L 6 AS 1664/23 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 25 AS 31444/23 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 1664/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 16.11.2023 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

 

Gründe:

 

I.

 

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) ab dem 01.05.2023 zu gewähren.

 

Der am 00.00.0000 geborene Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger und verfügt über eine Aufenthaltsgenehmigung bis zum 17.10.2024. Er bewohnt (gemeinsam mit seinen Neffen – dazu weiter unten) eine Wohnung in der Q.-straße in V.. Die Bruttowarmmiete für die Wohnung beträgt 780 € (450 € Grundmiete, 150 € Betriebskostenvorauszahlungen, 150 € Heizkostenvorauszahlungen, 30 € für einen Fahrzeugstellplatz). Der Antragsteller war jedenfalls bis Mai 2023 bei der Firma K. GmbH & Co. KG abhängig beschäftigt. Aufgrund längerer Erkrankung des Antragstellers endete die Entgeltfortzahlung der Arbeitgeberin zum 14.05.2023. Nach eigenen Angaben kündigte der Antragsteller das Arbeitsverhältnis, da seine Arbeitgeberin ihm den Lohn für den Monat Juni 2023 nicht gezahlt habe.

 

Am 25.05.2023 beantragte er bei dem Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sein derzeitiges monatliches Einkommen von 789 € reiche nicht aus, um die Miete sowie die Nebenkosten und Lebensmittel zu zahlen. Mit Schreiben vom 01.06.2023 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, u. a. lückenlose Kontoauszüge zu seinem Konto für die letzten drei Monate ab Antragstellung zu übersenden. Der Aufforderung kam der Antragsteller in der Folge nur teilweise nach. Aus den übersandten Kontoauszügen zu seinem Konto bei der Kreissparkasse P., Konto-Nummer: N01, ist ersichtlich, dass ihm am 09.05.2023 Arbeitsentgelt in Höhe eines Betrages von 871,85 € (Gehalt für April 2023, 2. Hälfte) sowie am 30.05.2023 in Höhe eines Betrages von 1.056,23 € (Gehalt für Mai 2023) zufloss. Der Antragsteller übersandte zudem den Bescheid seiner Krankenversicherung vom 07.07.2023 zur Verwaltungsakte, mit dem ihm für den Zeitraum vom 15.05.2023 bis zum 03.06.2023 Krankengeld i. H. v. 40,89 € netto pro Kalendertag bewilligt worden war. Ausweislich einer ebenfalls zur Verwaltungsakte gereichten Umsatzanzeige wurde seinem Konto am 12.07.2023 eine Nachzahlung auf das Krankengeld i. H. v. 817,80 € gutgeschrieben. Mit Schreiben vom 24.07.2023 forderte der Antragsgegner den Antragsteller unter Fristsetzung bis zum 10.08.2023 (nochmals) auf, u. a. lückenlose Kontoauszüge zu seinen Konten für den Zeitraum vom 01.05.2023 bis laufend zu übersenden. Mit Bescheid vom 15.08.2023 versagte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.05.2023 vollständig. Zur Begründung berief er sich darauf, der Antragsteller habe die mit den Mitwirkungsaufforderungen angeforderten Unterlagen nicht eingereicht. Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 25.08.2023 Widerspruch und teilte zudem mit, dass er zwei minderjährige Neffen, F. T. und W. T., bei sich aufgenommen habe. Ferner überreichte er den Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 23.08.2023, wonach er seit dem 08.08.2023 bis zum 06.02.2024 Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) i. H. v. 24,52 € pro Kalendertag bezog. Mit Schreiben vom 14.08.2023 forderte der Antragsgegner den Antragsteller erneut zur Vorlage lückenloser Kontoauszüge ab dem 01.05.2023 auf. Der Antragsteller übersandte daraufhin erneut teilweise nicht vollständig leserliche und nicht vollständige Auszüge zu seinem o. g. Konto.

