugt, im Rahmen einer Prüfung nach § 28p Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) anlässlich eines eröffneten Insolvenzverfahrens Nachforderungsbescheide zu erlassen, wie aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Mai 2015 (– B 12 R 16/13 R –) folge. Im Vergleich zur Finanzverwaltung existiere im Sozialversicherungsrecht ein zweigeteiltes Verfahren. Die Rentenversicherungsträger seien zwar prüfende Institution, jedoch nicht Gläubiger des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. Dies seien die Einzugsstellen. Der Rentenversicherungsträger prüfe im Rahmen der Betriebsprüfung das „Beitrags-Soll“ und stelle dies mittels eines Bescheids ohne Zahlungsaufforderung fest. Die Feststellungen dienten den Einzugsstellen als bindende Grundlage für deren Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle. Das insolvenzrechtliche Feststellungsverfahren werde hierdurch nicht umgangen. Materiell-rechtlich sei der Bescheid vom Kläger nicht beanstandet worden.

 

Der Kläger hat am 29. September 2020 vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben mit der Begründung, die Beklagte sei nicht berechtigt, bei Insolvenzforderungen eine Festsetzungsentscheidung in einem Grundlagenbescheid zu treffen. Die jahrzehntelange Praxis der Beklagten, zu Insolvenzforderungen nur Prüfmitteilungen zu verschicken, nicht dagegen Bescheide, habe die Beklagte unzulässigerweise unter Bezugnahme auf das vorgenannte höchstrichterliche Urteil zu Masseverbindlichkeiten aufgegeben. Das insolvenzrechtliche Prüfverfahren werde damit jedoch umgangen.

 

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 6. Juli 2021 den Betriebsprüfungsbescheid und den Widerspruchsbescheid aufgehoben. Die Anfechtungsklage sei zulässig und begründet. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, durch Verwaltungsakt Ansprüche auf Gesamtsozialversicherungsbeiträge festzustellen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden seien und deshalb sogenannte Insolvenzforderungen darstellten. Die Kammer folge dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Mai 2020 – S 73 KR 30/20 –, das zwischen denselben Beteiligten ergangen sei und einen vergleichbaren Sachverhalt betreffe. Die Befugnis, durch Bescheid über Ansprüche auf Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen zu entscheiden, werde bei Insolvenzforderungen durch die Regelungen des Insolvenzrechts verdrängt. Insolvenzgläubiger dürften ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. In solchen Fällen könnten die Rentenversicherungsträger allein sogenannte Prüfmitteilungen erlassen, anhand derer die Einzugsstellen als Insolvenzgläubiger in der Lage seien, Ansprüche auf Gesamtsozialversicherungsbeiträge im Insolvenzverfahren anzumelden. Die beantragte Hinzuziehung der Bevollmächtigten für das Vorverfahren sei nicht für notwendig zu erklären gewesen, weil der Insolvenzverwalter selbst ausgewiesener Spezialist des Insolvenzrechts sei.

 

Zur Begründung ihrer Berufung vom 30. Juli 2021 gegen das Urteil hat die Beklagte vorgetragen, Insolvenzprüfungen würden die Zeiträume vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens betreffen. Stellten sich für diese Zeiträume aufgrund von Betriebsprüfungen Nachforderungen heraus, handle es sich regelmäßig, wie hier, um Insolvenzforderungen nach § 38 InsO. Bezogen auf Gesamtsozialversicherungsbeitragsforderungen seien indes nicht die prüfenden Rentenversicherungsträger Insolvenzgläubiger, sondern die Krankenkassen als Einzugsstellen. Das Bundessozialgericht habe in der Entscheidung vom 28. Mai 2015 – B 12 R 16/13 R – deutlich gemacht, dass sozialrechtlich ein zweigeteiltes Verfahren existiere mit der Folge, dass dem Feststellungsbescheid nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV nur der Charakter eines Grundlagenbescheides für die Erhebung der Beiträge zukomme, weil die Arbeitgeberprüfung eine über die bloße Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung nicht entfalte. Dies sei indes nicht nur, wie in der Entscheidung des Bundessozialgerichts, bei Masseforderungen der Fall, sondern auch bei Insolvenzforderungen. Der Gesetzgeber habe mit dem SGB IV eine klare Trennung der Aufgaben zwischen den Trägern der Rentenversicherung und den Einzugsstellen vorgesehen. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs könne daher auf das zweigeteilte Verfahren zwischen der Beklagten und den Einzugsstellen nicht angewandt werden. Dieser Umstand sei in der Entscheidung des Bundessozialgerichts zu Recht berücksichtigt worden. Der angefochtene Bescheid schaffe erst die Grundlage für das Beitragsverfahren bzw. die weiteren Schritte im Insolvenzverfahren. Für die Feststellung der Forderung nach Grund und Höhe sei nach dem entsprechenden gesetzlichen Auftrag sie, die Beklagte, zuständig. Es bleibe den Insolvenzverwaltern unbenommen, Forderungen aus Insolvenzbetriebsprüfungen (nach Anmeldung durch die Einzugsstelle) insolvenzrechtlich zu bestreiten und zugleich die Rechtmäßigkeit der Feststellungen der Rentenversicherungsträger aus der Betriebsprüfung durch die zuständige Fachgerichtsbarkeit überprüfen zu lassen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juli 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen und die Hinzuziehung seiner Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

 

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung in der Sache für zutreffend und vertritt ergänzend die Ansicht, sozialrechtliche und steuerrechtliche Verfahren seien insolvenzrechtlich gleich zu behandeln. Ginge man von der Befugnis zum Erlass des Bescheids aus, würden spezialgesetzliche Regelungen des Insolvenzrechts verletzt. Es erschließe sich nicht, welche Bindungswirkung ein „Grundlagenbescheid“ noch erlangen könne. Dementsprechend habe die Beklagte in dem Fall, dass Insolvenzschulden betroffen sind, jahrzehntelang nur Prüfmitteilungen an die Einzugsstellen versandt, die auch ausreichten, um diesen eine Forderungsanmeldung zu ermöglichen. Der Bundesfinanzhof halte im Steuerrecht selbst Grundlagenbescheide für derart gravierend falsch, dass er sie nicht nur für rechtswidrig, sondern für unwirksam erklärt habe. Im Zivil- und Verwaltungsrecht werde die Rechtslage höchstrichterlich entsprechend gewürdigt. § 87 InsO sei nach allgemeiner Auffassung lex specialis. Die Annahme dagegen, die jüngeren Urteile des Bundessozialgerichts zu Masseverbindlichkeiten seien auch für Insolvenzforderungen maßgeblich, finde im Gesetz keine Stütze, zumal § 87 InsO dort gar nicht Thema gewesen sei.

