L 11 SB 197/22

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 5 SB 239/20
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 SB 197/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

 1. § 45 SGB X ist in Abgrenzung zu § 48 SGB X einschlägig, wenn der aufzuhebende Verwaltungsakt von Anfang an rechtswidrig war.

 2. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines den GdB absenkenden Bescheides ist der Zeitraum zwischen Bekanntgabe des Bescheides und des Widerspruchsbescheides.

 3. Besteht als Grundleiden eine infantile Cerepralparese mit einer links betonten, spastischen Diaparese, sind die Maßstäbe für die Bewertung von Hirnschäden mit isoliert vorkommenden bzw. führenden Syndromen (hier in Gestalt zerebral bedingter Teillähmungen und Lähmungen bei ausgeprägteren Teillähmungen und vollständigen Lähmungen) einschlägig.

4. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ liegen schon dann nicht mehr vor, wenn kein mobilitätsbedingter GdB von 80 vorliegt.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 28. Juni 2022 wie folgt geändert:

 

Das Urteil des Sozialgerichts wird aufgehoben, soweit damit der Bescheid des Beklagten vom 26. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2020 aufgehoben worden ist, als der Beklagte mit diesem Bescheid das Merkzeichen „aG“ entzogen hat. Auch insoweit wird die Klage abgewiesen.

 

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für den gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Streitig ist, ob der Beklagte zu Recht den Grad der Behinderung (GdB) von 100 auf 80 abgesenkt und die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung) entzogen hat.

 

Zugunsten der 1981 geborenen Klägerin hatte der Beklagte mit Bescheid vom 24. August 2009 den GdB mit 100 festgestellt und neben den Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und „B“ (Berechtigung für eine ständige Begleitung) das eingangs genannte Merkzeichen zuerkannt. Grundlage hierfür war eine mit einem GdB von 100 festgestellte geistige Behinderung, ein frühkindlicher Hirnschaden und eine Funktionsstörung beider Beine und des linken Arms, wobei eine Spastik sinngemäß miterfasst wurde. Eine Besserung des Gesundheitszustandes wurde von dem Beklagten für möglich gehalten. Grundlage für die Feststellung war unter anderem ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI vom 30. März 2009, ausweislich dessen derzeit keine Gehfähigkeit der Klägerin bestehe, die vorwiegend im Rollstuhl sitze.

 

Ein im Jahr 2011 von dem Beklagten von Amts wegen durchgeführtes Verfahren zur Neufeststellung des Behindertenstatus der Klägerin endete mit einem Bescheid vom 10. März 2012, mit dem ein Neufeststellungsantrag der Klägerin abgelehnt und in der Begründung ausgeführt wurde, der GdB betrage weiter 100 bei Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „G“, „B“ und „aG“.

 

Ein im Jahr 2014 von dem Beklagten von Amts wegen durchgeführtes Verfahren zur Neufeststellung des Behindertenstatus der Klägerin endete mit einem Anschreiben des Beklagten an die Klägerin vom 12. Juni 2015, ausweislich dessen zunächst nicht beabsichtigt sei, den GdB und die gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen neu festzustellen.

 

Im April 2019 leitete der Beklagte ein erneutes Verfahren zur Neufeststellung des Behindertenstatus der Klägerin ein. Nach Einholung medizinischer Befunde gelangte der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten zu der Einschätzung, die Befunde reichten nicht aus, um eine aktuelle und korrekte Bewertung der Funktionseinschränkungen vornehmen zu können, erforderlich sei die Einholung eines Gutachtens. Der Beklagte holte daraufhin ein neurologisches Gutachten bei dem Neurologen Prof. Dr. S vom 4. Oktober 2019 ein, das dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 30. September 2019 erstellte und in dem er zu der Einschätzung gelangte, bei der Klägerin liege eine spastische Muskelhypertonie (am ehesten im Sinne einer infantilen Zerebralparese bei anamnestischer Frühgeburt mit selbständiger Gehfähigkeit für kurze Strecken sowie geringer Störung der Fingerfeinmotorik) (Einzel-GdB 60) und eine leichtgradige Dysarthrie mit gut verständlicher Sprache (Einzel-GdB 10) vor; der GdB auf neurologischem Fachgebiet betrage 60. In dem Gutachten wurden Angaben der Klägerin wiedergegeben, wonach sie bei längeren Strecken auf den Rollstuhl angewiesen sei, kürzere Wegstrecken aber selbständig und ohne die Verwendung von Hilfsmitteln zurücklegen könne. Ihre Wegstrecke ohne Pause betrage maximal 300 Meter.

