L 11 KR 2199/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 15 KR 2891/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2199/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 20.07.2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch in der Berufungsinstanz nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kostenerstattung in Höhe von 5.555,57 € für eine Behandlung in einer Privatklinik während eines Urlaubs in der TÜRKEI.

Die 1973 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert und leidet an einer Herzerkrankung. Während eines Urlaubs in der Türkei wurde sie am 17.02.2021 in der Notaufnahme der Privatklinik H1 mit Symptomen von Kurzatmigkeit, Herzflimmern und kurzzeitiger Ohnmacht aufgenommen und anschließend auf der Intensivstation behandelt. Es wurde die Diagnose Supraventrikuläre Tachykardie gestellt und eine Ablation durchgeführt (vgl. Übersetzung des Berichts der Klinik, Bl. 40/41 SG-Akte). Für die Krankenbehandlung stellte das Krankenhaus eine Rechnung in Höhe von 47.925,00 TL (L1) aus (Bl. 6 SG-Akte), welche von der Klägerin beglichen wurde.

Die Klägerin reichte am 02.03.2021 bei der Beklagten die für die Behandlung gestellte Rechnung ein und bat um Prüfung der Unterlagen und Rückzahlung der getätigten Kosten. Die Beklagte ermittelte beim staatlichen türkischen Sozialversicherungsträger ([1 dass für eine Sachleistungsgewährung in der Türkei 1.425,60 TL - umgerechnet 168,89 € - angefallen wären und erstattete der Klägerin mit Bescheid vom 30.09.2021 zunächst diesen Betrag.

Hiergegen erhob die Klägerin am 13.10.2021 Widerspruch mit der Begründung, die Kosten vom türkischen Sozialversicherungsträger seien als Zahnarzthonorar bezeichnet worden. Es handele sich jedoch um ein Arzt- und Krankenhaushonorar. Ihr Bruder habe versucht, eine telefonische Auskunft zur Ermittlungsweise dieses niedrigen Betrags beim türkischen Krankenversicherungsträgers zu erhalten. Seine Anfrage sei jedoch zurückgewiesen worden.

Die Beklagte bat daraufhin nochmals den SGK um Angabe der Höhe des Erstattungsbetrages bei einer vertraglichen Behandlung. In der Antwort vom 04.03.2022 berichtete dieser, es könne eine Erstattung in Höhe von 3.751,45 T2 - umgerechnet 444,43 € - vorgenommen werden. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 25.04.2022 mit, dass der Erstattungsbetrag neu ermittelt worden sei und sie eine Nachzahlung in Höhe von 275,54 € erhalte.

Die Klägerin wandte hiergegen ein, dass die SGK nur die Medikamentenkosten gutgeschrieben habe, nicht aber die Behandlung. Sie sei mit der Zahlung nicht einverstanden. Es werde die komplette Erstattung der verauslagten Kosten erwartet.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 07.09.2022 als unbegründet zurück. Die Klägerin habe während ihres Aufenthaltes in der Türkei einen Anspruch auf Leistungen gehabt, die sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes sofort benötigt habe. Als Nachweis sei dort die von der Beklagten ausgestellte Anspruchsbescheinigung T/A 11 vorzulegen. Diese Anspruchsbescheinigung enthalte den Hinweis, dass sich der Anspruchsberechtigte, um in der Türkei Sachleistungen in Anspruch nehmen zu können, mit dieser Bescheinigung an eine Zweigstelle der SGK wenden müsse. Die Zweigstelle werde eine Registrierung im Y1-System vornehmen. Nach der Registrierung könne sich die Klägerin direkt an eine staatliche Gesundheitseinrichtung oder eine private Einrichtung wenden, soweit diese zur Behandlung einen Vertrag mit der SGK abgeschlossen habe. Die Kostenabrechnung erfolge dann von dieser Einrichtung direkt mit der SGK. Da keine solche Kostenabrechnung erfolgt sei, habe die Klägerin die Kosten privat getragen. Die Kosten könnten daher nur nach den für den Träger des Aufenthaltsortes maßgebenden Sätzen erstattet werden, da nach Art. 15 Abs. 2 des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens (DT-SVA) für die Erbringung von Sachleistungen die Rechtsvorschriften des Aufenthaltsortes bei der Leistungsinanspruchnahme maßgebend seien. Die Anfrage beim SGK habe ergeben, dass ein Betrag i.H.v. 444,43 € zu übernehmen sei. Ein darüberhinausgehender Betrag könne nicht erstattet werden.

