S 32 AS 1231/23 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 32 AS 1231/23 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Für die generelle Freizügigkeitsvermutung für Unionsbürger genügt die rechtmäßige Einreise nach Deutschland mit einem gültigen Pass (§ 2 Abs. 5 Freizügigkeitsgesetz/EU). Diese generelle Freizügigkeitsvermutung allein eröffnet indes keine materiellen Freizügigkeitsberechtigungen. Nur diese berechtigen zum Zugang zu Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

2. Einzig und allein in Betracht kommt die Fiktion der Arbeitnehmereigenschaft gem. § 2 Abs. 3 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU wegen vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit. Das Recht auf Freizügigkeit bleibt für Arbeitnehmer bei vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU) selbst dann unberührt, wenn das Arbeitsverhältnis nicht mehr besteht. Eine Krankheit ist nur dann als vorübergehend anzusehen, wenn aufgrund einer ärztlichen Prognose mit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, ggf. auch eingeschränkt, gerechnet werden kann. Zu beachten ist, dass die Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft zeitlichen Grenzen unterliegt. Würde die Arbeitnehmereigenschaft zeitlich unbegrenzt fortbestehen, würde dies die Möglichkeit eröffnen ein Daueraufenthaltsrecht schon nach einer Tätigkeit von weniger als einem Jahr zu erwerben. Dies widerspricht den Regelungen in § 4a Abs. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU.


I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


G r ü n d e :