 

Am 08.11.2023 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht (SG) Köln um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Er hat zur Begründung in der Sache vorgetragen, dass dem Antragsgegner alle angeforderten Unterlagen vollständig vorlägen. Er sei seit fünf Monaten mit der Miete in Verzug. Der Vermieter drohe mit der Kündigung der Unterkunft. Er betreue in seiner Wohnung zwei Neffen (F. [*00.00.0000 und W. [*00.00.0000] T.), die im Erdbebengebiet in der Türkei körperlich und seelisch zu Schaden gekommen seien. Er erhalte derzeit lediglich Arbeitslosenhilfe i. H. v. 793 €/Monat. Sein Bankkonto sei mit 3.300 € überzogen, da er für die Zahlung der Miete seinen Dispositionskredit habe in Anspruch nehmen müssen. Er habe sich ferner Geld von Dritten leihen müssen. Er habe Wohngeld bei der Stadt V. beantragt und zwischenzeitlich sein Auto und seinen Fernseher verkauft, um die Miete zahlen und Lebensmittel kaufen zu können. Ein schriftlicher Vertrag darüber existiere nicht. Seine Neffen würden seit dem 01.09.2023 bei ihm leben und vom Jugendamt V. betreut. Die Lebensmittel würden vom Jugendamt bezahlt.

 

Der Antragsteller hat sinngemäß beantragt,

 

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig ab dem 01.05.2023 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

 

Der Antragsgegner hat schriftsätzlich beantragt,

 

den Antrag abzulehnen.

 

Zur Begründung hat er ausgeführt, der Antragsteller habe die fehlenden Kontoauszüge trotz mehrfacher Aufforderung nicht vorgelegt. Es hätten deswegen keine Erkenntnisse über Einkommen und Vermögen des Antragstellers gewonnen werden können. Zudem komme eine Bewilligung von Kosten der Unterkunft und Heizung nicht in Betracht, weil hierzu weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht seien. Mietrückstände oder die Kündigung des Mietverhältnisses seien nicht nachgewiesen.

 

Auf entsprechende Anforderung des SG hat der Antragsteller lückenhafte und nicht vollständige lesbare Kontoauszüge zu seinem o. g. Konto für den Zeitraum vom 31.07.2023 bis 04.11.2023 zur Akte gereicht. Daraus ist ersichtlich, dass ihm am 27.09.2023 für den Monat September 2023 Pflegegeld (nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe – [SGB VIII]) i. H. v. ca. 685 € für F. T. und i. H. v. ca. 791 € für W. T. und für den Monat Oktober 2023 i. H. v. 1.083 € für F. T. und i. H. v. 1.250 € für W. T. zugeflossen ist.

 

Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 16.11.2023 abgelehnt. Soweit der Antragsteller Leistungen rückwirkend für den Zeitraum ab dem 01.05.2023 begehre, müsse dies ohne Erfolg bleiben, weil im gerichtlichen Eilverfahren Leistungen grundsätzlich erst ab Eingang des Antrages bei Gericht beansprucht werden könnten. Für den davorliegenden Zeitraum habe der Antragsteller keinen besonderen Nachholbedarf, der in die Gegenwart fortwirke, glaubhaft gemacht, so dass ein Anordnungsgrund nicht vorliege. Für die Zeit ab Antragstellung bei Gericht habe er weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Soweit er vortrage, dass seine zwei minderjährigen Neffen mit ihm gemeinsam in seiner Wohnung lebten, spreche einiges dafür, dass auf ihn unter Berücksichtigung des Kopfteilprinzips lediglich ein Anteil von 1/3 der tatsächlichen Kosten der Unterkunft, d. h. ein Betrag von 260 € entfielen. Zusammen mit dem Regelbedarf i. H. v. 502 € bestehe ein auf den Antragsteller entfallender monatlicher Gesamtbedarf i. H. v. 762 €. Ausweislich des Bescheides der Bundesagentur für Arbeit erhalte der Antragsteller Arbeitslosengeld i. H. v. 735 € monatlich. Hiermit könne er zwar den errechneten Betrag nicht vollständig decken, ein Anordnungsanspruch sei dennoch nicht glaubhaft gemacht. Denn offensichtlich erhalte der Antragsteller anlässlich der Aufnahme seiner beiden Neffen Leistungen der Stadt V. in nicht unerheblicher Höhe. Es sei nicht vollständig geklärt, ob es sich bei diesen Leistungen um zumindest teilweise anrechenbares Einkommen handele. Ferner ergäben sich aus den vorgelegten Kontoauszügen zahlreiche Bargeldeinzahlungen, die der Antragsteller nicht hinreichend erklärt habe. Auch insoweit handele es sich möglicherweise um anrechenbares Einkommen. Es obliege dem Antragsteller im laufenden Widerspruchsverfahren vollständige Erklärungen und Nachweise zu seiner aktuellen wirtschaftlichen Situation vorzulegen. Ferner habe er das Bestehen einer aktuellen Notlage und damit einen Anordnungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Denn die Kontoauszüge zu seinem Konto habe er nicht vollständig vorgelegt. Es sei u. a. nicht erkennbar, ob sich das Konto im Soll oder im Haben befinde.

