L 1 KR 166/22

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 13 KR 315/21
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 166/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze


Zum Anspruch auf Erstattung der Kosten eines PSMA-PET-CT bei Anstieg des PSA-Wertes trotz Prostatektomie.



Auf die Berufung des Klägers wird unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Darmstadt vom 15. Juni 2022 sowie des Bescheides der Beklagten vom 12. August 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2021 die Beklagte verurteilt, dem Kläger die ihm aufgrund der am 29. September 2020 durchgeführten PSMA PET-CT-Untersuchung entstandenen Kosten in Höhe von 1.421,86 Euro zu erstatten.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für eine prostataspezifische membranantigene Positronen-Emissions-Therapie/Computertomographie-Untersuchung (PSMA-PET-CT-Untersuchung).

Der 1951 geborene Kläger ist bei der Beklagten versichert. Er leidet an den Folgen eines Prostatakarzinoms bei radikaler Prostatektomie am 5. Februar 2019 (Initial: Gleason 8, PSA 7,18 ng/ml und pT3b). Im April 2019 wurde ein Anstieg des PSA-Wertes auf 0,05 ng/ml, im Februar 2020 auf 0,09 ng/ml und im Juni 2020 auf 0,12 ng/ml festgestellt. 

Unter Vorlage eines Attests des behandelnden Urologen vom 18. November 2019 beantragte der Kläger am 19. November 2019 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine PSMA-PET-CT–Untersuchung. Hierbei handelt es sich um eine Kombination nuklearmedizinisch-radiologischer Verfahren zur Sichtbarmachung von Prostatakarzinomzellen und Metastasen.

Mit Schreiben vom 21. November 2019 erläuterte die Beklagte dem Kläger die Rechtslage und teilte mit, den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Hessen (MDK) mit einer Begutachtung dahingehend zu beauftragen, ob im Rahmen einer Einzelfallentscheidung die Kosten übernommen werden könnten, obwohl es sich bei der beantragten Leistung um eine sog. neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handele, für die eine Befürwortung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nicht gegeben sei. Hierzu zog die Beklagte weitere medizinische Unterlagen von dem Kläger bei. Unter dem 8. Januar 2020 erklärte die Beklagte erneut, dass eine Kostenübernahme nicht möglich sei. 

Im Januar 2020 ergaben eine CT des Abdomens keine Hinweise auf ein Rezidiv und ein Knochenscan keine ossären Filiae. Im Februar 2020 erbrachte ein MRT des Beckens keinen sicheren Nachweis eines Lokalrezidivs.

Mit Schreiben vom 21. Juli 2020 wies die Beklagte dem Kläger erneut auf die Rechtslage hin.

Mit MDK-Gutachten vom 10. August 2020 stellte Dr. E. fest, dass eine Ausnahmeindikation für eine PET-CT nicht vorliege. Als Vertragsleistung sei eine Salvage Strahlentherapie anzuwenden. Vorliegend sei noch kein Rezidiv nachzuweisen, weil es nur einen einmaligen Anstieg des PSA-Werte aus dem Nullbereich gegeben habe. In diesem Fall sei die Strahlentherapie aber leitliniengerecht und solle möglichst frühzeitig begonnen werden. Eine akut lebensbedrohliche Situation sei nicht ersichtlich.

Gestützt auf dieses Begutachtungsergebnis lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. August 2020 den Antrag des Klägers ab. Der Kläger erhob Widerspruch.

