L 16 KR 715/22 KH

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 17 KR 2639/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 715/22 KH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 24.08.2022 geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.012,95 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer vollstationären Krankenhausbehandlung.

Die am 00.00.0000 geborene und bei der Beklagten versicherte V. (Versicherte) wurde im Zeitraum vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 im nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus der Klägerin vollstationär behandelt. Die Aufnahme erfolgte aufgrund einer Stuhlinkontinenz (ICD-10 R15). Diese Erkrankung wurde mit der Sakralnervenstimulation behandelt. Bei diesem Verfahren wird eine Elektrode im Bereich des Kreuzbeins an den sakralen Spinalnerven implantiert, die u.a. den Enddarm und den Schließmuskel versorgen. Zusätzlich wird ein Schrittmacher implantiert, der über die Elektrode schwache elektrische Impulse an die Sakralnerven abgibt, so dass die natürliche Funktionalität des Darms wiederhergestellt wird. Vor dem streitigen Aufenthalt wurde bei der Versicherten am 00.00.0000 ein operativer Eingriff durchgeführt, um die Sakralnervenstimulation zu testen. Hierfür wurde eine permanente Elektrode eingepflanzt, die über einen externen Stimulator versorgt wurde. Da die Testphase erfolgreich verlaufen war, diente der streitige stationäre Aufenthalt der Implantation des Schrittmachers. Dies wurde am Aufnahmetag von 8:48 Uhr bis 9:05 Uhr durchgeführt. Diesen Eingriff kodierte das Krankenhaus mit dem OPS 5-059.g0 (Implantation eines Neurostimulators zur Stimulation des peripheren Nervensystems ohne Implantation einer Neurostimulationselektrode: Einkanalstimulator, vollimplantierbar, nicht wiederaufladbar). Am nächsten Tag wurde der Schrittmacher aktiviert. Nach einer erneuten Anpassung am 00.00.0000 wurde die Versicherte entlassen.

 

Für diese Behandlung forderte die Klägerin von der Beklagten unter Zugrundelegung der Diagnosis Related Group (DRG) G13A (Implantation und Wechsel von Neurostimulatoren und Neurostimulationselektroden bei Krankheiten und Störungen der Verdauungsorgane ohne Implantation oder Wechsel eines permanenten Elektrodensystems) eine Vergütung i.H.v. 10.362,95 € (Rechnung vom 00.00.0000).

 

Die Beklagte beglich den Rechnungsbetrag vollständig, veranlasste aber eine Überprüfung des Behandlungsfalls durch den J. zur Frage der primären und sekundären Fehlbelegung sowie zum Vorliegen der Indikation zur Durchführung des OPS 5-059.g0 mit dem Zusatzentgelt (ZE) 139 (Prüfanzeige vom 10.07.2018). In dem nach einer Begehung im Krankenhaus erstellten Gutachten vom 05.11.2018 kam L. für den J. zu dem Ergebnis, dass der OPS 5-059.g0 und das ZE 139 formal korrekt angesetzt worden seien, allerdings eine primäre Fehlbelegung vorliege. Die vollstationäre Krankenhausbehandlung sei nicht nachvollziehbar. Laut Dokumentation habe kein pflegerischer Aufwand bestanden; die Komorbiditäten der Versicherten hätten keinen Ressourcenaufwand zur Folge gehabt. Der Eingriff sei medizinisch indiziert gewesen, hätte aber im ambulanten Setting durchgeführt werden können.

 

Die Beklagte teilte der Klägerin am 12.11.2018 mit, dass eine Erstattungsforderung i.H.v. 10.362,95 € bestehe. Ausweislich des J.-Gutachtens habe eine primäre Fehlbelegung vorgelegen, da der Eingriff zwar medizinisch indiziert gewesen sei, aber ambulant hätte durchgeführt werden können. Mit drei Schreiben (09.04.2019, 17.04.2019 und 00.00.0000) erklärte die Beklagte gegenüber der Klägerin, dass sie mit dem nach ihrer Ansicht bestehenden Erstattungsanspruch gegen drei Vergütungsforderungen der Klägerin aufrechnen werde (i.H.v. 2.550,19 € gegen die Forderung aus dem Behandlungsfall A., i.H.v. 7.215,55 € gegen die Forderung aus dem Behandlungsfall H. und i.H.v. 597,21 € gegen die Forderung aus dem Behandlungsfall K.).

