L 8 SO 77/22 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 4 SO 72/22 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 77/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Mit der Zahlung der vereinbarten Vergütung werden alle während des Vereinbarungszeitraums entstandenen Ansprüche des Leistungserbringers abgegolten. Die pauschale Ablehnung  behinderter Menschen mit einem besonders hohen Hilfebedarf ist ebenso unzulässig wie die Androhung ihrer "Entlassung", sollten keine dem Leistungserbringer genehmen Einzelfallvereinbarungen zur personellen Ausstattung und Vergütung geschlossen werden. Einzelfallvereinbarungen dürfen nur ausnahmsweise geschlossen werden, damit das System der §§ 123 ff SGB IX nicht ausgehöhlt wird.

      1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 28. Oktober 2022 abgeändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten der Unterbringung der Antragstellerin in der weiteren besonderen Wohnform „ X....“ im Umfang des Leistungsangebotes der Beigeladenen vom 12. Juli 2022 vorläufig ab dem 1. März 2022 zu übernehmen, längstens bis zum 29. Februar 2024. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
      2. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen dem Grunde nach zur Hälfte zu erstatten. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

 

 

Gründe:

 

I.

 

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Kostenübernahme für ihre Unterbringung in der weiteren besonderen Wohnform „ X....“ der Beigeladenen in A.....

 

Die Antragstellerin ist im Jahr 2002 geboren. Sie leidet an einer tuberösen Hirnsklerose; es besteht eine mittelgradige Intelligenzminderung mit einem IQ von 40 mit eingeschränkter Bildungsfähigkeit, erheblichen Mängeln im Spracherwerb und eingeschränkter sozialer Erlebnisfähigkeit. Bei der Antragstellerin liegen extreme Verhaltensauffälligkeiten vor. Sie ist motorisch unruhig, zeigt niedrige Frustrationstoleranz mit Impulsdurchbrüchen, die zu Eigen- und Fremdgefährdung führen. Ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für die Merkzeichen „B“, „G“ und „H“ sind festgestellt. Seit März 2018 erhält die Antragstellerin Pflegegeld in Höhe von 728,00 Euro nach Pflegegrad 4. Zudem bezieht sie seit Mai 2020 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.

 

Im Jahr 2017 hielt sich die Antragstellerin für zwei Monate in der Einrichtung „Wohnen  W....“ des Diakonischen Werkes Innere Mission C.... e.V. in einer Wohngruppe von sechs Kindern und Jugendlichen auf. Nach dem Abschlussbericht war die Antragstellerin mit der Wohngruppe in offenem Setting mit Anspruch auf Selbstständigkeit überfordert. Sie benötige intensive Einzelbetreuung in einem kleinen Rahmen und ein Einzelzimmer als Rückzugsort. In der Nacht reiche eine Schlafbereitschaft nicht aus, da sie nicht durchschlafe und andere aufwecke. Im Oktober 2019 hielt sich die Antragstellerin einige Tage im Wohnverbund „ V....“ der Diakonie C.... zur Verhinderungspflege auf. Im Kurzbericht wurde ausgeführt, dass eine intensive 1:1 Betreuung erforderlich sei, um ihren Bedürfnissen gerecht werden zu können.

 

Mit Beschluss des Amtsgerichts C.... wurde für die Antragstellerin ab dem 22. Februar 2020 eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Vertretung in heim- und pflegerechtlichen Angelegenheiten, Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Entscheidung über die Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Gesundheitsfürsorge eingerichtet. Mit Schreiben vom 27. Mai 2020 stellte die Antragstellerin erstmals einen Antrag u.a. auf Leistungen der Eingliederungshilfe als persönliches Budget. Diesen Antrag wiederholte sie am 24. Juli 2020 im Hinblick auf ein trägerübergreifendes persönliches Budget. Zu diesem Zeitpunkt lebte sie im Haushalt ihrer Mutter und besuchte die  U....-Schule (staatlich anerkannte Ersatzschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung) in C..... Die Antragstellerin strebte zunächst die Betreuung in einer Wohngemeinschaft in  T.... an. Entsprechend einem Kostenvoranschlag des Leistungserbringers „Assistenz.de“ vom 21. Juli 2020 beliefen sich die monatlichen Kosten für die Erbringung von Pflege- und Assistenzleistungen auf monatlich 12.615,94 Euro. Mit Bescheid vom 16. April 2021 lehnte der Antragsgegner diesen Antrag ab, da die dortige Unterbringung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sei. Den daraufhin gestellten Eilantrag der Antragstellerin lehnte das Sozialgericht Leipzig ab (Beschluss vom 31. Januar 2022 – S 15 SO 156/21 ER).

 

Der Antragsgegner erachtete stattdessen die Betreuung der Antragstellerin durch die Lebenshilfe S.... e.V. für geeignet und zumutbar. Mit Bescheid vom 19. April 2021 sicherte er die Übernahme der notwendigen und nicht gedeckten Kosten der Betreuung und Versorgung in der Wohn-Pflege-Einrichtung „R....“, in S.... ab Aufnahme für die Dauer von zwei Jahren zu. Alternativ schlug er die Betreuung der Antragstellerin in der Wohngemeinschaft der Beigeladenen vor. Nach einem Vor-Ort-Termin erklärte die Antragstellerin am 1. September 2021, dass sie dort gerne einziehen wolle. Die Eirichtung einer weiteren Gruppe der Wohngemeinschaft war zum Jahreswechsel 2022 geplant. Mit Bescheid vom 21. September 2021 erteilte der Antragsgegner die Zusicherung zur Übernahme der entstehenden und nicht gedeckten Kosten der Betreuung und Versorgung in der Einrichtung „Wohngemeinschaft der E.... in A....“. Nach Fertigstellung der Wohngemeinschaft und Bekanntgabe des Aufnahmetages erfolge die Erstellung des entsprechenden Kostenübernahmebescheides.

 

Vom 1. September 2021 bis 30. November 2021 absolvierte die Antragstellerin das Eingangsverfahren der Q.... C.... WfbM, Diakonisches Werk Innere Mission C.... e.V. Dort wurde eine Werkstattfähigkeit nicht für gegeben erachtet. Ausweislich des Beobachtungs- und Entwicklungsberichtes der WfbM benötige die Antragstellerin während der gesamten Arbeitszeit eine engmaschige Betreuung, die Unsicherheit, Unruhe und ständigen Stimmungswechsel abfange. Die Gruppe störendes Verhalten wie lautes grundloses Lachen, könne sie nur mit viel Zuwendung beenden. Schon kleinste Veränderungen im Tagesablauf würden sie aus dem Gleichgewicht bringen. Auch bei einfachsten Arbeitsaufträgen benötige sie ständige Motivation und Kontrolle. Kritische Hinweise zu ihren Arbeitsergebnissen oder die Aufforderung zum Weiterarbeiten könnten zur Verweigerung führen, sie weine und schreie dann sehr laut. Selbständiges Arbeiten sei nur über einen sehr kurzen Zeitraum (ca. 10 Minuten) möglich. Angebote, die ihr Freude bereiteten (Musik oder Hörspiel hören, Entspannungsmethoden, Ausmalen), würden maximal 20 Minuten selbstständig durchgeführt werden können.