Hiergegen hat die Klägerin am 15.09.2022 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, sie habe während des Türkeiurlaubs gesundheitliche Beschwerden bekommen, woraufhin sie notfallmäßig ins Krankenhaus aufgenommen worden und eine Operation am Herz durchgeführt worden sei. Diese Behandlung sei unaufschiebbar gewesen. Das staatliche Krankenhaus in A1 habe die Behandlung aufgrund der sehr seltenen Herzrhythmuserkrankung nicht durchführen können, weshalb sie von dort an die Privatklinik überwiesen worden sei. Das staatliche Krankenhaus habe nicht über die entsprechenden Gerätschaften und Spezialisten verfügt, die für ihre Erkrankung erforderlich gewesen seien. Selbst in Deutschland könne sie nicht wie gewöhnlich behandelt werden, ohne Gefahr zu laufen, dass sie bei der Behandlung sterbe, wenn nicht spezielle Behandlungsmöglichkeiten unmittelbar vor Ort zur Verfügung stünden. Sie müsse immer in einer Fachklinik unter Überwachung eines Herzspezialisten behandelt werden. Die Behandlung in der Türkei sei für sie lebensrettend gewesen. Die Beklagte sei zur Zahlung der gesamten Behandlungskosten in der Türkei zu verpflichten. Zwischen ihr und der Beklagten bestehe ein Krankenversicherungsvertrag. Gemäß diesem sei die Beklagte verpflichtet, alle notwendigen Behandlungskosten, die durch eine notwendige Behandlung entstünden, zu übernehmen. Die Beklagte verkenne das Gesundheitssystem in der Türkei. Für die reguläre Behandlung der Patienten seien zu 70 bis 90 % die Privatkliniken zuständig. Die staatlichen Krankenhäuser würden regelmäßig eher als Zubringer an die privaten Krankenhäuser fungieren und hätten kaum intensivmedizinische Behandlungsmöglichkeiten. Der Vortrag der Beklagten, dass aufgrund des Abkommens mit der Türkei die Behandlungen nach der Gebührentabelle der türkischen Sozialversicherungen lediglich 444,43 € koste, sei eine schlichte Verkennung der realen Verhältnisse in der Türkei. Die Menschen müssten leider teilweise ihr ganzes Hab und Gut verkaufen, um sich bei schweren Krankheiten behandeln zu lassen. Andernfalls werde in staatlichen Krankenhäusern in wenigen Tagen der Totenschein ausgestellt. Vor diesem Hintergrund könne die Beklagte sich nicht hinter einer in Wirklichkeit nicht existenten Behandlungspraxis des Gesundheitswesens in der Türkei verstecken. Es sei deshalb die Frage zu stellen, was dieselbe Behandlung der Krankheit in Deutschland kosten würde und wie viel die Betroffenen im Ausland aufgewendet hätten. Andernfalls befinde sich die Beklagte in einem ständigen Vorteil und sie, die Klägerin, als Vertragspartnerin im Nachteil, den sie nicht beeinflussen könne. Der Bescheid verstoße auch gegen den Gleichheitsgrundsatz. Die Krankheit sei überall dieselbe. Die zwischen den türkischen und deutschen Krankenversicherungen abgesprochene Verwaltungspraxis benachteilige sowohl die Deutschen als auch die Nichtdeutschen, die in der Türkei notfallmäßig behandelt würden.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20.07.2023 abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten vom 30.09.2021 und 25.04.2022 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 07.09.2022 seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Diese habe keinen Anspruch gegen die Beklagte über den bereits erstatteten Betrag in Höhe von 444,43 € hinaus wegen der Krankenhausbehandlung in der Türkei. Leistungen der deutschen Krankenversicherung nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien grundsätzlich in der Bundesrepublik Deutschland zu erbringen. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruhe der Anspruch auf diese Leistungen, solange Versicherte sich im Ausland aufhielten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkrankten, soweit im SGB V nichts Abweichendes bestimmt sei. Darüber hinaus könne sich ein Anspruch aus zwischenstaatlichem Recht ergeben (§ 6 Viertes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IV]). Nach § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V seien Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Staaten) oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat seien auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterlägen aufgrund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Da die Türkei nicht zu den vorgenannten Staaten gehöre, scheide die Anwendung dieser Vorschrift aus. § 18 SGB V erweitere die Leistungsansprüche aus der gesetzlichen Krankenversicherung über die Grenzen des Bundesgebiets und des Geltungsbereichs des Rechts der europäischen Gemeinschaften sowie des europäischen Wirtschaftsraums hinaus. Ein Anspruch nach § 18 Abs. 1 SGB V scheide vorliegend aus. § 18 Abs. 1 SGB V knüpfe die Leistungsinanspruchnahme an insgesamt drei Voraussetzungen: Die im Ausland angebotene Behandlung müsse dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, es dürfe im Inland keine diesem Standard entsprechende Behandlung möglich sein und schließlich müsse der Versicherter vor der Leistungsinanspruchnahme einen Antrag stellen. Es sei vorliegend nicht ersichtlich, dass die Behandlung der Klägerin nicht auch in Deutschland möglich gewesen wäre und im Übrigen habe sie vor der Inanspruchnahme auch keinen Antrag bei der Beklagten gestellt. Als Anspruchsgrundlage kommt vorliegend vielmehr nur Art. 12 Abs. 1b) i.V.m. Art. 4a DT-SVA in Betracht. Versicherten in der deutschen Krankenversicherung könne danach grundsätzlich auch bei einem Aufenthalt in der Türkei ein Leistungsanspruch zustehen, wenn der Versicherungsfall während des vorübergehenden Aufenthalts im Gebiet der anderen Vertragsparteien eingetreten sei und die Person wegen ihres Zustandes sofort Leistungen benötigt habe. Ein solch medizinischer Notfall während des vorübergehenden Aufenthalts in der Türkei im Sinne von Art. 12 Abs. 1b) DT-SVA habe hier vorgelegen, da die Klägerin aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes am 17.02.2021 auf sofortige Hilfe angewiesen gewesen sei. Ein Kostenerstattungsanspruch über die vollen angefallenen Kosten der Behandlung der Klägerin in dem E1 Krankenhaus ergebe sich daraus aber nicht. Nach Art. 15 DT-SVA richte sich der Anspruch der Versicherten und damit die Leistungspflicht der Krankenkasse in der Türkei nach türkischen Recht. Nach Art. 15 Abs. 1 DT-SVA seien die Sachleistungen in der Türkei von