 

Soweit ein gewichtiger Unterschied zwischen dem Steuer- und dem Sozialrecht ausgemacht worden sei, sei dies jedenfalls in Bezug auf eine mögliche Insolvenzgläubigerstellung unzutreffend. Denn auch im Steuerrecht komme es in Betracht, dass für den Erlass von Grundlagenbescheiden das Finanzamt zuständig sei, für die darauf fußende Erhebung dagegen die Gemeinde. Ein qualitativer Unterschied zwischen den Grundlagenbescheiden der Beklagten und denjenigen eines Finanzamts sei nicht erkennbar.

 

Schließlich sei es, anders als vom Sozialgericht zu den Kosten entschieden, angemessen, die Hinzuziehung seiner Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, da schwierige Rechtsfragen gegenständlich seien.

 

Das Insolvenzverfahren sei, wie in der mündlichen Verhandlung dem Senat gegenüber bestätigt worden ist, noch nicht beendet. Derzeit könnten Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO mit keiner Quote rechnen.

 

Die Beigeladenen haben zum Verfahren weder inhaltlich Stellung genommen noch Anträge gestellt.  

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs der Beklagten.

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

Die Berufung der Beklagten, die insbesondere fristgerecht nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden ist, ist zulässig, aber unbegründet.

 

Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens sind das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juli 2021 sowie der Bescheid der Beklagten vom 4. Juni 2020 und der Widerspruchsbescheid vom 3. September 2020. Die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage ist gemäß § 54 Abs. 1 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Wie vom Sozialgericht zu Recht und mit zutreffenden Gründen entschieden worden ist, ist sie auch begründet.

 

Bei dem gegenständlichen Betriebsprüfungsbescheid vom 4. Juni 2020 handelt es sich um einen Verwaltungsakt i. S. d. § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Der Kläger ist als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin klagebefugt (vgl. § 54 Abs. Abs. 1 Satz 2 SGG, § 56 Abs. 1 InsO). Die Verfügungsbefugnis eines Insolvenzverwalters (vgl. § 80 Abs. 1 InsO) umfasst auch die Wahrnehmung der Interessen der Insolvenzmasse (vgl. BFH, Urteil vom 10. Dezember 2008 – I R 41/07 – juris Rn. 6).

 

Die Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Ob der Prüfbescheid darüber hinaus nichtig ist, weil er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet (vgl. § 40 SGB X), kann für die Begründetheit der Anfechtungsklage dahinstehen.

 

Der Bescheid verstößt gegen die spezialgesetzlichen Regelungen des Insolvenzrechts (in der seit dem 1. Januar 1999 geltenden Fassung des Gesetzes vom 5. Oktober 1994 [BGBl. I S. 2866]). Die gleichmäßige und gemeinschaftliche Befriedigung aller Insolvenzgläubiger aus dem begrenzten Schuldnervermögen (§ 1 InsO) gehört zum Kern des Insolvenzrechts (BGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – III ZB 88/07 – juris Rn. 22 f. m. w. N.). Das hieraus folgende Grundprinzip gilt rechtsgebietsübergreifend auch für das Sozialrecht. Die vorliegend als Rechtsgrundlage für den Prüfbescheid, der in sozialrechtlicher Hinsicht weder formell noch materiell-rechtlich zu beanstanden ist (nachfolgend zu 1.), allein in Betracht kommende Vorschrift des § 28p Abs. 1 Satz 5 i. V. m. Satz 1 SGB IV (Bekanntmachung vom 12. November 2009 [BGBl. I S. 2710] in der Fassung vom 20. November 2019 [BGBl. I S. 1626]) wird durch die vorrangigen Verfahrensregeln der Insolvenzordnung (InsO) verdrängt bzw. auf der Grundlage des Rechtsstaatsprinzips dahingehend reduziert, dass in Fällen der vorstehenden Art allein die Erstellung einer Prüfmitteilung an die Einzugsstellen zulässiges Instrumentarium der Beklagten ist (nachfolgend zu 2.). Ob die  Feststellung von Insolvenzforderungen durch Bescheid – hier in Höhe von insgesamt 1.560,44 Euro – darüber hinaus gegen den sogenannten ordre public im Sinne grundlegender inländischer Wertvorstellungen verstößt, kann mangels Auslandsbezugs offen bleiben. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu Masseverbindlichkeiten ist auf Insolvenzforderungen, wie hier, nicht übertragbar (nachfolgend 3.). Das Urteil des Sozialgerichts ist auch zur Kostenentscheidung nicht zu beanstanden (nachfolgend 4.).

 

1. Gemäß § 28p Abs. 1 Satz 1 und 5 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (Satz 1). Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Abs. 2 sowie § 93 SGB IV i. V. m. § 89 Abs. 5 SGB X nicht (Satz 5).

 

Eine sogenannte „Ad-hoc“-Betriebsprüfung (Arbeitgeberprüfung nach § 28p Abs. 1 Satz 3 SGB IV; vgl. BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 – B 12 R 16/13 R – juris Rn. 3) findet nach Satz 3 der Vorschrift statt, wenn die Einzugsstelle den Rentenversicherungsträger unterrichtet, weil sie eine alsbaldige Prüfung bei dem Arbeitgeber, wie etwa im Falle der Insolvenz und so auch hier, für erforderlich hält.

