L 10 R 1152/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 1 R 1074/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1152/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.03.2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Leistung der medizinischen Rehabilitation.

Der 1980 geborene Kläger absolvierte nach eigener Angabe (S. 88 VerwA) in den Jahren von 1996 bis 1998 eine Ausbildung zum staatlich geprüften Wirtschaftsassistenten; ein begonnenes Studium der Betriebswirtschaftslehre schloss er nicht ab. Im Anschluss an die Ausbildung arbeitete er als kaufmännische Hilfskraft bzw. ab dem Jahr 2000 als Bürokaufmann respektive Lkw-Fahrer/Bergungsleiter bei der T1Service GmbH (s. Angaben S. 76 VerwA und S. 19 SG-Akte), sodann als Fuhrparkleiter für einen Ferkel- und Mastschweinevermarkter bzw. als Bürokaufmann in einem Abschlepp- und Bergedienst (vgl. S. 19 SG-Akte). Von Mitte November 2018 war er - unterbrochen durch Arbeitsunfähigkeitszeiten - bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Kündigung durch arbeitsgerichtlichen Vergleich mit Ablauf des 30.11.2020 bei der M1 Profilzentrum in Vollzeit als Lkw-Fahrer im Nah- und Fernverkehr im gesamten Bundesgebiet - überwiegend in Süddeutschland und mit mehrtätigen Touren - beschäftigt (s. Arbeitgeberauskunft vom 16.08.2021, S. 38 f. SG-Akte). Ausweislich der Angaben der Arbeitgeberin handelte es sich dabei um eine häufig leichte, gelegentlich mittelschwere Arbeit mit überwiegendem Sitzen und gelegentlichen Zwangshaltungen bzw. Überkopfarbeiten sowie mit gelegentlichem Heben/Tragen mittelschwerer Lasten (S. 39 SG-Akte), wobei beim Be- und Entladen namentlich auch ein Lkw-Kran („Typ Palfinger“) der Sattelzugmaschine zum Einsatz kam. Neben der Fahr- und Verladetätigkeit hatte der Kläger auch die Auslieferungen zu dokumentieren, die Dokumente an die Unternehmensverwaltung unter Nutzung von Telematiksystemen weiterzuleiten sowie den Lkw zu pflegen und zu warten. Vom 05.12.2020 bis zum 03.12.2021 bezog der Kläger Arbeitslosengeld. Nach eigener Angabe (S. 102 SG-Akte) nahm er am 05.01.2022 wieder eine berufliche Tätigkeit als Kraftfahrer auf. Im Versicherungsverlauf vom 05.07.2023 (S. 49 ff. Senats-Akte), auf den wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, sind im Zeitraum vom 01.01.2022 bis 31.12.2022 Beitragszeiten mit Pflichtbeiträgen und in den Zeiträumen vom 01.06.2019 bis 31.05.2020, vom 01.07. bis 30.11.2020 und vom 01.06. bis 30.06.2022 auch Zeiten einer nicht versicherungspflichtigen geringfügigen Beschäftigung hinterlegt.

Von Ende Juni bis Anfang August 2016 nahm der Kläger auf Kosten der Beklagten an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der V1 Klinik - Abt. Psychosomatik/Psychotherapie - in R1 teil, aus der er ausweislich des ärztlichen Entlassungsberichts (S. 83 ff. VerwA) bei Arbeitsplatzkonflikten zwar arbeitsunfähig, aber mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr täglich für mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts sowie für seine (damalige) Tätigkeit als Bürokaufmann bzw. Kraftfahrer/Bergungsleiter entlassen wurde (Diagnosen: mittelgradige depressive Episode, Tinnitus aurium beidseits, idiopathischer Hörsturz, Lymphödem rechtes Bein bei Zustand nach [Z.n.] Unfall im Jahr 2001, beidseitige Leistenhernie bei Z.n. Operation Mitte Juni 2016).

