L 4 AS 491/21

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 4 AS 2182/15
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 4 AS 491/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger und Berufungskläger (im Folgenden: Kläger) begehrt vom Beklagten und Berufungsgegner (im Folgenden: Beklagter) die Bewilligung des Regelbedarfs bei den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum von September 2015 bis Februar 2016.

Der 1953 geborene Kläger war seit 2004 Eigentümer eines ehemaligen Ritterguts in W. im Landkreis A. Das ca.13.000 m² große Grundstück ist mit einem Wohn- und baufälligen Nebengebäuden bebaut. Der Kläger bezog seit 2005 SGB II-Leistungen. Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) erbrachte der Beklagte seit 2013 nur noch in Form von Einmalleistungen u.a. für Heizung (Propangas in Flaschen).

Der Kläger verfügte nicht über ein eigenes Konto; er wickelte seinen Zahlungsverkehr über ein Girokonto seines in D. lebenden volljährigen Sohns ab. Von seinen weiteren Kindern lebten eine volljährige Tochter in P. im Bayerischen Wald und zwei 2000 und 2001 geborene Söhne in I. bei ihrer Mutter. Der Kläger nahm sein Umgangsrecht regelmäßig wahr (14-tägig am Wochenende, während der Schulferien und zu weiteren Gelegenheiten). Dafür und für physiotherapeutische und medizinischen Behandlungen in L. sowie an anderen Orten überwiegend in Bayern finanzierte der Beklagte dem Kläger von 2011 bis Anfang 2014 eine Bahncard100. In den letzten Jahren erfolgte der Kontakt des Klägers mit dem Beklagten mittels Fax und E-Mail; persönlich sprach er nicht vor. Bescheide ließ er an die Anschrift seines Sohns nach D. schicken.

Mit Bescheid vom 29. August 2014 bewilligte der Beklagte Leistungen in Höhe des Regelbedarfs für Alleinstehende für den Zeitraum von September 2014 bis Februar 2015. Mit Bescheid vom 22. Oktober 2014 hob er diese Bewilligung ab dem 1. November 2014 gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) auf und gab zur Begründung an, der Kläger halte sich nicht an seinem Wohnsitz auf. Das Objekt sei unbewohnbar. Er, der Beklagte, sei daher nicht mehr zuständig. Der Kläger möge unverzüglich bei dem für seinen derzeitigen Aufenthaltsort zuständigen Jobcenter einen Leistungsantrag stellen.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und wandte sich mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes an das Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG). Er wohne weiterhin in W., seinem einzigen Wohnsitz. Das SG verpflichtete den Beklagten mit Beschluss vom 21. November 2014, dem Kläger bis einschließlich Februar 2015 einstweilig Leistungen für den Regelbedarf zu zahlen. Es führte aus, zwar sei unklar, an welchem Ort sich der Kläger gewöhnlich und tatsächlich aufhalte. Da die örtliche Zuständigkeit des angegangenen SGB II-Leistungsträgers aber keine Anspruchsvoraussetzung mit materiell-rechtlichem Charakter sei, müsse der Beklagte als ggf. örtlich unzuständiger Träger vorläufig leisten.

Am 22. Februar 2015 stellte der Kläger per E-Fax einen Fortzahlungsantrag ab März 2015. Daraufhin ordnete der Beklagte am 23. Februar 2015 einen Hausbesuch zur Prüfung der Wohnverhältnisse an. Nachdem der Kläger am 24. Februar und 11. März 2015 unter seiner Wohnanschrift nicht angetroffen wurde, bat der Beklagte ihn mit Schreiben vom 16. März 2015, sich am 18. März 2015 in der Wohnung aufzuhalten, damit er sich zu entscheidungserheblichen Tatsachen äußern könne. Darauf antwortete der Kläger mit E-Mail vom 18. März 2015, er könne den Termin nicht wahrnehmen, da er sich seit den Winterferien (13. bis 22. Februar 2015) wegen des Umgangs mit den minderjährigen Söhnen in Bayern aufhalte. Ohne SGB II-Leistungen (u.a. für März 2015) könne er die Kosten für eine Rückkehr nach W. nicht aufbringen. Im Übrigen wisse der Beklagte, dass er seinen Wohnsitz (nach Bayern) verlegen wolle, gesundheitlich beeinträchtigt sei und regelmäßiger ärztlicher und physiotherapeutischer Behandlung bedürfe. Seit dem Ende der Schulferien habe er physiotherapeutische Behandlungen in Anspruch genommen und nach einer Wohnung gesucht.

Der Außendienst des Beklagten berichtete über die Hausbesuchsversuche am 24. Februar, 11. und 18. März 2015: Das Anwesen sei von einem Bauzaun umgeben, an dem sich ein Briefkasten befinde, der nicht beschriftet sei. Eine Klingel sei nicht zu sehen.

Mit Bescheid vom 18. März 2015 versagte der Beklagte die Leistungen ab März 2015 gemäß § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) wegen einer Verletzung der Mitwirkungspflichten. Die Ermittlung der Situation vor Ort sei für die Prüfung des Leistungsanspruchs unerlässlich.

