Versicherte, die nur noch körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten - ggf unter weiteren gesundheitlichen Einschränkungen - wenigstens sechs Stunden täglich verrichten können, sind regelmäßig in der Lage, erwerbstätig zu sein (Anschluss an BSG, Urt v 11. Dezember 2019, B 13 R 7/18 R, juris RN 26 ff).
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 11. Mai 2023 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) hat.
Der am ... 1975 geborene Kläger absolvierte von 1990 bis 1993 eine abgeschlossene Ausbildung zum Betriebsschlosser (Zeugnis vom 30. Juni 1993). Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit war er nach seinen Angaben von 1996 bis 1997 als Bauhelfer und zuletzt bis 2004 als Kraftfahrer beschäftigt. Seit 2005 ist der Kläger arbeitslos und bezieht laufende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II). Ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 28. Juli 2023 sind seit dem 23. Juli 2021 Pflichtbeiträge für eine Pflegetätigkeit (für das Jahr 2022 mit einem Entgelt von 16.254,00 €) eingestellt.
Die Anträge des Klägers vom 3. Dezember 2013, 3. Dezember 2015, 9. Mai 2018 und 11. Februar 2019 auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sind jeweils bestandskräftig abgelehnt worden (u.a. erfolglose Klageverfahren beim Sozialgericht Halle S 26 R 148/12 und S 13 R 613/14).
Am 3. Januar 2020 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte zog die medizinischen Unterlagen aus den vorangegangenen Rentenverfahren bei und holte einen aktuellen Befundbericht der behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin H. vom 26. Januar 2021 ein. Darin ist ausgeführt, der Kläger klage seit mehreren Monaten über Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit Myogelosen und auch rezidivierenden ISG-Blockierungen und einem teilweise hinkenden Gangbild. Im Januar 2021 habe eine Nierenteilresektion rechts wegen eines Nierenzellkarzinoms stattgefunden. An Funktionseinschränkungen führte die Hausärztin eine eingeschränkte Gehstrecke und körperliche Belastbarkeit wegen degenerativer Wirbelsäulenveränderungen auf. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Befundberichtes sowie der mitgesandten Anlagen wird auf Blatt 379 bis 390 des ärztlichen Teils der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Mit Bescheid vom 8. Juni 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. April 2021 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab und führte zur Begründung aus, bei dem Kläger liege ein Leistungsvermögen für mindestens sechs Stunden täglich für leichte bis mittelschwere Arbeiten mit weiteren Funktionseinschränkungen vor. Bei dieser noch vorhandenen Leistungsfähigkeit sei der Arbeitsmarkt grundsätzlich nicht verschlossen. Die Vermittlung eines dem Leistungsvermögen des Klägers entsprechenden Arbeitsplatzes falle in den Aufgabenbereich der Arbeitsverwaltung.
Dagegen hat der Kläger am 29. April 2021 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben und zur Begründung vorgetragen, er sei multipel erkrankt und habe in der Vergangenheit bereits mehrere Rentenanträge gestellt und begehre eine gerichtliche Überprüfung. Bei ihm bestünden Diagnosen und damit verbundene Einschränkungen im internistischen, orthopädischen, chirurgischen und nunmehr auch urologischen Bereich. Er sei mehrfach verunfallt. Es bestehe eine Beinverkürzung. Des Weiteren seien Veränderungen im Lendenwirbelsäulenbereich erkennbar. Möglicherweise aufgrund von Alkoholmissbrauch seien bei ihm verschiedene innere Schädigungen diagnostiziert worden, die ihn einschränkten. Er sei auf regelmäßige Schmerzmitteleinnahme angewiesen.
Das Sozialgericht hat im Rahmen der Beweisaufnahme zunächst aktuelle Befundberichte eingeholt: Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie P. vom 2. Dezember 2021, Gastroenterologin B. vom 3. Dezember 2021, H. vom 13. Dezember 2021, Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie S. (ohne Datum, Eingang beim Sozialgericht am 24. Dezember 2021) und Facharzt für Urologie M. (ohne Datum, Eingang beim Sozialgericht am 17. Februar 2022). Wegen der weiteren Einzelheiten dieser Befundberichte sowie der mitgesandten Anlagen wird auf Blatt 59 bis 62, 63 f., 64a bis 74, 75 bis 81 und 84 f. der Gerichtsakten verwiesen.
