L 2 SO 3045/24 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 1904/24 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 3045/24 ER-B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. September 2024 aufgehoben.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.



Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten im Streit ist die vorläufige Übernahme der Kosten der Antragstellerin für den Besuch der Einrichtung „H1“ der N1.

Die 2002 geborene Antragstellerin leidet an einer spastischen tetraplegischen Zerebralparese, Blindheit, geistiger Behinderung mit globaler Entwicklungsstörung, Schluckstörung mit der Notwendigkeit der Sondierung der Nahrung über eine PEG-Sonde, einer therapieresistenten Epilepsie sowie Inkontinenz. Sie besuchte bis zum Anfang der Sommerferien 2024 die Schule der N1 in S1, wo sie ihren Schulabschluss machte.

Am 14.04.2024 beantragte die Antragstellerin, vertreten durch ihre Mutter und gesetzliche Vertreterin, die Übernahme der Kosten für den Besuch des H1 der N1 einschließlich der anfallenden Fahrtkosten von ihrem Wohnort zur Einrichtung und wieder zurück.

Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens kontaktierte der Antragsgegner die G1 GmbH (G1) sowie den F1 als mögliche alternative Leistungsanbieter, mit denen jeweils Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen für den Besuch der Fördergruppen bestehen. Seitens der G1 wurde mitgeteilt, dass es auch andere Klienten mit Magensonde in der Fördergruppe gebe. Sie seien natürlich nicht spezialisiert auf blinde Menschen, deren Bedürfnisse könnten aber auf jeden Fall auch erfüllt und abgedeckt werden. Sonst würden nicht auch andere Menschen mit Blindheit dort bereits betreut werden. Der F1 teilte mit, dass das Vorliegen einer Epilepsie und Notwendigkeit einer PEG-Magensonde nicht selten sei bei den Fördergruppen und bereits häufig vorkomme. Eine Spezialisierung auf Blindheit bestehe nicht. Es würden aber auch bereits Personen mit der Begleitdiagnose Blindheit in der Fördergruppe gut betreut.

Der Antragsgegner lehnte den Antrag mit Bescheid vom 15.08.2024 unter Hinweis auf die erheblichen Fahrtkosten in Höhe von rund 7.000 € monatlich ab. Über den von der Antragstellerin dagegen erhobenen Widerspruch ist noch nicht entschieden.

Am 04.09.2024 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Reutlingen (SG) beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten der Antragstellerin für den Besuch der Einrichtung „H1" der N1 in Höhe von ca. 10.500 € monatlich zu tragen. Der Anordnungsanspruch ergebe sich aus § 111 i.V.m. § 60 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Zwar habe der Antragsgegner unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit der Leistung grundsätzlich ein Auswahlermessen, was vorliegend auch im Lichte von § 8 SGB IX (Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsempfängers) wegen der vermeintlich deutlich höheren anfallenden Fahrtkosten in Höhe von ca. 7.000 € grundsätzlich bestehen dürfte. Allerdings sei für die Betätigung eines entsprechenden Ermessens Voraussetzung, dass eine Auswahl zwischen geeigneten Einrichtungen stattfinde. Dies sei vorliegend jedoch ausgeschlossen, da bisher alle vom Antragsgegner vorgeschlagenen Förderalternativen fundiert von der Mutter und gesetzlichen Vertreterin der Antragstellerin aus fachlicher Sicht ausgeschlossen worden seien. Diese Einschätzung werde durch die Stellungnahme des behandelnden F2 vom 24.08.2024 bestätigt, weshalb vorliegend eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegen dürfte. Es bestehe daher ungeachtet der Höhe der anfallenden Kosten ein Anspruch auf Kostenübernahme.  Der Anordnungsgrund ergebe sich aus der Tatsache, dass derzeit die gesetzliche Vertreterin und alleinerziehende Mutter der Antragstellerin die Betreuung übernehmen müsse, dieser Umstand aufgrund ihrer eigenen Berufstätigkeit jedoch nur noch maximal bis zum 20.09.2024 praktisch tragbar sein dürfte. Bereits im August habe die Mutter der Antragstellerin die eingetretene „Versorgungslücke" durch den Einsatz kurzfristig verfügbarer Betreuung der Tochter durch den ambulanten Pflegedienst A1 in H2, durch Verzicht auf einen geplanten Urlaub und durch die Nutzung von - durch den Arbeitgeber eingeräumten - Möglichkeiten zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung „irgendwie" überbrückt. Diese Situation sei für die gesetzliche Vertreterin der Antragstellerin aber weder unter Belastungsaspekten weiter möglich noch mit den Verpflichtungen als Arbeitnehmerin gegenüber ihrem Arbeitgeber länger vertretbar. Es drohe daher eine unhaltbare Versorgungslücke.

Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten unter Hinweis auf die unverhältnismäßigen Mehrkosten, die durch die Fahrtkosten zu der Einrichtung der N1 nach S2 entstünden. Es seien vier Fahrdienstanbieter angefragt worden, nur einer habe ein Angebot abgegeben: 355,23 € täglich, was alleine für Fahrten 7.104,60 € monatlich wären. Die Assistenzleistungen in der N1 würden täglich 112,66 € kosten, insgesamt also täglich 467,89 €. Alleine die Fahrtkosten würden mehr als das Dreifache der Assistenzleistungen betragen. Die Fahrt zu einem vergleichbaren Angebot bei der G1 GmbH (G1) nach S3 würde 259,00 € täglich kosten (Bl. 432 f.), die Assistenzleistungen 112,24 € (Bl. 131), insgesamt 371,24 € täglich. Außerdem werde ein Angebot des F1 in R1 geprüft. Hier stünden die Fahrtkosten nicht fest, sie seien jedoch aufgrund der geringeren Entfernung vermutlich ebenfalls deutlich günstiger als die Fahrtkosten nach S1. Die Leistungen der N1 seien damit mehr als 25% teurer als die der G1. Aufgrund der Verpflichtung, sparsam und wirtschaftlich mit den Mitteln der Allgemeinheit umzugehen, müsse der Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen bei der N1 abgelehnt werden. Das Angebot, den Förder- und Betreuungsbereich der G1 zu besuchen, werde ausdrücklich aufrechterhalten. Die gesetzliche Betreuerin der Antragstellerin behaupte, die vom Antragsgegner vorgeschlagenen Einrichtungen umfassend bzgl. ihrer Geeignetheit im Bereich der Tagesstruktur/Fördergruppen überprüft zu haben. Dies könne aus Sicht des Antragsgegners nicht bestätigt werden. Die Bewertung der Einrichtungen durch die Antragstellerin sei insbesondere und zum Teil sogar ausschließlich danach erfolgt, ob die Einrichtungen der Antragstellerin auch ein geeignetes Wohnangebot bieten könnten. Die Aufnahme der Antragstellerin in einer Fördergruppe entspreche derzeit jedoch weder ihrem eigenen Wunsch, noch sei mit einer zeitnahen und geeigneten dortigen Wohnplatzperspektive zu rechnen.
Die Fördergruppen der G1 (Standort S3) sowie die Fördergruppen des F1 (Standort R1) stellten der N1 in S1 vergleichbare Angebote im Bereich der Tagesstruktur / Fördergruppe dar. Beide Einrichtungen hätten dem Antragsgegner anhand der geschilderten Bedürfnisse und Bedarfe signalisiert, der Antragstellerin ein bedarfsgerechtes Angebot in einer ihrer Fördergruppen machen zu können. Beide Einrichtungen hätten zudem mitgeteilt, dass insbesondere in den Förderbereichen auch versucht werde, individuell auf die Bedürfnisse der Leistungsberechtigten einzugehen. Die gesetzliche Betreuerin der Antragstellerin habe die Möglichkeit einer Aufnahme in einer der beiden Fördergruppen (G1 oder F1) aber bisher kategorisch abgelehnt. Die Fördergruppen des F1 seien von ihr abgelehnt worden, da die Einrichtung der Antragstellerin kein geeignetes Wohnangebot machen könne. Die Fördergruppen der G1 seien abgelehnt worden, obwohl von der G1 für den 07.08.2024 kurzfristig ein Erstgespräch angeboten worden war, das von der Antragstellerin jedoch nicht angenommen wurde. Da die gesetzliche Betreuerin der Antragstellerin konkrete Gespräche mit den vorgeschlagenen Leistungserbringern im Voraus abgelehnt habe, sei für den Antragsgegner nicht nachvollziehbar, wie hier eine gewissenhafte Prüfung der Angebote stattgefunden haben solle.

Das SG hat den Antragsgegner durch Beschluss vom 20.09.2024 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens für sechs Monate vorläufig darlehensweise die Kosten für den Besuch der Einrichtung H1 der N1 inklusive Fahrtkosten in Höhe von ca. 10.500 € monatlich zu tragen.