Dagegen führte der Kläger beim SG ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren, in dem er ausführte, er halte sich bei seiner Tochter im Bayerischen Wald auf und habe kein Geld für eine Rückkehr an seinen Wohnsitz. Ein Hausbesuch sei nicht erforderlich, weil der schlechte Zustand des Hauses unstreitig sei und der Beklagte keine KdUH-Leistungen erbringe. Er wohne weiterhin in seinem Haus, in dem sich seine gesamte Habe befinde. W. sei sein einziger Wohnsitz. Wegen des Ausbleibens der SGB II-Leistungen sei er genötigt, bei seiner Tochter zu bleiben, die ihn mit Lebensmitteln versorge. Er habe kein Bargeld mehr und kein Vermögen. Auf Hinweis des SG nahm der Beklagte seinen Bescheid vom 18. März 2015 zurück. Das SG lehnte am 2. April 2015 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab und führte aus, der Kläger habe seine Hilfebedürftigkeit und damit einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Im Beschwerdeverfahren hob der Senat den Beschluss des SG vom 2. April 2015 (L 4 AS 247/15 B ER, juris) auf und verpflichtete den Beklagten zur vorläufigen Leistungsgewährung für die Monate März 2015 (186,20 €) und April 2015 (399 €). In Ausführung des Beschlusses zahlte der Beklagte im Juli 2015 den Gesamtbetrag (585,20 €) an den Kläger (Überweisung auf das Konto des Sohns) aus.

Am 5. Mai 2015 stellte der Kläger einen weiteren einstweiligen Rechtsschutzantrag beim SG, das den Beklagten zur vorläufigen Zahlung von 150 € für den Monat Mai 2015 verpflichtete. Dieser Betrag wurde ebenfalls im Juli 2015 auf das Konto des Sohns überwiesen. Auf einen weiteren einstweiligen Rechtsschutzantrag beim SG (S 14 AS 1433/15 ER) verpflichtete das SG den Beklagten im Rahmen einer Folgenabwägung mit Beschluss vom 17. Juli 2015 zur Zahlung von 13,30 € für Juni und 399 € für Juli 2015. Der Gesamtbetrag wurde Ende Juli 2015 überwiesen.

Am 1. August 2015 beantragte der Kläger beim SG einstweiligen Rechtsschutz für eine vorläufige Leistungsgewährung ab August 2015, damit er u.a. seine Rückkehr nach W. vorbereiten könne. Auf Anregung des SG bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 7. August 2015 vorläufige Leistungen für August 2015 von 399 €.

Auf die Übersendung des Antragsformulars für die Weiterbewilligung von SGB II-Leistungen durch den Beklagten vom 27. Juli 2015 mit dem Hinweis, der Kläger möge den Antrag bei dem für seinen Aufenthaltsort zuständigen Jobcenter einreichen, stellte der Kläger am 8. August 2015 (unterzeichnet in P.), am 18. August 2015 per Fax beim Beklagten eingegangen, einen Fortzahlungsantrag, den der Beklagte mit Bescheid vom 2. September 2015 ablehnte. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe seine Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen. Die Angabe, sein Sohn hebe von seinem Konto die für ihn überwiesenen SGB II-Leistungen ab und stelle diese ihm bar zur Verfügung, sei nicht glaubhaft und widerspreche den tatsächlichen Verhältnissen. Dem in D. lebenden Sohn sei eine Übergabe von Bargeldbeträgen an den Kläger kaum möglich, weil dieser häufig ortsabwesend sei (Umgangsrecht, Arzttermine, Therapien). Der Kläger könne seine umfangreiche Reisetätigkeit allein aus den bewilligten SGB II-Leistungen nicht finanzieren. Daher sei zu vermuten, dass er über weiteres Einkommen verfüge. Der Antrag sei auch wegen unerlaubter Ortsabwesenheit abzulehnen. Nach § 7 Abs. 4a SGB II erhielten Leistungsberechtigte keine Leistungen, wenn sie sich ohne Zustimmung des zuständigen Trägers außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhielten und deshalb nicht für eine Eingliederung in Arbeit zur Verfügung stünden. Zum zeit- und ortsnahen Bereich gehörten die Orte in der Umgebung des Trägers, von denen aus der erwerbsfähige Leistungsberechtigte erforderlichenfalls in der Lage wäre, den Leistungsträger täglich und ohne zumutbaren Aufwand zu erreichen. Inzwischen halte sich der Kläger seit mindestens sechs Monaten in Bayern und nicht mehr am angegebenen Wohnort auf. Die Behauptung, ihm fehlten die finanziellen Mittel für eine Rückkehr, sei nicht stichhaltig, denn seit Juli 2015 erhalte er vorläufig Regelbedarfsleistungen. Die mehrmonatige Abwesenheit habe er als Leistungsträger nicht genehmigt. Am gemeldeten Wohnort sei der Kläger weder postalisch noch persönlich zu erreichen. Alle Anliegen würden per Fax (überwiegend aus Bayern) bzw. per E-Mail geltend gemacht.

Den Bescheid übersandte der Beklagte am 2. September 2015 an den Beigeladenen. Da sich der Kläger seit Februar 2015 in P. aufhalte, werde der Antrag zuständigkeitshalber weitergeleitet. Der Beigeladene sandte den Antrag mit Schreiben vom 24. September 2015 zurück und führte aus, nach seiner Kenntnis sei der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers weiterhin im Bereich des Beklagten. Er, der Beigeladene, sei daher nicht zuständig.

Den gegen den Bescheid vom 2. September 2015 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2015 als unbegründet zurück. In der Begründung vertiefte er die Ausführungen im Ablehnungsbescheid.

Mit Beschluss vom 6. Oktober 2015 (S 14 AS 1641/15 ER) verpflichtete das SG den Beklagten nach einer Folgenabwägung, dem Kläger vorläufig Leistungen für die Zeit von September 2015 bis Februar 2016 von monatlich 399 € zu gewähren. Die Leistungen für September und Oktober 2015 wies der Beklagte in Ausführung des Beschlusses am 15. Oktober 2015 an den Kläger an und kündigte an, bis Februar 2016 die vorläufigen Leistungen jeweils zum Monatsbeginn auf das Konto des Sohns zu überweisen.

