L 4 SO 120/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 27 SO 159/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 120/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze


1. Kenntnis i.S.d. § 18 SGB XII und § 25 SGB XII liegt im Grundsatz vor, wenn dem Sozialhilfeträger die konkrete Möglichkeit eines sozialhilferechtlichen Bedarfs bzw. hinreichende Anhaltspunkte für die Hilfegewährung bekannt sind und er aufgrund dieser Umstände die Notwendigkeit zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen sehen muss.

2. Das Tatbestandsgleichstellungsgebot des Art. 5 VO (EG) 883/2004 ist nicht auf die Anwendung der Kollisionsnormen der VO (EG) 883/2004 zu erstrecken.
 


I.    Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 22. Mai 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II.    Die Beteiligten haben in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten. Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme von entstandenen Behandlungskosten für den deutschen Staatsangehörigen D. H., geb. 1948 (nachfolgend: Patient), nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) für den Zeitraum vom 4. April 2020 bis 20. April 2020.

Der Patient wurde in der Bundesrepublik Deutschland am 31. Oktober 2007 nach unbekannt von Amts wegen abgemeldet und wohnte zuletzt in E-Stadt/Spanien. Er wurde am Donnerstag, den 4. April 2013 um 4:20 Uhr im Klinikum der M.-Universität, deren Trägerin die Klägerin ist, aufgenommen. Der Patient gab während der Aufnahme im Krankenhaus an, der Grenzübertritt aus dem Ausland habe am 4. April 2013 ca. um 1.00 Uhr nachts stattgefunden („Strassbourg/Mulhouse“). Hinsichtlich der Einkommensverhältnisse und des zuletzt ausgeübten Berufs wurden keine Angaben gemacht. Er habe in Spanien keine Sozialhilfe bezogen. Die Aufnahme erfolgte seitens der Klägerin als Notfall wegen Leberzirrhose und akutem Nierenversagen. Operationen wurden am 10. und 16. April 2013 durchgeführt. Die Klägerin meldete den Erstattungsanspruch am 4. April 2016 bei der Beklagten (Faxversand um 14:26 Uhr – Anlage K1 Bl. 96 der Akte) unter Bezeichnung des Namens und Geburtsdatums des Patienten, des Aufnahmetages und der Fachabteilung wie folgt an: „Kostenträger ungeklärt. (…) der Obengenannte musste als Notfall stationär im Klinikum (…) aufgenommen werden. Da ein Zahlungspflichtiger bis heute noch nicht feststeht und sich Ermittlungen voraussichtlich noch über einen längeren Zeitraum hinziehen werden, melde ich hiermit meinen Erstattungsanspruch gegenüber dem Träger der Sozialhilfe an. Sollten meine Feststellungen ergebnislos verlaufen, erhalten sie unaufgefordert eine gültige Kostenanmeldung mit dem wirtschaftlichen Fragebogen (…) gemäß den Vorschriften des SGB XII nachgereicht.“ 

Die Klägerin stellte unter dem Datum vom 8. April 2013 – eingegangen am 17. April 2013 – einen Kostenerstattungsantrag im Rahmen einer Notfallbehandlung gemäß § 25 SGB XII beim Jugend- und Sozialamt der Beklagten. 

Der Patient verstarb am XX.XX.2013. Ausweislich der Beklagtenakte stellte die Klägerin am 8. August 2013 der Beklagten 34.589,96 € in Rechnung.

Am 22. April 2013 sprach der Sohn des Patienten beim Jugend- und Sozialamt vor und gab an, sein Vater sei gelernter Buchbinder gewesen. Zuletzt habe er ihn im Jahr 2011 während eines Urlaubs in Mallorca getroffen. Er sei nach Spanien ausgewandert und habe dort mit seiner Lebensgefährtin gelebt. Diese habe Anfang April 2013 angerufen und dem Sohn mitgeteilt, dass es dem Patienten schlecht ginge. Deshalb sei der Sohn Anfang April 2013 mit dem Flugzeug nach Spanien geflogen, um ihm zu helfen. Dort habe er den Vater in eine Klinik einweisen wollen. Dies sei ihm aber verweigert worden mangels Krankenversicherung. Daraufhin habe ein Bekannter des Vaters ihm geholfen, diesen nach Deutschland zu bringen. Nach dem Grenzübertritt am 4. April 2013 sei er in der Universitätsklinik als Notfall eingeliefert und dort operiert worden. Weiter gab der Sohn des Patienten an, dass sein Vater bis zum Jahre 2006 bei der Beigeladenen krankenversichert gewesen sei. Dort habe er am 12. April 2013 einen Wiederaufnahmeantrag abgegeben. Die Bearbeitung sei von dort verweigert worden, da keine Meldeadresse in Deutschland vorliege. Der Vater habe zuletzt weder über Einkommen oder Vermögen verfügt. Die Lebensgefährtin habe alles, was sie habe mitnehmen können, an sich genommen (Bl. 12 Verwaltungsakte – VA). In einem Antrag auf Übernahme der Begräbniskosten gab der Sohn des Patienten an, der Patient habe zuletzt weder über Einkommen noch Vermögen verfügt (Bl. 67 VA).

