L 9 KR 84/23 NZB

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 30 KR 2565/19
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 9 KR 84/23 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Für die Bestimmung des Beschwerdewerts iSv § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist bei einem abhängig Beschäftigten auf das begehrte Bruttokrankengeld abzustellen.

Bemerkung

Sozialgerichtliches Verfahren - kraft Gesetzes zulässige Berufung - unrichtige Rechtsmittelbelehrung: Nichtzulassung der Berufung - Statthaftigkeit - Krankenversicherung - Beschwerdewert - abhängig Beschäftigter - Bruttokrankengeld

  1. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird festgestellt, dass gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 05. Januar 2023 kraft Gesetzes die Berufung statthaft ist. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
     
  2. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

 

 

 

 G r ü n d e :

 

I.

 

Der Kläger wendet sich mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) Dresden vom 05.01.2023.

 

Streitgegenständlich in der Sache ist die Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 12.07.2019 bis 31.07.2019, also für 19 Tage, in Höhe von insgesamt 789,64 € brutto (41,56 € brutto x 19 Tage) und 694,26 € netto (36,54 € x 19 Tage).

 

Die Beklagte zahlte an den Kläger ab dem Ende des Entgeltfortzahlungsanspruchs vom 17.03.2019 auf die vom Kläger lückenlos übersandten Arbeitsunfähigkeits- (AU-) Bescheinigungen fortlaufend Krankengeld. Die AU-Bescheinigung der Fachärztin für Chirurgie Dipl.-Med. Z.... vom 11.07.2019 mit Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bis zum 01.08.2019 ging am 01.08.2019 bei der Beklagten ein.

 

Mit Bescheid vom 06.08.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.11.2019 lehnte die Beklagte die Gewährung von Krankengeld in der Zeit vom 12.07.2019 bis 31.07.2019 ab, da der Krankengeldanspruch des Klägers wegen der verspätet eingegangenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruhe.

 

Die dagegen vom Kläger am 03.12.2019 beim SG Dresden erhobene Klage hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 05.01.2023 (dem Kläger zugestellt am 09.01.2023) abgewiesen. In der Rechtsmittelbelehrung des Gerichtsbescheids hat das SG dem Kläger mitgeteilt, der Gerichtsbescheid könne nicht mit der Berufung angefochten werden, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom SG nicht zugelassen worden sei.

 

Am 06.02.2023 hat der Kläger beim Sächsischen Landessozialgericht Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt und beantragt sinngemäß, die Berufung gegen Gerichtsbescheid des SG Dresden vom 05.01.2023 zuzulassen. Die Beklagte ist diesem Antrag nicht entgegengetreten.

 

Dem Gericht haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Auf diese wird ergänzend Bezug genommen.

 

II.

 

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung entsprechend der Rechtsmittelbelehrung des Gerichtsbescheides des SG Dresden vom 05.01.2023 hat der Kläger frist- und formgerecht erhoben (§ 145 Abs. 1 Satz 2 SGG).

 

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch statthaft. Der Rechtsmittelbelehrung im Gerichtsbescheid des SG, dass die Berufung vom SG nicht zugelassen worden sei, kommt keine konstitutive Bedeutung zu (vgl. umgekehrt liegt allein in der (unzutreffenden) Belehrung über das Rechtsmittel der Berufung keine Zulassung durch das SG: BSG, Beschluss vom 29. Juni 2021 – B 14 AS 215/20 B –, juris). Auch wenn daher der Kläger nicht gehindert war, die Berufung sogleich oder in der maßgeblichen Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG einzulegen, entfällt hierdurch nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die Nichtzulassungsbeschwerde. Denn durch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung hat das SG den Anschein erweckt (vgl. insoweit auch den Vermerk des SG vom 09.02.2023, Bl. 83 GA Rs), die Berufung gegen das Urteil sei kraft Gesetzes ausgeschlossen und es bedürfe zu ihrer Statthaftigkeit einer besonderen Zulassung durch das Gericht. Dieser Rechtsschein belastet denjenigen, der gegen ein Urteil Berufung einlegen möchte. Deshalb ist ein berechtigtes Interesse des Klägers an einer verbindlichen Entscheidung des angerufenen Gerichts über die Zulässigkeit eines bei ihm eingelegten Rechtsmittels anzuerkennen (str.; ebenso: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. März 2023 – L 32 AS 505/22 NZB –, Rn. 5, juris, mwN; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. Februar 2016 – L 9 AS 4693/15 NZB –, Rn. 6, juris; a.A: Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 20. Mai 2019 – L 8 AY 19/19 NZB –, Rn. 14, juris).

 

Im vorliegenden Fall ist das SG in der Rechtsmittelbelehrung zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Berufung der Zulassung bedarf. Die Berufung bedarf der Zulassung im Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts nur dann (immer dann), wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 € nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Vorliegend wird der Schwellenwert von 750 € für eine gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsfreie Berufung überschritten.