 

Die Klägerin hat am 21.12.2019 beim Sozialgericht (SG) Duisburg Klage erhoben. Die Beklagte habe nicht aufrechnen dürfen. Die Behandlung der Versicherten sei insbesondere unter Berücksichtigung der G-AEP-Kriterien (Anlage 2 zum Vertrag nach § 115b Abs. 1 SGB V – Ambulantes Operieren und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus [AOP-Vertrag]) notwendig gewesen. Bei ihr hätten erhebliche Vorerkrankungen vorgelegen, weswegen die Kriterien D6 und E1 der G-AEP-Kriterien erfüllt gewesen seien. Sie habe in der Vergangenheit eine Hirnblutung erlitten, die zu der Stuhlinkontinenz geführt habe. Den G-AEP-Kriterien sei nicht zu entnehmen, dass die Vorerkrankung kurz vor dem Eingriff aufgetreten sein müsse. Die erlittene Hirnblutung sei – auch wenn sie länger zurückgelegen habe – ein Indiz für die hohe Anfälligkeit der Versicherten für entsprechende Komplikationen, was wiederum eine engmaschige Kontrolle erforderlich gemacht habe. Zudem habe sie zwei verschiedene Blutdrucksenker eingenommen, so dass eine Überwachung des Blutdrucks geboten gewesen sei. Ferner habe sie ein Muskelrelaxanz eingenommen, bei dem es zu Wechselwirkungen mit Narkosemitteln kommen könne. Auch wenn sich das Risiko nicht verwirklich habe, habe ein Risiko bestanden.

 

Die Klägerin hat beantragt,

 

die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.362,95 € nebst Zinsen i.H.v. 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 00.00.0000 zu zahlen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat auf das J.-Gutachten Bezug genommen. Die Versicherte sei laut Pflegeanamnese wach sowie orientiert gewesen und habe sich eigenständig versorgt. Aus den ärztlichen Anordnungen gehe lediglich die Verabreichung von 4 x 30 Novamin-Tropfen und die Gabe von Ibuprofen 600 hervor; beide Medikamente seien ambulant und oral einnehmbar. Die von der Klägerin durchgeführte Implantation eines Neurostimulators sei ein minimalinvasiver Eingriff und habe 17 Minuten gedauert; es sei keine engmaschige Überwachung ersichtlich. Aus der Klageschrift lasse sich entnehmen, dass die Klägerin grundsätzlich ebenfalls davon ausgehe, dass der Eingriff ambulant durchführbar gewesen sei. Die dargelegten Risiken begründeten keine stationäre Behandlungsbedürftigkeit. Die Hirnblutung sei zwölf Jahre vor dem streitigen Krankenhausaufenthalt geschehen und könne daher keine medizinische Bedeutung mehr haben. Die Klägerin habe die Hirnblutung auch nicht als Nebendiagnose kodiert. Zudem sei bei einem Schlaganfall nach den G-AEP-Kriterien Voraussetzung, dass eine besonders überwachungspflichtige Behandlung dokumentiert sei. Dies sei nicht der Fall. Aus der kodierten Nebendiagnose I10.00 (benigne essentielle Hypertonie: Ohne Angabe einer hypertensiven Krise) lasse sich schlussfolgern, dass keine Gefahr einer Blutdruckentgleisung bestanden habe. Ferner könne die Gefahr einer Blutdruckentgleisung auch eine Kontraindikation für den Eingriff dargestellt haben. In jedem Fall liege eine sekundäre Fehlbelegung vor, da die Versicherte früher habe entlassen werden können.

 

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen F., Facharzt für Allgemein-, Viszeral- und spezielle Viszeralchirurgie. Dieser hat in seinem Gutachten vom 07.12.2021 ausgeführt, dass die durchgeführte Implantation des Schrittmachers indiziert und leitliniengerecht gewesen sei. Die Versicherte habe seit April 2018 eine Testphase durchlaufen, zu deren Beginn bereits die permanenten Elektroden platziert worden seien. Während des streitigen stationären Aufenthalts sei nur noch die Implantation des Schrittmacheraggregats erfolgt. Es seien keine weiteren diagnostischen Maßnahmen erforderlich gewesen. Der Schrittmacher werde oberflächlich im Unterhautfettgewebe in eine präformierte Tasche platziert; der Eingriff sei ohne Risiko ambulant durchführbar. Der Patientenakte ließen sich keine pflegerischen oder ärztlichen Maßnahmen nach dem Eingriff entnehmen, die eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit rechtfertigten. Bei der Versicherten hätten aus ex-ante Sicht anamnestisch folgende nach den G-AEP-Kriterien relevante Vorerkrankungen vorgelegen: Eine Hirnblutung und eine daraus resultierende linksseitige Spastik, eine Herzmuskelentzündung und ein medikamentös behandelter Bluthochdruck. Grundsätzlich hätten daher Komorbiditäten vorgelegen, die die Erforderlichkeit einer verlängerten Überwachungszeit und damit die stationäre Behandlungsbedürftigkeit hätten begründen können. Allerdings seien diese Kriterien und die Begründung für die besondere Überwachungspflicht zu Behandlungsbeginn in der Patientenakte zu dokumentieren. Die Patientenakte enthalte aber keine Hinweise, dass die Ärzte des Krankenhauses – weder die Anästhesisten noch die Chirurgen – ex ante von einer Notwendigkeit einer besonders überwachungspflichtigen Behandlung der Versicherten ausgegangen seien. Daher sei davon auszugehen, dass die behandelnden Ärzte bei der Versicherten kein besonderes Risiko gesehen hätten. Dies erscheine auch korrekt, da die Behandlung ohne jegliche Komplikationen verlaufen sei und die wenigen ärztlichen und pflegerischen Eintragungen unauffällig seien. Der Eingriff sei als minimalinvasiv und ohne großes operatives Risiko einzustufen. Die operative Maßnahme am 00.00.0000 hätte daher auch ambulant erfolgen können. Die weiteren Maßnahmen an den Folgetagen benötigten ebenso wenig eine stationäre Behandlung.

