L 1 U 2181/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 3398/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 2181/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 4. Mai 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.
Der Kläger begehrt - nach wie vor im Erstfeststellungsverfahren - die Anerkennung weiterer gesundheitlicher Folgen des anerkannten Arbeitsunfalls (Schulunfalls) vom 14. März 2006 und die Gewährung weiterer Verletztenrente ab dem 22. Januar 2015.
Der Kläger ist 1990 geboren. Als Schüler einer baden-württembergischen Schule verletzte er sich am 14. März 2006 bei einem Sturz in der Pause. Diagnostiziert wurde damals (Berichte des P1 vom Unfalltag und vom 3. Juli 2006) eine Fraktur des oberen Sprunggelenks (OSG) II. Grades links, die am 16. März 2006 in der Klinik U1 operativ versorgt wurde. Der Heilungsverlauf war komplikationslos. Am 21. August 2006 wurde das Metall entfernt.
Ab dem 30. November 2012 war der Kläger wegen „Schmerzen OSG persistierend“ arbeitsunfähig erkrankt (AU-Bescheinigungen P2 vom 6. Dezember 2012 und 9. Januar 2013). Eine MRT-Untersuchung am 13. Dezember 2012 ergab ein Bone bruise in der distalen Tibia, differentialdiagnostisch Metallartefakte und Reizödem, einen Gelenkerguss und eine Synostose. Im Mai 2013 führte der Kläger in der Sportklinik S1 eine Sprunggelenksarthroskopie links mit Osteophytenabtragung und Chondroplastik durch. Bei den nachfolgenden Verlaufskontrollen berichtete er über Schmerzen, die auch therapeutisch nicht vollständig in den Griff zu bekommen waren (Nachschauberichte der Sportklinik vom 23. September 2013 und von B1 vom 1. Oktober 2013). Am 11. November 2013 diagnostizierte P2 eine somatoforme Schmerzstörung und eine Intercostalmuskelzerrung rechts bei Z.n. Fraktur des OSG mit bone bruise.
Die Krankenkasse des Klägers, die AOK B2, machte bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch geltend (Kosten für die Operation am 15. Mai 2013, Krankengeld vom 30. November bis zum 8. Oktober 2013).


Im Auftrag der Beklagten erstattete S2 nach einer Untersuchung des Klägers und der Beiziehung des Vorerkrankungsverzeichnisses (VEV) das Gutachten vom 7. Juli 2014. Aktuell beständen keine unfallbedingten Erkrankungen. Das zwischenzeitlich beschriebene Pfeiffersche Drüsenfieber sei nicht mehr aktuell und habe nicht auf dem Unfall beruht, ebenso nicht das durch einen Heilpraktiker diagnostizierte Herzstolpern. Die noch vorhandenen Beschwerden am linken OSG mit aktuell leichter Bewegungseinschränkung (Hebung/Senkung 20/0/50° links gegenüber 25/0/55° rechts) habe nicht der Unfall verursacht. Bei den Untersuchungen 2012 habe kein struktureller Schaden im Bereich der Unfallverletzung vorgelegen. Gegen einen Zusammenhang spreche auch die Länge des beschwerdefreien Intervalls von 2006 bis 2012.

Mit Schreiben (formloser Bescheid ohne Rechtsbehelfsbelehrung) vom 24. Juli 2014 teilte die Beklagte mit, die Beschwerden seit November 2012 ständen nicht in Zusammenhang mit dem Unfall vom 14. März 2006, Kostenträger für sämtliche Behandlungen bleibe daher die AOK.
Bei dem Kläger wurde im November 2014 der Verdacht auf ein Tarsaltunnelsyndrom geäußert. Deshalb führte am 21. Januar 2015 das Bezirkskrankenhaus (M1) G1 eine Dekompression und Neurolyse (operative Freilegung) des Nervus (N.) tibialis links (Schienenbeinnerv) am Innenknöchel durch. Dies wurde der Beklagten am 22. April 2015 mitgeteilt. Der Kläger stellte sich in der Folgezeit wegen persistierender Schmerzen erneut im M1 G1 vor, aber die Ärzte sahen keine Indikation für eine erneute Operation. Am 18. September 2015 diagnostizierte Schmerz­therapeut K1 ein chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41 ICD-10 GM) und ein chronisches Schmerzsyndrom am linken OSG.

Die Beklagte holte die beratungsärztlichen Stellungnahmen vom 27. Oktober 2015 (B3) und vom 3. Dezember 2015 ein. Danach bestehe kein Unfallzusammenhang, ferner sei der genaue Hergang des weiteren Unfalls beim Kegeln Ende 2012 nicht mehr aufzuklären.
Auf Vorschlag des Klägers ernannte die Beklagte sodann den A1 zum Gutachter. In seinem Zusammenhanggutachten vom 5. September 2016 führte er aus, bei dem Kläger beständen „Narbenbildungen, eine Endphasenfunktionseinschränkung im OSG und im unteren Sprunggelenk (USG) links sowie ein subjektives Beschwerdebild, das vom engeren unfallchirurgischem Erfahrungsbild nicht zweifelsfrei erklärbar“ sei. Die unmittelbaren Unfallfolgen seien bis August 2006 ausgeheilt gewesen. Jedoch sei dann 2014 eine „erweiterte Unfallschadensfolge“ in Form eines Tarsaltunnelsyndroms aufgetreten, die 2015 in G1 operiert worden sei. Diese „Thematik“ lasse sich zwanglos „mit der Schadensfolge des Unfalls“ in Verbindung bringen. Für die Zeit der Behandlungsbedürftigkeit des Tarsaltunnelsyndroms könne „eine Gesamtvergütung in Höhe einer MdE um 20 vH vorgeschlagen“ werden.

