L 11 EG 1686/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 6 EG 1249/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 EG 1686/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Setzt die Beklagte Elterngeld nach zunächst vorläufiger Bewilligung endgültig fest, richtet sich eine spätere (zweite) Änderung dieses Bescheids nicht nach § 26 Abs. 2 BEEG iVm. § 328 Abs.3 SGB III, sondern nach der allgemeinen Regelung des § 45 SGB X.

Auf die Berufung und die Klage des Klägers werden die Bescheide der Beklagten vom 14.04.2022 sowie vom 17.11.2023 in Bezug auf die Lebensmonate 5 bis 8, 11, 14, 19 bis 26 aufgehoben.

Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen trägt die Beklagte ein Drittel.



Tatbestand

Streitig ist die Höhe der endgültigen Festsetzung von Elterngeld und dessen Erstattung.

Der 1978 geborene Kläger ist Vater des 2017 geborenen Sohnes E1 sowie des 2015 geborenen Geschwisterkindes T1. Er lebt mit beiden Kindern und seiner 1989 geborenen Ehefrau in einem gemeinsamen Haushalt. Seit dem 01.06.2004 steht er in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis beim
Rettungsdienst des D1 - Kreisverband M1 e.V.

Der Ehefrau des Klägers wurde im Zeitraum vom 17.09.2015 bis 16.09.2016 Elterngeld in Bezug auf den älteren Sohn T1 bewilligt (vgl. Bewilligungsbescheid Bl. 110 Verwaltungsakte), vom 20.10.2017 bis 26.01.2018 bezog sie wegen E1 Mutterschaftsgeld seitens der gesetzlichen Krankenversicherung (Bl. 95 Verwaltungsakte) sowie einen Zuschuss ihres Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld (Bl. 91 Verwaltungsakte). Nach der Geburt von E1 wurde ihr mit Bescheid vom 09.02.2018 (Bl. 75 Verwaltungsakte) Elterngeld für den 1. bis 8. Lebensmonat bewilligt, und zwar für den 1. bis 3. Lebensmonat Basis-Elterngeld unter Anrechnung von Mutterschaftsleistungen sowie vom 5. bis 8. Lebensmonat Elterngeld unter Inanspruchnahme von Partnerschaftsbonusmonaten.

Am 08.12.2017 (Bl. 142 ff. Verwaltungsakte) beantragte der Kläger die Bewilligung von Basis-Elterngeld für den 1. und 4. Lebensmonat von E1 sowie Elterngeld Plus für dessen 5. bis 26. Lebensmonat. Er gab an (vgl. Fragebogen Bl. 125 ff. Verwaltungsakte), im 1. und 4. Lebensmonat seines Sohnes keinerlei Einkünfte aus Erwerbstätigkeit zu erzielen. Außerdem legte er eine Arbeitgeberbescheinigung vor, ausweislich derer er während des Bezugs von Elterngeld ab dem 27.03.2018 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25,20 Stunden (Bruttoeinkommen jeweils monatlich 1.883,05 €) beschäftigt sei (Bl. 88 Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 13.02.2018 (Bl. 54 Verwaltungsakte) bewilligte die Beklagte dem Kläger daraufhin Basis-Elterngeld für den 1. und 4. Lebensmonat seines Sohnes in Höhe von jeweils 1.316,49 €, Elterngeld für den 5. bis 8. Lebensmonat als Partnerschaftsbonusmonate in Höhe von monatlich 435,23 €, Elterngeld Plus für den 9. bis 10. Lebensmonat in Höhe von ebenfalls monatlich 435,23 € sowie für den 11. bis 26. Lebensmonat in Höhe von monatlich 359,66 €. Die Elterngeldbewilligung erfolgte vorläufig aufgrund der für den Bezugszeitraum noch nicht feststehenden Höhe des klägerischen Einkommens sowie einer ausstehenden abschließenden Prüfung über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Bewilligung von Partnerschaftsbonusmonaten.

Auf Anforderung der Beklagten legte der Kläger am 27.03.2020 eine Arbeitgeberbescheinigung vom 25.03.2020 über das im Bezugszeitraum des Elterngeldes erzielte Einkommen sowie die in diesem Zeitraum geleistete wöchentliche Arbeitszeit vor (Arbeitszeit stets 25,2 Stunden pro Woche ab 27.03.2018, Bruttoeinkommen in unterschiedlicher Höhe zwischen 1.190,72 € und 2.790,61 €, Bl. 32 ff. Verwaltungsakte). Auf dieser Grundlage erließ die Beklagte unter dem 14.05.2020 einen Änderungsbescheid (Bl. 363 Verwaltungsakte), mit dem sie die Höhe des Elterngeldes endgültig festsetzte. Dem Kläger wurden unverändert 1.316,49 € monatlich als Basis-Elterngeld für den 1. bis 4. Lebensmonat bewilligt. Für den 5. bis 8. Lebensmonat wurden die Zahlungen für Partnerschaftsbonusmonate - wegen höheren Einkommens als zuvor angegeben - auf monatlich 250,65 € reduziert. Derselbe Betrag wurde auch als Elterngeld Plus für den 9. bis 10. Lebensmonat bewilligt. Vom 11. bis 26. Lebensmonat bewilligte die Beklagte dem Kläger Elterngeld Plus in Höhe von monatlich 213,15 €. Für die bisher ausgezahlten Monate habe der Kläger daher 4.027,64 € zu viel Elterngeld erhalten, das er zu erstatten habe. Die Höhe des seiner Ehefrau bewilligten Elterngeldes blieb unverändert (Bescheid vom 14.05.2020, Bl. 357 Verwaltungsakte).

Hiergegen legte der Kläger am 26.05.2020 Widerspruch ein. Er machte - unter Vorlage der Gehaltsmitteilungen - geltend (Bl. 297 ff. Verwaltungsakte), dass die in der Arbeitgeberbescheinigung angegebenen Bruttoeinkommensbeträge für den Zeitraum vom 27.11.2017 bis 26.01.2020 überhöht sein, da diese Vergütungen für Überstunden enthielten, die bereits vor der Geburt seines zweiten Sohnes erarbeitet, aber erst später, also erst im Bezugszeitraum, abgerechnet worden seien. Zum Nachweis legte der Kläger die diesbezüglichen Unterlagen zu geleisteten Überstunden vor. Demnach habe er bis zur Geburt seines Sohnes bereits über 160,19 Überstunden erarbeitet (vgl. Bl. 248 Verwaltungsakte, „Übertrag“ 160,19 im Stundennachweis vom 01.11.2017 bis 31.11.2017). Die vor dem Bezugszeitraum erarbeiteten, jedoch erst im Bezugszeitraum ausbezahlten Überstundenvergütungen dürften bei der Berechnung des im Bezugszeitraum erzielten Einkommens nicht berücksichtigt werden. Es handle sich dabei um sonstige Bezüge, nicht um laufende Zahlungen.

