L 2 SO 1664/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SO 95/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 1664/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 7. Juni 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger macht eine Untätigkeit des Beklagten im Hinblick auf ausstehende Antworten auf sein Schreiben vom 13.02.2015 geltend.

Der 1980 geborene, voll erwerbsgeminderte Kläger erhielt vom Beklagten über viele Jahre bis 30.09.2021 laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII, vgl. Bewilligungsbescheide vom 23.06.2021 und 20.08.2021 sowie Aufhebungsbescheid vom 23.09.2021). In der Folgezeit lehnte der Beklagte mehrere (Neu-)Anträge des Klägers ab. Zahlreiche hiergegen erhobene Widerspruchs-, Klage- Berufungs- und Beschwerdeverfahren sowie Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes blieben erfolglos.

Mit Schreiben vom 13.01.2023, eingegangen beim Sozialgericht (SG) Reutlingen am selben Tag, hat der Kläger unter Bezugnahme auf ein Schreiben von ihm an den Beklagten vom 13.02.2015 (vgl. Bl. 3 SG-Akte) Klage erhoben und erklärt, dass er Untätigkeitsklage erheben wolle. Die mit Schreiben vom 13.02.2015 gestellten Fragen seien nicht beantwortet worden. Wörtlich führte er in diesem Schreiben u.a. aus: „Wenn W1 den Rechtswidrig festgestellten Unterhalt bezahlt hätte, dann hätte das Sozialamt auch die Festgestellen 18euro pro Monat bezahlen müssen?“ (Anm.: W1 ist die Mutter des Klägers). Zudem hat der Kläger in seiner Klageschrift den Kammervorsitzenden wegen Befangenheit abgelehnt und Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.

Das SG hat den Antrag des Klägers auf Gewährung von PKH mit Beschluss vom 13.04.2023 abgelehnt. Zunächst könne der Vorsitzende hierüber selbst entscheiden, da das Ablehnungsgesuch des Klägers unzulässig sei. Ein Ablehnungsgesuch sei nämlich unzulässig, wenn dessen Begründung völlig ungeeignet sei oder wenn mit ihm rechtsmissbräuchlich verfahrensfremde Zwecke verfolgt würden, z.B. wenn es nur beleidigende und unsachliche Äußerungen enthalte. Letzteres sei, da sich die Begründung des Klägers in der bloßen Behauptung einer Rechtsbeugung durch den Vorsitzenden erschöpfe, der Fall.
Die ausdrücklich als Untätigkeitsklage erhobene Klage habe keine Erfolgsaussichten. Diese Untätigkeitsklage sei bereits unzulässig. Eine Untätigkeitsklage sei nach § 88 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach näherer Maßgabe zulässig, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes nicht beschieden worden sei, d.h. es müsse der Erlass eines Verwaltungsaktes und nicht einer sonstigen Amtshandlung begehrt werden. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da der Kläger lediglich die Beantwortung einer Frage und damit eine sonstige Amtshandlung begehre. Dafür komme eine Untätigkeitsklage nicht in Betracht. Sofern man die Klage nicht als Untätigkeitsklage, sondern als eine auf einfaches Verwaltungshandeln gerichtete Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) einstufen wolle, stehe dieser die Regelung des § 56a Satz 1 SGG als negativer Zulässigkeitsvoraussetzung entgegen. Denn gemäß § 56a Satz 1 SGG könnten Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen - hier der Unterlassung der begehrten Antwort auf eine Frage - nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Eine Ausnahme zu dieser Beschränkung (vgl. insbesondere § 56a Satz 2 SGG) komme vorliegend nicht in Betracht. Der Beklagte habe nämlich zutreffend darauf hingewiesen, dass das Schreiben des Klägers vom 13.02.2015 im Zusammenhang mit seinem Bescheid vom 10.02.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.02.2015 zu sehen sei. Dieser Bescheid sei Gegenstand des Klageverfahrens S 4 SO 722/15 geworden. Dieses Verfahren sei dann nach Ruhendstellung und Verbindungen nachfolgend unter den Aktenzeichen S 4 SO 2500/17, S 4 SO 67/17 und zuletzt S 4 SO 1904/20 geführt worden und diese Klage dann nach Erlass des Bescheids des Beklagten vom 22.09.2020 von dem damals anwaltlich vertretenen Kläger mit Schreiben vom 05.10.2020 für erledigt erklärt worden.

