L 2 AS 875/23

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 41 AS 152/23
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 AS 875/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 02.05.2023 aufgehoben und die Sache an das Sozialgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Der am 00.00.0000 geborene Kläger bezieht von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende – Arbeitslosengeld II, seit dem 01.01.2023 Bürgergeld – nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Er bewohnt gemeinsam mit seiner geschiedenen Ehefrau A. N. ein Haus in der S.-straße in Y.. Diese ist Eigentümerin der Immobilie. Nach einem der Beklagten vorgelegten Mietvertrag vom 01.01.2022 sollte der Kläger an sie eine monatliche Kaltmiete in Höhe von 400,00 Euro, Kosten für einen Stellplatz in Höhe von 30,00 Euro und eine Betriebs­kostenvorauszahlung in Höhe von 195,00 Euro monatlich leisten.

 

Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 31.03.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2022 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von Januar bis Juni 2022. Dabei wurden bei der Bedarfsermittlung lediglich anteilige Heiz- und Betriebskosten berücksichtigt. In dem hiergegen geführten Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen (S 41 AS 1289/22) schlossen die Beteiligten am 31.01.2023 zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits einen Vergleich, in dem unter Punkt 3) folgende Regelung getroffen wurde: „Die Beteiligten haben zur Kenntnis genommen, dass der Kammervorsitzende davon ausgeht, dass die Beklagte nach § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht verpflichtet ist, die Vermieterin des Klägers als Zeugin zu vernehmen.“

 

Mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 17.08.2022 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 10.12.2022 bewilligte die Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.07.2022 bis zum 30.06.2023 Leistungen nach dem SGB II. Dabei wurden bei der Ermittlung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung erneut lediglich tatsächliche monatliche Heizkosten in Höhe von 186,00 Euro sowie nachgewiesene weitere monatlich differierende Nebenkosten für Wasser, Grundsteuer und Müllgebühren zu ½ anteilig berücksichtigt, nicht aber eine Grundmiete. Der Kläger legte hiergegen am 07.09.2022 Widerspruch ein. Er wirtschafte seit der 2021 erfolgten Scheidung von seiner Ehefrau vollständig getrennt von dieser. Es bestehe auch keine gegenseitige Unterhaltsverpflichtung. Zum Nachweis der Kosten der Unterkunft werde auf den Mietvertrag verwiesen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.01.2023 als unbegründet zurück. Ein ernsthaftes Mietzinsverlangen der geschiedenen Ehefrau des Klägers liege nicht vor. Regelmäßige Mietzahlungen würde der Kläger nicht leisten, seine Angaben hinsichtlich des Mietvertrages seien zudem widersprüchlich.

 

Der Kläger hat hiergegen am 31.01.2023 erneut Klage vor dem SG Gelsenkirchen erhoben. Seine geschiedene Ehefrau und er würden keinen gemeinsamen Haushalt mehr führen. Es sei deshalb auch ein Mietvertrag geschlossen worden, mit dem er, der Kläger, sich zur Mietzahlung verpflichtet habe. Da die Scheidung während der Corona-Pandemie erfolgt sei, sei vereinbart worden, dass er noch bis Ende 2021 weiterhin in der S.-straße wohnen könne. Zu keinem Zeitpunkt habe er der Beklagten sei mitgeteilt, dass er mietfrei bei seiner geschiedenen Ehefrau wohnen könne. Dies sei auch fernliegend. Diese sei Eigentümerin der Immobilie und habe daher auch die entsprechenden Nebenkosten zu tragen. Eine Umstellung aller Versorgungsverträge, der Gebäudeversicherung etc. auf den Namen seiner, des Klägers, geschiedenen Ehefrau werde kurzfristig erfolgen.

 

Der Kläger hat sinngemäß beantragt,

 

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.08.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2023 zu verpflichten, ihm Kosten der Unterkunft in gesetzlich vorgesehener Höhe zu bewilligen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Zur Begründung hat die Beklagte darauf verwiesen, dass sie davon ausgegangen sei, der Kläger habe seiner geschiedenen Ehefrau keinen Mietzins zu zahlen und es seien daher nur die tatsächlich entstandenen Kosten für die Immobilie berücksichtigt worden. Diesbezüglich agiere der Kläger auch nicht als Mieter, sondern weiterhin als (alleiniger) Vertragspartner sämtlicher, das Wohnen in der Immobilie betreffender Angelegenheiten. Der Sachver­halt sei aus ihrer Sicht auch ausermittelt und eine Vernehmung der Ehefrau des Klägers als Zeugin nicht erforderlich gewesen.