Unter Berücksichtigung der mit dem Widerspruch vorgelegten und seitens der Beklagten anschließend nachgeforderten Gehaltsmitteilungen des Klägers erließ die Beklagte unter dem 09.03.2021 einen weiteren - rein begünstigenden - Änderungsbescheid (Bl. 201 Verwaltungsakte). Im Vergleich zur vorangegangenen erstmaligen endgültigen Festsetzung vom 14.05.2020 wurden dem Kläger nunmehr für den 5. bis 8. und 9. bis 10. Lebensmonat höhere Leistungen in Höhe von monatlich 254,23 € als Partnerschaftsbonusmonate bzw. Elterngeld Plus bewilligt. Auch das Elterngeld Plus für den 11. bis 26. Lebensmonat wurde auf monatlich 216,73 € erhöht. Der Kläger habe damit nunmehr nur noch 3.948,88 € zu viel gezahltes Elterngeld zu erstatten. Dieser Änderungsbescheid werde nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens.

Auf die mit Schreiben vom 29.03.2021 seitens der Beklagten nachträglich durchgeführte Anhörung auf Grundlage des § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X, vgl. Bl. 181 ff. Verwaltungsakte) zur endgültigen Festsetzung (Bescheid vom 14.05.2020 in der Form des Bescheides vom 09.03.2021) wiederholte der Kläger zunächst den Vortrag seines Widerspruchsschreibens. Er wandte weiter ein (Bl. 173 Verwaltungsakte), dass die gezahlten Überstundenvergütungen keine laufenden und regelmäßigen Zahlungen darstellten. Denn nach dem für ihn geltenden DRK-Reformtarifvertrag seien Überstunden grundsätzlich durch Freizeit auszugleichen. Dies sei in der Vergangenheit auch geschehen. Aufgrund einer äußerst angespannten Personalsituation habe sodann nur ausnahmsweise anstelle des Freizeitausgleichs eine Auszahlung der Überstundenvergütung stattgefunden. Diese sei erstmals im Dezember 2017 und dann wieder ab Oktober 2018 erfolgt. Der Kläger verwies insoweit auf ein Schreiben des stellvertretenden Leiters des Rettungsdienstes des DRK-Kreisverbands M1 e.V. vom 09.04.2021, das dies bestätigte. Als sonstiger Bezug dürften die Überstundenvergütungen nicht dem Einkommen im Bezugszeitraum zugerechnet werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.04.2021 (Bl. 162 Verwaltungsakte) wies die Beklagte den Widerspruch, soweit ihm nicht durch Änderungsbescheid vom 09.03.2021 bereits abgeholfen wurde, zurück. Im Bemessungszeitraum für die Bewilligung von Elterngeld sei ein elterngeldrelevantes Einkommen vor Geburt i.H.v. 1.841,24 € zu berücksichtigen. Für den ersten und vierten Lebensmonat sowie den 5. bis 10. Lebensmonat sei ein Geschwisterbonus in Höhe des elterngeldrelevanten Einkommens vor Geburt multipliziert mit dem Anspruchsfaktor mal 0,1 zu berücksichtigen. Da T1 2018 drei Jahre alt geworden sei, entfielen die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung des Geschwisterbonus im 10. Lebensmonat. Ab dem 11. Lebensmonat könne daher kein Geschwisterbonus gewährt werden. In der Zeit vom 27.03.2018 bis 26.01.2020 habe der Kläger Erwerbseinkommen i.H.v. 52.512,35 € erzielt, welches vom 5. bis 26. Lebensmonat als elterngeldrelevantes Einkommen nach Geburt in Höhe von monatlich 1.507,81 € zu berücksichtigen sei. Eine Nichtberücksichtigung der steuerpflichtigen Bruttonachzahlungen, die in jedem Monat des Bezugszeitraums zur Auszahlung gekommen seien, könne nicht erfolgen, da diese Zahlungen vom Arbeitgeber als laufender, steuerpflichtiger Arbeitslohn versteuert worden seien. Eine Außerachtlassung dieser monatlichen Zahlungen würde gegen die eindeutigen gesetzlichen Regelungen verstoßen. Auf die Frage, ob es sich hier teilweise auch um Überstundenvergütungen handle, die bereits vor dem Bezugszeitraum erarbeitet worden seien und nicht mehr hätten abgegolten werden können, komme es vorliegend nicht an. Maßgeblich sei allein die steuerliche Behandlung der Einkünfte durch den Arbeitgeber. Auf dieser Grundlage betrage der monatliche Anspruch auf Partnerschaftsbonusmonate vom 5. bis 8. Lebensmonat und auf Elterngeld Plus vom 9. bis 10. Lebensmonat 254,23 € (inklusive Geschwisterbonus) und vom 11. bis 26. Lebensmonat 216,73 € (ohne Geschwisterbonus). Die Anrechnung der vorläufig bewilligten Beträge auf die endgültig zustehenden und die Rückforderung der zu Unrecht gezahlten Beträge erfolge gemäß § 26 Abs. 2 des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit (Elterngeld- und Elternzeitgesetz - BEEG) i.V.m. § 328 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Hiernach seien die aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit mit der endgültigen Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt werde, seien aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten. Da die Auszahlung des Elterngeldes aufgrund des ursprünglich ergangenen Bescheides nur vorläufig erfolgt sei, habe der Kläger mit einer Anspruchsänderung nach endgültiger Festsetzung rechnen müssen. Diesbezüglich genieße er keinen Vertrauensschutz.

Hiergegen hat der Kläger am 12.05.2021 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben unter Wiederholung des bisherigen Vortrags. Des Weiteren hat er die Nachweise seines Arbeitgebers über die von November 2017 bis Januar 2020 erbrachten Arbeitsstunden vorgelegt und geltend gemacht, dass im Elterngeldbezugszeitraum ein Überstundenausgleich in Höhe von pauschal 20 Überstunden im Monat, erarbeitet vor dem Elterngeldbezugszeitraum, erfolgt sei. Im Rahmen eines Termins am 12.04.2022 hat das SG den Zeugen B1, Personalleiter beim Arbeitgeber des Klägers, als Zeugen befragt. Diesbezüglich wird auf das Protokoll verwiesen (Bl. 177 SG-Akte)

Auf Grundlage der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen hat die Beklagte unter dem 14.04.2022 (Bl. 184 ff. SG-Akte) einen weiteren Änderungsbescheid erlassen. Mit diesem bewilligte sie für den 1. bis 4. Lebensmonat Basis-Elterngeld in Höhe von monatlich 1.373,71 € (zuvor 1.316,49 €). Für den 5. bis 8. Lebensmonat stellte sie fest, dass kein Elterngeld aufgrund der Inanspruchnahme von Partnerschaftsbonusmonaten bestehe, da Partnerschaftsbonusmonate nur gewährt werden könnten, wenn beide Elternteile gleichzeitig für vier aufeinanderfolgende Lebensmonate die Voraussetzungen für den Bezug von Elterngeld erfüllten und in diesen Monaten nicht weniger als 25 und nicht mehr als 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats erwerbstätig seien. Der Kläger habe mit seiner Erwerbstätigkeit im 7. und 8. Lebensmonat jedoch die zulässige Obergrenze von max. 30 Wochenstunden überschritten. Auch im 11., 14. und 19. Lebensmonat bestehe kein Anspruch auf Elterngeld, da der Kläger in diesen Monaten im Durchschnitt ebenfalls mehr als 30 Wochenstunden erwerbstätig gewesen sei. Da Elterngeld Plus-Monate bzw. Partnerschaftsbonusmonate ab dem 15. Lebensmonat nur in aufeinanderfolgenden Lebensmonaten ohne Lücke gewährt werden könnten, müsse wegen Wegfalls der Anspruchsvoraussetzungen im 19. Lebensmonat auch die Gewährung von Elterngeld ab dem 20. Lebensmonat aufgehoben werden. Elterngeld Plus werde daher für den 9. bis 10. Lebensmonat i.H.v. 294,29 € (zuvor 254,23 €) und für den 12. bis 13. und 15. bis 18. Lebensmonat in Höhe von monatlich 256,79 € (zuvor 216,73 €) bewilligt. In der Vergangenheit seien daher 6.698,18 € zu viel an Elterngeld ausgezahlt worden. 3.948,88 € davon habe der Kläger bereits erstattet, sodass weitere 2.863,74 € zu zahlen seien. Da der Kläger noch Anspruch auf weitere Elterngeldzahlungen habe, seien insgesamt 114,44 € mit zukünftigen Zahlungen verrechnet worden.

