L 2 SO 1665/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SO 1986/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 1665/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. Mai 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger macht eine Untätigkeit des Beklagten im Hinblick auf ausstehende Antworten auf sein Schreiben vom 23.03.2020 geltend.

Der 1980 geborene, voll erwerbsgeminderte Kläger erhielt vom Beklagten über viele Jahre bis 30.09.2021 laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII, vgl. Bewilligungsbescheide vom 23.06.2021 und 20.08.2021 sowie Aufhebungsbescheid vom 23.09.2021). In der Folgezeit lehnte der Beklagte mehrere (Neu-)Anträge des Klägers ab. Zahlreiche hiergegen erhobene Widerspruchs-, Klage- Berufungs- und Beschwerdeverfahren sowie Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes blieben erfolglos.

Mit Schreiben vom 26.02.2023, eingegangen beim Sozialgericht (SG) Reutlingen am selben Tag, hat der Kläger u.a. Untätigkeitsklage (Bl. 2 SG-Akte) in Bezug auf ein Schreiben an den Beklagten vom 23.03.2020 (vgl. Bl. 18 SG-Akte; Bl. 157 VA) erhoben und ausgeführt, dass die Beklagte mit Schreiben vom 23.03.2020 aufgefordert worden, sei eine Erklärung dazu abzugeben, warum die Bankbuchungen nicht zu den Bewilligungsbescheiden passten. Wörtlich hat der Kläger weiter angegeben: “Ich möchte hiermit Untätigkeitsklage gegen das Sozialamt einreichen“. Zudem hat der Kläger in seiner Klageschrift den Kammervorsitzenden wegen Befangenheit abgelehnt und Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.

Das SG hat den Antrag des Klägers auf Gewährung von PKH mit Beschluss vom 12.01.2023 abgelehnt. Zunächst könne der Vorsitzende hierüber selbst entscheiden, da das Ablehnungsgesuch des Klägers unzulässig sei. Ein Ablehnungsgesuch sei nämlich unzulässig, wenn dessen Begründung völlig ungeeignet sei oder wenn mit ihm rechtsmissbräuchlich verfahrensfremde Zwecke verfolgt würden, z.B. um Richter, die eine missliebige Rechtsansicht vertreten, auszuschalten. Dies sei hier der Fall. Soweit der Kläger zur Begründung seiner Ablehnung fehlende Unterschriften auf Schriftsätzen geltend mache, seien diese fehlenden Unterschriften der eingeführten elektronischen Aktenführung geschuldet und zur Begründung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet. Soweit der Kläger, der in der Vergangenheit schon ausgeführt habe, er wolle nichts ungenutzt lassen, um jeden Einzelschritt des Vorsitzenden zu Fall zu bringen (vgl. Schreiben des Klägers vom 01.03.2022 im Verfahren S 4 SO 608/21), dem Vorsitzenden ohne nähere Spezifizierung Rechtsbeugungen und die Nutzung korrupter Quellen vorwerfe, gehe es ihm mit seinen Ablehnungsgesuchen offensichtlich allein darum, den Vorsitzenden, der ihm missliebige Rechtsansichten vertrete, auszuschalten.
Die ausdrücklich als Untätigkeitsklage erhobene Klage habe keine Erfolgsaussichten. Sie sei bereits unzulässig. Eine Untätigkeitsklage sei nach § 88 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach näherer Maßgabe zulässig, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts nicht beschieden worden sei, d.h. es müsse der Erlass eines Verwaltungsaktes und nicht einer sonstigen Amtshandlung begehrt werden. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da der Kläger lediglich die Erläuterung von Bankbuchungen und Bewilligungsbescheiden, also eine sonstige Amtshandlung begehre. Dafür komme eine Untätigkeitsklage nicht in Betracht.