Ende November 2019 zog sich der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit bei einem Auffahrunfall eine HWS-Distorsion zu (vgl. S. 108 VerwA). Die Berufsgenossenschaft
M2 erkannte das Ereignis vom 26.11.2019 mit Bescheid vom 17.07.2020 (S. 13 ff. SG-Akte) als Arbeitsunfall mit einer folgenlos ausgeheilten Zerrung der HWS an. Ferner verlautbarte sie, dass die (vor-)bestehenden Bandscheibenvorwölbungen im Bereich der Halswirbelkörper (HWK) 5/6 sowie 6/7 nicht unfallbedingt seien und dass über den 12.12.2019 hinaus kein Anspruch auf Heilbehandlung und Lohnersatzleistungen bestehe. Am 23.12.2019 war der Kläger wieder arbeitsfähig.

Am 28.09.2020 beantragte er bei der Beklagten eine (stationäre) medizinische Rehabilitationsmaßnahme und verwies zur Begründung auf sein HWS-Syndrom mit Schmerzen und Verspannungen. Nach Beiziehung ärztlicher Unterlagen (u.a. Befundbericht des
L1 vom 24.09.2020, S. 105 ff. VerwA; Diagnosen: HWS-Syndrom, Lymphödem, Varikosis) und sozialmedizinischer Auswertung (sozialmedizinische Stellungnahmen des S1 vom 14.10. und 05.11.2020, S. 115, 120 VerwA: u.a. keine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit erkennbar, erst recht keine Minderung) lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 06.11.2020 (S. 236 ff. VerwA) und der Begründung ab, dass eine medizinische Rehabilitationsleistung nicht erforderlich, sondern vielmehr eine (ambulante) Krankenbehandlung ausreichend sei. Im Widerspruchsverfahren wies S1 u.a. darauf hin, dass eine beim Kläger Mitte Dezember 2019 durchgeführte MRT der HWS keinen pathologischen Befund ergeben habe. Die schon vor dem Unfall rezeptierte Physiotherapie wegen der HWS-Beschwerden und überhaupt die konservativen Therapiemaßnahmen seien bei weitem nicht ausgeschöpft, eine Rehabilitationsmaßnahme sei nicht indiziert. Darauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 18.03.2021 (S. 214 ff. VerwA) zurück. Eine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit liege nicht vor und es bestehe auch keine Erforderlichkeit namentlich einer stationären Rehabilitationsmaßnahme, auch nicht nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, nachdem die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten ausreichten.

Hiergegen hat der Kläger am 15.04.2021 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und sein Begehren auf eine (stationäre) medizinische Rehabilitationsmaßnahme weiterverfolgt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen geltend gemacht, dass er nach wie vor an einem HWS-Syndrom leide, dass die Physiotherapie keine Besserung gebracht und dass die Beklagte nicht berücksichtigt habe, dass er als Lkw-Fahrer beim Be- und Entladen auch Packstücke von bis zu 60 kg habe tragen müssen.
Das SG hat die o.a. Arbeitgeberauskunft eingeholt und die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen schriftlich angehört. Der
S2 hat über eine einmalige Behandlung des Klägers am 23.11.2020 bei Z.n. HWS-Distorsionstrauma berichtet (Auskunft vom 11.08.2021, S. 36 f. SG-Akte) und einen unauffälligen klinischen Befund mitgeteilt. Der Kläger sollte die Physiotherapie fortführen und auf ein aktives regelmäßiges Rückentraining mit Lockerungs- und Dehnungsübungen achten. Der W1 hat Arztberichte (u.a. aus dem Jahr 2016) und Karteikartenauszüge (namentlich: letzte Heilmittelverordnung für physikalische Therapie am 25.09.2020, S. 56 SG-Akte) vorgelegt und im Wesentlichen bekundet (Auskunft vom 28.09.2021, S. 41 SG-Akte), der Kläger leide unter einer Schwellneigung der Unterschenkel, die insbesondere bei längerem Stehen oder Sitzen (Lkw fahren) bemerkbar seien. Diese Schwellneigung könne auch schmerzhaft sein. Weiterhin leide er unter rezidivierenden Schmerzen der HWS. Seine Erwerbstätigkeit als Lkw-Fahrer sei aufgrund psychophysischer Beeinträchtigungen (s. Arztbrief des H1 vom 02.02.2021, S. 44 SG-Akte: Diagnosen generalisierte Angststörung und akute Belastungsreaktion; „er fühle sich noch nicht wiederhergestellt, habe gewisse Defizite, denke aber, dass er es mit Psychotherapie und dem Johanniskrautpräparat hin bekomme“, „auch auf seinen Wunsch keine Veränderung der Behandlung, Wiedervorstellung regulär Ende März zur Verlaufskontrolle“) gefährdet. Eine ambulante oder stationäre psychosomatische Rehabilitationsbehandlung sei erforderlich.

