Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 24. März 2022 abgeändert. Der Bescheid vom 9. August 2019 in der Fassung der Bescheide vom 14. November 2019, 19. Dezember 2019, 20. Februar 2020 und vom 2. Juli 2020 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 11. August 2020 in der Fassung der Bescheide vom 18. Dezember 2020, 29. Dezember 2020, 22. Januar 2021, 19. Februar 2021, 23. April 2021, 26. Mai 2021, 22. Juni 2021, 23. Juli 2021, 24. August 2021, 21. September 2021, 6. Dezember 2021, 21. Dezember 2021, 25. Januar 2022, 22. Februar 2022, 22. April 2022, 24. Juni 2022, 22. Juli 2022, 23. August 2022, 23. September 2022, 25. Oktober 2022, 22. November 2022 und 20. Dezember 2022 wird aufgehoben, soweit dem Kläger zuletzt für die Monate September 2019 bis November 2019 Leistungen von weniger 776,65 EUR monatlich, für den Monat Dezember 2019 von weniger als 570,02 EUR, für den Monat Januar 2019 sowie für die Monate März 2020 bis Dezember 2022 weniger als 776,65 EUR monatlich gewährt worden sind. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat drei Fünftel der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt im Rahmen von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 20 Prozent des Regelsatzes.
Der 1961 geborene, auf Dauer voll erwerbsgeminderte Kläger steht seit langem im Leistungsbezug bei der Beklagten.
Der Kläger leidet seit seinem 13. Lebensjahr an einem Diabetes mellitus Typ 1 und war massiv adipös („Spitzengewicht“ = 230 Kilogramm). Im Jahr 1998 wurde eine Schlauchmagen-Operation durchgeführt, im Jahr 1999 erfolgte eine Magenbypass-Operation. Im Jahr 2015 erkrankte der Kläger an einem Bauchspeicheldrüsenkarzinom. In der Folge wurde eine Whipple-Operation durchgeführt.
Unter dem 25. Februar 2015 hatte W1 ein amtsärztliches Zeugnis über das Erfordernis einer Krankenkostzulage (Mehrbedarf) unter Auswertung von Befunden, Berichten, Bescheinigungen, Attesten von behandelnden Ärzten erteilt, wobei er eine Krankenkostzulage für medizinisch notwendig erachtet und hierfür aus amtsärztlicher Sicht den Ansatz von 20 Prozent des Eckregelsatzes empfohlen hatte. In der Folge bewilligte die Beklagte dem Kläger Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 20 Prozent des Regelsatzes.
Auf Anfrage der Beklagten bescheinigte K1 unter dem 15. Oktober 2018 das Bestehen Krankenkost erfordernder Erkrankungen in Form von Krebs, Diabetes mellitus Typ 1 sowie Pankreasinsuffizienz wegen Pankreaskarzinom. Ergänzend verwies er unter dem 4. November 2018 wegen der erforderlichen Kostform auf die Ernährungsempfehlungen des Arbeitskreises der Pankreasektomierten.
Mit Bescheid vom 27. November 2018 erklärte die Beklagte die Weiterbewilligung der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab 1. Dezember 2018. Unter Berücksichtigung der geänderten wirtschaftlichen oder persönlichen Verhältnisse seien die laufenden Leistungen neu berechnet worden. Nach dieser Berechnung bestehe für den Monat Dezember 2018 ein Anspruch in Höhe von 766,04 EUR. Die monatliche Hilfe werde auch für die Folgemonate gezahlt. Ausweislich des Berechnungsbogens für den Monat Dezember 2018 berücksichtigte die Beklagte einen ernährungsbedingten Mehrbedarf in Höhe von 20 Prozent des Regelsatzes (83,20 EUR). Mit Änderungsbescheid vom 20. Dezember 2018 berechnete die Beklagte die Leistungen für den Monat Januar 2019 neu und setzte diese – unter Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs in Höhe von 84,80 EUR – auf 602,11 EUR fest, wobei die monatliche Hilfe auch für die Folgemonate gezahlt werde.
Nach einem amtsärztlichen Zeugnis von B1 vom 21. Dezember 2018 wurde aus amtsärztlicher Sicht eine Krankenkostzulage in Höhe von zehn Prozent des Eckregelsatzes empfohlen.
Mit Bescheid vom 2. Mai 2019 berechnete die Beklagte die Leistungen für die Monate April und Mai 2019 neu und setzte unter Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs in Höhe von weiterhin 84,80 EUR die Grundsicherungsleistungen auf 776,65 EUR fest, wobei die monatliche Hilfe auch für die Folgemonate gezahlt werde.