 

Nach Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 22. Oktober 2019 senkte der Beklagte mit Wirksamkeit ab Bekanntgabe unter entsprechender Aufhebung der Bescheide vom 24. August 2009 und vom 10. März 2012 mit Bescheid vom 26. Februar 2020 den GdB auf 80 ab und entzog das Merkzeichen „aG“. Dem GdB lagen eine Funktionsstörung beider Beine (Einzel-GdB 60), eine psychische Störung (Einzel-GdB 30), eine Entwicklungsstörung mit Teilleistungsschwächen (Einzel-GdB 30) und eine Funktionsstörung des linken Armes (Einzel-GdB 20) zugrunde. Nach erneuter Anhörung mit Schreiben vom 30. März 2020 wies der Beklagte den hiergegen erhobenen Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2020 zurück.

 

Hiergegen hat die Klägerin am 18. Juni 2020 Klage erhoben.

 

Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt bei dem Neurologen und Psychiater Dr. J, bei dem Kinder- und Neuroorthopäden D, bei dem Orthopäden und Unfallchirurgen Priv.-Doz. Dr. T und bei der Zahnärztin Dr. S.

 

Das Sozialgericht hat bei dem Chirurgen und Sozialmediziner Dr. B ein chirurgisches und sozialmedizinisches Sachverständigengutachten vom 12. November 2021 eingeholt, das dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 11. November 2021 erstellt hat und in dem er zu der Einschätzung gelangt ist, der GdB bei der Klägerin sei mit 80 zu bewerten, wobei die Funktionsstörung beider Beine mit einem Einzel-GdB von 60 zu bewerten sei. Da die anderen Funktionsstörungen die Wegefähigkeit nicht zusätzlich einschränkten, liege kein mobilitätsbedingter GdB von 80 vor. Die Klägerin könne eine Wegstrecke von ca. 300 Metern zurücklegen, die Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ lägen nicht vor.

 

Mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2021 hat die Klägerin Einwände gegen das Gutachten von Dr. B vorgetragen, zu denen der Sachverständige unter dem 8. Februar 2022 ergänzend Stellung genommen und im Wesentlich erklärt hat, an seiner Einschätzung festzuhalten.

 

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat die Klägerin bestritten, gegenüber dem Verwaltungsgutachter Prof. Dr. S erklärt zu haben, sie könne noch 300 Meter laufen.

 

Das Sozialgericht hat der Klage durch Urteil vom 28. Juni 2022 insoweit stattgegeben, soweit sie das Merkzeichen „aG“ betrifft und sie im Übrigen abgewiesen. Die als reine Anfechtungsklage zulässige Klage sei teilweise begründet. Die Herabsetzung des GdB auf 80 sei nicht zu beanstanden, auch die von dem Beklagten genannten Einzel-GdB seien zutreffend. Zu Unrecht habe der Beklagte aber das Merkzeichen „aG“ entzogen, denn die Gehfähigkeit habe sich zwischen 2010 und 2021 nicht wesentlich gebessert. Aus den Ausführungen von Dr. B ergebe sich nicht, dass sich die Klägerin im gerichtlich zu prüfenden Zeitraum außerhalb des Kraftfahrzeugs ohne fremde Hilfe oder ohne große Anstrengung auf Dauer habe bewegen können. Es müssten auch die sich aus den aktenkundigen Befunden ergebenden Schwankungen berücksichtigt werden.

 

Gegen das ihm am 13. Juli 2022 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 9. August 2022 Berufung eingelegt, die Klägerin hat gegen das ihr am 14. Juli 2022 zugestellte Urteil am 15. August 2022 Berufung eingelegt.