Für die Beklagte hat die
K1 beratungsärztlich Stellung genommen (sozialmedizinische Stellungnahme vom 02.11.2021, S. 91 SG-Akte) und zusammenfassend darauf hingewiesen, dass ein Rehabilitationsbedarf beim Kläger weiterhin nicht erkennbar sei.

Das SG hat von Amts wegen bei dem
T2 das Sachverständigengutachten vom 11.01.2022 (S. 100 ff. SG-Akte) eingeholt, der beim Kläger nach Untersuchung am 04.01.2022 eine beginnende degenerative Verschleißerkrankung der HWS ohne aktuelle Funktionsbeeinträchtigung und ohne radikuläre Ausfallssymptomatik diagnostiziert hat. Beim Kläger, der angegeben habe, seit Dezember 2019 „durchgehend bis heute“ arbeitslos zu sein und ab dem 05.01.2022 erneut als Kraftfahrer arbeite (S. 102 SG-Akte), sei in den letzten zwölf Monaten lediglich eine (nicht konsequente) orale analgetische Therapie durchgeführt worden, insbesondere erfolge keine physiotherapeutische Behandlung, keine Infiltrationstherapie, keine Therapie mit Muskelrelaxanzien und auch keine Akupunktur. Eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme sei nicht erforderlich, die Erwerbsfähigkeit weder erheblich gefährdet noch bereits gemindert.

Die Klägerseite hat gegen die Beurteilung des Sachverständigen Einwände erhoben (S. 123 f. SG-Akte) und insbesondere geltend gemacht,
T2 habe lediglich „die letzten zwei Wochen abgefragt“. Tatsächlich habe sich der Kläger „im Anschluss an diese Physiotherapie“ vom 05.12.2019 bis 30.04.2020 (Hinweis auf ein Schreiben der K2 vom 24.07.2020, S. 125 f. SG-Akte: letzte manuelle Therapie am 30.04.2020, und vom 24.07.2020, S. 125 f. SG-Akte: u.a. „deshalb wäre aus physiotherapeutischer Sicht eine Fortsetzung der Therapie sinnvoll“) mehrmals in ärztliche Behandlung begeben, wo ihm mitgeteilt worden sei, dass die Physiotherapie nicht mehr viel bringen würde, „da es eine muskuläre Geschichte“ sei. Insbesondere habe man den Kläger auf die Reha-Maßnahme hingewiesen.

Nachdem das SG die Klägerseite darauf aufmerksam gemacht hatte, dass
T2 - bezogen auf den Tag der Begutachtung - auf die letzten 12 Monate Bezug genommen habe und sich dies gerade mit dem Klagevortrag decke, hat die Klägerseite unter Wiederholung des Vorbringens (s. im Einzelnen S. 134 f. SG-Akte) eingewandt, dass T2 den Kläger nur nach den letzten 14 Tagen befragt habe und der Kläger deshalb keine Angaben dazu gemacht habe, „weshalb in den letzten 12 Monaten keine Krankengymnastiktherapie und keine Infiltrationstherapie stattgefunden“ habe. Außerdem habe der Sachverständige gegenüber dem Kläger „das Beschwerdebild“ bestätigt und eine „Heilungsaussicht“ im Rahmen einer Reha-Maßnahme „für nicht ausgeschlossen erachtet“. Da „zum Fachgebiet des T2 die Durchführung von Akupunkturmaßnahmen gehöre“ und dieser eine solche Behandlung im Gutachten als vorrangig angegeben habe, sei er befangen - weswegen ein Befangenheitsantrag gestellt werde - und habe gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Dass „allein“ eine physiotherapeutische Behandlung des Klägers keine hinreichende Erfolgsaussicht biete, habe der Sachverständige „einfach weggewischt“.