Sosyal Sigortalar Kurumu (Sozialversicherungsanstalt [SSK]) zu erbringen. Nach Abs. 2 gölten für die Erbringung der Sachleistungen die für den Träger des Aufenthaltsortes maßgebenden Rechtsvorschriften. Nach Art. 15 Abs. 4 DT-SVA seien Personen und Einrichtungen, die mit den in Abs. 1 genannten Trägern Verträge über die Erbringung von Sachleistungen für die bei diesen Trägern Versicherten und deren Angehörige abgeschlossen haben, verpflichtet, Sachleistungen auch für die in Art. 4a genannten Personen zu erbringen, und zwar unter denselben Bedingungen, wie wenn diese Personen bei den in Abs. 1 genannten Trägern versichert oder Angehörige solcher Versicherter wären und als ob die Verträge sich auf diese Personen erstreckten. Der krankenversicherungsrechtliche Sachleistungsanspruch der Klägerin sei somit bei dem in der Türkei eingetretenen Leistungsfall wirksam durch Art. 15 DT-SVA auf die nach dem türkischen Krankenversicherungssystem zustehenden Leistungen beschränkt. Art. 15 DT-SVA erstrecke sich dabei nach seinem Sinn und Zweck auch auf sachleistungsersetzende Kostenerstattungsansprüche (Verweis auf BSG 24.05.2007, B 1 KR 18/06 R, BSGE 98, 257-267). Zur Ermittlung der Anspruchshöhe habe die Beklagte eine Auskunft bei der türkischen Verbindungsstelle (hier dem SGK) eingeholt. Demnach belaufe sich der Erstattungsbetrag für die entsprechende Krankenhausbehandlung nach geltendem türkischen Recht auf 3.751,45 TL (umgerechnet 444,43 €). Nach Ansicht der Kammer bestehe keine Veranlassung, diese Auskunft in Frage zu stellen. Dies sei auch nicht substantiiert dargelegt worden. Blieben die nach türkischen Recht vorgesehenen Leistungen hinter dem zurück, was das deutsche Recht gewährt, begründe nicht bereits dieses Leistungsgefälle einen Kostenerstattungsanspruch mit dem Ziel, über die Leistungshilfe hinaus bei einer Auslandserkrankung in der Türkei über § 13 Abs. 3 SGB V das Niveau einer deutschen Krankenversicherung herzustellen (Verweis auf BSG, 24.05.2007, B 1 KR 18/06 R, BSGE 98, 257-267). Der deutsche Krankenversicherungsträger könne nicht verpflichtet werden, generell Leistungen im Ausland zu erbringen. In Deutschland lebende Versicherte, die in der Türkei erkrankten und dem DT-SVA unterfielen, seien grundsätzlich auf das beschränkt, was ihnen das türkische Recht an Sachleistungen bzw. diese ersetzende Erstattungsansprüche zur Verfügung stelle. Ein weitergehender Erstattungsanspruch lasse sich entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht damit begründen, dass die Behandlung nur in einem Privatkrankenhaus möglich gewesen sei. Ein Anspruch unter dem Gesichtspunkt eines Systemversagens liege nicht vor. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB V i.V.m. Art. 15 DT-SVA komme ein solcher Anspruch in Betracht, wenn der türkische Träger seinen Pflichten im Rahmen der Leistungsaushilfe nicht oder nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei. In diesem Fall müsste sich die Beklagte das Versäumnis des Abkommenspartners zurechnen lassen. Ein Systemversagen komme in Betracht, wenn einem in Deutschland lebenden Versicherte, der sich in die Türkei begebe, bei der Umsetzung des DT-SVA in der Türkei abkommenswidrig vorenthalten worden sei, was nach türkischem Recht auch einem gegenüber der SSK leistungsberechtigten, türkischen Residenten in der Situation des Berechtigten vor Ort zu gewähren und der Berechtigte durch die (deshalb) notwendige privatärztliche Krankenbehandlung einer rechtsgültigen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt sei (Verweis auf BSG 11.09.2012, B 1 KR 21/11 R, SozR 4-2500 § 13 Nr. 26). Der Klägerin sei abkommenswidrig nicht das vorenthalten worden, was nach türkischen Recht auch einem gegenüber der SSK Leistungsberechtigten zu gewähren gewesen wäre. Auch ein nach türkischem Recht versicherter Einwohner der Türkei hätte in dieser Situation mit derselben Erkrankung keine weitergehenden Ansprüche über den von der Beklagten bereits erstatteten Betrag hinaus gehabt. Aus diesem Grund liege auch keine Ungleichbehandlung vor. Die Klägerin habe sich trotz ihrer Herzerkrankung in die Türkei begeben und sich vorab weder den nach türkischen Rechtsvorschriften notwendigen Anspruchsausweis T/A 11 beschafft noch dies während des Krankenhausaufenthalts nachgeholt. Der T6 Sozialversicherungsträger sei zum Behandlungszeitpunkt nicht informiert gewesen und habe daher auch nicht beratend eingreifen können. Das behandelnde Krankenhaus habe eine Privatrechnung stellen dürfen. Sofern die Klägerin vortrage, die Beklagte verkenne das Gesundheitssystem in der Türkei, verkenne die Klägerin, dass die Mängel im Gesundheitssystem der Türkei nicht durch eine Erstattungspflicht der Beklagten ausgeglichen werden könnten.