I.
Der 1988 geborene Antragssteller bezog laufend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Antragsgegner. Er ist schwedischer Staatsangehöriger und seit dem 30.08.2019 in Deutschland gemeldet. Ab dem 19.04.2020 lebte er in einer Wohnung in der T-Straße in M-Stadt mit einer monatlichen Bruttowarmmiete von 735 Euro.
Erstmalig wurden dem Antragsteller ab dem 19.10.2019 SGB II Leistungen bewilligt. Zuletzt wurden ihm Leistungen bis Ende August 2023 bewilligt.
Zum erwerblichen Hintergrund des Antragsstellers ist Folgendes festzuhalten: Er arbeitete vom 23.09.2019 bis 18.10.2019 als Küchenmitarbeiter in einem Restaurant, vom 01.04.2020 bis 09.04.2020 als Hausmeister. Am 26.10.2020 lehnte der Antragsgegner bereits die SGB II Leistungen ab dem 08.10.2020 wegen fehlender Arbeitnehmereigenschaft und damit fehlender Freizügigkeit ab. Der Antragssteller wurde zuvor mehrfach darauf hingewiesen, dass für die Weiterbewilligung von SGB II Leistungen der Nachweis eines Arbeitsnehmerstatus oder eine EU-Daueraufenthaltserlaubnis erforderlich sei. Ab dem 29.10.2020 bis zum 29.12.2020 arbeitete der Antragssteller bei der  I. als Lagerhelfer. Vom 12.11.2020 bis 22.01.2021 arbeitete er als Mitarbeiter im Onlinevertrieb der Firma S.. Zudem hatte er bei der Firma W. vom 18.11.2020 bis 24.12.2020 eine Anstellung als Verkaufshilfe mit 18 Stunden Wochenstunden. Der Antragsgegner bewilligte dem Antragssteller SGB II Leistungen bis einschließlich 21.07.2021 und wies ihn daraufhin, dass 6 Monate nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses bei der Firma S. sein Schutz als Arbeitnehmer ende. Der Antragssteller legte daraufhin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung monatlich über einen Zeitraum vom 07.12.2020 bis 20.06.2021 vor. Am 05.07.2021 nahm der Antragssteller eine Arbeit als Fahrer der F1.mit 20 Wochenstunden auf. Daraufhin bewilligte der Antragsgegner erneut SGB II Leistungen. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 22.09.2021 gekündigt. Am 23.09.2021 bestätigte die Bundesagentur für Arbeit den Eintritt der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit. Der Antragsgegner bewilligte bis zum 22.03.2022 SGB II Leistungen.
Am 24.08.2021 erfolgte eine sozialmedizinisch gutachterliche Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit. In dieser wurde festgestellt, dass der Antragssteller aktuell nur weniger als 3 Wochenstunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbsfähig ist ((befristet) voll erwerbsgemindert). Er ist nach den Feststellungen jedoch nach unter 6 Monaten wieder voll erwerbsfähig.
Am 14.03.2022 bewilligte der Antragsgegner dem Antragssteller Leistungen bis 10.09.2022 wegen befristeter Erwerbsunfähigkeit. Und wies den Antragssteller daraufhin, dass ab Oktober 2022 kein Anspruch mehr auf SGB II Leistungen bestehe. Der Antragsgegner forderte den Antragssteller am 04.08.2022 auf, an der Erstellung eines ärztlichen Gutachtens zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit mitzuwirken. Die Leistungen wurden sodann mit Schreiben vom 08.08.2022 für den Zeitraum ab dem 10.09.2022 abgelehnt.
Der Antragssteller legte nunmehr eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 31.10.2022 vor. Ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung der SGB II Leistungen vor der 51. Kammer des Sozialgerichts München wurde daraufhin mit gerichtlichem Vergleich beendet (Az.: S 51 AS 1133/22 ER). Der Vergleichsvorschlag unterbreitete, dass sollte die Arbeitsunfähigkeit des Antragstellers über den 31.10.2022 hinaus fortbestehen, der Antragsteller dies zusammen mit einem in jedem Falle erforderlichen Weiterbewilligungsantrag gegenüber dem Antragsgegner nachzuweisen, unter Angabe des voraussichtlichen Endes der Arbeitsunfähigkeit, habe. Der Vergleich beinhaltete, dass dem Antragssteller nur jeweils monatlich SGB II Leistungen zu bewilligen seien unter den Voraussetzungen von fortlaufenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Aufgrund des beim Antragsteller stets zu prüfenden Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a) SGB II stände dem Leistungsausschluss eine Fortwirkung entgegen, denn es bleibe das Aufenthaltsrecht eines EU-Ausländers nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU im Falle vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall. Seit Oktober 2022 bewilligte der Antragsgegner dem Antragssteller folglich jeweils monatlich SGB II Leistungen. Der Antragssteller reichte monatliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein. Die letzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung galt bis zum 31.08.2023.
Mit Bescheiden vom 17.07.2023 und 01.08.2023 wurde dem Antragssteller der Regelbedarf für die Monate Juli und August 2023 bewilligt. Die Miete für Juli 2023 wurde noch direkt an den ehemaligen Vermieter der Wohnung in der T-Straße überwiesen. Der Antragsgegner erließ am 22.08.2023 Änderungsbescheide und bewilligte ebenfalls die Mietkosten für die neue Wohnung für Juli und August 2023. Am 28.08.2023 bewilligte der Antragsgegner dem Antragssteller die Kosten für den Umzug. Zudem bewilligte er dem Antragsgegner mit Bescheid vom 28.08.2023 die Kosten für die alte Wohnung für August 2023. Am selben Tag wurden die Kosten direkt an den ehemaligen Vermieter angewiesen.
Am 21.09.2023 und am 11.10.2023 forderte der Antragsgegner den Antragssteller zur Mitwirkung auf. Er habe die fortlaufende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, den Weiterbewilligungsantrag sowie die Kontoauszüge der letzten drei Monate einzureichen. Der Antragssteller nimmt mit Schreiben vom 25.10.2023 insofern gegenüber dem Antragsgegner Stellung, dass keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mehr eingereicht werden würden. Der Antragssteller sei erwerbsunfähig und möchte keine Leistungen nach dem SGB II sondern nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) beziehen.
Der Antragssteller stellte am 27.09.2023 den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz am Sozialgericht München. In dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren mit Az. S 32 As 1075/23 ER wurde ein Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende gestellt. Das Gericht sei zu 100 Prozent auf Seiten des Jobcenters. Der Befangenheitsantrag wurde abgewiesen (Az. S 38 SF 340/23 AB).
In dem nunmehr noch anhängigen Rechtsschutzverfahren geht es um die Bewilligung der SGB II Leistungen ab September 2023. Der Antragsgegner lehnte die Bewilligung der SGB II Leistungen mit Bescheid vom 24.11.2023 ab September 2023 ab.