Der grundsätzlich von dem Antragsgegner nicht in Abrede gestellte Anspruch der Antragstellerin auf Eingliederungshilfeleistungen in der Einrichtung H1 der N1 scheitert nicht an der Vorschrift des § 8 SGB IX. Nach dieser Vorschrift sei bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe den berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten zu entsprechen (§ 8 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Zwar kenne § 8 SGB IX keinen Mehrkostenvorbehalt. Dennoch seien Kostenaspekte bei der Frage der berechtigten Wünsche mit einzubeziehen. Dabei sei auch die Lebenswirklichkeit des behinderten Menschen in die rechtliche Gesamtbetrachtung des Falles mit einzubeziehen. Anfallende Kosten seien grundsätzlich immer berechtigt, wenn die jeweilige Leistung die einzige sei, mit der der Bedarf im Rahmen des Geeigneten und Notwendigen befriedigt werden könne. Vorliegend würde der Besuch der N1 erhebliche Mehrkosten verursachen, was unstreitig sei. Zu berücksichtigen sei, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer vielfachen Behinderungen auf ein besonderes, auf sie zugeschnittenes Förderangebot angewiesen sei. Auch sei nicht zu vernachlässigen, dass die Antragstellerin die Einrichtung bereits aufgrund ihres Schulbesuches kenne und mit den Gegebenheiten vertraut sei. Insoweit könne eine Stabilität der Versorgung erreicht werden. Demgegenüber sei der Umstand, dass anderweitig beispielsweise ein Wohnangebot nicht unterbreitet werden könne, nicht zu berücksichtigen, nachdem die Antragstellerin selbst ausführe, dass sie zunächst noch zu Hause wohnen werde und vielleicht mal in einer Einrichtung wohne, falls sie das auf ihre Weise anzeige und den entsprechenden Wunsch äußere. Dieser Umstand sei auf die Zukunft bezogen und könne sich zu einem späteren Zeitpunkt auf die Geeignetheit eines Förderangebotes auswirken, nicht jedoch in der aktuellen Situation.
Daneben sei das Leistungsangebot der alternativ in Betracht kommenden Einrichtungen gegenüberzustellen. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass offensichtlich sowohl die G1 als auch der F1 im Gegensatz zu der N1 keine Spezialisierung auf die Blindheit der Klägerin aufwiesen. Beide hätten angegeben, dass sie auch blinde Menschen im FuB-Bereich mitversorgen würden. Das Gericht schließe hieraus, dass zwar eine Versorgung von blinden Menschen auch in diesen Einrichtungen möglich sei, dies jedoch nicht zu ihren Kernkompetenzen gehöre. Beide stellten insoweit in Aussicht, der Antragstellerin ein entsprechendes Förderangebot unterbreiten zu können, was der N1 aufgrund ihrer spezialisierten Ausrichtung auch ohne nähere Prüfung möglich sei. Daneben sei davon auszugehen, dass es der N1 möglich sein werde, der Antragstellerin ein weitergehendes Angebot zu bieten, nachdem aufgrund der Spezialisierung eine entsprechende Ausrichtung der gesamten Einrichtung auf die behinderungsbedingten Anforderungen der Antragstellerin bestehe, welche in anderen Einrichtungen zumindest teilweise zunächst hergestellt werden müsste. Unter Abwägung sämtlicher Gesichtspunkte könne der Antragstellerin daher eine nachhaltigere Versorgung und zielgerichtete Eingliederung in der Einrichtung „H1“ gewährt werden, weshalb von einem berechtigten Wunsch auszugehen sei und dieser nicht an den Mehrkosten scheitere, wobei auch zu berücksichtigen sei, dass auch für Alternativen nicht unerhebliche Fahrtkosten entstehen werden, welche vermutlich den Wert der Eingliederungshilfeleistung erreichten bzw. überstiegen. Daneben wäre im Weiteren durch den Antragsgegner im Rahmen der Leistungsgewährung zu prüfen, ob im Rahmen einer entsprechenden Vereinbarung mit dem Beförderungsdienst nicht eine Reduktion der Kosten erlangt werden könne.

Gegen den ihm am 20.09.2024 zugestellten Beschluss richtet sich die vom Antragsgegner am 18.10.2024 beim SG erhobene Beschwerde. Zwar sei nach § 8 SGB IX den berechtigten Wünschen des Leistungsberechtigten zu entsprechen, jedoch gelte auch bei der Auswahl des Leistungserbringers das Auswahlermessen des Eingliederungshilfeträgers, der die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu berücksichtigen habe. Der Wunsch, die N1 zu besuchen, könne aufgrund der Unwirtschaftlichkeit nicht als berechtigt angesehen werden. Denn die Kosten für Inanspruchnahme der Eingliederungshilfeleistungen in den drei hier in Betracht kommenden Leistungserbringer N1, G1 und F1 unterschieden sich erheblich. Zwischenzeitlich stehe fest, dass die Fahrtkosten zum F1 lediglich 79,63 € pro Tag betragen würden. Dies bedeute im Vergleich zu den Fahrtkosten zur N1 und auch zur G1 eine erhebliche Kostenersparnis.
Der Kostenvergleich für die täglichen Kosten stelle sich wie folgt dar:

 

 

Fahrtkosten

Kosten der Assistenz

Summe

N1

355,23 €

112,66 €

467,89 €

G1

277,13 €

112,24 €

389,37 €

F1

79,63 €

99,04 €

178,6 €




Die Auswahl der N1 sei mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden. Zwar sei der Unterschied zwischen der Leistungserbringung durch die G1 und die N1 nicht erheblich (die N1 sei rund 20% teurer als die G1), jedoch liege das Angebot des F1 lediglich bei rund 38% der Kosten der N1, was vor allem an den deutlich niedrigeren Fahrtkosten aufgrund der geringeren Entfernung liege. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die N1 spezialisierte Leistungen für Blinde anbiete, überstiegen die damit verbundenen Kosten, insbesondere die Fahrtkosten, deutlich das angemessene Maß. Der Mehrwert der N1 - sollte es einen solchen geben - stehe nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den enormen Mehrkosten. Es stünden im Bereich der Fördergruppen (ehemals Förder- und Betreuungsbereich) Alternativen zur Verfügung, die den Bedarf der Antragstellerin ebenfalls angemessen decken könnten.