 

Die Klägerin meint, es sei inkonsequent, dass das Sozialgericht ihr das Merkzeichen „aG“ weiter zuerkannt, aber die Absenkung des GdB bestätigt habe. Ihre Behinderung sei angeboren, eine Besserung nie eingetreten und dies sei auch nicht zu erwarten.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 28. Juni 2022 abzuändern und den Bescheid des Beklagten vom 26. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2020 auch aufzuheben, soweit mit ihm der GdB von 100 auf 80 abgesenkt worden ist und

 

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

 

Der Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 28. Juni 2022 aufzuheben, soweit mit ihm der Bescheid des Beklagten vom 26. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2020 aufgehoben worden ist, als der Beklagte mit diesem Bescheid das Merkzeichen „aG“ entzogen hat und die Klage ganz abzuweisen und

 

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

 

Ein Befundbericht von Dr. J vom 9. April 2009 und das Pflegegutachten von 30. März 2009 belegten, dass zum damaligen Zeitpunkt die Klägerin zum freien Stand unfähig gewesen sei und eine unzureichende Wegefähigkeit bei Angewiesenheit auf den Rollstuhl vorgelegen habe. Danach sei es zu einer wesentlichen Verbesserung der Gehfähigkeit gekommen.

 

Der Senat hat bei dem Arbeits- und Umweltmediziner Dr. G ein medizinisches Gutachten vom 29. August 2023 eingeholt, das dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 11. August 2023 erstellt hat und in dem er zu der Einschätzung gelangt ist, der GdB bei der Klägerin sei mit 90 zu bewerten, wobei die Funktionsstörung beider Beine mit einem Einzel-GdB von 60, eine psychische Störung mit einem Einzel-GdB von 40, eine Entwicklungsstörung mit Teilleistungsschwächen mit einem Einzel-GdB von 30, eine Funktionsstörung im Bereich der Lendenwirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 20,  eine Funktionsstörung des linken Armes mit einem Einzel-GdB von 20 und eine leichtgradige Dysarthrie mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sei. Die Funktionsstörungen in den Bereichen der Beine und der Lendenwirbelsäule seien zu einem mobilitätsbedingten GdB von 80 zusammenzuziehen, weil sich die Funktionsstörung der Lendenwirbelsäule voll und nicht nur zum Teil auf die Gehfähigkeit auswirke. Der jetzige Zustand habe 2020 nicht vorgelegen, er gehe davon aus, dass der jetzige Zustand seit mehr als einem Jahr vorliege. Deutlich hätten die Angaben der Beschwerden beim Gehen zugenommen. Das psychische Leiden seit 2020 mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten gewesen, jetzt liege ein schweres depressives Syndrom mit einem Einzel-GdB von 40 vor. Die Klägerin habe eine deutliche Verschlechterung ihrer Gehleistung gegenüber den Verhältnissen 2020 angegeben. Die Feststellungen eines GdB von 100 und des Merkzeichens „aG“ mit Bescheid vom 24. August 2009 seien zutreffend gewesen. Es sei aufgrund operativer Eingriffe und Therapien zu einer Besserung gekommen, mittlerweile sei aber wieder eine Verschlechterung eingetreten.

 

Der Beklagte hat zu dem Gutachten von Dr. G erklärt, hinsichtlich des hier maßgeblichen Prüfungszeitraums ergebe sich kein neuer klinischer Aspekt. Soweit der Sachverständige aktuell von einem GdB von 90 und vom Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ ausgehe, sei ihm nicht zu folgen. Eine Addition der beiden sich auf die Mobilität auswirkenden Einzel-GdB sei nicht zulässig. Die Klägerin meint weiter, dass die gesundheitlichen Verhältnisse wie sie Dr. G dargestellt habe, auch schon 2020 vorgelegen hätten.

 

Der Senat hat dem Sachverständigen Dr. G die Einwände des Beklagten zur ergänzenden Stellungnahme zugeleitet. In dieser vom 28. November 2023 hat der Sachverständige im Wesentlichen erklärt, an seiner Einschätzung festzuhalten.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter entscheiden, weil die Beteiligten zu dieser Entscheidungsform ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 155 Abs. 4 und Abs. 3 SGG.

 

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet, die der Klägerin ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist hinsichtlich des GdB zutreffend, hinsichtlich des Merkzeichens „aG“ unzutreffend. Die der Berufung zugrunde liegende Klage ist als reine Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz SGG zulässig. Der angegriffene Bescheid erschöpft sich in der teilweisen Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung (hier des Bescheides vom 24. August 2009). Die Klage ist aber unbegründet. Der Bescheid vom 26. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

 

Die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Bescheides vom 24. August 2009 kann nicht wegen des Anschreibens des Beklagten an die Klägerin vom 12. Juni 2015 dahinstehen. Denn bei diesem Schreiben handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, es fehlt an der dafür notwendigen Regelung im Sinne des § 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Das Nachprüfungsverfahren wurde mit der Information an die Klägerin abgeschlossen, dass zunächst nicht beabsichtigt sei, den GdB und die gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen neu festzustellen. Der Beklagte machte damit deutlich, dass die Nachprüfung keinen Anlass für eine neue Regelung und die Abänderung früherer Feststellungen ergeben habe (vgl. Urteil des Senats vom 23. Juli 2015 - L 11 SB 157/11 – juris).