Im MDK-Gutachten vom 21. September 2020 führte der Gutachter Dr. H. (Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Internistische Onkologie) aus, dass sich bei dem Kläger ein PSA-Anstieg nach radikaler Prostatektomie von 0,09 ng/ml (02/2020) auf 0,12 ng/ml (06/2020) zeige. Bei diesen noch sehr niedrigen PSA-Werten sei durch eine Bildgebung keine verlässliche Diagnose zu erwarten. Auch in den Richtlinien zur ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung sei die Indikation für eine PSMA-PET/CT für biochemische Rezidive bei Werten > 0,2 ng/ml begrenzt worden. Allerdings könnten nach der S3-Leitlinie der AWMF (2019) auch zwei ansteigende Werte < 0,2 ng/ml ein biochemisches Rezidiv bedeuten. Des Weiteren sei darauf hinzuweisen, dass dem Patienten im Rahmen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung eine PSMA-PET/CT bei Vorliegen eines definierten biochemischen Rezidivs (> 0,2 ng/ml) im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung angeboten werden könne. Die Indikation für eine Salvage-Strahlentherapie könne leitlinienkonform auf Basis der konventionellen Diagnostik überprüft werden. Es erscheine medizinisch nicht sinnvoll, einen weiteren PSA-Anstieg abzuwarten.

Die Beklagte informierte den Kläger hierüber mit Schreiben vom 22. September 2020 und teilte mit, dass es bei der ablehnenden Entscheidung bleibe.

Am 29. September 2020 wurde bei dem Kläger eine PET-CT–Untersuchung durchgeführt. Eine Anreicherung eines Lymphknotens im kleinen Becken wurde detektiert. Das Universitätsklinikum Frankfurt am Main berechnete für die Untersuchung einen Betrag in Höhe von 1.421,86 Euro (Rechnung vom 3. November 2020). Der Kläger übersandte der Beklagten die Rechnung und beglich am 30. November 2020 den Rechnungsbetrag. 

Das Klinikum Darmstadt führte in einer medizinischen Stellungnahme vom 25. November 2020 aus, dass das Vorliegen einer akut lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung anzunehmen sei. Der Kläger leide unter einem rezidivierten Prostatakarzinom. Zwar fordere die S3-Leitlinie im Statement 7.2 ein PSA-Wert > 0,2 ng/ml. In der Hintergrundinformation werde jedoch gesagt: „Allerdings können auch zwei ansteigende Werte < 0,2 ng/ml ein biochemisches Rezidiv bedeuten." Bei dem Kläger habe 04/2019 der PSA-Wert 0,05 ng/ml betragen und sei dann 01/2020 auf 0,09 ng/ml und 06/2020 auf 0,12 ng/ml angestiegen. Daher habe eine akut lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung vorgelegen. Am 27. Februar 2020 sei ein MRT des Beckens ohne Anhalt für makroskopischen Tumorbefall erfolgt. Ein weiteres darüber hinaus gehendes vertragliches Untersuchungsverfahren sei nicht vorhanden. Der G-BA habe Anfang 2020 die Abrechnung der Leistung empfohlen, wenn ein gesichertes biochemisches Rezidiv vorhanden sei, ein MRT keinen Befund erbracht habe und sich eine therapeutische Konsequenz aus der PSMA-Diagnostik ergebe. All diese Punkte seien gegeben. Aufgrund der PET-Untersuchung sei bei dem Kläger das Bestrahlungskonzept geändert und ein simultan integrierter Boost auf den PET-positiven Lymphknoten im kleinen Becken appliziert worden. Dem Erstbrief vom 17. Juli 2020 könne entnommen werden, dass dies initial anders geplant gewesen sei.