 

Die Klägerin hat ausgeführt, dass der Sachverständige die Indikation für den Eingriff bestätige. Der Eingriff sei stationär zu erbringen, da der OPS 5-059.g0 nicht im „Katalog ambulant durchführbarer Operationen, sonstiger stationsersetzender Eingriffe und stationsersetzender Behandlungen“ (AOP-Katalog) 2018 gelistet sei. Daher sei eine besondere Dokumentation der stationären Behandlungsnotwendigkeit, wie sie der Sachverständige fordere, nicht erforderlich gewesen. Zudem habe er bestätigt, dass mehrere Komorbiditäten vorgelegen hätten.

 

Am 14.02.2022 hat der Sachverständige ergänzend Stellung genommen. Der OPS 5-059.g0 sei für die durchgeführte operative Maßnahme zutreffend. Er sei weder im Behandlungszeitpunkt noch später im AOP-Katalog gelistet gewesen. Es sei aber nach dem Sinn und Zweck dieses Kataloges (Schaffung einer Abrechnungsmöglichkeit für bestimmte ambulant erbringbare Leistungen) nicht nachvollziehbar, dass der Eingriff allein aus diesem Grund stets stationär erbracht werden müsse. Zudem sei dieser OPS mit anderen im AOP-Katalog gelisteten OPS-Kodes vergleichbar (z.B. OPS 5-039.n2). Bei der Behandlung der Versicherten gebe es keine stichhaltigen Argumente gegen eine ambulante Behandlung. Hinsichtlich der G-AEP-Kriterien fehle es an der Dokumentation.

 

Die Klägerin hat vorgetragen, dass der bei der Versicherten eingesetzte Schrittmacher mit ca. 6.000,00 € ziemlich teuer sei. Diese Sachkosten seien im Rahmen des AOP-Kataloges nicht abrechenbar. Aufgrund der bei der Versicherten vorgelegenen Risikofaktoren habe eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit bestanden. Der Eingriff habe unter stationären Bedingungen, nämlich in Vollnarkose, durchgeführt werden müssen. Dazu seien ambulante Einrichtungen nur selten in der Lage. Zudem habe eine Anfrage bei der Kassenärztlichen Vereinigung ergeben, dass der bei der Versicherten durchgeführte Eingriff ambulant nicht abrechenbar sei, da dazu keine Gebührenordnungsposition (GOP) im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) existiere. Eine ambulante Leistungserbringung sei daher nicht möglich; denn Leistungen dürften nicht ohne Vergütung erbracht werden.

 

Die Beklagte hat vorgetragen, dass es keine medizinischen Gründe für eine stationäre Behandlung gebe. Der Umstand, dass die Leistung nicht ambulant abrechenbar sei, ändere nichts (Hinweis auf Landessozialgericht (LSG) Hamburg, Urteil vom 27.10.2021 – L 1 KR 26/21).

 

In der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2022 hat das SG den behandelnden Operateur P. angehört und den Sachverständigen zur persönlichen Erläuterung des Gutachtens vernommen. Hinsichtlich des Inhalts wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

 

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 24.08.2022 zur Zahlung von 10.012,95 € nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die Kammer der Auffassung, dass vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 eine vollstationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten erforderlich gewesen sei. Lediglich für den weiteren Tag, also über den 00.00.0000 hinaus, sei eine vollstationäre Behandlung nicht mehr notwendig gewesen. Zwar schließe sich die Kammer den Ausführungen des Sachverständigen grundsätzlich an, dass seitens der Klägerin keine besonderen Überwachungsbemühungen bei der Versicherten erfolgt bzw. dokumentiert seien. Aus der Patientenakte werde deutlich, dass die Ärzte des Krankenhauses in Kenntnis der Risikofaktoren der Versicherten nicht von einer besonderen Überwachungsbedürftigkeit ausgegangen seien. Grundsätzlich führe auch der Umstand, dass eine Leistung medizinisch indiziert sei, aber nicht im ambulanten Bereich erbracht werden könne, nicht zur Begründung der stationären Behandlungsbedürftigkeit. Das Bundessozialgericht (BSG) führe in ständiger Rechtsprechung aus, dass für die Begründung einer vollstationären Behandlung ausschließlich auf medizinische Gründe abzustellen sei und damit wohl nicht auf abrechnungsrelevante Gründe. In Kenntnis der zu dieser Thematik ergangenen Rechtsprechung komme die Kammer im vorliegenden Einzelfall jedoch zu dem Ergebnis, dass aufgrund der von dem Sachverständigen festgestellten Indikation für den durchgeführten Eingriff und aufgrund der Nichtabrechenbarkeit des Eingriffs im ambulanten Setting eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit vorliege. Die Implantation des Schrittmachers bei der Versicherten sei unstreitig medizinisch erforderlich gewesen und könne aufgrund der fehlenden Abrechenbarkeit im ambulanten Sektor nur theoretisch ambulant durchgeführt werden. Es obliege der Beklagten gemäß § 72 SGB V, die vertragsärztliche Versorgung der Versicherten sicherzustellen. Dies führe dazu, dass die Beklagte die Kosten für einen medizinisch erforderlichen Eingriff im Rahmen einer stationären Behandlung bei der fehlenden Sicherstellung der Erbringung von medizinisch indizierten Leistungen im vertragsärztlichen Bereich zu tragen habe (Hinweis auf BSG, Urteil vom 19.11.2019 – B 1 KR 13/19 R) und keine primäre Fehlbelegung vorliege.

