L 2 R 111/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 31 R 224/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 111/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 64/23 B
Datum
-
Kategorie
Urteil


I.    Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. März 2020 wird zurückgewiesen.

II.    Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen zu tragen.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen

IV.    Der Streitwert wird auf 857,93 € festgesetzt.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Auszahlung eines Rentennachzahlungsanspruchs. 

Der Kläger wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 16. Juli 2015 zum Insolvenzverwalter über den Nachlass des am 30. Juli 2014 verstorbenen und bei der Beklagten gesetzlich rentenversicherten B. E. (Erblasser) bestellt. Zum Zeitpunkt seines Todes hatte der Erblasser gegen die Beklagte gemäß Rentenbescheid vom 17. März 2015 für den Zeitraum von Mai bis Juli 2014 einen Anspruch auf Nachzahlung aus einer ab dem 1. Mai 2014 bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 857,93 €. Mit Beschluss vom 18. Augst 2014 ordnete das Amtsgericht Frankfurt am Main Nachlasspflegschaft für die unbekannten Erben an. Laut telefonischer Auskunft des Nachlasspflegers gegenüber der Beklagten vom 21. April 2016 haben alle Kinder des Erblassers das Erbe ausgeschlagen. Der Erblasser war von seiner ehemaligen Ehefrau geschieden.

Mit Schreiben vom 8. Februar 2016 forderte der Kläger die Beklagte in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über den Nachlass des Erblassers auf, den Betrag in Höhe von 857,93 € an ihn auszuzahlen. Mit Schreiben vom 1. März, 15. März, 27. April und 11. Mai 2016 mahnte der Kläger die Zahlung bei der Beklagten an.
Mit Schreiben vom 12. Mai 2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine Zahlung an den Kläger nicht erfolgen werde und begründete dies u.a. mit einem Hinweis auf § 58 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I). Der Kläger hielt seine Forderung mit weiteren Schreiben vom 20. Juni, 6. Juli und 3. August 2016 aufrecht. Mit Schreiben vom 25. August 2016 teilte die Beklagte dem Kläger abschließend mit, dass eine Zahlung an den Kläger nicht erfolgen könne, da weder ein Sonderrechtsnachfolger im Sinne des § 56 SGB I vorhanden sei noch andere Berechtigte das Erbe des Verstorbenen angetreten hätten, weshalb der Fiskus nach § 1936 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zum Erbe geworden sein dürfte. Diesem stehe aber gemäß § 58 Satz 2 SGB I ein Rentenanspruch nicht zu.

Am 27. April 2017 erhob der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main und begehrte die Auszahlung der Rentennachzahlung einschließlich Zinsen.

Am 25. Januar 2019 umfasste die Insolvenzmasse ein Guthaben des verstorbenen Versicherten auf einem Konto der G. in Höhe von 3.514,05 €. Zur Insolvenztabelle nach § 175 Insolvenzordnung (InsO) waren Forderungen in Höhe einer Gesamtsumme von 18.028,45 € angemeldet.