Im MDK-GA vom 1. März 2021 stellte Dr. E. fest, dass bei 2 ansteigenden PSA-Werten (0,05 -> 0,09 und 0,09 -> 0,12) gemäß Hintergrundinformationen der S3-Leitlinie ein biochemisches Rezidiv bei dem Versicherten vorliege. Zudem sei bei einem Gleason Score von 8 (3+5) nun auch eine lebensbedrohliche Erkrankung mit Handlungsbedarf nachvollziehbar. Für den Versicherten habe in dieser Situation die Salvage-Strahlentherapie zur Verfügung gestanden. Die PSMA-PET/CT sei zur Bestrahlungsplanung derzeit nicht hinreichend validiert. Bei der Lymphknoten-Anreicherung könne es sich um einen falsch positiven Befund gehandelt haben. Die Sicherung einer Lymphknotenmetastase, mit ggf. über die konventionelle Strahlentherapie von Prostataloge, ehem. Samenblasenregion und LAW hinaus bestehendem strahlentherapeutischen Behandlungsbedarf, könne die PSMA-PET/CT nicht leisten. Es sei daher nicht herleitbar, dass der Versicherte von der Strahlentherapie und dem zusätzlichen Lymphknotenboost mehr profitiere als von der Strahlentherapie ohne diesen Boost. Diese Strahlentherapie umfasse den pelvinen Lymphabfluss. Somit entspreche im vorliegenden Einzelfall weiterhin die Strahlentherapie mit IMRT der Prostataloge unter Einschluss der ehemaligen Samenblasenregion und des pelvinen Lymphabflusses einer verfügbaren Standardtherapie. Ein Anspruch auf Kostenübernahme der ambulanten PSMA-PET/CT sei weiterhin nicht zu begründen. 

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2021 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die beantragte Untersuchung sei als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode grundsätzlich von der Leistungspflicht der Beklagten ausgenommen. Nur in bestimmten Konstellationen habe der G-BA die PET-CT als Untersuchungsmethode befürwortet. Eine solche Ausnahmeindikation sei im Fall des Klägers aber nicht gegeben. Die Beklagte sei hieran gebunden. Eine andere Beurteilung ermögliche auch nicht § 2 Abs. 1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch V (SGB V). Zwar seien - mit dem MDK-Gutachten vom 1. März 2021 - bei einem Gleason Score von 8 (3+5) nun auch eine lebensbedrohliche Erkrankung und ein Handlungsbedarf nachvollziehbar. Dem Kläger habe jedoch in dieser Situation die Salvage-Strahlentherapie zur Verfügung gestanden.

Dagegen hat der Kläger am 14. Juli 2021 Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben. 

Das Sozialgericht hat Befundberichte u.a. von Dr. K. (vom 1. Dezember 2021) eingeholt.

Der Kläger hat unter Vorlage des Schreibens des Klinikums Darmstadt (Institut für Radioonkologie und Strahlentherapie) vom 11. Januar 2022 auf den Beschluss des G-BA vom März 2021 u.a. zur PSMA-PET nach Prostatektomie hingewiesen.

Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass die streitige PET/CT bereits am 29. September 2020 und somit vor diesem Beschluss des G-BA durchgeführt worden sei. Soweit Dr. K. ausführe, dass der G-BA bereits am 5. Februar 2020 die Abrechnung eines PSMA/PET unter den beim Kläger vorliegenden Voraussetzungen empfohlen habe, stelle sich die Frage, warum die streitige Untersuchung nicht im Sachleistungsprinzip erbracht worden sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 15. Juni 2022 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Als Rechtsgrundlage für einen Kostenerstattungsanspruch komme allein § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht. Habe die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen können oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und seien dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, seien diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig gewesen sei (§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Der Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs. 3 SGB V reiche allerdings nicht weiter als der Sachleistungsanspruch, den er ersetze. Nicht als Sachleistung geschuldete Leistungen könnten also auch auf dem Erstattungswege nicht verlangt werden. 