Mit - nicht mehr streitgegenständlichem - Bescheid vom 22. März 2017 erkannte die Beklagte einen Arbeitsunfall an. Sie bewilligte Verletztengeld bis zum 30. Mai 2014, im Anschluss daran bis zum 21. Januar 2015 Verletztenrente in einer Gesamthöhe von € 1.647,24 zuzüglich Zinsen.
In dem damaligen Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, eine neurosonographische Untersuchung im Universitätsklinikum T1 habe eine deutliche Schwellung des Nervus tibialis im Tarsaltunnel links ergeben (vgl. Befundbericht vom 3. Mai 2017). Ferner leide er weiterhin an erheblichen Schmerzen, die nach der Operation in G1 aufgetreten seien. Sie seien inzwischen chronifiziert, weswegen er seinen Beruf als Feinmechaniker nicht mehr ausüben könne. In der Folgezeit stellte sich der Kläger erneut im M1 G1 und in der Klinik für Fuß- und Sprunggelenkschirurgie in N1 vor. Beide Kliniken nahmen ein chronisches Schmerz­syndrom an und rieten von einer erneuten operativen Freilegung des Nervus tibialis ab.

Die Beklagte erhob das unfallchirurgische Gutachten vom 3. Mai 2018 bei G2. Darin war ausgeführt, unfallbedingt seien die damaligen Frakturen. Das Gleiche gelte für das Bone Bruise und die Knorpelschäden, die sich in dem MRT 2012 und bei der Arthroskopie 2013 (Sportklinik) gezeigt hätten. Ob das 2015 operierte Tarsaltunnelsyndrom eine Folge der Arthroskopie im Jahr 2013 (und damit mittelbare Unfallfolge) sei, müsse ein neurologisches Zusatzgutachten klären. Jedenfalls sei es bei fehlender Brückensymptomatik (2006 bis 2012/2015) nicht direkt auf den Unfall zurückzuführen. Unabhängig davon beruhten die jetzt, 2018, festgestellten Beeinträchtigungen (eingeschränkte Beweglichkeit im linken OSG) weder direkt noch mittelbar auf dem Unfall aus dem Jahr 2006. Über den 21. Januar 2015 hinaus liege die MdE unter 10 vH.

Am 25. Juni 2018 erstattete H1 im Auftrag der Beklagten ein nervenärztliches Gutachten. Er stellte eine somatoforme Störung fest. Im Laufe der Jahre sei mehreren Behandlern aufgefallen, dass Beschwerden und Befunde in keinem organmedizinisch erklärbaren Verhältnis zuein­ander ständen. Es handle sich um eine unfallunabhängige Erkrankung, die ihren Ursprung in der Biografie und der Persönlichkeit des Klägers habe. Er stimme in dieser Beurteilung völlig mit der Aussage des unfallchirurgischen A1 überein, es bestehe ein „subjektives Beschwerdebild, das vom unfallchirurgischen Erfahrungsbild nicht zweifelsfrei erklärbar“ sei. Dem chirurgischen Gutachter sei darin zu folgen, dass das Tarsaltunnelsyndrom als vorübergehende Unfallfolge für die Zeit bis zu der Operation eine MdE um 20 vH bedingt habe. Danach liege nur die - unfallunabhängige - Diagnose „Somatisierungsstörung bzw. chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ vor.
Am 22. August 2018 führte G3, S3-Klinik S1, eine Arthroskopie des linken OSG mit Synovialektomie, Narbenresektion und Knorpelglättung durch. Auf Nachfrage der Beklagten berichtete er, intraoperativ hätten einige Verklebungen vorgelegen. Eine Synovialitis und Bridenbildung in diesem Ausmaß entstehe meist durch eine Gelenkkapselzerreißung bei schweren Unfällen. Dazu passe das Bassett-Ligament, das die vordere Ausziehung der Syndesmose darstelle. Es heile oft verdickt aus und rage dann in das Gelenk hinein und könne den Knorpel schädigen. Auch die Knorpelkontusionen des Klägers passten zu dem Unfall.
H1 und G2, zu den neuen Befunden ergänzend befragt, sahen keinen Anlass für eine Änderung ihrer Einschätzungen. Es bestehe weiterhin eine MdE unter 10 vH.
Am 11. März 2019 bewilligte die Beklagte aufgrund einer Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes eine Rentennachzahlung von € 1.113,23. Unter Berücksichtigung dieses Änderungsbescheids wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 2019 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 15. August 2019 - erstmals - Klage zum Sozialgericht (SG) Heilbronn. Nachdem das SG darauf hingewiesen hatte, aus seiner Sicht leide der Bescheid vom 22. März 2017 an unheilbaren formellen Mängeln, insbesondere stelle er die Höhe der MdE nicht fest. beendeten die Parteien den Rechtsstreit durch Vergleich. Die Beklagte erließ den Ausführungsbescheid vom 22. April 2020. Darin erkannte sie den Unfall erneut als Arbeitsunfall an. Die Unfallfolgen beschrieb sie nunmehr als: „Nach einem operativ versorgten Sprunggelenksbruch Typ Weber C links sowie nach erfolgter Abtragung von Osteophyten und durchgeführter Chondroplastik am 15. Mai 2013 und außerdem durch die [gemeint wohl: „nach der“] Dekompression und Neurolyse des Nervus tibialis [erg.: „bei“] austherapiertem Tarsaltunnelsyndrom besteht noch eine vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung des Sprunggelenks“. Keine Unfallfolgen seien: „Beckentiefstand links, leichter Senkfuß beidseits, Schmerzstörung mit Einschränkungen beim Stehen, Gehen und Laufen“. Verletztenrente wurde erneut vom 31. Mai 2014 bis zum 21. Januar 2015 bewilligt. Die Höhe der MdE (20 vH) war - nur - in der beigefügten Berechnung genannt.