Die Beklagte hat vorgetragen, die an den Kläger im Bezugszeitraum des Elterngeldes ausbezahlten Überstunden/Zeitzuschläge und Mehrarbeitsvergütungen seien als laufender Arbeitslohn bei der Ermittlung des elterngeldrelevanten Einkommens zu berücksichtigen. Maßgeblich für die Ermittlung des elterngeldrelevanten Einkommens seien die in den Gehaltsabrechnungen der Bezugsmonate jeweils ausgewiesenen Summen „Gesamtbrutto“. Soweit diese nach den Gehaltsbescheinigungen auch Einmalzahlungen bzw. sonstige Bezüge enthielten, seien diese Beträge bereits aus der Einkommensermittlung ausgeklammert worden. Nicht berücksichtigt worden seien im Bezugszeitraum auch die steuerfrei gezahlten Zuschläge für Sonntags- und Nachtarbeit sowie die für das abgelaufene Kalenderjahr ausbezahlten Entgeltbestandteile, da es sich dabei um sonstige Bezüge gehandelt habe. Die übrigen Einkommensbestandteile seien vom Arbeitgeber als laufender Arbeitslohn ausgezahlt und dementsprechend versteuert worden, auch soweit es sich um Nachzahlungen für geleistete Mehrarbeit gehandelt habe. Diese seien, soweit sie in den Bezugsmonaten erarbeitet wurden, auch elterngeldrechtlich als Einkommen zu berücksichtigen. Auf Nachfrage des Gerichts hat die Beklagte dem Grunde nach ihre Bereitschaft erklärt, außerhalb des Bezugszeitraums erarbeitete Nachzahlungen für Mehrarbeit bei entsprechendem Nachweis aus der Berechnung des Einkommens in den Bezugsmonaten herauszunehmen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Personalleiters des K1 M1 e. V. zu der Frage, in welchem Zeitraum die im Bezugszeitraum ausgezahlten Überstunden und Mehrarbeitsvergütungen erarbeitet worden seien.

Mit Urteil vom 05.05.2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 14.05.2020 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 19.03.2020, des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2021 sowie des Gegenstandsbescheides vom 14.04.2022 seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger halte die Grenzen zulässiger Erwerbstätigkeit nicht durchgehend ein. Eine Person sei nicht voll erwerbstätig im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BEEG, wenn ihre Arbeitszeit 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats nicht übersteige (§ 1 Abs. 6 BEEG). Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger jedenfalls im 1., 4., 9. bis 10., 12. bis 13. und 15. bis 18. Lebensmonat. Für diese Lebensmonate habe die Beklagte dem Kläger dem Grunde nach daher Elterngeld in Form von Basis-Elterngeld für den 1. und 4. Lebensmonat sowie als Elterngeld Plus in den übrigen Lebensmonaten bewilligt. An der Voraussetzung einer Erwerbstätigkeit von max. 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 BEEG) fehle es im Fall des Klägers jedoch im 7., 8., 11., 14. und 19. Lebensmonat seines Sohnes. Denn ausweislich der vorgelegten Stundenübersichten habe er im 7. Lebensmonat 152,10 Zeitstunden, im 8. Lebensmonat 139 Zeitstunden, im 11. Lebensmonat 149,1 Zeitstunden, im 14. Lebensmonat 138,15 Zeitstunden und im 19. Lebensmonat ebenfalls 138,15 Zeitstunden gearbeitet und damit die bei Monaten mit 30 Kalendertagen zulässigen maximalen 129 Stunden und für Monate mit 31 Kalendertagen maximal zulässigen 133 Stunden überschritten. Zu Recht habe daher die Beklagte die Bewilligung von Elterngeld für den 7., 8., 11., 14. und 19. Lebensmonat abgelehnt. Die zutreffende Ablehnung der Bewilligung von Elterngeld in Form von Partnerschaftsbonusmonaten im 7. und 8. Lebensmonat wegen Überschreitung der Höchstarbeitszeit bedinge auch die Ablehnung der Bewilligung von Elterngeld für den 5. und 6. Lebensmonat (§ 4 Abs. 4 Satz 3 BEEG). Die zutreffende Ablehnung der Bewilligung von Elterngeld im 19. Lebensmonat führe auch zur rechtmäßigen Ablehnung von Elterngeld Plus ab dem 20. Lebensmonat. Denn nach § 4 Abs. 1 Satz 2 BEEG könne Elterngeld Plus nach dem 14. Lebensmonat nur dann bezogen werden, solange es ab dem 15. Lebensmonat in aufeinanderfolgenden Lebensmonaten von zumindest einem Elternteil in Anspruch genommen werde. Die Bewilligung sei auch in zutreffender Höhe erfolgt. Hinsichtlich des Basis Elterngeldes sei dieses seitens des Klägers auch nicht bestritten worden. Gleiches gelte für die Partnerschaftsbonusmonate. Insoweit werde auf die dem letzten Bescheid vom 14.04.2022 beigefügten Anlagen verwiesen, ausweislich derer sich für das Elterngeld Plus ein im Bezugszeitraum zu berücksichtigendes monatlich erzieltes Erwerbseinkommen i.H.v. 1.526,22 € ergebe, was unter Berücksichtigung des Anspruchsfaktors und des bis zum zehnten Kalendermonat zustehenden Geschwisterbonus die in diesem Bescheid ausgewiesenen Beträge ergebe. Auch die Berechnung des im Bezugszeitraum zu berücksichtigenden Einkommens halte der gerichtlichen Überprüfung stand. Insbesondere die als laufender Arbeitslohn versteuerten Mehrarbeits- und Überstundenvergütungen sowie diesbezügliche Zuschläge und Zulagen seien dem Einkommen als laufendes Einkommen im Bezugszeitraum zuzurechnen. Diesbezüglich werde zunächst auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid und auch in den Schriftsätzen vom 26.11.2020 und 23.06.2021 verwiesen. Der Kläger mache hier geltend, dass die als laufende Bezüge versteuerten Vergütungsbestandteile tatsächlich außerhalb des Bezugszeitraums erarbeitet worden und deshalb bei der Berechnung des Einkommens als sonstiger Bezug im Bezugszeitraum nicht zu berücksichtigen seien. Auch insofern habe die Beklagte aber auf Grundlage der vorliegenden Gehaltsabrechnungen nach Ansicht des erkennenden Gerichts zutreffend berücksichtigt, dass diese Vergütungen über die Gehaltsabrechnung regelmäßig und ausdrücklich dem Vor-Vormonat des Auszahlungsmonates zugerechnet worden seien. Aus den Gehaltsabrechnungen habe sich demnach zunächst nicht ergeben, dass sie außerhalb des Bezugszeitraums erarbeitet worden seien. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Zeugenvernehmung des Personalleiters des D1 M1 e.V., denn auch dieser habe die in den Gehaltsabrechnungen dem Vor-Vormonat zugeordneten Zahlungen nicht einem bestimmten Monat außerhalb des Bezugszeitraums zuordnen können, in dem sie erarbeitet worden seien. Hiergegen spreche auch, dass insgesamt von September 2018 bis November 2019 jeweils 15 x 20 Überstunden monatlich abgegolten worden seien, insgesamt also 300 Überstunden. Vor Beginn des Bezugszeitraums im November 2017 seien aber weniger als 150 Überstunden erarbeitet worden. D.h. jedenfalls ein Teil der ausgezahlten Überstunden sei sicher im Bezugszeitraum erarbeitet worden. Mangels der Möglichkeit, diese Stunden klar zuzuordnen und abzugrenzen, sehe sich das Gericht nicht in der Lage, einzelne Überstunden als außerhalb des Bezugszeitraums erarbeitet zuzuordnen. Diese mangelnde Beweisbarkeit auch nach Zeugenvernehmung gehe zulasten des diesbezüglich beweisbelasteten Klägers, da es sich um Tatsachen aus seiner Sphäre handele, die einen höheren Leistungsanspruch begründen sollen.
Die Beklagte sei auch berechtigt gewesen, die aufgrund vorläufiger Bewilligung zunächst bewilligten und überzahlten Beträge vom Kläger zurückzufordern (§ 26 Abs. 2 BEEG, § 328 Abs. 3 SGB III). Da die im vorliegenden Verfahren erlassenen Änderungsbescheide vom 19.03.2021 und 14.04.2022 Gegenstand des anhängigen Widerspruchs- bzw. Klageverfahrens geworden seien (vergl. §§ 86, 96 SGG), bedürfe es hierfür keiner gesonderten Rechtsgrundlage nach § 26 Abs. 1 BEEG i.V.m. dem ersten Kapitel des SGB X, etwa § 45 SGB X oder § 48 SGB X. Demnach sei ein Ermessen seitens der Beklagten nicht auszuüben gewesen.