Gemäß § 27 Abs. 1 SGB V hätten Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig sei, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Diese Vorschrift finde ihre Grenze allerdings in der Verbotsnorm des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V könnten neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden, wenn der G-BA nach § 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 SGB V in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben habe. Neu sei dabei jede Behandlungsmethode, die bisher noch nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung gewesen sei. Der Gesetzgeber mache damit den Einsatz neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden von einer vorherigen Anerkennung durch den G-BA abhängig. Dies diene der Sicherung der Qualität der Leistungserbringung zum Schutz der Versichertengemeinschaft vor Unwirtschaftlichkeit und der Versicherten vor unerprobten Methoden. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden seien solange von der Abrechnung zu Lasten der Krankenkassen ausgeschlossen, bis der G-BA sie als zweckmäßig anerkannt habe. Der Einwand des einzelnen Versicherten, eine nicht empfohlene Behandlungsmethode sei gleichwohl zweckmäßig und in seinem konkreten Fall wirksam bzw. lasse einen Behandlungserfolg als möglich erscheinen, sei nicht beachtlich. Die gegenständliche Untersuchung sei gemäß § 135 Abs. 1 SGB V deshalb grundsätzlich ausgeschlossen. Es handele sich um eine sog. „neue Untersuchungsmethode“, weil sie nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten sei.

Der Anspruch könne auch gemäß § 2 Abs. 1a SGB V begründet sein. Diese Fallgruppe setze jedoch eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung und das Fehlen einer allgemein anerkannten, dem medizinischen Standard entsprechenden Behandlung voraus, durch die eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Das subjektive Empfinden des Versicherten, ggf. gestützt durch die Einschätzung oder Empfehlung behandelnder Ärzte oder deren Behandlungserfahrung im Einzelfall, genüge für sich allein regelmäßig nicht.

Im vorliegenden Fall dürfte es bereits an einer lebensbedrohlichen Erkrankung in diesem Sinne fehlen. Mit Entscheidung vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98) habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erkannt, dass es aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung des krankenversicherungsrechtlichen Leistungsrechts trotz einer fehlenden Empfehlung des G-BA erforderlich sei, im Einzelfall die Eignung der Behandlungsmethode zu prüfen. In § 2 Abs. 1a SGB V sei diese Rechtsprechung des BVerfG seit dem 1. Januar 2012 Gesetz geworden.

Die in § 2 Abs. 1a SGB V geregelte medizinische Konstellation meine stets eine notstandsähnliche Lage mit einer sehr begrenzten Lebensdauer. Wertungsmäßig damit vergleichbar sei nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung der wahrscheinlich drohende Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen körperlichen Funktion innerhalb eines kürzeren überschaubaren Zeitraums. Bei der Auslegung des Begriffs der regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung sei deshalb insbesondere auf den Faktor Zeit abzustellen, d.h. die notstandsähnliche Situation des § 2 Abs. 1a SGB V sei an einen besonderen Zeitdruck zu knüpfen (BSG, Urteil vom 16. August 2021 – B 1 KR 29/20 R). Vorliegend spreche der Zeitablauf gegen diesen besonderen Zeitdruck. Der Anstieg des PSA-Wertes sei im November 2019 festgestellt worden. Die streitgegenständliche Untersuchung sei im September 2020 erfolgt. Die Bestrahlung sei ab Oktober 2020 vorgenommen worden. Die streitgegenständliche Untersuchung habe im Übrigen nicht zu einer völlig anderen Bestrahlungstherapie geführt, sondern lediglich zu einer Ergänzung eines „Boosts“ in der Region des kleinen Beckens.