 

Die vorstehenden Voraussetzungen liegen hier sämtlich vor. Die Beklagte war für die durchgeführte Arbeitgeber-(Ad-hoc-)Betriebsprüfung bei der Insolvenzschuldnerin sachlich und funktionell zuständig (nachfolgend a). Der Bescheid der Beklagten ist auch sozialverfahrensrechtlich rechtmäßig dem Kläger gegenüber ergangen (nachfolgend b). Schließlich ist der Bescheid in materiell-sozialrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden (nachfolgend c).

 

a) Die Beklagte ist als Rentenversicherungsträger gemäß § 28p Abs. 1 Satz 1 und 5 SGB IV grundsätzlich sachlich und funktionell ermächtigt, im Rahmen der Betriebsprüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und ausdrücklich auch zur Beitragshöhe – einschließlich der Widerspruchsbescheide – den Arbeitgebern gegenüber zu erlassen. Die hierfür (sonst) gegebene Zuständigkeit der Einzugsstellen nach § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV tritt insoweit zurück (§ 28p Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 SGB IV).

 

Wegen der gesetzeshistorischen Gründe für die zum 1. Januar 1999 eingeführte Zweiteilung des Verfahrens zur Erhebung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen (vgl. § 76 Abs. 1 SGB IV) wird auf die Materialien Bezug genommen (BT-Drs. 13/1205 S. 6 zu Art. 1 Nr. 3 [28p]). Auf die Rentenversicherungsträger „ausgelagert“ ist seither die turnusmäßige (Außen-)Prüfung, also die Prüfung „vor Ort“ in den Unternehmen, wie es sich im Einzelnen aus der Beitragsverfahrensordnung vom 3. Mai 2006 (BGBl. I S. 1138) ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 – B 12 R 16/13 R – juris Rn. 22).

 

Nach dem Willen des Gesetzgebers endet die Prüfbefugnis der Rentenversicherungsträger nicht mit der Schließung des Unternehmens (vgl. Gesetzentwurf BT-Drs. 13/1205, S. 6). § 28p Abs. 1 Satz 3 SGB IV verpflichtet die Einzugsstellen entsprechend, den für den Arbeitgeber zuständigen Rentenversicherungsträger zu unterrichten, wenn Tatsachen bekannt werden, die eine alsbaldige Prüfung beim Arbeitgeber erforderlich erscheinen lassen. Dies ist bei einer Insolvenz des Unternehmens regelmäßig der Fall und kann zur Veranlassung der vorliegend durchgeführten Ad-hoc-Betriebsprüfung führen (vgl. BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 – B 12 R 16/13 R – juris Rn. 17).

 

Grundsätzlich ist die Beklagte – wie sie dem Senat gegenüber eingewandt hat – nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV nicht (mehr) berechtigt, nur eine pauschal gehaltene Prüfmitteilung dahingehend zu erlassen, dass die durchgeführte Betriebsprüfung „ohne Beanstandungen geblieben“ sei. Explizit zum Schutz der Arbeitgeber ist sie seit dem 1. Januar 2017 vielmehr gehalten, auch bei beanstandungslos verlaufenen Prüfungen einen entsprechenden Prüfbescheid zu erlassen, der den maßgeblichen formellen und materiellen Anforderungen genügt (vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2019 – B 12 R 25/18 R – juris Rn. 34 m. w. N.).

 

Macht ein Rentenversicherungsträger von der ihm durch § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV eingeräumten Befugnis zur Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen mittels Prüfbescheids Gebrauch, so kommt diesem (gleichwohl) nur der Charakter eines Grundlagenbescheids für die Erhebung der Beiträge zu, weil Betriebsprüfungen ihrerseits eine über die bloße Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung nicht entfalten (BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 – B 12 R 16/13 R – juris Rn. 23). Die Betriebsprüfung hat insbesondere den Zweck, den Einzugsstellen durch Sicherstellung von Arbeitgeberunterlagen und -aufzeichnungen eine – bindende – Berechnungsgrundlage zu verschaffen, damit diese die notwendigen Schritte zur Geltendmachung von Ansprüchen auf (rückständige) Beiträge  unternehmen können <vgl. § 28h Abs. 1 Satz 3 SGB IV>.

 

Im Insolvenzverfahren – etwa im Falle der Weiterführung des Betriebes nach der Insolvenzeröffnung und insofern möglichen Masseverbindlichkeiten – hat der Nachforderungsbescheid des Rentenversicherungsträgers nach der auch vom Senat geteilten höchstrichterlichen Rechtsprechung vor allem die Funktion, den Einzugsstellen die Glaubhaftmachung ihrer Beitragsforderungen zu ermöglichen, wenn Beitragsnachweise und bzw. oder Meldungen des Arbeitgebers fehlen bzw. solche unvollständig oder unzutreffend sind (vgl. § 28f Abs. 3 Satz 3 SGB IV). In diesem Sinne regelt der Prüfbescheid des Rentenversicherungsträgers für die Einzugsstellen verbindlich die maximale Höhe der (rückständigen) Gesamtsozialversicherungsbeiträge als Ausgangsbasis für den Beitragseinzug (BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 – B 12 R 16/13 R – juris Rn. 23). Denn der Beitragseinzug fällt nach der dem SGB IV immanenten Trennung zwischen Überprüfung des Arbeitgebers einerseits und seiner Überwachung sowie der Geltendmachung von Beitragsansprüchen andererseits in den Zuständigkeitsbereich der Einzugsstellen als Gläubiger der Beitragsforderungen. Wie vom Bundessozialgericht zu Recht ausgeführt worden ist, schafft der (Leistungs- bzw. Zahlungs-)Bescheid des Rentenversicherungsträgers die Grundlage für die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Beitragsschuldverhältnis. Er vermittelt – in Bezug auf Masseverbindlichkeiten – den Nachweis einer Rechtsstellung, ohne gleichzeitig bereits die Funktion eines Vollstreckungstitels im engeren Sinne zu haben, die Verwaltungsakten mit einem Leistungs- und Zahlungsgebot üblicherweise zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 – B 12 R 16/13 R – juris Rn. 23). Eine aus dem Grundlagenbescheid folgende Bindungswirkung widerspricht indes bei Insolvenzschulden, wie hier, § 87 InsO i. V. m. §§ 174 ff. InsO und führt zur Rechtswidrigkeit des dem Insolvenzverwalter gegenüber bekanntgegebenen Prüfbescheids (nachfolgend 2.).