Gegen den ihr am 27.07.2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 01.08.2023 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ihren Vortrag aus der ersten Instanz wiederholt. Ergänzend hat sie vorgetragen, das SG wende das DT-SVA nicht ordnungsgemäß an. Maßgeblich sei der Nichtbenachteiligungsgrundsatz gemäß Art. 15 DT-SVA. Die Anwendung dieser Vorschrift sei mit der Verpflichtung verbunden, die Praktikabilität und die Besonderheiten im Gesundheitswesen in der Türkei zu berücksichtigen, so dass eine Benachteiligung durch die unterschiedliche Handhabe „Gesundheitswesen“ nicht zum Nachteil für die Betroffenen gereichen dürfe. Die von der SGK zu erstellende „Nachweisbescheinigung“ über die Kosten sei regelmäßig offensichtlich falsch. Damit die SGK eine verbindliche Bescheinigung über die Diagnosen, Behandlungen und Kosten erstellen könne, müsse diese in Kenntnis und unter Berücksichtigung aller stattgefundenen Behandlungen ausgefüllt und „berechnet“ werden. Dies finde aber regelmäßig nicht statt, weil diese Bescheinigung nicht als Kostenumfangsnachweis zu verstehen sei, sondern als Nachweis dafür, dass der Betroffene sich überhaupt wegen einer Behandlung (deshalb grobe Angabe der Beschwerde) bei der SGK gemeldet bzw. registriert habe. Eine andere Auslegung dieser Praxis sei nicht möglich, da weder in der Türkei noch in Afrika eine komplizierte Herz-OP mit immensen Kosten verbunden sei. Die Vereinbarung zwischen der Türkei und Deutschland und der damit begründete Gerichtsbescheid verstießen gegen Art. 3 Grundgesetz (GG). Ein in Deutschland lebender türkisch-stämmiger Mitbürger werde gegenüber einem Menschen mit der deutschen Staatsangehörigkeit benachteiligt, weil die Benachteiligung unmittelbar an die Staatsangehörigkeit anknüpfe, ein sachlicher Grund zur Ungleichbehandlung nicht vorliege, da beide Anspruchsinhaber in Deutschland lebten. Auch die türkisch-stämmigen Mitbürger hätten einen Anspruch auf den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG.