Sodann hat das Sozialgericht ein arbeitsmedizinisches Gutachten durch die Fachärztin für Arbeitsmedizin J. eingeholt. Die gerichtliche Sachverständige hat den Kläger am 17. August 2022 untersucht und in ihrem Gutachten vom 28. November 2022 folgende Diagnosen gestellt:
Chronisches Schmerzsyndrom bei
degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule sowie der linken Hüfte sowie
Zustand nach Oberschenkelfraktur links, operativ versorgt 1994.
Abhängigkeitssyndrom durch Alkohol.
Somatoforme Schmerzstörung.
Nierenzellkarzinom rechte Niere, Zustand nach Operation Januar 2021, bisher tumorfrei.
Chronische Refluxösophagitis.
Bluthochdruck.
Der Kläger klage seit einem Autounfall 1994 mit Oberschenkelfraktur links über Schmerzen im linken Bein, der Wirbelsäule und dem linken Hüftgelenk. Durch die permanenten Schmerzen könne er kaum laufen oder stehen. Das linke Bein sei zudem verkürzt. Seit ca. 2004 bestehe bei dem Kläger eine Alkoholerkrankung. Er habe täglich Bier und zeitweise Schnaps getrunken. Dadurch habe er seinen Führerschein und eine Arbeit als Kraftfahrer verloren. 2016 und 2018 habe er sich deshalb in stationärer Behandlung befunden. Die Weiterbetreuung erfolge ambulant. Der Kläger habe angegeben, seit 2017 trocken zu sein. 2019 habe er auch seinen Führerschein wiederbekommen. Im Januar 2021 sei ein bösartiger Tumor an der rechten Niere festgestellt worden, der operativ entfernt worden sei. Bisher sei es zu keinem erneuten Tumorwachstum gekommen. Am Magen beklage er rezidivierende Entzündungen der Schleimhaut, die mit Säureblockern behandelt würden. Zeitweise komme es aber noch zum Auftreten von Sodbrennen.
Zur Familienanamnese hat der Kläger angegeben: Mutter 72jährig, beginnende Demenz, Vater 75jährig, KHK, Stents, Knochenkrebs. Eine Schwester, Asthma und KHK. Befragt zu seinem Tagesablauf habe der Kläger berichtet, dass er ca. um 8:00 Uhr aufstehe und die Morgentoilette erledige und dann frühstücke. Anschließend sehe er fern oder gehe auf den Hof. Zum Mittag gehe er zu den Eltern zum Essen, die im gleichen Haus wohnten. Seine Partnerin sei berufstätig. Er halte für ca. 1,5 Stunden Mittagsschlaf, meist ruhe er nur. Anschließend schaue er wieder fern oder treffe sich mit der Partnerin. Abendrot esse er ca. um 20:00 Uhr allein. Zu Bett gehe er ca. um 22:00 Uhr. Hobbys habe er keine, auch schon früher nicht. Er schaue gerne Nachrichten. Mit Computern kenne er sich nicht aus, könne da auch nicht schreiben. Im Haushalt helfe ihm die Partnerin z.B. beim Fensterputzen.