Die gegen den Beschluss des SG vom 13.04.2023 erhobene Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg ist erfolglos geblieben (vgl. Beschluss vom 28.04.2023, - L 7 SO 1226/23 B -).

Das SG hat die Klage daraufhin nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 07.06.2023 abgewiesen. Das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden sowie die vom Kläger ausdrücklich als Untätigkeitsklage erhobene Klage seien bereits unzulässig. Gleiches gelte für eine einfache Leistungsklage. Zur weiteren Begründung hat das SG auf den Beschluss über die Ablehnung von PKH vom 13.04.2023 sowie auf die hierzu ergangene, ablehnende Beschwerdeentscheidung des LSG im Beschluss vom 28.04.2023 (- L 7 SO 1226/23 B -) Bezug genommen.

Gegen den ihm am 09.06.2023 gegen Postzustellungsurkunde (vgl. Bl. 65 LSG-Akte) zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11.06.2023 Berufung zum LSG Baden-Württemberg erhoben. Er wolle das ihm zustehende Rechtsmittel nutzen. Es interessiere zudem offensichtlich niemanden, dass befangene Richter entscheiden würden. In der Folge hat der Kläger Ausführungen dazu gemacht, dass er seit dem 01.10.2021 keine Grundsicherung mehr erhalte und sich hierbei auf einen Ablehnungsbescheid vom 05.06.2023 (vgl. Bl. 3, 20 LSG-Akte) bezogen. Mit Schreiben vom 17.01.2024 (Bl. 44 LSG-Akte) hat er auf seinen erneuten, wohl im Januar 2024 gestellten, Antrag auf Grundsicherungsleistungen hingewiesen und hierzu verschiedene Anlagen beigefügt.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 7. Juni 2023 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, das Schreiben des Klägers vom 13. Februar 2015 zu beantworten.
Der Beklagte beantragt,
            die Berufung zurückzuweisen.

Er hat zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung des SG Reutlingen verwiesen und ergänzend ausgeführt (vgl. Bl. 15 LSG-Akte), dass der Beklagte mit Bescheid vom 10.02.2015 (Bl. 105 VA) den Antrag des Klägers vom 06.01.2015 abgelehnt habe. Gegen diesen Bescheid habe der Kläger mit oben erwähnten Schreiben vom 13.02.2015 auch Widerspruch erhoben. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2015 (Bl. 111 VA) sei dieser zurückgewiesen worden. Der Kläger habe den Widerspruchsbescheid am 24.02.2015 um 10:50 Uhr (Bl. 112 VA) erhalten. Dies gehe aus der Zustellungsurkunde hervor. Zudem habe der Kläger mit Schriftsatz vom 20.03.2015 Klage gegen den Widerspruchsbescheid erhoben. Diese Klage sei beim SG Reutlingen unter dem Aktenzeichen S 4 SO 722/15 geführt worden.

Mit Verfügung vom 18.12.2023 (Bl. 23 LSG-Akte), dem Beklagten am 18.12.2023 (vgl. eEB, Bl. 25 LSG-Akte) und dem Kläger am 20.12.2023 (vgl. PZU, Bl. 30 LSG-Akte) zugestellt, ist Termin zur mündlichen Verhandlung am 28.02.2024 bestimmt worden. Der Beklagte hat mitgeteilt, keinen Vertreter zum Termin erscheinen zu lassen. Ein zunächst gestellter Verlegungsantrag des Beklagten ist zurückgenommen worden (vgl. Bl. 32 ff. LSG-Akte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


Entscheidungsgründe

Der Senat konnte in der mündlichen Verhandlung am 28.02.2024 in Abwesenheit der Beteiligten über den Rechtsstreit entscheiden, da der Kläger und die Beklagte ordnungsgemäß zum Termin geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden sind, dass auch im Falle des Ausbleibens von Beteiligten bzw. Bevollmächtigten Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann (vgl. § 153 Abs. 1 i.V.m. § 110 Abs. 1 Satz 2, § 126 SGG). Die Beklagte hat zudem bereits im Vorfeld mitgeteilt, keinen Vertreter zum Termin zu entsenden sowie den zunächst gestellten Verlegungsantrag zurückgenommen. Der Kläger hat keinen Verlegungsantrag gestellt.