 

Gegen dieses ihr am 14.09.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 07.10.2022 Berufung eingelegt. Das SG habe das Gutachten des Sachverständigen hinsichtlich der Vorerkrankungen der Versicherten fehlerhaft interpretiert. Diese hätten im Wesentlichen auf anamnestischen Angaben der Versicherten beruht. Zudem habe das SG die Feststellungen des Sachverständigen zur nicht vorliegenden stationären Behandlungsnotwendigkeit verkürzt dargestellt, auch wenn es sich diesen grundsätzlich angeschlossen habe. Vor allem aber sei die Begründung des SG, dass eine stationäre Behandlung wegen der fehlenden Abrechenbarkeit einer ambulanten Leistungserbringung notwendig sei, rechtlich nicht haltbar. Das SG sei in Kenntnis und nach Wiedergabe der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung von dieser abgewichen, ohne hierfür tragfähige Gründe zu nennen. Die Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 19.11.2019 – B 1 KR 13/19 R – begründe die Ausführungen des SG nicht, da der dortige Sachverhalt nicht mit dem vorliegenden vergleichbar sei. In dem Verfahren des BSG sei eine stationäre Reha-Notfallbehandlung erforderlich gewesen, während in dem hier streitigen Fall die Erforderlichkeit der stationären Krankenhausbehandlung gerade streitig sei.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des SG Duisburg vom 24.08.2022 zu ändern und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Die Beklagte sei aufgrund des Sachleistungsprinzips verpflichtet gewesen, der Versicherten die medizinisch indizierte Leistung zu gewähren. Diese Leistung sei aber im ambulanten Bereich nicht verfügbar gewesen, weil es für diese – aus welchen Gründen auch immer – keine GOP im EBM gebe. Damit bleibe nur die stationäre Leistungserbringung.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Ge­richtsakte, der Patientenakte der Klägerin und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe

 

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte, fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht zur Zahlung der Vergütung i.H.v. 10.012,95 € verurteilt.

 

Die zulässigerweise erhobene (echte) Leistungsklage i.S.d. § 54 Abs. 5 SGG (st.Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 12.12.2023 – B 1 KR 1/23 R –, Rn. 12 m.w.N., juris) ist in vollem Umfang unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der Vergütung aus den in den Schreiben der Beklagten vom 09.04.2019, 17.04.2019 und 00.00.0000 genannten Behandlungsfällen.

 

Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass die Klägerin aufgrund dieser stationären Behandlungen Anspruch auf Vergütung i.H.v. (weiteren) 10.362,95 € hatte; eine nähere Prüfung des Senats erübrigt sich insoweit (vgl. BSG, Urteil vom 31.07.2019 – B 1 KR 31/18 R –, Rn. 9, juris; Urteil vom 17.12.2013 – B 1 KR 57/12 R –, Rn. 8, juris). Diese Vergütungsansprüche sind durch die von der Beklagten mit den genannten Schreiben erklärten Aufrechnungen erloschen.

 

Der Beklagten stand aus der Behandlung der Versicherten ein Erstattungsanspruch in dieser Höhe zu (dazu unter 1). Damit bestand eine für die Aufrechnung gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. §§ 387 ff. BGB erforderliche Gegenforderung und somit eine Aufrechnungslage. Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung war wirksam (dazu unter 2).

 

1. Die Beklagte hatte gegen die Klägerin einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch in Höhe der gezahlten Krankenhausvergütung von 10.362,95 €, da diese Zahlung ohne Rechtsgrund erfolgte. Der Klägerin stand aus dem Behandlungsfall der Versicherten kein Anspruch auf Zahlung von Krankenhausvergütung zu.

 

Rechtsgrundlage des Anspruchs eines Krankenhauses auf Vergütung der stationären Behandlung von Versicherten ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 KHEntgG und § 17b KHG, sämtlich in der bis zum 31.12.2018 geltenden Fassung. Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses und damit korrespondierend die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch die Versicherte kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus im Rahmen seines Versorgungsauftrages durchgeführt wird und i.S.v. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist (st.Rspr., vgl. nur BSG, Urteil vom 11.05.2023 – B 1 KR 10/22 R –, Rn. 10 m.w.N., juris).