Die Klägerin beantragt (teilweise sachgerecht),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 20.07.2023 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 30.09.2021 in der Fassung des Bescheids vom 25.04.2022 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 07.09.2022 zu verurteilen, ihr die in der Türkei aufgrund einer intensivmedizinischen Behandlung entstandenen Kosten in Höhe von 5.555,57 € zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat sie auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils sowie auf ihren Vortrag in der ersten Instanz verwiesen.

Die Berichterstatterin hat in dem Verfahren am 14.11.2023 einen Erörterungstermin durchgeführt. Insoweit wird auf das Protokoll auf Bl. 136/137 der Senatsakte verwiesen. In dem Termin haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe


Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß
§ 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist auch im Übrigen zulässig. Die Berufung bedurfte insbesondere gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht der Zulassung, da die Klägerin eine Erstattung von ihr verauslagter Krankenhauskosten i.H.v. 5.555,57 € begehrt und der Berufungsstreitwert von 750,00 € damit unproblematisch überschritten ist.

2. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom
30.09.2021 in der Fassung des Bescheids vom 25.04.2022 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 07.09.2022 (§ 95 SGG), mit welchem die Beklagte der Klägerin Kosten i.H.v. 444,43 € für die Behandlung der Klägerin am 17.02.2021 in der Privatklinik H1 erstattete, einen darüberhinausgehenden Anspruch jedoch ablehnte.

3. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 30.09.2021 in der Fassung des Bescheids vom 25.04.2022 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 07.09.2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen weitergehenden Erstattungsanspruch gegen die Beklagte. Das SG hat in dem angefochtenen Gerichtsbescheid die rechtlichen Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs nach Art. 12 Abs. 1b) i.V.m. Art. 4a DT-SVA dargelegt und zutreffend und fundiert ausgeführt, aus welchen rechtlichen Gründen ein höherer Erstattungsanspruch scheitert. Der Senat sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Berufungsvorbringen der Klägerin führt zu keiner anderen rechtlichen und tatsächlichen Beurteilung des Falles. Der Kläger hat im Rahmen seiner Berufungsbegründung keine neuen entscheidungserheblichen Gesichtspunkte vorgetragen. Ergänzend ist lediglich Folgendes auszuführen:

Leistungen der GKV werden grundsätzlich (nur) in Deutschland erbracht; der Anspruch auf Leistungen ruht, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkranken, soweit im SGB V nichts Abweichendes bestimmt ist (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V). Entsprechende Ausnahmen finden sich unter anderem in § 13 Abs. 4 bis 6 SGB V und § 18 Abs. 1 SGB V sowie § 18 Abs. 3 SGB V. Vorliegend ist ersichtlich keiner dieser Ausnahmetatbestände erfüllt. Die Regelungen in § 13 SGB V gelten nicht für die Türkei weil diese nicht in deren Anwendungsbereich fällt (kein Mitglied der EU, kein Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum). Einen anderen örtlichen Anwendungsbereich regelt § 18 Abs. 3 SGB V. Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 SGB V wird ein vorübergehender Aufenthalt außerhalb des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vorausgesetzt. Die Vorschrift soll Krankenversicherungsschutz bei unverzüglich erforderlichen Behandlungen ermöglichen, wenn keine private Versicherungsmöglichkeit besteht und die Krankenkasse dies vor Beginn des Auslandsaufenthalts festgestellt hat. Dafür ist nichts ersichtlich. Vielmehr hat die Klägerin eingeräumt, dass sie eine private Auslandskrankenversicherung abzuschließen vermochte, die aber für den bereits angetretenen Urlaub keinen Versicherungsschutz mehr vermitteln konnte. Über § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V sollen schließlich Versorgungslücken im System der GKV geschlossen werden. Eine solche Lücke ist nicht auszumachen.

