L 7 AS 2922/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 1449/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 2922/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zu den Voraussetzungen einer formgerechten Berufungseinlegung in elektronischer Form

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 25. September 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger begehrt die Berücksichtigung höherer Kosten der Unterkunft im Rahmen von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Kläger steht im laufenden Bezug von Arbeitslosengeld II bzw. nunmehr Bürgergeld nach dem SGB II bei dem Beklagten. Mit Bescheid vom 21. Oktober 2022 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis 31. Mai 2023 und änderte diese mit dem Bescheid vom 17. Dezember 2022 in der Höhe aufgrund der Einführung des Bürgergeldes ab dem 1. Januar 2023 ab. Als Kosten der Unterkunft berücksichtigte der Beklagte dabei jeweils u.a. eine Grundmiete von 376,65 Euro. Am 19. Dezember 2022 legte der Kläger gegen den Änderungsbescheid vom 17. Dezember 2022 mittels einfacher E-Mail Widerspruch ein, da die Beiträge zu seiner privaten Kranken- und Pflegeversicherung 2023 höher seien und die berücksichtige Miete nicht der Realmiete von 450 Euro entspreche.

Mit Änderungsbescheid vom 1. März 2023 bewilligte der Beklagte dem Kläger ab dem 1. Januar 2023 höhere Leistungen aufgrund der Beiträge zur privaten Pflegeversicherung. Hiergegen legte der Kläger am 22. März 2023 mittels einfacher E-Mail von der Absenderadresse
D1 Widerspruch ein, da die Kosten der Unterkunft falsch berechnet worden seien. Nach einem Hinweisschreiben vom 5. Mai 2023 hinsichtlich der einzuhaltenden Formerfordernisse und einer diesbezüglichen Fristsetzung bis zum 5. Juni 2023 verwarf der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2023 als unzulässig.

Hiergegen hat der Kläger am 24. Juli 2023 per De-Mail – mit einfacher Namenssignatur, ohne Absenderbestätigung und nicht qualifiziert elektronisch signiert – Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und insbesondere mitgeteilt, Kommunikation werde ausschließlich in elektronischer Form verarbeitet, Briefpost in papierhafter Form könne grundsätzlich nicht mehr verarbeitet werden. Absenderbestätigungen seien die Erfüllung eines Luxusbedürfnisses.

Das SG wies den Kläger im Rahmen der Klageeingangsbestätigung vom 24. Juli 2023 darauf hin, dass es für eine ordnungsgemäße (formwirksame) Korrespondenz mit dem Gericht bei Versand von einem De-Mail-Konto aus ohne qualifizierte elektronische Signatur sowohl der (einfachen) Signatur als auch der Absenderauthentifizierung (Absenderbestätigung) bedürfe. Werde eine formwirksame Klageerhebung nicht innerhalb der Klagefrist nachgeholt, so werde die Klage bereits aus diesem Grund nicht formwirksam erhoben und damit als unzulässig abzuweisen sein.

Am 28. Juli 2023 hat (vermutlich) der Kläger auf elektronischem Wege – ohne einfache Signatur sowie erneut ohne Absenderbestätigung und ohne qualifizierte elektronische Signatur – den Eingang eines Schreibens des SG bestätigt. Er hat ausgeführt, dass dieser Brief nicht bearbeitet werden könne. Briefpost werde grundsätzlich ausgeschlossen/vernichtet. Eine Übersendung auf elektronischem Wege werde hiermit verlangt.

Auf ein Anhörungsschreiben des SG vom 4. September 2023 an die Beteiligten zur vorgesehenen Entscheidung mittels Gerichtsbescheid hat der Kläger mit weiterer De-Mail vom 8. September 2023 – einfach, jedoch nicht qualifiziert signiert, ohne Absenderbestätigung – sein Vorbringen wiederholt und u.a. dahingehend ergänzt, dass nach § 65d Sozialgerichtsgesetz (SGG) für die Sozialgerichte aller Rechtszüge eine gesetzliche Pflicht bestehe, elektronisch zu kommunizieren. Auf § 65a Abs. 6 SGG sei sich noch nicht berufen worden.

