L 10 KR 246/23 NZB KH

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 17 KR 2190/22 KH
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 KR 246/23 NZB KH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 30.01.2023 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten auch des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 300 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 30.01.2023 ist zulässig, aber unbegründet.

Die Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Berufung bedarf vorliegend der Zulassung, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes lediglich 300 € beträgt (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) und auch keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG).

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landes- und Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2), oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG ist nicht zu erkennen. Eine solche läge nur vor, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Natur aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 144 Rn. 28). Ist lediglich ein tatsächlicher, individueller Sachverhalt zu beurteilen, so fehlt es an einer grundsätzlichen Bedeutung (LSG NRW, Beschluss vom 08.03.2017 – L 12 AS 1825/16 NZB, juris Rn. 11). Eine Rechtsfrage ist auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie sich unmittelbar aus dem Gesetz beantworten lässt oder höchstrichterlich bereits entschieden ist (LSG NRW, Beschluss vom 07.10.2011 – L 19 AS 937/11 NZB, juris Rn. 17; Beschluss vom 10.12.2021 – L 5 KR 302/21 NZB KH, juris Rn. 9; vgl. auch BSG, Beschluss vom 15.05.1997 – 9 BVg 6/97, juris Rn. 6 <zu § 160 SGG>).

Nach diesen Maßstäben kommt der Sache keine grundsätzliche Bedeutung zu. Dies gilt insbes. für die von der Beklagten - sinngemäß - aufgeworfene Frage,

ob Krankenkassen berechtigt sind, Ansprüche auf Aufschlagszahlungen i.S.d. § 275c Abs. 3 S. 1 und 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V, insoweit i.d.F. des COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetzes vom 27.03.2020, BGBl. I 580) mittels Aufrechnung gegen Vergütungsansprüche des Krankenhauses durchzusetzen.

Dies ist nicht klärungsbedürftig. Einer solchen Aufrechnung steht vielmehr § 15 Abs. 4 S. 2 des Vertrages nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V – Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung – entgegen, aus dem sich im Umkehrschluss ergibt, dass Krankenkassen in anderen als den dort geregelten Fällen, namentlich Beanstandungen rechnerischer Art Rücknahme der Kostenzusage, Abrechnung aufgrund vom Krankenhaus zu vertretender unzutreffender Angaben, eine Aufrechnung verboten ist. Die Einzelheiten hierzu sind in st.Rspr. des erkennenden Gerichts geklärt (dazu zuletzt etwa: LSG NRW, Urteil vom 15.11.2022 – L 5 KR 752/20, juris Rn. 27 ff.; Urteil vom 22.12.2021 – L 11 KR 637/20, juris Rn. 39 ff.; Urteil vom 24.02.2022 – L 16 KR 550/19, juris Rn. 31 ff; Senatsurteil vom 24.11.2021 – L 10 KR 163/21 KH, juris Rn. 36; alle m.w.N.; grdl. LSG NRW, Urteil vom 03.06.2003 – L 5 KR 205/02, juris Rn. 18 ff.; zustimmend nunmehr auch BSG, Urteil vom 11.05.2023 – B 1 KR 14/22 R, Rn. 10 ff.).

a) Dass das im Landesvertrag vereinbarte Aufrechnungsverbot in einem Fall, in dem es – wie auch hier – um die Aufrechnung gegen einen Vergütungsanspruch des klagenden Krankenhauses geht, eingreift, ist durch diese st.Rspr. des erkennenden Gerichts geklärt. Es liegt ferner auf der Hand und bedarf keiner weiteren Klärung, dass es unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Aufrechnungsverbots (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2023, a.a.O. Rn. 24 unter Hinweis auf die „Vorleistungspflicht des Krankenhauses“ und das kompensatorische Beschleunigungsgebot; sowie LSG NRW, Urteil vom 18.12.2013 – L 11 KR 378/12, juris Rn. 35 im Hinblick auf eine denkbare Liquiditätsgefährdung des Krankenhauses) nicht auf die Rechtsnatur des Gegenanspruchs der Krankenkasse – hier: desjenigen auf eine Aufschlagszahlung – ankommt (so bereits LSG NRW, Beschluss vom 30.10.2017 – L 16 KR 780/16 NZB, juris Rn 9, dort zum Anspruch auf Erstattung einer Aufwandspauschale als Gegenforderung der Krankenkasse).

b) Das landesvertragliche Aufrechnungsverbot wird vorliegend auch nicht durch höherrangiges Recht verdrängt, weder durch die Prüfverfahrensvereinbarung (vom 03.02.2016 <PrüfvV>) noch durch § 109 Abs. 6 SGB V (i.d.F. des MDK-Reformgesetzes vom 14.12.2019, BGBl. I 2789).