In einem weiteren amtsärztlichen Zeugnis vom 28. Mai 2019 teilte W1 mit, der Empfehlung einer Krankenkostzulage in Höhe von zehn Prozent des Eckregelsatzes vom 21. Dezember 2018 habe das eingereichte Attest des behandelnden Endokrinologen zugrunde gelegen. Das Krankheitsbild rechtfertige für sich genommen tatsächlich zehn Prozent des Regelsatzes. Die 2015 erstellte Stellungnahme habe sich ebenfalls auf das Krankheitsbild bezogen, wobei jedoch zusätzlich ein erheblicher Gewichtsverlust vorgelegen habe, sodass damals auf 20 Prozent des Eckregelsatzes plädiert worden sei. Solange ein weiterhin bestehender Gewichtsverlust vom behandelnden Arzt bestätigt werden könne, könne durch Vorlage eines neuen aktuellen Attestes die krankheitsbedingte Situation des Klägers im Hinblick auf einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung erneut begutachtet werden.
Auf Anfrage der Beklagten teilte K1 mit (Schreiben vom 24. Juni 2019), der Kläger sei seit 2018 in seiner Behandlung und habe noch nie ein Untergewicht, sondern eine Adipositas gehabt. Nach einem Arztbericht des K1 vom 9. Juli 2019 wurden beim Kläger die Diagnosen Diabetes mellitus Typ 1 (EDI 1974), diabetische Polyneuropathie, Z.n. Pankreaskopfkarzinom mit Whipple-OP 2015, Pankreasinsuffizienz, Z.n. Cholezystektomie und Splenektomie, Nierenzyste links, diffuse Hepatopathie vom Fettlebertyp und Adipositas Grad 1 gestellt. Als Befund wurde ein Gewicht von 139 Kilogramm bei einer Körpergröße von 196 Zentimetern sowie ein BMI von 36,18 kg/m² angegeben.
Mit Schreiben vom 15. Juli 2019 hörte die Beklagte den Kläger daraufhin zu einer beabsichtigten Reduzierung des Mehrbedarfs für Ernährung ab dem 1. September 2019 von 20 Prozent auf zehn Prozent des Eckregelsatzes an und teilte mit, dass sie beabsichtige, die Anträge des Klägers vom 27. November 2017 (32 Prozent Mehrbedarf) sowie vom 18. August 2018 (Regelleistungserhöhung monatlich 48 EUR) abzulehnen.
Mit Bescheid vom 9. August 2019 setzte die Beklagte zunächst – unter Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs in Höhe von 20 Prozent des Regelsatzes – die Leistungen für die Monate Dezember 2018 bis August 2019 jeweils monatlich neu fest und verwies im Übrigen darauf, dass die monatliche Hilfe auch für die Folgemonate gezahlt werde.
Mit weiterem Bescheid vom 9. August 2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Leistungen seien insofern geändert worden, dass ihm gemäß amtsärztlichen Gutachten vom 21. Dezember 2018 ein Mehrbedarf für Ernährung in Höhe von zehn Prozent des Eckregelsatzes anstelle der bisherigen 20 Prozent des Eckregelsatzes zustünden. Nach der Neuberechnung bestehe für den Monat September 2019 ein Anspruch in Höhe von 734,70 EUR, wobei die Beklagte einen ernährungsbedingten Mehrbedarf in Höhe von 42,40 EUR berücksichtigte. Im Übrigen würden die Anträge vom 27. November 2017 (32 Prozent Mehrbedarf) und vom 18. August 2018 (Regelleistungserhöhung um monatlich 48 EUR) abgelehnt. Die monatliche Hilfe werde auch für die Folgemonate gezahlt. Die sofortige Vollziehung des Bescheides werde angeordnet. Ein vom Kläger eingereichter Widerspruch hätte aufschiebende Wirkung zur Folge. Dies bedeute, dass die Reduzierung des Mehrbedarfs für Ernährung um zehn Prozent des Eckregelsatzes bis zum Ende des Verfahrens nicht umsetzbar wäre.