 

Ab dem 6. Dezember 2021 erhielt die Antragstellerin Leistungen zur Sozialen Teilhabe im Rahmen der Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme der Tagesförderung in der Tagesstätte Mobiler Behindertendienst e.V., Tagesförderung „P....“, in C...., zunächst an drei Tagen, später an fünf Tagen in der Woche von 9:00 Uhr bis 16:30 Uhr. Entsprechend einer Stellungnahme vom 26. April 2022 wurde die Antragstellerin zwischen 9 und 10 Uhr in einem 3:7 Betreuungsschlüssel, zwischen 10:00 und 11:00 Uhr ebenfalls in einem 3:7 Betreuungsschlüssel, wobei eine 1:1 Betreuung im Angebot sei, zwischen 11:00 Uhr und 12:30 Uhr im Rahmen der 1:1 Betreuung, zwischen 12:30 und 14:00 Uhr nach einem 3:7 Betreuungsschlüssel mit 1:1 Betreuung im Angebot und nachmittags von 14:00 Uhr bis 15:30 Uhr in einem 1:1 Betreuungsschlüssel betreut. Ab August 2021 befand sich die Antragstellerin mehrfach zur Verhinderungspflege in der Einrichtung „Wohnen plus gGmbH“. In einer Stellungnahme der Einrichtung wird ausgeführt, bei einer Angliederung der Antragstellerin in einer Doppelgruppe habe die übliche personelle Kapazität nicht ausgereicht, um ihr die notwendige Betreuung zuteilwerden zu lassen. Insbesondere habe die Einrichtung wegen der bei der Antragstellerin bestehenden Weglauftendenz eine permanente Beaufsichtigung organisiert. Sie benötige dauerhafte Aufmerksamkeit, damit es ihr gelingen könne, sich auf ein eigenes Leben einzulassen.

 

Am 28. März 2022 informierte die Antragstellerin den Antragsgegner darüber, dass sie den Einzug in die Wohngemeinschaft der Beigeladenen zum 1. Mai 2022 weiterhin beabsichtige. Der Antragsgegner erwiderte daraufhin, dass die Kostenübernahme im Rahmen der mit der Beigeladenen abgeschlossenen Leistungs- und Vergütungsvereinbarung erfolgen werde, die den festgestellten Hilfebedarf berücksichtige, wobei jedoch keine dauerhafte 1:1 Betreuung in Aussicht genommen sei. Die endgültige Vereinbarung sei jedoch noch strittig. Mit Schreiben vom 26.04.2022 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner die Kostenübernahme für die Unterkunft und Betreuung in der Wohngemeinschaft der Beigeladenen. Nach Auskunft der Beigeladenen liege ein entsprechendes Leistungsangebot bereits vor. Sie mache den konkret bestehenden Bedarf geltend, der auch durch die Stellungnahme der Tagesförderungseinrichtung belegt sei. Eine Entscheidung über diesen Antrag ist bis heute nicht ergangen.

 

Am 24. Mai 2022 forderte der Antragsgegner ein konkret auf die Bedürfnisse der Antragstellerin zugeschnittenes Leistungsangebot bei der Beigeladenen an. Dieses wurde am 10. Juni 2022 übersandt. Es beinhaltete die Kostenkalkulation der Beigeladenen entsprechend der beigefügten Leistungsbeschreibung für die „Basisleistung weitere besondere Wohnform (Wohnen in einer gemeinschaftlichen Wohnform oder in der eigenen Häuslichkeit), Leistungen der Sozialen Teilhabe in Verbindung mit Assistenzleistungen im Wohn- und Sozialraum für erwachsene Menschen mit wesentlichen geistigen und/oder körperlichen Behinderungen bzw. Schwerstmehrfachbehinderung mit sehr hohem Hilfe- und Pflegebedarf)“ in Höhe von monatlich 6.307,82 Euro zuzüglich der Basisleistung Nachtbetreuung i.H.v. 1.554,28 Euro sowie individuelle Assistenzleistungen mit einem Satz von 47,50 Euro pro Fachleistungsstunde. Die genaue Anzahl der benötigten Fachleistungsstunden könne noch nicht mitgeteilt werden, da der konkrete Bedarf erst nach Einzug ermittelt werden könne.

 

Zum 1. Juli 2022 passte die Beigeladene die Preise nach erfolgter Tariferhöhung für ihre Beschäftigten an. Die Kosten der Basisleistung für besondere Wohnformen beliefen sich nunmehr auf 6.642,45 Euro, die der Basisnachtbetreuung auf 1.638,59 Euro sowie die individuellen Assistenzleistungen auf 50,02 Euro pro Fachleistungsstunde (Mail der Beigeladenen vom 12. Juli 2022). Der Bedarf an zusätzlicher Betreuung der Antragstellerin schätzte die Beigeladene auf 281,7 Stunden monatlich ein, sofern sie zusätzlich eine externe Tagesstruktur anbieten solle. Ansonsten bestehe ein zusätzlicher Bedarf von 125 Fachleistungsstunden monatlich, der sich deutlich verringere, sobald die Antragstellerin eingezogen sei und das Umfeld kennengelernt habe.

 

Mit Schreiben vom 8. Juli 2022 erklärte sich der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin dazu bereit, die Kosten von Assistenzleistungen bis zu einer Höhe von 3.250,00 Euro monatlich zu übernehmen, bis ihre Unterbringung in einer geeigneten Wohnstätte oder Wohngemeinschaft erfolgt sei. Dabei ging er von einem der Unterbringung in einer Intensivpädagogischen Wohnstätte entsprechenden Bedarf aus, abzüglich des tagesstrukturierenden Angebotes durch den „Mobilen Behindertendienst e.V.“ und des Pflegegeldes. Zum erwähnten Leistungsangebot der Beigeladenen äußerte sich der Antragsgegner zunächst nicht.