Mit Bescheid vom 26. März 2014 (Bl. 64 VA) lehnte das Jugend- und Sozialamt der Beklagten den Antrag auf Kostenübernahme der stationären Behandlungskosten ab. Zur Begründung führte es aus, der Anspruch des Hilfebedürftigen auf Krankenschutz durch einen Träger der Krankenversicherung gehe einem Anspruch auf Krankenhilfe aus Sozialmitteln gemäß § 25 SGB XII vor. Maßgeblich für die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 a) Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) sei, dass die letzte Krankenversicherung vor dem fehlenden anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall eine gesetzliche Krankenversicherung gewesen sei. Laut Angaben der Beigeladenen sei der Patient bis zum 31. Januar 2007 bei der Beigeladenen versichert gewesen. Dabei sei unbeachtlich, dass die Krankenversicherung nicht bis unmittelbar vor dem Behandlungszeitraum bestanden habe.

Durch Widerspruchsbescheid vom 10. August 2017 (Bl. 314 VA) wies die Beklagte unter dem Betreff „Ablehnung von Leistungen nach § 25 SGB XII“ den dagegen erhobenen Widerspruch (Bl. 268 VA) – eingegangen am 28. April 2014 – zurück und führte aus, im vorliegenden Widerspruchsfall seien nicht alle Voraussetzungen des § 25 SGB XII gegeben gewesen. Vorliegend sei sie aufgrund des Nachranggrundsatzes der Sozialhilfe nicht zur Erstattung der entstandenen Behandlungskosten verpflichtet gewesen, da hier ein vorrangiger Leistungsträger vorhanden gewesen sei. Der Patient sei laut Angaben der Beigeladenen bis zum 31. Januar 2007 bei dieser Kasse gesetzlich versichert gewesen. Sie wäre daher verpflichtet gewesen, den Patienten wiederaufzunehmen. Der Hinweis auf den Leistungsausschluss gemäß § 52a SGB V, wonach kein Anspruch auf Leistungen besteht, wenn sich Personen in den Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs begeben, um missbräuchlich Leistungen in Anspruch zu nehmen, gehe hier fehl, da es sich dabei lediglich um unbewiesene Behauptungen handele. Dem Antragsformular der Widerspruchsführerin ließen sich keine Hinweise entnehmen, dass der Patient sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs begeben habe, um missbräuchlich Leistungen in Anspruch zu nehmen. Fest stehe nur, dass der Patient in D-Stadt/Deutschland geboren sei und den größten Teil seines Lebens in Deutschland verbracht habe. Von 2011 bis 2013 habe er für 2 Jahre im europäischen Ausland gelebt. Diese Tatsache schließe ihn jedoch nicht von der Pflicht der gesetzlichen Krankenkasse aus, ihn auf Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V wiederaufzunehmen. Die deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung-Ausland (DVKA) habe sich mit grenzüberschreitenden Sachverhalten hinsichtlich der Wiederaufnahme in die Krankenversicherung befasst. In der Anlage zum DVKA Rundschreiben Nr. 35/2007 vom 2. Juli 2007 habe sie darauf hingewiesen, dass in EU-Staaten bzw. der Schweiz eingetretene Sachverhalte aufgrund gefestigter Rechtsprechung des EuGHs mit solchen, die in Deutschland aufgetreten sind, gleichzustellen seien. Dabei stelle es in seiner Auslegung fest: „Ein gleichzustellender Tatbestand ist auch der Wohnort im EU-Ausland bzw. der Schweiz, wenn aufgrund der Bestimmungen der Verordnung EWG Nr. 1408/71 für eine Person die deutschen Rechtsvorschriften anzuwenden sind. Dies gilt z.B. für Arbeitnehmer, Selbständige und Rentner". Ein solcher Fall sei vorliegend gegeben. In der Anlage zum DVKA-Rundschreiben werde unter Ziffer 1.3 „Auslandsrückkehrer" ausgeführt, dass bei einem Auslandsaufenthalt in einem EWR-Staat (hier: Spanien) für die Prüfung der Voraussetzung „zuletzt krankenversichert" auf den Versicherungsstatus während des Auslandsaufenthalts abzustellen sei. Da vorliegend der Patient zwischenzeitlich lediglich für kurze Zeit nach Spanien ausgewandert gewesen sei, sei die Verordnung EWG Nr. 1408/71 auf ihn anzuwenden. Die Behauptung der Widerspruchsführerin, er müsse einen Wohnsitz in Deutschland nachweisen, gehe dadurch ins Leere, dass der Patient seinen Wohnort im EU-Ausland gehabt habe, weshalb ein gleichzustellender Tatbestand gegeben sei. Der Patient sei zuletzt bis 31. Januar 2007 bei der Beigeladenen, also bei einer gesetzlichen Kasse, versichert gewesen. In Spanien sei er keinesfalls privat krankenversichert gewesen. Daher habe es kein Ausschlusskriterium für eine Wiederaufnahme in die gesetzliche Versicherung gegeben. Somit habe unbeschadet seines Auslandsaufenthalts weiterhin die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. Nr. 13 SGB V bestanden und damit die Pflicht der Beigeladenen, ihn wieder in das Versicherungssystem aufzunehmen. Ein vorrangiger Leistungsträger sei vorhanden gewesen.