Im Widerspruchsverfahren teilte G3 (S3-Klinik S1) am 19. Juni 2020 mit, er schätze die aktuelle MdE als nicht rentenberechtigend ein. In einer MRT am 27. Mai 2020 habe sich eine Schleimhautfalte gezeigt, die für die beklagten Beschwerden relevant sein könne. R1 berichtete am 9. Juni 2020 von anhaltenden, belastungsabhängigen Schmerzen im OSG mit deutlicher Einschränkung der Belastbarkeit und Gehstrecke. Die MdE betrage zurzeit 20 vH.
In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28. Juli 2020 führte R2 aus, die derzeitige MdE sei mit 10 vH einzuschätzen. Insbesondere die Fußdeformität mit abgeflachtem Längsgewölbe, das Tarsaltunnelsyndrom und die Schmerzstörung seien nicht unfallbedingt.
Mit Teil-Abhilfe-Bescheid vom 21. September 2020 verfügte die Beklagte eine lebenslange Übernahme der Behandlungskosten für die Unfallfolgen. Danach erließ sie den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2020, zugestellt am 2. November 2020.

Hiergegen hat der Kläger am 2. Dezember 2020 Klage zum SG erhoben. Er hat unter an­derem den Bericht des Universitätsklinikums T1, H2, vom 21. August 2019 („Chro­nisches Schmerzsyndrom bei Verdacht auf Rezidiv Tarsaltunnelsyndrom links“) vorgelegt.

Das SG hat von Amts wegen bei dem S4 das Gutachten vom 26. Mai 2021 erhoben. Der Sachverständige hat als wesentliche Folgen des Unfalls vom 14. März 2006 ein endgradiges Bewegungsdefizit im OSG und USG links gegenüber rechts, die damaligen OP-Narben sowie eine „Irritation des Tarsaltunnels links, hochwahrscheinlich durch die ASK des linken Sprunggelenkes 2013 mit nachfolgender Tarsaltunnelrevision 2015 und nicht mehr nachweisbarer Irritation des Nervus tibialis“ angenommen. Dagegen stehe die seitengleiche Knick-/Senk-/Spreizfußfehlform beidseits nicht in Zusammenhang mit dem Unfall. Die MdE betrage seit dem 22. Januar 2015 unter 10 vH. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27. Juli 2021 hat der Sachverständige klargestellt, dass auch aus seiner Sicht das Tarsaltunnelsyndrom nur vorübergehend bis zu der OP bestanden habe. Danach könne von einer unfallunabhängigen Somatisierungsstörung bzw. chronischen Schmerzstörung mit somatischen psychischen Faktoren gesprochen werden, entsprechend der Persönlichkeit des Klägers, die in keinem Zusammenhang mit dem Unfall stehe. Spätestens mit der Tarsaltunnel-OP hätten die Beschwerden abgeschüttelt werden müssen.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat P3, am 25. Juli 2022 ein weiteres Gutachten erstellt, wobei er den Kläger am 22. Dezember 2021 untersucht hatte. P3 hat ausgeführt, bei dem Kläger beständen als Folgen des Unfalls vom 14. März 2006 posttraumatische Beschwerden bei Zustand nach trimalleolärer Sprunggelenksfraktur linksseitig, konkret ein sensibles Defizit der Fußsohle bei Zustand nach posttraumatisch entstandenem und operativ versorgtem Tarsaltunnelsyndrom sowie ein Knorpelschaden des OSG. Desweiteren habe sich ein lokales chronisches Schmerzsyndrom vom Grad II (gemäß den Mainzer Stadienmodell) entwickelt. Soweit H1 die Erkrankung als „somatoforme Störung“ eingestuft habe, sei dies eindeutig falsch. Die MdE betrage seit dem 15. Juli 2006 durchgehend 20 vH. Seine Einschätzung decke sich mit dem Vorgutachten von A1 vom 5. September 2016 mit der Ausnahme der Berücksichtigung der Schmerzdimension.
Mit Urteil vom 4. Mai 2023 nach mündlicher Verhandlung hat das SG die Klage abgewiesen. Die Gesundheitsschäden, die der Kläger als weitere Unfallfolgen geltend mache, seien zum Teil nicht auf den Unfall zurückzuführen (Fußdeformität beidseits, Beckenschiefstand, Schmerzstörung mit Einschränkungen beim Stehen, Gehen und Laufen), zum Teil (Tarsaltunnelsyndrom) lägen sie aktuell nicht vor. Die Schmerzerkrankung des Klägers habe sich verselbstständigt und sei in seiner Biografie und Persönlichkeit begründet. Die MdE wegen der Unfallfolgen liege seit dem 21. Januar 2015 nicht mehr im rentenberechtigenden Bereich.
Gegen dieses Urteil, das ihm am 30. Juni 2023 zugestellt worden ist, hat der Kläger am Montag, dem 31. Juli 2023, Berufung erhoben. Seinen Antrag auf Anerkennung weiterer Unfallfolgen hat er dabei auf das Tarsaltunnelsyndrom und die Schmerzstörung beschränkt.