 

Am 30. Juli 2022 hat sich die Antragstellerin erneut an das Sozialgericht Leipzig gewandt mit dem Ziel, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, eine Kostenübernahmeerklärung für die Unterbringung der Antragstellerin in der Wohngemeinschaft der Beigeladenen entsprechend ihrem Leistungsangebot vom 12. Juli 2022 zu erteilen. Die Antragstellerin beabsichtige, zeitnah in die Wohngemeinschaft einzuziehen. Eine alternative Betreuungsmöglichkeit im Rahmen einer vergleichbaren Leistung gebe es aktuell nicht. Aufgrund der Zusicherung des Antragsgegners bestehe ein Anspruch auf Kostenübernahme. Ein konkret auf die Bedürfnisse der Antragstellerin zugeschnittenes Leistungsangebot liege diesem vor. Ein weiteres Zuwarten sei der Antragstellerin nicht zumutbar. Die häusliche Situation für die Mutter der Antragstellerin sei unerträglich. Der Antragsgegner hat darauf erwidert, dass er bereits Leistungen entsprechend eines Bedarfs behinderter Menschen in einer Intensivpädagogischen Wohnstätte gewähre, um die Mutter der Antragstellerin zu entlasten. Der Betrag errechne sich aus dem Mittelwert der Vergütung dreier IPW-Einrichtungen (5.681,65 Euro) abzüglich der Betreuung in der Tagesstruktur (1.700 Euro) sowie des Pflegegeldes (728 Euro). Er sei dazu bereit gewesen, das von der damaligen Betreuerin der Antragstellerin vorgelegte Angebot für Assistenzleistungen der Frau Y.... und Herrn O.... zu den darin genannten Bedingungen anzunehmen, sofern deren Vorstellungen zur Vergütung an Wochenend- und Feiertagen auf ein „realistisches“ Maß reduziert und Qualifikationsnachweise vorgelegt würden. Die Nachweise seien jedoch nicht beigebracht worden. Ein ungedeckter Bedarf bestehe daher insgesamt nicht. Zudem sei die Angelegenheit auch nicht eilbedürftig. Bezogen auf die Aufnahme in die von der Beigeladenen eingerichteten Wohngemeinschaft existiere zwar eine wirksame Vereinbarung nach § 125 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Die Beigeladene sei aber nicht dazu bereit, die Antragstellerin zu den vereinbarten Bedingungen zu versorgen und zu betreuen.

 

Mit Beschluss vom 28. Oktober 2022 hat das Sozialgericht Leipzig den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig die Kostenübernahme für die Unterbringung der Antragstellerin in der Wohngemeinschaft der Beigeladenen in A.... entsprechend dem Leistungsangebot vom 12. Juli 2022 zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ausweislich des ITP für den Zeitraum 9. Dezember 2020 bis 31. Januar 2023 und der Stellungnahme der Hilfebedarfsermittlerin sei für die Antragstellerin ein Bedarf entsprechend einer Intensivpädagogischen Wohnstätte festgestellt worden. Ein damit verfolgtes Ziel sei insbesondere auch die (altersgerechte) Ablösung der Antragstellerin vom Elternhaus. Es sei die Aufgabe des Antragsgegners, in Umsetzung des ITP sowie im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens gemäß § 107 Abs. 2 SGB IX die Entscheidung darüber zu treffen, welche Leistung nach den Besonderheiten des Einzelfalls (§ 104 Abs. 1 SGB IX) konkret erbracht werden solle. Da eine Unterbringung in einer von der Antragstellerin bevorzugten Wohngruppe in T.... Anfang 2022 gescheitert sei, sei der Antragsgegner gehalten gewesen, Vorschläge für eine geeignete Unterbringung der Antragstellerin in einer Intensivpädagogische Wohnstätte zu unterbreiten. Insofern habe der Antragsgegner bereits frühzeitig (im Juli 2021) eine Unterbringung in einer Wohngruppe der Beigeladenen vorgeschlagen und im September 2021 eine entsprechende Kostenzusage erteilt. Eine solche Unterbringung werde auch von der Antragstellerin befürwortet und letztlich im Rahmen der einstweiligen Anordnung begehrt. Andere Möglichkeiten ihrer Unterbringung habe der Antragsgegner der Antragstellerin lediglich pauschal avisiert. Ein konkretes Angebot für eine andere Betreuung als bei der Beigeladenen habe nicht vorgelegen. Die Antragstellerin habe einen Anspruch auf Übernahme der Kosten, die die Beigeladene in ihrem Angebot dargestellt habe. Für die Unterbringung der Antragstellerin in der Wohngruppe der Beigeladenen in A.... reichten die nach § 125 SGB zwischen der Beigeladenen und dem Antragsgegner vereinbarten Sätze nicht aus. Aus dem medizinischen Bericht vom 3. November 2020, den Berichten über die Verhinderungspflege vom 30. Oktober 2019 und 17. Dezember 2021 sowie der Einschätzung der Tagesförderung P.... sei ersichtlich, dass die Antragstellerin für eine erhebliche Anzahl von Stunden pro Tag eine intensive, insbesondere 1:1 Betreuung benötige. Dies ergebe sich aus ihrem Krankheitsbild sowie der Weglauftendenz. Des Weiteren sei es auch erforderlich, die Antragstellerin in der Nacht – zumindest teilweise – zu überwachen. Die Beigeladene habe glaubhaft dargelegt, dass sie eine solche intensive Betreuung der Antragstellerin durch die vereinbarte Vergütung vom 1. Oktober 2021 nicht sicherstellen könne. Zusätzlich sei das Schiedsstellenverfahren gescheitert. Aufgrund der besonderen Bedarfe der Antragstellerin falle diese nicht unter den Anwendungsbereich der Vereinbarung vom 1. Oktober 2021, so dass eine Individualvereinbarung getroffen werden könne.

 

Gegen den ihm am 1. November 2022 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsgegner mit seiner am 22. November 2022 bei dem Sächsischen Landessozialgericht eingelegten Beschwerde. Die angefochtene Entscheidung verpflichte ihn nicht zu einer Leistung, sondern zur Erteilung einer bestimmten Kostenübernahmeerklärung, mithin zum Erlass eines Verwaltungsaktes. Darüber hinaus bestehe kein gebundener Anspruch der Antragstellerin auf die vom Sozialgericht zugesprochene Leistung. Während des Verwaltungsverfahrens seien der Antragstellerin Leistungen in einer besonderen Wohnform in der Einrichtung des Lebenshilfe S.... e.V. angeboten worden. Diese Leistungen habe sie nicht in Anspruch nehmen wollen. Zuletzt habe er der Antragstellerin zur Bedarfsdeckung die Wohngemeinschaft N.... des „Ambulanten Sozialen Pflege- und Förderzentrums e.V.“ vorgestellt. Bei gegebener Sachlage sei ein gebundener Anspruch im Sinne einer Ermessensreduzierung nicht begründbar. Das Sozialgericht verkenne in der angefochtenen Entscheidung Vorrang und Sperrwirkung der bestehenden Vereinbarung, die Einzelentscheidungen und Einzelvergütungen grundsätzlich ausschlössen. Soweit das Sozialgericht ausführe, dass die Antragstellerin nicht unter den Anwendungsbereich der bestehenden Vereinbarung falle, weil Ausschlusskriterien nach Ziff. 1 der Leistungsvereinbarung vorlägen, würde dieser Umstand den Abschluss von Individualvereinbarungen entgegen der vom Sozialgericht vertretenen Auffassung nicht eröffnen. Unzutreffend habe das Sozialgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 123 Abs. 5 SGB IX angenommen.