 

Das SG hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass eine Rückverweisung und Neubescheidung durch die Behörde nach    § 131 Abs. 5 Satz 1 Sozialge­richts­gesetz (SGG) erforderlich sei. Die Beklagte sei im Rahmen des Amtsermittlungs­grund­satzes nach § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X dazu verpflichtet gewesen, die geschiedene Ehefrau des Klägers als Zeugin zu vernehmen.

 

Das SG hat sodann die angefochtenen Bescheide mit Urteil vom 02.05.2023 aufgehoben und den Rechtsstreit an die Beklagte zurückverwiesen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass ein Gericht binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG die ange­fochtenen Bescheide aufheben und das Verfahren zur weiteren Sachaufklärung an die Beklagte zurückverweisen könne, wenn die noch erforderlichen Ermittlungen nach Art und Umfang erheblich seien und die Aufhebung unter Beachtung der Belange der Beteiligten sachdienlich sei. Diese Voraussetzungen seien gegeben. Die Beklagte sei nicht dazu berechtigt gewesen, ohne Vernehmung der Vermieterin als Zeugin von einem fingierten Mietverhältnis auszugehen. Auch sei die Beklagten mit den ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen deutlich besser dazu in der Lage, die genannten Ermittlungen in angemessener Zeit durchzuführen. Da der Rechtsstreit von einer Entscheidungsreife noch weit entfernt sei, sei es auch sachdienlich, dass zunächst die Beklagte auf einer neuen Tatsachengrundlage eine erneute Entscheidung treffe. Soweit der Kläger mit seiner Leistungsklage eine weitere Leistungsbewilligung begehre, sei die Klage unbegründet, weil noch unklar sei, ob ein diesbezüglicher Anspruch bestehe.

 

Gegen das ihr am 31.05.2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21.06.2023 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, dass die Zurückverweisung nicht rechtmäßig sei. Sie habe den Sachverhalt umfassend aufgeklärt. Aus den vorgelegten Unterlagen und sonstigen Umständen habe sich offensichtlich ergeben, dass es sich bei dem vorgelegten Mietvertrag um einen Scheinvertrag handele. Anhaltspunkte für eine Verpflichtung, die geschiedene Ehefrau des Klägers im Rahmen der Amtsermittlungspflichten zu vernehmen, hätten daher nicht vorgelegen. Es sei zu berücksichtigen, dass der Kläger in einem Beratungsgespräch vom 27.01.2022 und bei einer persönlichen Vorsprache am 22.02.2022 angegeben habe, dass er mietfrei bei seiner geschiedenen Ehefrau A. N. wohne. Im Bewilligungsantrag vom 07.02.2022 habe er einen auf den 01.01.2022 rückdatierten Mietvertrag über Mietkosten in Höhe von 625,00 Euro vorgelegt und gleichzeitig in dem entsprechenden Vordruck zu den Kosten der Unterkunft einen Betrag von insgesamt 593,50 Euro aufgeführt. Nach Januar 2022 seien keine Zahlungen mit dem Betreff „Haus“ mehr auf das gemeinsame Konto mit seiner geschiedenen Ehefrau geleistet worden. Lediglich eine Zahlung in Höhe von 595,00 Euro für die Miete sei am 05.04.2022 erfolgt. Zuvor seien Zahlungen in Höhe von 600,00 Euro monatlich für Wohnkosten und Lebensmittel auf das gemeinsame Konto überwiesen worden. Der Kläger präsentiere sich außerdem auch nach der Trennung von seiner Ehefrau weiterhin als Eigentümer der Immobilie.

 

Entgegen der Ansicht des SG sei die Zurückverweisung auch nicht sachdienlich. Eine Befragung der geschiedenen Ehefrau A. N. hätte ohne besonderen Aufwand im Verhandlungstermin am 02.05.2023 vor dem SG erfolgen können. Warum dies nicht geschehen, sondern das Verfahren an die Beklagte zurückverwiesen worden sei, obwohl diese über keine sachliche und personelle Ausstattung zur Zeugenvernehmung verfüge, erschließe sich nicht. Zu berücksichtigen sei schließlich, dass der Rechtssuchende durch die eintretende Verzögerung belastet werde, weil er die begehrte Leistung nicht zeitnah erhalte. Die Zurückverweisungsentscheidung setze deshalb erhebliche übergeordnete Interessen voraus, die hier nicht erkennbar seien.

 

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

 

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 02.05.2023 aufzuheben und die Streitsache an das Sozialgericht zurückzuverweisen,

hilfsweise,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 02.05.2023 zu ändern und die Klage abzuweisen.