Die Kammer gehe im Übrigen gestützt auf das Begutachtungsergebnis des MDK davon aus, dass eine vertragliche Behandlungsalternativ bestanden habe. Leitlinienkonform sei die vorgenommene Strahlentherapie bei Bestrahlungsplanung nach konventioneller Bildgebung gewesen. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dies im vorliegenden Fall nicht ausreichend gewesen wäre. Tatsächlich sei die Bestrahlung an sich ohnehin beabsichtigt gewesen. Lediglich der sog. „Boost“ sei aufgrund des Untersuchungsergebnisses ergänzt worden. Mit dem Begutachtungsergebnis des MDK gehe die Kammer davon aus, dass insoweit aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachträglich feststellbar sei, dass der Kläger von der Bestrahlung mit „Boost“ mehr profitiert habe, als er von einer Bestrahlung ohne „Boost“ profitiert hätte. Die PSMA-PET-CT sei zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht hinreichend validiert gewesen. Ein falsch positiver Befund im Bereich des kleinen Beckens habe deshalb nicht ausgeschlossen werden können. Auch die beigezogenen Befundberichte könnten insoweit kein anderes Ergebnis begründen, da sie – selbstredend – gerade den Ausschluss eines falsch positiven Befunds nicht erbringen könnten. Lediglich die Kausalität der Änderung des Bestrahlungsplans könne dagegen den Anspruch des Klägers nicht begründen. Ein Anspruch wäre lediglich denkbar, wenn durch die neue Untersuchungsmethode ein Befund mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erbringen gewesen wäre, der durch konventionelle Bildgebung nicht hätte erlangt werden können.

Der Kläger hat gegen den Gerichtsbescheid am 27. Juni 2022 vor dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und zur Begründung vorgebracht, dass entgegen der Einschätzung des MDK eine Salvage-Strahlentherapie nicht ausreiche und die PSMA-PET-CT keineswegs nur der Bestrahlungsplanung diene. Sowohl die Uniklinik Frankfurt am Main als auch das Klinikum Darmstadt hätten ausgeführt, dass der Befund außerhalb des zu bestrahlenden Bereichs gelegen habe. Im Übrigen seien über die Behandlungskosten hinaus Fahrtkosten wegen der Bestrahlung in Höhe von ca. 1.500 Euro angefallen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ausgeführt, dass nach der streitigen Diagnostik und der darauf abgestimmten Bestrahlung kein PSA mehr festgestellt worden ist.

Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Darmstadt vom 15. Juni 2022 sowie des Bescheides der Beklagten vom 12. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2021 die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten für die am 29. September 2020 durchgeführte PSMA-PET-CT in Höhe von 1.421,86 Euro zu erstatten. 

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. 

Der Senat hat eine Stellungnahme von Dr. K. (Oberärztin am Klinikum Darmstadt, Institut für Radioonkologie und Strahlentherapie) eingeholt. Dr. K. hat unter dem 30. August 2023 ausgeführt: „Der befallene Lymphknoten war in der MRT Bildgebung 02.2020 abgebildet, wurde jedoch aufgrund der unauffälligen Größe und Morphe als regelhaft gewertet. Erst durch die PSMA-Anreicherung in dem Bereich konnte ein Tumorbefall des von der Größe und Morphe unauffälligen Lymphknotens festgestellt werden.“ Nur aufgrund der PSMA-PET-CT habe der Tumor lokalisiert und damit der richtige Bestrahlungsort gefunden werden können. „Nur durch die PSMA Anreicherung konnte festgestellt werden, dass bereits eine lokale Ausbreitung in einen Beckenlymphknoten stattgefunden hatte. Der richtige Bestrahlungsort konnte nur dadurch gefunden werden. Das Zielvolumen musste wegen des weiteren Befundes insgesamt erweitert werden. Die Lymphbahnen wurden weiter kopfwärts mitbestrahlt und der befallene Lymphknoten erhielt eine erhöhte Dosis um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen in dem Bereich alle Tumorzellen abzutöten.“ Auf die Frage, welche Bedeutung der sog. Boost hinsichtlich des Behandlungserfolges gehabt habe bzw. ob ohne diesen Boost kein Behandlungserfolg eingetreten wäre, hat Dr. K. angeführt: „Der Boost auf dem befallenen Lymphknoten erhöhte die Heilungschancen von Herrn A. Der Bereich mit gesichertem Tumorbefall erhält mehr Bestrahlungsdosis, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, den Tumor dort vollkommen zu zerstören. Diese hohe Dosis kann aber nur in kleinen Bereichen appliziert werden, weil es sonst zu langfristigen Nebenwirkungen in dem Gebiet kommen könnte (Absterben von Gewebe, Funktionsverlust der Lymphbahnen mit z.B. Beinödemen). Somit steht diese bessere Heilungschance nur zur Verfügung, wenn man genau weiß, wohin man diese hohe Dosis applizieren muss. Diese Information war ausschließlich durch das PSMA-PET-CT zu bekommen. Ohne den Boost hätte die Bestrahlung auch eine kurative Wirkung entfalten können. Letztlich wird in der Onkologie mit Wahrscheinlichkeiten gearbeitet. Es kann im Nachhinein für einen einzelnen Patienten oder eine Patientin nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob eine andere Therapie auch zur Heilung geführt hätte. Der Anspruch ist eine möglichst hohe Erfolgsrate mit möglichst wenig akuten und langfristigen Nebenwirkungen zu erreichen. Unter diesen Aspekten war die durchgeführte Behandlung von Herrn A. die beste Therapieoption welche zur Verfügung stand. Ohne die PSMA-PET-CT hätte diese Therapie nicht angeboten werden können.“