 

b) Der angefochtene Betriebsprüfungsbescheid ist formell rechtmäßig nach Anhörung gemäß § 24 Abs. 1 SGB X dem Kläger gegenüber als bestelltem Insolvenzverwalter bekanntgegeben worden (vgl. § 37 Abs. 1 SGB X). Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Dieser rückt hierdurch in die Arbeitgeberstellung ein (vgl. § 28e SGB IV) und nimmt sämtliche hiermit verbundenen Rechte und Pflichten wahr (vgl. BSG, Urteil vom 15. September 2016 – B 12 R 2/15 R – juris Rn. 22).

 

c) Fehler des angefochtenen Prüfbescheides liegen in materiell-rechtlicher Hinsicht wegen der Art und des Umfangs der erhobenen Nachforderung nicht vor. Solche sind auch vom Kläger selbst nicht geltend gemacht worden.


2. Die aus § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV zugunsten der Beklagten folgende Ermächtigung (und regelmäßige Verpflichtung) zum Erlass von Verwaltungsakten – den Betriebsprüfungsbescheiden – wird nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens für Forderungen aus davor liegenden Zeiten, die Insolvenzforderungen i. S. v. § 38 InsO darstellen, durch vorrangiges Bundesrecht verdrängt mit der Folge, dass der Beklagten ab diesem Zeitpunkt wegen des Ergebnisses der Betriebsprüfung allein die Versendung von Prüfmitteilungen an die Einzugsstellen gestattet ist. Die Bekanntgabe eines feststellenden Verwaltungsakts gegenüber dem Kläger kollidiert dagegen mit vorrangigen Regelungen des Insolvenzrechts.

 

Bei den von der Beklagten festgestellten rückständigen Gesamtsozialversicherungsbeiträgen handelt es sich um Insolvenzforderungen i. S. d. § 38 InsO und nicht um Masseverbindlichkeiten (vormals Masseschulden; nachfolgend a). § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV ist in Bezug auf Nachforderungen zur Gesamtsozialversicherung, die Insolvenzforderungen darstellen, in Ermangelung einer ausdrücklichen Kollisionsregelung unter Beachtung des Rechtsstaatsprinzips nach Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrensrechts dahingehend einschränkend auszulegen, dass die spezielleren Vorschriften des § 87 i. V. m. §§ 174 ff. InsO die Regelungsbefugnis der Beklagten dem Insolvenzverwalter gegenüber verdrängen (nachfolgend b).

 

a) Bei den durch den vorliegend angefochtenen Prüfbescheid festgestellten rückständigen Gesamtsozialversicherungsbeiträgen handelt es sich nicht um Masseverbindlichkeiten, sondern um Insolvenzforderungen i. S. d. § 38 InsO. Folge ist, dass die bundessozialgerichtliche Rechtsprechung u. a. mit Urteil vom 28. Mai 2015 (– B 12 R 16/13 R – juris Rn. 23) auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar ist, wie es die Beklagte indes für sich in Anspruch nimmt.

 

§ 38 InsO regelt, welche Gläubiger an der gemeinschaftlichen Befriedigung teilnehmen dürfen. Nach dieser Vorschrift dient die Insolvenzmasse zur Befriedigung der persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner – eine Insolvenzforderung – haben (Insolvenzgläubiger). Masseverbindlichkeiten sind dagegen vorweg zu berichtigen und fallen deshalb weder unter § 38 InsO noch unter die für Insolvenzforderungen geltenden Verfahrensbestimmungen (vgl. Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Ehricke/Behme, 4. Aufl., § 38 Rn. 21).

 

Für die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen ist maßgeblich, ob die Grundlagen des Rechtsverhältnisses, aus dem der Anspruch resultiert, aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung datieren (vgl. Holzer in Prütting/Bork/Jacoby, Kommentar zur Insolvenzordnung, 98. Lieferung 12/2023, § 38 InsO Rn. 8). So liegt es hier, wie mit dem angefochtenen Bescheid von der Beklagten insofern zutreffend und ausdrücklich festgestellt worden ist.

 

Die mit dem gegenständlichen Prüfbescheid dem Grunde nach festgestellten rückständigen Gesamtsozialversicherungsbeiträge beziehen sich ausschließlich auf Zeiten vor der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin am 12. Dezember 2019. Auf diese Beitragsforderungen bezogen kommen als Insolvenzgläubiger im Sinne von § 38 InsO allein die beigeladenen Einzugsstellen in Betracht, nicht dagegen die Beklagte. Denn, was vorliegend unstreitig ist, können allein die Beigeladenen wegen der dem Beitragserhebungsverfahren des SGB IV immanenten Trennung zwischen der Überprüfung des Arbeitgebers einerseits und dessen Überwachung sowie der Geldmachung von Beitragsansprüchen andererseits, die Nachzahlung fordern, nicht dagegen die Beklagte, die selbst nicht kontoführende Einzugsstelle ist.