 

Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid, gegen den formelle Bedenken nicht bestehen, ist hier § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Wege einer gebundenen Entscheidung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nicht anwendbar ist vorliegend § 45 SGB X, der in Abgrenzung zu § 48 SGB X einschlägig ist, wenn der aufzuhebende Verwaltungsakt von Anfang an rechtswidrig war (vgl. vgl. BeckOGK/Sandbiller, SGB X, § 45, Rn. 15). Zu prüfen ist hier nur die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 24. August 2009. Soweit der Beklagte auch den Bescheid vom 10. März 2012 aufgehoben hat, ist die Aufhebung ins Leere gegangen, weil dieser Bescheid ausweislich seines Entscheidungstenors keine Begünstigung enthält, sondern lediglich die Ablehnung eines (zudem wohl nicht gestellten) Neufeststellungsantrags. Die Ausführungen zum Fortbestehen des GdB von 100 und der Merkzeichen „G“, „B“ und „aG“ finden sich lediglich in der Begründung, sind also nicht Bestandteil einer Verfügung.

 

Der Bescheid vom 24. August 2009 war rechtmäßig. Nach § 152 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) in seiner seit dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung (davor § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sind seit dem 1. Januar 2009 die in der Anlage zu § 2 VersMedV vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten „versorgungsmedizinischen Grundsätze“ zu beachten, die durch die Verordnungen vom 1. März 2010 (BGBl. I Seite 249), 14. Juli 2010 (BGBl. I Seite 928), vom 17. Dezember 2010 (BGBl. I Seite 2124), vom 28. Oktober 2011 (BGBl. I Seite 2153) und vom 11. Oktober 2012 (BGBl. I Seite 2122) sowie durch Gesetze vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I Seite 3234), vom 17. Juli 2017 (BGBl. I Seite 2541) und vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I Seite 2652) Änderungen erfahren haben. Einzel-GdB sind entsprechend den genannten Grundsätzen als Grad der Behinderung in Zehnergraden zu bestimmen. Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 152 Abs. 3 SGB IX die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Teil A Nr. 3 a) der Anlage zu § 2 VersMedV die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von einer Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d) aa) – ee) der Anlage zu § 2 VersMedV).

 

Hier lag seit Anfang 2009 trotz gewisser Schwankungen ein Dauerzustand vor, der es rechtfertigte, von einer Gebrauchsunfähigkeit des rechten Beins bei gleichzeitiger spastischer Diaparese linksbetont, einem aufgehobenen Gehvermögen und damit einem GdB von 100 (vgl. Teil B Nr. 18.14 der Anlage zu § 2 VersMedV am Ende) und dem Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ auszugehen. Dr. J hat in seinem Befundbericht für den Beklagten vom 9. April 2009 ein spastisches Gangbild und eine Gehstrecke bis 10 Meter bei Bewegung im Rollstuhl bestätigt. Im Pflegegutachten vom 30. März 2009 wird eine Zunahme der Spastik beider Beine beschrieben, die Klägerin benutze vorwiegend den Rollstuhl, ein freier Stand sei nicht möglich, eine Gehfähigkeit bestehe nicht. Gewisse – vom Sozialgericht skizzierte – Schwankungen verkennt der Senat nicht. Die Vielzahl der (auch) seit Anfang 2009 durchgeführten Operationen rechtfertigt aber die Annahme eines die Bewegungsfähigkeit aufhebenden Dauerzustandes. Dabei wurde bei der Klägerin am 5. Januar 2009 eine Korrekturosteotomie des rechten Vorfußes vorgenommen, es folgten eine Osteotomie des rechten Fußes am 20. Januar 2011, eine erneute Revision mit Beckenkamm-Interponat und winkelstabiler Osteosynthese am 24. März 2011 und eine weitere Revisions-Operation am 2. Januar 2012, so dass Dr. J noch in einem Befundbericht für den Beklagten vom 10. Januar 2012 bestätigt hat, die Klägerin bewege sich außer Haus nur im Rollstuhl.