Mit Gerichtsbescheid vom 24. März 2020 wies das Sozialgericht die Klage mit der Begründung ab, der Kläger habe keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung eines Betrages in Höhe von 857,93 €. Die geltend gemachte Forderung falle zwar in die Nachlassinsolvenzmasse. Da aber nicht feststehe, dass der Fiskus nicht Erbe des verstorbenen Versicherten geworden sei, könne der Kläger von der Beklagte die Erfüllung dieser Forderung aufgrund der Regelung des § 58 Satz 2 SGB I nicht verlangen. Eine Forderung könne nur insoweit zum Nachlass und damit zur Insolvenzmasse gehören, wie sie tatsächlich bestehe. Eine Forderung, die dauerhaft nicht durchgesetzt werden könne (aufgrund einer vertraglichen oder gesetzlichen Regelung) gehöre zwar zum Nachlass und damit zur Insolvenzmasse, könne aber nicht durchgesetzt werden. Vorliegend sei nicht sicher ausgeschlossen, dass der Fiskus gemäß § 1936 BGB Erbe des verstorbenen Versicherten geworden sei. Solange der Fiskus als Erbe in Betracht komme, bestehe die Möglichkeit, dass dieser als Erbe nach § 58 Satz 2 SGB I die Erfüllung der Forderung von der Beklagten nicht verlangen und damit auch der Kläger als Nachlassinsolvenzverwalter die Erfüllung der Forderung von der Beklagten nicht verlangen könne. Die bloße Möglichkeit eines natürlichen Erben genüge nicht, um dem Insolvenzverwalter das Recht zuzubilligen, die fälligen Ansprüche gegen die Beklagte geltend zu machen. Für den Fall einer Nachlasspflegschaft habe dies das Bundessozialgericht (BSG) bereits mehrfach entschieden. Diese Rechtsprechung sei auf einen Nachlassinsolvenzverwalter übertragbar. Ein Nachlasspfleger könne Rentenansprüche solange nicht geltend machen, bis ausgeschlossen sei, dass der Fiskus Erbe geworden ist, da der Gesetzgeber durch die Regelung des § 58 Satz 2 SGB I den Fiskus als Erben generell von der Geltendmachung von rückständigen Rentenansprüche ausgeschlossen habe. Dies habe zur Folge, dass Ansprüche, soweit der Fiskus Erbe sei, für den Nachlass ohne Wert seien und auch nicht dazu dienen könnten, die Nachlassgläubiger zu befriedigen. Würde man einen Anspruch des Nachlassinsolvenzverwalters auf Zahlung der rückständigen Rentenansprüche anerkennen, ohne dass ausgeschlossen sei, dass der Fiskus gesetzlicher Erbe geworden sei, wären diese Rentenansprüche für den Nachlass von Wert und würden dazu dienen, die Nachlassgläubiger zu befriedigen. Es sei jedoch kein Grund erkennbar, warum Nachlassgläubiger im Falle einer Nachlassinsolvenz gegenüber Nachlassgläubigern außerhalb des Nachlassinsolvenzverfahrens bessergestellt werden sollten. Der vom Kläger geltend gemachte Zinsanspruch bestehe mangels Hauptforderung nicht.

Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 26. März 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 21. April 2020 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Der Kläger ist im Wesentlichen der Auffassung, der unstreitige Anspruch stehe der Nachlassinsolvenzmasse zu. Die Vorschrift des § 58 Satz 2 SGB I greife nicht. Eine positive Feststellung des Fiskuserbrechts sei nicht erfolgt. Die Suche nach Erben höherer Ordnungen sei mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden. Es reiche aber nicht aus, dass „nicht sicher ausgeschlossen“ werden könne, dass der Fiskus eventuell Erbe geworden sei. Denn die Vorschrift des § 58 SGB I sei als Ausnahmeregelung restriktiv und nicht extensiv auszulegen. Nach Sinn und Zweck des § 58 Satz 2 SGB I sollten Zahlungen zwischen verschiedenen öffentlichen Haushalten vermieden werden. Diese Gefahr bestehe nicht, da der Fiskus nicht Erbe geworden sei, er also rein faktisch an der Rückzahlung nicht partizipieren könne. Die Insolvenzmasse umfasse ein Betrag, der voraussichtlich gerade so ausreichen werde, die Verfahrenskosten gemäß § 55 InsO zu tragen. Angesichts der angemeldeten und festgestellten Forderungen zur Insolvenztabelle käme es selbst bei Feststellung des Fiskuserbrechts nicht zu einer Partizipation des Fiskus, da es zunächst zu einer vollständigen Befriedigung der Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO, derer nach §§ 55, 324 InsO sowie aller Rangklassen der Nachlassgläubiger käme. Ein Überschuss, der gemäß § 199 InsO an den Fiskuserben auszukehren wäre, sei in dieser Konstellation ausgeschlossen. Der Fiskus würde unter keinen Umständen an der Rentennachzahlung partizipieren. Für § 58 SGB I sei nicht relevant, ob es zu einer Besserstellung der Nachlassgläubiger komme, da die Norm lediglich öffentliche Belange im Blick habe. Der Nachlassinsolvenzverwalter sei nicht mit dem Nachlasspfleger zu vergleichen, da er als Partei kraft Amtes eigene Ansprüche geltend mache, während der Nachlasspfleger die Ansprüche der unbekannten Erben geltend mache. Die entsprechende Rechtsprechung des BSG sei nicht übertragbar.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. März 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm einen Betrag von 857,93 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % hieraus seit dem 1. September 2014 bis zum Tage der Klagezustellung und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor, die Rechtsprechung des BSG zum Nachlasspfleger sei auf den Nachlassinsolvenzverwalter übertragbar. Bei den bestehenden Unterschieden sei ihnen gemein, dass weder der eine noch der andere Ansprüche geltend machen könne, die niemals Bestandteil des Vermögens und der Insolvenzmasse geworden seien. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens werde die Erbmasse nicht erweitert.