 

b) Zwar schränken weder das SGB IV noch Vorschriften des Insolvenzrechts die Regelungsbefugnis der Beklagten für Fälle der vorliegenden Art ausdrücklich ein. Auch handelt es sich bei § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV um das jüngere Bundesgesetz, welches grundsätzlich nicht durch ältere Vorschriften, wie dem Insolvenzrecht, verdrängt wird. Die für die bundesdeutsche Rechtsordnung aber nach einhelliger Auffassung rechtsgebietsübergreifend geltenden Regelungen über das Insolvenzverfahren in § 87 InsO i. V. m. §§ 174 ff. InsO sind auf der Grundlage des Rechtsstaatsprinzips nach ihrem Sinn und Zweck die spezielleren Regelungen, die die Ermächtigung der Beklagten zum Erlass von (Grundlagen-)Bescheiden in Bezug auf Insolvenzforderungen verdrängen (vgl. zur verdrängender Wirkung speziellerer Regelungen – dort Wahlrechtsreform 2020 – BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2021 – 2 BvF 1/21 – juris Rn. 76). Denn § 87 InsO verbietet generell den Erlass von Bescheiden über öffentlich-rechtliche Forderungen, die Insolvenzforderungen sind, oder deren Vollstreckung. Der rechtsgebietsübergreifend geltende Grundgedanke des Insolvenzrechts, dass sich kein Gläubiger gegenüber anderen Insolvenzgläubigern Vorteile sichern darf, gilt ausnahmslos auch für öffentlich-rechtliche Träger.

 

(vgl. BFH, Urteil vom 18. Dezember 2002 – I R 33/01 – juris Rn. 6 ff.; BVerwG, Urteil vom 12. Juni 2003 – 3 C 21.02 – juris Rn. 15 ff. zu § Konkursforderungen in Abgrenzung zu Masseschulden; BSG, Urteil vom 17. Mai 2001 – B 12 KR 32/00 R – juris Rn. 14 zu Konkursforderungen in Abgrenzung zu Masseschulden; BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 11 AL 37/03 – juris Rn. 17; Hessisches LSG; Urteil vom 4. April 2022 – L 5 R 101/19 – juris Rn. 49; Breitenbücher in Graf-Schlicker, InsO, 1. Lieferung 2022, 6. Auflage, § 87 Rn. 10 m. w. N.; Sternal in Karsten Schmidt, Insolvenzordnung, 20. Auflage 2023, § 87 Rn. 11; Cymutter in BeckOK Insolvenzrecht, Fridgen/Geiwitz/Göpfert, Stand 2023, § 87 Rn. 15; Uhlenbruck/Mock, 15. Auflage 2019, InsO § 87 Rn. 30 m. w .N.; Kayser in Kayser/Thole, Insolvenzordnung [Heidelberger Kommentar] 11. Auflage 2023, Rn. 7 f.).

 

§ 87 InsO steht damit der Feststellung öffentlich-rechtlicher und damit auch sozialrechtlicher Insolvenzforderungen durch Bescheid entgegen. Der Gesetzgeber hat in Bezug auf Insolvenzschulden eine Privilegierung der öffentlichen Hand nicht vorgesehen. Das die übrigen Rechtsgebiete überlagernde Insolvenzrecht (vgl. BFH, Beschluss vom 13. November 2002 – I B 147/02 – juris Rn. 14) hat auch für das Sozialrecht zur Folge, dass in Bezug auf Insolvenzforderungen keine Verwaltungsakte mehr ergehen dürfen. Ein auf der Grundlage von § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV erlassener Prüfbescheid kollidiert mit diesem Vorrang, und zwar auch unter der Prämisse, dass es sich (lediglich) um einen Grundlagenbescheid handelt. Dies führt zur Rechtswidrigkeit des Bescheides. Ob ein entgegen § 87 InsO erlassener Bescheid gemäß § 40 Abs. 1 SGB X sogar nichtig ist, kann für die hier gegenständliche Anfechtungsklage dahinstehen (so BFH, Urteil vom 18. Dezember 2002 – I R 33/01 – juris Rn.  6 ff. zum Festsetzungs- und Feststellungsverfahren nach der AO 1977; BVerwG, Urteil vom 12. Juni 2003 – 3 C 21.02 – zu § 12 KO; Breitenbücher in Graf-Schlicker, InsO, 6. Auflage 2022, § 87 Rn. 10 m. w. N.).

 

Vorstehendes führt nicht zu unbilligen Ergebnissen zulasten der Einzugsstellen. Vielmehr ist die hiervon abweichende Rechtsauffassung der Beklagten nach Auffassung des Senats nicht systemgerecht und mit dem vorrangigen Insolvenzverfahrensrecht nicht zu vereinbaren (vgl. aber a. A. LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 27. Oktober 2023 – L 1 BA 35/21 – und vom 12. Oktober 2023 – L 14 BA 47/21 – sowie Sächsisches Landessozialgericht, Zwischenurteil vom 15. Juni 2023 – L 9 BA 15/20 – jeweils juris mit Hinweis auf die anhängigen Revisionen).

 

aa) Gemäß § 87 InsO können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. § 89 Abs. 1 InsO regelt ergänzend, dass Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig sind. Dass die Beklagte vorliegend nicht als Insolvenzgläubigerin in Betracht kommt, weil sie nicht ihrerseits zugleich Einzugsstelle ist, führt ebenso wenig zu einer abweichenden Beurteilung wie der Umstand, dass es sich bei dem Prüfbescheid nur um einen sogenannten Grundlagenbescheid handelt. Denn auch dessen Bestands- bzw. Rechtskraft würde dem streng formalisierten insolvenzrechtlichen Verfahren zuwider laufen und geeignet sein, Rechte von (Dritt-) Insolvenzgläubigern zu beschneiden.

 

bb) Die Generalklausel des § 87 InsO wird durch andere gesetzliche Bestimmungen konkretisiert und ergänzt. Hierzu gehören neben § 240 ZPO (Unterbrechung durch Insolvenzverfahren) insbesondere auch §§ 174 ff. InsO (Feststellung von Forderungen) und §§ 187 ff. InsO (Verteilung; vgl. Kayser in Kayser/Thole, Insolvenzordnung, Heidelberger Kommentar, 11. Auflage 2023, § 87 Rn. 2).