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet. 

Der Bescheid der Beklagten vom 12. August 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2021 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dem Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die durchgeführte PSMA-PET-CT Untersuchung in Höhe von 1.421,86 Euro.

Die Voraussetzungen gemäß § 13 Abs. 3 S. 1, 2. Variante SGB V sind erfüllt. Die Beklagte hat die Leistung zu Unrecht abgelehnt.

Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 27 Abs. 1 SGB V. Die streitgegenständliche PSMA-PET-CT gehörte zum maßgeblichen Zeitpunkt unstreitig (noch) nicht zu den von der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich zu erbringenden Leistungen. Der G-BA hatte für die PET zwar bereits eine Empfehlung abgegeben. Die PET darf nach Nr. 14 § 1 Anlage I - Anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden - zur Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung bei Vorliegen bestimmter Indikationen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden. Für andere Indikationen als die oben genannten wurde die PET in die Anlage II zur Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung unter Nr. 39 aufgenommen: als eine Methode, die nach Beschluss des G-BA nicht zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen. Bei dem Kläger lag keine der aufgenommenen Indikationen vor. 

Allerdings bestand die PSMA-PET-CT im Rahmen der sog. spezialfachärztlichen Versorgung nach § 116b SGB V bereits seit April 2018 als Sachleistung der GKV zur Verfügung (hierzu BSG, Urteil vom 10. März 2021, B 1 KR 6/21 R, juris Rn. 32 f.; s.a. Hess. LSG, Urteil vom 30. November 2023, L 8 KR 315/22). 

So wurde mit Beschluss des G-BA vom 21. Dezember 2017 die Anlage 1 der Richtlinie über die ambulante spezialfachärztliche Versorgung gemäß § 116b SGB V dahingehend geändert, dass nunmehr auch PSMA-PET bei Patienten und Patientinnen mit urologischen Tumoren unter bestimmten Bedingungen Bestandteil des EBM sind. Die Voraussetzung eines fehlenden Abfalls des PSA-Wertes unter 0,2 ng/ml nach radikaler Prostatektomie war allerdings im Fall des Klägers nicht erfüllt. Auch durch die mit Beschluss des G-BA vom 18. März 2021 aufgenommen alternative Anspruchsvoraussetzung (ein PSA-Wert von > 0,2 ng/ml nach radikaler Prostatektomie) lag bei dem Kläger nicht vor. 

Ein Leistungsanspruch des Klägers ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Systemmangels oder Seltenheitsfalls (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2022, B 1 KR 6/22 R, juris Rn. 33). 