Mit Bescheid vom 14. November 2019 setzte die Beklagte die Leistungen für den Monat Dezember 2019 unter Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs in Höhe von 42,40 EUR auf 527,62 EUR, mit Bescheid vom 19. Dezember 2019 für den Monat Januar 2020 unter Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs in Höhe von 43,20 EUR auf 745,05 EUR neu fest und erklärte jeweils, dass die monatliche Hilfe auch für die Folgemonate gezahlt werde. Ein entsprechend lautender Bescheid erging unter dem 20. Februar 2020, wobei die Beklagte die Leistungen unter Berücksichtigung von 43,20 EUR Mehrbedarf für Februar 2020 auf 867,75 EUR und für März 2020 auf 745,05 EUR festsetzte.
F1 bescheinigte unter dem 29. April 2020 das Bestehen eines hohen Gewichtes des Klägers seit langer Zeit ohne nachweisbare starke Schwankungen (Oktober 2018: 133 Kilogramm, Juli 2019: 139 Kilogramm, Oktober 2019: 144 Kilogramm, April 2020: 137 Kilogramm).
Mit Bescheid vom 2. Juli 2020 setzte die Beklagte die Leistungen für den Monat Juli 2020 „sowie die Folgemonate gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum für die Zeit vom 1. Dezember 2019 bis 30. November 2020“ unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 43,20 EUR auf 738,40 EUR fest.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. August 2020 wies die Beklagte den vom Kläger gegen den Bescheid vom 9. August 2019 über die Herabsetzung des berücksichtigten ernährungsbedingten Mehrbedarfs ab September 2019 eingelegten Widerspruch zurück. Ab September 2019 sei ein Mehrbedarf für Ernährung in Höhe von zehn Prozent des Eckregelsatzes zu bewilligen. Mit der amtsärztlichen Bescheinigung, dass die Erkrankung des Klägers nicht länger eine Krankenkostzulage in Höhe von 20 Prozent des Regelsatzes begründe, sondern in Höhe von zehn Prozent des Eckregelsatzes, sei in Bezug auf die Sozialleistungen des Klägers eine wesentliche Änderung der Verhältnisse bestätigt worden. Die bisherige Bewilligung sei daher aufgehoben und die Höhe des Mehrbedarfs für die Zukunft angepasst worden. Der Änderungsbescheid vom 9. August 2019 hinsichtlich des von 20 Prozent auf zehn Prozent reduzierten Mehrbedarfs „Ernährung“ sei aufgrund § 48 Absatz 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Zukunft ab September 2019 erfolgt. Da es sich dabei um eine gebundene Entscheidung handele, habe der Beklagten auch kein Ermessen bei der Entscheidung zugestanden.
Für die Folgezeit bewilligte die Beklagte dem Kläger jeweils Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs in Höhe von zehn Prozent des Regelsatzes zunächst bis Juni 2021 (Bescheid vom 18. Dezember 2020 für den Monat Januar 2021 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“; Bescheid vom 29. Dezember 2020 für die Zeit vom 1. Dezember 2020 bis 30. November 2021; Bescheid vom 22. Januar 2021 für den Monat Februar 2021 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“; Bescheid vom 19. Februar 2021 für den Monat März 2021 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“; Bescheid vom 23. April 2021 für den Monat Mai 2021 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“; Bescheid vom 26. Mai 2021 für den Monat Juni 2021 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“). Mit Bescheiden vom 22. Juni 2021 und vom 28. Juni 2021 berechnete die Beklagte für den Monat Juli 2021 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“ die Leistungen ohne Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs. Dazu führte sie im Bescheid vom 28. Juni 2021 aus, aufgrund des vorliegenden amtsärztlichen Zeugnisses des Jugend- und Gesundheitsamtes vom 26. Mai 2021 lägen beim Kläger die Voraussetzungen des § 30 Abs. 5 SGB XII für die Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung nicht vor. Es seien auch keine weiteren Nachweise vorgelegt worden, welche ein Erfordernis einer Krankenkostzulage (Mehrbedarf) rechtfertigten. Somit könne der dem Kläger ab Juli 2021 bisher gewährte Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von zehn Prozent der Regelbedarfsstufe 1 nicht mehr gewährt werden. Unter dem 7. Juli 2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass ein beim SG gestellter Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes als Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. Juni 2021 gewertet werde und bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens bis auf Widerruf der bisher gewährte Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von zehn Prozent der Regelbedarfsstufe 1 ab Juli 2021 weitergewährt werde. Nach einem amtsärztlichen Zeugnis vom 23. Juli 2021 sei die