Für den Antragsgegner sei nicht nachvollziehbar, wie der F2 das Angebot der Einrichtung G1 bzgl. seiner Geeignetheit für die Antragstellerin überprüft und bewertet habe. Nach nochmaliger Rücksprache mit den Einrichtungen G1 (Förderbereich S3) und F1 (Förderbereich R1) durch die zuständige Sachbearbeiterin am 06.11.2024 habe sich erneut das Bild ergeben, dass die oben genannten (Pflege-)Bedarfe in den dortigen Fördergruppen durchaus geleistet werden könnten. Bezüglich der Überwachung der Vitalfunktionen und dem Atmungsmanagement mit bedarfsorientiertem Absaugen und Ausspülen des Mundes komme es ggf. auf das notwendige Ausmaß (Absaugen und Ausspülen nur im vorderen Mundbereich oder auch im Rachen notwendig?), insbesondere jedoch auf die notwendige Häufigkeit an. Beide Einrichtungen hätten angegeben, dass eine Sondierung der Nahrung über die PEG-Sonde sowie eine Kontrolle der Sondenfunktion und ggf. Reinigung der Sonde im Rahmen des alltäglichen Gebrauchs bereits bei mehreren Kunden im Förderbereich geleistet werde. Die Einrichtung F1 habe angegeben, dass jeder Fördergruppe ein Nebenraum für Ruhepausen der Kunden zur Verfügung stehe. Es seien auch bereits Pflegebetten mit Dekubitusmatratze vorhanden. Falls eine besondere Dekubitusmatratze gebraucht werde, könne diese auch nachbestellt/angeschafft werden. Die Einrichtung G1 habe ebenfalls angegeben, dass in den Fördergruppen Ruheräume mit Pflegebetten zur Verfügung stünden. Bisher seien keine Dekubitusmatratzen vorhanden, diese könnten aber in der Regel problemlos über die Krankenkasse beantragt und nachgerüstet werden. So sei auch die Handhabe, wenn ein Kunde z.B. einen besonderen Lifter in der Fördergruppe benötige. Beide Einrichtungen hätten nochmals mitgeteilt, dass es sowohl kleinere und ruhigere sowie größere und aktivere Fördergruppen an den genannten Standorten gebe. Die Beleuchtung in den Räumlichkeiten werde als angenehm und nicht blendend beschrieben. Orientierungshilfen auf dem Fußboden seien zwar nicht vorhanden, es werde aber ebenfalls mit Symbolen zur Orientierung gearbeitet, z.B. Fühlen einer Windel vor dem Wickelgang (beim F1) oder Fühlen einer Karte mit aufgeklebtem Löffel vor dem Essen (bei einer Kundin der G1). Beide Einrichtungen hätten mitgeteilt, dass insbesondere in den Fördergruppen versucht werde, auf die individuellen Bedarfe, Routinen und Wünsche eines Kunden einzugehen und diese zu erfüllen.
Im Gespräch mit beiden Einrichtungen habe sich nochmals deutlich herausgestellt, dass ein gemeinsamer Kennenlerntermin und auch ein Praktikum unbedingt notwendig seien, um gemeinsam über die individuellen Pflege- und Betreuungsbedarfe eines Kunden zu sprechen und um abschließend bewerten zu können, ob ein gutes Betreuungsangebot durch die Einrichtung gemacht werden kann. Eben diese Möglichkeit und Notwendigkeit hätten die Antragstellerin bzw. ihre gesetzliche Betreuerin bisher kategorisch abgelehnt, zuletzt das angebotene Kennenlerngespräch bei der G1 am 07.08.2024.

Eine Aufnahme im Wohnbereich der N1, H1 sei von der Antragstellerin bislang noch nicht gewünscht. Aufgrund geringer Fluktuation, der hohen Nachfrage und dem Vorhandensein einer Warteliste bestehe derzeit auch keine Perspektive auf einen Wohnplatz im H1. Es sei zwar eine mittelfristige Aufnahme im Wohnbereich der N1, H1, von ihr und ihrer gesetzlichen Betreuerin gewünscht. Allerdings sei bislang völlig ungewiss, ob und falls ja, wann ihr dort ein Wohnplatzangebot offeriert werden könne. Entgegen der Auffassung des SG liege auch keine Vertrautheit mit der Einrichtung H1 aufgrund des früheren Schulbesuchs in der N1 vor. Die Antragstellerin habe zwar eine Schule der N1 besucht, diese habe sich jedoch an einem völlig anderen Standort befunden und keinerlei Bezug zu der Einrichtung H1, lediglich die Trägereinrichtung sei dieselbe. Das Argument, dass durch die Versorgung Stabilität erreicht werde, treffe nicht zu. Die Antragstellerin müsse sich im H1 genauso neu zurechtfinden wie bei der G1 oder dem F1.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. September 2024 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Behauptung sei unzutreffend, dass die von der Antragstellerin priorisierten beiden „Alternativeinrichtungen“ sehr wohl für die ihre Betreuung geeignet seien und dass die gesetzliche Vertreterin jegliche Mitwirkung zur Abklärung der Geeignetheit verweigert hätte. Unzutreffend sei auch die Behauptung, dass die ärztliche Bescheinigung des langjährigen Arztes F2 allein durch die Auflistung der Pflege- und Betreuungsbedarfe zu dem Schluss komme, dass die G1 nicht infrage kommt, gar undenkbar sei. F2 kenne die Antragstellerin über mehr als 20 Jahre und habe deren Entwicklung begleitet; zum anderen sei auch die G1 nicht unbekannt im Kreis B1. Er habe die Leistungsvereinbarungen der G1 eingehend studiert. Die G1 schließe Menschen, deren Pflegebedarf die Teilhabeleistungen deutlich übersteige, von der Inanspruchnahme der Leistungen der G1 aus. F2 könne sich sehr wohl ein Urteil erlauben, ob die Pflegebedarf über das "Normale" hinausgehe, was er bejaht habe. Des Weiteren werde in der Konzeption der G1 unter Anderem aufgeführt, dass behandlungspflegerische Maßnahmen (Medikamentengabe) durch Drittanbieter durchgeführt würden. Im Notfall werde also ein Anbieter dieser Leistungen kontaktiert und gerufen. Bei der Antragstellerin seien aber ggf. aufgrund einer nichteinstellbaren Epilepsie Sofort-Maßnahmen notwendig (Gabe von Notfallmedikamenten). Da könne man nicht warten, bis jemand kommt.
Die von F2 aufgeführten notwendigen Dinge wie Überwachung der Vitalfunktionen sowie das Absaugen und/oder Mundausspülen gehörten eindeutig in den Bereich der Behandlungspflege. Diese Leistungen habe die G1 einem Drittanbieter übergeben. Das Vorhandensein von Pflegebetten stehe nicht in der Leistungsvereinbarung der G1, lediglich von Sofas sei die Rede. Jetzt plötzlich seien auch Pflegebetten, aber ohne Dekubitusmatratzen vorhanden. Der Umstand, dass bei der Antragstellerin durch ein falsches Licht- und Geräuschmanagement die vorhandene und nicht einstellbare Epilepsie „getriggert“ werde und es in diesen Fällen zu Anfällen komme, bleibe ebenfalls unberücksichtigt.

