L 5 SB 74/24 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 43 SB 584/21
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 SB 74/24 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde des Sachverständigen wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 19.12.2023 aufgehoben.

 

Die Kosten Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse.

 

 

Gründe:

 

I.

 

Der Sachverständige wendet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 500 EUR.

 

Das Sozialgericht hat den Beschwerdeführer mit Beweisanordnung vom 25.08.2022 unter Fristsetzung bis zum 15.12.2022 zum Sachverständigen bestellt. Im Folgenden blieben an den Sachverständigen gerichtete Sachstandsanfragen und Erinnerungen unbeantwortet. Mit Beschluss vom 14.08.2023 hat das Gericht dem Sachverständigen unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 200 EUR eine Nachfrist bis zum 15.09.2023 gesetzt. Nachdem ein Eingang des Gutachtens bis zum Fristablauf nicht festzustellen war, hat das Sozialgericht gegen den Sachverständigen ein Ordnungsgeld in Höhe von 200 EUR verhängt sowie unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 500 EUR eine Nachfrist bis zum 27.10.2023 gesetzt (Beschluss vom 28.09.2023). Auf der Zustellungsurkunde ist vermerkt, dass die Zustellerin den Beschluss am 21.10.2023 durch Übergabe „einem dort Beschäftigten“ übergeben habe.

 

Durch Beschluss vom 19.12.2023 hat das Sozialgericht ein weiteres Ordnungsgeld, diesmal in Höhe von 500 EUR verhängt, eine Nachfrist bis zum 19.01.2024 gesetzt und für den Fall wiederholter Fristversäumnis ein Ordnungsgeld in Höhe von 1000 EUR angedroht. Auf der Zustellungsurkunde ist abermals vermerkt, dass das Schriftstück „einem dort Beschäftigten“ übergeben worden sei.

 

Mit seiner am 01.02.2023 bei dem Sozialgericht Duisburg eingegangenen Beschwerde vom 21.01.2024 wendet sich der Sachverständige gegen „den zuletzt erteilten Beschluss“ und macht im Wesentlichen geltend: Die Begutachtung komplexer Fälle erfordere grundsätzlich viel Zeit, insbesondere bei umfangreichen Akten und teils wenig aussagekräftigen Unterlagen der bisherigen Behandler (Berichte, Briefe, fehlende Klassifikation, etc.). Es hätten Befunde angefordert werden müssen, die bislang keinen Eingang in die Akte gefunden hätten. Zudem seien klinische, sonographische und radiologische Untersuchungen durchgeführt worden sowie eine zweite externe Befundung der MRT. Kliniken seien maximal überlastet, unterbesetzt (auch im Bereich der Sekretariate) und stünden unter einem erheblichen Druck aufgrund der wirtschaftlichen Gesamtsituation deutscher Krankenhäuser.

 

Am 26.01.2024 ist das Gutachten vom 23.01.2024 bei dem Sozialgericht Duisburg eingegangen.

 

II.

 

A. Die Beschwerde ist ungeachtet der Frage, ob der angefochtene Beschluss angesichts der in § 178 ZPO geregelten Vorgaben überhaupt wirksam zugestellt und die Rechtsmittelfrist von einem Monat in Gang gesetzt werden konnte, auch unter Berücksichtigung des Eingangs der Beschwerde erst am 01.02.2024 zulässig. Denn der Sachverständige ist mit dem angefochtenen Beschluss nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 66 Abs. 1 SGG über die Art des möglichen Rechtsbehelfs, den Ort seiner Anbringung und die einzuhaltende Frist belehrt worden. Soweit die Rechtsmittelbelehrung ausführt, die elektronische Form werde durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das „für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht wird oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird“, begegnet dies insoweit Bedenken, als sich das Erfordernis der Einreichung durch das EGVP nicht in § 65a Abs. 3 SGG findet und die Rechtsmittelbelehrung insoweit jedenfalls missverständlich und somit fehlerhaft war. Die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung hat zur Folge, dass anstelle der Monatsfrist des § 173 Satz 1 SGG die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG gilt. Diese hat der Sachverständige jedenfalls gewahrt.

 

B. Die Beschwerde ist auch begründet. Der angefochtene Beschluss war aufzuheben. Ist eine schriftliche Begutachtung angeordnet und versäumt der Sachverständige eine ihm gesetzte Frist, soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden (§ 411 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 ZPO), wenn dieses vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht worden ist. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden (§ 411 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Das einzelne Ordnungsgeld darf 3.000,00 EUR nicht übersteigen (§ 411 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen Sachverständige bei Säumnis setzt ein Verschulden des Sachverständigen voraus (vgl. nur Scheuch, in: BeckOK ZPO, § 411 Rn. 6).

 

I. Der Senat musste den angefochtenen Beschluss aufheben, weil das Sozialgericht dem Sachverständigen vor Erlass des Ordnungsgeldbeschlusses keine hinreichend bemessene Nachfrist gesetzt hat.