Der Antragssteller beantragt nunmehr sinngemäß,
(1.)    den Antragsgegner zu verpflichten, ihm antragsgemäß SGB II Leistungen ab September 2023 zu bewilligen.
(2.)    hilfsweise den Beigeladenen zu 2.) zu verpflichten, ihm antragsgemäß Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.

Mit Beschluss des Amtsgerichts M-Stadt wurde der Antragssteller unter vorläufige Betreuung gestellt. Die Betreuung umfasst ua. die Vermögenssorge, Behörden~, Renten- und andere Sozialleistungsangelegenheiten, Entscheidung über die Entgegennahme, das Öffnen und das Anhalten der Post.
Die Vorsitzende hat mit Beschluss vom 23.11.2023 und 27.11.2023 den Bezirk Oberbayern und die Landeshauptstadt M-Stadt beigeladenen.
Der Beigeladenen zu 1.) führt aus, dass für Leistungen zum Lebensunterhalt (sog. Existenzsicherungsleistungen) nach dem SGB XII der Beigeladene gemäß § 97 SGB XII i. V. m. Art. 82 Nr. 4 a) und b) AGSG nur dann zuständig sei, wenn zunächst vollstationäre oder laufende Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII oder der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX - als sogenannte "Haupthilfe" - erbracht werden. Eine solche Haupthilfe werde derzeit seitens des Beigeladenen nicht erbracht. Als solche käme zunächst Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff SGB XII infrage. Ausweislich des Pflegegutachtens läge der Pflegebedarf des Antragstellers unterhalb eines Leistungen nach §§ 61 ff SGB XII auslösenden Bedarfs. Infolge eingeschränkten Sehvermögens könnte der Antragsteller Anspruch auf Blindenhilfe nach § 72 SGB XII haben. Mangels Feststellung der blindheitsbedingten Anspruchsvoraussetzungen (med. Akte Bl. II/ 44c ff) käme auch die Gewährung von Blindenhilfe derzeit nicht infrage. Eine weitere mögliche Hilfeleistung nach dem SGB XII - Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67 ff SGB XII seien vom Antragsteller nicht nachgefragt.
Der Beigeladene zu 2.) führt aus, dass die in § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII für den Bereich der Sozialhilfe vorgesehenen Leistungsausschlüsse denen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II entsprächen. Wenn der Antragsteller daher nicht mehr über ein materielles Aufenthaltsrecht verfüge, habe er auch im SGB XII allenfalls einen Anspruch auf Überbrückungsleistungen gem. § 23 Absatz 3 Satz 3 SGB XII. Ein weitergehender Anspruch ergäbe sich auch nicht aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen, da auch der zur Inländergleichbehandlung nach diesem Abkommen führende erlaubte Aufenthalt eine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes Aufenthaltsrecht erfordert.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten des Antragsgegners und der Beigeladenen Bezug genommen.