Die Behauptung, die Antragstellerin bzw. ihre gesetzliche Vertreterin hätten ein Kennenlernen und Praktikum kategorisch abgelehnt und von dem Wunsch des dauerhaften Wohnens sei nie die Rede gewesen, sei unzutreffend.
Bereits im November 2023 sei im Rahmen der Berufswegekonferenz dargelegt worden, dass die Antragstellerin zunächst einen FuB besuchen möchte mit täglichen Heimfahrten (aufgrund des gesundheitlich sehr schlechten Jahres 2023), dass aber der Wunsch bestehe auf ein späteres Wohnen in dieser Einrichtung. Außerdem habe sie schon damals geäußert, dass ihr die Möglichkeit einer Kurzzeitunterbringung sehr wichtig sei für den Notfall, da sie alleinerziehend sei und in der Pflege/Betreuung auch einmal ausfallen könnte. Die Antragstellerin und ihre gesetzliche Vertreterin hätten sich am 12.04.2024 den Förderbereich des F1 in R1 angeschaut. Leider sei dort die Möglichkeit des Wohnens nicht auf die Bedürfnisse von ihr eingerichtet. L1 (Leiter Förderbereich) habe berichtet, dass das Wohnen auf vier Häuser verteilt sei in verschiedenen Orten und es in zwei Häusern keine Nachtwache gebe. Im letzten Haus sei zwar eine Nachtwache vorhanden, diese würde aber schlafen und nur aktiv werden, wenn ein Bewohner einen roten Knopf drücken würde. Dies könne die Antragstellerin nicht; sie sei Epileptikerin und schon aus diesem Grund komme eine Einrichtung ohne Nachtwache überhaupt nicht in Frage. Selbstverständlich sei der Antragstellerin der Umgang im H1 vertraut. Sie sei bereits zur Kurzzeitpflege dort gewesen und habe ein Praktikum absolviert. Natürlich seien die Räumlichkeiten anders, aber alles andere sei vertraut. Selbst die Klienten kenne die Antragstellerin zum großen Teil, da sie bereits Schüler in der N1 waren. Weder in der G1 noch im F1 die Klienten kenne sie die Räumlichkeiten, auch nicht das Personal, den Umgang etc.

Nach Mitteilung des Antragsgegners hat dieser in Ausführung des
Beschlusses des SG vom 20.09.2024 der Antragstellerin mit Bescheid vom 18.10.2024 bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens für sechs Monate vorläufig darlehensweise die Übernahme der Kosten für den Besuch der Einrichtung H1 der N1 inklusive Fahrtkosten in Höhe von 10.500 € monatlich bewilligt. Die Antragstellerin besucht seit dem 15.10.2024 eine Fördergruppe im H1 der N1 und wird dort werktags (Montag bis Freitag) in der Tagesstruktur betreut.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet. Das SG hat diesen zu Unrecht zur vorläufigen darlehensweise Übernahme der Kosten für den Besuch der Einrichtung H1 der N1 einschließlich der Fahrtkosten in Höhe von ca. 10.500 € monatlich verpflichtet.

Prozessuale Grundlage des im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes verfolgten Anspruchs ist, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, § 86b Abs. 2 SGG. Nach Satz 1 der Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG).

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die – summarische – Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Beschlüsse vom 25.07.1996 - 1 BvR 638/96 -, vom 22.11.2002 - 1 BvR 1586/02 -, und vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, Juris). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 86b Rdnr. 42). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz), ist von diesem Grundsatz eine Abweichung nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht mehr gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.07.2003 - BvR 311/03 -, Juris). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind nach der Rechtsprechung des BVerfG die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, a.a.O.).

Nach diesen Grundsätzen hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch auf vorläufige Übernahme der Kosten der Assistenzleistungen
in der Fördergruppe der N1, H1 in S2, einschließlich der anfallenden Fahrkosten, nicht glaubhaft gemacht.