 

Die Krankenhausbehandlung der Versicherten war nicht i.S.d. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich.

 

Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit erfordert einen Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht (st. Rspr.; vgl. etwa BSG, Urteil vom 13.12.2016 – B 1 KR 1/16 R –, Rn. 28 ff., juris; Urteil vom 17.11.2015 – B 1 KR 18/15 R –, Rn. 11 ff., juris). Als besondere Mittel des Krankenhauses hat die Rechtsprechung eine apparative Mindestausstattung, geschultes Pflegepersonal und einen jederzeit präsenten oder rufbereiten Arzt herausgestellt. Dabei ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der den mit Aussicht auf Erfolg angestrebten Behandlungszielen und den vorhandenen Möglichkeiten einer vorrangigen ambulanten Behandlung entscheidende Bedeutung zukommt (BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 3/08 KR R –, Rn. 18 m.w.N., juris). Ob einer Versicherten voll- oder teilstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich allein nach den medizinischen Erfordernissen (BSG, Beschluss vom 25.09.2007 – GS 1/06 –, Rn. 15 und 24, juris). Andere Unterbringungsgründe wie Pflegebedürftigkeit (BSG, Urteil vom 16.02.2005 – B 1 KR 18/03 R –, Rn. 21, juris) oder allgemeine soziale, humanitäre oder familiäre Gründe (BSG, Urteil vom 17.11.2015 – B 1 KR 20/15 R –, Rn. 11 f., juris; Urteil vom 24.01.1990 – 3 RK 7/89 –, Rn. 10, juris) reichen selbst dann nicht aus, wenn sie auf eine Krankheit zurückzuführen sind (BSG, Urteil vom 04.04.2006 – B 1 KR 32/04 R –, Rn. 18, juris). Ermöglicht es der Gesundheitszustand der Patientin, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege, zu erreichen, so besteht kein Anspruch auf stationäre Behandlung und damit auch kein Vergütungsanspruch des Krankenhauses (BSG, Urteil vom 21.04.2015 – B 1 KR 7/15 R –, Rn. 10, juris). Für die Beurteilung der Erforderlichkeit stationärer Krankenhausbehandlung kommt es dabei auf die medizinischen Erfordernisse im Einzelfall und nicht auf eine abstrakte Betrachtung an; in jedem Fall bedarf es neben der generellen auch der individuellen Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung im Einzelfall. Auch der Umstand, dass eine ambulante Leistung zwar medizinisch indiziert ist, aber weder in den AOP-Katalog noch in den EBM aufgenommen wurde, ändert an diesen Rechtsgrundsätzen nichts (BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KR 11/08 R –, Rn. 17, juris; zustimmend Freudenberg, jurisPR-SozR 12/2009 Anm. 1; BSG, Urteil vom 02.09.2014 – B 1 KR 11/13 R –, Rn. 14, juris; ebenso LSG Hamburg, Urteil vom 27.10.2021 – L 1 KR 41/20 –, Rn. 37 ff., juris < die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat das BSG mit Beschluss vom 03.04.2023 – B 1 KR 108/21 B –, juris, als unzulässig verworfen >).

 

Die Frage der Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung ist dabei auch dann von den Gerichten vollständig zu überprüfen, wenn die Krankenkasse – wie vorliegend der Fall – ihre Leistungspflicht nachträglich für einen zurückliegenden Zeitraum bestreitet. Denn auch in dieser Konstellation ist eine Zurücknahme der gerichtlichen Kontroll- und Entscheidungsbefugnisse unter Berufung auf einen Einschätzungsvorrang des verantwortlichen Krankenhausarztes weder vom Gesetz vorgesehen noch von der Sache her erforderlich und deshalb mit dem rechtsstaatlichen Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar. Ob die Aufnahme ins Krankenhaus oder die Fortführung der stationären Behandlung über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus nach objektiven Maßstäben medizinisch geboten war, lässt sich mit sachverständiger Hilfe auch rückschauend klären. Nicht in rechtlicher, wohl aber in tatsächlicher Hinsicht, also im Rahmen der Beweiswürdigung, wird allerdings in Grenz- oder Zweifelsfällen bei einer nachträglichen Prüfung der Beurteilung des behandelnden Arztes besonderes Gewicht zukommen können, weil sich die in der Vergangenheit liegende Behandlungssituation auch bei einer ordnungsgemäßen Dokumentation des Krankheitsgeschehens und des Behandlungsverlaufs unter Umständen nur begrenzt nachvollziehen lässt und der Krankenhausarzt im Zeitpunkt der Behandlung in Kenntnis der Patientin und aller für die medizinische Versorgung relevanten Umstände im Zweifel am ehesten einschätzen konnte, welche Maßnahmen medizinisch veranlasst waren (BSG, Beschluss vom 25.09.2007 – GS 1/06 –, Rn. 32, juris).