Mit Gerichtsbescheid vom 25. September 2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Diese sei bereits nicht zulässig, da sie nicht formwirksam erhoben worden sei. Zwar sei für die Klage und auch für die weiteren Schriftsätze im Verfahren ein De-Mail-Konto verwendet worden. Aus den technischen Prüfvermerken des Gerichts ergebe sich jedoch, dass die Nachrichten per De-Mail ohne Absenderbestätigung versandt worden seien. Für eine ordnungsgemäße (formwirksame) Korrespondenz mit dem Gericht bei Versand von einem De-Mail-Konto aus ohne qualifizierte elektronische Signatur bedürfe es indes sowohl der (einfachen) Signatur als auch der Absenderauthentifizierung (Absenderbestätigung). Nachdem dieser Formmangel trotz ausdrücklichen gerichtlichen Hinweises nicht behoben worden sei, sei die Klage bereits aus diesem Grund als nicht formwirksam erhoben und damit unzulässig abzuweisen. Das Gericht sei im Übrigen auch nicht verpflichtet gewesen, die diesbezüglichen Hinweise dem Kläger auf elektronischem Weg zu übermitteln. Eine gesetzliche Pflicht des Gerichts, den elektronischen Kommunikationsweg gegenüber Privatpersonen zu nutzen, bestehe nicht.

Gegen diese ihm am 29. September 2023 mit Postzustellungsurkunde (Bl. 97/98 SG-Akte) zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 10. Oktober 2023 mittels De-Mail – einfach, aber nicht qualifiziert signiert und ohne Absenderauthentifizierung – Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt (wörtlich: „hiermit wird ein Antrag auf Revision eingereicht beim LSG BW […]. Des Gericht soll also Rechtfehler prüfen, wo gemacht sind von dem SG MA da.“). Ein Postbrief (gelber Umschlag) sei bei ihm am 29. September 2023 vom SG eingetroffen. Dort sei aber keine Unterschrift und Datum zu lesen. Daher sei der Postbrief nicht rechtsgültig. Im Übrigen wiederholte er im Wesentlichen seine Ausführungen gegenüber dem SG. Beigefügt hat er eine Fotoaufnahme des gelben Zustellungsumschlags, dem sich das SG als Absender, der Kläger als Empfänger, der 29. September 2023 als Zustelldatum und das Aktenzeichen der ersten Instanz entnehmen lässt.

Auf den gerichtlichen und dem Kläger nach der entsprechenden Postzustellungsurkunde am 28. Oktober 2023 zugestellten Hinweis, dass die Berufung bislang formungültig erfolgt sein dürfte, unter welchen Voraussetzungen eine formgültige Berufungseinlegung u.a. auch auf elektronischem Wege möglich sei und auf das Erfordernis der Einhaltung der Berufungsfrist, hat der Kläger mit De-Mail vom 30. Oktober 2023 – einfach, aber nicht qualifiziert signiert und ohne Absenderauthentifizierung – mitgeteilt, dass der ihm am 28. Oktober 2023 zugegangene Brief nicht bearbeitet werden könne. Kommunikation werde ausschließlich in elektronischer Form verarbeitet. Auch die weitere De-Mail des Klägers vom 7. November 2023 ist nicht mit einer qualifizierten Signatur oder einer Absenderauthentifizierung versehen übersandt worden.