Er hat vorgetragen, das SG habe zu Unrecht eine somatoforme Schmerzstörung angenommen. P3 habe H3 entsprechende Diagnose überzeugend widerlegt. Bereits K1 habe nicht diese Schmerzkrankheit angenommen, sondern eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Es sei mit P3 davon auszugehen, dass am linken Fuß ein unfallbedingtes chronisches Schmerzsyndrom vorliege. Ferner sei entgegen der Ansicht des SG das Tarsaltunnelsyndrom nicht austherapiert.
Zu seinen Ausführungen wegen des Tarsaltunnelsyndroms hat der Kläger die Untersuchungsberichte von G3 vom 20. Juni 2023 („Verdacht auf Nervenengpass-Syndrom für den Tarsaltunnel und für den N. fibularis superficialis“) und des G4 vom 2. August 2023 („Residuelles Tarsaltunnelsyndrom links mit Begleitneuritis, keine klassische Kompression, eher einer Neuritis entsprechend“) vorgelegt.
Daneben hat der Kläger verfahrensrechtliche Fehler vorgetragen. Wenn das SG das Gutachten von P3 nicht für ausreichend überzeugend gehalten habe, sei es wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes gehalten gewesen, eine ergänzende Stellungnahme einzuholen. Ferner habe das SG bei der Übersendung des Gutachtens P3 lediglich die Beklagte um Stellungnahme gebeten, dadurch sei auf Klägerseite der Eindruck entstanden, dass das Gutachten die Klage stütze.


Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 4. Mai 2023 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 22. April 2020 in Gestalt des Bescheids vom 21. September 2020 und des Widerspruchsbescheids vom 28. Oktober 2020 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, als weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 14. März 2006 ein Nervenengpasssyndrom des Nervus tibialis (Tarsaltunnelsyndrom) sowie eine Schmerzstörung mit Einschränkungen beim Stehen, Gehen und Laufen anzuerkennen und dem Kläger Verletztenrente ab dem 22. Januar 2015 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil und ihre Entscheidungen.


Der Senat hat am 26. Oktober 2023 auch zu dem Verfahren vor dem SG Hinweise gegeben. Einen Antrag auf Zurückverweisung des Rechtsstreits hat der Kläger auch danach nicht gestellt.

Sodann hat der Senat G3 und G4 schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. G3 hat am 9. Januar 2024 mitgeteilt, nach der aktenkundigen Vorstellung am 16. Juni 2023 sei der Kläger nicht wieder bei ihm gewesen. Als Orthopäde könne er keine sichere Aussage dazu treffen, ob ein Tarsaltunnelsyndrom oder eine andere Erkrankung, etwa eine Neuritis, vorliege. G4 hat nach mehrfacher Nachfrage (vgl. E-Mail vom 27. Februar 2024) am 11. März 2024 ebenfalls mitgeteilt, der Kläger habe sich bei ihm nicht wieder vorgestellt.
Der Senat hat unter Beifügung dieser Aussagen am 11. März 2024 eine Entscheidung durch Beschluss angekündigt und Frist zur Stellungnahme bis zum 15. April gesetzt.

Daraufhin hat der Kläger (Schriftsatz vom 5. April 2024) einer Beschlussentscheidung ausdrücklich zugestimmt und ergänzend mitgeteilt, er habe sich am 18. Januar 2024 erneut bei G3 vorgestellt und eine Stoßwellentherapie einleiten lassen. Aus dem beigefügten Behandlungsbericht vom 22. Januar 2024 geht die Diagnose „Nervenengpass nach Operation mit Narbe distal des Innenknöchels für den Nervus tibialis posterior“ hervor.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf die Akten der Beklagten, des SG und des Senats verwiesen, insbesondere auf die aktuellen Gerichtsgutachten von S4 und P3 sowie die letzten Behördengutachten von H1 und G2.

II.
Der Senat entscheidet nach § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und daher auch ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter. Er ist einstimmig der Meinung, dass die Berufung des Klägers als unbegründet zurückzuweisen ist. Es ist auch nicht notwendig, die Sach- und Rechtslage in mündlicher Verhandlung erneut zu erörtern, nachdem bereits das SG verhandelt und den Kläger dabei persönlich angehört hat und im Berufungsverfahren keine wesentlichen neuen Erkenntnisse gewonnen werden konnten. Die Beteiligten sind zu einem Beschluss angehört worden. Ihre Anhörung musste auch nicht wiederholt werden, nachdem der Kläger mit dem Schriftsatz vom 5. April 2024 ergänzend vorgetragen und einen Behandlungsbericht von G3 eingereicht hat. Die Beklagte ist durch eine Beschlussentscheidung nicht beschwert und der Kläger hat in dem genannten Schriftsatz trotz seines neuen Vortrags ausdrücklich einem Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG zugestimmt.