 

Der Antragsgegner beantragt,

 

den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 28. Oktober 2022 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

 

Die Antragstellerin beantragt,

 

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Ein gebundener Anspruch bestehe bereits deshalb, weil der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin eine schriftliche Zusicherung zur Übernahme der Kosten erteilt habe. Im Übrigen seien sämtliche Beteiligte seit Jahren bemüht, eine geeignete Unterbringung für die Antragstellerin zu finden. Dies sei bisher nicht möglich gewesen. Das erstinstanzliche Gericht habe auch zutreffend erkannt, dass die Antragstellerin mit ihrem konkret bestehenden Hilfebedarf nicht dem Anwendungsbereich der zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen abgeschlossenen Leistungsvereinbarung unterfalle. Die Vertragsparteien selbst hätten als Ausschlusskriterium für die Anwendbarkeit formuliert: „Personen, die aufgrund ihrer vorrangig geistigen und körperlichen Behinderung durch das tatsächliche Angebot nicht bedarfsgerecht versorgt werden können.“ Eben dies sei bei der Antragstellerin der Fall. Diese benötige behinderungsbedingt über einen Großteil des Tages eine 1:1 Betreuung. Dieser Bedarf könne durch die Leistungsvereinbarung nicht abgedeckt werden. Eilbedürftigkeit habe aufgrund der prekären familiären Situation im Haushalt der Mutter bestanden.

 

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

 

Sie schließt sich den Ausführungen der Antragstellerin an.

 

Die Antragstellerin ist nach einer Eingewöhnungszeit im Februar 2023, begleitet von individueller Assistenz im Umfang von insgesamt 90,25 Stunden, am 1. März 2023 in die Wohngemeinschaft in A.... eingezogen. Seit ihrem Einzug hält sie sich täglich 24 Stunden in der WG auf; derzeit verfügt sie über keine externe Tagesstruktur. Die Betreuung wird entsprechend des Leistungsangebotes vom 12. Juli 2022 erbracht. Die Antragstellerin erhält zusätzlich zu den „Basisleistungen der Betreuung in der wbW“ und zum „Baustein Nachtbetreuung“ weitere individuelle Betreuungsleistungen in folgendem Umfang:

  • Montag bis Freitag (sofern Arbeitstage): 14 h täglich, davon 6 h als Ersatz für die Externe Tagesstruktur
  • Samstag, Sonntag, Feiertage und sonstige freie Tage (z.B. Schließtage der WfbM, Brückentage): 12 h täglich.

 

Die wegen der Vergütungsvereinbarung vom 1. Oktober 2021 angerufene „Schiedsstelle
§ 133 SGB IX Freistaat Sachsen“ hat auf die mündlichen Verhandlungen vom 14. September 2022 und vom 12. Oktober 2022 sämtliche Anträge der Beigeladenen und des Antragsgegners abgelehnt. Die Klage gegen diesen Schiedsspruch ist unter dem Az. L 8 SO 12/23 KL bei dem Sächsischen Landessozialgericht anhängig.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorliegenden Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.

 

 

II.

 

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§ 172 Abs. 1,
§ 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 173 SGG), letztlich jedoch deshalb unbegründet, weil der Senat wegen der im Eilverfahren nicht abschließend zu klärenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen im Rahmen einer Folgenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin entscheidet (vgl. dazu SächsLSG, Beschluss vom 11. November 2021 –
L 8 SO 39/21 B ER – juris Rn. 25). Daraus lässt sich allerdings nicht ableiten, dass der Antragsgegner im Hauptsacheverfahren mit seinen Argumenten nicht durchdringt. Der Senat geht davon aus, dass das Sozialgericht seine Ansicht zum Bedarf der Antragstellerin, den Bemühungen des Antragsgegners zur Unterstützung bei der Suche nach einer geeigneten Einrichtung sowie zu den vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen vom 1. Oktober 2021 überdenkt. Wie die Entscheidung in der Hauptsache ausfällt, ist nach alldem offen.

 

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG können die Gerichte auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen der Rechte des Antragstellers, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden können, und will sich das Gericht in solchen Fällen an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren, muss die Sach- und Rechtslage ggf. abschließend geprüft werden. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12. Mai 2005 -1 BvR 569/05 – juris, Rn. 25, 26). Letzteres bestätigend hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 25. Februar 2009 (Az.: 1 BvR 120/09, juris Rn. 11) weiter ausgeführt, dass das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition umso weniger zurückgestellt werden darf, je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind. Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) verlange auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.

 

Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn sich aus den glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, dass es die individuelle Interessenlage des Antragstellers unzumutbar erscheinen lässt, den Antragsteller zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Ob die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere danach, ob sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen, ebenso schwerwiegenden Gründen nötig erscheint. Dazu müssen Tatsachen vorliegen bzw. glaubhaft gemacht sein, die darauf schließen lassen, dass der Eintritt des wesentlichen Nachteils im Sinne einer objektiven und konkreten Gefahr unmittelbar bevorsteht (vgl. Keller, a. a. O., § 86b Rn. 27a). Der Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht auf Grund einer vorläufigen, summarischen Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und er deshalb im Hauptsacheverfahren mit demselben Begehren voraussichtlich Erfolg haben würde.

 

Gemessen hieran war der Antragsgegner im Rahmen einer Folgenabwägung dazu zu verpflichten, die Kosten für die Unterbringung der Antragstellerin in der Wohngemeinschaft der Beigeladenen gemäß deren Leistungsangebot vom 12. Juli 2022 ab dem tatsächlichen Einzug am 1. März 2023 vorläufig zu übernehmen, längstens bis zum 29. Februar 2024. Sowohl der Antragsgegner als auch die Antragstellerin können sich auf ein Rechtschutzbedürfnis berufen: Der Antragsgegner, weil er aufgrund der einstweiligen Anordnung des Sozialgerichts zur Leistung verpflichtet wurde und damit beschwert ist und die Antragstellerin trotz ihres zwischenzeitlich erfolgten Einzugs in die Wohngemeinschaft der Beigeladenen, weil der Antragsgegner trotz erteilter Zusicherung und ihres am 26. April 2022 gestellten Antrags noch keinen Bescheid über die Kostenübernahme erlassen hat.