Dagegen hat die Klägerin am 14. September 2017 Klage erhoben, gerichtet auf Aufhebung des Bescheides vom 26. März 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2017 und Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der Behandlungskosten zzgl. Zinsen, hilfsweise auf Kostenübernahme durch die Beigeladene. 

Die Klägerin hat vorgetragen, der Patient sei bedürftig gewesen. Sie ist der Rechtsauffassung gewesen, die Ausführungen zur VO (EWG) Nr. 1408/71 überzeugten nicht, sie beträfen nur versicherte Auslandsrückkehrer. Der Patient sei aber nicht nur vorübergehend im Ausland gewesen.

Die Beklagte hat die Rechtsauffassung vertreten, dass die Beigeladene kraft Gesetzes zur Zahlung verpflichtet sei, denn der Patient sei bei der Beigeladenen krankenversichert gewesen. Der tatsächliche Aufenthalt sei ausreichend.

Die Beigeladene hat vorgetragen, der Patient sei nicht bei ihr krankenversichert gewesen. Der Patient habe in Spanien keinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt, da er nicht dort versichert gewesen sei. Eine Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V scheide aus, da der Patient auch in Deutschland keinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe (§ 30 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – SGB I). Selbst wenn die Einreise ausreichen sollte, wo für nichts spräche, stünde der Versicherung § 52a SGB V entgegen. Ein Anspruch auf Sachleistungsaushilfe durch die Beigeladene zugunsten einer Versicherung im EU-Ausland bestehe nicht, da eine solche Versicherung nicht bestehe.

Der Zeuge S. hat schriftlich gegenüber dem Sozialgericht angegeben, er habe durch seinen BAföG-Antrag erfahren, dass sein Vater vor seiner Ausreise nach Spanien ca. zwanzig Jahre von Sozialhilfe gelebt habe. Seine letzte Adresse in Deutschland sei die C-Straße in C-Stadt gewesen. Angaben über frühere Arbeitgeber könne er nicht machen.

Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat mit Gerichtsbescheid vom 22. Mai 2020 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. März 2014 und des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2017 verurteilt, die Kosten der Behandlung des Patienten D. H. im Zeitraum vom 4. bis 20. April 2014 i.H.v. 34.589,96 € zu übernehmen. Die zulässige Klage sei begründet, da der im Tenor genannte Bescheid rechtswidrig sei und die Klägerin in ihren Rechten verletze. Die Beigeladene sei nicht leistungspflichtig, weil der Patient nicht bei ihr versichert gewesen sei. Jedenfalls scheide eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V aus, denn die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 52a SGB V seien erfüllt gewesen. Der Patient sei am 4. April 2013 um ca. 1:00 Uhr nach Deutschland eingereist und habe sich bereits um 4:20 Uhr ins Krankenhaus begeben. Damit sei zur Überzeugung des Gerichts bewiesen, dass der Patient nur deshalb nach Deutschland gekommen sei, um sich in deutsche stationäre Krankenbehandlung zu begeben, ohne in Spanien oder Deutschland krankenversichert zu sein. Die Kammer sei davon überzeugt, dass der Patient im streitigen Zeitraum dem Grunde nach sozialhilfebedürftig gewesen sei. Das ergebe sich aus dem Umstand, dass der Patient bereits im Jahre 1980 drogensüchtig gewesen sei und ihm eine Drogen-Langzeittherapie vom Landeswohlfahrtsverband Hessen bewilligt worden sei. Zwar sei er gelernter Buchbinder gewesen, aber die Kammer halte es für ausgeschlossen, dass der Patient Vermögen in Spanien erworben gehabt habe. Ob sein Sohn dem Patienten gegenüber unterhaltspflichtig gewesen sei, sei für den vorliegenden Rechtsstreit unerheblich. Einwendungen gegen die Berechnung der Behandlungskosten habe die Beklagte nicht erhoben und seien auch nicht erkennbar. Die Höhe der Zinsen seien von der Beklagten nach § 44 SGB I bei Erfüllung zu berechnen.

Der Gerichtsbescheid ist der Beklagten am 25. Mai 2020 zugestellt worden.

Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist am 27. Mai 2020 bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingegangen.

Die Beklagte trägt vor, das Sozialgericht habe das Vorliegen des Missbrauchstatbestandes nach § 52a SGB V allein auf die Tatsache der Einreise nach Deutschland und der kurz darauffolgenden Einweisung ins Krankenhaus gestützt. Dies sei nicht ausreichend, denn ein nur bedingter Vorsatz sei hierfür nicht ausreichend. Das Sozialgericht habe die Missbrauchsabsicht nur auf Unterstellungen und Vermutungen gestützt. Eine Verpflichtung der Beklagten lasse sich auch nicht aus § 25 SGB XII ableiten. Für eine Sozialhilfebedürftigkeit des Patienten habe es keine Anhaltspunkte gegeben. Der Eilfall nach § 25 SGB XII ende in jedem Fall in dem Zeitpunkt, zu dem der Sozialhilfeträger wieder dienstbereit sei und von dem Hilfefall in Kenntnis gesetzt werden könne, unabhängig davon, ob das Krankenhaus seiner Obliegenheit nachgekommen sei oder nicht. Der Tag der Kenntniserlangung werde in Gänze nicht vom Nothelferanspruch erfasst.