Als weitere Folgen des Schulunfalls im Jahre 2006 macht der Kläger im Berufungsverfahren nur noch ein Tarsaltunnelsyndrom und eine Schmerzerkrankung geltend. Soweit er in erster Instanz auch die Anerkennung einer Fußdeformität mit abgeflachtem Längsgewölbe und eines Beckentiefstandes links begehrt hatte, hat er diesen Antrag in seiner Berufungsschrift vom 31. Juli 2023 fallengelassen. Dementsprechend muss der Senat nicht entscheiden, ob bei dem Kläger solche Gesundheitsschäden vorliegen und ob sie ggfs. auf den Unfall zurückzuführen sind (vgl. zu diesem Punkt auch die Hinweise des Senats vom 26. Oktober 2023).
Daneben begehrt der Kläger auch im Berufungsverfahren weiterhin eine Verletztenrente ab dem 22. Januar 2015. Zur Höhe der zu Grunde liegenden MdE hat er sich allerdings nicht geäußert. Der Senat geht daher zu seinen Gunsten davon aus, dass er seinen Rentenantrag auch der Höhe nach nicht beschränkt hat, sondern von einer MdE um „mindestens 20 vH“ ausgeht (vgl. S. 1 der Berufungsbegründung), obwohl er die von der Beklagten bereits zugesprochene Rente nach einer MdE um 20 vH für die Zeit bis zum 21. Januar 2015 so akzeptiert hat.

Eine Zurückverweisung an die erste Instanz nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG hat der Kläger trotz gerichtlicher Hinweise nicht beantragt. Zwar könnte der Senat auch von Amts wegen auf diese Weise verfahren. Jedoch liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass das SG einen Verfahrensfehler begangen hat, als es das Gutachten von P3 ohne ausdrückliche Darlegung seiner vorläufigen Rechtsansicht an die Parteien übersandte und auch keine Nachfragen von Amts wegen (§ 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO) bei dem Wahlgutachter stellte. Wegen der Begründung hierfür wird auf die Hinweise des Senats vom 26. Oktober 2023 verwiesen.
Auf dieser Grundlage ist die Berufung nach §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Klage mit den im Berufungsverfahren aufrechterhaltenen Anträgen ist zwar insgesamt zulässig. Sie ist als Anfechtungs- und Verpflichtungs- bzw. Leistungsklage, diese gerichtet auf ein Urteil dem Grunde nach, statthaft (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, § 130 Abs. 1 SGG). Für alle Anträge steht dem Kläger auch ein ausreichendes Rechtsschutzbedürfnis zur Seite. Dies gilt auch für die Anerkennung eines Tarsaltunnelsyndroms. Zwar hatte die Beklagte mit dem Bescheid vom 22. April 2020 bereits - erneut - ein Tarsaltunnelsyndrom als Unfallfolge anerkannt. Konkret handelte es sich um die 2014 diagnostizierte und 2015 in G1 operierte Erkrankung. Aus den Hinweisen auf die Ausführungen der G2 (3. Mai 2018) und H1 (25. Juni 2018) in diesem Bescheid ergibt sich, dass die Beklagte jenes Tarsaltunnelsyndrom im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als mittelbare Unfallfolge einstufte, weil es durch die Operation in der Sportklinik S1 im Mai 2013, die der Behebung von Unfallfolgen gedient habe, verursacht worden sei. Allerdings hat die Beklagte in dem Bescheid auch festgestellt, das Tarsaltunnelsyndrom sei „austherapiert“. Vor diesem Hintergrund beschränkt sich die Anerkennung auf das damalige, akute Tarsaltunnelsyndrom. Für die weitere Zukunft enthält der Bescheid keine Feststellungen. Der Kläger kann daher zulässigerweise die Anerkennung eines neuen Tarsaltunnelsyndroms beantragen, ggfs. im Sinne einer Wiedererkrankung.
Die Klage ist aber nicht begründet.

Zunächst geht der Senat - wie schon das SG in dem jetzigen Verfahrensdurchgang - davon aus, dass die nunmehr angefochtenen Bescheide formell rechtmäßig sind. Insbesondere liegen keine gravierenden Probleme der Bestimmtheit vor. Die Höhe der MdE, die der bewilligten Verletztenrente zu Grunde lag, ergibt sich in ausreichender Weise aus dem beigefügten Berechnungsbogen, der als Teil der Begründung einzustufen ist.

Auch in der Sache sind diese Bescheide rechtmäßig. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche auf eine (behördliche) Anerkennung der beiden geltend gemachten Gesundheitsschäden (§§ 102 SGB VII, 36a SGB IV) und auf weitere Gewährung einer Verletztenrente (§ 56 Abs. 1 SGB VII) nicht zu.
Eine Gesundheitsfolgestörung ist als Folge eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII anzuerkennen, wenn objektiv eine gesundheitliche Schädigung vorliegt und diese spezifisch durch den Gesundheitserstschaden wesentlich verursacht worden ist. Diese so genannte haftungsausfüllende Kausalität beurteilt sich nach der Lehre von der wesentlichen Bedingung (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2011 - B 2 U 17/10 R -, juris m.w.N.).