 

Die Antragstellerin hat zunächst dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß §§ 90, 99, 113 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Die personenbezogenen Voraussetzungen der §§ 90, 99 SGB IX liegen vor. Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten danach Menschen mit Behinderungen im Sinne von § 2 Abs. 1 SGB IX, die wesentlich in der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt sind. Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft fördert. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Das ist vorliegend der Fall. Die Antragstellerin leidet an einer tuberösen Hirnsklerose mit geistiger Behinderung und Verhaltensstörungen. Bei ihr besteht eine mittelgradige Intelligenzminderung mit einem IQ von 40 mit eingeschränkter Bildungsfähigkeit, erheblichen Mängeln im Spracherwerb und eingeschränkter Erwerbsfähigkeit. Bei ihr wurde ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt.

 

Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe zählen nach §§ 102 Abs. 1 Nr. 4, 113 Abs. 1 SGB IX Leistungen zur Sozialen Teilhabe. Danach werden Leistungen zur Sozialen Teilhabe erbracht, um eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, soweit sie nicht nach den Kapiteln 3 bis 5 erbracht werden. Hierzu gehört nach § 113 Abs. 1 Satz 2 SGB IX, Leistungsberechtigte zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum sowie in ihrem Sozialraum zu befähigen oder sie hierbei zu unterstützen. Nach § 113 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX sind Leistungen zur sozialen Teilhabe insbesondere Assistenzleistungen und nach § 113 Abs. 2 Nr. 5 SGB IX Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fertigkeiten. Nach dem §§ 113 Abs. 3 i.V.m. 78 Abs. 1 SGB IX werden Leistungen für Assistenz zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags einschließlich der Tagesstrukturierung erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen. Sie beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen.

 

Die Leistungen richten sich gemäß § 104 Abs. 1 SGB IX jeweils nach den Besonderheiten des Einzelfalles, die insbesondere nach der Art des Bedarfs, den persönlichen Verhältnissen, dem Sozialraum und den eigenen Kräften und Mitteln zu bestimmen sind. Gemäß § 104 Abs. 2 SGB IX ist Wünschen der Leistungsberechtigten bei der Ausgestaltung der Leistungen zu entsprechen, soweit sie angemessen sind. Die Angemessenheit bestimmt sich nicht allein nach Kostengesichtspunkten, sondern bezieht auch andere Gesichtspunkte wie die Qualität der Leistung und die Erfolgswahrscheinlichkeit im Hinblick auf die festgelegten Teilhabeziele ein. Demgegenüber sind die Art des Bedarfs, die persönlichen Verhältnisse, der Sozialraum und die Ressourcen des Menschen mit Behinderung einzustellen. Mehrkosten führen nicht zwangsläufig zur Unangemessenheit der Leistung, sondern dies ist erst der Fall, wenn sie bei einer gesonderten Prüfung unverhältnismäßig sind (vgl. Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 104 SGB IX (Stand: 11. August 2022), Rn. 10ff).

 

Ausweislich des ITP für den Zeitraum 9. Dezember 2020 bis 31. Januar 2023 war der Auszug der Antragstellerin aus der Wohnung der Mutter und der Einzug in eine betreute Wohngemeinschaft geplant. Entsprechend der Stellungnahme der Hilfebedarfsermittlerin vom 21. Dezember 2020 wurde ein 24-Stunden-Hilfebedarf festgestellt. Die Antragstellerin benötigt aufgrund ihrer Erkrankung eine sehr engmaschige Betreuung. Anleitung, Beobachtung, Hilfestellung, übende Unterstützung sowie immer wieder Krisenintervention rund um die Uhr. In der Nacht wird ebenso eine Betreuung benötigt, da sie mehrmals aufwacht, aufsteht und umherläuft. Aufgrund der Besonderheiten der Erkrankung benötigt die Antragstellerin eine ruhige Umgebung in einem Haus mit wenigen Mitbewohnern und ein Einzelzimmer. Die Antragstellerin entzieht sich ihr unangenehmen Situationen durch Weglaufen, wobei sie weder auf Gefahren achten kann noch über eine genügende örtliche Orientierung verfügt, um alleine wieder zurückzufinden. Der Bedarf entspricht nach der Einschätzung aller Beteiligten dem in einer Intensivpädagogischen Wohnstätte (IPW).

 

Die Antragstellerin hat zunächst eine Betreuung in einer Wohngemeinschaft in  T.... angestrebt, die der Antragsgegner mit bestandskräftigem Bescheid vom 16. April 2021 abgelehnt hat, da die dortige Unterbringung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sei. Der Antragsgegner hat sodann auf der Grundlage seiner Pflicht zur Unterstützung nach § 106 Abs. 1, Abs. 3 SGB IX zunächst die Betreuung in der Wohn-Pflege-Einrichtung „R....“, der Lebenshilfe e.V. in S.... sowie alternativ die Wohngemeinschaft der Beigeladenen als geeignete Einrichtungen vorgeschlagen und nach Zustimmung der Antragstellerin ihrem Wunsch entsprechend mit Bescheid vom
21. September 2021 die Zusicherung zur Übernahme der entstehenden und nicht gedeckten Kosten der Betreuung und Versorgung in der Einrichtung der Beigeladenen erteilt. Unter einer Zusicherung ist eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage zu verstehen, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). Dieses Vorgehen des Antragsgegners beruht erkennbar auf dem Umstand, dass die Beigeladene die Voraussetzungen zur Einrichtung der dritten Wohngemeinschaft (in welcher die Antragstellerin inzwischen lebt), erst noch schaffen musste. Dies ist mittlerweile geschehen, so dass sich das Begehren der Antragstellerin in der Hauptsache auf den Erlass des zugesicherten Verwaltungsakts richten wird. Denn aus der wirksamen Zusicherung ergibt sich ein Rechtsanspruch des Adressaten auf die zugesagte Regelung (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – juris Rn. 31). Die Zusicherung muss sich zudem auf ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln beziehen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 3. Mai 2011 – L 8 SO 24/09 B ER – juris Rn. 34). Durch die Abgabe der Zusicherung verpflichtet sich die Verwaltung zu einer bestimmten zukünftigen Sachbehandlung (BSG, Urteil vom 29. Januar 2004 – B 4 RA 29/03 R – juris Rn. 13; Urteil vom 6. April 2011 – B 4 AS 5/10 R – juris Rn. 13). Sie soll dem Adressaten, der seinerseits erst noch die Voraussetzungen für den Erlass des Verwaltungsakts schaffen muss, die Gewissheit geben, dass seine Aufwendungen den beabsichtigten Erfolg haben. Es handelt sich daher nicht nur um eine bloße öffentlich-rechtliche Willenserklärung, sondern um eine regelnde und Verbindlichkeit beanspruchende Maßnahme im Sinne einer vorweggenommenen Zukunftsbindung. Der Rechtsqualität nach ist die Zusicherung ein Verwaltungsakt (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 29. Januar 2004 – B 4 RA 29/03 R – juris Rn. 13).

