L 8 BA 114/23 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 7 BA 113/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 BA 114/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.06.2023 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 64.388,38 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 30.06.2023 ist nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 22.11.2022 in der Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 14.12.2022 über den 31.07.2023 hinaus zu Recht abgelehnt. Gleichermaßen ist auch eine aufschiebende Wirkung der vor dem SG erhobenen Klage (Az. S 7 BA 90/23) gegen den mittlerweile ergangenen Widerspruchsbescheid vom 08.08.2023 nicht anzuordnen.

Gegenstand des einstweiligen Anordnungs- und Beschwerdeverfahrens sind allein die auf eine Nachforderung von Sozialversicherungsabgaben entfallenden Säumniszuschläge in Höhe von 257.553,50 Euro, da die Antragstellerin ihren Widerspruch vom 29.11.2022 entsprechend beschränkt hat. Diese Beschränkung ist von ihr auch mit Schreiben vom 27.01.2023 noch einmal klarstellend bestätigt worden. Die Beitragsnachforderung in Höhe von 393.476,09 Euro ist mithin in Bestandskraft erwachsen (§ 77 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

1. Nach der im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung spricht derzeit nicht – wie erforderlich (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 21.10.2020 – L 8 BA 143/19 B ER – juris Rn. 4 m.w.N.) – mehr dafür als dagegen, dass sich der angefochtene Bescheid in Gestalt des Teilabhilfebescheids und des Widerspruchsbescheids hinsichtlich der streitigen Säumniszuschläge als rechtswidrig erweisen wird. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die zutreffenden und ausführlichen Gründe der angefochtenen Entscheidung des SG Bezug, denen er sich anschließt (vgl. § 142 Abs. 2 S. 3 SGG).

Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

Soweit sie (erneut) geltend macht, ihr Geschäftsführer Herr S. (im Folgenden: S.) habe (unverschuldet) keine Kenntnis von einer möglichen Arbeitgeberstellung gehabt, was er bei einer persönlichen Vernehmung schildern könne, genügt schon ihr diesbezüglicher Vortrag den Anforderungen an eine Glaubhaftmachung im Eilverfahren nicht (hierzu unter a). Im Übrigen hätte es auch einer Darlegung und Glaubhaftmachung der fehlenden Kenntnis weiterer im Unternehmen tätiger Personen bedurft (hierzu unter b).

a. Das wiederholende Vorbringen der Antragstellerin, ihr Geschäftsführer habe keine Kenntnis von einer möglichen Arbeitgebereigenschaft gehabt und sich auf die Vereinbarungen mit den Arbeitern, deren Gewerbeanmeldung und eigene Steuernummern verlassen, ist nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit der Erhebung der Säumniszuschläge infrage zu stellen. Das Fehlen eines gem. § 24 Abs. 2 SGB IV mindestens bedingten Vorsatzes, für den es genügt, wenn der Beitragspflichtige seine Beitragspflicht für möglich gehalten und die Nichtabführung der Beiträge billigend in Kauf genommen hat (vgl. BSG Urt. v. 18.11.2015 – B 12 R 7/14 R – juris Rn. 27 m.w.N., Senatsbeschl. v. 27.02.2023 – L 8 BA 48/21 B ER – juris Rn. 12 m.w.N.), ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

Anders als die Antragstellerin meint, hat das SG ihren Vortrag zur vermeintlich fehlenden Kenntnis des S. bereits (durchaus) zur Kenntnis genommen und in seine Beurteilung einbezogen. Es hat sich den Ausführungen in der Sache schlichtweg nur nicht angeschlossen, sondern vielmehr verschiedene Indizien genannt, die eine Kenntnis nahelegen. Dies gilt u.a. für den Hinweis des Hauptzollamts (HZA) auf die Aussagen vermeintlicher Subunternehmer, dass ausgeführte Arbeiten entgegen der Angabe des S. und entgegen den offiziellen Rechnungen statt nach Quadratmetern tatsächlich nach Stundenlöhnen abgerechnet worden seien. Hieraus hat das SG bei der in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Würdigung plausibel einen Hinweis auf eine Verschleierung der tatsächlichen Vertragspraxis und damit zumindest bedingten Vorsatz entnommen. Mit diesem und weiteren in der Entscheidung des SG für einen solchen Vorsatz angeführten Aspekten setzt sich die Antragstellerin in der Beschwerdeschrift mit keinem Wort auseinander.