Die gegen den Beschluss vom 12.01.2023 erhobene Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg ist erfolglos geblieben (vgl. Beschluss vom 06.04.2023, - L 7 SO 161/23 B -). Zur Begründung ist auf die Ausführungen des SG verwiesen und ergänzend ausgeführt worden, dass, soweit der Kläger im Beschwerdeverfahren sein Begehren nun dahingehend fasse, dass es ihm nicht nur um Erläuterungen gehe, sondern um Bewilligungsbescheide, die zu Bankbuchungen aus dem Zeitraum Dezember 2019 bis Januar 2021 passen, führe dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn eine Untätigkeitsklage sei nur auf die - hier aber etwa mit den Bescheiden vom 14.11.2019 und 18.11.2020 erfolgte - Bescheidung eines Antrags oder Widerspruchs, gegebenenfalls konkludent durch Zahlung, gerichtet, nicht aber auf den Erlass eines Verwaltungsakts bestimmten Inhalts. Der Kläger sei insoweit auf die Möglichkeit der Widerspruchs- und Klageverfahren binnen der gesetzlichen Fristen zu verweisen.

Das SG hat die Klage daraufhin nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 08.05.2023 abgewiesen. Das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden sowie die vom Kläger ausdrücklich als Untätigkeitsklage erhobene Klage seien bereits unzulässig. Zur weiteren Begründung hat das SG auf den Beschluss über die Ablehnung von PKH vom 12.01.2023 sowie auf die hierzu ergangene, ablehnende Beschwerdeentscheidung des LSG im Beschluss vom 06.04.2023 (L 7 SO 161/23 B) Bezug genommen.

Gegen den ihm am 10.05.2023 gegen Postzustellungsurkunde zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11.06.2023, einem Sonntag, Berufung zum LSG Baden-Württemberg erhoben. Er hat zur Begründung u.a. Ausführungen dazu gemacht, dass er seit dem 01.10.2021 keine Grundsicherung mehr erhalte und sich hierbei auf einen Ablehnungsbescheid vom 05.06.2023 (vgl. Bl. 5, 2 LSG-Akte) bezogen. Mit Schreiben vom 17.01.2024 hat der Kläger weitere Unterlagen, alle betreffend eines von ihm wohl im Januar 2024 erneut beim Beklagten gestellten Grundsicherungsantrag vorgelegt (Bl. 36 ff. LSG-Akte).

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. Mai 2023 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, das Schreiben des Klägers vom 23. März 2020 zu beantworten.

Der Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung des SG Reutlingen.

Mit Verfügung vom 18.12.2023 (Bl. 23 LSG-Akte), dem Beklagten am 18.12.2023 (vgl. eEB, Bl. 24 LSG-Akte) und dem Kläger am 20.12.2023 (vgl. PZU, Bl. 29 LSG-Akte) zugestellt, ist Termin zur mündlichen Verhandlung am 28.02.2024 bestimmt worden. Der Beklagte hat mitteilen lassen, keinen Vertreter zum Termin erscheinen zu lassen. Ein zunächst gestellter Verlegungsantrag des Beklagten ist zurückgenommen worden (vgl. Bl. 32 ff. im Verfahren L 2 SO 1664/23).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


Entscheidungsgründe

Der Senat konnte in der mündlichen Verhandlung am 28.02.2024 in Abwesenheit der Beteiligten über den Rechtsstreit entscheiden, da der Kläger und die Beklagte ordnungsgemäß zum Termin geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden sind, dass auch im Falle des Ausbleibens von Beteiligten bzw. Bevollmächtigten Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann (vgl. § 153 Abs. 1 i.V.m. § 110 Abs. 1 Satz 2, § 126 SGG). Die Beklagte hat zudem bereits im Vorfeld mitgeteilt, keinen Vertreter zum Termin zu entsenden sowie den zunächst gestellten Verlegungsantrag zurückgenommen. Der Kläger hat keinen Verlegungsantrag gestellt.

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.

Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist allein die vom Kläger erhobene Untätigkeitsklage, mit der er vom Beklagten die Beantwortung seines Schreibens vom 23.03.2020 begehrt. Soweit der Kläger zuletzt ausgeführt hat, dass er seit dem 01.10.2021 keine Grundsicherung mehr erhalte und sich hierbei auf einen Ablehnungsbescheid vom 05.06.2023 berufen hat, ist dies nicht Streitgegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens. Denn der angegriffene Bescheid ist nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen, das SG hat folgerichtig hierüber nicht entschieden und der geltend gemachte Anspruch ist damit auch im Berufungsverfahren nicht zu überprüfen. Der Gegenstand des Berufungsverfahrens ist grundsätzlich durch den Umfang der erstinstanzlichen Entscheidung begrenzt (Littmann in Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, § 143, Rn. 17, beck-online). Eine Berufung, die einen neuen, bisher noch nicht geltend gemachten Anspruch zum Gegenstand hat, ist (mangels Beschwer) grundsätzlich unzulässig (Wehrhahn in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., SGG [Stand: 15.06.2022], § 143, Rn. 15). Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass, nach erfolglosem Widerspruchsverfahren, inzwischen vom Kläger gegen den Ablehnungsbescheid vom 05.06.2023 Klage beim SG Reutlingen erhoben worden ist (-S 4 SO 1182/23 -; Bl. 6 Verfahren L 2 SO 294/24). Gleiches gilt im Hinblick auf die Ausführungen des Klägers im Schreiben vom 17.01.2024 zu einem erneuten Antrag auf Grundsicherungsleistungen beim Beklagten.

Die so verstandene Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die (Untätigkeits-)Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zutreffend unter Bezugnahme auf die Entscheidung über die Gewährung von PKH vom 12.01.2023 und die hierzu ergangene Beschwerdeentscheidung des LSG vom 06.04.2023 (- L 7 SO 161/23 B -) die rechtlichen Grundlagen der Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage dargestellt (vgl. § 88 Abs. 1 SGG) und richtig ausgeführt, dass eine Untätigkeitsklage hier unzulässig ist, da der Kläger nicht die Bescheidung eines Antrags oder Widerspruchs, sondern allein die Erläuterung von Buchungen, letztlich also die Beantwortung von Fragen, begehrt. Die Untätigkeitsklage ist daher allein auf eine reine Amtshandlung gerichtet. Dafür kommt eine Untätigkeitsklage nicht in Betracht. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zurück.

Lediglich ergänzend wird ausgeführt, dass sich auch aus dem Vortrag im Berufungsverfahren nichts Anderes ergibt. Zunächst ist nicht zu beanstanden, dass das SG die Ablehnungsgesuche wegen offensichtlicher Unzulässigkeit verworfen hat und der abgelehnte Richter von dieser Entscheidung auch nicht ausgeschlossen war (vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht [BVerfG] Beschluss vom 20.7.2021 - 2 BvE 4/20 - juris, Rn. 35 m.w.N.).
Darüber hinaus ist eine Untätigkeit des Beklagten auch weiter nicht zu erkennen. Der Kläger hat selbst bestätigt (Bl. 16 SG-Akte) gegen sämtliche im Jahr 2019 und 2020 ergangenen Bescheide Widerspruch und Klage erhoben zu haben, so dass bereits Entscheidungen über die Frage der Leistungsberechtigung des Klägers im streitigen Zeitraum getroffen worden sind. Eine Untätigkeitsklage kann ferner nur auf die zu erfolgende Bescheidung eines Antrags oder Widerspruchs gerichtet sein, nicht aber auf den Erlass eines Verwaltungsakts bestimmten Inhalts (Claus in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., SGG [Stand: 15.06.2022], § 88 Rn. 8). Sollte man das Begehren als eine auf einfaches Verwaltungshandeln gerichtete Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) einstufen, stünde diesem bereits die Regelung des § 56a Satz 1 SGG als negativer Zulässigkeitsvoraussetzung entgegen. Denn gemäß § 56a Satz 1 SGG können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen - hier der Unterlassung der Bereitstellung der begehrten Informationen - nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Eine Ausnahme zu dieser Beschränkung (vgl. § 56a Satz 2 SGG) liegt hier nicht vor.
Nicht zuletzt hat der Beklagte auf das Schreiben des Klägers vom 23.03.2020 mit Schreiben vom 02.04.2020 (vgl. 157a VA) geantwortet und hierin weitere Erläuterungen zur Berechnung der Leistungen gemacht, so dass keine Untätigkeit des Beklagten erkennbar ist.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.  



 

Rechtskraft
Aus
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