Mit nicht anfechtbarem Beschluss vom 21.03.2022 (S. 139 ff. SG-Akte) hat das SG das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen den gerichtlichen Sachverständigen zurückgewiesen. Es sei bereits unzulässig, weil der Kläger das Ablehnungsgesuch i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 406 Abs. 2 Satz 2 und 1 Zivilprozessordnung (ZPO) verspätet angebracht habe. Ohnehin sei die Begründung des Gesuches schon nicht geeignet, Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Der Sachverständige habe eine Akupunkturbehandlung schon nicht als „vorrangig“, sondern als zusätzlich zu einer ambulanten physiotherapeutischen Behandlung, ggf. auch eine Infiltrationsbehandlung, als indiziert angesehen. Auch gehöre die Kenntnis über geeignete Behandlungsmethoden gerade zu der für einen Sachverständigen erforderlichen Sachkunde, woran es nichts ändere, wenn ein Sachverständiger derartige Behandlungen selbst durchführe.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG sodann die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25.03.2022 abgewiesen. Die Beklagte als erstangegangener Rehabilitationsträger habe den Antrag des Klägers zu Recht abgelehnt. Zur Begründung hat es unter Darlegung der materiell-rechtlichen Grundlagen (§§ 9, 10 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI -) und maßgeblich gestützt auf das Sachverständigengutachten des
T2, das schlüssig und nachvollziehbar sei, respektive auf Grundlage des von ihm erhobenen klinischen Befunds und der Angaben des Klägers zu seinen Alltagsaktivitäten gegenüber dem Sachverständigen ausgeführt, dass der Kläger die persönlichen Voraussetzungen für eine medizinische Rehabilitation nach dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfülle, weil eine erhebliche Gefährdung oder gar Minderung seiner Erwerbsfähigkeit nicht vorliege. Ohnehin mangele es auch an einer Ausschöpfung der ambulanten Behandlungsmethoden; der Hausarzt habe den Kläger zudem letztmals Mitte November 2020 wegen HWS-Beschwerden behandelt, S2 ihn einmalig ebenfalls (nur) in diesem Monat. Von einer engmaschigen (fach-)ärztlichen Behandlung könne mithin keine Rede sein, was auch und gerade für die zuletzt erwähnten psychosomatischen Beschwerden gelte. Damit sei eine medizinische Rehabilitation mithin auch nicht erforderlich. Ein entsprechender Anspruch ergebe sich aus den nämlichen Gründen weder aus dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (Hinweis auf § 11 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V -), noch aus dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (Hinweis auf § 33 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII -).

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 25.03.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14.04.2022 Berufung eingelegt. Dem Kläger stehe eine Leistung der medizinischen Rehabilitation zu. Er habe entgegen der Arbeitgeberauskunft sehr wohl auch schwere Lasten ab 25 kg heben müssen. Auch sei das Gutachten des
T2 fehlerhaft, weil dieser die Einschätzung des L1, der eine psychosomatische Rehabilitationsbehandlung für erforderlich halte, nicht berücksichtigt habe. Der Kläger leide an „schmerzhaften körperlichen Einschränkungen“ und könne schon aus Kostengründen nicht auf eine wenig erfolgversprechende Akupunkturbehandlung verwiesen werden. Es müsse ein weiteres Gutachten eingeholt werden, um „abzuklären, inwieweit eine psychosomatische Rehabilitationsbehandlung des Klägers erforderlich ist, um seine Schmerzthematik behandeln zu können“.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.03.2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 06.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.03.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Leistung der medizinischen Rehabilitation zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend. Die Frage, ob der Kläger in seiner vormaligen Beschäftigung auch schwere Lasten zu tragen gehabt habe, sei für den erhobenen Anspruch nicht maßgeblich. In psychosomatischer Hinsicht habe der
L1 nicht einmal eine entsprechende fachärztliche Behandlung eingeleitet.