Die Zurechnung erfolgt danach in zwei Schritten: Erstens ist die Verursachung der weiteren Schädigung durch den Gesundheitserstschaden im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne festzustellen. Eine Bedingung ist danach notwendige Ursache einer Wirkung, wenn sie aus dem konkret vorliegenden Geschehensablauf nach dem jeweiligen Stand der einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse (Erfahrungssätze) nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Auf dieser ersten Stufe sind alle derartigen notwendigen Bedingungen grundsätzlich rechtlich gleichwertig (äquivalent). Alle festgestellten anderen Bedingungen, die in diesem Sinn nicht notwendig sind, dürfen hingegen bei der nachfolgenden Zurechnungsprüfung nicht berücksichtigt werden. Ist der Gesundheitserstschaden in diesem Sinne eine notwendige Bedingung des weiteren Gesundheitsschadens, wird dieser ihm aber nur dann zugerechnet, wenn er ihn wesentlich verursacht hat, wobei eine wesentliche Mitverursachung ausreichend ist. „Wesentlich“ - und damit zurechnungsbegründend - ist der Gesundheitserstschaden für den weiteren Gesundheitsschaden nach der in der Rechtsprechung des BSG gebräuchlichen Formel, wenn er eine besondere Beziehung zum Eintritt dieses Schadens hatte (vgl. nur BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, juris m.w.N.).

Nach diesem Maßstab kommen auch mittelbar verursachte Beeinträchtigungen als Gesundheitsfolgeschäden in Betracht. Einige, wenn auch nicht alle Konstellationen, in denen eine solche mittelbare Verursachung vorliegt, sind in § 11 Abs. 1 SGB VII kodifiziert. Nach Nr. 1 dieser Norm sind mittelbare Unfallfolgen auch Gesundheitsschäden oder der Tod von Versicherten infolge der Durchführung einer Heilbehandlung, von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder einer Maßnahme nach § 3 BKV einschließlich der dazu notwendigen Wege.

Die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung - im Falle des § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII also z.B. die angeschuldigte Heilbehandlung -  und die als Unfallfolge geltend gemachte - konkrete und klar definierte (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O.) - Gesundheitsstörung müssen im Sinne eines Vollbeweises erwiesen sein, das heißt bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens müssen diese Umstände mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden können (vgl. u.a. BSG, Urteil v. 30. April 1985 - 2 RU 43/84 -, SozR 2200, § 555a Nr. 1, juris). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil v. 9. Mai 2006, a.a.O., auch zum Nachfolgenden). Diese liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Es genügt nicht, wenn der Ursachenzusammenhang nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Dabei ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Denn es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist. Denn dies würde bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen. Es reicht daher zur Begründung des ursächlichen Zusammenhangs nicht aus, gegen diesen Zusammenhang sprechende Umstände auszuschließen (vgl. zu alldem LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 4. April 2013 - L 1 U 2615/11 -, juris).

Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung eines akuten (erneuten) „Nervenengpasssyndroms des N. tibialis (Tarsaltunnelsyndrom)“ oder einer „chronischen Schmerzerkrankung“ als weiterer Folgen des Unfalls.
Von dem Bestehen eines (erneuten, akuten) Tarsaltunnelsyndroms nach dem „Austherapieren“ des bereits anerkannten Syndroms in den Jahren 2015/2016 konnte sich der Senat bereits nicht im Sinne des dafür notwendigen Vollbeweises (vgl. § 128 Abs. 1 SGG) überzeugen.

Bereits der Behördengutachter H1 (Gutachten vom 25. Juni 2018) hat bei seiner Untersuchung keinen „organmedizinisch erklärbaren“ Grund für die Beeinträchtigungen des Klägers festgestellt. Das Tarsaltunnelsyndrom sei vorübergehend gewesen, eine entsprechende MdE habe bis zu der OP in G1 2015 bestanden. Für die Zeit danach sei als gesicherte Diagnose eine chronische Schmerzstörung im Sinne von F45.41 ICD-10 GM anzunehmen.
Auch in der Folgezeit ist eine gesicherte Diagnose eines erneuten Tarsaltunnelsyndroms nicht gestellt worden. Zwar haben mehrere Ärzte auch organische Ursachen für die Beschwerden des Klägers angenommen, aber konkret jeweils andere. So hat G3 anfangs (Bericht über die OP am 22. August 2018) auf eine Synovialitis, ein Basset-Ligament und Knorpelkontusionen als mögliche Ursachen hingewiesen. In seinem Arztbrief vom 18. Juni 2020 verwies er dann auf eine Schleimhautfalte, die möglicherweise die Schmerzen im Fuß bedinge. Der S4 hat dann in seinem Gutachten vom 26. Mai 2021 eine „Irritation des Tarsaltunnels“ beschrieben; aus seinen weiteren Ausführungen („nicht mehr nachweisbare Irritation des N. tibialis“) ergibt sich aber, dass er - wie die Beklagte - das damalige Syndrom für ausgeheilt hielt und kein neues, akutes annahm. In diesem Punkt ist der P3 in seinem Gutachten vom 25. Juli 2022 zu dem gleichen Ergebnis gelangt. Er hat lediglich auf ein „posttraumatisch entstandenes und operativ versorgtes Tarsaltunnelsyndrom“ als vorübergehende Unfallfolge verwiesen. Für die jetzigen Beschwerden des Klägers sei die chronische Schmerzerkrankung verantwortlich.