Laut telefonischer Auskunft des Nachlasspflegers gegenüber dem Senat vom 19. Januar 2023 habe der Erblasser zwei Kinder mit Enkeln hinterlassen, jedoch hätten sowohl die Kinder als auch jeweils die Enkel das Erbe ausgeschlagen. Nach seiner Kenntnis gebe es keine weiteren lebenden Verwandten. Der Erblasser habe zum Zeitpunkt seines Todes alleine und von seiner Lebensgefährtin getrennt gelebt. Er habe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes mit einer der in § 56 Abs. 1 SGB I genannten Personen in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat oder eine Person ihm wesentlich unterhalten worden ist.

Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.


Entscheidungsgründe

Die statthafte Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) des Klägers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 SGG). Der Kläger ist als Nachlassinsolvenzverwalter kraft Amtes prozessführungsbefugt, denn mit Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens hat der Erbe bezüglich der zum Nachlass gehörenden Forderungen - hier dem Anspruch auf die Rentennachzahlung - die aktive Prozessführungsbefugnis an den Insolvenzverwalter verloren (Klinck in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/ Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 1975 Rn. 28).

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. März 2020 ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Auszahlung des Rentennachzahlungsanspruchs in Höhe von 857,93 € nebst Zinsen.

Der Kläger kann als Nachlassinsolvenzverwalter die Auszahlung des Rentennachzahlungsanspruchs nicht verlangen.

Ursprünglich stand der Anspruch entsprechend des Rentenbescheids vom 17. März 2015 dem Erblasser zu.

Der Anspruch ist nicht nach § 56 SGB I auf einen Sonderrechtsnachfolger übergegangen. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB I stehen fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tod des Berechtigten nacheinander
1.    dem Ehegatten,
1a.    dem Lebenspartner,
2.    den Kindern,
3.    den Eltern,
4.    dem Haushaltsführer
zu, wenn diese mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben oder von ihm wesentlich unterhalten worden sind. Der Anspruch auf Rentennachzahlung ist trotz der Abwicklung als Einmalzahlung ein Anspruch auf eine laufende Geldleistung. Nachzahlungen für rückständige laufende Leistungen werden nicht dadurch zu einer einmaligen Leistung, dass sie in einem Betrag geleistet werden (Groth in Schlegel/Voelzke, jurisPK, 3. Aufl., § 58 SGB I, Rn. 13 m.w.N.). Der Anspruch auf Rentennachzahlung war nach § 41 SGB I i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 SGB VI als laufende Geldleistung der gesetzlichen Rentenversicherung am Ende des Monats fällig, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren, hier jeweils am Ende der Monate Mai bis Juli 2014.

Nach dem Ergebnis der Sachverhaltsermittlungen des Senats hat der Erblasser keinen Sonderrechtsnachfolger. Der Erblasser hat nach Auskunft des Nachlasspflegers zum Zeitpunkt seines Todes weder mit einem der § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB I genannten Personen in einem gemeinsamen Haushalt gelebt noch wurde eine dieser Personen von ihm wesentlich unterhalten.  

Der Anspruch auf Rentennachzahlung ist auch nicht nach § 59 Satz 2 SGB I erloschen, da zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers die Rentennachzahlung zwar noch nicht durch die Beklagte festgestellt worden war, bezüglich der Rentenzahlung jedoch ein Verwaltungsverfahren anhängig war.