 

1. Zwar hat das Sozialgericht dem Sachverständigen mit dem (ersten, nicht angefochtenen) Ordnungsgeldbeschluss vom 28.09.2023 eine dem Grunde nach ausreichende Nachfrist bis zum 27.10.2023 gesetzt. Der Beschluss wurde jedoch erst am 21.10.2023, also sechs Tage vor Fristablauf am Arbeitsplatz des Sachverständigen einer im H. Krankenhaus beschäftigten Mitarbeiterin ausgehändigt. Damit wurde keine wirksame Ersatzzustellung gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZPO vorgenommen. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass es sich bei dem H. Krankenhaus Q. nicht um die Wohnung oder die Geschäftsräume des Sachverständigen handelt, und auch nicht um eine Gemeinschaftseinrichtung, in der der Sachverständige lebt. Vielmehr ist der Sachverständige unter der vom Sozialgericht verwendeten Anschrift selber als Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde, Geburtshilfe, Gynäkologische Onkologie und Senologie beschäftigt. Angesichts dessen wäre eine Ersatzzustellung an den Sachverständigen in dem H. Krankenhaus gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZPO von vornherein nicht möglich gewesen (vgl. z.B. Senat, Beschluss v. 13.06.2022 – L 5 KR 318/22 B, juris Rn. 4 ff. und v. 19.12.2022 – L 5 U 216/22 B). Eine erweiternde Auslegung der Zustellungsvorschriften auf andere Sachverhalte kommt aufgrund ihres formalen Charakters im Übrigen nicht in Betracht (vgl BGH, Beschluss v. 14.05.2019 - X ZR 94/18, juris Rn. 10).

 

2. Überdies lässt sich in der hier gegebenen Konstellation nicht feststellen, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt eine Heilung des Zustellungsmangels gemäß § 189 ZPO eingetreten ist. Jedenfalls besteht die nicht von der Hand zu weisende Möglichkeit, dass der Beschluss vom 28.09.2023 dem Sachverständigen erst nach Fristablauf tatsächlich zur Kenntnis gelangt ist. Auch wenn das Sozialgericht den angefochtenen Beschluss erst weit nach Ablauf der in dem Beschluss vom 28.09.2023 gesetzten Frist erlassen hat, ist es vor dem Hintergrund des mit der Festsetzung eines Ordnungsgeldes verbundenen Eingriffs im Interesse der Rechtsklarheit erforderlich, einem Sachverständigen (jedes Mal) vor Verhängung eines Ordnungsgeldes unmissverständlich eine hinreichend, wenn auch nicht zu großzügig bemessene Nachfrist zu setzen und ihm die Konsequenzen einer Fristversäumnis vor Augen zu führen. Dies ist hier jedoch nicht geschehen.

 

II. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss neben dem streitigen Ordnungsgeld eine weitere Nachfrist bis zum 19.01.2024 gesetzt, die der Sachverständige ebenfalls nicht eingehalten hat, weil das Gutachten erst am 26.01.2024 bei dem Sozialgericht eingegangen ist. Die Säumnis auch dieser Nachfrist kann allerdings nicht für die Verhängung des Ordnungsgeldes herangezogen werden. Zwar ist eine Heilung des auch hier gegebenen Zustellungsmangels - eine Ersatzzustellung war auch im Hinblick auf diesen Beschluss nicht möglich - gemäß § 189 ZPO eingetreten, weil der Sachverständige ohne eine tatsächliche Kenntnisnahme keine Beschwerde hätte erheben können. Die Nachfrist stand jedoch in keinem Zusammenhang mit dem hier angefochtenen Ordnungsgeld und diente als Grundlage für die Festsetzung eines dritten Ordnungsgeldes. § 411 Abs. 2 Satz ZPO erlaubt allerdings nur die Festsetzung von zwei Ordnungsgeldern, wie sich dem Wortlaut der Regelung entnehmen lässt („noch einmal“ - (vgl nur Greger, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 411 ZPO Rn. 8; Scheuch, in: BeckOK ZPO, § 411 Rn. 8, jeweils m.w.N.). Will ein Gericht ein drittes Ordnungsgeld festsetzen, muss es nach § 409 ZPO vorgehen und den Sachverständigen darauf entsprechend hinweisen (Greger, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 411 ZPO Rn. 8).

 

III. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die mit der Beschwerde vorgetragenen Umstände grundsätzlich die Gewährung einer Fristverlängerung rechtfertigen können. Werden Hinderungsgründe wie z.B. Arbeitsüberlastung jedoch erst nach und nicht vor Fristablauf oder gar erst mit der Beschwerde vorgetragen, ist dennoch ein Verschulden an der Säumnis nicht ausgeschlossen. Denn der Sachverständige hat gemäß § 407a Abs. 1 ZPO unverzüglich zu prüfen, ob der Auftrag innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist erledigt werden kann (Satz 1 Teilsatz 3). Ist das nicht der Fall, so hat der Sachverständige das Gericht unverzüglich zu verständigen (Satz 2).

 

C. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.

 

D. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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