Gegen das am 10.05.2022 zugestellte Urteil richtet sich die am 10.06.2022 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingereichte Berufung. Das SG verkenne die abweichenden Arbeitszeitregelungen im Tarifvertrag des D2. Da diesem Berufsbild immanent sei, dass der Dienstplan Schichten von sieben Tagen in der Woche vorsehe, sei für die Ermittlung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit mindestens ein Zeitraum von bis zu einem Jahr zugrunde zu legen.  Habe der Kläger in einer Woche mehrere Nacht- oder Wochenenddienste zu übernehmen, erhalte er in der darauffolgenden Woche einen Ausgleich. Werde nun – wie von der Beklagten – auf die Lebensmonate des Kindes abgestellt, könne sich der Dienstplan dahingehend verschieben, dass der vorgesehene Ausgleich in der darauffolgenden Woche nicht berücksichtigt werde. Insofern müsse eine langfristige Betrachtungsweise erfolgen. Im Übrigen seien Mehrstunden einsatzbedingt und beruhten z.T. auf Notfällen.  Es könne vom Kläger nicht verlangt werden, z.B. die Reanimation eines Patienten einzustellen, um die Wochenarbeitszeit einzuhalten. Hinzu komme, dass sich aus den Richtlinien zum BEEG ergebe, dass für den Fall, dass die Voraussetzungen in zwei Lebensmonaten erfüllt seien und die Voraussetzungen erst im Anschluss wegfielen, die ersten beiden Monate nicht zurückgefordert werden dürften. Dies betreffe hier die Partnerschaftsbonusmonate im 5. und 6. Lebensmonat.

Hierzu hat die Beklagte ausgeführt, das BEEG sei nicht in seiner aktuellen Fassung, sondern in der bis zum 31.08.2021 geltenden Fassung anwendbar, Gleiches gelte auch für die entsprechenden Richtlinien. Hiernach müssten beide Elternteile in vier aufeinanderfolgende Lebensmonaten gleichzeitig nicht weniger als 25 und nicht mehr als 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats erwerbstätig sein. Eine (komplette) Rückforderung erfolge, wenn nur ein Elternteil diese Voraussetzungen nicht erfülle. Soweit der Kläger aufgrund seiner Beschäftigung eine Jahresbetrachtung fordere, widerspreche dies dem Gesetz. Es ergebe sich unter Heranziehung beider Berechnungsmethoden nach Ziff. 4.4.32 der Richtlinien zum BEEG, dass der Kläger sowohl im 7. als auch im 8. Lebensmonat zu viele Stunden gearbeitet habe. Die maßgeblichen Wochenarbeitszeiten habe die Beklagte zu Recht aus den vorgelegten Stundennachweisen des Arbeitgebers übernommen.

Die Berichterstatterin hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Bescheid vom 14.04.2022, mit dem die vorherige Bewilligung im Bescheid vom 09.03.2021 abgeändert und die Erstattungsforderung erhöht worden sei, bereits deshalb rechtswidrig sein dürfte, weil kein Ermessen ausgeübt worden sei, obwohl dieser Bescheid den Voraussetzungen des § 45 SGB X genügen müsse. Die Beklagte hat sich dieser Rechtsauffassung nicht anschließen können und einen entsprechenden Vergleich abgelehnt.

Im Rahmen eines Erörterungstermins am 09.11.2023 hat der Kläger seine Klage auf den Bescheid vom 14.04.2022 beschränkt und dies auch nur insoweit, als dieser ihn beschwere im Vergleich zum vorangegangenen Bescheid vom 09.03.2021. Die Beklagte hat im Nachgang zum Erörterungstermin einen weiteren Änderungsbescheid erlassen (Änderungsbescheid vom 17.11.2023, Bl. 185 Senatsakte), der den Bescheid vom 14.04.2022 ersetzen solle. Diesen Bescheid hat sie auf § 45 SGB X gestützt und unter Ausübung von Ermessen den vorangegangenen Bescheid vom 09.03.2021 abgeändert, wie zuvor unter Verweis auf das mehrfache Überschreiten der Höchstarbeitszeit von 30 Wochenstunden. Dem Kläger wurde – wie bereits zuvor im Bescheid vom 14.04.2022 – Basis-Elterngeld für den 1. und 4. Lebensmonat des Kindes i.H.v. 1.373,71 €, Elterngeld Plus für die Lebensmonate 9 und 10 i.H.v. 294,29 €, Elterngeld Plus für die Lebensmonate 12 bis 13, 15 bis 18 in Höhe von 256,79 € bewilligt. Für die Lebensmonate 5 bis 8, 11, 14 sowie 19 bis 26 wurde die Bewilligung von Elterngeld aufgehoben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 05.05.2022 abzuändern und die Bescheide der Beklagten vom 14.04.2022 und 17.11.2023 in Bezug auf die Lebensmonate 5 bis 8, 11, 14 sowie 19 bis 26 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.