 

In rechtlicher Hinsicht besteht bei einer nachträglichen Fehlbelegungsprüfung die Besonderheit, dass die Berechtigung der Krankenhausbehandlung nicht rückschauend aus der späteren Sicht des Sachverständigen zu beurteilen, sondern zu fragen ist, ob sich die stationäre Aufnahme oder Weiterbehandlung bei Zugrundelegung der für den Krankenhausarzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Kenntnisse und Informationen zu Recht als medizinisch notwendig dargestellt hat (BSG, Beschluss vom 25.09.2007 – GS 1/06 –, Rn. 33, juris).

 

Auf dieser Grundlage ist der Senat der Überzeugung, dass ausweislich der für die Beurteilung aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht des Krankenhausarztes zugrunde zu legenden Patientenakte im Falle der Versicherten keine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorlag. Es ist kein medizinischer Grund zu erkennen, weshalb die Behandlung, die Implantation eines Schrittmachers zur sakralen Nervenstimulation des Schließmuskels, vollstationär im Krankenhaus erfolgen musste.

 

Der Sachverständige F. hat sehr überzeugend und nachvollziehbar erläutert, dass dieser minimalinvasive Eingriff ambulant hätte durchgeführt werden können und dass sich aus dem Gesundheitszustand der Versicherten keine Gründe für eine stationäre Behandlung i.S.d. G-AEP-Kriterien ergaben. Er hat sich hierbei unter intensiver Auswertung der Patientenakte der Versicherten mit sämtlichen Argumenten auseinandergesetzt, mit denen die Klägerin den stationären Aufenthalt der Versicherten begründet. Zwar litt sie an mehreren Vorerkrankungen; dies war jedenfalls nach der Anamnese und der Medikation wahrscheinlich. Hieraus resultierte aber kein besonderes Risiko und daher auch keine besonders überwachungspflichtige Behandlung. Der Sachverständige stellt vollkommen zu Recht auf den Zeitpunkt ex ante – also zu Beginn der Behandlung – ab und fordert, dass die Ärzte des Krankenhauses das Bestehen eines Risikos, aus der sich das Erfordernis einer besonders überwachungspflichtigen Behandlung ergeben hätte, in der Patientenakte hätten dokumentieren müssen. Ausweislich der Patientenakte bestand hingegen ein solches Risiko bei der Versicherten nicht.

 

Anderes ergibt sich auch nicht aus den Angaben des Operateurs P. in der mündlichen Verhandlung vor dem SG. Er hat lediglich eine eingeschränkte Beweglichkeit der Versicherten angeführt und dass sie für den Eingriff auf den Bauch habe gedreht werden müssen, so dass der Beatmungsschlauch kurzzeitig habe entfernt werden müssen. Er führt insofern insgesamt Umstände an, die Aufgaben der Anästhesie darstellen. Die Ärzte der Anästhesie haben jedoch in den Unterlagen, die in der Patientenakte vorliegen, keine besonders überwachungspflichtige Behandlung festgehalten. Hierzu hat P. bestätigt, dass es sich für den Anästhesisten nicht um eine Risikosituation gehandelt habe. Bei der Versicherten habe der Blutdruck überwacht werden müssen. Ansonsten sei sie wie jede andere Versicherte überwacht worden.

 

Entgegen der Auffassung des SG und der Klägerin kann die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung weder mit der Indikation für den Eingriff noch mit der nicht bestehenden Abrechenbarkeit des Eingriffs im ambulanten Bereich begründet werden. Der Umstand, dass der konkrete Eingriff bei der Versicherten zweifellos indiziert war, führt nicht zwangsweise zur Erforderlichkeit der stationären Behandlung. Ist eine bestimmte Behandlung notwendig und kann sie nicht im vertragsärztlichen Bereich erbracht – etwa weil sie eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode darstellt und eine Genehmigung des GBA nicht vorliegt – oder nicht abgerechnet werden – weil noch keine GOP im EBM besteht –, ändert dies nichts an der grundsätzlichen Voraussetzung des § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V, dass die stationäre Behandlung erforderlich sein muss. Liegt diese Voraussetzung nicht vor, kann die Leistung nur im ambulanten Bereich erbracht werden. Die Abrechnung erfolgt in diesem Fall nach Maßgabe der GOÄ mit der Folge, dass die Patienten die Kosten für die Leistung selbst zu tragen haben.

 

Diese Grundsätze hat das BSG etwa in seiner Rechtsprechung zum sog. Potentialmaßstab bestätigt (siehe zur Liposuktion im Urteil vom 18.08.2022 – B 1 KR 29/21 R –, juris). Im ambulanten Bereich können diese Leistungen mangels Genehmigung durch den GBA nicht erbracht werden. Da sie dem allgemeinen Qualitätsgebot nicht entsprechen, dürfen sie auch nicht stationär erbracht werden. Ein Anspruch auf Versorgung mit diesen Leistungen nach dem abgesenkten Potentialmaßstab des § 137c Abs. 3 SGB V kommt nur in Betracht, wenn – neben weiteren Voraussetzungen – die übrigen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenhausbehandlung erfüllt sind. Insbesondere ist auch weiterhin ein Anspruch auf vollstationäre Krankenhausbehandlung nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V nur dann gegeben, wenn die Aufnahme durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Ist eine ambulante Behandlung aus medizinischen Gründen nicht ausgeschlossen, besteht kein Anspruch auf eine vollstationäre Behandlung (BSG, Urteil vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R –, Rn. 43, juris).