 

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnt das Verfahren zur Feststellung der Forderungen (§§ 174 ff. InsO). Gläubiger haben ihre Forderung schriftlich beim Insolvenzverwalter anzumelden (§ 174 Abs. 1 Satz 1 InsO), der diese in eine Tabelle einträgt (§ 175 Abs. 1 InsO). Wird gegen eine Forderung kein Widerspruch erhoben oder ein solcher beseitigt, gilt die Forderung als festgestellt (§ 178 Abs. 1 Satz 1
InsO). Die Eintragung in die Tabelle wirkt dann wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern (§ 178 Abs. 3 InsO). Für öffentlich-rechtliche, also sowohl steuer- und abgabenrechtliche als auch sozialrechtliche und insbesondere auch Gesamtsozialversicherungsbeiträge oder Gebühren betreffende (Insolvenz-)Forderungen gilt nichts Abweichendes. Die Einzugsstellen sind vielmehr als Gläubiger des Anspruchs auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (vgl. § 28h Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB IV und § 28 Abs. 3 Satz 3 SGB IV) gleichermaßen wie andere Insolvenzgläubiger („Drittgläubiger“) darauf verwiesen, ihre Insolvenzforderungen beim Insolvenzverwalter gemäß § 174 Abs. 1 Satz 1 InsO anzumelden und feststellen zu lassen. Hierfür die „Grundlage“ mittels eines feststellenden und der Bestandskraft fähigen Bescheides zu schaffen, ist aus Sicht des Senats in Bezug auf Insolvenzforderungen nicht zulässig.

 

An der abschließenden Verteilung der Insolvenzforderungen, die hier nicht gegenständlich ist, können sodann nur solche Forderungen teilnehmen, die nicht nur angemeldet, sondern auch im Termin geprüft wurden (§ 176 Satz 1 und § 187 Abs. 1 InsO). Eine auf der Grundlage eines zumindest den Insolvenzverwalter und die Einzugsstellen bindenden Prüfbescheides angemeldete Forderung würde dagegen das in §§ 179 ff. InsO geregelte Verfahren zur Feststellung zumindest mittelbar unterlaufen und Drittgläubiger – anders als es dem Willen des Gesetzgebers entspricht – systemfremd benachteiligen (a. A. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Oktober 2023 – L 14 BA 47/21 – juris Rn. 50-54, wonach der Betriebsprüfungsbescheid „nur in zulässigem Umfang Bindungswirkung für das Insolvenzverfahren“ entfalte, und zwar u. a. dem Insolvenzverwalter gegenüber; daneben aber auch Tatbestandswirkung bei der Einzugsstelle entfällt; Urteil vom 27. Oktober 2023 – L 1 BA 35/21 – juris Rn. 40, wonach eine Bindungswirkung des Prüfbescheides ausschließlich im Innenverhältnis zwischen Insolvenzverwalter und Einzugsstelle eintreten soll).

 

Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde: Gemäß § 179 Abs. 1 InsO trifft den Insolvenzgläubiger der bestrittenen Forderung – gegebenenfalls die Einzugsstelle – die Betreibungslast. Dies würde im Fall einer Bindungswirkung des Prüfbescheids zulasten anderer Insolvenzgläubiger unterlaufen. Eine Widerspruchsobliegenheit etwa des Insolvenzverwalters oder von Drittgläubigern sieht § 179 Abs. 2 InsO dagegen nur für – zuvor – bereits titulierte Forderungen vor.

 

cc) Rechtssystematisch steht hiermit in Einklang, dass laufende, die Insolvenzmasse betreffende Rechtsstreite analog § 240 ZPO unterbrochen werden. Die hieraus folgende Systematik zu umgehen, indem die Beklagte auch in Bezug auf Insolvenzforderungen zum Erlass (gegebenenfalls die Adressaten bindender) Bescheide berechtigt ist, würde eine systemfremde Besserstellung der öffentlichen Hand bewirken.

 

Die Insolvenzmasse umfasst das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (§ 35 InsO). Ein anhängiges Verfahren betrifft die Insolvenzmasse, wenn es zu ihr in rechtlicher oder wenigstens wirtschaftlicher Beziehung steht, wobei ein mittelbarer Bezug zur Insolvenzmasse ausreicht. Von § 240 ZPO werden nach Sinn und Zweck der Vorschrift auch Rechtsstreitigkeiten erfasst, die der Vorbereitung eines aktiv oder passiv die Insolvenzmasse betreffenden Hauptanspruchs dienen. Für verwaltungsrechtliche Streitigkeiten bedeutet dies, dass § 240 ZPO auch für Streitgegenstände gilt, die zumindest mittelbare Wirkung auf die Insolvenzmasse haben. Denn allein schon die präjudizielle Wirkung eines Bescheides kann mittelbar die Insolvenzmasse betreffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juni 2018 – 6 B 1.18 – juris Rn. 12 ff. m .w. N.).

 

Eine Klage, mit der eine Insolvenzforderung außerhalb des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner oder den Insolvenzverwalter geltend gemacht wird, ist dagegen mit Rücksicht auf § 87 InsO unzulässig (BGH, Urteil vom 21. Februar 2013 – IX ZR 92/12 – juris Rn. 28). Für die Behörden und Sozialleistungsträgern verfahrensrechtlich eingeräumte Befugnis, Forderungen durch Verwaltungsakt bindend zu titulieren, kann nichts Abweichendes gelten.

 

Die vorstehenden Ausführungen gelten für – im vorliegenden Verfahren nicht gegenständliche – Masseverbindlichkeiten dagegen von vornherein nicht. Denn diese sind gemäß § 53 InsO vorweg zu befriedigen. § 87 InsO findet keine Anwendung. Öffentliche Gläubiger können wegen Masseverbindlichkeiten daher allgemeiner Auffassung zufolge auch darauf gerichtete Leistungsbescheide erlassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juni 2003 – 3 C 21.02 – juris Rn. 16; BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 – B 12 R 16/13 R – juris Rn. 15 ff.; Uhlenbruck/Mock, 15. Auflage 2019, InsO, § 87 Rn. 34 m. w. N.). Eine entsprechende Befugnis spricht auch der Kläger der Beklagten für den Fall von Masseschulden folgerichtig nicht ab.