Zwar schließen die in § 10 PrüfvV vorgesehen Zahlungs- und Aufrechnungsregelungen ein landesvertraglich geregeltes Aufrechnungsverbot aus (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2022 – B 1 KR 27/21 R Rn. 10; Urteil vom 10.11.2021 – B 1 KR 36/20 R, Rn. 22; Urteil vom 30.07.2019 – B 1 KR 31/18 R, Rn. 26 f.; jeweils zur PrüfvV 2014). Vorliegend ist aber der Anwendungsbereich der Aufrechnungsregel des § 10 S. 1 PrüfvV nicht eröffnet. Diese betrifft lediglich Fälle, in denen Krankenkassen „einen nach Beendigung des Vorverfahrens einvernehmlich als bestehend festgestellten oder nach § 8 [PrüfvV] mitgeteilten Erstattungsanspruch mit einem unstreitigen Leistungsanspruch des Krankenhauses aufrechnen.“ Vorliegend geht es aber nicht um die Aufrechnung mit einem Anspruch auf Erstattung überzahlter Krankenhausvergütung i.S.d. § 10 S. 1 PrüfvV, sondern um die Aufrechnung mit dem Anspruch auf eine Aufschlagszahlung.

I.Erg. nichts Anderes gilt für § 109 Abs. 6 S. 1 SGB V. Dieser enthält seinerseits ein Aufrechnungsverbot, wonach Krankenkassen gegen Forderungen von Krankenhäusern, die aufgrund der Versorgung von ab dem 01.01.2020 aufgenommenen Patientinnen und Patienten entstanden sind, nicht mit Ansprüchen auf Rückforderung geleisteter Vergütungen aufrechnen können (zur abweichenden Regelung nach § 10 S. 1 PrüfvV i.V.m. §§ 109 Abs. 6 S. 3 SGB V, 17c Abs. 2 S. 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz <KHG> s. bereits oben).

Auch ist nicht erkennbar, dass sich aus § 109 Abs. 6 S. 1 SGB V im Umkehrschluss ergäbe, dass Aufrechnungen seitens der Krankenkassen in den von diesem nicht erfassten Fällen zulässig wären. Weder aus dem Gesetz noch aus der Gesetzbegründung (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/13397, 54, Beschlussempfehlung und Bericht des Gesundheitsausschusses, BT-Drs. 19/14871, 98; <jeweils zu Art. 1 Nr. 6>) ergibt sich, dass der Gesetzgeber bereits früher bestehende landesvertragliche Aufrechnungsverbote einschränken wollte (dazu bereits LSG NRW, Urteile vom 22.12.2021, a.a.O. Rn. 51; vom 15.11.2022, a.a.O. Rn. 38; vgl. auch Hess in BeckOGK-SGB V <Stand: 01.05.2020>, § 109 Rn. 16: „grds. Aufrechnungsausschluss“; zu Aufrechnungsregeln als Vertragsgegenstand i.S.d. § 112 Abs. 2 S. 1 Buchst. b SGB V vgl. zudem Wahl in jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, § 112 Rn. 65; Becker in Becker/Kingreen, SGB V, 8. Aufl. 2022, § 112 Rn. 8). Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ging es vielmehr ausdrücklich darum, die „negativen Folgen von Aufrechnungen zu begrenzen“, namentlich die Entstehung von Liquiditätsengpässen aufseiten der Krankenhäuser infolge von Aufrechnungen sowie die Verlagerung des Prozessrisikos von den Krankenkassen auf die -häuser (BT-Drs. 19/13397, 54). Teilweise wird vor diesem Hintergrund sogar eine analoge Anwendung des Aufrechnungsverbots nach § 109 Abs. 6 S. 1 SGB V u.a. auf die Aufschlagszahlung erwogen (so Bockholdt in Hauck/Noftz, SGB V <Stand: XI/2021>, § 109 Rn. 221e).

Dass die Datenübermittlungs-Vereinbarung (vom 05.12.1994, zuletzt i.d.F. vom 29.03.2023) die Durchsetzung von Aufschlagszahlungen allein im Wege der Aufrechnung vorsähe, lässt sich – entgegen dem Vorbringen der Beklagten – den dortigen Regelungen nicht entnehmen. Deren Anl. 5 – Durchführungshinweise – (dort Ziff. 1.4.13) sieht lediglich vor, dass die Krankenkasse „[i]m Rahmen einer SAMU [Sammelüberweisung] den Aufschlag gemäß § 275c Abs. 3 SGB V mit o.g. Rechnungsnummer ein[stellt].“ Damit regelt die Vereinbarung nur den Fall, dass die die Krankenkasse Aufschlagszahlung tatsächlich „[i]m Rahmen einer SAMU“ geltend macht. Dass die Krankenkasse eine Aufschlagszahlung überhaupt nur im Rahmen einer SAMU geltend machen dürfte, sieht die Vereinbarung dagegen nicht vor. Dies erschiene auch fernliegend, denn dann könnten Krankenkassen etwa in Fällen, in denen dem Krankenhaus keine Hauptforderungen zustehen, mit denen sie aufrechnen könnten, Ansprüche auf Aufschlagszahlung i.Erg. nicht geltend machen. Ob eine Regelung, wie sie die Beklagte behauptet, mit höherrangigem Recht vereinbar wäre, bedarf danach keiner Entscheidung.