 

Gegen den Beschluss hat der Antragsteller am 21.11.2023 Beschwerde erhoben. Das SG habe den Eilantrag zu Unrecht abgelehnt. Er habe die angeforderten Kontoauszüge vollständig übersandt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung bei dem Antragsgegner habe vom Jugendamt Bonn-Rhein-Sieg kein Geld und kein Leistungsbescheid vorgelegen. Er habe bis heute lediglich einen Pflegevertrag mit dem Jugendamt, der keine Hinweise auf Zahlungen enthalte. Geld von der Familienkasse erhalte er nicht. Er habe erstmals am 27.09.2023 finanzielle Hilfe vom Jugendamt erhalten. Gültige Krankenversicherungen für seine Neffen bestünden nicht. Sein Konto sei mit 3.900 € überzogen.

 

Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

 

ihm unter Abänderung des Beschlusses des SG Köln vom 16.11.2023, S 25 AS 3144/23 ER vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem 01.05.2023 zu gewähren.

 

Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich,

 

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren und verweist auf die den Beschluss des SG tragenden Gründe.

 

Der Antragsteller hat Kontoauszüge zu seinem o. g. Konto bei der Kreissparkasse D. für die Zeiträume vom 01.05.2023 bis zum 21.07.2023 sowie vom 30.10.2023 bis zum 22.01.2024 übersandt. Daraus ist ersichtlich, dass ihm am 29.11.2023 sowie am 28.12.2023 Arbeitslosengeld i. H. v. 735,60 € sowie für die beiden Neffen durch die Stadt V. folgende Pflegegeldbeträge zugeflossen sind: am 10.11.2023 für den Monat November 2023 für W. 1.250 € und für F. 1.083 €, am 29.11.2023 für den Monat Dezember 2023 für W. 1.285 € und für F. 1.118 € sowie am 22.12.2023 jeweils 1.250 € für beide Neffen. Auf entsprechenden Hinweis des Senats vom 19.12.2023, dass aufgrund des Einkommens Zweifel an seiner Hilfebedürftigkeit bestehen, hat der Antragsteller mitgeteilt, dass es ihm insbesondere um die Zeiträume vor dem Einzug der beiden Neffen in seine Wohnung gehe.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2023 hat der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers gegen den Versagungsbescheid vom 15.08.2023 zurückgewiesen. Dagegen hat der Antragsteller Klage vor dem SG Köln erhoben, die dort unter dem Aktenzeichen S 15 AS 3451/23 geführt wird.  

 

Aus einer vom Senat angeforderten Auskunft der Stadt V. geht hervor, dass für Februar 2024 Pflegegeld für W. und F. T. i. H. v. insgesamt 3.407,56 € (inklusive 127,56 € Bekleidungsgeld für W.) an den Antragsteller überwiesen wurde.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der (elektronischen) Prozessakte und der elektronischen Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.

 

 

II.

 

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des SG Köln vom 16.11.2023 hat keinen Erfolg. Das SG hat seinen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu Recht abgelehnt.

 

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgemäß erhoben (§§ 172, 173 SGG), aber unbegründet.

 

Die Voraussetzungen nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind – wie das SG zutreffend ausgeführt hat – nicht erfüllt.