II.
1.)
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und strebt damit eine Erweiterung seiner Rechtsposition an. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig ist. Steht einem Antragsteller ein von ihm geltend gemachter Anspruch voraussichtlich zu und ist es ihm nicht zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten, ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes begründet. Eine aus Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gebotene Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Verfahren ist in der Regel nur dann zulässig, wenn dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung unzumutbare Nachteile drohen und für die Hauptsache hohe Erfolgsaussichten prognostiziert werden können.
Sowohl die hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs (Anordnungsanspruch) als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile (Anordnungsgrund) müssen glaubhaft gemacht werden, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO). Für die Glaubhaftmachung genügt es, dass bei der Ermittlung des Sachverhaltes dieser mit überwiegender Wahrscheinlichkeit aufgeklärt wurde. Dagegen dürfen die Anforderungen an die Erkenntnis der Rechtslage, das heißt die Intensität der rechtlichen Prüfung, grundsätzlich nicht herabgestuft werden. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, und ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so verlangt der Anspruch des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz eine Eilentscheidung anhand einer umfassenden Güter- und Folgenabwägung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05). Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II - um die es hier geht - dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Aufgrund einer reinen Güter- und Folgenabwägung kann aber nur entschieden werden, wenn die per Eilrechtsschutz zu sichernde Rechtsposition, d.h. der Anordnungsanspruch, zumindest möglicherweise gegeben ist und wegen der zeitlichen Dringlichkeit eine vollständige Sach- und Rechtsaufklärung nicht erfolgen kann (vgl. Krodel, NZS 2009, 18, 22; Wündrich, SGb 2009, 267, 268). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 2019 - 1 BvR 169/19).
2.)
Ein Anordnungsanspruch wurde nicht glaubhaft gemacht.
a.)
Der Antragssteller begehrt die Bewilligung antragsgemäßer SGB II Leistungen ab September 2023.
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), die erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind und die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4).
In Streit steht, ob der Antragssteller gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2a) und b) SGB II vom Anspruch auf SGB II Leistungen ausgeschlossen ist. Dieser ist für den Antragssteller, der schwedischer Staatsangehöriger ist, auch anwendbar, da die Rückausnahme des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II nicht anwendbar ist. Der Antragssteller hat noch nicht seit 5 Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland (Daueraufenthaltsrecht). Er lebt seit 2019 in Deutschland. Auch besteht kein Schutz nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II iVm. § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU, da der Antragssteller bei Addition aller Erwerbstätigkeiten auf weit weniger als ein Jahr Tätigkeit in Deutschland kommt. Ebenso nicht nach § 2 Abs. 3 Satz 2 Freizügigkeitsgesetz/EU, da er die Dauer von sechs Monaten nach der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung nunmehr seit März 2022 verstrichen ist.
Der Gesetzgeber hat mit dem Ausschluss von laufenden Leistungen für Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben oder die ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiten, die Nachrangigkeit des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Der Antragssteller wendet selbst ein, als EU-Bürger ein Aufenthaltsrecht in der BRD zu haben. Richtig ist, dass Unionsbürger keinen Aufenthaltstitel benötigen (generelle Freizügigkeitsvermutung). Für die generelle Freizügigkeitsvermutung für Unionsbürger genügt für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland ein gültiger Pass (§ 2 Abs. 5 Freizügigkeitsgesetz/EU). Diese generelle Freizügigkeitsvermutung allein eröffnet indes keine materiellen Freizügigkeitsberechtigungen. Nur diese berechtigen zum Zugang zu Leistungen nach dem SGB II (vgl. nur BSG, Urteil vom 21. März 2019, B 14 AS 31/18 R).