Nach § 58 Satz 1 SGB I bleibt es für den fälligen Anspruch auf Geldleistung bei der Vererbung nach den Vorschriften des BGB. Der vererbliche Sozialleistungsanspruch wird Teil des Nachlasses (Groth in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl., § 58 Rn. 15).

Mit dem Tod des Erblassers am 30. Juli 2014 ging der Anspruch zunächst im Wege der Universalsukzession nach § 1922 BGB auf seine gesetzlichen Erben über, hier seine Kinder als gesetzliche Erben erster Ordnung (§ 1924 Abs. 1 BGB). Nachdem die Kinder des Erblassers die Erbschaft jeweils nach §§ 1942 Abs. 1, 1953 Abs. 1 BGB ausgeschlagen haben, gilt der Anfall der Erbschaft an sie als nicht erfolgt. Die Erbschaft fiel damit nach § 1953 Abs. 2 BGB demjenigen an, welcher berufen sein würde, wenn die Ausschlagenden zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätten. Der Anfall gilt mit dem Erbfall erfolgt. Die damit in Betracht kommenden Enkel des Erblassers als gesetzliche Erben erster Ordnung (§ 1924 Abs. 3 BGB) haben das Erbe ebenfalls ausgeschlagen. Da das gesetzliche Erbrecht der Ehefrau des Erblassers nach § 1931 BGB infolge der Ehescheidung nicht mehr in Betracht kommt, gibt es keine weiteren - zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bekannten - Verwandten, Ehegatten oder Lebenspartner des Erblassers als gesetzliche Erben. Gesetzliche Erben höherer Ordnung konnten bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder durch Nachlassgericht noch durch den Nachlasspfleger oder den Kläger ermittelt werden. Dabei ist zu beachten, dass von Amts wegen keine weitreichenden Ermittlungen geboten sind, wenn der Nachlass - wie im vorliegenden Fall - wertlos oder überschuldet ist (vgl. Mešina in Staudinger, BGB, Stand April 2021, § 1964, Rn. 5 m.w.N.). Der Senat sieht ebenfalls keine Ansatzpunkte für weitere Ermittlungen in dieser Richtung.  

Das Nachlassgericht hat bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Berufungsverfahren ein Fiskalerbrecht nach § 1964 BGB nicht festgestellt. Die Feststellung des Fiskalerbrechts begründet nach § 1964 Abs. 2 BGB eine widerlegbare Vermutung, dass der Fiskus gesetzlicher Erbe ist. Der Fiskus kann die ihm als gesetzlichen Erben angefallene Erbschaft nicht ausschlagen, § 1942 Abs. 2 BGB. Auf die Feststellung des Fiskalerbrechts darf das Nachlassgericht auch im Fall eines überschuldeten oder wertlosen Nachlasses nicht verzichten (vgl. OLG München, Beschluss vom 5. Mai 2011, 31 Wx 164/11; Mešina in Staudinger, BGB, Stand April 2021, § 1964, Rn. 6; Leipold in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, § 1964, Rn.4). Gleichwohl ist eine solche Feststellung nach dem Tod des Erblassers am 30. Juli 2014 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht erfolgt. Auf die Vermutung des § 1964 Abs. 2 BGB, dass gemäß § 1936 Satz 1 BGB der Fiskus, konkret das Land Hessen, mit dem Tod des Erblassers gesetzlicher Erbe geworden ist, kann sich die Beklagte nicht stützen. Es ist daher davon auszugehen, dass als Erbe sowohl eine natürliche Person als auch der Fiskus in Betracht kommt.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 16. Juli 2015 wurde der Kläger zum Insolvenzverwalter über den Nachlass des Erblassers bestellt. Mit Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens (§§ 315 ff. Insolvenzordnung <InsO>) ging die Verfügungsgewalt über den Nachlass als Sondervermögen mit Wirkung ex nunc vom Erben auf den Kläger über, § 80 Abs. 1 InsO. Der Nachlassinsolvenzverwalter vertritt dabei im Rahmen seiner Amtsführung insbesondere die Interessen der Gläubiger. Insoweit unterscheidet sich die Situation von der in der Rechtsprechung des BSG bereits geklärten Frage der Anwendbarkeit des § 58 Satz 2 SGB I bei Geltendmachung von Rentennachzahlungsansprüchen durch einen Nachlasspfleger, der als Vertreter die Forderung nach § 1960 BGB zur Sicherung und Erhaltung des Nachlasses für den unbekannten Erben geltend macht (vgl. BSG, Urteil vom 25. November 1982, 5b RJ 46/81; Urteil vom 13. September 1994, 5 RJ 44/93; dem folgend LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 18. September 2019, L 16 R 74/18, und 24. Februar 2021, L 16 R 76/19). 

Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangte der Kläger die Verfügungsgewalt über den Anspruch auf Rentennachzahlung gegen die Beklagte. Das Insolvenzrecht ist indes erbrechtsakzessorisch (Windel in: Jaeger, Insolvenzordnung, 1. Aufl. 2020, § 315 Rn. 67). Die Abhängigkeit des Nachlassinsolvenzverfahrens von der erbrechtlichen Ausgangslage bewirkt, dass der Kläger die Verfügungsgewalt über den Anspruch in der Form erlangt, wie sie sich nach dem Erbfall dargestellt hat. Ebenso wie im Falle des Nachlasspflegers (vgl. BSG, Urteil vom 25. November 1982, 5b RJ 46/81; Urteil vom 13. September 1994, 5 RJ 44/93), der für die noch unbekannten Erben handelt, setzt auch die Geltendmachung eines Anspruchs durch den Kläger als Nachlassinsolvenzverwalter voraus, dass der tatsächliche Erbe diesen Anspruch geltend machen kann. Denn auch im Falle des Nachlassinsolvenzverwalters gehen die aus dem Nachlass als Sondervermögen geltend gemachten Rechte nicht über den Umfang des dem Erben zustehenden Nachlasses hinaus. Einwendungen und Einreden, die gegen ein Zahlungsverlangen des Erben - gegebenenfalls gegenüber dem Fiskus - bestanden, bestehen auch gegenüber dem Nachlassinsolvenzverwalter.

Der Geltendmachung der Rentennachzahlung durch den Kläger steht § 58 Satz 2 SGB I entgegen. 

Nach § 58 Satz 2 SGB I kann der Fiskus als gesetzlicher Erbe fällige Ansprüche auf Geldleistungen nicht geltend machen. Der nachlasszugehörige Geldleistungsanspruch - hier der Rentennachzahlungsanspruch - wandelt sich in eine Naturalobligation (BSG, Urteil vom 25. November 1982, 5b RJ 46/81; Bienert in: Kroiß/Horn/Solomon, 2. Aufl. 2019, § 58 Rn. 13; Groth in: jurisPK-SGB I, 3. Aufl., § 58 Rn. 18; von Kopperfels-Spies in: Hauck/Noftz, SGB I, § 58 Rn. 8; Gutzler in: BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, Stand 1. Dezember 2022, § 58 SGB I Rn. 6). Nach der Rechtsprechung des BSG hat der Gesetzgeber mit § 58 Satz 2 SGB I den Fiskus als Erben generell von der Geltendmachung rückständiger Rentenansprüche ausgeschlossen (so für die Geltendmachung durch einen Nachlasspfleger BSG, Urteil vom 18. September 2019, L 16 R 74/18).

Der Kläger als Nachlassinsolvenzverwalter kann die Auszahlung der Rentennachzahlung nicht verlangen. Solange der Fiskus als Erbe in Betracht kommt, besteht die Möglichkeit, dass der Erbe nach § 58 Satz 2 SGB I die Erfüllung der Forderung nicht verlangen könnte. Zwar besteht ebenso die Möglichkeit, dass ein natürlicher Erbe vorhanden ist, dem gegenüber die Erfüllung der Leistung nicht verweigert werden könnte. Diese bloße Möglichkeit genügt aber nicht, um dem Nachlassinsolvenzverwalter (ebenso wie dem Nachlasspfleger) das Recht zuzubilligen, die fälligen Ansprüche geltend zu machen. Steht nicht fest, dass der Erbe die Erfüllung der Forderung verlangen kann, so kann auch das Recht auf Geltendmachung durch den Nachlassinsolvenzverwalter, der über den Nachlass verfügt, nicht festgestellt werden.

