S 39 KR 80/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 39 KR 80/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid


I. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Fahrtkosten in Höhe von 625,50 Euro zu erstatten.

II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der Fahrkosten für die durch das Polizeipräsidium Oberbayern am 12.04.2020 und 08.12.2019 durchgeführten Krankenfahrten in Höhe von insgesamt 625,50 Euro hat.
Am 16.06.2021 reichte der Kläger bei der Beklagten zwei Kostenrechnungen des Polizeipräsidiums Oberbayern vom 01.06.2021 über 290,40 Euro und vom 07.06.2021 über 335,10 Euro ein und beantragte die Kostenübernahme. Die Fahrtkosten seien auf Grund seiner Krankheit entstanden.
Mit Bescheid vom 07.07.2021 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme der geltend gemachten Fahrtkosten ab. Es handele sich nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Am 14.07.2021 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 07.07.2021 Widerspruch ein. Er leider an einer chronischen Alkoholkrankheit und die Fahrtkosten seien hierdurch verursacht worden. Die Beklagte stellte keine weiteren Ermittlungen an.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.12.2021 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Fahrtkosten seien bei Rettungsfahrten zum Krankenhaus zwar auch dann zu übernehmen, wenn dann keine stationäre Behandlung erfolge. Allerdings sei Voraussetzung der Kostenübernahme, dass ein Rettungsdienst die Fahrt durchführe. Dies sei beim Transport durch die Polizei ins Krankenhaus nicht der Fall. Der Kläger habe selbst den Polizeieinsatz veranlasst und müsse daher nach Art. 2 Abs. 1 Kostengesetz die hierfür entstandenen Kosten bezahlen.
Hiergegen hat der Kläger am 26.01.2022 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass er am 08.12.2019 und 12.04.2020 auf Grund übermäßigen Alkoholkonsums in Inn-Salzach-Klinik habe transportiert werden müssen. Der Transport sei aus ärztlicher Sicht notwendig gewesen.
 
Der Kläger beantragt sinngemäß,
1. Der Bescheid der Beklagten vom 07.07.2021 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 27.12.2021 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Kosten in Höhe von 625,50 Euro für die Rettungsfahrten vom 08.12.2019 und 12.04.2020 zu erstatten.


Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf die Ausführungen des Widerspruchbescheids.