Hinsichtlich eines Anspruches nach § 19 Abs. 6 SGB XII werde mitgeteilt, dass für den Zeitraum nach Kenntniserlangung bis zum Tod des Patienten eine abschließende Entscheidung ergangen sei und zwar durch den ablehnenden Bescheid des Jugend- und Sozialamtes vom 26. März 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2017. Bei einem Krankenhaus handele sich auch nicht um eine „Einrichtung“ im Sinne des Gesetzes. Stationäre Einrichtung seien Einrichtungen, in denen Leistungsberechtigte lebten und die erforderlichen Hilfen erhielten. Abzustellen sei auf § 75 Abs. 1 Satz 1 SGB XII und § 13 SGB XII. Der Aufenthalt im Krankenhaus sei stets nur vorübergehender Natur und diene keinesfalls dem Wohnen.

Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 22. Mai 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit sie gegen die Beklagte gerichtet war.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin trägt vor, hinsichtlich des Zeitpunktes der Kenntniserlangung sei bei § 25 SGB XII nicht auf die vorsorgliche Anmeldung vom 4. April 2013 abzustellen, sondern auf die umfassende Anmeldung des Kostenerstattungsanspruchs vom 8. April 2013. Insoweit sei eine pro rata temporis-Berechnung vorzunehmen. Ein Krankenhaus sei eine Einrichtung im Sinne von §§ 13, 75 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Der Anspruch bestehe daher auch nach § 19 Abs. 6 SGB XII.

Ohne einen Antrag zu stellen trägt die Beigeladene vor, sie sei nicht leistungspflichtig. Sie schließe sich einem rechtlichen Hinweis des Senats zu Art. 11 VO (EG) 883/2004 an; für die Frage des anzuwendenden Rechts dürfte Art. 11 Abs. 3 lit. e) VO (EG) 883/2004 greifen. Denkbar wären lediglich Ansprüche gegen einen spanischen Sozialversicherungsträger, die im Rahmen der VO (EG) 883/2004 über eine deutsche Krankenkasse abgewickelt werden könnten. Dies begründe allerdings kein Vergütungsanspruch der Klägerin gegen die Beigeladene.

Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll vom 20. März 2024 verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet, denn entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts ist die Klage sowohl hinsichtlich des Haupt- als auch des Hilfsantrages unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch aus § 25 SGB XII. Hat jemand in einem Eilfall einem Anderen Leistungen erbracht, die bei rechtzeitigem Einsetzen von Sozialhilfe nicht zu erbringen gewesen wären, sind ihm nach dieser Vorschrift die Aufwendungen in gebotenem Umfang zu erstatten, wenn er sie nicht auf Grund rechtlicher oder sittlicher Pflicht selbst zu tragen hat. Dies gilt nach § 25 Satz 2 SGB XII nur, wenn die Erstattung innerhalb angemessener Frist beim zuständigen Träger der Sozialhilfe beantragt wird. Dabei wird der Eilfall u.a. durch das sog. „sozialhilferechtliche Moment“ geprägt. Das sozialhilferechtliche Moment erfordert grundsätzlich, dass eine rechtzeitige Leistung des Sozialhilfeträgers objektiv nicht zu erlangen war, der Sozialhilfeträger also nicht eingeschaltet werden konnte (auch zum Folgenden: BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 8 SO 13/12 R – juris Rn. 17 m.w.N.). Der Anspruch des Nothelfers besteht in Abgrenzung zum Anspruch des Hilfebedürftigen nur dann, wenn der Sozialhilfeträger keine Kenntnis vom Leistungsfall hat und ein Anspruch des Hilfebedürftigen gegen den Sozialhilfeträger (nur) deshalb nicht entsteht (vgl: BSG a.a.O.; BVerwG, Beschluss vom 17. Juli 1992 – 5 B 69/92 –, juris Rn. 6 m.w.N). Der Mangel der Kenntnis des Trägers der Sozialhilfe wird tatbestandlich von § 25 Satz 1 SGB XII vorausgesetzt („... bei rechtzeitigem Einsetzen der Sozialhilfe ..."), weil mit der Kenntnis i.S. des § 18 SGB XII bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen für einen Anspruch nach dem SGB XII die Sozialhilfe „einsetzt“ (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 7 AY 2/12 R). Die Kenntnis des Sozialhilfeträgers bildet damit die Zäsur für die sich gegenseitig ausschließenden Ansprüche des Nothelfers und des Hilfebedürftigen. Ein Eilfall liegt deshalb nur dann vor, wenn keine Zeit zur Unterrichtung des zuständigen Sozialhilfeträgers verbleibt, um zunächst dessen Entschließung über eine Gewährung der erforderlichen Hilfe abzuwarten bzw. um die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe zu schaffen.