 

dd) Die Einzugsstellen werden hierdurch nicht unverhältnismäßig benachteiligt. Bei der Anmeldung von Insolvenzforderungen sollen die Urkunden, aus denen sich die Forderung ergibt, in Abdruck beigefügt werden (§ 174 Abs. 1 Satz 2 InsO). Grund und Betrag der Forderung sind nach § 174 Abs. 2 Satz 1 InsO anzugeben. Dass für diese Glaubhaftmachung die Festsetzung durch Prüfbescheid zwingend wäre, hat die Beklagte aus Sicht des Senats nicht überzeugend dargetan. Vielmehr ist eine als „Minus“ mögliche Prüfmitteilung ausreichend, um die Grundlage zum Nachweis der Rechtsstellung als Insolvenzgläubiger zu schaffen.

 

Ein solches Vorgehen steht auch nicht zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in Widerspruch, wonach auch eine beanstandungsfrei durchgeführte Betriebsprüfung zum Schutz der Arbeitgeber durch einen Verwaltungsakt beendet werden muss, der den Bestimmtheitsanforderungen genügt und Gegenstand sowie Ergebnis der Prüfung angibt (BSG, Urteil vom 19. September 2019 – B 12 R 25/18 R – juris Rn. 30 ff. m. w .N.). Danach ist davon auszugehen, dass Betriebsprüfungen eine Schutzwirkung für Arbeitgeber zukommt, seit den Betriebsprüfungsstellen aufgegeben wurde, die geprüften Sachverhalte offenzulegen, mit der Folge, dass auch bei beanstandungslos verlaufenden Betriebsprüfungen statt Prüfmitteilungen grundsätzlich Prüfbescheide zu ergehen haben. Solches steht hier indes garnicht im Raum. Vielmehr hat diese Rechtsprechung ihren Grund in dem zu Recht für erforderlich gehaltenen Schutz der Arbeitgeber bei beanstandungslos verlaufenden Prüfungen (vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2019 – B 12 R 25/18 R – juris). Abgesehen davon, dass vorliegend dem Kläger die Verfügungsmacht über die Insolvenzschuldnerin obliegt, wurde hier zudem gerade keine Beanstandungsfreiheit festgestellt. Ob in dem Fall der Beanstandungsfreiheit – vergleichbar der steuerrechtlichen Festsetzung eines Erstattungsbetrags („Null-Festsetzung“; vgl. BFH, Urteil vom 5. April 2022 – IX 27/18 – juris Rn. 17 ff.) – eine Bescheidung auf der Grundlage von § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV zulässig wäre, wie es im Übrigen ohne insolvenzrechtlichen Bezug die Regel ist, kann daher dahinstehen. Eine das Insolvenzrecht überlagernde Verpflichtung der Beklagten zum Erlass eines Prüfbescheides für Insolvenzverfahren kann der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedenfalls nicht entnommen werden.

 

3. Dies gilt auch für die – allein – zu Masseverbindlichkeiten ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteile vom 28. Mai 2015 – B 12 R 16/13 R – juris Rn. 23 und vom 15. September 2016 – B 12 R 2/15 R – juris Rn. 24), dievon vornherein  nicht auf Fälle der vorliegenden Art übertragbar ist. § 87 InsO wird in diesen Entscheidungen bereits mangels Einschlägigkeit zu Recht nicht thematisiert. Im Übrigen steht die – nicht zulässige – Übertragbarkeit der Rechtsprechung zum Erlass von (Grundlagen-) Bescheiden in Bezug auf Masseverbindlichkeiten auf Insolvenzschulden mit der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung im Verwaltungs-, Steuer- und Zivilrecht insgesamt und damit mit dem Rechtsstaatsprinzip im Sinne der Einheit der Rechtsordnung in Einklang:

 

a) Der Bundesfinanzhof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor Abschluss der Prüfungen gemäß §§ 176, 177 InsO grundsätzliche keine Bescheide mehr erlassen werden dürfen, in denen Besteuerungsgrundlagen festgestellt oder festgesetzt werden, die die Höhe der zur Insolvenztabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen können (vgl. BFH, Urteil vom 18. Dezember 2002 – I R 33/01 – juris und Urteil vom 1. April 2003 – I R 51/02 – juris Rn. 16).

 

Diese Rechtsprechung zum Steuer- und Abgabenrecht ist auch nicht wegen der sozialrechtsspezifischen Zweiteilung des Verfahrens in Bezug auf den Gesamtsozialversicherungsbeitragseinzug unbeachtlich. Denn auch bei steuerbehördlichen Festsetzungen kommt eine vergleichbare Zweiteilung des Verfahrens vor, etwa in Bezug auf (Grundlagen-)Bescheide für die steuerliche Bemessung von Grundeigentum, die durch die Finanzämter erlassen werden (vgl. § 18 AO) und die nachfolgende  Erhebung der Grundsteuer, für die die Gemeinde gemäß §§ 1 ff. GrStG zuständig ist, die insofern allein als Insolvenzgläubigerin in Betracht käme.

 

b) Der Bundesgerichtshof geht davon aus, das § 87 InsO, der die gleichmäßige und gemeinschaftliche Befriedigung der Insolvenzgläubiger (§ 1 InsO) sicherstellen soll, zum ordre public gehört, und dass das Anmelde- und Feststellungsverfahren nach §§ 174 ff. InsO zwingende Folge dieser Vorschrift ist. Dementsprechend ist ein Schiedsspruch in Bezug auf Insolvenzforderungen auszulegen (BGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – III ZB 88/07 – juris Rn. 15 ff.). Der Bundesgerichtshof hat zur weiteren Begründung ausgeführt, der Grund für das vorrangig zu betreibende Anmeldungs- und Prüfungsverfahren liege unter anderem darin, dass das Feststellungsurteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern wirke (§ 183 Abs. 1 InsO). Letztere müssten – ebenso wie der Verwalter – zunächst Gelegenheit erhalten, die angemeldete Forderung zu prüfen und gegebenenfalls zu bestreiten. Die grundlegende Bedeutung dieser Regelung habe bereits die Regierungsbegründung des Entwurfs der Konkursordnung herausgestellt. Jeder Gläubiger werde durch die Teilnahme des anderen in seinen Bezügen geschmälert und müsse daher die Befugnis haben, die Forderung des anderen nach ihrer Richtigkeit (…) zu prüfen, zu bestreiten und den sich daraus ergebenden Streit selbständig durchzuführen. Deshalb folge aus dem Grundsatz der gemeinschaftlichen Befriedigung aller aus dem begrenzten Schuldnervermögen, dass kein Gläubiger rücksichtslos gegen die anderen sein einzelnes Befriedigungsrecht gegen den Schuldner verfolgen dürfe. Das gleiche Recht aller verlange, dass keiner seinen Anspruch anders als im gemeinsamen Verfahren ausüben dürfe; es berechtige jeden, den Anspruch des anderen zu prüfen. Darauf beruhe der Zwang, Forderungen zu dem gemeinschaftlichen Prüfungsverfahren anzumelden (BGH, a. a. O Rn. 24 f.). Diese Ausführungen treffen auch für das Sozialrecht zu.