Mit Verfügung des Berichterstatters des Senats vom 03.07.2023 (S. 45 f. Senats-Akte), den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 04.07.2023 zugestellt, ist dem Kläger binnen einer Frist von vier Wochen unter Hinweis auf § 153 Abs. 1, § 155 Abs. 1 und Abs. 4 i.V.m. § 106a Abs. 2 und 3 SGG - und unter ausdrücklicher Belehrung über die Folgen einer Fristversäumung gemäß § 106a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGG - aufgegeben worden, sich zu seiner am 05.01.2022 wieder aufgenommenen beruflichen Tätigkeit als Kraftfahrer zu erklären, Angaben zur Art der Beschäftigung, zu zeitlichem Umfang, zum Arbeitgeber/Auftraggeber (Name, ladungsfähige Anschrift) und zum Stellenprofil zu machen sowie entsprechende Belege (insbesondere Arbeitsvertrag und letzte Lohnabrechnung, Gewerbeanmeldung) vorzulegen. Außerdem ist er binnen der gesetzten Frist aufgefordert worden, sein im Rechtsmittelverfahren artikuliertes Begehren klarzustellen bzw. zu konkretisieren, nachdem - anders als noch im Verwaltungs- und erstinstanzlichen Verfahren - von einer stationären medizinischen Rehabilitation nicht mehr die Rede gewesen ist, und es ist ihm nachgelassen worden, den „höchst vorsorglich“ mit der Berufungsbegründung angekündigten Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG zu stellen, da medizinische Ermittlungen des Senats nicht beabsichtigt seien.

Auch nach Ablauf der vom Klägervertreter ersuchten Fristverlängerung um vier Wochen (Schriftsatz vom 31.07.2023, S. 53 Senats-Akte) hat die Klägerseite auf die Verfügung vom 03.07.2023 nicht reagiert. In der mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers lediglich angegeben, dass der Kläger nach seinem Kenntnisstand vollschichtig arbeite; er (der Kläger) habe sich bei ihm im Übrigen nicht mehr gemeldet.


Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid
der Beklagten vom 06.11.2020 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 18.03.2021, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger eine Leistung der medizinischen Rehabilitation, sowohl ambulant als auch stationär, zu bewilligen.

Die dagegen gerichtete zulässige Klage hat das SG zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid vom 06.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.03.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Leistung der medizinischen Rehabilitation, erst recht nicht auf eine stationäre, und zwar weder nach dem SGB VI, noch (über § 14 Abs. 2 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX -) nach den Leistungsgesetzen anderer Rehabilitationsträger.

Dies hat das SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids unter Darstellung der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen im Einzelnen dargelegt und zu Recht angenommen, dass eine Leistung der medizinischen Rehabilitation beim Kläger nicht erforderlich ist, es also an seiner Rehabilitationsbedürftigkeit mangelt. Dabei hat es sich zutreffend insbesondere auf das Sachverständigengutachten des
T2 gestützt, der die Beurteilung der Beratungsärzte S1 und K1 bestätigt und im Einzelnen befundgestützt und in jeder Hinsicht überzeugend begründet hat, dass beim Kläger von orthopädischer Seite, insbesondere von Seiten der HWS, keine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit vorliegt, keine funktionellen Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit objektivierbar sind und dass für die Behandlung der beim Kläger vor allem bestehenden Verschleißerkrankung der HWS die vorhandenen, bei weitem nicht ausgeschöpften ambulanten Krankenbehandlungsmöglichkeiten ausreichend sind, es mithin keiner Rehabilitationsmaßnahme bedarf. Ebenso zutreffend hat das SG dargelegt, dass und warum die eine Rehabilitationsmaßnahme befürwortende Auffassung des Allgemeinarztes L1 bzw. W1 nicht zu überzeugen vermag und dass sich auch im Hinblick auf die zuletzt beim Kläger in den Vordergrund gerückten psychisch-psychosomatischen Beschwerden nichts Abweichendes ergibt, weil auch insoweit in Ermangelung einer konsequenten und ausreichenden (ambulanten) Kranken-/Heilmittelbehandlung ein Erfordernis für eine medizinische Rehabilitationsleistung nicht erkennbar ist. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den oben zusammengefassten Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.

Wie bereits das SG im Einzelnen ausgeführt hat, ist das Sachverständigengutachten des T2 verwertbar, weil Anhaltspunkte für eine Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen nicht bestehen. Der Senat nimmt auf die zutreffenden und überzeugenden Ausführungen des SG im Beschluss vom 21.03.2022 Bezug und macht sich diese zu eigen.