 

Im Falle der Antragstellerin hat sich der Antragsgegner mit Wirkung für die Zukunft dahin gebunden, dass er sie in der Wohngemeinschaft der Beigeladenen unterbringen und die dafür erforderlichen Kosten übernehmen wird. Unter Berücksichtigung des Rechtstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 3 GG erscheint es selbstverständlich, dass sich die Zusicherung nur auf rechtmäßiges Verwaltungshandeln bezieht. Dies schließt die bestehenden vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen ein, welche für die Antragstellerin insoweit erheblich sind, wenn es um die Frage geht, ob sie zum Personenkreis gehört, den die Beigeladene zu versorgen hat. Darüber streiten die Beteiligten, zum Teil mit widersprüchlichem Vortrag. Nach Ziff. 1 der zwischen den Beteiligten geschlossenen Vereinbarung nach § 125 SGB IX vom 1. Oktober 2021 bezieht sich die Leistungsvereinbarung über weitere besondere Wohnformen auf folgende Zielgruppe: „Erwachsene Menschen mit einer wesentlich geistigen und/oder körperlichen Behinderung bzw. Schwerstmehrfachbehinderung mit hohem Hilfs- und Pflegebedarf (mindestens Pflegegrad 3), die vorübergehend oder auf Dauer zur selbständigen Lebensführung der ambulante Unterstützung bedürfen und entsprechend ihres Hilfebedarfs normalerweise einer besonderen Wohnform (ehemals Sozialtherapeutische Wohnstätte oder Außenwohngruppe) versorgt werden müssen, jedoch über ausreichend soziale Kompetenzen sowie lebenspraktisch Fertigkeiten verfügen, im in der weiteren besonderen Wohnform adäquat versorgt zu werden, von ihren Familienangehörigen nicht mehr betreut werden können und in der Regel einer Arbeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen nachgehen oder anderweitig eine klare Tagesstruktur haben.“

 

Es liegt nahe, dass die Antragstellerin diese Voraussetzungen erfüllt. Sie leidet unter einer geistigen Behinderung und ist pflegebedürftig nach Pflegegrad 4. Ihre Mutter ist nicht mehr dazu in der Lage, die Antragstellerin in einem gemeinsamen Haushalt zu betreuen und zu pflegen. Ohne das Angebot der Beigeladenen hätte die Antragstellerin voraussichtlich in einer besonderen Wohnform, beispielsweise in einer Sozialtherapeutischen Wohnstätte, untergebracht werden müssen. Im Hauptsacheverfahren wird das Sozialgericht dieser Frage nachzugehen haben, ggf. unter Einholung eines Sachverständigengutachtens. Dabei wird es zu berücksichtigen haben, dass sich die Antragstellerin mit Blick auf die Einrichtung der Beigeladenen darauf beruft, zur Zielgruppe der Leistungsvereinbarung zu zählen. Zur Durchsetzung ihres Begehrens, von den Regelungen des auf sie zugeschnittenen Leistungsangebots der Beigeladenen vom 12. Juli 2022 profitieren zu dürfen, trägt die Antragstellerin jedoch dahin vor, dass sie von der (zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen geschlossenen) Leistungsvereinbarung vom 1. Oktober 2021 nicht erfasst sei, da sie wegen ihrer vorrangig geistigen oder körperlichen Behinderung durch das tatsächliche Angebot nicht bedarfsgerecht versorgt werden könne. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass sich das Vertragsrecht nach Kapitel 8 des SGB IX in erster Linie auf das Verhältnis zwischen Leistungserbringer und Leistungsträger bezieht. Darüber hinaus wird im Hauptsacheverfahren zu würdigen sein, dass sich der Antragsgegner und die Beigeladene über das Leistungsangebot vom 12. Juli 2022 nicht verständigt haben. Der Antragsgegner hat das Angebot der Beigeladenen nicht angenommen. Das Sozialgericht wird zu prüfen haben, ob die Regelungen des Leistungsangebots in der die Hauptsache abschließenden Entscheidung tatsächlich zugrunde gelegt werden können. Auch hier gilt, dass die Antragstellerin selbst einen Anspruch nur gegen den Antragsgegner hat, der darauf gerichtet ist, dass ihr Bedarf an Leistungen der Eingliederungshilfe vollständig gedeckt wird.

 

Um dies zu verdeutlichen, hat der Gesetzgeber mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) zum 1. Januar 2020 den § 95 SGB IX eingeführt: Danach haben die Träger der Eingliederungshilfe im Rahmen ihrer Leistungsverpflichtung eine personenzentrierte Leistung für Leistungsberechtigte unabhängig vom Ort der Leistungserbringung sicherzustellen (Sicherstellungsauftrag). Sie schließen dazu Vereinbarungen mit den Leistungsanbietern nach den Vorschriften des Kapitels 8 des SGB IX ab. Der Sicherstellungsauftrag nach § 95 SGB IX konkretisiert die Verpflichtung aus § 17 Abs. 1 Nr. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), wonach die Leistungsträger darauf hinzuwirken haben, dass die zur Ausführung von Sozialleistungen erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen. Die Umsetzung des Sicherstellungsauftrags erfolgt gemäß § 95 Satz 2 SGB IX grundsätzlich durch den Abschluss von Verträgen mit den Leistungserbringern nach Maßgabe des Kapitels 8. Dies ist eine Konkretisierung der allgemeinen Norm des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB IX, lehnt sich aber auch an die Formulierungen in § 69 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) an. Sie erschöpft sich jedoch nicht in dem bloßen Abschluss von Verträgen, sondern erfordert eine kontinuierliche Überprüfung, ob die Sicherungsziele auch tatsächlich erreicht werden. Durch die nach § 94 Abs. 5 SGB IX vorgeschriebene Evidenzbeobachtung und den Erfahrungsaustausch sollte diese regelmäßige Überprüfung gewährleistet werden können. Bei dem Sicherstellungsauftrag handelt es sich um eine objektiv-rechtliche Pflicht, weshalb er nicht individuell einklagbar ist, aber über die Rechtsaufsicht durchgesetzt werden kann. Zur Erfüllung ihrer Pflicht schließen die Eingliederungshilfeträger Verträge mit Leistungserbringern, wie sie in §§ 123 ff SGB IX geregelt sind. Dies setzt voraus, dass geeignete Leistungserbringer vorhanden sind. Ist dies der Fall, soll der Eingliederungshilfeträger keine neuen eigenen Angebote schaffen. Fehlen geeignete Leistungserbringer, kann er aber ausnahmsweise sogar zur Schaffung eigener Angebote verpflichtet sein (vgl. dazu Hlava in: Feldes/Kothe/Stevens-Bartol, SGB IX, 5. Aufl. 2023, § 95 Rn. 4 ff).