 

Soweit das SG und die Klägerin zur Begründung ihrer Auffassung auf das Urteil des BSG vom 19.11.2019 – B 1 KR 13/19 R – Bezug nehmen, stützt dies die erstinstanzliche Entscheidung nicht. In diesem Urteil hat das BSG festgestellt, dass die Krankenkasse als der zuständige Reha-Träger trotz rechtzeitiger Information ihrer Pflicht nicht nachgekommen sei, für eine unmittelbar an die stationäre Krankenhausbehandlung anschließende stationäre medizinische Rehabilitation zu sorgen. Da bei einer Entlassung aus der Krankenhausbehandlung eine Gesundheitsschädigung gedroht habe, habe ein Notfall entsprechend § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V vorgelegen. Das Krankenhaus habe eine stationäre Reha-Notfallbehandlung erbracht, die nach den Krankenhaussätzen zu vergüten sei. Der Rechtsgedanke dieses Urteils kann auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht übertragen werden. Zum einen stand in dem Sachverhalt, dem die genannte Entscheidung des BSG zugrunde lag, die Erforderlichkeit der stationären Behandlung gerade nicht infrage. Zum anderen wurde bei der hiesigen Versicherten keine Notfallbehandlung i.S.d. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V erbracht. Ein Notfall in diesem Sinne liegt vor, wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen so dringlich ist, dass es bereits an der Zeit für die Auswahl eines zugelassenen Therapeuten und dessen Behandlung – sei es durch dessen Aufsuchen oder Herbeirufen – fehlt, also ein unvermittelt aufgetretener Behandlungsbedarf sofort befriedigt werden muss (BSG, Urteil vom 08.09.2015 – B 1 KR 14/14 R –, Rn. 14, juris). Für einen solchen medizinisch bedingten Notfall liegen hier keine Anhaltspunkte vor.

 

Die Klägerin hatte auch aus anderen Erwägungen keinen Anspruch auf Vergütung für die Behandlung der Versicherten. Insbesondere hatte sie keinen Anspruch auf die Vergütung, die im Falle einer ambulanten Implantation des Schrittmachers angefallen wäre. Ein solcher Anspruch nach § 115b SGB V i.V.m. dem AOP-Vertrag kommt nicht in Betracht, da die durchgeführte Leistung nicht in dem AOP-Katalog 2018 (Anlage 1 zu dem AOP-Vertrag) enthalten war. Diese Behandlung konnte daher nicht im Rahmen des ambulanten Operierens im Krankenhaus durchgeführt werden (zum ambulanten Operieren für Vertragsärzte sogleich).

 

Der Umstand, dass im Jahr 2018 die ambulante Erbringung der Leistung nicht abrechenbar war, da eine GOP im EBM fehlte, führt schließlich ebenfalls nicht zum Erfolg der Klage. Insbesondere bestand nicht aufgrund Systemversagens eine Lücke im Naturalleistungssystem, die verhinderte, dass Versicherte sich die begehrte Leistung im üblichen Weg der Naturalleistung verschaffen konnten.

 

Welche Leistungen die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben, bemisst sich grundsätzlich nach dem Zusammenspiel von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht. Fehlt es an den erforderlichen Regelungen, um Versicherten die gebotenen Leistungen in der dargelegten Weise zu verschaffen, müssen die Krankenkassen hierfür durch Vorkehrungen außerhalb des Naturalleistungssystems Sorge tragen. Einen solchen Mangel im System der Leistungserbringung hat das BSG etwa bejaht, wenn der GBA bei seiner Entscheidung gegen höherrangiges Recht verstieß, weil er objektiv willkürlich ein sektorenübergreifendes Prüfverfahren nicht auf eine Empfehlung einer Methode für eine spezifische Indikation für die vertragsärztliche Versorgung erstreckte. Gleiches gilt, wenn zwar der GBA rechtmäßig über eine Empfehlung entschied, der Bewertungsausschuss aber eine danach mögliche Aufnahme (mindestens) einer Abrechnungsposition in den EBM unterließ, obwohl ohne (mindestens) eine solche Leistungsposition im EBM die gebotene ambulante Versorgung der Versicherten nicht möglich ist (BSG, Urteil vom 02.09.2014 – B 1 KR 11/13 R –, Rn. 19 f. m.w.N., juris).

 

Ein solches Systemversagen kann der Senat nicht feststellen.