Das Sachverständigengutachten ist auch inhaltlich ohne Mängel, befundgestützt und in jeder Hinsicht schlüssig und nachvollziehbar. Dass beim Kläger insbesondere nach dem 30.04.2020 - mithin also mehr als zwölf Monate vor dem Tag der Begutachtung durch
T2 am 04.01.2022 - keine physiotherapeutische Behandlung mehr durchgeführt worden ist, ergibt sich aus dem vom Kläger selbst vorgelegten Schreiben der K2 vom 24.07.2020. Die diesbezügliche Kritik des Klägers an T2 ist damit schon nicht nachvollziehbar. Dass T2 den Kläger nicht gefragt haben soll, „weshalb in den letzten 12 Monaten keine Krankengymnastiktherapie und keine Infiltrationstherapie stattgefunden“ habe, lässt schon eine Relevanz nicht erkennen, nachdem der Kläger nicht einmal behauptet hat, die vom Sachverständigen im Einzelnen genannten medizinisch indizierten und ausreichenden ambulanten Kranken-/Heilmittelbehandlungsmöglichkeiten wahrgenommen zu haben; warum er dies nicht getan hat, spielt keine entscheidende Rolle. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang (nur pauschal) behauptet hat, er könne „schon aus Kostengründen“ nicht auf eine Krankenbehandlung, namentlich eine Akupunktur, verwiesen werden, ist dies ebenfalls nicht nachvollziehbar (eine Akupunkturbehandlung u.a. bei chronischen Rückenschmerzen unterfällt grundsätzlich der
vertragsärztlichen Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung, vgl. Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 18.04.2006, BAnz. Nr. 214, S.6952) und rechtfertigt im Übrigen auch keine medizinische Rehabilitation.

Soweit der Kläger ferner behauptet hat, eine ambulante Krankenbehandlung sei „wenig erfolgversprechend“ und die Physiotherapie wäre nicht hinreichend (gewesen), ist dies durch das Sachverständigengutachten widerlegt, unabhängig davon, dass auch die
K2 (Schreiben vom 24.07.2020) eine Fortführung der manuellen Therapie angeraten hat. Die weitere Behauptung des Klägers, T2 habe eine Heilungsaussicht im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme für „nicht ausgeschlossen“ erachtet, entbehrt dies jeglicher Grundlage; der Sachverständige hat vielmehr - wie dargelegt - eine Rehabilitation gerade nicht für erforderlich erachtet und daher die Frage nach der Erfolgsaussicht gar nicht mehr beantwortet („entfällt“, S. 116 SG-Akte). Der Umstand, dass er als Gesundheitsstörung beim Kläger eine beginnende degenerative Verschleißerkrankung der HWS - freilich ohne aktuelle Funktionsbeeinträchtigung ohne radikuläre Ausfallsymptomatik - diagnostiziert hat, beinhaltet gerade keine - wie die Klägerseite gemeint hat - „Bestätigung des Beschwerdebilds“ i.S. der Annahme einer Erforderlichkeit von Rehabilitationsleistungen, das Gegenteil ist der Fall.

Keine Relevanz hat schließlich auch die Behauptung des Klägers, er habe entgegen der Arbeitgeberauskunft vom 16.08.2021 im Rahmen seiner vormaligen Beschäftigung bei der
M1 Profilzentrum auch schwere Lasten tragen müssen; darauf hat bereits das SG hingewiesen. Ohnehin hat T2 auch insoweit keinerlei Einschränkungen seitens des Bewegungs- und Haltungsapparats feststellen können.

Schließlich lässt sich auch aus den weiteren von den Hausärzten genannten Erkrankungen im Bereich der unteren Extremitäten (Lymphödem, Varikosis) - die sie freilich nicht als richtunggebend für eine Rehabilitation erachtet haben, sondern das HWS-Syndrom - eine Rehabilitationsbedürftigkeit schon deshalb nicht ableiten, weil die entsprechende körperliche Untersuchung durch
T2 einen vollkommen unauffälligen klinischen Befund ergeben hat (s. im Einzelnen S. 113 SG-Akte); auch insoweit hat der Sachverständige die Beurteilung der K1 bestätigt.