Rechtsgrundlage für die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe sind § 99 Abs. 1 und 4 Satz 2 SGB IX i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Nach § 99 Abs. 1 Alt. 1 SGB IX erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe Menschen mit Behinderungen i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX, die wesentlich in der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt sind (wesentliche Behinderung), wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe nach § 90 SGB IX erfüllt werden kann. Nach § 104 SGB IX, der den allgemeinen Bestimmungen als lex specialis vorgeht und § 8 SGB IX konkretisiert (Gutzler in: Hauck/Noftz SGB IX, 4. Ergänzungslieferung 2024, § 104 Rn. 5; vgl. zum Verhältnis von § 104 SGB IX zu § 33 SGB I; BT-Drs. 18/9522, 279; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13.12.2022 - L 8 SO 42/22 B ER - juris Rn. 25; SG Freiburg, Beschluss vom 13.07.2023 - S 9 SO 1663/23 ER - juris Rn. 16), bestimmen sich die Leistungen der Eingliederungshilfe nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Bedarfs, den persönlichen Verhältnissen, dem Sozialraum und den eigenen Kräften und Mitteln; dabei ist auch die Wohnform zu würdigen (Abs. 1 Satz 1). Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, ist zu entsprechen, soweit sie angemessen sind (Abs. 2 Satz 1). Nach Abs. 2 Satz 2 gelten Wünsche als nicht angemessen, wenn und soweit die Höhe der Kosten der gewünschten Leistung die Höhe der Kosten für eine vergleichbare Leistung von Leistungserbringern, mit denen eine Vereinbarung nach Kapitel 8 besteht, unverhältnismäßig übersteigt (Nr. 1) und wenn der Bedarf nach der Besonderheit des Einzelfalles durch die vergleichbare Leistung gedeckt werden kann (Nr. 2). Für die Anwendbarkeit des Abs. 2 Satz 2 muss die Wunschleistung zu unverhältnismäßigen Mehrkosten führen. Damit wird bereits deutlich, dass nicht nur gleich kostenintensive Wunschleistungen erbracht werden können, sondern dass Mehrkosten durchaus entstehen können, solange sie nur nicht unverhältnismäßig sind. Bei dem Kriterium der Unverhältnismäßigkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der voller gerichtlicher Überprüfbarkeit unterliegt (Wehrhahn in: jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 104 Rn. 10). Allerdings hat sich die Angemessenheit nicht nur auf Kostengesichtspunkte zu erstrecken, sondern auf die Ausgestaltung der Leistung im Übrigen, wie z.B. auf deren Qualität und Geeignetheit zur Erreichung der Teilhabeziele (vgl. BT-Drs. 18/9522, S. 280; vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13.12.2022 a.a.O.; LSG Sachsen, Beschluss vom 22.3.2022 - L 8 SO 49/21 B ER - juris Rn. 33). Bei dieser Entscheidung ist zunächst die Zumutbarkeit einer von den Wünschen des Leistungsberechtigten abweichenden Leistung zu prüfen (Abs. 3 Satz 1). Die alternative Leistung zu der Wunschleistung muss für die Anwendbarkeit von Abs. 2 Satz 2 qualitativ und quantitativ vergleichbar sein. Es muss sich zwar nicht um inhaltlich identische Leistungen handeln, die Abweichungen dürfen allerdings für die gleichwertige Erfüllung des Leistungszwecks der Eingliederungshilfe keine oder nur eine sehr marginale Relevanz aufweisen. Sofern keine vergleichbaren Leistungen in diesem Sinne vorliegen, schließt dies allerdings abgesehen von der Unanwendbarkeit des Abs. 2 Satz 2 eine allgemeine Angemessenheitsprüfung nach Abs. 2 Satz 1 nicht aus. Denn auch insoweit kann eine etwas besser geeignete Leistung aufgrund sehr hoher Mehrkosten dennoch nicht mehr angemessen im Sinne der Norm sein (Gutzler, a.a.O., Rn. 25).

Nach diesen Grundsätzen kann die erstinstanzliche Entscheidung bei summarischer Prüfung keinen Bestand haben. Die Fördergruppe der N1, H1, stellt eine geeignete Einrichtung dar, um die Bedarfe der Antragstellerin im Bereich der Tagesstruktur zu decken. Es existiert eine Leistungsvereinbarung nach § 125 SGB IX zwischen der Einrichtung und dem Antragsgegner, in welcher die Zielgruppe und der Personenkreis des Angebots benannt werden, zu dem die Antragstellerin gehört. Allerdings lässt sich nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht hinreichend beurteilen, ob die dem Wunsch der Antragstellerin entsprechende werktägliche Betreuung in der Tagesstruktur der Fördergruppe der N1 mit Blick auf die hieraus folgende erhebliche Mehrbelastung des Leistungsträgers angemessen ist, d.h. im Verhältnis zum Gewicht der angeführten Gründe für die getroffene Wahl der Hilfemaßnahme (noch) im rechten Verhältnis steht. Denn jedenfalls das vom Wunsch abweichende Betreuungsangebot beim F1 e.V. (Standort R1), wo - ebenso wie in der Einrichtung der G1 (Standort S3) - nach den Feststellungen des Antragsgegners jeweils freie Betreuungskapazitäten vorhanden sind, die eine sofortige Aufnahme der Antragstellerin ermöglichen würden, erscheint der Antragstellerin nach derzeitigem Sach- und Streitstand nicht unzumutbar (§ 104 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB IX).