Darüber hinaus wäre aber auch ohnehin weiterer konkretisierter Vortrag zum vermeintlich fehlenden Vorsatz des S. erforderlich gewesen. Regelmäßig ist davon auszugehen, dass Personen, die ein Unternehmen führen, spätestens dann, wenn sie zur Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten weitere (Hilfs-)Personen heranziehen, hinreichende Erkundigungen zu den hierfür geltenden Voraussetzungen einholen. Insbesondere in Geschäftszweigen wie vorliegend einem Unternehmen des Maler- und Lackierer-Handwerks, bei denen die Personalkosten den vorrangigen Fokus einer gewinnorientierten Ausrichtung bilden, wird bei jeglicher Informationsbeschaffung zur Betriebsführung unmittelbar die Frage der für Hilfspersonen zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge zwingend ins Auge fallen. Werden für arbeitnehmerübliche Tätigkeiten in solchen Bereichen gleichwohl Einzelpersonen als „Subunternehmer" beauftragt, ist entsprechend regelmäßig darauf zu schließen, dass der Firmeninhaber bzw. die Geschäftsführung eine Verletzung möglicher Melde- und Beitragspflichten zur Sozialversicherung billigend in Kauf nimmt. Dies gilt hier umso mehr als die Antragstellerin auch Angestellte beschäftigte, ohne dass zwischen diesen und den vermeintlichen Subunternehmern eine klare Abgrenzung ersichtlich wäre.

Eine andere Beurteilung kann nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn konkrete, belastbare Umstände vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die ausnahmsweise eine abweichende Einschätzung nahelegen, so z.B. wenn der Unternehmer auf die eingeholte Auskunft eines Steuerberaters vertraut hat, an deren Richtigkeit er nicht zweifeln musste und zudem in anderen rechtlichen Bereichen "Wohlverhalten" bestand (Senatsbeschl. v. 27.02.2023 – L 8 BA 48/21 B ER – juris Rn.14; Senatsbeschl. v. 13.06.2022 – L 8 BA 142/21 B ER – juris Rn. 20),

Solche vertrauensbegründenden besonderen Umstände hat die Antragstellerin jedoch nicht hinreichend glaubhaft vorgetragen. Insbesondere genügt hierfür nicht ihre in der Beschwerdeschrift vom 24.07.2023 – erstmalig – vorgetragene Behauptung, ihr Bevollmächtigter habe dem S. im Rahmen eines Besprechungstermins im November 2015 auf Nachfrage mitgeteilt, dass man bei einer beabsichtigten Zusammenarbeit von weniger als einem Jahr in der Regel von projektbezogener Beschäftigung spreche und damit keine Scheinselbstständigkeit vorliege. Entsprechend sei S. daraufhin davon ausgegangen, dass eine Beschäftigung von unter einem Jahr kein Problem darstelle. Ab dem Jahr 2016 habe man neue Mitarbeiter auch mit nur maximal 12 Monaten Beschäftigungsdauer eingesetzt.

Erklärungsbedarf bietet dabei bereits der Umstand, dass die Antragstellerin ihren Vortrag zum vermeintlich fehlenden Vorsatz ihres Geschäftsführers S. erst im Beschwerdeverfahren um eine entsprechende Behauptung ergänzt hat. Da die Beratung schon im November 2015 stattgefunden haben soll, hätte hierauf von Beginn des Verfahrens an hingewiesen werden können. Spätestens wäre eine solche Darlegung aber im Erörterungstermin des SG am 25.01.2023 zu erwarten gewesen, in dem die Vorsitzende den anwesenden S. sowie den Bevollmächtigten der Antragstellerin darauf hingewiesen hat, dass keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids und damit der Erhebung der Säumniszuschläge bestünden.