Der Kläger hat am 28. Oktober 2015 Klage beim SG erhoben und zur Begründung vorgetragen, sein Haus sei jedenfalls bis Februar 2015 bewohnbar gewesen. Bei seiner Rückkehr habe er feststellen müssen, dass es jetzt nicht mehr bewohnbar sei. Es sei mehrfach eingebrochen worden. Es sei verwüstet und es hätten sich Schadtiere (Ratten, Mäuse, Marder) eingenistet. Entgegen den Angaben des Beklagten sei er nach Ende der Winterferien in Bayern nach W. zurückgekehrt und habe anschließend seine Tochter anlässlich in Bayern stattfindender Therapietermine besucht. Dort habe er von der Einstellung der SGB II-Leistungen erfahren. Derzeit sei er aufgrund der Zerstörung seiner Wohnung obdachlos auf seinem eigenen Grundstück.

Auf eine Einladung des Beklagten zur Vorsprache am 5. November 2015 hat der Kläger, der sich nach seinen Angaben in Bayern aufhielt, mit E-Mail vom 2. November 2015, die über den Sohn an den Beklagten gesandt wurde, mitgeteilt, er werde den Termin nicht wahrnehmen. Er kehre erst dann nach W. zurück, wenn ihm Leistungen für den Zeitraum von September 2015 bis Februar 2016 bewilligt worden seien. Zudem müsse zuvor eine Person seines Vertrauens prüfen, ob seine Wohnung noch bewohnbar sei. Er wisse nicht, ob sein Sohn dazu bereit wäre; jedenfalls seien die anfallenden Kosten von 39 € (für Fahrt und Zeiteinsatz) vorab auf das Konto des Sohns zu überweisen.

Einen Vorsprachetermin am 15. Dezember 2015 beim Beklagten hat der Kläger ebenfalls nicht wahrgenommen.

Am 24. Dezember 2015 hat der Kläger eine E-Mail an den Beklagten gesandt und mitgeteilt, er halte er sich in Bayern auf, um Umgang mit seinen Kindern zu pflegen. Weiter hat er erklärt, er habe nun einen Einbruch auf seinem Anwesen feststellen müssen.

Am 9. März 2016 ist ein weiterer Hausbesuchsversuch erfolgt. Nach dem Bericht vom Folgetag konnte der Kläger um 12:10 Uhr nicht angetroffen werden. Der Briefkasten sei nicht beschriftet, eine Klingel nicht vorhanden gewesen. Bei der Inaugenscheinnahme seien keine Veränderungen im Vergleich zu den Vorbesichtigungen im Februar und März 2015 erkennbar gewesen. Ein Bauwagen, in dem der Kläger nach seinen Angaben nächtige, sei nicht zu sehen gewesen. Das Grundstück sei mit Bauzäunen gesichert. Es sei nicht zu sehen, dass diese (regelmäßig) geöffnet und geschlossen worden seien. Es seien auch keine Reifenspuren oder Trampelpfade zu erkennen, die zum oder über das Grundstück führten. Auf Rufen und Hupen habe niemand reagiert.

Am 13. April 2016 hat das Jobcenter L. dem Beklagten mitgeteilt, der Kläger habe in L. eine Wohnung bezogen und am 8. März 2016 einen Leistungsantrag gestellt hatte. Ab dem 1. März 2016 sind dem Kläger vom Jobcenter L. SGB II-Leistungen bewilligt worden.

Mit Beschluss vom 11. Februar 2019 hat das SG das Jobcenter Freyung-Grafenau beigeladen, das unter dem 17. Dezember 2019 ausgeführt hat, es könne zum Rechtsstreit nichts beitragen, da der Kläger nicht vorstellig geworden sei und keinen Leistungsantrag gestellt habe.

Nach einem Erörterungstermin am 29. Januar 2020 hat das SG einen Fragenkatalog an den Kläger übersandt. Diesen hat er u.a. wie folgt beantwortet: Von der Leistungseinstellung des Beklagten habe er Ende Oktober 2014 während des Aufenthalts bei seiner Tochter in P. durch einen Anruf seines Sohns erfahren. Er sei bei seiner Tochter geblieben in der Hoffnung, bald wieder SGB II-Leistungen zu erhalten. Er sei erst im August 2015 nach W. zurückgekehrt und habe seine Wohnung verwüstet vorgefunden. Zuvor habe er sich seit Oktober 2014 durchgängig in Bayern aufgehalten. Die nunmehr bestehende Obdachlosigkeit auf dem eigenen Anwesen ändere nichts daran, dass er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in W. habe. In der Zeit bis Oktober 2014 habe er sich überwiegend dort aufgehalten und z.B. das Umgangsrecht mit den beiden minderjährigen Söhnen am Wochenende wahrgenommen. Dazu habe er die Söhne in I. abgeholt und zum Ende des Wochenendes wieder zurückgebracht. Gelegentlich habe er Behandlungs- und Arzttermine in Bayern wahrgenommen. Nach seiner Rückkehr im August 2015 habe er sich „anfänglich als quasi Obdachloser auf dem eigenen Grundstück in W. aufgehalten“. Sein Wohnhaus sei komplett eingerichtet gewesen, einschließlich Küche, Geschirrspüler und Waschmaschine, Bad/WC, Schlafzimmer für sich sowie vier weitere Zimmer für die Kinder. Andere Gebäude des Anwesens seien teilweise verfallen. Während seiner Abwesenheit habe es mindestens zwei Einbrüche in das Wohnhaus gegeben. Wegen des Schadtierbefalls sei es im August 2015 nicht mehr bewohnbar gewesen.