Beim Sechs-Minuten-Gehtest sei der Kläger hinkend langsam gelaufen. Er sei wegen akuter Hüft- und Rückenschmerzen nach 116 m (2 Minuten 16 Sekunden) stehen geblieben, Weg zurück 230 m (4 Minuten 10 Sekunden). Der Gehtest sei wegen Schmerzangabe eingeschränkt gewesen. Das geistige Leistungsvermögen des Klägers sei gering-durchschnittlich bei einem Achte-Klasse-Schulabschluss mit absolvierter Berufsausbildung. Die Anforderungen an das geistige Leistungsvermögen, die Reaktionsfähigkeit sowie die Aufmerksamkeit sollten gering gehalten werden. Einschränkungen des Verantwortungsbewusstseins und der Zuverlässigkeit seien nicht zu verzeichnen. Der Kläger solle nur in Tagschicht ohne Zeitdruck, Akkord- und Fließbandarbeit tätig sein. Spät-, Nacht- und/oder Wechselschicht und häufiger oder gelegentlicher Publikumsverkehr seien zu vermeiden. Körperliche Arbeiten, wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen seien körperlich zumutbar, sofern diese Tätigkeiten in wechselnden Arbeitspositionen und ohne Zwangshaltungen ausgeführt werden könnten. Im Rahmen dieser Einschränkungen könne der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich arbeiten. Die Gehfähigkeit des Klägers sei eingeschränkt. Die Ausprägung der Gehstörungen sei allerdings mit den erhobenen Befunden nicht eindeutig erklärbar. Die Ursache könnte in der Somatisierungsstörung liegen. Sie - die Sachverständige - empfehle eine multimodale Schmerztherapie sowie die Fortführung der psychotherapeutischen Behandlung. Darunter sollte die Gehstrecke von 501 m in ca. 15 Minuten sowie viermal arbeitstäglich ein Weg von 500 m geschafft werden. Die Einholung weiterer Fachgutachten halte sie nicht für notwendig.
Der Kläger hat zu dem Gutachten ausgeführt, aus diesem ergebe sich, dass er derzeit nicht in der Lage sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Tätigkeit nachzugehen. Zum einen beschreibe das Gutachten eine Wegeunfähigkeit. Ob er tatsächlich im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie sowie bei Fortführung der psychotherapeutischen Behandlungen in der Lage sei, eine Gehstrecke von mehr als 500 m in ca. 15 Minuten zurückzulegen, werde im Gutachten gerade nicht bestätigt. Allgemein werde nur ausgeführt, dass dies von ihm dann geschafft werden sollte. Welcher zeitliche Rahmen hierfür zu veranschlagen sei, bleibe offen. Darüber hinaus sei er nicht in der Lage, unter Zeitdruck, im Akkord oder am Fließband Tätigkeiten auszuüben. Ebenso seien Tätigkeiten mit häufigem oder gelegentlichem Publikumsverkehr entsprechend der gutachterlichen Einschätzung ausgeschlossen. Damit sei der allgemeine Arbeitsmarkt für ihn im Wesentlichen verschlossen. Unabhängig hiervon sei die von der Gutachterin dargestellte, nicht gegebene zeitliche Limitierung des Restleistungsvermögens nicht nachvollziehbar. Weshalb er mehr als sechs Stunden tätig sein könne, erschließe sich nicht.
Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 11. Mai 2023 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, eine Erwerbsminderung des Klägers, d. h. ein Absinken seiner beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lasse sich nicht belegen. Der Kläger sei in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung in Tagesschicht unter Vermeidung von Akkord und taktgebundener Arbeit, besonderem Zeitdruck, häufigem Hocken und Knien, Rumpfzwangshaltungen, Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, Klettern und Steigen, Bücken, erhöhten Anforderungen an die Gang- und Standsicherheit, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten, anhaltendem Einfluss von Kälte, Nässe und Zugluft, Erschütterungen und Vibrationen und beruflichem Umgang mit Alkohol mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. In dem vorliegenden arbeitsmedizinischen Gutachten hätten insgesamt keine erheblichen Funktionsstörungen nachgewiesen werden können. Es sei ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für qualitativ angepasste Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beurteilt worden. Der Kläger sei auch in der Lage, eine Wegstrecke von mehr als 500 m in einer Zeit von 20 Minuten regelmäßig zurückzulegen. Denn die klinischen Untersuchungsergebnisse hätten keine objektiven Funktionseinschränkungen für eine rentenrelevant geminderte Gehstrecke gezeigt und die Ausprägung der Gehstörung sei mit den erhobenen Befunden nicht erklärbar. Die Ursache könnte in einer Somatisierungsstörung liegen. Die Gutachterin sei daher zu der Einschätzung gekommen, dass die Gehstrecke von 501 m in ca. 15 Minuten sowie viermal arbeitstäglich ein Weg von 500 m geschafft werden könne. Der Gehtest sei aufgrund von Schmerzangaben nur eingeschränkt durchführbar gewesen. Trotzdem seien im Sechs-Minuten-Gehtest 116 m in 2 Minuten und 16 Sekunden und nochmals 230 m in 4 Minuten und 10 Sekunden absolviert worden. Mit Pausen seien damit auch 500 m in 15 Minuten möglich.