Ein Leistungsanspruch kann sich für die Klägerin daher nur aus zwischenstaatlichem Recht ergeben. Maßgeblich ist insoweit - wie die Beklagte und das SG zutreffend ausgeführt haben - das DT-SVA. Soweit dessen Anwendung vorliegend - also bei einem lediglich vorübergehenden Aufenthalt in der Türkei - in Betracht kommt, erhalten danach Versicherte der GKV in der Türkei medizinische Leistungen, wenn der Versicherungsfall während des vorübergehenden Aufenthalts eingetreten ist und wenn sie wegen ihres Zustands sofort Leistungen benötigen (Art. 12 Abs. 1b) DT-SVA). Die Leistungen werden im Wege der sog. Leistungsaushilfe von dem nach türkischem Recht zuständigen Träger, der SSK, nach dem für diesen geltenden türkischen Recht, mit Wirkung für die GKV erbracht (vgl. Art. 15 DT-SVA). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, wie das SG und die Beklagte zutreffend ausgeführt haben.

Da die Klägerin sich weder (vorsorglich) vorab den nach den türkischen Rechtsvorschriften notwendigen Anspruchsnachweis T/A 11 beschafft hat - und dass, obwohl sie bereits zwei Wochen wegen derselben Symptome in der Ambulanz der
Privatklinik H1 vorstellig war (vgl. Entlassbericht Bl. 46 Verwaltungsakte) - noch dies während des Krankenhausaufenthaltes nachgeholt hat, durfte das behandelnde Krankenhaus vorliegend eine Privatrechnung stellen, unabhängig davon, ob dieses einen Vertrag mit der SGK abgeschlossen hat oder nicht.

Anhaltspunkte für ein abkommenswidriges Verhalten des SGK sind vorliegend nicht ersichtlich. Die pauschalen Einwände der Klägerin gegen dessen Bescheinigung vermögen hieran nichts zu ändern, zumal gerade nicht dargelegt wird, warum der vorliegend mitgeteilte Erstattungsanspruch nicht korrekt sein sollte. Dem SGK hat die Rechnung des Krankenhauses vorgelegen und der Beklagten auf dieser Grundlage mitgeteilt, dass ihm Kosten in Höhe von -
umgerechnet - 444,43 € entstanden wären, wenn die Leistungen durch ihn erbracht worden wäre. Allein der Umstand, dass zwischen dem mitgeteilten Betrag und dem tatsächlichen Rechnungsbetrag eine Differenz von 5.555,57 € besteht, bedeutet nicht, dass der vom SGK mitgeteilte Betrag falsch ist. Zu einem handelt es sich bei dem Krankenhaus um eine Privatklinik; die privatärztliche Behandlung in einer solchen Privatklinik ist üblicherweise um ein Vielfaches höher als die Behandlung in einem (staatlichen) Vertragskrankenhaus, nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Türkei. Zum anderen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tatsächlich der Klägerin in Rechnung gestellten und von ihr bezahlten Kosten eine irgendwie nachvollziehbare rechtliche Grundlage hat, wie sie etwa in Deutschland die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) darstellt. Maßstab für den Kostenerstattungsanspruch ist aber nicht eine - wie auch immer begründete (oder unbegründete) - Kostenforderung der türkischen Privatklinik, sondern der Kostenansatz, den die türkische Sozialversicherungsanstalt bei einer vergleichbaren Behandlung in einem Vertragskrankenhaus zu zahlen gehabt hätte (Hessisches LSG 19.10.2017, L 8 KR 395/16, juris Rn. 8, 25). Der Senat hat daher keine Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigung vom 04.03.2022.

Inwieweit vorliegend Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sein soll, erschließt sich dem Senat nicht. Auch ein deutscher Staatsangehöriger hätte vorliegend keinen weitergehenden Kostenerstattungsanspruch gehabt.


4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (§ 160 Abs. 2 SGG) nicht vorlagen.


 

Rechtskraft
Aus
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