Soweit der Kläger im gerichtlichen Verfahren seine psychisch-psychosomatischen Beschwerden in den Vordergrund gerückt hat, hat bereits die
K1 auf der Grundlage insbesondere der Arztbriefe des H1 sowie des Umstands, dass der Kläger dort lediglich zweimal (Dezember 2020 und Februar 2021) vorstellig gewesen ist, zutreffend auch insoweit einen Rehabilitationsbedarf verneint. Dagegen ist nichts zu erinnern, zumal der Kläger ausweislich des Arztbriefes vom 02.02.2021 lediglich ein Johanniskrautpräparat eingenommen und eine Veränderung der Behandlung nicht gewünscht hat.

Ohnehin ist darauf hinzuweisen, dass sich eine Notwendigkeit sowie Art und Umfang einer Maßnahme nach den gesundheitlichen Verhältnissen richtet, die den Leistungsantrag (hier: vom 28.09.2020 unter ausdrücklicher Begründung mit HWS-Beschwerden) ausgelöst haben und von der Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt worden sind. Nur der sich daraus ergebende Leistungsanspruch, nicht ein abstrakter, vom Ausgangssachverhalt losgelöster Anspruch auf Rehabilitation ist Gegenstand des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens. Stützen die diesbezüglichen Feststellungen den Anspruch nicht, ist in dem anhängigen Prozess grundsätzlich nicht darüber zu befinden, ob möglicherweise andere, nachträglich aufgetretene Gesundheitsstörungen einen Rehabilitationsbedarf begründen (Bundessozialgericht - BSG - 25.03.2003, B 1 KR 33/01 R, in juris, Rn. 11).

Abweichende Feststellungen zur beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers und zu einer Notwendigkeit gerade einer medizinischen Rehabilitation sind vorliegend im Übrigen auch deshalb nicht zu treffen, weil sich der Kläger trotz Aufforderung des Senats nicht zu seiner am 05.01.2022 - Tag nach der Begutachtung durch
T2 - aufgenommenen beruflichen Tätigkeit als Kraftfahrer erklärt und gegenüber dem Sachverständigen auch ausdrücklich angegeben hat, „seit Dezember 2019 durchgehend arbeitslos“ gewesen zu sein, was im Widerspruch zu den im Versicherungsverlauf dokumentierten Pflichtbeitragsbeschäftigungszeiten vom 01.01. bis 31.12.2022 steht; zu seiner geringfügigen Beschäftigung (s. dazu oben im Tatbestand) hat sich der Kläger - auch gegenüber T2 - gänzlich ausgeschwiegen. Die Angaben des Klägers zu seinen Beschwerden und deren angebliche Auswirkung auf seine berufliche Leistungsfähigkeit werden mithin auch dadurch, unabhängig davon, dass sie mit den dokumentierten klinischen Befunden nicht in Übereinstimmung stehen, entsprechend relativiert.

Da auch nach den übrigen in Betracht kommenden Rehabilitationsleistungsgesetzen für eine medizinische Rehabilitation stets deren Erforderlichkeit nachgewiesen sein muss und dies dem Kläger, der als Anspruchsteller nach den allgemeinen Grundsätzen die materielle Beweislast trägt, vorliegend - wie dargelegt - nicht gelungen ist, hat er nach keinem dieser Rehabilitationsgesetze, worauf das SG zutreffend erkannt hat, einen Anspruch auf eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme. Mithin bedurfte es auch nicht der Beiladung anderer möglicher Träger der Rehabilitation (Senatsurteil vom 23.03.2023, L 10 R 2502/22, in juris, Rn. 45 m.w.N.; vgl. auch BSG 13.12.2016, B 1 KR 2/16 R, in juris, Rn. 25).

Der medizinische Sachverhalt ist hinreichend geklärt. Namentlich das Gutachten des
T2 und die beratungsärztlichen Stellungnahmen haben dem Senat die erforderlichen Grundlagen für seine Überzeugungsbildung vermittelt. Das Rechtsmittelvorbringen hat keine Veranlassung gegeben, von Amts wegen ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen (s.o.); ins Blaue hinein muss der Senat nicht ermitteln (dazu statt vieler nur BSG 24.02.2021, B 13 R 79/20 B, in juris, Rn. 14 m.w.N., auch zur Rspr. des Bundesverfassungsgerichts) und einen Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG hat der anwaltlich vertretene Kläger nicht gestellt.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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