Auf die Frage nach der Auslegung der Wendung „[a]b dem Jahr 2022“ in § 275c Abs. 3 S. 1 SGB V n.F. kommt es nach allem ebenfalls nicht an. Inwieweit diese Frage grundsätzlich bedeutsam ist, mag dahinstehen.

2. Der Zulassungsgrund der Divergenz nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG ist ebenfalls nicht gegeben. Es ist nicht ersichtlich, dass das SG einen von der Rechtsprechung der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweichenden abstrakten Rechtsgrundsatz aufgestellt hätte. Dies macht auch die Beklagte nicht geltend.

3. Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines Verfahrensmangels gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG zuzulassen. Ein Verfahrensmangel in diesem Sinne ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt, wobei es nicht es nicht um die Richtigkeit der Entscheidung des SG geht, sondern um dessen prozessuales Vorgehen auf dem Weg zum Urteil („error in procedendo“, vgl. Keller a.a.O., § 144 Rn. 32). Der Verfahrensmangel muss dabei der Beurteilung des Landessozialgerichts unterliegen und die angegriffene Entscheidung muss auf ihm beruhen können (näher dazu jeweils Keller a.a.O., § 144 Rn. 33 ff.).

Der von der Beklagten gerügte Verfahrensmangel

– dass das SG sich mit ihrem Vortrag zu den Zweifeln des BSG an dem landesvertraglichen Aufrechnungsverbot nicht dezidiert auseinandergesetzt und dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe –

liegt indes nicht vor.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 Hs. 1 SGG; Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht zwar, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, es ist aber nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Auch wenn die schriftlichen Entscheidungsgründe zu einem bestimmten Beteiligtenvortrag nichts enthalten, ist i.d.R. davon auszugehen, dass die Gerichte dieses Vorbringen pflichtgemäß zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung berücksichtigt haben. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen liegt vielmehr dann vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 08.09.1982 – 2 BvR 676/81, juris Rn. 3; Beschluss vom 27.05.2016 – 1 BvR 1890/15, amtl. Rn. 14 f.; Beschluss vom 12.09.2016 – 1 BvR 1311/16, Rn. 3; alle m.w.N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör bietet auch keinen Schutz davor, dass das Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfG, Beschluss vom 27.05.2016, a.a.O.).

Derartige Umstände legt die Beklagte nicht dar, sondern sie rügt lediglich, dass das SG es „versäumt [habe], seinen Standpunkt nach allen Seiten hin umfassend zu vertreten.“ Damit gesteht die Beklagte aber selbst zu, dass das SG sein Vorbringen zur Kenntnis genommen und sich hierzu eine Rechtsauffassung gebildet hat. Die Beklagte rügt im Kern lediglich, dass die Entscheidungsgründe des SG eine vermeintlich gebotene Tiefe nicht erreichten. Auch dieses Vorbringen ist aber nicht nachvollziehbar, nachdem das SG gut zwei Druckseiten (S. 6 bis 8) auf das landesvertragliche Aufrechnungsverbot und dessen Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht verwandt hat. Anders als die Beklagte vorträgt, beschränken sich die Entscheidungsgründe des SG mithin nicht auf einen „pauschalen Verweis“ auf die st.Rspr. des erkennenden Gerichts sowie die Feststellung, der Anwendungsbereich der PrüfvV sei nicht eröffnet. Insbesondere hat das SG auch ausgeführt, warum nach seiner Rechtsansicht die vom Beklagten bemühten Erwägungen des BSG (Urteil vom 30.07.2019, a.a.O. Rn. 26 ff.) auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar waren, nämlich weil es vorliegend um die Aufrechnung mit einer Aufschlagszahlung ging. Eine weitere Auseinandersetzung mit der BSG-Rspr. hat sich nach diesem Rechtsstandpunkt des SG erübrigt.

4. Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung folgen aus § 197a Abs. 1 S. 1 Ts. 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung bzw. §§ 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 3 S. 1, 47 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.

5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

6. Mit der Ablehnung der Beschwerde wird die angegriffene Entscheidung des SG rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 S. 4 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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