Das Bundessozialgericht setzt damit stillschweigend voraus, dass im Regelfall das Krankenhaus über hinreichende Angaben des Patienten verfügt, die im Falle der Unterrichtung des Trägers ein Einsetzen der Sozialhilfe nach § 18 SGB XII begründet. Ausnahmefälle hat das Bundessozialgericht anerkannt, wenn die Umstände des Einzelfalls eine Einschaltung aus Sicht des Nothelfers nicht nahelegen, weil etwa nach dem (unzutreffenden) Kenntnisstand des Nothelfers die Leistungspflicht einer gesetzlichen Krankenkasse besteht (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 8 SO 13/12 R – juris Rn. 17). Für die Kenntnis nach § 18 SGB XII wie § 25 SGB XII ist es ausreichend, dass die Notwendigkeit der Hilfe dargetan oder sonst wie erkennbar ist, nicht aber in welchem Umfang die Hilfe geleistet werden muss (vgl. auch zum Folgenden BSG, Urteil vom 28. August 2018 – B 8 SO 9/17 RNZS 2019, 423 Rn. 18). Da § 18 SGB XII zum Schutz des Hilfebedürftigen einen niedrigschwelligen Zugang zum Sozialhilfesystem sicherstellen will, muss z.B. nicht feststehen, in welchem Umfang die Hilfe geleistet werden muss. Deshalb wird die Kenntnis iS von § 18 SGB XII durch die positive Kenntnis vom spezifischen Bedarfsfall vermittelt, nicht erst durch den konkreten finanziellen Bedarf. Dem entspricht die obergerichtliche Rechtsprechung, wenn sie z.B. darauf hinweist, dass der Sozialhilfeträger nur einen „Kern an Tatsachen, der die Notlage in ihren wesentlichen Grundlagen beschreibt“ kennen müsse (so Sächsisches LSG, Urteil vom 6. März 2013 – L 8 SO 4/10BeckRS 2013, 68920), oder „dem Sozialhilfeträger die konkrete Möglichkeit eines sozialhilferechtlichen Bedarfs bzw. hinreichende Anhaltspunkte für die Hilfegewährung bekannt“ sein müsse (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. November 2010 – L 1 SO 8/10, SRa 2011, 69; im Erg. zustimmend: Armborst, in: Bieritz-Harder/Conradis/Thie, LPK-SGB XII, 12. Aufl. 2020, § 18 Rn. 4; ablehnend Deckers, in: Grube/Wahrendorf/ Flint, SGB XII/AsylbLG, 8. Aufl. 2024, § 18 Rn. 22). Der Senat folgt diesem eher weiten Verständnis bei der Auslegung der „Kenntnis“; auslegungsleitend ist der gesetzgeberische Wille, einen niedrigschwelligen Zugang zum Sozialhilfesystem sicherzustellen; mithin ist für eine Kenntnis weniger als bei einer Antragstellung zu fordern. Im Grundsatz liegt Kenntnis daher vor, wenn dem Sozialhilfeträger die konkrete Möglichkeit eines sozialhilferechtlichen Bedarfs bzw. hinreichende Anhaltspunkte für die Hilfegewährung bekannt sind und er aufgrund dieser Umstände die Notwendigkeit zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen sehen muss. 

Gemessen an diesem Maßstab war es für den Kenntnisgrundsatz hinreichend, dass die Klägerin am Aufnahmetag – einem Donnerstag – die stationäre Aufnahme in der Gastroenterologie unter Angabe von Name und Geburtsdatum des Klägers und dem Aufnahmetag mit dem Hinweis: „Kostenträger ungeklärt“ angezeigt und die Erläuterung hinzugefügt hat: „Da ein Zahlungspflichtiger bis heute nicht feststeht und sich die Ermittlungen voraussichtlich noch über einen längeren Zeitraum hinziehen werden, melde ich hiermit meinen Erstattungsanspruch gegenüber dem Träger der Sozialhilfe an.“ Auch wurde das Nachreichen des wirtschaftlichen Fragebogens nach dem SGB XII angekündigt. Konsequent sah der Sozialhilfeträger bereits bei dieser vorsorglichen Anmeldung Anlass zur Amtsermittlung, wie ein Antwortfax auf die Anmeldung belegt. Die konkludente Erklärung, dass jemand gerade nicht als Selbstzahler aufgenommen werde und die Zahlungspflicht ungeklärt sei, gibt jedenfalls im Kontext einer Hilfe zur Gesundheit hinreichenden Anlass, von einer für das Einsetzen der Sozialhilfe hinreichenden Kenntnis vom Leistungsfall, insbesondere einer Bedürftigkeit dem Grunde nach auszugehen, jedenfalls in dem Sinne, dass Anlass zur Amtsermittlung besteht.

Der Tag, an dem der Sozialhilfeträger Kenntnis erlangt hat bzw. an dem der Nothelfer ihm Kenntnis hätte verschaffen können und an dem deshalb der Eilfall endete, ist vollständig nicht vom Nothelferanspruch erfasst (Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 15. Juni 2022 – L 9 SO 58/18, BeckRS 2022, 27095, Rn. 35, NZS 2023, 229; jurisPK-SGB XII/Waldhorst-Kahnau, § 25 Rn. 28; Bieback, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 8. Aufl. 2024, § 25 Rn. 47 m.w.N.; wohl auch BSG, Beschluss vom 1. März 2018 – B 8 SO 63/17 B – juris Rn. 8). Insoweit scheidet auch eine pro-rata-temporis-Berechnung zugunsten der Klägerin aus.