Nach den Feststellungen des Antragsgegners, die auf (anonymisierten) Nachfragen bei den Einrichtungen G1 (Förderbereich S3) und F1 (Förderbereich R1) beruhen, können die notwendigen (Pflege-)Bedarfe der Antragstellerin, wie sie in der Bescheinigung des F2 vom 24.08.2024 beschrieben werden, in den Fördergruppen beider Einrichtungen durchaus abgedeckt werden.
Diese gaben an, dass eine Sondierung der Nahrung über die PEG-Sonde sowie eine Kontrolle der Sondenfunktion und ggf. Reinigung der Sonde im Rahmen des alltäglichen Gebrauchs bereits bei mehreren Kunden im Förderbereich geleistet werde. Die Einrichtung F1 gab an, dass jeder Fördergruppe ein Nebenraum für Ruhepausen der Kunden zur Verfügung stehe. Es seien auch bereits Pflegebetten mit Dekubitusmatratze vorhanden. Falls eine besondere Dekubitusmatratze gebraucht werde, könne diese auch nachbestellt bzw. angeschafft werden. Die Einrichtung G1 gab ebenfalls an, dass in den Fördergruppen Ruheräume mit Pflegebetten zur Verfügung stehen. Bisher seien keine Dekubitusmatratzen vorhanden, diese könnten aber in der Regel problemlos über die Krankenkasse beantragt und nachgerüstet werden.

Gegen die Einschätzung der Geeignetheit dieser Einrichtungen hat sich die Antragstellerin gewandt und unter Berufung auf die Kenntnisse und Erfahrungen des F2 geltend gemacht, die G1 schließe nach der dortigen Leistungsvereinbarung Menschen, deren Pflegebedarf die Teilhabeleistungen deutlich übersteige, von Leistungen aus.  Des Weiteren werde in der Konzeption der G1 unter Anderem aufgeführt, dass behandlungspflegerische Maßnahmen (Medikamentengabe) durch Drittanbieter durchgeführt würden. Im Notfall werde also ein Anbieter dieser Leistungen kontaktiert und gerufen, was bei der Antragstellerin unzureichend sei, da bei ihr aufgrund einer nichteinstellbaren Epilepsie Sofort-Maßnahmen in Form der Gabe von Notfallmedikamenten notwendig sein könnten. Auch habe die G1 die von F2 notwendigen Maßnahmen der Behandlungspflege, wie Überwachung der Vitalfunktionen sowie das Absaugen und/oder Mundausspülen einem Drittanbieter übergeben. Zudem stehe das Vorhandensein von Pflegebetten nicht in der Leistungsvereinbarung, auch wenn diese nach Angaben der Einrichtung der G1 besorgt werden könnten. Zudem bleibe die Lichtempfindlichkeit der Antragstellerin unberücksichtigt. Diese Argumente, denen der Antragsgegner widersprochen hat unter Berufung auf mehrfache Nachfragen bei der G1, lassen sich im Rahmen des vorliegenden Verfahrens weder belegen noch widerlegen.

Gegen eine bedarfsspezifische Geeignetheit der Aufnahme in der Tagesstruktur einer Fördergruppe des F1 haben die Antragstellerin und ihre gesetzliche Vertreterin, - auf der Grundlage eines Besuchs im dortigen Förderbereich an einem Tag (12.04.2024) - (lediglich) vorgebracht, dass dort die Möglichkeit des Wohnens nicht auf die Bedürfnisse der Antragstellerin eingerichtet sei, da es in zwei der vier auf verschiedene Orte verteilten Häuser nach Aussage des Leiters des Förderbereichs keine Nachtwache gebe und dort, wo es sie gebe, diese nur reagiere, wenn ein Bewohner einen roten Knopf drücken würde, was der Antragstellerin behinderungsbedingt nicht möglich sei. Diese Bedenken der Antragstellerin sind nachvollziehbar, allerdings sind sie bis auf Weiteres nicht relevant. Ein Wohnen in einer Einrichtung - in welcher auch immer - wird aktuell weder von der Antragstellerin gewünscht, wie ihre Mutter zuletzt unter dem 02.08.2024 (Bl. 1029 VA) mitgeteilt hat, noch ist dies namentlich in der Wunscheinrichtung H1 auf absehbare Zeit organisatorisch umsetzbar, da nach Aussage des Trägers dort eine relative geringe Fluktuation herrscht und bereits eine Warteliste existiert.

Sonstige Gründe, weshalb eine Betreuung der Antragstellerin in einer Fördergruppe des F1 für sie unzumutbar, weil mit erheblichen gesundheitlichen Nachteilen oder Gefährdungen verbunden sein sollte, sind ebenfalls nicht erkennbar. Soweit die Antragstellerin darauf hingewiesen hat, ihr sei der Umgang im H1 vertraut, wo sie bereits zur Kurzzeit und ein Praktikum absolviert habe und nunmehr offenbar seit dem 15.10.2024 betreut wird, begründet dies ohne weitere Begründung nicht per se die Unzumutbarkeit des Wechsels in die Tagesstruktur einer anderen Einrichtung, namentlich des F1. Denn es ist weder nach der ärztlichen Bescheinigung des F2 noch sonst dargelegt bzw. erkennbar, dass bei der Antragstellerin keinerlei Umstellungsfähigkeit besteht bzw. die Aufnahme in eine andere Einrichtung sonst ausgeschlossen wäre.