 

Der Antragsgegner kann als zuständiger Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX Leistungen zur Teilhabe unter Inanspruchnahme von geeigneten, insbesondere auch freien und gemeinnützigen oder privaten Rehabilitationsdiensten und –einrichtungen nach § 36 SGB IX ausführen (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB IX). Nehmen Rehabilitationsträger zur Ausführung von Leistungen Rehabilitationsdienste und –einrichtungen in Anspruch, erfolgt die Auswahl danach, wer die Leistung in der am besten geeigneten Form ausführt
(§ 36 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Verträge mit Leistungserbringern müssen insbesondere die in § 38 Abs. 1 aufgeführten Regelungen über die Ausführung von Leistungen durch Rehabilitationsdienste und -einrichtungen, die nicht in der Trägerschaft des Rehabilitationsträgers stehen, enthalten, darunter zu Qualitätsanforderungen an die Ausführung der Leistungen sowie Grundsätze zur Vereinbarung der Vergütungen. Bei der Vertragsgestaltung sind die Grundsätze der Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit zu berücksichtigten (§ 38 Abs. 3 Satz 2 SGB IX).  

 

Das Leistungserbringungsrecht nach den §§ 123 ff SGB IX dient der Umsetzung der individuellen Ansprüche der leistungsberechtigten behinderten Menschen auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Leistungsrecht und damit übergeordnet der Erreichung der Ziele aus § 90 SGB IX und §§ 1, 4 Abs. 1 SGB IX unter Berücksichtigung der rechtlichen Anforderungen an die Leistungsinhalte und die Leistungsausführung. Die §§ 123 ff SGB IX stehen im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Sicherstellungsauftrag. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 SGB IX darf der Träger der Eingliederungshilfe Leistungen durch externe Leistungserbringer grundsätzlich nur bewilligen, soweit eine schriftliche Vereinbarung mit diesen besteht. Diese gesetzliche Vorgabe hat der Träger der Eingliederungshilfe – wie dargestellt – auch zu beachten, wenn er zusichern will, zu gegebener Zeit einen Bescheid zu erlassen, der die Übernahme der Kosten für Leistungen der Eingliederungshilfe regelt, die durch einen externen Leistungserbringer erbracht werden sollen. Zwischen dem Antragsgegner und dem Beigeladenen besteht die vertragliche Vereinbarung vom 1. Oktober 2021. Diese ist wirksam, die Leistungsvereinbarung ist auf unbestimmte Zeit geschlossen. Nur die Vergütungsvereinbarung ist ausdrücklich bis Ende Dezember 2022 geregelt. Nach § 127 Abs. 4 SGB IX gilt die vereinbarte oder durch die Schiedsstelle festgesetzte Vergütung bis zum Inkrafttreten einer neuen Vergütungsvereinbarung weiter. Damit soll ein vertragsloser Zustand vermieden werden.

 

Nach § 123 Abs. 4 Satz 1 SGB IX folgt aus dem Bestehen einer schriftlichen Vereinbarung, dass der Leistungserbringer im Rahmen des vereinbarten Leistungsangebots verpflichtet ist, Leistungsberechtigte aufzunehmen und Leistungen der Eingliederungshilfe unter Beachtung der Inhalte des Gesamtplans nach § 121 SGB IX zu erbringen. Zweck der Verpflichtung ist die Sicherstellung der Versorgung der Leistungsberechtigten und somit auch, dass die Träger der Eingliederungshilfe ihrem Sicherstellungsauftrag gerecht werden können. Zugleich wird damit gewährleistet, dass Leistungserbringer innerhalb des vereinbarten Leistungsangebots auch solche Leistungsberechtigten nicht ablehnen dürfen, die voraussichtlich eine arbeitsintensive Betreuung bei der Leistungserbringung benötigen. Diese Vorschrift ist auch deshalb bedeutsam, weil die Leistungserbringer im SGB IX nicht gemeinsam mit den Leistungsträgern dem erwähnten Sicherstellungsauftrag unterliegen (vgl. Goldbach in: Feldes/Kothe/Stevens-Bartol, SGB IX, 5. Aufl. 2023, § 123 Rn. 29).

 

Bezogen auf die Antragstellerin und ihrem Begehren, aufgrund der erteilten Kostenzusage eine Kostenübernahmeerklärung vom Antragsgegner zu erlangen, folgt daraus für die Hauptsache: Es ist zu ermitteln, ob die Antragstellerin zur Zielgruppe gehört, wie sie in der Leistungsvereinbarung (Ziff. 1) des Vertrages vom 1. Oktober 2021 definiert wird. Sollte dies der Fall sein, hat die Beigeladene nach Maßgabe des § 123 Abs. 4 Satz 1 SGB IX der Antragstellerin die ihr zustehenden Leistungen der Eingliederungshilfe zu erbringen. Ob die zwischen dem Antragsgegner und dem Beigeladenen vereinbarte Vergütung ausreicht, unterliegt nicht der Entscheidung des Sozialgerichts. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass mit der Zahlung der vereinbarten Vergütung alle während des Vereinbarungszeitraums entstandenen Ansprüche des Leistungserbringers auf Vergütung der Leistungen der Eingliederungshilfe als abgegolten zu betrachten sind (§ 127 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Bei unvorhergesehenen wesentlichen Änderungen der Annahmen, die der Vergütungsvereinbarung oder der Entscheidung der Schiedsstelle über die Vergütung zugrunde lagen, ist die Vergütung nach § 127 Abs. 3 Satz 1 SGB IX auf Verlangen einer Vertragspartei für den laufenden Vereinbarungszeitraum neu zu verhandeln, wobei die Regelungen des § 126 SGB IX heranzuziehen sind.