Der Senat prüft die Anfechtungs- und Leistungsklage des Klägers gegen die Beklagte nicht am Maßstab des § 19 Abs. 6 SGB XII. Hiernach steht der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld, soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat.

Die Klägerin hat – ohne ausdrücklich eine Klageänderung vorzunehmen – erstmals im Berufungsvortrag Rechtsausführungen zu einem Anspruch nach § 19 Abs. 6 SGB XII gemacht. Insofern bedürfte es einer Klageerweiterung i.S.d. § 99 Abs. 1 SGG. Eine Klageänderung ist eine Änderung des Streitgegenstands. Es gilt der zweigliedrige Streitgegenstandsbegriff, der sich aus Klageantrag (prozessualer Anspruch) und Klagegrund (Lebenssachverhalt) zusammensetzt (ausführlich auch zum Folgenden: Senatsurteil vom 23. November 2022 – L 4 SO 53/20 –, juris Rn. 61 ff). Zwar mag die Rechtsfolge aus § 25 SGB XII und § 19 Abs. 6 SGB XII weitgehend identisch sein; der Klagegrund – der zur Entscheidung gestellte Lebenssachverhalt – unterscheidet sich aufgrund der unterschiedlichen Konstruktion der Anspruchsgrundlagen erheblich. Dabei hat der Senat zu berücksichtigen, dass es im sozialgerichtlichen Verfahren zur Eingrenzung des maßgeblichen Lebenssachverhalts nicht allein auf den Tatsachenvortrag des Klägers ankommen kann. Der zur Entscheidung gestellte Tatsachenkomplex wird durch den Amtsermittlungsgrundsatz mittelbar beeinflusst; deshalb kann bei Abgrenzung des Lebenssachverhalts der von den Tatbestandsvoraussetzungen des materiell-rechtlichen Anspruchs vorausgesetzte Lebenssachverhalt nicht außer Betracht bleiben. Zum Klagegrund „sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Beteiligten ausgehenden, den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht zu unterbreiten hat (…). Eine Mehrheit von Streitgegenständen liegt auch bei gleichem Antrag dann vor, wenn die materiell-rechtliche Regelung die zusammentreffenden Ansprüche erkennbar unterschiedlich ausgestaltet, weil die Tatbestandsvoraussetzungen an unterschiedlichen Lebenssachverhalten anknüpfen“ (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – B 1 KR 70/12 R – Rn. 32). § 25 SGB XII begründet einen originären Anspruch des Krankenhauses, wenn mangels Kenntnis vom Anspruch des eigentlich Berechtigten die Sozialhilfe nicht rechtzeitig erbracht werden kann. § 19 Abs. 6 SGB XII setzt hingegen das Bestehen eines solchen, bereits entstandenen Anspruchs des Hilfebedürftigen voraus, der im Todesfall auf die Einrichtung übergeht. Die Vorschrift regelt einen besonderen Fall der Sonderrechtsnachfolge im Sinne einer cessio legis (vgl. zum Verhältnis der beiden Anspruchsgrundlagen BSG, Urteil vom 20. September 2012 – B 8 SO 20/11 R –, juris Rn. 12). Die beiden Ansprüche schließen – wie bereits oben im Zusammenhang mit der „Kenntnis“ ausgeführt – einander aus, denn sobald ein Anspruch des Leistungsberechtigten besteht, kann kein Nothelferanspruch bestehen. Dieser wechselseitige Ausschluss spiegelt sich auf der Ebene des Lebenssachverhalts mit dem Bestehen eines Eilfalles seitens des Nothelfers einerseits und der Kenntnis vom Leistungsfall des Hilfebedürftigen andererseits wider, aber auch hinsichtlich der Voraussetzung des Todes für den Anspruchsübergang.

Der Senat hat aus den nachfolgenden Gründen von der Anregung einer Klageänderung abgesehen. Unabhängig von der Frage, ob die Beklagte einer Klageänderung zustimmen würde, steht einer Sachdienlichkeit der Klageänderung die Unzulässigkeit der geänderten Klage entgegen (zum Folgenden ausf. Senatsurteil vom 23. November 2022 – L 4 SO 53/20 –, juris Rn. 67 f.). Zwar ist die Zulässigkeit der Klageänderung von der Zulässigkeit der geänderten Klage zu unterscheiden (Schmidt in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 14. Aufl. 2023, § 99 Rn. 13a; vgl. auch BSG, Urteil vom 23. April 2015 – B 5 RE 23/14 R –, BSGE 118, 294, zit. nach juris Rn. 12), weshalb die Erfolgsaussichten der geänderten Klage grundsätzlich nicht die Sachdienlichkeit präjudizieren. Dies gilt indes nicht bei Zulässigkeitsmängeln, die zugleich die Prozessökonomie berühren, z.B. wenn ein Vorverfahren noch nicht durchgeführt wurde (Guttenberger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl. <Stand: 15. Juni 2022>, § 99 Rn. 28 m.w.N.). Das Vorverfahren ist nur dann hinreichend durchgeführt, wenn der mit der Klage verfolgte Anspruch tatsächlich Gegenstand des Vorverfahrens gewesen ist. Da der insoweit maßgebliche Begriff des Klagegegenstandes i.S.d. § 95 SGG weiter ist als der des Streitgegenstandes, setzt dies voraus, dass mindestens der Streitgegenstand Gegenstand des Vorverfahrens gewesen sein muss, wobei an die Annahme einer vollumfänglichen Entscheidung über die Streitgegenstände im Widerspruchsbescheid im Interesse des Rechtsschutzsuchenden keine hohen Anforderungen zu stellen sind (vgl. im Einzelnen Giesbert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl. <Stand: 15. Juni 2022>, § 78 SGG Rn. 23 f.).