Im Schriftsatz vom 3. Juni 2020 hat der Beklagte auf die Widersprüchlichkeit der Angaben des Klägers hingewiesen: In der E-Mail vom 2. November 2015 habe er erklärt, noch mindestens bis zum 15. November 2015 in Bayern zu bleiben. Jetzt gebe er an, bereits Anfang August 2015 zurückgekehrt zu sein. Über den Rattenbefall auf dem Grundstück habe bereits im Oktober 2014 die örtliche Presse berichtet. Der Kläger sei weiterhin Eigentümer des Anwesens. Der Landkreis A. habe im Jahr 2018 wegen Einsturzgefahr Maßnahmen zur Gefahrenabwehr im Wege der Ersatzvornahme (Rückbau des nördlichen Giebels und des Dachs des Gebäudes) ergriffen.

Der Kläger hat dazu erklärt, zwar habe es auf dem Grundstück Ratten gegeben, aber nicht in den von ihm bewohnten Räumen. Unabhängig vom Zeitpunkt des Beginns seines Aufenthalts bei seiner Tochter sei davon auszugehen, dass seine Rückkehr zum Hauptwohnsitz durch den Beklagten vereitelt worden sei.

Mit Urteil vom 7. Mai 2021 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Es sei örtlich zuständig, denn es sei davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Oktober 2015 W. noch der Wohnsitz des Klägers gewesen sei, auch wenn er sich dort bereits seit Oktober 2014 nicht mehr aufgehalten habe. Insoweit sei die von ihm mehrfach bekundete Rückkehrabsicht zu berücksichtigen. Der Beklagte sei für die Leistungsgewährung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II örtlich zuständig gewesen, da der Kläger im Gebiet des Landkreises seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe (§ 36 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger bei Stellung des Leistungsantrags (8. August 2015) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in W. bereits aufgegeben habe. Bei seiner Tochter in P. habe er sich zunächst besuchsweise aufgehalten. Der Kläger sei im streitigen Zeitraum dem Grunde nach leistungsberechtigt und auch hilfebedürftig gewesen. Es gebe keine konkreten Anhaltspunkte für nicht offengelegte Einnahmen. Gleichwohl sei die Gewährung von Leistungen gemäß § 7 Abs. 4a SGB II ausgeschlossen, weil sich der Kläger außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs des Beklagten aufgehalten habe. Aufgrund des Aufenthalts im rund 530 km entfernten P. in Bayern seit Oktober 2014 sei es dem Kläger nicht möglich gewesen sei, Postsendungen des Beklagten zur Kenntnis zu nehmen oder dessen Dienststelle zu besuchen. Eine Rückkehr nach W. sei nicht vor Dezember 2015 erfolgt. Es sei nicht davon auszugehen und auch nicht nachgewiesen, dass er sich seither überwiegend oder durchgängig in W. und damit im zeit- und ortsnahen Bereich des Beklagten aufgehalten habe. Die Behauptung, er habe im Winter auf seinem Grundstück im Freien übernachtet, sei unglaubhaft. Eine Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners für die Ortsabwesenheit habe nicht vorgelegen. Der Beklagte habe erst im Klageverfahren erfahren, dass sich der Kläger bereits seit Oktober 2014 und damit deutlich länger als bis dahin angenommen nicht mehr an seinem Wohnsitz aufgehalten habe. Dem Beklagten sei lediglich die Abwesenheit in den Winterferien zur Ausübung des Umgangsrechts (Februar 2015) bekannt gewesen. Der Kläger habe zumindest grob fahrlässig seine dauerhafte Abwesenheit vom Wohnsitz und damit eine erhebliche Änderung in seinen Verhältnissen nicht mitgeteilt. Er hätte erkennen können, dass kein Anspruch auf SGB II-Leistungen für die Zeit der ungenehmigten Ortsabwesenheit bestand. Über die Notwendigkeit, ggf. auch vorübergehende, Ortsabwesenheiten beim Beklagten anzuzeigen, sei er informiert gewesen. Dem Leistungsausschluss stehe nicht entgegen, dass der Beklagte dem Kläger seit Längerem kein Vermittlungsangebot mehr gemacht habe. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten verletze den Kläger daher nicht in seinen Rechten.

Am 2. Juni 2021 hat der Kläger Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, das SG habe den Sachverhalt fehlerhaft beurteilt, weil es nicht erkannt habe, dass der Beklagte den langen Aufenthalt des Klägers in Bayern verursacht habe. Ein Leistungsausschlussgrund liege schon deshalb nicht vor, weil der Beklagte in den letzten zehn Jahren keine Vermittlungsbemühungen unternommen habe. Es sei ihm es daher verwehrt, sich auf die Ortsabwesenheit zu berufen. Der Kläger sei Ende November/Anfang Dezember 2015 nach W. zurückgekehrt und habe sich überwiegend in seinem verwüsteten Domizil aufgehalten. Mit den im einstweiligen Rechtsschutz erstrittenen Leistungen, die er im Sommer 2015 erhalten habe, sei kein verlässlicher Leistungszufluss verbunden gewesen, sodass ihm eine Rückkehr an seinen Wohnort vor Beginn des streitigen Zeitraums nicht möglich gewesen sei.

Mit Einverständnis des Klägers hat die Berichterstatterin eine Niederschrift des Sozialgerichts L. vom Erörterungstermin am 22. September 2022 im Klageverfahren ... beigezogen, in dem es um den Leistungsanspruch für den Bewilligungszeitraum von März bis August 2015 ging. Dort hat der Kläger erklärt, er habe im Juni 2015 vom Einbruch auf seinem Grundstück erfahren. Er könne sich nicht mehr genau daran erinnern, ob er sich bereits seit November 2014 bei seiner Tochter in P. aufgehalten habe. In dem Termin wurden die Tochter des Klägers (früher P.) und der älteste Sohn des Klägers (früher D.) als Zeugen vernommen.