.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Es sei darauf hinzuweisen, dass wegen der hier streitigen Rechtsfrage bereits ein Parallelverfahren durchgeführt worden sei. Er habe im Übrigen nicht erklärt, dass er bei seiner geschiedenen Ehefrau mietfrei wohne, sondern lediglich, dass er bis zu einer Entscheidung durch die Beklagte zunächst keine Miete zahlen müsse. Dies sei jedoch mit einem Darlehen verbunden gewesen. Auch unterschiedliche Angaben zur Miethöhe habe er nicht gemacht.

 

Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass neben den im Berufungsverfahren gestellten Anträgen auch eine Zurückverweisung der Sache an das SG nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG in Betracht komme. Der Kläger hat hierzu erklärt, dass keine Bedenken gegen eine solche Zurückverweisung bestünden.

 

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 21.11.2023 und vom 19.12.2023 erklärt, dass Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akte S 41 AS 1289/22 und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte. Die Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung des Senats.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (vgl. § 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG).

 

Der Senat hat das Begehren der Beklagten gemäß § 123 SGG dahingehend ausgelegt, dass diese sich vorrangig gegen eine Zurückverweisung des SG nach § 131 Abs. 5 SGG wendet und eine Sachentscheidung des SG begehrt. Sie hat zwar in ihrer Berufungsschrift den Antrag auf Aufhebung des Urteils und Abweisung der Klage angekündigt, sich in ihrer Berufungsbegründung aber im Wesentlichen mit den nach ihrer Ansicht nicht vorliegenden Voraussetzungen und Folgen einer Zurückverweisung nach § 131 Abs. 5 SGG auseinandergesetzt. Sie hat auch auf den Hinweis des Senats, dass eine Zurückverweisung der Sache an das SG nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG in Betracht komme, nicht zum Ausdruck gebracht, dass es ihr vorrangig um eine Entscheidung über den Leistungsanspruch gehe, sondern ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.

 

Die so verstandene, form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist auch in vollem Umfang begründet.

 

Rechtsgrundlage für die begehrte Zurückverweisung ist § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Danach kann das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage (zu Unrecht) abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, denn das SG hat die Streitsache zu Unrecht unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide an die Verwaltung zurückverwiesen, ohne eine eigentliche Sachprüfung vorzunehmen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rückverweisung nach § 131 Abs. 5 SGG liegen nicht vor.

 

Nach § 131 Abs. 5 Satz 1 und 5 SGG kann das Sozialgericht binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, die noch erforderlichen Ermittlungen nach Art oder Umfang erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Wie sich aus § 131 Abs. 5 Satz 2 SGG in der ab dem 1. Januar 2009 gültigen Fassung ergibt, gilt die vorgenannte Regelung auch für den hier gegebenen Fall einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG. Bei der Regelung des § 131 Abs. 5 SGG handelt es sich um eine Vorschrift mit Ausnahmecharakter, so dass die Tatbestandsvoraussetzungen eng auszulegen und auf besonders gelagerte Fälle zu beschränken sind (Bundessozialgericht – BSG, Urteil vom 13.05.2020 – B 6 KA 6/19 R, RdNr. 17 bei juris mwN). Die Vorschrift soll den Gerichten im Interesse einer zügigen Erledigung des Rechtsstreits eigentlich der Behörde obliegende zeit- und kostenintensive Sachaufklärungen ersparen und einer sachwidrigen Aufwandsverlagerung entgegenwirken, wenn die erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist (vgl. BT-Drucks 15/1508 S. 29; BSG, aaO, RdNr. 17 bei juris). Sie soll einer Verlagerung der Amtsermittlungspflichten der Behörde nach § 20 SGB X in das gerichtliche Verfahren entgegenwirken, dient aber nicht dazu, dem jeweils vorherigen Entscheidungsträger das eigene Verständnis von ausreichender Sachverhaltsaufklärung als verbindlich vorzuschreiben. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung, ob ein Aufklärungsmangel vorliegt, ist dabei regelmäßig der Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung (BSG, aaO, RdNr. 18 bei juris mwN). Da der vom SG im Klageverfahren S 41 AS 1289/22 am 31.01.2023 erteilte Hinweis des Kammervorsitzenden, er gehe davon aus, dass die Beklagte im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflichten dazu verpflichtet sei, die Vermieterin des Klägers als Zeugin zu vernehmen, nach diesem Zeitpunkt erfolgt ist, hat er schon wegen dieser zeitlichen Begrenzung keine Auswirkung auf die Prüfung.