 

Waren der GdB mit 100 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ damit ursprünglich mit Bescheid vom 24. August 2009 zutreffend festgestellt worden, liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X insoweit vor, als der Beklagte den GdB zutreffend auf 80 abgesenkt und das Merkzeichen „aG“ entzogen hat. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist dabei der Zeitraum zwischen Bekanntgabe des Bescheides und des Widerspruchsbescheides (vgl. dazu eingehend Urteil des Senats vom 6. November 2014 - L 11 SB 178/10; auch Bundessozialgericht <BSG>, Beschluss vom 27. Mai 2020 - B 9 SB 67/19 B - juris), hier nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X zwischen dem 29. Februar 2020 und dem 22. Mai 2020.

 

Der GdB betrug im genannten Prüfungszeitraum nur noch 80. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus einer Gesamtschau der vorliegenden medizinischen Unterlagen, so aus dem Verwaltungsgutachten von Prof. Dr. S und den gerichtlichen Gutachten der Sachverständigen Dr. B und Dr. G, die jeweils auf einer ambulanten Untersuchung der Klägerin sowie einer kritischen Würdigung der sonstigen medizinischen Unterlagen beruhen und sowohl auf der Grundlage der herrschenden medizinischen Lehre als auch im Einklang mit den versorgungsmedizinischen Grundsätzen erstattet worden sind. Dabei hat die schrittweise Verbesserung des Gesundheitszustandes mit der letzten Hallux-valgus-Operation am 5. Januar 2012 eingesetzt, was auch dadurch bestätigt wird, dass die Klägerin seit 2012 eine berufliche Tätigkeit in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung ausübt.

 

Die Funktionsstörungen der unteren Extremitäten sind jedenfalls im maßgeblichen Prüfungszeitraum mit einem Einzel-GdB von 60 zutreffend bewertet. Grundlage des Leidens sind neurologische Beschwerden. Die von Prof. Dr. S erhobenen Befunde belegen eine leichte Einschränkung der Fußsenkung/-hebung und Zehenhebung, beidseits einen deutlichen Senkfuß, folgerichtig einen beidseits reduzierten Zehenstand, der Hacken- und Einbeinstand war nur mit Hilfe möglich. Höhergradige Paresen fanden sich nicht, dafür aber eine Muskeltonuserhöhung im Bereich der unteren Extremitäten. Das Gangbild präsentierte sich deutlich protektiv, breitbasig-spastisch und frei, das Laufen war im Untersuchungszimmer ohne Hilfe möglich. Die Untersuchungsergebnisse von Prof. Dr. S sind von dem Sachverständigen Dr. B vollständig bestätigt worden, insbesondere hat auch er ein kleinschrittiges, breitbasiges und langsames Gangbild festgestellt. Die Bewertung richtet sich hier nach Teil B Nr. 3.1.2 der Anlage zu § 2 VersMedV. Denn bei der Klägerin besteht als Grundleiden eine infantile Cerepralparese mit einer links betonten, spastischen Diaparese, so dass die Maßstäbe für die Bewertung von Hirnschäden mit isoliert vorkommenden bzw. führenden Syndromen hier in Gestalt zerebral bedingter Teillähmungen und Lähmungen bei ausgeprägteren Teillähmungen und vollständigen Lähmungen einschlägig sind. Danach ist der GdB aus Vergleichen mit dem GdB bei Gliedmaßenverlusten, peripheren Lähmungen und anderen Funktionseinbußen der Gliedmaßen abzuleiten. (Nur) Die vollständige Lähmung von Arm und Bein (Hemiplegie) ist mit einem GdB von 100 zu bewerten. Der versorgungsmedizinisch vorgegebene Vergleich mit den Maßstäben von Teil B Nr. 18.14 der Anlage zu § 2 VersMedV ergibt hier, dass bei zwar stark beeinträchtigter, aber doch erhaltener Funktionsfähigkeit der Beine ein Einzel-GdB von 60 angemessen ist. Dies entspricht dem vollständigen Ausfall des Nervus ischiadicus proximal, dem Verlust eines Beines im Unterschenkel bei ungenügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und der Gelenke oder auch dem Teilverlust eines Fußes, Absetzung nach Chopart beidseitig, was der vollständigen Amputation des Vor- und Mittelfußes unter Erhalt des Rückfußes entspricht.