Der Beklagte hat im Schriftsatz vom 2. Mai 2023 die erbrachten Zahlungen aufgelistet:

            Anfang Juli 2015:       186,20 € für 03/2015,

                                                  399,00 € für 04/2015,

                                                  150,00 € für 05/2015 (insgesamt 735,20 €)

Ende Juli 2015:                       14,30 € für 06/2015,

                                                399,00 € für 07/2015 (insgesamt 413,30 €)

Anfang August 2015:          399,00 € für 08/2015

Oktober 2015                       399,00 € für 09/2015,

                                              399,00 € für 10/2015 (insgesamt 798,00€).

Von November 2015 bis Februar 2016 wurden monatlich 399,00 € zum Monatsanfang angewiesen.

Dazu hat der Kläger erklärt, erst ab August 2015 sei neben den Reisekosten sein Lebensunterhalt für eine gewisse Zeit gesichert gewesen, sodass eine Rückkehr nach W. zumutbar war. 

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 7. Mai 2020 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 2. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Oktober 2015 zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. September 2015 bis zum 28. Februar 2016 in Höhe des maßgeblichen Regelbedarfs zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beigeladene hat sich im Berufungsverfahren inhaltlich nicht geäußert und keine Antragstellung angekündigt.

Unter dem 16. Januar 2024 hat der Kläger mitgeteilt, er könne aufgrund der Verschlechterung seines Gesundheitszustands nicht an der mündlichen Verhandlung des Senats teilnehmen. Er hat auf seine Antworten zum Fragenkatalog des SG verwiesen und angeboten, Fragen des Senats kurzfristig schriftlich zu beantworten. Der Kläger hat auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Ergänzend hat sein Prozessbevollmächtigter ausgeführt, er könne anwaltlich versichern, dass der Kläger ihn im August 2015 angerufen und mitgeteilt habe, er sei am Vortag in W. gewesen und habe sein Anwesen in einem desolaten Zustand vorgefunden. Er habe erklärt, dass er versuchen wolle, seine Wohnung wieder bewohnbar zu machen. Etwa zwei Wochen später habe der Kläger ihn telefonisch darüber informiert, dass er die Bewohnbarkeit nicht wiederherstellen könne. Er schlafe auf seinem Grundstück draußen und fahre des Öfteren nach L. Wenn es auf seinem Grundstück beispielsweise bei starkem Regen unerträglich werde, finde er tageweise Unterschlupf bei Bekannten und Nachbarn. Er, der Prozessbevollmächtigte, habe selbst erlebt, dass der Kläger Termine mit einem großen Rucksack wahrgenommen und erklärt habe, er führe sämtliche Utensilien, die er für ein autarkes Leben benötige, bei sich. Weil der Beklagte dem Kläger in den letzten 15 Jahren keine Erwerbstätigkeit angeboten habe, seien seine Hinweise auf die Erreichbarkeitsanordnung weder nachvollziehbar noch stichhaltig. Bei der Bewertung der Abwesenheitszeiten sei zu beachten, dass der Kläger – solange er noch über die DB-Netzkarte verfügt habe – berechtigt gewesen sei, auch ICE-Züge zu nutzen, sodass er die Dienststelle des Beklagten binnen weniger Stunden hätte erreichen können. Soweit es der Senat für möglich halte, dass sich der Kläger auch ab September 2016 noch in Bayern aufgehalten habe, werde beantragt, dessen Tochter als Zeugin zu vernehmen. Sie werde bekunden, dem Kläger nach dessen Rückkehr nach W. im August 2015 keine Kost und Logis mehr gewährt und auch sonst nicht mehr unterstützt zu haben. Der Kläger sei nicht freiwillig bei seiner Tochter geblieben, sondern von der Ablehnung der weiteren Leistungsgewährung überrascht worden. Es treffe nicht zu, dass er sich am Aufenthaltsort Geld für eine Rückfahrkarte zum Wohnort hätten leihen können. Er habe bis zu den Zahlungen im Juli 2015 kein Geld gehabt, um sich in W. zu versorgen.

Der Beklagte und der Beigeladene haben ebenfalls auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die Sitzungsniederschrift des Sozialgerichts L. ergänzend Bezug genommen. Die genannten Unterlagen sind Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die angegriffenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum von September 2015 bis Februar 2016 keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Bewilligung von SGB II-Leistungen in Höhe des geltend gemachten Regelbedarfs.

Die Berufung ist zulässig. Die geltend gemachten Regelbedarfsleistungen (2015: 399 €, 2016: 404 €) überschreiten für den sechsmonatigen Bewilligungszeitraum die Beschwerdewertgrenze von 750 € gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem Urteil des SG vom 7. Mai 2021 der Bescheid des Beklagten vom 2. September 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Oktober 2015, mit dem er den Leistungsantrag des Klägers abgelehnt hat. Dagegen hat sich der Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) gewandt, gerichtet auf eine Aufhebung des Ablehnungsbescheids und die Verpflichtung des Beklagten zur Bewilligung von SGB II-Leistungen in Höhe des monatlichen Regelbedarfs sowie eine Auszahlung der Leistungen, soweit sie ihm noch nicht aufgrund der einstweiligen Anordnungen zugeflossen sind (für Januar und Februar 2016 je 5 € nach Erhöhung der Regelbedarfe). Soweit der Kläger die begehrte Leistung vom Beklagten im Ergebnis eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens bereits erhalten hat, wird mit der Verpflichtung zum Erlass eines Bewilligungsbescheids ein Rechtsgrund für das Behaltendürfen dieser Leistungen geschaffen; denn die einstweilige Anordnung verliert mit der endgültigen Entscheidung ihre Rechtswirkungen (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 9. März 2022, B 7/14 AS 79/20 R, juris RN 11 mit weit. Nachw.). Verfahrenshindernisse stehen daher einer Sachentscheidung des Gerichts nicht entgegen.