Schließlich führt auch die von der Antragstellerin betonte Spezialisierung der N1 auf die Betreuung von blinden Menschen nicht notwendig zur Ungeeignetheit jeder anderen Einrichtung. Dies kommt vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an, die vorliegend noch nicht abschließend bewertet werden können. Beide hier alternativ in Betracht kommenden Einrichtungen haben angegeben, Erfahrungen mit der Pflege blinder und schwerstbehinderter Menschen zu haben und auch der Antragstellerin unter Berücksichtigung ihrer besonderen Beeinträchtigungen und (Pflege-)Bedarfe ein geeignetes Betreuungsangebot in ihren Förderbereichen machen zu können. Gleichzeitig haben beide Einrichtungen betont, dass ein Kennenlerntermin und auch ein Praktikum unbedingt notwendig sind, um gemeinsam über die individuellen Pflege- und Betreuungsbedarfe zu sprechen und abschließend bewerten zu können, ob ein gutes Betreuungsangebot durch die Einrichtung gemacht werden kann. Die Inanspruchnahme eines solchen Angebots namentlich in der Einrichtung F1 ist mit Blick auf die erhebliche Kostendifferenz zwischen beiden Einrichtungen zumutbar. Dabei machen nach allgemeiner Ansicht geringfügige Mehrkosten allein den Wunsch des Betroffenen noch nicht unangemessen (Just in: Hauck/Noftz, SGB I, § 33 SGB I, Stand: November 2021, Rn. 21).  Wann Mehrkosten so erheblich sind, dass sie die Verwaltung berechtigen, die Erfüllung eines Wunsches abzulehnen, lässt sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles beurteilen. Wesentlich ist insbesondere, ob im Hinblick auf die von den Verwaltungsträgern stets zu beachtenden Gebote der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (vgl. § 69 Abs. 2 SGB IV) zwischen den Mehrkosten und den Vorteilen für den Betroffenen ein ausgewogenes Verhältnis besteht. Allerdings darf
der Eingliederungshilfeträger unangemessenen Wünschen, auch solchen, die aufgrund der gesetzlichen Regelung als unangemessen gelten, nicht entsprechen (Gutzler in Hauck/Noftz, SGB IX 4. Aufl. 2024, § 104 Rn. 23). Auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 23.02.2023 - B 8 SO 4/22 R - juris Rn. 28) kann eine nicht erforderliche Leistung nicht im Wege des Wunsch- und Wahlrechts erlangt werden, da nur solche Wünsche berechtigt sind, die sich im Rahmen der Gesetzeszwecke und -ziele bewegen. Ob insoweit eine feste Grenze, sei es unter Anwendung eines absoluten oder relativen Maßstabs gilt, ist allerdings streitig (ablehnend Just, a.a.O. Rn. 23; Weselski in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl. 2018, § 33 Rn. 5; a.A. Bley, in Ges.Komm., § 33 Anm. 17b; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11.02.1982 - 5 C 85/80 -, BVerwGE 65, 52, wonach Mehrkosten von 75 % ohne Weiteres unverhältnismäßig sind).

Ohne dass es insoweit einer diesbezüglichen abstrakten Festlegung des Senats bedürfte, sind die vorliegend bei der N1 gegenüber dem F1 anfallenden Mehrkosten von 62% bzw. monatlich ca. 6.500 € als erheblich anzusehen, die nur bei Feststellung signifikanter Unterschiede zwischen der alternativen Leistung zu der Wunschleistung als noch verhältnismäßig i.S.d. § 104 Abs. 2 Satz 2 SGB IX zu beurteilen sein können. Die Abweichungen in den Leistungen dürfen allerdings für die gleichwertige Erfüllung des Leistungszwecks der Eingliederungshilfe keine oder nur eine sehr marginale Relevanz aufweisen (Gutzler, a.a.O., Rn. 25).

Gravierende Leistungsunterschiede zwischen der Wunscheinrichtung (N1) und der alternativen Einrichtung (F1) vermochte der Senat anhand der prinzipiellen Ausrichtung und Leistungsprofile beider Einrichtungen und des vorliegenden Sach- und Streitstandes - wie ausgeführt - nicht festzustellen. Es kommt daher maßgeblich darauf an, ob der Antragstellerin unter Berücksichtigung ihrer besonderen Beeinträchtigungen und (Pflege-)Bedarfe ein geeignetes individuelles Betreuungsangebot in einer anderen als der Wunscheinrichtung gemacht werden kann. Der Senat teilt die Auffassung, dass eine solche Entscheidung nur nach einem gemeinsamen Kennenlerntermin und einem Praktikum, in welchem die individuellen Pflege- und Betreuungsbedarfe der Antragstellerin ermittelt und dem Leistungsprofil der Einrichtung gegenübergestellt werden, faktenbasiert getroffen werden kann. Die Inanspruchnahme eines solchen Angebots ist der Antragstellerin möglich und zumutbar und mit Blick auf die erheblichen Mehrkosten der Wunscheinrichtung aus Gründen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit veranlasst.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
 
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).   


 

Rechtskraft
Aus
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