 

Der Senat geht davon aus, dass die bei der Versicherten durchgeführte Behandlung keine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode i.S.d. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V darstellt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 08.07.2015 – B 3 KR 5/14 R –, Rn. 32, juris), so dass eine Empfehlung des GBA für die vertragsärztliche Versorgung nicht erforderlich war. Diese Annahme des Senats gründet sich darauf, dass der GBA mit Beschluss vom 16.04.2020 feststellte, dass die sakrale Neuromodulation durch ein implantierbares, wieder aufladbares Stimulationssystem zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit überaktiver Blase, Harnverhalt oder Stuhlinkontinenz nicht dem Verfahren nach § 137h Abs. 1 SGB V unterfalle. Er hat dies damit begründet, dass die genannte Behandlung kein neues theoretisch-wissenschaftliches Konzept aufweise, da sich ihr Wirkprinzip von anderen, in der stationären Versorgung angewendeten Herangehensweisen nicht wesentlich unterscheide. Die sakrale Neuromodulation durch ein implantierbares, nicht wieder aufladbares Stimulationssystem bei überaktiver Blase, Harnverhalt und Stuhlinkontinenz sei eine in die stationäre Versorgung eingeführte Herangehensweise und werde mit den OPS-Kodes 5-059.xx beschrieben (Tragende Gründe zum Beschluss des GBA, S. 7 auch unter Bezugnahme auf einschlägige Leitlinien). Zwischen diesen beiden Methoden bestehe kein wesentlicher Unterschied im Wirkprinzip (Tragende Gründe zum Beschluss des GBA, S. 8 f.).

 

Die bei der Versicherten durchgeführte Behandlung mit dem OPS 5-059.g0 wurde mit Wirkung zum 01.01.2023 neu in den Anhang 2 zum EBM aufgenommen, so dass sie seitdem mit den GOP 31242/36242 (OP Leistung), 31503/36503 (Überwachung), 31614 (Nachbehandlung) und 31615 (Nachbehandlung OP) abrechenbar ist. Dies hat der Bewertungsausschuss im Rahmen der Weiterentwicklung des ambulanten Operierens am 14.12.2022 beschlossen (Teil D Ziffer 1 des Beschlusses; der Beschluss sowie die Anlage mit den neu aufgenommenen OPS-Kodes ist auf https://institut-ba.de/ba/beschluesse.html unter Auswahl des Jahres 2022 veröffentlicht). Daher dürfen seitdem Vertragsärzte diese Behandlung ambulant sowie belegärztlich durchführen und können sie nach EBM abrechnen.

 

Anhaltspunkte dafür, dass der Bewertungsausschuss ohne tragfähige Sachgründe zunächst seinem gesetzlichen Auftrag nicht nachgekommen wäre, für den hier streitigen Eingriff Abrechnungspositionen im EBM zu schaffen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist hierbei zu berücksichtigen, dass – wie der Sachverständige ausgeführt hat – vergleichbare Eingriffe bestehen, die in dem AOP-Katalog gelistet waren. Auch die Klägerin trägt nichts dazu vor, dass der Bewertungsausschuss die GOP früher hätte schaffen müssen und das Verfahren vor dem Bewertungsausschuss trotz Erfüllung der notwendigen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt bzw. hintertrieben, verhindert oder in einer den Krankenkassen oder dem Bewertungsausschuss sonst zurechenbaren Weise unzulässig verzögert worden wäre.

 

2. Mit dem sich hieraus ergebenden Erstattungsanspruch rechnete die Beklagte wirksam nach § 10 PrüfvV 2016 gegen unstreitige Ansprüche der Klägerin aus anderen Behandlungsfällen auf.

 

Die Aufrechnung war zulässig; das sich aus § 15 Abs. 4 Satz 2 des Landesvertrages NRW ergebende Aufrechnungsverbot (dazu grundlegend BSG, Urteil vom 11.05.2023 – B 1 KR 14/22 R –, Rn. 11 ff., 27, juris) ist insofern nichtig, als die vorrangige Aufrechnungsregelung des § 10 der zeitlich und sachlich anwendbaren PrüfvV 2016 (vgl. dazu BSG, Urteil vom 18.05.2021 – B 1 KR 37/20 R –, Rn. 14, juris) dem entgegensteht.

 

Die Beklagte hat wirksam eine Aufrechnung mit ihrem Erstattungsanspruch gegen andere Ansprüche des Krankenhauses erklärt. Sie hat bei der Prüfung des Behandlungsfalls der Versicherten die zeitlichen und inhaltlichen Vorgaben der PrüfvV 2016 eingehalten (§ 6 Abs. 1 Buchstabe d, Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3, § 8 Sätze 1 bis 3 PrüfvV 2016). Daher war sie nach § 10 Satz 1 PrüfvV 2016 zur Aufrechnung mit ihrem Erstattungsanspruch berechtigt. Die Beklagte hat zudem in den o.g. Schreiben ausreichend genau i.S.d. § 10 Satz 2 PrüfvV 2016 bezeichnet, gegen welche Ansprüche sie mit ihrem Erstattungsanspruch aufgerechnet hat.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

 

Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

 

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 sowie § 47 Abs. 1 GKG.

 

Rechtskraft
Aus
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