 

a) Dabei steht im Ausgangspunkt einer Anwendung von § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG nicht entgegen, dass der Antragsgegner dem Antragsteller die beantragten Leistungen mit (noch nicht bestandskräftigem) Bescheid vom 15.08.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2023 gemäß § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) zwischenzeitlich versagt hat, so dass in der Hauptsache allein die Anfechtungsklage statthaft wäre und damit eigentlich ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt. Denn da eine Entscheidung gemäß § 86b Abs. 1 SGG dem Antragsteller nicht zur begehrten vorläufigen Leistungsgewährung verhilft, ist ausnahmsweise der Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG (weiter) möglich und (im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen) geboten (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 14. Auflage 2023, § 86b Rn. 29b).

 

b) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine einstweilige Anordnung ergeht demnach nur, wenn sie zur Abwendung wesentlicher, nicht wiedergutzumachender Nachteile für den Antragsteller notwendig ist. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, also des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dabei hat der Antragsteller wegen der von ihm geltend gemachten Eilbedürftigkeit der Entscheidung die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 202 SGG in Verbindung mit § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im summarischen Verfahren (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 29.07.2003, 2 BvR 311/03).

 

aa) Mit Blick auf die vom Antragsteller geltend gemachten Leistungen fehlt es dem für die Zeit ab dem am 08.11.2023 gestellten Antrag auf Eilrechtsschutz an der für den Erlass einer Regelungsanordnung im Sinne des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erforderlichen Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.

 

Dabei lässt der Senat ausdrücklich offen, welche Einkünfte im Einzelnen bei welchem der Bewohner der Wohnung Q.-straße anzurechnen sind und ob auch die Neffen des Antragstellers ggf. eigene Ansprüche für den hier fraglichen Zeitraum gegenüber dem Antragsgegner geltend machen könnten.

 

Denn ein Anordnungsgrund besteht jedenfalls dann nicht, wenn der Antragsteller gegenwärtig auf eigene Mittel oder zumutbare Hilfe Dritter zurückgreifen kann (Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.10.2023, L 3 AS 2391/23 ER-B; Burkiczak in jurisPK-SGG, 2. § 86b, Stand: 06.10.2023, Rn. 417 m. w. N.), die seinen Bedarf decken. Dies ist vorliegend der Fall.

 

(1) Es ist nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller durch die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch ein ggf. nachfolgendes Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden könnten. Denn der Antragsteller verfügt(e) über ausreichende, unmittelbar verwertbare finanzielle Mittel, um sicherzustellen, dass er – jedenfalls vorübergehend – seinen Lebensunterhalt sichern kann. Der mit der vorübergehenden Verauslagung dieser Mittel verbundene Nachteil kann damit durch eine spätere Leistungsgewährung für den entsprechenden Zeitraum ausgeglichen werden. Dies ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, Beschluss vom 20.05.2020, 1 BvR 2289/19; BVerfG, Beschluss vom 21.09.2016, 1 BvR 1825/16).

 

Für den alleinstehenden Antragsteller beträgt der monatliche Regelbedarf gemäß der Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 5 SGB II i. V. m. der Tabelle in der Anlage zu § 28 Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) i. V. m. § 134 Abs. 2 SGB XII in den Monaten November und Dezember 2023 502 € und ab dem 01.01.2024 nach § 20 Abs. 1a Satz 3 SGB II i. V. m. § 28 Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) i. V. m. dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28a und 40 SGB XII i. V. m. der für das Jahr 2024 geltenden Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 563 €. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt. Diese belaufen sich nach den Ausführungen des Antragstellers auf monatlich 780 €. Da mit ihm gemeinsam noch seine beiden minderjährigen Neffen die Wohnung bewohnen, entfällt davon unter Zugrundelegung des sog. Kopfteilprinzips auf den Antragsteller ab dem Zuzug der Neffen lediglich 1/3, d. h. ein Betrag von 260 €. Daraus ergibt sich für den Antragsteller ein Gesamtbedarf i. H. v. 762 € für die Monate November bis Dezember 2023 und für den Zeitraum ab dem 01.01.2024 i. H. v. 823 €.