Der Anspruch des Klägers auf Durchführung der PSMA-PET-CT Untersuchung ist jedoch gemäß § 2 Abs. 1a SGB V begründet. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

§ 2 Abs. 1a SGB V erfasst nicht nur therapeutische Leistungen, sondern auch diagnostische Maßnahmen (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2022, B 1 KR 6/22 R, juris Rn. 33). Ein Leistungsanspruch besteht danach, wenn bei unterstelltem Vorliegen eines Rezidivs des Prostatakarzinoms ein Zuwarten einen (schnelleren) tödlichen Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit bedeutet hätte, es kein anderes geeignetes diagnostisches Verfahren (mehr) gab und die Untersuchung bzw. eine sich hieran ggf. anschließende Behandlung eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf geboten hat (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2022, B 1 KR 6/21 R, juris Rn. 33 mwN). 

Vorliegend ist unstreitig, dass bei dem Kläger eine lebensbedrohliche Erkrankung vorlag. Bereits mit dem Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2021 hat die Beklagte unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des MDK vom 1. März 2021 ausgeführt, dass eine lebensbedrohliche Erkrankung mit Handlungsbedarf nachvollziehbar ist.

Zur Überzeugung des Senats machte diese Erkrankung auch die Durchführung der diagnostischen Maßnahme mittels PSMA-PET-CT zur Lokalisation des Residualtumors bzw. von Metastasen erforderlich. Zum Zeitpunkt der Durchführung der PSMA-PET-CT Untersuchung bestand bei dem Kläger die sehr hohe Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von Metastasen bzw. eines außerhalb des OP-Gebiets zurückgebliebenen Residualtumors. Damit war eine schwerwiegende, lebensbedrohliche Erkrankung wahrscheinlich, die den erforderlichen Zeitdruck begründete. 

Durch den Anstieg des PSA-Wertes trotz Entfernung der Prostata wird eindeutig ein Rezidiv bzw. eine Metastasierung nachgewiesen. Da der PSA-Wert ein Prostata spezifisches Antigen aufzeigt, kann der PSA-Wert nach Entfernung der Prostata nur dann ansteigen, wenn im Körper noch Prostatakrebszellen vorhanden sind. Nach der S3-Leitlinie Prostatakarzinom kennzeichnet nach radikaler Prostatektomie ein in mindestens zwei Messungen bestätigter PSA-Wert auf > 0,2 ng/ml ein biochemisches Rezidiv (7.2. der Leitlinien 2019 und 2021). Allerdings können auch zwei ansteigende Werte < 0,2 ng/ml ein biochemisches Rezidiv bedeuten (Hintergrundinformation zu Statement 7.2 der Leitlinie 2021, S. 176 der Langversion).

Bei dem Kläger ist der PSA-Wert zwar nicht sehr schnell angestiegen. Der kontinuierliche und erhebliche Anstieg des PSA-Wertes von 0,05 ng/ml (April 2019), auf 0,09 ng/ml (Februar 2020) und 0,12 ng/ml (Juni 2020) verdeutlicht jedoch den Zeitdruck bzgl. einer diagnostischen Lokalisation, um unverzüglich eine daran angepasste Strahlentherapie durchführen zu können. Der erforderliche Zeitdruck ergibt sich auch aus der Situation, dass bei zu langem Warten aus einem zunächst potenziell kurativen ein palliatives Krebsleiden werden kann (s.a. SG Detmold, Urteil vom 8. November 2021, S 16 KR 1034/21, Rn. 48; SG Hamburg, Urteil vom 15. August 2022, S 56 KR 3173/19, Rn. 26 – jeweils juris).