Die Angaben der behandelnden Ärzte im Berufungsverfahren führen nicht zu einer anderen Einschätzung. G3 hat in seinem Arztbrief vom 20. Juni 2023 nur einen Verdacht auf ein erneutes Syndrom geäußert, G4 hat unter dem 2. August 2023 nur ein „residuelles“ Tarsaltunnelsyndrom als Diagnose angegeben, aber ausdrücklich ausgeführt, aktuell gebe es „keine klassische Kompression“. Die Symptomatik sei, so G4, „eher einer Neuritis entsprechend“. In seiner ergänzenden Zeugenvernehmung vom 9. Januar 2024 hat G3 außerdem darauf hingewiesen, dass er als Orthopäde die fragliche neurologische Unterscheidung - ob ein Tarsaltunnelsyndrom zu diagnostizieren sei - nicht sicher treffen könne. Zwar hat er dann in dem Arztbrief vom 22. Januar 2024, den der Kläger zuletzt vorgelegt hat, als Diagnose einen „Nervenengpass (…) für den N. tibialis posterior“ genannt und eine Stoßwellentherapie eingeleitet. Für den Senat reichte diese Angabe aber nicht als Grund für weitere Ermittlungen aus, denn dass dieser - dauerhaft vorhandene - Nervenengpass inzwischen ein erneutes Tarsaltunnelsyndrom ausgelöst hätte, ergibt sich aus dem Arztbrief nicht.

Die chronische Schmerzstörung, die der Kläger außerdem als weitere Unfallfolge geltend macht, liegt dagegen vor. Dabei muss der Senat nicht entscheiden, wie sie diagnostisch im Einzelnen einzuordnen ist. Ein CRPS jedenfalls (G90.5 ff. ICD-10 GM) liegt nicht vor, dafür fehlen objektive Indizien (livide Verfärbung, asymmetrisches Haarwachstum, Überwärmung, Ausweitung auf andere Körperteile; vgl. die entsprechende Untersuchung bei S4 auf S. 7 seines Gutachtens). Nicht zu entscheiden ist hier in der medizinisch-fachlichen Auseinandersetzung, ob eine somatoforme Schmerzstörung (F45.40) vorliegt, was möglicherweise H4 angenommen hat (vgl. zur Würdigung seiner diagnostischen Einordnung die Hinweise des Senats vom 26. Oktober 2023), oder ob die Erkrankung eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41) darstellt, was insbesondere der P3 mit Vehemenz vertreten hat.
Unabhängig davon, in welche dieser beiden Kategorien die Erkrankung des Klägers einzuordnen ist, beruht sie jedenfalls nicht mit Wahrscheinlichkeit auf dem Unfall 2006 oder der Operation 2013 als wesentlicher Ursache.

Beide mögliche Erkrankungen, auch die chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, sind bereits nach medizinischer Einordnung nicht ohne Weiteres wesentlich durch einen körperlichen Schaden verursacht. Sie gehört zu den multifaktoriell bedingten Erkrankungen (bio-psycho-soziales Erklärungsmuster, vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Oktober 2022 – L 10 U 3619/20 –, Rn. 55, juris). Außer dem P3 haben alle anderen Ärzte, auch wenn sie ebenfalls eine Diagnose nach F45.41 gestellt haben, die psychische Komponente der Schmerzen in den Vordergrund gerückt und nicht die Folgen des Unfalls aus dem Jahre 2006 oder der OP in der Sportklinik 2013.

Für die Zeit zwischen dem Unfall 2006 und dem erstmaligen Auftreten der Beschwerden 11/2012 fehlen bereits Brückensymptome, die aber auch bei dieser Krankheit zu fordern sind (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juli 2018 - L 6 U 2309/17 -, Rn. 50, juris). Eine Verursachung durch den Unfall direkt kann daher nicht angenommen werden.