Der Senat sieht nicht die Notwendigkeit einer teleologischen Reduktion des § 58 Satz 2 SGB I, d.h. einer Auslegung, die zu einer Einschränkung des Anwendungsbereichs einer Norm gegenüber ihrem Wortlaut führt, für den Fall, dass der vom Nachlassinsolvenzverwalter geltend gemachte Anspruch auf die Geldleistung aufgrund der zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen der Gläubiger voraussichtlich nicht zu einer Auszahlung an den Fiskus führen wird. Sinn und Zweck des § 58 Satz 2 SGB I ist die Vermeidung von Zahlungen zwischen verschiedenen öffentlichen Haushalten (so die Gesetzesmaterialien, BT-Drs. 7/868, S. 33). Darüber hinaus dient die Vorschrift auch dem Zweck, noch nicht ausgezahlte Rentenbeträge dem Versicherungsträger zu belassen (BSG, Urteil vom 25. November 1982, 5b RJ 46/81) und Versicherungsträgern Beitragsmittel nicht zugunsten der Wahrnehmung allgemein steuerfinanzierter öffentlicher Aufgaben zu entziehen (so Groth in Schlegel/Voelzke: jurisPK-SGB I, 3. Aufl., § 58 Rn. 10). Das Anliegen des Gesetzgebers, Rentenbeträge dem Versicherungsträger zu belassen, hat auch Gültigkeit, wenn - wie in der vorliegenden Konstellation - entgegenstehende Interessen eines Nachlassinsolvenzverwalters und der Insolvenzgläubiger hinzutreten. Der Gesetzgeber hat den Interessen Dritter bereits durch die in § 58 Satz 2 SGB I statuierte Rechtsfolge der Umwandlung des Anspruchs in eine Naturalobligation Rechnung getragen. Anders als bei einem Erlöschen des Anspruchs bleiben eventuell bestehende Rechte Dritter aus den Ansprüchen erhalten. Sofern der Fiskus rückständige Rentenansprüche nicht geltend machen kann und dadurch Nachlassgläubiger mit ihren Forderungen ausfallen, ist dies Folge der vom Gesetzgeber gewählten Konstruktion. Der Gesetzgeber hat das Erbrecht des Fiskus nicht in der Weise eingeschränkt, dass er nur für den Fall, dass der Nachlass auch ohne die Rentenzahlung zur Befriedigung von Nachlassgläubigern ausreicht, von der Geltendmachung der Rentenansprüche ausgeschlossen ist (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 13. September 1994, 5 RJ 44/93). Es stellt auch keine besondere Härte dar, wenn durch den Tod des Erblassers Sozialleistungsansprüche dem Zugriff potentieller Gläubiger entzogen werden. Denn bereits nach der Systematik der §§ 56 ff. SGB I können Sozialleistungsansprüche dem Nachlass zugunsten von Sonderrechtsnachfolgern im Sinne des § 56 SGB I entzogen werden oder nach § 59 SGB I ganz erlöschen. Nichts Anderes gilt bei Anwendbarkeit des § 58 Satz 2 SGB I für den Fall des Fiskus als gesetzlichen Erben.

Mangels durchsetzbarer Hauptforderung sind auch keine Zinsansprüche des Klägers entstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Weder der Kläger als Nachlassinsolvenzverwalter noch die Beklagte gehören zu dem in § 183 SGG privilegierten Personenkreis und es handelt sich nicht um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens, so dass nach § 197a Abs. 1 Satz 1 a.E. SGG die §§ 154 bis 162 VwGO entsprechend anzuwenden sind. Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens, § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kostenentscheidung betrifft das Verfahren insgesamt einschließlich des erstinstanzlichen Verfahrens (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 197a Rn. 12).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.

Die Streitwertfeststellung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52, Abs. 1, 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
 

Rechtskraft
Aus
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