 

c) Schließlich wird in der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung klar zwischen Masseschulden (-verbindlichkeiten) und Schulden für Zeiten vor der Insolvenzeröffnung differenziert. Das Verbot zum Erlass von Bescheiden in Bezug auf öffentlich-rechtliche Forderungen gilt danach ausdrücklich nicht für Masseschulden; öffentliche Gläubiger können vielmehr ihretwegen unstreitig Leistungsbescheide erlassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juni 2003 – 3 C 21.02 – juris Rn. 16 zu § 12 KO). Diese zur Überzeugung des Senats ebenfalls auf das Sozialrecht übertragbare Rechtsprechung gilt mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung fort. Denn der Gesetzgeber der Insolvenzordnung hat bei der Neufassung der §§ 87, 174 ff. InsO darauf verwiesen, dass er insoweit an die Regelungen des Konkursrechts anknüpfe (Begründung der Bundesregierung BT-Drucks. 12/2443 S. 137, 183, 185).

 

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Außergerichtliche Kosten der Beigeladen waren nicht aus Billigkeitsgründen der Beklagten aufzuerlegen, nachdem diese sich nicht aktiv am Verfahren beteiligt haben.

 

Das Sozialgericht hat auch dem Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO), zu Recht nicht entsprochen.  

 

Gemäß § 197a SGG i. V. m. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO sind, soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Nach § 162 Abs. 1 VwGO sind die notwendigen Aufwendungen der Beteiligten zwar „einschließlich der Kosten des Vorverfahrens“ erstattungsfähig. Für die Aufwendungen aus der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts, Rechtsbeistands, Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder einer der sonstigen in § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Personen gilt dies aufgrund der Sonderregelung des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO aber nur dann, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt hat.

 

Hierüber ist nach Lage des Einzelfalls unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse zu entscheiden ist (Kunze in BeckOK, VwGO, Posser/Wolff/Decker, Stand: 1. Oktober 2023, § 162 Rn. 85a m. w. N.). Die Anerkennung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren setzt voraus, dass es dem Widerspruchsführer nach seinen persönlichen Verhältnissen und nach den Umständen der vorgefundenen Sach- und Rechtslage nicht zugemutet werden konnte, das Vorverfahren ohne Unterstützung eines Rechtsanwalts zu bestreiten (Kunze, a. a. O., § 162 Rn. 86a m. w. N. aus der Rechtsprechung). Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger („verständiger Dritter“) mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage mit Blick auf die Schwierigkeit und Bedeutung der Sache eines Bevollmächtigten bedient hätte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Februar 2019 – 2 A 1.18 – juris Rn. 5). Der Notwendigkeit, einen (anderen) Rechtsanwalt beizuziehen, steht nicht zwingend entgegen, dass der Betroffene selbst Rechtsanwalt ist. Denn die Zumutbarkeit, im Vorverfahren ohne Rechtsanwalt aufzutreten, ist nicht allein eine Frage mehr oder minder spezieller Rechtskenntnisse. Tritt ein Rechtsanwalt im Vorverfahren in eigener Sache auf oder lässt er sich durch einen Bevollmächtigten vertreten, so ist hingegen auf die Sicht einer verständigen, umsichtigen und mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsniveau rechtskundigen Person abzustellen (Kunze, a. a. O., § 162 Rn. 86a m. w. N. aus der Rechtsprechung). Die Notwendigkeit der Hinzuziehung wird schließlich auch durch die Bedeutung der Streitsache für den Widerspruchsführer bestimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Mai 2019 – 2 A 15.17 – juris Rn. 74 sowie Beschluss vom 27. Februar 2019 – 2 A 1.18 – juris Rn. 5). Der Bundesgerichtshof kam in einer Entscheidung betreffend das Insolvenzverfahren zu der Einschätzung, dass relativ einfach zu beurteilende Anfechtungsfälle zu den Regelaufgaben des Insolvenzverwalters gehörten (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2012 – IX ZB 95/10 – juris Rn. 4).

 

Nach diesen Maßstäben war hier die Zuziehung der Bevollmächtigten für das Vorverfahren, wie vom Sozialgericht entschieden, nicht notwendig. Dahinstehen kann, ob das Verfahren schwierige Fragen des Sozialrechts aufwarf. Denn ausweislich der bereits im Verwaltungsverfahren erteilten Vollmacht vom 2. Juli 2020 hat der Kläger die Kanzlei, der er selbst angehört, insgesamt bevollmächtigt. Es ist daher davon auszugehen, dass sämtliche, kanzleiangehörigen Rechtsanwälte über die für erforderlich gehaltenen Rechtskenntnisse verfügen, und damit auch der Kläger selbst. Ein verständiger Dritter mit gleichen Kenntnissen hätte sich hiernach keines Bevollmächtigten bedient, zumal von einer besonderen persönlichen Betroffenheit des Klägers in seinem das Amt als Insolvenzverwalter umfassenden Geschäftsbereich nicht gegeben ist.

 

Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

 

 

Rechtskraft
Aus
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