Die beim SG erhobene Klage war zulässig; insbesondere war das SG örtlich zuständig, denn in dessen Bezirk hatte der Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung am 28. Oktober 2015 seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Insoweit wird von einer weiteren Darstellung abgesehen und auf die Ausführungen des SG im angegriffenen Urteil verwiesen. Zwar hielt sich der Kläger tatsächlich in Bayern auf und wahrscheinlich war das Haus in W. unbewohnbar, es kann aber nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt werden, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt den Ort W. als Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen bereits endgültig aufgegeben hatte. Dementsprechend war grundsätzlich auch der Beklagte für die Leistungen nach dem SGB II gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II örtlich zuständig.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Leistungsanspruchs ist § 19 Abs. 1 Satz 2 und 3 iVm den §§ 7 f., 20 f. SGB II. Der Kläger war im streitigen Zeitraum dem Grunde nach leistungsberechtigt nach den §§ 7 ff. SGB II in der Fassung des Achten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Ergänzung personalrechtlicher Bestimmungen – vom 28. Juli 2014 (a.F., BGBl. I 1306). Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen KdUH. Berechtigt, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu erhalten, sind nach § 7 Abs. 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Erwerbsfähig ist nach § 8 Abs. 1 SGB II, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Der im streitigen Zeitraum 62-jährige Kläger hatte die in seinem Fall maßgebliche Altersgrenze noch nicht erreicht und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Er war – mangels entgegenstehender Feststellung seiner dauerhaften Erwerbsunfähigkeit iSv § 44a SGB II – erwerbsfähig und verfügte nicht über Einkommen gemäß § 11 SGB II und auch nicht über einzusetzendes Vermögen gemäß § 12 SGB II.

Jedoch greift zu seinen Lasten der Leistungsausschlussgrund des § 7 Abs. 4a SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 15. Juni 2016, B 4 AS 45/15 R, juris RN 26) in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (a.F.). Gemäß § 77 Abs. 1 SGB II in der bis 31. Dezember 2022 geltenden Fassung vom 20. Juni 2011 gilt § 7 Abs. 4a SGB II a.F. weiter bis zum Inkrafttreten einer nach § 13 Abs. 3 SGB II erlassenen Rechtsverordnung. Da eine solche im streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht vorlag, findet § 7 Abs. 4a SGB II a.F. hier Anwendung.

§ 7 Abs. 4a SGB II a.F. bestimmt: "Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend." Der zeit- und ortsnahe Bereich ist in § 2 Nr. 3 Satz 2 EAO definiert als „alle Orte in der Umgebung des Arbeitsamtes, von denen aus der Arbeitslose erforderlichenfalls in der Lage wäre, das Arbeitsamt täglich ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen.“

Der Senat ist davon überzeugt, dass sich der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum von September 2015 bis Februar 2016 nicht an seinem Wohnsitz in W. im Zuständigkeitsbereich des Beklagten, sondern (weit) überwiegend in Bayern – vornehmlich in P. – aufgehalten hat. Dies war außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs. Denn eine Reise mit der Bahn von P. in die 530 km entfernt liegende Stadt K. dauert mit Bus und Bahn – über einen Pkw verfügt der Kläger nicht – mindestens acht Stunden, sodass auch bei einem frühmorgendlichen Fahrtbeginn der Sitz des Beklagten, der vom Bahnhof knapp einen Kilometer entfernt liegt, zu dessen Öffnungszeiten (nur donnerstags bis 17 Uhr) praktisch nicht erreichbar ist. Daher war der Beklagte für den Kläger von seinem Aufenthaltsort aus nicht „täglich ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen“.

Die Voraussetzungen von § 7 Abs. 4a SGB II a.F. sind erfüllt, weil sich der Kläger zur Überzeugung des Senats im streitgegenständlichen Zeitraum von September 2015 bis Februar 2016 ohne Zustimmung des Beklagten außerhalb des in der EAO definierten zeit- und ortsnahen Bereichs aufhielt. Zwar weiß der Senat nicht, wo genau sich der Kläger tatsächlich aufhielt. Er verweilte jedoch nicht an seinem Wohnsitz in W., sodass er für den Beklagten nicht iSv § 7 Abs. 4a SGB II a.F. erreichbar war. Dieser Umstand steht einem Anspruch auf SGB II-Leistungen entgegen.

Unstreitig ist, dass sich der Kläger zumindest seit Oktober 2014 bis Anfang August 2015 durchgehend in Bayern aufgehalten hat und nicht an seinem Wohnsitz in W. anzutreffen war. Soweit der Kläger seit dem Klageverfahren (Antworten zum Fragenkatalog im Januar 2020) und im Berufungsverfahren quasi im Nachhinein behauptet, er sei Anfang August 2015 nach W. zurückgekehrt, habe fortan auf seinem Anwesen gelebt, dort zwar nicht das Wohnhaus bewohnt, aber im Freien übernachtet, vermag der Senat dies nicht zu glauben. Zum einen widerspricht es den Angaben des Klägers im Verwaltungsverfahren: denn in einer E-Mail vom 5. November 2015 hatte er erklärt, sich (noch) in Bayern aufzuhalten und hatte Forderungen an den Beklagten für seine Rückkehr nach W.gestellt. Der Kläger hat die Termine zur Vorsprache am 5. November 2015 und am 15. Dezember 2015 nicht wahrgenommen. Bei einem tatsächlichen Aufenthalt in W. wäre ihm die erwünschte Vorsprache beim Beklagten leicht möglich gewesen. In einer E-Mail vom 24. Dezember 2015 hat er erklärt, sich (wieder) in Bayern aufzuhalten, um Umgang mit seinen Kindern zu pflegen. In dem beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (L xxx B ER) hatte der Kläger dann angegeben, sich bis Ende Februar 2015 immer wieder in W. aufgehalten zu haben. Diese Erklärung entspricht nach Auffassung des Senats nicht der Wahrheit. Der Kläger wusste, spätestens seit Oktober 2014 aufgrund der Ausführungen im Aufhebungsbescheid vom 22. Oktober 2014, dass der Beklagte nicht nur Interesse an einem Hausbesuch zur Feststellung der Bewohnbarkeit des Anwesens hatte, sondern auch (persönlich) mit dem Kläger u.a. wegen dessen Abwesenheitszeiten sprechen wollte. Gleichwohl hat der Kläger in der Folge nicht beim Beklagten vorgesprochen. Dies spricht ebenfalls dafür, dass er sich nicht – nicht einmal zeitweise – an seinem Wohnsitz aufhielt.