 

Die erwähnten Vorschriften im Vertragsrecht verhindern demgemäß die pauschale Ablehnung solcher behinderter Menschen durch einen Leistungserbringer, die einen besonderen Hilfebedarf aufweisen. Zugleich wird Überlegungen ein Riegel vorgeschoben, gegenüber dem Leistungsträger durch die Androhung der „Entlassung“ des behinderten Menschen aus seiner Einrichtung eine höhere Vergütung im Einzelfall durchzusetzen. Mit Blick auf die Antragstellerin hat die Beigeladene in Aussicht gestellt, den 5. Wohnplatz in der dritten Wohngemeinschaft anderweitig zu vergeben, sollte sich der Antragsgegner nicht über eine Einzelfallvereinbarung auf eine 1:1-Betreuung verständigen wollen. Das Sozialgericht hat daraus sogar die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit abgeleitet. Mit Einzelfallvereinbarungen lassen sich konkrete Regelungen für außergewöhnliche Fallgestaltungen treffen. Sie bergen allerdings – falls in einer Vielzahl geschlossen - die Gefahr, die gesetzlich in den §§ 123 ff SGB IX niedergelegten Grundsätze auszuhebeln. Zugleich bieten sie den Leistungserbringern, die ihre Positionen in Vertragsverhandlungen nicht durchzusetzen vermochten, einen Anreiz, über Einzelfallvereinbarungen Kompensationen zu erlangen. Deshalb dürfen die Voraussetzungen dafür, aus dem gesetzlich vorgesehenen System der §§ 123 ff SGB IX auszusteigen und im konkreten Einzelfall davon abweichende Regelungen zu treffen, nicht zu einfach gehandhabt werden. Jedenfalls ist der darauf abzielende Vortrag von Leistungserbringern und den von ihnen mitunter für die Durchsetzung eigener Forderungen einbezogenen betreuten behinderten Menschen mit Blick auf die gesetzlich vorgesehene Art und Weise, wie die Vergütung der Leistungserbringer bestimmt werden soll (Kostenstruktur und externer Vergleich, vgl. § 124 Abs. 1 Sätze 3 bis 6 SGB IX), stets kritisch zu hinterfragen, nachdem der Gesetzgeber für das SGB V, SGB IX, SGB XI und SGB XII vergleichbare Systeme etabliert hat, die für den Leistungsberechtigten keine eigene Rolle vorsehen. 

Der Versuch von Leistungserbringern, Einzelfallvereinbarungen gerade in Fällen anzustreben, in denen überdurchschnittlich betreuungsintensive Leistungen zu erbringen sind, ist nicht selten zu beobachten. Dies ist insbesondere im Falle der Antragstellerin zu berücksichtigen – ungeachtet des Umstands, dass der Antragsgegner ein auf sie zugeschnittenes Leistungsangebot (das vom 12. Juli 2022) von der Beigeladenen per Mail am 24. Mai 2022 angefordert hat. Die gesetzlichen Vorgaben gelten für beide Vertragsparteien und zielen darauf ab, die Leistungen auf der Grundlage der analysierten Kostenstruktur des Leistungserbringers und des externen Vergleichs möglichst kostengünstig zu erlangen. Denn die Vergütungsvereinbarung hat die in § 123 Abs. 2 SGB IX erwähnten Grundsätze der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit zu beachten. Der Leistungserbringer, der seine Vorstellungen bei den Nachverhandlungen um eine höhere Vergütung nicht durchsetzt, kann sich an die Schiedsstelle nach § 133 SGB IX wenden und anschließend ggf. gegen den Schiedsspruch vor dem erstinstanzlich zuständigen Landessozialgericht klagen (§ 29 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Abgesehen davon liegt es bei einem vereinbarten Personalschlüssel von 1:0,98 (15,308 Vollzeitkräfte für 15 Bewohner) aus der Sicht des Senats nicht unbedingt auf der Hand, dass die Beigeladene mit der Versorgung der Antragstellerin überfordert sein und sich die verlangte Einzelfallvereinbarung bei vorgetragenem Bedarf einer 1:1-Betreuung über 24 Stunden von vornherein als unabweisbar darstellen könnte. Der vorgetragene Bedarf ist auch in Fällen zu hinterfragen, in denen sich die am Leistungsgeschehen beteiligten Akteure „einig“ zu sein scheinen. Denn Leistungen der Eingliederungshilfe sollen nur erbracht werden, soweit der behinderte Mensch seine individuelle Lebensplanung und –führung nicht selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrzunehmen vermag (vgl. § 90 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 SGB IX).

 

Wegen der aufgeworfenen tatsächlichen und rechtlichen Fragen, die sich im Rahmen des Eilverfahrens nicht zeitnah klären lassen, vermag der Senat nur im Rahmen einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese fällt zugunsten der Antragstellerin aus. Die Folgen der Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes würden für sie schwer wiegen. Es ist daher einstweilen sicherzustellen, dass die Antragstellerin in der Einrichtung der Beigeladenen verbleibt, nachdem sie die mit dem Einzug in die Wohngemeinschaft verbundenen Anstrengungen gemeistert hat. Zugleich wird damit das im ITP formulierte Ziel, dass sich die Antragstellerin altersgerecht vom Elternhaus ablöst, nicht gefährdet; zumal eine Rückkehr in den Haushalt ihrer Mutter offensichtlich nicht in Betracht kommt – diese wäre mit der Betreuung und Pflege der Antragstellerin massiv überfordert. Auf ihre Ausführungen zur familiären Situation im Protokoll des Erörterungstermins vom 14. Oktober 2022 wird insoweit verwiesen. Dieser Umstand begründet zugleich die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit. Dem steht das – ebenfalls gewichtige - Interesse des Antragsgegners an der rechtmäßigen Verwendung der Haushaltsmittel unter Berücksichtigung der genannten Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gegenüber, das insofern zurücktreten muss. Die Antragstellerin erhält Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Dementsprechend war sie nicht darauf zu verweisen, die Maßnahme aus eigenen Mitteln vorzufinanzieren.

 

Die Leistungen waren jedoch erst ab dem Tag der tatsächlichen Inanspruchnahme ab dem 1. März 2022 zu erbringen und sind im Rahmen der vorläufigen Entscheidung auch zu befristen, zumal die Beigeladene selbst davon ausgeht, dass sich der Bedarf verringern kann, wenn die Antragstellerin sich in der Wohngemeinschaft eingelebt hat. Der Tenor des angefochtenen Beschlusses war daher zu ändern; zugleich auch deshalb, weil seine Fassung darauf hindeutet, dass der Antragsgegner dazu verpflichtet werden sollte, einstweilen eine Kostenübernahme auf die ergangene Kostenzusage zu erteilen. Zweckmäßig erscheint jedoch allein die Verpflichtung des Antragsgegners, vorläufig die mit der Unterbringung der Antragstellerin in der Wohngemeinschaft der Beigeladenen einhergehenden Kosten zu übernehmen, wobei der Senat nur deshalb wie das Sozialgericht auf das Leistungsangebot der Beigeladenen vom 12. Juli 2022 abstellt, weil der Antragsgegner Leistungen auf dieser Grundlage in Ausführung des angefochtenen Beschlusses bereits erbringt.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Die Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig. Sie hat keinen Antrag gestellt und war demgemäß keinem Prozessrisiko ausgesetzt.

 

 

 

 

 

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum BSG angefochten werden (§ 177 SGG).

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