Darüber hinaus fehlt es aber auch am Vortrag dazu, weshalb S. auf die behauptete Auskunft im Hinblick auf die für ihn tätigen nicht zur Sozialversicherung gemeldeten Beschäftigten vertraut haben will, obwohl – dieser entgegengestehend – der Steuerberater V. in der E-Mail vom 29.09.2015 unter Mitteilung anderer Kriterien (u.a. der Tätigkeit für mehrere Auftraggeber) ein drohendes „Risiko der Scheinselbstständigkeit“ explizit angesprochen hatte. Da der behauptete Hinweis des Klägerbevollmächtigten zudem evident weder im Gesetz noch in der Rechtsprechung oder den Hinweisen der Sozialversicherungsträger eine Stütze findet, hätte es einer besonderen Begründung bedurft, weshalb S. der Einschätzung seines Bevollmächtigten gleichwohl den Vorzug gegeben und sämtliche Zweifel für ausgeräumt gehalten haben will.

Schließlich könnte die angeführte Auskunft aber nicht einmal im Falle ihrer tatsächlichen Erteilung genügen, um hinreichendes Vertrauen des S. in eine Selbstständigkeit der streitigen Personen zu rechtfertigen. So ist S. schon nach dem bisherigen Vortrag von seinem Bevollmächtigten nicht erklärt worden, dass konkret die hier streitigen Tätigkeiten unter Würdigung aller Umstände als selbstständig anzusehen seien, sondern lediglich, dass bei einer „projektbezogenen Tätigkeit“ bis 12 Monate „in der Regel“ Selbstständigkeit vorliegen solle. Hätte aber dementsprechend eine Regel-Ausnahme-Prüfung stattfinden müssen, kann die vermeintliche Auskunft des Klägerbevollmächtigten bereits keine rechtssichere Auskunft darstellen, auf die S. sich hätte verlassen dürfen. Dies gilt vorliegend umso mehr, als nicht einmal schlüssig dargelegt worden ist, dass die angeblich vom Bevollmächtigten als Voraussetzung für eine Selbstständigkeit genannte „projektbezogene“ Tätigkeit überhaupt vorgelegen hat. Vielmehr geht aus dem Schlussbericht des HZA von der Antragstellerin unwidersprochen hervor, dass auch die vermeintlich selbstständig tätigen Personen vom Vorarbeiter wie gewöhnliche Mitarbeiter eingeteilt wurden. Dazu, dass sich eine entsprechende Praxis ab November 2015 geändert hätte, ist nichts vorgetragen worden und dies ist auch sonst nicht ersichtlich.

Das behauptete Vertrauen des S. in die angegebene rechtliche Einschätzung des Bevollmächtigten der Antragstellerin ist im Übrigen auch nach den tatsächlichen Umständen nicht glaubhaft. Vielmehr ist danach davon auszugehen, dass S. dem nunmehr behaupteten Rechtsrat – sofern dieser erteilt worden ist – jedenfalls keine Verbindlichkeit beigemessen hat. Hätte die Antragstellerin auf die Richtigkeit des behaupteten Rechtsrats vertraut und ihr Handeln danach ausrichten wollen, hätte sie die Zusammenarbeit mit den bereits länger als 12 Monate für sie tätigen Personen im November 2015 umgehend beenden müssen. Zumindest die Herren H., A. und F. waren jedoch über deutlich längere Zeiträume bis in den Mai 2017 für die Antragstellerin tätig.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass es auch formal an der Glaubhaftmachung der behaupteten Umstände fehlt. Die von der Antragstellerin angeregte (förmliche) Parteivernehmung des S. ist im sozialgerichtlichen Verfahren weder auf Antrag noch von Amts wegen zulässig, da § 118 Abs. 1 S. 1 SGG nicht auf §§ 445 ff. ZPO verweist (vgl. BSG Beschl. v. 27.05.2011 – B 12 KR 79/10 B – juris Rn. 8; Mushoff in: jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, § 103 Rn. 131). Eine Versicherung an Eides statt, die gem. § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) zur Glaubhaftmachung in Betracht kommt (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 22.04.2020 – L 8 BA 266/19 B ER – juris Rn. 15 m.w.N.), hat die Antragstellerin weder von S. noch von ihrem Bevollmächtigten vorgelegt.