Das Gericht hat das Polizeipräsidium Oberbayern um Erläuterung gebeten, weshalb der Kläger durch die Polizei selbst transportiert worden ist. Das Schreiben wurde am 22.04.2022 beantwortet. Transportziel sei in beiden Fällen die polizeiliche Unterbringung nach dem BayPsychKHG gewesen. Am 08.12.2019 habe die Polizei den alkoholisierten Kläger als Aggressor familiärer Auseinandersetzungen in Gewahrsam genommen. Im Präsidium habe er konkrete Suizidabsichten geäußert. Der Kläger habe keine akute medizinische Versorgung benötigt, das Warten auf einen Krankenwagen sei wenig zielführend gewesen, daher sei er mit dem Dienst-Kfz in die Klinik verbracht worden. Auch am 12.04.2020 sei die Polizei auf Grund familiärer Auseinandersetzungen mit dem erheblich alkoholisierten Kläger verständigt worden. Er habe die Familie mit dem Tod bedroht und Suizidabsichten geäußert. Auch hier sei der Kläger mit dem Dienst-Kfz zur Klinik verbracht worden, da er keine akute medizinische Versorgung benötigt habe.
Die Beklagte verblieb bei ihrer Auffassung, dass die Polizei kein anerkannter Leistungserbringer im Sinn des § 60 Abs. 3 SGB V sei.
Mit Schreiben vom 12.05.2022 sind die Beteiligten zu einer Entscheidung per Gerichtsbescheid angehört worden. Beide Parteien haben ihr Einverständnis hiermit erklärt.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Das Gericht macht von der Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid Gebrauch. Die Beteiligten sind dazu angehört worden, der Sachverhalt ist geklärt und die Sache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klage ist als Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und wurde form- und fristgerecht erhoben.
Die Klage ist auch begründet, da der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der Fahrtkosten in Höhe von 625,50 Euro hat.
Der Fahrtkostenersatz durch die Krankenkassen ist abschließend in § 60 SGB V geregelt (vgl. Waßer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 60 SGB V, Rn. 78; Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB, 08/04, § 60 SGB V, Rn. 24).
Gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für Fahrten, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind. Nach § 60 Abs. 2 SGB V übernimmt die Krankenkasse die Fahrkosten bei Leistungen, die stationär erbracht werden (Nr. 1), bei Rettungsfahrten zum Krankenhaus (Nr. 2), bei anderen Fahrten von Versicherten, die während der Fahrt einer fachlichen Betreuung oder der besonderen Einrichtungen eines Krankenkraftwagens bedürfen oder bei denen dies auf Grund ihres Zustandes zu erwarten ist (Krankentransport) (Nr. 3) und bei Fahrten von Versicherten zu einer ambulanten Krankenbehandlung sowie zu einer Behandlung nach § 115a oder § 115b, wenn dadurch eine an sich gebotene vollstationäre oder teilstationäre Krankenhausbehandlung (§ 39) vermieden oder verkürzt wird oder diese nicht ausführbar ist, wie bei einer stationären Krankenhausbehandlung (Nr. 4).
Der Kläger begehrt die Fahrtkosten zu einer polizeilich angeordneten Unterbringung im Sinn des BayPsychKHG. Die Kostentragung der Unterbringung nach dem BayPsychKHG ist dort in Art. 35, 36 geregelt. Die Leistungspflicht der Krankenversicherung bleibt demnach unberührt bleibt. In beiden Transportfällen bestand nach Auskunft der Polizei, welcher von der Beklagten nicht widersprochen wurde, Lebensgefahr in Form von konkreter Suizidabsicht. Es handelte sich daher jeweils um eine Rettungsfahrt im Sinn des § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB V. Diese ist von § 60 SGB V nach allgemeiner Auffassung auch dann erfasst, wenn letztlich keine stationäre Aufnahme erfolgt (vgl. Zipperer in: Orlowski/Remmert, GKV-Kommentar SGB V, 58. AL 4/2021, § 60 Fahrkosten, Rn. 26f).
Der Kläger wurde in einem Dienst-Kfz transportiert. Gemäß § 60 Abs. 3 SGB V werden als Fahrkosten anerkannt bei Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels der Fahrpreis unter Ausschöpfen von Fahrpreisermäßigungen (Nr. 1), bei Benutzung eines Taxis oder Mietwagens, wenn ein öffentliches Verkehrsmittel nicht benutzt werden kann, der nach § 133 berechnungsfähige Betrag (Nr. 2), bei Benutzung eines Krankenkraftwagens oder Rettungsfahrzeugs, wenn ein öffentliches Verkehrsmittel, ein Taxi oder ein Mietwagen nicht benutzt werden kann, der nach § 133 berechnungsfähige Betrag (Nr. 3), bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer den jeweils auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigung, höchstens jedoch die Kosten, die bei Inanspruchnahme des nach Nummer 1 bis 3 erforderlichen Transportmittels entstanden wären (Nr. 4).
Der Transport durch den Dienst-Kfz der Polizei ist unter § 60 Abs. 3 Nr. 3 SGB V zu subsumieren. Der Beklagten ist zuzustimmen, dass der Dienst-Kfz der Polizei kein Krankenkraftwagen oder Rettungswagen ist. Diese sind in Art. 2 Bayerisches Rettungsdienstgesetz definiert. Vorliegend ist jedoch eine besondere Ausnahmekonstellation zu berücksichtigen. Der Kläger hatte selbst keinen Einfluss auf die Auswahl des Transportmittels. Auf Grund seines Gesundheitszustands wäre der Transport im Krankentransportwagen zulässig gewesen. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, des eigenen PKW und eines Taxis scheiden bei starker Alkoholisierung mit Fremd- und Eigengefährdungsabsicht aus. Auch bei der Anspruchsgrundlage des § 60 SGB V ist das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V zu beachten. Im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots ist nicht nur das günstigste Verkehrsmittel zu benutzen, sondern auch die billigste Art und Weise seiner Benutzung zu wählen (vgl. Waßer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 60 SGB V (Stand: 03.01.2022), Rn. 127). Der Einsatz des Dienst-Kfz der Polizei war das günstigste Transportmittel, das im Zustand des Klägers zumutbar gewesen ist. Daher ist § 60 Abs. 3 Nr. 3 SGB V in diesem Fall erweiternd dahingehend auszulegen, dass auch der Transport durch den Dienst-Kfz der Polizei zulässig ist und die hierfür anfallenden Kosten zu erstatten sind.
Die Kostenrechnung der Polizei entspricht den hierfür geltenden rechtlichen Vorgaben. Die geltend gemachten Kosten sind daher notwendig.
Der Klage war somit stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 183 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

 

Rechtskraft
Aus
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