Sie hat - unter Vorlage mehrerer BSG-Entscheidungen - vorgetragen, das Gericht gehe fälschlicherweise davon aus, dass die §§ 44 ff. SGB X anwendbar seien. Die Bescheide vom 14.05.2020, 09.03.2021 sowie 14.04.2022 seien allesamt Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gem. § 86 SGG bzw. des Klageverfahrens gem. § 96 SGG geworden, so dass die §§ 45 ff. SGB X keine Anwendung fänden. Eine anfängliche Rechtswidrigkeit liege nicht vor, vielmehr seien § 26 Abs. 2 BEEG i.V.m. § 328 Abs. 3 SGB III und § 39 SGB X anzuwenden. Auch sei hier ohnehin das Ermessen auf Null reduziert. Wegen der vom Senat geäußerten Rechtsauffassung sei dennoch ein weiterer Bescheid erlassen worden, in dem die Ermessensausübung nachgeholt worden sei. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X sei gewahrt, da hier der Zeitpunkt der erstmaligen Aufhebungsentscheidung, hier somit der 14.04.2022, ausschlaggebend sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung ist - in dem jetzt noch aufrecht erhaltenen Umfang - erfolgreich.


Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits sind nur noch der Bescheid vom 14.04.2022 sowie der Bescheid 17.11.2023. Der ursprüngliche vorläufige Bewilligungsbescheid vom 13.02.2018 wurde zunächst durch den Bescheid vom 14.05.2020 ersetzt, in dem die Leistungen endgültig bewilligt wurden. Dieser Bescheid vom 14.05.2020 wiederum wurde durch den – den Kläger ausschließlich begünstigenden – Bescheid vom 09.03.2021 abgeändert. Im Anschluss erging der Bescheid vom 14.04.2022, der wiederum durch den während des Berufungsverfahrens erlassenen Bescheid vom 17.11.2023 abgeändert wurde. Indem der Kläger seine Klage ausdrücklich auf den Bescheid vom 14.04.2022 beschränkt hat, sind weder der Bescheid vom 14.05.2020 noch der (begünstigende) Bescheid vom 09.03.2021 vom Senat zu überprüfen. Insofern sind nur noch der Bescheid vom 14.04.2022 sowie der Bescheid vom 17.11.2023 Gegenstand der gerichtlichen Prüfung im Rahmen einer Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGG). In Bezug auf den Bescheid vom 17.11.2023 entscheidet der Senat auf Klage.

Der Kläger konnte seine Anfechtungsklage auf einzelne Monate beschränken, weil das BEEG von einer monatsweisen Berechnung und Bewilligung der Leistungen ausgeht (s. zum Monatsprinzip beim Elterngeld BSG 13.12.2018, B 10 EG 10/17 R, juris Rn. 44). Dies folgt aus § 4 Abs. 2 BEEG (in der bis zum 31.08.2021 gültigen Fassung vom 23.05.2017, im Folgenden alte Fassung [a.F.]), wonach Elterngeld in Monatsbeträgen für Lebensmonate des Kindes bezahlt wird. Auch an anderen Stellen ist das Monatsprinzip im BEEG verankert, so gilt z.B. bei der Anrechnung von zweckidentischen Leistungen auf Elterngeld eine monatsbezogene Betrachtungsweise, vgl. z.B. § 4 Abs. 5 Satz 3 BEEG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BEEG (in der bis zum 31.08.2021 gültigen Fassung vom 23.05.2017). Insofern war hier nur über die Lebensmonate 5 bis 8, 11, 14 sowie 19 bis 26 zu urteilen, während die Lebensmonate 1 und 4 (hier ohnehin keine Änderung der Elterngeldhöhe im Bescheid vom 17.11.2023 im Vergleich zum Bescheid vom 09.03.2021), 9 bis 10, 12 bis 13 und 15 bis 18 (hier höheres Elterngeld im angefochtenen Bescheid vom 17.11.2023 im Vergleich zum Bescheid vom 09.03.2021) keiner Überprüfung mehr unterliegen, da sie bestandskräftig geworden sind.

Diese Klage ist zulässig und begründet, da die Bescheide vom 14.04.2022 sowie vom 17.11.2023 in dem vom Kläger angefochtenen Umfang rechtswidrig und aufzuheben sind. Das angefochtene Urteil des SG war somit entsprechend abzuändern. Der Bescheid vom 14.04.2022 ist bereits deshalb rechtswidrig, weil eine erneute Festsetzung des Elterngeldes zu Lasten des Klägers außerhalb der §§ 26 Abs. 2, 328 Abs. 3 SGB III nicht möglich ist, der Bescheid vom 17.11.2023 ist nicht innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X ergangen. Zudem fehlt es hier an der erforderlichen Anhörung.


Bescheid vom 14.04.2022

Eine Kürzung des im Bescheid vom 14.05.2020 in der Form des Änderungsbescheides vom 09.03.2021 bewilligten Elterngeldes konnte - entgegen der vehement von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung - nicht auf Basis des § 26 Abs. 2 BEEG i.V.m. § 328 Abs. 3 SGB III erfolgen, indem nur - wie bereits zuvor - eine weitere endgültige Leistungsfestsetzung erfolgt. Zwar trifft es zu, dass bei einer vorangegangenen vorläufigen Bewilligung im Zuge der anschließenden endgültigen Festsetzung die §§ 44 ff. SGB X keine Anwendung finden, sondern die Behörde eine endgültige Leistungsfestsetzung treffen und überzahltes Elterngeld zurückfordern kann, ohne den Versicherten hierzu anhören, Ermessen ausüben oder Vertrauensgesichtspunkte beachten zu müssen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt 15.12.2022, L 2 EG 3/21, Rn. 56, juris; Schaumberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 3. Aufl., § 328 SGB III (Stand: 20.02.2023), Rn. 117 ff.). Auch hat die Beklagte zutreffend ausgeführt, dass dem Kläger Elterngeld mit Bescheid vom 13.02.2018 vorläufig bewilligt wurde, so dass § 26 Abs. 2 BEEG i.V.m. § 328 Abs. 3 SGB III Anwendung finden. Allerdings verkennt die Beklagte, dass sie bereits mit Bescheid vom 14.05.2020 eine endgültige Entscheidung getroffen hat und es für die Folgezeit schlichtweg an einer vorläufigen Entscheidung i.S.d. § 26 Abs. 2 BEEG i.V.m. § 328 Abs. 3 SGB III fehlte. Die speziellen Regelungen in §26 Abs. 2 BEEG i.V.m. § 328 Abs. 3 SGB III waren also gleichsam in dem Moment „verbraucht“, als die Beklagte die Leistungen im Bescheid vom 14.05.2020 endgültig festsetzte.