Der Kläger beantragt, nach Auslegung sachgerecht gefasst,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 25. September 2023 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 1. März 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2023 zu verurteilen, dem Kläger Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten beider Instanzen sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 25. September 2023 ist statthaft (§ 143 i.V.m. § 105 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Hierbei legt der Senat die De-Mail des Klägers vom 10. Oktober 2023 unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips als Berufung aus (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]), da dem Kläger gegen den vorgenannten Gerichtsbescheid das von ihm benannte Rechtsmittel der Revision gemäß §§ 160, 161 SGG nicht zugestanden hätte. Nach dem Meistbegünstigungsprinzip ist im Zweifel davon auszugehen, dass alles begehrt wird, was dem Kläger aufgrund des Sachverhalts rechtlich zusteht (vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG] SozR 4-3250 § 69 Nr. 9 Rdnr. 16). Der Grundsatz, dass im Zweifel von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren ausgegangen werden muss, ist Ausfluss des verfassungsrechtlichen Auftrags der Gerichte zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Die Auslegung von Anträgen richtet sich danach, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe zur Annahme eines abweichenden Verhaltens vorliegen; im Zweifel ist davon auszugehen, dass ein Kläger alles zugesprochen haben möchte, was ihm aufgrund des Sachverhalts zusteht (BSG, Beschluss vom 6. Dezember 2018 – B 8 SO 38/18 B – juris Rdnr. 7 m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben geht der Senat auch davon aus, dass sich das eingelegte Rechtsmittel gegen den vorgenannten Gerichtsbescheid richtet, da sich der Kläger gegen den ihm am 29. September 2023 zugegangenen „Postbrief“ gewandt hat. Hierbei handelt es sich zur Überzeugung des Senats um den Gerichtsbescheid vom 25. September 2023, dessen Zustellung an den Kläger im Wege der Ersatzzustellung (§ 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 180 Zivilprozessordnung) am 29. September 2023 durch die diesbezügliche Postzustellungsurkunde bewiesen wird (§ 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 2 und § 418 ZPO). Selbst wenn man in der im Unterschriftsfeld auf der Postzustellungsurkunde enthaltenen handschriftlichen Kennzeichnung keine vollwertige Unterschrift, sondern lediglich eine Paraphe erblickt, folgt hieraus in der vorliegenden Sache keine relevante Minderung des Beweiswerts (vgl. § 419 ZPO). Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Bestätigung des Klägers, dass ihm am aus der Postzustellungsurkunde ersichtlichen Tag eine entsprechende Postsendung des SG und konkret zum Aktenzeichen des erstinstanzlichen Verfahren zugegangen ist. Diese Bestätigung des tatsächlichen Zugangs führt darüber hinaus zu einer Heilung etwa verletzter zwingender Zustellungsvorschriften (§ 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 189 ZPO). Sollte die De-Mail des Klägers vom 10. Oktober 2023 demgegenüber als Einlegung eines Rechtsmittels gegen die postalische Zustellung anstelle der von dem Kläger gewünschten elektronischen Kommunikation zu verstehen sein, so wäre die Berufung bereits nicht statthaft, da diese nach § 143 SGG (i.V.m. § 105 Abs. 2 und 3 SGG) lediglich gegen erstinstanzliche Urteile und Gerichtsbescheide in Betracht kommt. Auch der Beschwerdeweg wäre insoweit nicht eröffnet (vgl. § 172 SGG).

Die Berufung ist jedoch unzulässig. Denn der Kläger hat diese nicht formgerecht binnen der Berufungsfrist eingelegt.

Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist gemäß § 151 Abs. 2 SGG auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Gerichtsbescheid vom 25. September 2023 ist dem Kläger, wie dargestellt, am 29. September 2023 zugestellt worden. Der Lauf der einmonatigen Berufungsfrist hat daher am 30. September 2023 begonnen und, da der 29. Oktober 2023 ein Sonntag gewesen ist, am 30. Oktober 2023 geendet (vgl. 64 SGG).

Bis zum Ablauf des 30. Oktober 2023 hat der Kläger seine Berufung trotz eines entsprechenden gerichtlichen Hinweises weder bei dem LSG Baden-Württemberg noch bei dem SG schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt bzw. in entsprechender Form die Berufungseinlegung bestätigt. Auch eine alternativ mögliche Einlegung als elektronisches Dokument gemäß § 65a SGG ist nicht formgerecht erfolgt. Denn nach § 65a Abs. 3 Satz 1 SGG muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Ein sicherer Übermittlungsweg in diesem Sinne ist auch der Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Abs. 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt (§ 65a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGG). Der Kläger hat die von ihm per De-Mail an das LSG Baden-Württemberg übersandten elektronischen Dokumente nicht qualifiziert elektronisch signiert oder sie mit einer Absenderauthentifizierung versehen lassen, also sich die sichere Anmeldung in seinem De-Mail-Konto bei Versand bestätigen lassen.

Klarstellend wird ausgeführt, dass die Hinweispflicht aus § 65a Abs. 6 Satz 1 SGG hinsichtlich der Erfüllung der Voraussetzungen des § 65a Abs. 3 SGG nicht greift, sondern nur Fälle erfasst, in denen das übersandte elektronische Dokument nicht die technischen Voraussetzungen der Bearbeitung durch das Gericht erfüllt. Darüber hinaus ist der Kläger auf die dargestellten Formfehler hingewiesen worden.


Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) kommt vorliegend mangels irgendwelcher Anhaltspunkte für ein unverschuldetes Versäumen der formgerechten Berufungseinlegung in der Berufungsfrist nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.



 

Rechtskraft
Aus
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