Es gibt außer der Behauptung des Klägers im Klageverfahren des SG keinen Beleg für seine Behauptung, im August 2015 nach W. zurückgekehrt zu sein. Seine Bekundungen in den E-Mails aus November und Dezember 2015 sprechen dagegen und legen nahe, dass er über Juli 2015 hinaus bis einschließlich Weihnachten 2015 in Bayern war.

Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers zuletzt (im Schriftsatz vom 16. Januar 2024) anwaltlich versichert hat, der Kläger habe ihn im August 2015 angerufen, der Anruf sei am Folgetag der Rückkehr nach W. erfolgt und der Kläger habe ihn über den desolaten Zustand seines Anwesens informiert, bestätigt die anwaltliche Versicherung, dass ein Anruf des Klägers erfolgt ist und ggf. den Inhalt dieses Telefonats. Das bedeutet aber nicht, dass die Angaben des Klägers der Wahrheit entsprachen und er sich tatsächlich in W. aufhielt. Entsprechendes gilt für die Ausführung des Prozessbevollmächtigten, der Kläger habe ihn davon in Kenntnis gesetzt, dass er auf seinem Grundstück draußen schlafe und zeitweise, tageweise Unterschlupf bei Bekannten und Nachbarn finde. Schließlich ist auch der Umstand, dass der Kläger früher, als ihm noch eine Bahncard100 zur Verfügung stand, mit einem großen Rucksack verreiste, der ihm ein autarkes Leben ermögliche, kein belastbarer Hinweis auf ein entsprechendes Verhalten ab August 2015, weil er nicht mehr im Besitz einer „Freifahrtkarte der Bahn“ war und nach eigenen Angaben keine Geldmittel für eine „umfangreiche Reisetätigkeit“ hatte.

Auch dem schriftsätzlich angekündigten Beweisantrag des Klägers, der als Beweisanregung zu werten ist, war nicht nachzugehen: Die Aufenthaltsorte des Klägers ab September 2016 sind nicht entscheidungserheblich. Soweit September 2015 gemeint ist, bedarf es einer Zeugenvernehmung der früher in P. wohnenden Tochter nicht, weil – wie oben ausgeführt – die Angaben des Klägers zu seinen Aufenthaltszeiten in Bayern und am Wohnsitz widersprüchlich sind. Zudem würde eine Abwesenheit des Klägers vom Haushalt der Tochter nicht beweisen, dass er sich in W. aufgehalten hat. Denn der Kläger hatte nach seinen Angaben weitere Aufenthaltsorte oder Anlaufstellen in Bayern, die dem Senat nicht bekannt sind. Schließlich kommt eine Beweisaufnahme zu den Aufenthaltsorten des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum schon deshalb nicht in Betracht, weil dessen eigenes Vorbringen widersprüchlich ist. Es mangelt an einer schlüssigen Tatsachendarlegung, sodass eine Beweisaufnahme nicht erforderlich ist.

Der Senat hält es in der Gesamtschau für abwegig, dass sich der Kläger im hier streitgegenständlichen Winter 2015/2016 auf seinem Anwesen aufgehalten und dort (im Freien) übernachtet haben will. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Urteil ergänzend Bezug genommen und von einer erneuten Darstellung abgesehen. Schließlich konnte auch der Beklagte bei seinem neuerlichen Hausbesuchsversuch im März 2016 keine Spuren einer zwischenzeitlichen längeren Anwesenheit des Klägers auf dem Grundstück erkennen. Es gab nicht einmal Fußspuren oder Trampelpfade zum oder auf dem Grundstück, was deutlich dagegenspricht, dass sich der Kläger dort im Winter 2015/16 regelmäßig oder länger aufgehalten hat.

Es ist unstreitig, dass der Kläger für seinen spätestens Ende Oktober 2014 beginnenden Daueraufenthalt in Bayern, soweit dieser über Zeiten der Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seinen in I. lebenden damals minderjährigen Söhnen (in den Herbstferien 2014) hinausging, keine vorherige Zustimmung seines persönlichen Ansprechpartners beim Beklagten eingeholt und er diese Ortsabwesenheiten ihm auch nicht mitgeteilt hatte.

Dem Leistungsausschluss steht nicht entgegen, dass die Ortsabwesenheiten des Klägers zeitweise – zur Wahrnehmung des Umgangsrechts – genehmigungsfähig waren und zum Teil nach Anzeige beim Beklagten in dessen Kenntnis erfolgten. Denn dabei handelte es sich um kurzzeitige Ortsabwesenheiten. Eine andauernde Ortsabwesenheit über mehrere Monate bzw. von mehr als einem Jahr (ggf. Oktober 2014 bis Dezember 2015) war dem Beklagten nicht angezeigt worden. Wie das SG in seinem Urteil zutreffend ausgeführt hat, lag die Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners für eine Ortsabwesenheit im streitigen Zeitraum von September 2015 bis Februar 2016 nicht vor. Tatsächlich erlangte der Beklagte erst im Klageverfahren Kenntnis davon, dass der Kläger sich bereits seit Herbst 2014 und damit deutlich länger als bislang von ihm angenommen, nicht mehr in W aufhielt. Der Kläger hat zumindest grob fahrlässig dem Beklagten seine – über die Zeiten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts – hinausgehenden Ortsabwesenheiten nicht mitgeteilt, obwohl er wusste, bzw. hätte erkennen können, dass er für Zeiten der unerlaubten Ortsabwesenheit keinen SGB II-Leistungsanspruch hatte.