Dies ändert sich nicht dadurch, dass hier § 96 SGG Anwendung findet, die Bescheide vom 14.04.2022 bzw. 17.11.2023 also während des laufenden Klageverfahrens ergingen und die vorangegangenen Bescheide vom 14.05.2020 bzw. 09.03.2021 abänderten. Nach § 39 SGB X wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekanntgegeben wird (Abs. 1 Satz 1; s. hierzu und zum Folgenden ausführlich BSG 08.06.1982, 6 RKa 12/80, juris Rn. 12 m.w.N., vgl. auch BSG 02.12.1992, 6 RKa 33/90, juris Rn. 29 f.). Er bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (Abs. 2). Ein wirksamer Verwaltungsakt darf aber von der erlassenden Behörde, wenn nichts anderes bestimmt ist, nur in den Fällen der §§ 44 bis 49 SGB X und unter den dort genannten Voraussetzungen zurückgenommen oder widerrufen werden. Ist die Behörde nicht zur Rücknahme oder Widerruf berechtigt, so ist sie an ihre Entscheidung gebunden. Die eingeschränkte Befugnis zur Rücknahme und zum Widerruf erstreckt sich auf den Verwaltungsakt, „auch nachdem er unanfechtbar geworden ist“ (vgl. jeweils Abs. 1 der §§ 44 bis 49 SGB X), sie gilt also ebenfalls für den noch anfechtbaren Verwaltungsakt. Die einseitige - begrenzte - Bindung der Behörde an den von ihr erlassenen Verwaltungsakt tritt sonach bereits mit der Bekanntgabe ein. Die Anfechtbarkeit gibt dem vom Verwaltungsakt Betroffenen die Möglichkeit, eine Änderung zu seinen Gunsten herbeizuführen. Sie begründet aber kein Recht der Behörde, ihre Entscheidung zum Nachteil des Anfechtenden zu ändern. Demgemäß enthalten die gesetzlichen Regelungen über das Vorverfahren nur Vorschriften über eine Abhilfe des Widerspruchs (§ 85 SGG; §§ 72, 73 VwGO) und nicht auch solche über eine Korrektur zum Nachteil des Widerspruchsführers. Dass die Einlegung des Widerspruchs der Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht das Recht gibt, eine Änderung zum Nachteil des Widerspruchsführers vorzunehmen, wird schließlich durch § 49 SGB X bestätigt. Diese Vorschrift gestattet eine solche Änderung lediglich bei einem Verwaltungsakt mit Drittwirkung, und zwar nur unter der Voraussetzung, dass der Verwaltungsakt - anders als vorliegend - vom Dritten selbst angefochten worden ist und durch die Änderung dem Widerspruch abgeholfen wird (vgl. hierzu auch BSG 05.05.1993, 9/9a RVs 2/92, juris Rn. 11; BSG 16.12.2004, B 9 VS 1/04 R, BSGE 94, 133-138, juris Rn. 15; Thüringer LSG 10.09.2013, L 6 KR 757/10, juris Rn. 23; BSG 25.03.2015, B 6 KA 22/14 R, juris Rn. 26; LSG Sachsen-Anhalt 21.09.2021, L 2 AS 692/20, juris Rn. 33).

Der Hinweis auf das Urteil des BSG vom 06.10.1994 (GS 1/91) stützt die Argumentation der Beklagten nicht. Hier hat der Große Senat des BSG entschieden, dass ein während des Gerichtsverfahrens erlassener Verwaltungsakt, der nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens wird, nicht gegen das Verbot verstößt, die Anhörung oder Ermessensausübung nachzuholen, wenn er einen Verwaltungsakt ersetzt, der mangels Anhörung oder Ermessensausübung rechtswidrig ist. Dies sieht der Senat genauso. Vor allem aber weist der Große Senat ausdrücklich darauf hin, dass sich d
ie Rechtmäßigkeit des neuen Verwaltungsaktes nach den §§ 44 ff. SGB X bzw. den Vorschriften in den besonderen Teilen des SGB richtet (vgl. Rn. 12). Insofern stützt auch dieses Urteil die Rechtsauffassung des Senats.

Für eine Neufestsetzung des zuvor höher bewilligten Elterngeldes fehlt somit schlichtweg die Rechtsgrundlage, so dass der Bescheid vom 14.04.2022 rechtswidrig ist.

Bescheid vom 17.11.2023

Auch der Bescheid vom 17.11.2023 ist in Bezug auf die hier angegriffenen Bewilligungsmonate rechtswidrig. Zwar hat die Beklagte hier die zutreffende Rechtsgrundlage herangezogen, aber der Bescheid erging außerhalb der Jahresfrist und es fehlt zudem an der erforderlichen Anhörung.

Die Aufhebung des Bescheides vom 14.05.2020 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 09.03.2021 ist an den Voraussetzungen der §§ 44 ff. SGB X zu messen. In Frage kommen hier § 48 SGB X bzw. § 45 SGB X. Die Abgrenzung des Anwendungsbereiches von § 45 SGB X einerseits und § 48 SGB X andererseits erfolgt danach, ob der Bescheid schon anfänglich, nämlich im Zeitpunkt des Eintritts seiner Wirksamkeit gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X durch Bekanntgabe gegenüber dem Adressaten (BSG 16.12.2008, B 4 AS 48/07 R, juris Rn. 15) rechtswidrig war. Es kommt insofern auf die objektive Sachlage bei Bekanntgabe des Bescheides an. Dies gilt auch, wenn später Erkenntnisse zu Tage treten, die erstmals die Rechtswidrigkeit des erlassenen Bescheides erkennen lassen (BSG 02.04.2009, B 2 U 25/07 R, juris Rn. 20). Vorliegend geht es um die teilweise Aufhebung des Elterngeldes wegen Überschreitens der Höchstarbeitsdauer. Da der Bezugszeitraum zum Zeitpunkt der Bescheide vom 14.05.2020 bzw. 09.03.2021 bereits in der Vergangenheit lag, ist eine anfängliche Rechtswidrigkeit im Raum. Einschlägig ist daher § 45 SGB X.

Gem. § 45 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht berufen, soweit
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Nach § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach § 45 Abs. 2 SGB X nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Dies gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 Zivilprozessordnung (ZPO) vorliegen (§ 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von § 45 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.
Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

Vorliegend war der Bescheid vom 14.05.2020 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 09.03.2021 anfänglich teilweise rechtswidrig, da der Kläger in den Lebensmonaten 5 bis 8, 11, 14 sowie in den Lebensmonaten 19 bis 26 keinen Anspruch hatte auf die von ihm beantragten Partnerschaftsbonusmonate bzw. Elterngeld Plus.
Gem. § 1 Satz 1 BEEG a.F. kann Elterngeld in der Zeit vom Tag der Geburt bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats des Kindes bezogen werden. Gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 BEEG kann abweichend von Satz 1 Elterngeld Plus nach Absatz 3 auch nach dem 14. Lebensmonat bezogen werden, solange es ab dem 15. Lebensmonat in aufeinander folgenden Lebensmonaten von zumindest einem Elternteil in Anspruch genommen wird. Statt für einen Monat Elterngeld im Sinne des Absatzes 2 Satz 2 zu beanspruchen, kann die berechtigte Person jeweils zwei Monate lang ein Elterngeld beziehen, das nach den §§ 2 bis 3 und den zusätzlichen Vorgaben der Sätze 2 und 3 ermittelt wird (Elterngeld Plus, § 4 Abs. 3 Satz 1).
Die Eltern haben gemeinsam Anspruch auf zwölf Monatsbeträge Elterngeld im Sinne des Absatzes 2 Satz 2 (§ 4 Abs. 4 Satz 1 BEEG). Erfolgt für zwei Monate eine Minderung des Einkommens aus Erwerbstätigkeit, können sie für zwei weitere Monate Elterngeld im Sinne des Absatzes 2 Satz 2 beanspruchen (Partnermonate). Wenn beide Elternteile in vier aufeinander folgenden Lebensmonaten gleichzeitig
1. nicht weniger als 25 und nicht mehr als 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats erwerbstätig sind und
2. die Voraussetzungen des § 1 erfüllen,
hat jeder Elternteil für diese Monate Anspruch auf vier weitere Monatsbeträge Elterngeld Plus (Partnerschaftsbonus, § 4 Abs. 4 Satz 3 BEEG a.F.).