Hier fehlt es an einer Verwaltungsentscheidung über den Anspruch nach § 19 Abs. 6 SGB XII. Weder im Ausgangsbescheid noch mit dem Widerspruch oder im Widerspruchsbescheid wurde ein übergegangener Anspruch des Betroffenen bzw. der zu Grunde liegende Lebenssachverhalt thematisiert; daher kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass mit dem Widerspruchsbescheid über einen Anspruch nach § 19 Abs. 6 SGB XII entschieden worden ist. Die Entscheidung über den Widerspruch wird im Rubrum mit „wegen Ablehnung von Leistungen nach § 25 SGB XII“ bezeichnet. Mit Schreiben vom 13. März 2023 hat die Beklagte klargestellt, dass weder gegenüber dem Patienten noch den Rechtsnachfolgern ein Bescheid über den eigenen Anspruch des Patienten ergangen ist.

Die Berufung ist auch insoweit begründet, als der Hilfsantrag unbegründet ist.

Zum Prüfungsumfang der Berufung zählt bereits aufgrund der Berufung der Beklagten der gegen die Beigeladene gerichtete Hilfsantrag im Sinne einer Verurteilung nach § 75 Abs. 5 SGG. Nach allgemeinen Regeln fällt bei einer gegen die Stattgabe bezüglich des Hauptantrages gerichteten Berufung der Hilfsantrag in der Berufungsinstanz an, ohne dass es einer Anschlussberufung bedarf (Senatsurteil vom 23. November 2022 – L 4 SO 53/20 –, juris Rn. 49 m.w.N.).

Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beigeladene aufgrund des Leistungserbringerrechts des SGB V. Der Patient war im streitgegenständlichen Zeitraum nicht bei der Beigeladenen pflichtversichert, denn hinsichtlich der Begründung einer Pflichtversicherung fand im streitgegenständlichen Zeitraum allein spanisches, nicht deutsches Krankenversicherungsrecht Anwendung. Welches Recht für die Begründung eines Pflichtversicherungsverhältnisses anzuwenden ist, bestimmt sich bei grenzüberschreitenden Sachverhalten innerhalb der Europäischen Union für den streitgegenständlichen Behandlungszeitraum im Jahr 2013 zunächst nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) 883/2004), die seit dem 1. Mai 2010 gilt. 

Vorliegend handelt es sich um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt, denn der Kläger reiste unmittelbar vor der stationären Aufnahme aus dem Königreich Spanien kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und es ist nicht erkennbar, dass der Kläger unmittelbar zeitlich davor nach Umständen, die nicht über die Bundesrepublik Deutschland hinausweisen, eine Pflichtversicherung bei der Beigeladenen oder einer anderen Krankenkasse bereits begründet hatte.

Mithin bestimmt sich das anzuwendende Krankenversicherungsrecht nach den speziellen Kollisionsregeln des Titels III Kapitel 1 der VO (EG) 883/2004 oder nach den allgemeinen Regeln des Titels II (Art. 11 ff. VO (EG) 883/2004). Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten im Widerspruchsbescheid wird das Kollisionsrecht nicht durch das Gebot der Tatbestandsgleichstellung überlagert. Nach Erwägungsgrund Nr. 11 VO (EG) 883/2004 kann die Gleichstellung von Sachverhalten oder Ereignissen, die in einem Mitgliedstaat eingetreten sind, in keinem Fall bewirken, dass ein anderer Mitgliedstaat zuständig wird oder dessen Rechtsvorschriften anwendbar werden. Daher ist das Tatbestandsgleichstellungsgebot des Art. 5 VO (EG) 883/2004 nach einhelliger Ansicht nicht auf die Anwendung der Kollisionsnormen zu erstrecken (Schuler, in: Fuchs/Janda, Europäisches Sozialrecht, 8. Aufl. 2022, Art. 5 Rn. 4; BeckOGK/ Wunder (Stand: 1. März 2020) Art. 5 VO (EG) 883/2004 Rn. 6; BeckOGK/Schreiber (Stand: 15. Februar 2024), Art. 1 VO (EG) 883/2004 Rn. 14). Erst wenn nach Anwendung der Kollisionsnormen das anzuwendende Recht feststeht, kann gegenüber dem dann zuständigen Träger geltend gemacht werden, die Tatbestandsgleichstellung führte zur Versicherungspflicht (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 19. Juli 2011 – L 1 KR 180/11 B ER).