Gegen das ihm am 17. Mai 2023 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. Juni 2023 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung erneut vorgetragen, er sei multipel erkrankt. Er sei auch in laufender medizinischer Behandlung. Er könne die beispielhaft dargestellten Tätigkeiten wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen nur in wechselnder Arbeitsposition und ohne Zwangshaltung ausüben. Soweit sei jedoch zu berücksichtigen, dass diese Tätigkeiten keine wechselnden Arbeitspositionen beinhalteten und meistens von Zwangshaltungen geprägt seien. Es stelle sich die Frage, welche Tätigkeiten er unter Berücksichtigung der mannigfaltigen gutachterlich beschriebenen Einschränkungen tatsächlich noch ausüben solle. Aus seiner Sicht wäre die Beklagte hier mindestens gehalten, eine Verweisungstätigkeit zu benennen. Außerdem gehe das Sozialgericht fehlerhaft von einer bestehenden Wegefähigkeit aus. Das Sozialgericht habe die gutachterlichen Angaben dahingehend interpretiert, dass er 116 m hin und dann 230 m zurückgelaufen sei und hierfür insgesamt die dargestellten 6 Minuten und 26 Sekunden benötigt habe. Dies sei unzutreffend. Hin- und Rückweg seien gleich lang gewesen. Allerdings habe er für den Rückweg fast die doppelte Zeit benötigt. Von daher verbiete sich auch eine einfache Hochrechnung. Berücksichtige man weiter die von ihm einzunehmenden Schmerzmittel, könne der weitergehenden gutachterlichen Vermutung, dass mit einer multimodalen Schmerztherapie seine Gehfähigkeit signifikant verbessert würde, nicht gefolgt werden.
Der Kläger beantragt ausdrücklich:
Unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichtes Halle vom 11. Mai 2023 zum Aktenzeichen S 13 R 171/21 und des Bescheides der Beklagten vom 18. Juni 2020 (gemeint 8. Juni 2020) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. April 2021 wird die Beklagte verurteilt, dem Kläger auf seinen Antrag vom 8. Januar 2020 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Mit der Berufung seien keine neuen Beweismittel beigebracht sowie keine neuen Sachverhalte vorgetragen worden. Ferner hat sie darauf hingewiesen, dass ausgehend von einem fiktiven Leistungsfall am 28. Juli 2023 in dem maßgeblichen verlängerten 5-Jahreszeitraum vom 1. Juli 2009 bis zum 27. Juli 2023 noch 36 Monate mit Pflichtbeiträgen vorlägen.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 5. September 2023 hat der Senat den Kläger zu einer in Betracht kommenden Entscheidung gemäß § 153 Abs. 4 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört. Die Beklagte hat eine Abschrift dieses Schreibens erhalten. Der Kläger hat hierzu ausgeführt, er nehme die Berufung nicht zurück. Hintergrund hierfür sei insbesondere, dass ihm aufgrund des Fortschreitens der orthopädischen Leiden nahegelegt worden sei, im Rahmen eines operativen Eingriffes unterstützende Maßnahmen an der Wirbelsäule (Korsett) durchzuführen. Unter Berücksichtigung dieses ärztlichen Hinweises gehe er davon aus, dass insbesondere die Wegeunfähigkeit durchaus medizinisch begründet sei. Darüber hinaus bestünden erhebliche Zweifel an der Einschätzung, dass er tatsächlich in der Lage sei, insbesondere im zeitlichen Umfang von mehr als sechs Stunden einer gegebenenfalls auch nur leichten Tätigkeit nachzugehen, da erhebliche Schmerzen zu verzeichnen seien. Ob sich durch den beabsichtigten Eingriff seine Leistungsfähigkeit verbessere, bleibe abzuwarten. Da offensichtlich ein weitergehender und akuter Behandlungsbedarf bestehe, könne das eingeholte Gutachten keine Grundlage für die Einschätzung der Leistungsfähigkeit sein, da hier denknotwendig nicht alle Umstände beachtet worden seien. Sonst wäre die Empfehlung zur weiteren Behandlung auch im Rahmen der Begutachtung erfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten (zwei Bände) sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben bei der Entscheidungsfindung des Senats vorgelegen.