In der Zeit nach der OP 2013 in der Sportklinik, die möglicherweise die mittelbare Ursache des Tarsaltunnelsyndroms war, lagen dagegen durchgängig Schmerzen vor, mit einer kurzen Unterbrechung nach der Operation in G1 im Januar 2015. Auch für diesen Zeitraum überwiegen aber die Indizien, die für eine Verselbstständigung des Schmerzerlebens sprechen. Insbesondere H1 hat herausgearbeitet, dass zumindest die Aufrechterhaltung des Schmerzerlebens auch nach der Tarsaltunnel-OP in G1 2015 wesentlich auf unfallfremden Umständen beruht. Er hat in seinem Gutachten eine maladaptive Kognition in Form von gedanklicher Einengung auf das Schmerzerleben und erhebliche familiäre, soziale und existenzielle Konsequenzen und damit ein maladaptives Schmerzverhalten wie Schon- und Fehlhaltung mit der Folge der körperlichen Dekonditionierung als wesentliche aufrechterhaltende psychische Faktoren der Schmerzstörung angenommen. Diese Einschätzung, für die Schmerzen ständen mindestens seit der Operation des Tarsaltunnelsyndroms psychische oder persönlichkeitsimmanente Ursachen im Vordergrund, haben der Schmerztherapeut K1 (bereits im September 2015), A2, und selbst die M1-Klinik in G1 (Bericht vom 1. Juli 2017) geteilt. Auch in der Sache erscheint sie nachvollziehbar, denn die Operation im Januar 2015 war erfolgreich verlaufen und der Zustand des Klägers war bei der Entlassung aus der Klinik gebessert. In die gleiche Richtung spricht die Therapieresistenz gegen eine körperliche Verursachung. Es erscheint zweifelhaft, dass die Vielzahl der Behandlungen durch verschiedene Ärzte, denen sich der Kläger in den letzten Jahren vorgestellt hat - zuletzt wurde eine Stoßwellentherapie eingeleitet -, gerade in diesem Einzelfall versagt haben. Auch die zweifelhafte Ausprägung und Verortung der Schmerzen spricht dagegen, dass sie beweisbar von einem Körperschaden herrühren. So hat der Kläger selbst bei P3 keine zielführende Schmerzbehandlung mitgeteilt, weder medikamentös noch in ausreichendem Maße physiotherapeutisch, selbst eine Bandage am Fuß hat er nicht getragen, obwohl sie nach seiner eigenen Behauptung Linderung bewirkte. Auch die seitengleiche Bemuskelung beider Beine, wie sie insbesondere S4 als Orthopäde überprüft hat, spricht gegen einen schmerzbedingten Mindergebrauch des linken Beins, sondern allenfalls für ein diffuses, nicht somatisch bedingtes Schmerzerleben.
Ein Anspruch auf Verletztenrente liegt deswegen nicht vor, weil jene funktionellen Einbußen, die der Kläger auf Grund des Unfalls bzw. der Operation in S1 2013 dauerhaft davongetragen hat, nicht zu einer MdE um wenigstens 20 vH (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII) führen. Diese MdE ist in seinem Falle aber notwendig, nachdem er andere Arbeits- oder Entschädigungsfälle im Sinne von § 56 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 SGB VII, die u.U. zu einem Rentenanspruch schon ab einer MdE um 10 vH führen können, auch auf Nachfrage nicht vorgetragen hat.


Die Höhe der MdE auf Grund der Folgen eines Versicherungsfalls bemisst sich gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten medizinischen Erfahrungssätze sind dabei zu beachten (Hessisches LSG, Urteil vom 14. Juni 2019 - L 9 U 167/18 -, juris, Rn. 32). Sie binden zwar nicht im Einzelfall, bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R -, juris, Rn. 12). Dabei ist die MdE grundsätzlich in 10-er-Graden festzustellen. Ob zumindest bei einer Erstfeststellung auch 5-er-Grade zuerkannt werden können (vgl. zu nachträglichen Veränderungen § 73 Abs. 3 SGB VII), ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt (bejahend LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 9. März 2017 - L 6 U 1971/16 -, juris, Rn. 36; aA noch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. März 2015 - L 6 U 3485/13 -, juris, Rn. 31).

Vor diesem Hintergrund bedingen die Folgen des als Versicherungsfall anerkannten Schulunfalls des Klägers zumindest in dem jetzt streitigen Zeitraum ab dem 22. Januar 2015 eine MdE unterhalb von 20 vH.

Als Folgen der Sprunggelenksfraktur sind bei dem Kläger im Wesentlichen Bewegungseinschränkungen zurückgeblieben. Nach den bestehenden Erfahrungssätzen führt z.B. eine Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk von 0/0/30° zu einer MdE von zehn v.H. (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Ziffer 8.12.8, S. 712). Gegebenenfalls können weitere Einschränkungen motorischer Art, aber auch sensible Störungen, die MdE geringfügig erhöhen, wobei allerdings die „üblichen“ Schmerzen - soweit sie durch die körperlichen Schäden bedingt sind - in der MdE-Bewertung dieser körperlichen Schäden enthalten sind. Bei dem Kläger liegen danach nur geringfügige Beeinträchtigungen vor. So war die Hebung/Senkung des linken OSG am 30. Juli 2015 in G1 im Vergleich zur rechten Seite nur leichtgradig, also nicht einmal messbar, eingeschränkt. Es gab keine Paresen und keine Hypästhesien im Bereich des linken Fußes. Bei der Begutachtung durch A1 betrugen die Hebung/Senkung links 15/0/30° (demgegenüber rechts 20/0/40°). G2 hat links 20/0/40° gegenüber rechts 30/0/40° gemessen. Bei der Messung der Umfangsmaße auf Höhe des Sprunggelenkes haben keine Differenzen bestanden. Die Beweglichkeit beider unterer Sprunggelenke sowie der Zehengelenke war mit 4 von 4 regelrecht. Des Weiteren hat sich bei der Untersuchung der unteren Extremität rechts wie links sowohl über den Extensoren als auch beiden Flexoren ein Kraftgrad mit 5 von 5 gezeigt. Und letztlich hat S4 links 15/0/40° und rechts 20/0/40° gemessen. Diese Beweglichkeiten sind deutlich besser als für eine MdE um 10 vH vonnöten wären. Insbesondere liegt bei dem Kläger noch eine ausreichende Hebung vor, sodass er beim Gehen abrollen kann. Angesichts dieser Werte liegt allenfalls eine MdE um genau 10 vH vor, selbst wenn man eine geringgradige Einschränkung im USG, wie von A1 festgestellt, zusätzlich berücksichtigt.
Weitere funktionelle Einbußen auf Grund des Unfalls oder eventuell der Operation in der Sportklinik S1 sind nicht vorgetragen oder ersichtlich.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
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