Der Kläger hat in den Lebensmonaten 7 und 8, 11, 14 sowie im 19. Lebensmonat die gesetzlich zulässige Wochenstundenzahl überschritten. Der Senat verweist diesbezüglich auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil und macht sich diese zu eigen (§ 153 Abs. 2 SGG). Da die gesetzlichen Vorgaben diesbezüglich eindeutig sind und es keine Ausnahmeregelung für einzelne Berufe gibt, kann der Kläger mit seinem Argument, im Bereich des Rettungswesens könne die Arbeitszeit notfallbedingt nicht immer eingehalten werden, nicht durchdringen. Auch hat - wie die Beklagte zutreffend ausführt - der vom Kläger vorgelegte Rollendienstplan keine Aussagekraft hinsichtlich des tatsächlich geleisteten Arbeitsumfangs. In den Lebensmonaten 11 und 14 entfällt der Anspruch wegen § 4 Abs. 6 BEEG a.F., weil ein Anspruch auf Gewährung von Elterngeld zum damaligen Zeitpunkt nur eine Arbeitszeit von 30 Wochenstunden im Monatsdurchschnitt erlaubte. Durch das Überschreiten der zulässigen Wochenstundenzahl in den Monaten 7 und 8 entfiel der Anspruch auf Elterngeld (Partnerschaftsbonus) auch für die Monate 5 und 6, da § 4 Abs. 4 Satz 3 BEEG die Einhaltung der zulässigen Wochenarbeitszeit in vier aufeinanderfolgenden Monaten verlangt. Ein Anspruch auf Elterngeld Plus in den Monaten 20 bis 26 scheitert daran, dass ab dem 19. Lebensmonat kein ununterbrochener Bezug von Elterngeld Plus mehr vorlag (§ 4 Abs. 1 Satz 2 BEEG).

Der Bescheid vom 14.05.2020 in der Fassung des Bescheides vom 09.03.2021 war somit insofern rechtswidrig, als dem Kläger darin für die Lebensmonate 5 bis 8, 11, 14 sowie ab Lebensmonat 19 Elterngeld bewilligt wurde. Diese Rechtswidrigkeit bestand von Beginn an, weil die endgültige Bewilligung im Bescheid vom 14.05.2020 und erst recht die Änderung im Bescheid vom 09.03.2021 nach Ablauf des Bezugszeitraums erfolgten. Da der Kläger seine tatsächlichen Arbeitsstunden der Beklagten trotz Mitteilungspflicht (vgl. Hinweis im Bewilligungsbescheid vom 13.02.2018) nicht mitgeteilt hat, beruht der Verwaltungsakt (Bescheid vom 14.05.2020 in der Fassung des Bescheides vom 09.03.2021) auf Angaben, die der Kläger grob fahrlässig unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB X). D
ie Beklagte war daher berechtigt, den Bescheid vom 14.05.2020 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 09.03.2021 teilweise aufzuheben.

Bei dieser Aufhebungsentscheidung ist Ermessen auszuüben (vgl. hierzu nur BeckOGK/Sandbiller, Stand 15.08.2023, SGB X § 45 Rn. 74 mit umfangreichen Nachweisen). Dem ist die Beklagte im Bescheid vom 17.11.2023 ordnungsgemäß nachgekommen.


Allerdings ist der Bescheid vom 17.11.2023 außerhalb der Jahresfrist erlassen worden (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Zutreffend hat die Beklagte zwar darauf hingewiesen, dass es für die Wahrung der Jahresfrist allein auf den Erlass eines erstmaligen Rücknahmebescheides ankommt (vgl. BSG 24.06.2020, B 4 AS 10/20 R, juris Rn. 33; BSG 08.12.2020, B 4 AS 46/20 R m.w.N., juris), unabhängig davon, ob dieser rechtmäßig ist oder nicht. Handelte es sich bei dem Bescheid vom 14.04.2022 somit um einen Rücknahmebescheid, wäre die Jahresfrist eingehalten. Jedoch hält es der Senat für ausgeschlossen, den Bescheid vom 14.04.2022 als einen Rücknahmebescheid zu deuten:
Die Beklagte betitelt den Bescheid als „Änderungsbescheid“ und führt darin aus, der Bescheid vom 14.05.2020 werde für den 5. bis 26. Lebensmonat des Kindes geändert. Der Kläger erhalte „folgendes Elterngeld“ (tabellarische Auflistung) und habe für alle bisher ausgezahlten Monate Anspruch auf Elterngeld i.H.v. 7.626,04 €. Die Beklagte habe ihm bereits 11.574,92 € und somit 3.948,88 € zu viel Elterngeld ausgezahlt. Er sei verpflichtet, diesen Betrag zu erstatten. Eine ausdrückliche Rücknahme des vorangegangenen Bescheides vom 09.03.2021 ist somit nicht erfolgt. Zwar verwendet die Beklagte in der Begründung des Bescheides in Bezug auf die Leistungen für den 20. und die nachfolgenden Lebensmonate einmalig das Wort „aufheben“, doch geschieht dies zum einen nicht im Verfügungssatz des Bescheides und zum anderen erkennbar nicht im technischen Sinne und nicht in dem Bewusstsein, es erfolge damit die Aufhebung bzw. Rücknahme einer vorangegangenen Entscheidung. Dies zeigt sich schon daran, dass in Bezug auf die Lebensmonate 11., 13 und 19 lediglich ausgeführt wird, es bestehe „kein Anspruch auf Elterngeld“ – obwohl hier der gleiche Grund für einen fehlenden Anspruch vorliegt wie in Bezug auf den 20. Lebensmonat bzw. die nachfolgenden.