 

Ein psychisches Leiden ist nach Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu § 2 VersMedV als stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit mit einem Einzel-GdB von 30 im maßgeblichen Prüfungszeitraum reichlich bewertet. Der von Prof. Dr. S erhobene psychische Befund war – wie übrigens auch der von Dr. B erhobene psychische Befund - allerdings ebenso unauffällig wie der von der Klägerin skizzierte Tagesablauf. Der etwa von Dr. J im Befundbericht für das Sozialgericht geschilderte Antriebsmangel, Schlafstörungen und innere Unruhe rechtfertigen kaum einen Einzel-GdB von 30.

 

Woraus sich der von dem Beklagten wie auch von den Sachverständigen Dr. B und Dr. G genannte Einzel-GdB von 30 für eine Entwicklungsstörung mit Teilleistungsschwächen ergeben soll, ist etwas unklar. Der von Dr. G in diesem Zusammenhang hervorgehobene stark verminderte Antrieb ist eigentlich schon dem psychischen Leiden zugeordnet worden. Die ebenfalls von Dr. G (nicht aber von Prof. Dr. S und Dr. B) benannte starke Einschränkung der Konzentrationsleistung mag aber nach Teil B Nr. 3.1.2 der Anlage zu § 2 VersMedV einen Einzel-GdB von 30 rechtfertigen. Soweit Dr. G von einem Einzel-GdB von 40 in seinem Untersuchungszeitpunkt ausgeht, ist dies für den hier maßgeblichen Prüfungszeitraum unmaßgeblich.

 

Die Funktionsstörung des linken Armes kann nach Teil B Nr. 18.13 der Anlage zu § 2 VersMedV nach den Feststellungen aller Gutachter und Sachverständigen bei sehr diskreten Funktionsstörungen keinesfalls mit einem höheren Einzel-GdB als 20 bewertet werden.

 

Ein mit einem Einzel-GdB zu bewertendes Wirbelsäulenleiden hat nur Dr. G mitgeteilt. Die von ihm erhobenen Befunde mögen als Wirbelsäulenschaden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt gemäß Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 VersMedV einen Einzel-GdB von 20 rechtfertigen. Die von Dr. B erhobenen Befunde nach der Neutral-Null-Methode rechtfertigen dagegen keinen Einzel-GdB.

 

Eine leichtgradige Dysarthrie ist nach den Einschätzungen aller Gutachter und Sachverständigen mit einem Einzel-GdB von 10 angemessen bewertet.

 

Aus den Einzel-GdB von 60, 30, 30, 20 (linker Arm) und 10 ergibt sich ein Gesamt-GdB von knapp 80. Dabei ist festzuhalten, dass die Funktionsstörungen aufgrund des seelischen Leidens im maßgeblichen Prüfungszeitraum nur sehr diskret waren und nach Teil A Nr. 2 i) der Anlage zu § 2 VersMedV die in der GdB-Tabelle niedergelegten Sätze bereits die üblichen seelischen Begleiterscheinungen berücksichtigen, hier also der hohe Einzel-GdB von 60 für die Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten bereits die damit verbundenen seelischen Begleiterscheinungen berücksichtigt. Die Entwicklungsstörung mit Teilleistungsschwächen verursacht ebenso nur geringe Teilhabebeeinträchtigungen wie die diskreten Beeinträchtigungen am linken Arm, so dass in der Gesamtschau der Gesamt-GdB von 80 nur knapp erreicht wird. Dieser Gesamt-GdB würde auch durch einen unterstellten Einzel-GdB von 20 für das Wirbelsäulenleiden nicht weiter erhöht, sondern bestenfalls nach unten abgesichert werden, zumal sich Einzel-GdB von 20 nach den bereits genannten allgemeinen versorgungsmedizinischen Grundsätzen häufig nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirken.

 

Auch die Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ lagen im maßgeblichen Prüfungszeitraum nicht (mehr) vor. Anspruchsgrundlage für die das Merkzeichen „aG“ betreffende Feststellung ist seit dem 1. Januar 2018 § 152 Abs. 4 SGB IX in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung – Bundesteilhabegesetz - vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3264). Danach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind (§ 2 Abs. 2 SGB IX), oder treffen die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen, wenn neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind. Zu diesen Nachteilsausgleichen gehört das im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften in den Schwerbehindertenausweis einzutragende Merkzeichen „aG“ (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung).