 

Im Übrigen ist unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze davon auszugehen, dass der Beklagten kein Aufklärungsmangel vorgeworfen werden kann. Fraglich ist bereits, ob die Beklagte mit ihrer Auffassung, sie könne angesichts der Angaben des Klägers auf eine Vernehmung der Ehefrau als Zeugin verzichten, die an eine Sachaufklärung zu stellenden Mindestanforderungen unterschreitet. Dies kann aber letztlich offenbleiben, weil es jedenfalls an der für eine Zurückverweisung erforderlichen Erheblichkeit von Art und Umfang der erforderlichen Ermittlungen fehlt. Maßgeblich hierfür sind insbesondere Zeitdauer, Umfang und personellen Möglichkeiten des Gerichts. Eine erforderliche Zeugenvernehmung ist hierzu in der Regel nicht ausreichend (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 131 RdNr. 19). Sie ist nicht mit einem erheblichen Aufwand verbunden, sondern für die alltägliche Arbeit der Sozialgerichte geradezu typisch, weshalb sie auch in § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG beispielhaft aufgezählt ist. Allenfalls in Ausnahmefällen, zum Beispiel bei dem Erfordernis spezieller Ermittlungen unter Einsatz besonderer technischer oder anderer Hilfsmittel, auf die das Gericht nicht ohne weiteres zugreifen kann, kann dies möglicherweise anders zu beurteilen sein (vgl. Landessozialgericht -LSG- Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.03.2022 – L 11 SB 205/21, RdNr. 27 bei juris).

 

Schließlich erweist sich die Zurückverweisung an die Verwaltung unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten im vorliegenden Fall auch nicht als sachdienlich. Sachdienlichkeit ist anzunehmen, wenn die Behörde nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung die erforderlichen Ermittlungen inhaltlich besser und schneller durchführen kann als das Gericht und es auch unter übergeordneten Gesichtspunkten sachgerechter ist, die Behörde tätig werden zu lassen (vgl. Keller, aaO, RdNr. 19a). Dabei sind insbesondere bei kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen die Belange der Beteiligten in besonderem Maße zu berücksichtigen, da hier das Bedürfnis der Rechtsuchenden an einer baldigen abschließenden gerichtlichen Entscheidung wesentlich größer ist als bei einer reinen Anfechtungsklage. Übergeordnete Gesichtspunkte, die es rechtfertigen, dass der jeweilige Kläger bei Verpflichtungsklagen oder kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen mit der Verzögerung des Rechtsstreits belastet wird, setzen daher in der Regel ein gravierendes Ermittlungsdefizit voraus, das im Interesse der Allgemeinheit an einer funktionierenden Verwaltung nicht mehr hinnehmbar ist. Davon ist auszugehen, wenn die Behörde insgesamt oder zu einem wesentlichen Streitpunkt überhaupt keine eigene Sachverhaltsermittlung durchgeführt hat oder das Ermittlungsergebnis für die Beurteilung des Streitgegenstandes nicht verwertbar ist (vgl. Keller, aaO, RdNr. 19a). Ein solcher Sachverhalt liegt hier jedoch nicht vor. Vielmehr hat die Beklagte die unterschiedlichen Angaben des Klägers zu den Wohnverhältnisses im Rahmen einer Beweiswürdigung bewertet und eine weitere Zeugenvernehmung nicht mehr als notwendig erachtet, vgl. insoweit auch die Regelung des § 20 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Hinzu kommt, dass die Behörde zwar gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 iVm § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X auch Zeugen vernehmen darf, ihr jedoch in dem Fall, dass die Zeugen die Aussage ohne Vorliegen eines der in den §§ 376, 383 bis 385 und 408 der Zivilprozessordnung bezeichneten Gründe verweigern, lediglich die – zeitintensive – Möglichkeit eines Vernehmungsersuchens an das SG gem. § 22 SGB X verbleibt.

 

Das Urteil des SG konnte demnach keinen Bestand haben. Im Rahmen der von ihm gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG zu treffenden Ermessensentscheidung hat sich der Senat nicht veranlasst gesehen, die erforderlichen weiteren Ermittlungen selbst durchzuführen und gestützt auf das Ergebnis dieser Ermittlungen eine eigene Sachentscheidung zu treffen. Vielmehr hat er die Sache an das Sozialgericht zurückverwiesen, weil er dem Erhalt des Instanzenzuges den Vorrang gegenüber dem Interesse der Beteiligten an einer möglichst schnellen Sachentscheidung gegeben hat. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass der Kläger selbst im Rahmen seiner Anhörung zu einer möglichen Zurückverweisung erklärt, dass er keine Bedenken gegen eine solche Zurückverweisung habe, die bisherige Verfahrensdauer noch vergleichsweise kurz und nicht zu erwarten ist, dass der Senat die erforderliche Amtsermittlung kurzfristiger durchführen kann, als das SG.

 

Eine Kostenentscheidung war durch den Senat nicht zu treffen. Sie ist der Entscheidung des SG vorbehalten (vgl. Keller, a. a. O., § 159 RdNr. 5f).

 

Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.

Rechtskraft
Aus
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