 

(2) Dieser Gesamtbedarf ist durch das dem Antragsteller ausweislich der zur Akte gereichten Kontoauszüge zugeflossene Einkommen gedeckt. Der Kläger erhält ausweislich der entsprechenden Bescheide sowie der zur Gerichtsakte gereichten Kontoauszüge Arbeitslosengeld i. H. v. 735,60 € pro Monat. Für seine beiden Neffen sind ihm durch die Stadt V. ferner Pflegegeldbeträge nach § 39 SGB VIII für Vollzeitpflege in folgender Höhe zugeflossen:

 

  • am 10.11.2023 für den Monat November 2023: für W. 1.250 € und für F. 1.083 €
  • am 29.11.2023 für den Monat Dezember 2023: für W. 1.285 € und für F. 1.118 €
  • am 22.12.2023 für den Monat Januar 2024 jeweils 1.250 € für beide Neffen
  • für den Monat Februar 2024 insgesamt 3.407,56 € für beide Neffen.

 

Diese Beträge setzen sich jeweils zusammen aus dem Entgelt für tatsächliche Ausgaben (Aufwendungsersatz) und einem Anerkennungsbetrag für den erzieherischen Einsatz (vgl. dazu im Einzelnen Söhngen in jurisPK-SGB II, Stand: 07.03.2023, § 11a Rn. 62). Der Anerkennungsbetrag für den erzieherischen Einsatz ist deutlich höher als die hier bestehende Deckungslücke zwischen Arbeitslosengeld und überschießendem Bedarf (26,40 € monatlich in 2023; 87,40 € monatlich in 2024) – vgl. dazu etwa die Runderlasse des Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration betreffend die „Pauschalbeträge bei Vollzeitpflege und Barbeträge gemäß § 39 SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe“ (N02 bzw. N03) vom 08.12.2022 bzw. 08.12.2023.

 

Dass dem Antragsteller gem. § 11a Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB II der Teil des Pflegegeldes für den erzieherischen Bedarf für die ersten beiden Pflegekinder nicht als Einkommen zugerechnet werden kann, ist nach Auffassung des Senats im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht beachtlich. Denn Einkommen, welches aufgrund der Regelungen des SGB II nicht angerechnet werden kann, ist insofern Einkommensfreibeträgen gleichzustellen. Solche Beträge können – ebenso wie Einkommensfreibeträge – im Rahmen der Prüfung eines Anspruches im einstweiligen Rechtsschutzes unberücksichtigt bleiben (vgl. zu Einkommensfreibeträgen: Beschluss des Senats vom 23.04.2019, L 6 AS 118/19 B ER, so auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.10.2023, L 3 AS 2391/23 ER-B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.10.2015, L 19 AS 1623/15 B ER; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 17.04.2015, L 4 AS 137/15 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27.07.2015, L 13 AS 205/15 B ER).

Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch der (fiktive) Gesamtbedarf der Haushaltsgemeinschaft durch das zugeflossene Arbeitslosen- und Pflegegeld im gesamten Zeitraum ab Antragstellung beim SG gedeckt war.

 

bb) Soweit der Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe des Regelbedarfs vor Antragstellung bei Gericht (also bis zum 08.11.2023) begehrt, mangelt es – wie das SG schon zu Recht ausgeführt hat – ebenfalls an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds. Denn im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d. h. gegenwärtigen Notlage erforderlich sind (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.09.2015, L 19 AS 1061/15 B ER m. w. N.). Nur ausnahmsweise, wenn die Nichtgewährung der begehrten Leistung in der Vergangenheit noch in die Gegenwart fortwirkt und infolge dessen eine aktuelle Notlage besteht, kann von diesem Grundsatz eine Ausnahme gemacht werden. Gesichtspunkte, die in dem vorliegenden Einzelfall ein Abweichen von diesem Grundsatz gebieten können, hat der Antragsteller weder vorgetragen noch sind solche anderweitig aus den Akten ersichtlich. Vielmehr hat der Antragsteller insbesondere hinsichtlich der zwischenzeitlich aufgelaufenen Mietschulden selbst vorgetragen, dass er entstandene Mietschulden durch Darlehen Dritter beglichen habe. Eine Kündigung der Wohnung durch den Vermieter ist nach seinen Angaben bislang nicht ausgesprochen worden. Die Miete ist ausweislich der vorgelegten Kontoauszüge regelmäßig gezahlt worden.

 

2. Die Kostenentscheidung folgt mit Blick auf die Kosten für das Beschwerdeverfahren aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

3. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar

(§ 177 SGG).

 

 

Rechtskraft
Aus
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