Da nach den Angaben des Patienten und des Zeugen zuletzt nicht von einer Erwerbstätigkeit ausgegangen werden kann und auch andere Anknüpfungspunkte weder über den Zeugen ermittelt werden konnten noch sonst nicht erkennbar sind, verbleibt als einzig verbleibende Anknüpfung zur Bestimmung des anwendbaren Rechts der Wohnort (Art. 11 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 lit. e) VO (EG) 883/2004). Nach Art. 11 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 unterliegen Personen, für die die Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates. Gemäß Art. 11 Abs. 3 lit e) unterliegt jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a) bis d) fällt, unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats. Der Wohnmitgliedstaat ist der Staat des Wohnortes, nach Art. 1 lit. j) der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts. Der gewöhnliche Aufenthalt bzw. Wohnort ist unter Heranziehung der Kriterien des Art. 11 VO (EG) 987/2009 zu bestimmen, nämlich:

„a) Dauer und Kontinuität des Aufenthalts im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats;
b) die Situation der Person, einschließlich
i)der Art und der spezifischen Merkmale jeglicher ausgeübten Tätigkeit, insbesondere des Ortes, an dem eine solche Tätigkeit in der Regel ausgeübt wird, der Dauerhaftigkeit der Tätigkeit und der Dauer jedes Arbeitsvertrags,
ii)ihrer familiären Verhältnisse und familiären Bindungen,
iii)der Ausübung einer nicht bezahlten Tätigkeit,
iv)im Falle von Studierenden ihrer Einkommensquelle,
v)ihrer Wohnsituation, insbesondere deren dauerhafter Charakter,“
vi)des Mitgliedstaats, der als der steuerliche Wohnsitz der Person gilt.“

Im Zweifel ist der Wille der Person, insbesondere die Gründe für den letzten Wohnortwechsel ausschlaggebend (Art. 11 Abs. 2 VO (EG) Nr. 987/2009).

Hiernach ist von einem Wohnort in E-Stadt, einem Vorort von Barcelona, auszugehen. Diesen gab der Patient bei seiner Aufnahme an, auch der Sohn des Patienten gab ausweislich der Unterlagen der Klägerin an, dass er selbst nach „Barcelona“ gereist sei, um seinem Vater vor Ort zu helfen. In der Sterbeurkunde ist als letzte Anschrift E-Stadt angegeben. Aus den Schilderungen des Sohnes ergibt sich auch, dass sein Vater zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt – wohl zwischen 2007 und 2011 – nach Spanien ausgewandert sei und damit seinen Lebensmittelpunkt verlegt habe. Der Patient hatte vor der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland eine Lebensgefährtin in Spanien; die vorgenannten Umstände sowie das Bemühen des Sohnes, zunächst in Spanien für eine Krankenhausbehandlung zu sorgen, sprechen in einer Gesamtwürdigung maßgeblich und hinreichend für einen gewöhnlichen Aufenthalt bzw. Wohnort im Königreich Spanien.

Allein durch die Einreise am 4. April 2013 konnte der Patient keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zur Behandlung im Krankenhaus begründen. Wie die Klägerin in anderem Zusammenhang zu Recht betont, ist ein Krankenhausaufenthalt vorübergehender Natur und begründet nicht den zukunftsoffenen Willen, am Ort des Krankenhauses seinen Wohnort zu begründen. Auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union führt ein lediglich krankheitsbedingt begründeter, erzwungenermaßen lang andauernder Krankenhausaufenthalt für sich allein – d.h. ohne weitere Umstände – selbst bei einem Zeitraum von elf Jahren nicht zu einem gewöhnlichen Aufenthalt (EuGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – Rs. C-255/13 –, juris Rn. 59). Auch das Bemühen des Sohnes, zunächst in Spanien ein Krankenhaus zu finden, spricht als Indiz dafür, dass der Patient eigentlich in Spanien verbleiben wollte und die Krankenhausbehandlung in Deutschland lediglich der Not gehorchend erfolgte.

Das deutsche Recht sieht neben den Kollisionsregeln der VO (EG) 883/2004 auch keinen anderen, mit Unionsrecht vereinbaren, einseitigen Rechtsanwendungsbefehl für das SGB V vor (vgl. zu solchen denkbaren Konstellationen EuGH, Urteil vom 20. Mai 2008 – Rs. C-352/06 – Bosmann, DStRE 2009, 1251), denn § 30 SGB I stellt für die Anwendbarkeit des SGB V ebenfalls auf den gewöhnlichen Aufenthalt ab. §§ 4, 5 SGB IV werden durch den Anwendungsvorrang der VO (EG) 883/2004 verdrängt; ungeachtet dessen ist auch dort keine abweichende Rechtsfolge für die vorliegende Konstellation erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sowohl für Ansprüche nach § 25 SGB XII als auch nach § 19 Abs. 6 SGB XII ist die klagende Einrichtung kostenprivilegiert (siehe auch Senatsurteil vom 23. November 2022 – L 4 SO 53/20 –, juris Rn. 69 m.w.N.).

Die Revision wird nicht zugelassen, da Zulassungsgründe nicht ersichtlich sind.
 

Rechtskraft
Aus
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