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.

Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist allein die vom Kläger erhobene Untätigkeitsklage, mit der er vom Beklagten die Beantwortung seiner mit Schreiben vom 13.02.2015 gestellten Fragen begehrt. Soweit der Kläger zuletzt ausgeführt hat, dass er seit dem 01.10.2021 keine Grundsicherung mehr erhalte und sich hierbei auf einen Ablehnungsbescheid vom 05.06.2023 berufen hat, ist dies nicht Streitgegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens. Denn der angegriffene Bescheid ist nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen, das SG hat folgerichtig hierüber nicht entschieden und der geltend gemachte Anspruch ist damit auch im Berufungsverfahren nicht zu überprüfen. Der Gegenstand des Berufungsverfahrens ist grundsätzlich durch den Umfang der erstinstanzlichen Entscheidung begrenzt (Littmann in Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, § 143, Rn. 17, beck-online). Eine Berufung, die einen neuen, bisher noch nicht geltend gemachten Anspruch zum Gegenstand hat, ist (mangels Beschwer) grundsätzlich unzulässig (Wehrhahn in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., SGG [Stand: 15.06.2022] § 143 SGG, Rn. 15). Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass, nach erfolglosem Widerspruchsverfahren, inzwischen vom Kläger gegen den Ablehnungsbescheid vom 05.06.2023 Klage beim SG Reutlingen erhoben worden ist (-S 4 SO 1182/23 -; Bl. 6 Verfahren L 2 SO 294/24). Gleiches gilt im Hinblick auf die Ausführungen des Klägers im Schreiben vom 17.01.2024 zu einem erneuten Antrag auf Grundsicherungsleistungen beim Beklagten.

Die so verstandene Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die (Untätigkeits-)Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zutreffend unter Bezugnahme auf die Entscheidung über die Gewährung von PKH vom 13.04.2023 und die hierzu ergangene Beschwerdeentscheidung des LSG vom 28.04.2023 (- L 7 SO 1226/23 B -) die rechtlichen Grundlagen der Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage dargestellt (vgl. § 88 Abs. 1 SGG) und richtig ausgeführt, dass eine Untätigkeitsklage hier unzulässig ist, da der Kläger nicht die Bescheidung eines Antrags oder Widerspruchs, sondern allein die Beantwortung von Fragen begehrt. Die Untätigkeitsklage ist daher allein auf eine reine Amtshandlung gerichtet. Dafür kommt eine Untätigkeitsklage nicht in Betracht. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zurück.

Lediglich ergänzend wird ausgeführt, dass sich auch aus dem Vortrag im Berufungsverfahren nichts Anderes ergibt. Zunächst ist nicht zu beanstanden, dass das SG die Ablehnungsgesuche wegen offensichtlicher Unzulässigkeit verworfen hat und der abgelehnte Richter von dieser Entscheidung auch nicht ausgeschlossen war (vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht [BVerfG] Beschluss vom 20.7.2021 - 2 BvE 4/20 - juris, Rn. 35 m.w.N.).
Darüber hinaus hat der Beklagte mit Bescheid vom 10.02.2015 einen Antrag des Klägers auf Grundsicherungsleistungen vom 06.01.2015 abgelehnt und den ebenfalls hiergegen mit Schreiben vom 13.02.2015 erhobenen Widerspruch zurückgewiesen. Hiergegen hatte der Kläger auch Klage beim SG Reutlingen erhoben (- S 4 SO 722/15 -), so dass bereits eine Entscheidung über die Frage der Leistungsberechtigung des Klägers im streitigen Zeitraum getroffen worden ist. Eine Untätigkeitsklage kann ferner nur auf die zu erfolgende Bescheidung eines Antrags oder Widerspruchs gerichtet sein, nicht aber auf den Erlass eines Verwaltungsakts bestimmten Inhalts (Claus in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., SGG [Stand: 15.06.2022], § 88 Rn. 8).

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.  


 

Rechtskraft
Aus
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