 

Die Legaldefinition des Nachteilsausgleichs „aG“ ist in § 229 Abs. 3 SGB IX geregelt. Danach sind schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem GdB von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung - dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen - aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind. Verschiedenste Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleichkommt.

 

Auch das BSG hat in ständiger Rechtsprechung die Regelungen über die Anerkennung der Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ ihrem Zweck entsprechend eng ausgelegt. Das Merkzeichen „aG“ soll lediglich eine stark eingeschränkte Gehfähigkeit durch Verkürzung der Wege mithilfe der gewährten Parkerleichterungen ausgleichen (vgl. BSG, Urteil vom 16. März 2016 - B 9 SB 1/15 R -, m. w. N., zitiert nach juris). Eine quantifizierbare oder qualifizierbare Wegstrecke, mit dem sich ein anspruchsausschließendes individuelles Leistungsvermögen beschreiben lässt, ist nach der Rechtsprechung des BSG ausgeschlossen. Denn die genannte Vorschrift stellt, wie die vor dem 1. Januar 2018 geltenden Regelungen, nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeugs zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: Nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an - erfüllt, qualifiziert sich für den Nachteilsausgleich „aG“ auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Dabei kann unter anderem Art und Umfang schmerz- oder erschöpfungsbedingter Pausen von Bedeutung sein. Denn schwerbehinderte Menschen, die in ihrer Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt sind, müssen sich beim Gehen regelmäßig körperlich besonders anstrengen. Die für „aG“ geforderte große körperliche Anstrengung kann z.B. erst dann angenommen werden, wenn selbst bei einer Wegstreckenlimitierung von 30 Meter diese darauf beruht, dass der Betroffene bereits nach dieser kurzen Strecke erschöpft ist und er neue Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann. Benutzt ein Gehbehinderter einen Rollstuhl, genügt es nicht, dass ein solcher verordnet worden ist. Die Betroffenen müssen vielmehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sein, weil sie sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen können (BSG, Urteil vom 16. März 2016 - B 9 SB 1/15 R -, m. w. N., zitiert nach juris).

 

Hier liegen die Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ im maßgeblichen Prüfungszeitraum schon deshalb nicht mehr vor, weil bei der Klägerin kein mobilitätsbedingter GdB von 80 vorliegt (vgl. dazu nur BSG, Urteil vom 9. März 2023 - B 9 SB 1/22 R – juris). Von den im Rahmen der Bildung des Gesamt-GdB genannten Einzel-GdB wirken sich auf die Mobilität nur der Einzel-GdB für die Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten von 60 und – zweifelhaft – ein etwaiger Einzel-GdB für ein Lendenwirbelsäulenleiden von 20 aus. Wie bereits dargelegt, wirkt sich das unterstellte Lendenwirbelsäulenleiden aber nicht GdB-erhöhend aus. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, käme aber bestenfalls eine Erhöhung des Einzel-GdB von 60 auf 70 in Betracht. Die von Dr. G – wenn auch ausnahmsweise – vorgeschlagene Addition der beiden Einzel-GdB kommt auch mit der vom Sachverständigen gegebenen Begründung nicht in Betracht, so dass ein mobilitätsbedingter GdB von 80 unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt ausscheidet. Hiermit korrespondiert auch das von Prof. Dr. S und Dr. B festgestellte Gangbild, aus dem sich ein erhaltenes, wenn auch stark beeinträchtigtes Gangbild ergibt. Ob die Klägerin – wie jetzt von ihr bestritten – gegenüber Prof. Dr. S ein Gehvermögen von 300 Metern angegeben hat, kann daher dahinstehen. Allerdings legt auch die Aktenlage ein solches Gehvermögen im maßgeblichen Prüfungszeitraum nahe (Arztbrief der Oklinik vom 1. März 2019: „Aktuell benutzt sie für längere Strecken wieder den Aktivrollstuhl …“; Arztbrief des Ohauses vom 7. Oktober 2015: „Frei gehfähig mit einer Gehstrecke von etwa 500m.“).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.

 

 

 

 

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