Nach der S3-Leitlinie Prostatakarzinom (seit 2021) hat das PSMA-PET-CT eine höhere Genauigkeit für den Nachweis von Prostatakarzinom-Metastasen als die Kombination aus CT und Knochenszintigraphie (5.25.a, S. 27). Das PSMA-PET-CT kann bei einem High-Risk-Prostatakarzinom laut evidenzbasierter Empfehlung zur Ausbreitungsdiagnostik eingesetzt werden (5.25.b, S. 27). Insgesamt lässt sich eine höhere Genauigkeit für die PSMA-PET-CT gegenüber der konventionellen Bildgebung konstatieren, die die intendierte Behandlung beeinflussen kann (s. Zu Empfehlung 5.25, S. 66 der Langversion der Leitlinie). Im Rahmen einer Rezidivdiagnostik kann primär eine PET-Hybrid-Bildgebung mit radioaktiv markierten PSMA-Liganden zur Beurteilung der Tumorausdehnung Prostatakarzinom-Ausdehnung erfolgen, falls sich aus dem Befund eine therapeutische Konsequenz ergibt (Empfehlung 5.29.a, S. 27). Eine signifikant höhere Detektionsraten durch die PSMA-PET-CT wurde - insbesondere auch bei niedrigen PSA-Werten unter 0,5 ng/ml - festgestellt (s. Zu Empfehlung 5.29, S. 67 f. der Langversion der Leitlinie).

Bei dem Kläger lag ein High-Risk-Prostatakrebs vor (initial Gleason-Score 8 – zum Staging s. S3-Leitlinie Prostatakarzinom, Version 6.2, Oktober 2021, 5.3.). Darüber hinaus wurde bei dem Kläger das Stadium initial T3b festgestellt. Dies bedeutet, dass sich der Tumor bereits über die Prostatakapsel ausgebreitet hat und die Samenblasen befällt. 

Der Senat ist auch davon überzeugt, dass das PSMA-PET-CT zur Lokalisierung der Metastasen bzw. des Rezidivs erforderlich war und zum Zeitpunkt der Durchführung der Untersuchung eine andere Untersuchungsmethode nicht zur Verfügung stand. Ein CT des Abdomens, ein Knochenscan sowie ein MRT waren zuvor bereits ohne Hinweis auf Metastasen bzw. eines Rezidivs bei dem Kläger durchgeführt worden. 

Das Erfordernis einer spürbar positiven Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ist im Bereich der Untersuchungsmethoden dahingehend zu verstehen, dass die aus der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse von entscheidender Bedeutung für das weitere diagnostische und therapeutische Vorgehen sein müssen. Dies war vorliegend zur Überzeugung des Senats der Fall. Insoweit folgt der Senat den Ausführungen von Dr. K. Danach konnte nur aufgrund der PSMA-PET-CT der Tumor lokalisiert werden. Nur durch die PSMA-Anreicherung konnte festgestellt werden, dass bereits eine lokale Ausbreitung in einen Beckenlymphknoten stattgefunden hatte. Dadurch konnte der richtige Bestrahlungsort gefunden werden. Das Zielvolumen wurde wegen des weiteren Befundes erweitert. Die Lymphbahnen wurden weiter kopfwärts mitbestrahlt und der befallenen Lymphknoten erhielt eine erhöhte Dosis, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen in dem Bereich alle Tumorzellen abzutöten. Überzeugend hat Dr. K. zudem ausgeführt, dass der Boost auf dem befallenen Lymphknoten die Heilungschancen des Klägers erhöht hat. Der Bereich mit gesichertem Tumorbefall hat eine höhere Bestrahlungsdosis erhalten. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, den Tumor dort vollkommen zu zerstören. Diese hohe Dosis kann - wie Dr. K. aufgezeigt hat - aber nur in kleinen Bereichen appliziert werden, weil es sonst zu langfristigen Nebenwirkungen in dem Gebiet kommen kann (Absterben von Gewebe, Funktionsverlust der Lymphbahnen mit z.B. Beinödemen). Somit steht diese bessere Heilungschance nur zur Verfügung, wenn man genau weiß, wohin man diese hohe Dosis applizieren muss. Diese Information war ausschließlich durch das PSMA-PET-CT zu bekommen. Vor diesem Hintergrund kann der Kläger nicht darauf verwiesen werden, dass eine Salvage-Strahlentherapie als Standardtherapie zur Verfügung gestanden hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
 

Rechtskraft
Aus
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