Auch von einer konkludenten Rücknahme des vorangegangenen Bewilligungsbescheides kann hier nicht ausgegangen werden. Das SG hatte mit Schreiben vom 13.04.2022 (Bl. 180 SG-Akte) die Beklagte darauf hingewiesen, dass der – bereits im Entwurf vorliegende, vgl. Bl. 118 SG-Akte – Änderungsbescheid nur dann auf die §§ 8, 26 Abs. 2 BEEG i.V.m. § 328 Abs. 3 SGB III und damit auf die Regelungen über eine endgültige Festsetzung gestützt werden könne, sofern er noch nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens werde. Außerhalb des gerichtlichen Verfahrens hingegen wäre er auf § 45 SGB X bzw. § 48 SGB X zu stützen. In Kenntnis dieses (fehlerhaften) Hinweises erging dann der Bescheid vom 14.04.2022.
Durch diesen Bescheid hat die Beklagte gleichsam das Ergebnis ihrer Überlegungen zum Ausdruck gebracht, an einen früheren Bewilligungsbescheid nicht gebunden zu sein, sondern diesen jederzeit abändern zu können. Es ist an keiner Stelle erkennbar, dass die Beklagte zu diesem Ergebnis (Wegfall der Bindungswirkung) gerade durch Aufhebung des Bewilligungsbescheides gelangen wollte. Wenigstens dies wäre aber erforderlich gewesen, um ggf. überhaupt erst die Existenz eines „konkludenten“ (erstmaligen) Aufhebungsakts der Beklagten feststellen zu können (BSG, Vorlagebeschluss vom 16.12.1999, B 4 RA 18/99 R, Rn. 47, juris). Dies zeigt sich deutlich auch an der Reaktion der Beklagten im Berufungsverfahren nach dem Hinweis durch die Berichterstatterin, es sei § 45 SGB X einschlägig. Hier hat die Beklagte vehement und ausführlich unter Zitierung etlicher Quellen aufzuzeigen versucht, aus welchen Gründen diese Rechtsauffassung unzutreffend sei. Ausdrücklich hat sie vorgetragen, tatsächlich sei von ihr nur ein endgültiger Bescheid erlassen worden, nämlich der Änderungsbescheid vom 14.05.2020 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 09.03.2021 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 14.04.2022.
Der Änderungsbescheid vom 14.04.2022 habe vollständig den Änderungsbescheid vom 09.03.2021 ersetzt, der seinerseits den endgültigen Bescheid vom 14.05.2020 abgeändert habe. Der Änderungsbescheid vom 14.05.2020 sei in Gestalt des Änderungsbescheids vom 09.03.2021 gemäß § 86 SGG bereits Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens und der Änderungsbescheid vom 14.04.2022 gemäß § 96 SGG Gegenstand des laufenden Klageverfahrens. Danach habe hier keine Rücknahme nach den §§ 45 oder 48 SGB X unter Berücksichtigung von Vertrauensschutzgründen oder Ausübung von Ermessen zu erfolgen. Die vorläufige Bewilligung des Elterngeldes mit Bescheid vom 13.02.2018 habe sich dabei in sonstiger Weise durch die endgültige Bewilligung mit Änderungsbescheid vom 14.05.2020 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 09.03.2021 und 14.04.2022 erledigt. Die Beklagte stütze sich bei der Aufhebung und Rückforderung ihres Bewilligungsbescheids vom 13.02.2018 durch den endgültigen Bescheid vom 14.05.2020 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 09.03.2021 und 14.04.2022 ausschließlich auf §§ 26 Abs. 2 BEEG iVm § 328 Abs. 3 SGB III und § 39 SGB X.

Auch eine Umdeutung des Verwaltungsaktes vom 14.04.2022 von einer bloßen „Neufestsetzung“ des Elterngeldes in eine teilweise Rücknahmeentscheidung kommt hier nicht in Betracht. Eine solche setzt voraus, dass der umgedeutete Verwaltungsakt auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und die Voraussetzungen für den Erlass erfüllt wären (vgl. § 43 SGB X). Eine Umdeutung kann nicht erfolgen, wenn dies der erkennbaren Absicht der Behörde widerspräche (§ 43 Abs. 2 SGB X). Da die Beklagte vorliegend eine Rücknahme der ursprünglich ergangenen Bewilligungsbescheide ausdrücklich nicht für notwendig gehalten hat, sondern vielmehr noch im Berufungsverfahren und selbst nach entgegenstehendem richterlichen Hinweis davon ausging, eine (weitere) endgültige Festsetzung des Elterngeldes sei - da man sich im Rahmen des § 96 SGG befinde - ausreichend, widerspräche eine Umdeutung dem Willen der Behörde (vgl. hierzu LSG Thüringen 08.09.2022, L 9 AS 812/21, Rn. 28, juris; s. auch Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 45 SGB X (Stand: 15.01.2024), Rn. 136).

Somit ist innerhalb der Jahresfrist keine Rücknahmeentscheidung erfolgt. Erstmalig hat die Beklagte die vorangegangene Bewilligung mit Bescheid vom 17.11.2023 zurückgenommen. Dies geschah nicht mehr innerhalb eines Jahres seit Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Bewilligung.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass der Bescheid vom 17.11.2023 auch deshalb rechtswidrig ist, weil keine Anhörung erfolgt ist. Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Diese Vorschrift dient der Wahrung des rechtlichen Gehörs und soll das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und der Sozialverwaltung stärken und den Bürger vor Überraschungsentscheidungen schützen (s. hierzu und zum Folgenden ausführlich BSG 15.08.2002, B 7 AL 38/01 R, Rn. 19). Der Betroffene soll Gelegenheit erhalten, durch sein Vorbringen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt die vorgesehene Entscheidung zu beeinflussen. Hierzu ist es notwendig, dass der Verwaltungsträger die entscheidungserheblichen Tatsachen dem Betroffenen in einer Weise unterbreitet, dass er sie als solche erkennen und sich zu ihnen, ggf. nach ergänzenden Anfragen bei der Behörde, sachgerecht äußern kann. Welche Tatsachen für die Entscheidung erheblich und dem Betroffenen zur Äußerung mitzuteilen sind, richtet sich nach Art und Inhalt der im Einzelfall in Betracht kommenden Entscheidung. Entscheidungserheblich sind grundsätzlich alle Tatsachen, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen haben, auf die sich die Verwaltung also zumindest auch gestützt hat.
Gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB X kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes allein deshalb beansprucht werden kann, weil die erforderliche Anhörung unterblieben oder nicht wirksam nachgeholt worden ist.

Vorliegend ist vor Erlass des Rücknahmebescheides vom 17.11.2023 keine Anhörung erfolgt. Die Akten enthalten lediglich ein Anhörungsschreiben, und zwar das vom 29.03.2021, das nach Erlass des Bescheides vom 09.03.2020 erging. Darin finden sich naturgemäß keine Erwägungen zum Wegfall des Elterngeldanspruchs wegen Überschreitens der Höchstarbeitsdauer, da zu diesem Zeitpunkt der Beklagten dieser Umstand noch nicht bekannt war. Ebenso wenig sind darin Ausführungen zur Bösgläubigkeit bzw. zu unvollständigen Angaben i.S.d. § 45 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB X, da es hierauf zu diesem Zeitpunkt nicht ankam und die Beklagte sich ohnehin nicht auf § 45 SGB X gestützt hat. Insofern gibt es weder vor Erlass des Bescheides vom 17.11.2023 noch danach eine ordnungsgemäße Anhörung des Klägers und ist der Bescheid vom 17.11.2023 bereits aus diesem Grunde rechtswidrig.

Sowohl der Bescheid vom 14.04.2022 als auch der Bescheid vom 17.11.2023 waren somit - unter Abänderung des angefochtenen Urteils des SG - in Bezug auf die hier streitigen Monate aufzuheben mit der Folge, dass nun wieder die höhere Elterngeldbewilligung aus dem vorangegangenen Bescheid vom 09.03.2021 gilt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Grad des Obsiegens Rechnung.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.


 

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