II.
Der Senat durfte den Rechtsstreit durch Beschluss im Sinne von § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, weil die Berufsrichter des Senats die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden. Im Rahmen der vom Senat zu treffenden Ermessensentscheidung hat der Senat von der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung abgesehen, weil neues Vorbringen des anwaltlich vertretenen Klägers mit einer Vertiefung des Sach- und Streitstandes bei einer mündlichen Verhandlung nicht zu erwarten gewesen wäre.
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten gemäß §§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 1 Satz 2 SGG. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht zu.
Nach § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarklage nicht zu berücksichtigen.
Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen kann der Kläger noch leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen verrichten. Der Senat verweist zwecks Vermeidung von Wiederholungen zur Begründung auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in seinem Urteil vom 11. Mai 2023 und macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung zu eigen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die Berufungsbegründung rechtfertigt keine andere Beurteilung. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen des Klägers wird darauf hingewiesen, dass der Maßstab des § 43 SGB VI körperlich leichte und geistig einfache Verrichtungen sind. Denn das Bundessozialgericht (BSG) geht in seinem Urteil vom 11. Dezember 2019 (B 13 R 7/18 R, juris, RdNr. 26 ff.) weiterhin von dem Grundsatz des offenen Arbeitsmarktes aus und hält daran fest, dass Versicherte, die nur noch körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten - ggf. unter weiteren gesundheitlichen Einschränkungen - wenigstens sechs Stunden täglich verrichten können, regelmäßig in der Lage sind, erwerbstätig zu sein. Das trifft nach den medizinischen Ermittlungen auch auf den Kläger zu. Eine konkrete Verweisungstätigkeit war durch die Beklagte nicht zu benennen. Denn bei dem Kläger liegen weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die trotz des sechsstündigen Leistungsvermögens zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führen würden. Das Restleistungsvermögen des Klägers reicht vielmehr noch für leichte körperliche Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen aus (vgl. die Aufzählungen in dem Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 -, SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr. 8 = BSGE 80, 24, 33f.; in der Anwendbarkeit auf die aktuelle Rechtslage bestätigt im Urteil des BSG vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R -, juris).
Welche Auswirkungen der dem Kläger nach eigenen Angaben nahegelegte operative Eingriff zwecks unterstützender Maßnahmen an der Wirbelsäule (Korsett) hätte, kann der Senat nicht berücksichtigen. Denn Grundlage der Entscheidungsfindung ist der gesundheitliche Zustand des Klägers im umstrittenen Zeitraum seit Antragstellung bis zum 27. Juli 2023. Zu einem späteren Zeitpunkt liegen nicht mehr mindestens 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen vor. Da der Rechtsstreit auch auf der Grundlage des Gutachtens von J. entscheidungsreif ist, war ein weiteres Zuwarten nicht angebracht. Regelhaft werden operative Eingriffe mit dem Ziel einer Verbesserung der gesundheitlichen Situation bei dem Kläger durchgeführt.
Eine rentenrelevant eingeschränkte Gehfähigkeit ist ebenfalls nicht belegt, zumal die Ausprägung der Gehstörungen mit den erhobenen Befunden nicht eindeutig erklärbar ist. Selbst wenn der Kläger im Gehtest bei J. in ca. 6 ½ Minuten nur 230 m zurückgelegt haben sollte, könnte er hochgerechnet etwas mehr als 500 m mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen, und zwar auch dann, wenn das Tempo während der Strecke etwas langsamer wird. Objektive Befunde, die die angegebene Einschränkung der Gehstrecke erklären, hat die gerichtliche Sachverständige nicht feststellen können. Die subjektiven Angaben des Klägers können nicht zugrunde gelegt werden, da er unvollständige Angaben zum Tagesablauf gemacht hat. Die Pflegeleistungen, für die er Pflichtbeiträge von der Pflegekasse erhält, hat er nicht angegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.