b) Neben der Behauptung und Glaubhaftmachung, dass S. unverschuldet keine Kenntnis von der Beitragspflicht der Antragstellerin hatte, wäre gleicher Vortrag auch zumindest für Frau C. (im Folgenden: C.) und Herrn B. (im Folgenden: B.) erforderlich gewesen.

Ist eine juristische Person des Privatrechts – wie die Antragstellerin – Beitragsschuldnerin, ist neben der etwaigen Kenntnis oder unverschuldeten Unkenntnis eines vertretungsberechtigten Organmitglieds nach dem Rechtsgedanken der §§ 166, 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Kenntnis anderer zum Vertreter der juristischen Person bestellter natürlicher Personen zu berücksichtigen, sofern sie eigenverantwortlich mit der sozialversicherungsrechtlichen Bewertung einer Tätigkeit für die juristische Person und der Erfüllung ihrer Zahlungspflicht betraut sind. Auch die Kenntnis und das Verschulden weiterer im Rahmen einer betrieblichen Hierarchie verantwortlicher Personen kann der betroffenen juristischen Person zuzurechnen sein, wenn keine Organisationsstrukturen geschaffen wurden, um entsprechende Informationen aufzunehmen und intern weiterzugeben (vgl. BSG Urt. v. 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R – juris Rn. 20 m.w.N.).

Vor diesem Hintergrund hätte es der Antragstellerin zumindest oblegen, glaubhaft darzulegen, dass neben ihrem Geschäftsführer S. auch die als Prokuristin mit Buchhaltungsaufgaben betraute C. und der nach Aktenlage gleichfalls mit Arbeitgeberaufgaben betraute B., an den sich die genannte E-Mail des Steuerberaters V. primär richtete, unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatten.

2. Auch die von der Antragstellerin geltend gemachte unbillige Härte ist weiterhin nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

Hierfür genügt es nicht, (erneut) darzulegen, dass im Falle des Einzugs der Säumniszuschläge Zahlungsunfähigkeit eintreten würde. Vielmehr ist die Darlegung und Glaubhaftmachung der Beitragsschuldnerin erforderlich, sie sei bei Fortsetzung ihres Geschäftsbetriebs und Einhaltung aller rechtlichen Bestimmungen in der Lage, derart rentabel zu wirtschaften, dass die noch offene Beitragsforderung in überschaubarer Zeit beglichen werden kann (vgl. Senatsbeschl. v. 22.02.2022 – L 8 BA 161/20 B ER – juris Rn. 14). Soweit die Antragstellerin geltend macht, die Liquidität reiche aktuell kaum aus, um das Tagesgeschäft zu bewältigen, ist im Gegenteil zu befürchten, dass die streitigen Säumniszuschläge entweder nicht oder jedenfalls nicht ohne Verzögerung realisiert werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4, 52 GKG und berücksichtigt, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, die Beitragsangelegenheiten betreffen, regelmäßig nur ein Viertel des Wertes der Hauptsache einschließlich etwaiger Säumniszuschläge als Streitwert anzusetzen ist (st. Rspr. des Senats, z.B. Beschl. v. 15.05.2023 – L 8 BA 32/23 B ER – juris Rn. 23).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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