Im Übrigen ist die Genehmigungsfähigkeit nach dem Wortlaut des Gesetzes ohne Bedeutung; der Leistungsanspruch entfällt, wenn eine Genehmigung nicht eingeholt wurde, unabhängig davon, ob sie auf einen entsprechenden Antrag hin erteilt worden wäre. Soweit in der Rechtsprechung Ausnahmen hiervon anerkannt worden sind, sind diese nur unter strengen Voraussetzungen angenommen worden, z. B. wenn wegen Unaufschiebbarkeit der Ortsabwesenheit die Bescheidung eines kurzfristig gestellten Genehmigungsantrags nicht abgewartet werden kann (so LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 9. April 2021, L 12 AS 1677/19, juris RN 35).

Der Kläger gehört auch nicht zu dem Personenkreis, für den in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass er trotz des Wortlauts keine vorherige Zustimmung benötigt. Das sind solche Personen, von denen keine Eingliederungsbemühungen erwartet werden: Alle Sozialgeldempfänger (d.h. nicht erwerbsfähige Personen), ebenso diejenigen Leistungsberechtigten nach dem SGB II, die nur aufgrund der Bedarfsanteilsmethode Leistungen erhalten (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. April 2021, L 32 AS 588/16, juris; BSG, Urteil vom 7. November 2006, B 7b AS 8/06 R, juris), und Personen, die sich auf die Unzumutbarkeit einer Eingliederung in Arbeit berufen können (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 SGB II). Zu Letzteren gehören u.a. Schüler und Auszubildende, die der allgemeinen Schul- bzw. Berufsschulpflicht unterliegen und denen deshalb eine Eingliederung in Arbeit unzumutbar ist (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB II) oder alleinerziehende Eltern von Kleinkindern unter drei Jahren (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. August 2013, L 34 AS 1030/11, juris) oder Personen, die Angehörige pflegen. Der Kläger gehört zu keiner dieser Personengruppen. Insbesondere ergibt sich allein aus dem Umstand, dass er gesundheitliche Einschränkungen nach einem Unfall geltend macht und zeitweise Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt hat, nicht, dass man von ihm keine Eingliederungsbemühungen erwarten durfte.

Der Senat kann – mangels vorliegender Belege zu Art und Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigungen im streitgegenständlichen Zeitraum – nicht feststellen, dass der Kläger grundsätzlich zu jeder Arbeit körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage war (§ 10 Abs. Nr. 1 SGB II). Auch ein fortgeschrittenes Alter einer Person als solches bedingt keine Nichteignung. Die altersbedingten Lockerungen des § 65 Abs. 4 SGB II greifen in seinem Fall nicht, weil er am 1. Januar 2008 das 58. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

Das Vorbringen des Klägers, der Beklagte habe ihn durch die Ablehnung seiner Leistungsanträge von seinem Wohnort vertrieben, denn er habe ohne SGB II-Leistungen eine Rückkehr an seinen Wohnort nicht finanzieren können, weshalb ihm eine Rückkehr nach W. nicht zumutbar gewesen sei, stellt für den hier streitgegenständlichen Zeitraum von September 2015 bis Februar 2016 keinen Grund für einen andauernden Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs dar. Denn ihm standen ab Juli 2015 durch die Anweisung der im einstweiligen Rechtsschutz erstrittenen Regelbedarfsleistungen hinreichende Geldmittel – auch für eine Rückkehr an den Wohnort – zur Verfügung. Die Rückkehr war nach Auffassung des Senats auch zumutbar. Daher ist der Entschluss des Klägers, auch über den Monat Juli 2015 hinaus in Bayern zu bleiben und (vorerst) nicht nach W. zurückzukehren, seine autonome Entscheidung, die von ihm zu verantworten ist und nicht dem Beklagten zugrechnet werden kann.

Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass die Regelung in § 7 Abs. 4a SGB II a.F. auf ihn keine Anwendung finde, da der Beklagte seiner Leistungspflicht nicht genügt habe. Zum einen handelt es sich bei der Pflicht zur Erreichbarkeit sowie dem Erfordernis der Zustimmung des Jobcenters zur Ortsabwesenheit nicht um Rechtspflichten oder Obliegenheiten aus dem Sozialrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten, sondern um eine Leistungsvoraussetzung (vgl. BSG, Urteil vom 15. Juni 2016, a.a.O., RN 26). Zum anderen sind dem Kläger ab Juli 2015 und nahtlos anschließend im streitgegenständlichen Zeitraum monatliche Regelbedarfsleistungen vom Beklagten (vorläufig) ausgezahlt worden. Daher ist er ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter iSv § 7 Abs. 4a SGB II a.F.

Danach steht auch für den Senat fest, dass sich der Kläger im hier maßgeblichen Zeitraum von September 2015 bis Februar 2016 überwiegend nicht in W. aufgehalten hat und für den Beklagten nicht iSv § 7 Abs. 4a SGB II a.F. und der EAO erreichbar war. Der Vortrag des Klägers im Verlauf des Berufungsverfahren ist nicht geeignet, begründete Zweifel an einer fehlenden Erreichbarkeit hervorzurufen.

Er hatte daher keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Regelbedarfsleistungen nach dem SGB II. Die Berufung war zurückzuweisen. Wegen der ihm vorläufig gezahlten Leistungen hat der Beklagte einen Erstattungsanspruch gegen den Kläger.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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