 

Bei einer - wie hier streitigen - Geldleistung ist der Wert des Beschwerdegegenstandes für das Berufungsverfahren nach dem Geldbetrag zu berechnen, um den unmittelbar gestritten wird. Nach dieser Maßgabe ist hier auf das Bruttokrankengeld abzustellen, das sich nach § 47 SGB V unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 28. Januar 2022 – L 4 KR 2461/20 –, Rn. 30, juris). Demgegenüber kommt es nicht darauf an, in welcher Höhe das Krankengeld nach Abführung der vom Kläger zu tragenden Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. §§ 170 Abs. 1 Nr. 2 Buchst a, 176 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI), zur sozialen Pflegeversicherung (§§ 59 Abs. 2 Satz 1, 60 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz Sozialgesetzbuch Elftes Buch - SGB XI) und zur Arbeitsförderung (§§ 347 Nr. 5, 349 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III) „netto“ an den Kläger tatsächlich ausgezahlt wird (vgl. BeckOGK/Schifferdecker, Stand: 15.02.2023, SGB V § 47 Rn. 108). Soweit das BSG diese Frage für das Arbeitslosengeld im Sinne einer Nettozahlung entschieden hat (vgl. BSG, Urteil vom 27.07.2004 - B 7 AL 104/03 R – juris), handelt es sich bei den dort allein von der Bundesagentur für Arbeit zu tragenden Beiträgen zur gesetzlichen Renten- , Kranken- und sozialen Pflegeversicherung der Bezieher von Arbeitslosengeld (vgl. § 170 Abs. 1 Nr. 2 Buchst b SGB VI, § 251 Abs. 4a SGB V, § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB XI) lediglich um rechtliche bzw. wirtschaftliche Folgewirkungen der Gewährung von Arbeitslosengeld. Entsprechendes würde auch für die Zahlung von Krankengeld nach § 47b SGB V gelten, denn Krankengeld bei Beziehern von Arbeitslosengeld wird in Höhe des Betrags des Arbeitslosengelds gewährt und die (allein) von der Krankenkasse zu entrichtenden Beiträge zur Arbeitsförderung, Rentenversicherung und Pflegeversicherung (§ 347 Nr. 5b SGB III, § 170 Abs. 1 Nr. 2a SGB VI, § 59 Abs. 2 Satz 1 SGB XI) stellen ebenfalls nur Folgewirkungen dar. Dagegen handelt es sich bei der Abführung der Anteile des Versicherten zu den genannten Sozialversicherungsbeiträgen aus dem Krankengeld für Beschäftigte nicht um rechtliche oder wirtschaftliche Folgewirkungen der Gewährung von Krankengeld. Vielmehr ist dieses kraft Gesetzes nach § 47 SGB V als solches als Bruttobetrag unabhängig von etwaigen Beitragspflichten der Versicherten zu bewilligen. § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V lautet: „Das Krankengeld beträgt 70 vom Hundert des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt).“ Für die Wertberechnung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist grundsätzlich nicht ausschlaggebend, ob der geltend gemachte Anspruch vom Sozialversicherungsträger direkt gegenüber dem Kläger zu erfüllen wäre, dieser den „Gegenwert“ der beanspruchten Leistung mithin direkt in die Hand bekäme, oder ob aus dem gesetzlich vorgeschriebenen Anspruch Zahlungspflichten des Versicherten gegenüber anderen Sozialversicherungsträgern vorab zu erfüllen sind (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 27.07.2004 - B 7 AL 104/03 R – juris, Rn. 15). Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Der angestrebten Vereinfachung des Verfahrens durch Festlegung einer pauschalen Streitwertgrenze entspricht es, auf den leicht festzustellenden kalendertäglichen Bruttobetrag des Krankengeldes abzustellen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 19. März 2019 – L 11 KR 3841/18 –, juris Rn. 21; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. Februar 2018 – L 1 KR 764/16 –, juris Rn. 39; vgl. keine komplexe Ermittlungstätigkeit: BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 – B 7 AL 104/03 R – juris, Rn. 14). Im Unterschied zum Krankengeld gemäß § 47 SGB beträgt das (in der Entscheidung des BSG vom 27.07.2004 - B 7 AL 104/03 R - [a.a.O.] streitgegenständliche) Arbeitslosengeld nach § 149 SGB III für Arbeitslose 67% (§ 149 Nr. 1 SGB III) bzw. 60% (§ 149 Nr. 2 SGB III) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt).


Die Beschwerde des Klägers ist insofern begründet, als mit Blick auf die sonst eintretende Rechtsfolge des § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG ("Mit der Ablehnung der Beschwerde wird das Urteil rechtskräftig.") vom Senat klarstellend festzustellen war, dass entgegen den Ausführungen des SG in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Gerichtsbescheides die Berufung jedenfalls gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG kraft Gesetzes statthaft ist (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 20. Mai 2019 – L 8 AY 19/19 NZB –, juris Rn. 22). Deshalb bedarf es auch keiner Entscheidung des Senats über deren Zulassung, so dass die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers insoweit erfolglos bleibt, als sie hierauf gerichtet ist.

 

Sollte der Kläger Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) Dresden vom 05.01.2023 einlegen wollen, ist diese binnen eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses beim Sächsischen Landessozialgericht einzulegen (entsprechend § 62 Abs. 2 Satz 2 SGG iVm § 67 Abs. 2 SGG).

 

Außergerichtliche Kosten für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde sind gemäß § 193 SGG nicht zu erstatten, weil dieses Rechtsmittel erfolglos bleibt und auch nicht von der Beklagten veranlasst worden ist. Für einen Anspruch auf Kostenerstattung wegen unrichtiger Sachbehandlung durch ein Gericht gibt es keine Rechtsgrundlage (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. März 2023 – L 32 AS 505/22 NZB –, juris Rn. 15).

 

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde zum BSG angefochten werden (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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