Wenn die vorstehend erläuterten Freizügigkeitstatbestände nicht erfüllt sind, besteht auch für EU-Bürger kein Anspruch auf SGB II Leistungen. Der EuGH (15.9.2015 - C-67/14, "Alimanovic") hat den Leistungsausschluss im SGB II unter Hinweis auf die Unionsbürger-Richtlinie für rechtmäßig erklärt. Nach Art. 14 Abs. 4 und Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie kann der Anspruch auf "Sozialhilfe" und somit laut EuGH auch auf SGB II Leistungen ausgeschlossen werden, wenn ein Unionsbürger "allein zum Zweck der Arbeitsuche eingereist" ist, oder in den ersten drei Monaten noch kein weiteres Aufenthaltsrecht besitzt. In einem weiteren Urteil hat der EuGH (11.11.2014, C-333/13, "Dano") bestätigt, dass der Ausschluss erst recht für Personen gilt, die weder Arbeit suchen noch ein sonstiges Freizügigkeitsrecht besitzen, auch wenn die Ausländerbehörde dies noch nicht förmlich festgestellt hat. Für SGB II Leistungen ist auch nicht das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) anwendbar. Die Bundesregierung erklärte am 19.12.2011 einen "Vorbehalt" zum EFA und erkennt SGB II Ansprüche nach dem Abkommen nicht mehr an.
b.)
Einzig und allein in Betracht kommt die Fiktion der Arbeitnehmereigenschaft gem. § 2 Abs. 3 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU wegen vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit. Das Recht auf Freizügigkeit bleibt für Arbeitnehmer bei vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU) selbst dann unberührt, wenn das Arbeitsverhältnis nicht mehr besteht. Dies ergibt sich zum einen aus Artikel 17 Absatz 1 Satz 2 RL 2004/38/EG, wonach Zeiten unfreiwilliger Arbeitslosigkeit als Zeiten der Erwerbstätigkeit gelten. Da der Richtliniengeber die Zeiten unfreiwilliger Arbeitslosigkeit mit krankheits- oder unfallbedingten Fehlzeiten gleichgestellt hat, ist davon auszugehen, dass das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses nicht Voraussetzung für die "Fiktionswirkung" des § 2 Absatz 3 Nummer 1 Freizügigkeitsgesetz/EU ist. Nach Auffassung des Gerichts ist nunmehr aufgrund der Dauer der Arbeitsunfähigkeit (seit September 2021) zu prüfen, ob diese nur noch vorübergehend ist. Selbst der Antragssteller macht geltend, dass er dauerhaft erwerbsunfähig sei. In diesem Fall kann nicht mehr von einer Fiktion der Arbeitnehmereigenschaft ausgegangen werden. Eine Krankheit ist nur dann als vorübergehend anzusehen, wenn aufgrund einer ärztlichen Prognose mit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, ggf. auch eingeschränkt, gerechnet werden kann. Zu beachten ist, dass die Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft zeitlichen Grenzen unterliegt. Würde die Arbeitnehmereigenschaft zeitlich unbegrenzt fortbestehen, würde dies die Möglichkeit eröffnen ein Daueraufenthaltsrecht schon nach einer Tätigkeit von weniger als einem Jahr zu erwerben. Dies widerspricht den Regelungen in § 4a Abs. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 20. Juni 2016, L 16 AS 284/16 B ER). Der Antragssteller gibt selbst an, keine Arbeit mehr zu suchen und nicht mehr SGB II Leistungsbezug sein zu wollen. Er möchte vielmehr als erwerbsunfähig eingestuft werden und SGB XII Leistungen beziehen. Zum jetzigen Zeitpunkt nach Ermittlung des Gerichts sowie nach den eigenen Aussagen des Antragsstellers handelt es sich daher nicht um eine vorübergehende Krankheit. Zwar kennt das Gesetz keine starre Obergrenze für das Tatbestandsmerkmal "vorübergehend". Entscheidend ist aber, dass die Arbeitsfähigkeit wieder hergestellt wird (BSG, Urteil vom 13. Juli 2017 - B 4 AS 17/16 R). Ferner ist nicht "Erwerbsminderung" entscheidend, sondern die "vorübergehende Arbeitsunfähigkeit". Von der Wiederherstellung ist nicht auszugehen.
c)
Der Leistungsausschluss ist auch mit den grundrechtlichen Positionen des Antragsstellers, insbesondere mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vereinbar. Der Gesetzgeber hat mit dem Regelungsregime des § 7 Abs. 2 Satz 2 SGB II verfassungskonform die Nachrangigkeit des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber desjenigen des Herkunftslandes ausgestaltet. Es ist daher mit dem GG vereinbar, Personen, denen die Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland möglich und zumutbar ist, von existenzsichernden Leistungen auszuschließen (BSG, Urteil vom 29. März 2022, B 4 AS 2/21 R, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Juli 2023, L 10 AS 311/19).
Ein Anspruch auf Sozialhilfe iS. des § 23 Abs. 1 SGB XII scheidet auch aus, weil dem § 23 Abs. 3 SGB XII entgegen steht, wonach Ausländer keine Leistungen nach Abs. 1 oder nach dem Vierten Kapitel erhalten, wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.
3.)
Ein Anordnungsgrund besteht nicht. Aufgrund einer reinen Güter- und Folgenabwägung kann aber nur entschieden werden, wenn die per Eilrechtsschutz zu sichernde Rechtsposition, d.h. der Anordnungsanspruch, zumindest möglicherweise gegeben ist und wegen der zeitlichen Dringlichkeit eine vollständige Sach- und Rechtsaufklärung nicht erfolgen kann. Der Anordnungsanspruch ist hier auch nicht möglichweise gegeben.
4.)
Die Kostenentscheidung folgt entsprechend § 193 SGG der Sache selbst.

 

 

Rechtskraft
Aus
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