Gewährung einer Krankenkostzulage in Höhe von zehn Prozent des Eckregelsatzes weiterhin möglich, wobei eine Bedarfsüberprüfung in spätestens zwei Jahren empfohlen werde, weil sich eine Verbesserung der endokrinologischen Situation des Klägers abzeichne. Den Bescheid vom 28. Juni 2021 hob die Beklagte daraufhin mit Bescheid vom 29. Juli 2021 auf. Mit Bescheid vom 23. Juli 2021 setzte die Beklagte die Leistungen für den Monat August 2021 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“ neu fest, wobei sie wiederum einen ernährungsbedingten Mehrbedarf in Höhe von zehn Prozent des Regelsatzes berücksichtigte. In der Folgezeit berücksichtigte die Beklagte weiterhin einen zehnprozentigen Mehrbedarf für Ernährung (Bescheid vom 24. August 2021 für den Monat September 2021 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“; Bescheid vom 21. September 2021 für den Monat Oktober 2021 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“; Bescheid vom 6. Dezember 2021 über die Weiterbewilligung der Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2021 bis 30. November 2022; Bescheid vom 25. Januar 2022 für den Monat Februar 2022 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“; Bescheid vom 22. Februar 2022 für den Monat März 2022 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“; Bescheid vom 22. April 2022 für den Monat Mai 2022 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“; Bescheid vom 24. Juni 2022 für den Monat Juli 2022 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“; Bescheid vom 22. Juli 2022 für den Monat August 2022 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“; Bescheid vom 23. August 2022 für den Monat September 2022 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“; Bescheid vom 23. September 2022 für den Monat Oktober 2022 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“; Bescheid vom 25. Oktober 2022 für den Monat November 2022 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“; Bescheid vom 22. November 2022 für den Monat Dezember 2022 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“; Bescheid vom 20. Dezember 2022 für den Monat Januar 2023 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“; Bescheid vom 24. Januar 2023 für den Monat Februar 2023 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“ und Bescheid vom 21. Februar 2023 für den Monat März 2023 sowie die Folgemonate „gemäß dem bisherigen Bewilligungszeitraum“).
Bereits am 18. August 2020 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Bei seinen vielfältigen Operationen habe er seinen Magen, die Milz, die Bauchspeicheldrüse, die Gallenblase und den Zwölffingerdarm verloren. Er verfüge nur noch über einen Ersatzmagen. Dies alles sei hinlänglich bekannt. Deshalb sei er völlig unabhängig von seinem Körpergewicht für eine gute und gesunde Ernährung auf die Einhaltung vielfältiger Regeln angewiesen. Dem werde die Begründung des angefochtenen Bescheids nicht gerecht, denn sie enthalte lediglich Behauptungen, aber keinen Beweis. Er benötige sechs Mahlzeiten pro Tag, nämlich ein Frühstück (07:00 Uhr), ein Gabelfrühstück (10:00 Uhr), ein Mittagessen (13:00 Uhr), eine „Jause“ (16:00 Uhr), ein Abendessen (19:00 Uhr) und eine Spätmahlzeit (22:00 Uhr). Insgesamt ernähre er sich zu einem hohen Anteil aus sehr frischem Gemüse und Obst, frischen Eiern aus einem Geflügelhof im Odenwald, Fisch und wenig, aber gutem Fleisch. Selbst damit gelinge es ihm nicht, alle notwendigen Vitamine und Mineralien aufzunehmen. Deshalb benötige er auch noch eine Reihe von Substitutionspräparaten. Auch wegen der „durch die Decke gehenden“ Lebensmittelpreise benötige er deshalb einen ernährungsbedingten Mehrbedarf.
Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Die Hausärztin des Klägers, R1, hat unter dem 11. Mai 2021 ausgeführt, beim Kläger sei eine Diät bei Diabetes mellitus Typ 1 und der exokrinen Bauchspeicheldrüseninsuffizienz notwendig. Es solle aufgrund des hohen Zucker- und Salzgehaltes sowie der Geschmacksverstärker auf Fertiggerichte verzichtet werden. Die medizinisch notwendige Ernährung enthalte ausreichend frische Zutaten, sei kohlenhydrat- und fettarm. Erschwerend komme bei Z.n. bariatrischer OP die Resorptionseinschränkung zum Tragen mit chronischem Eisenmangel und Vitamin B12 Mangel (werde regelmäßig substituiert). Der Mehrbedarf an zusätzlichen Vitaminen sei deshalb auch lebenslang notwendig. Eine zusätzlich bestehende Refluxerkrankung erfordere ebenfalls eine ausgewogene Ernährung. D1 hat im Schreiben vom 25. Juni 2021 mitgeteilt, zur Behandlung des Diabetes mellitus sollte unterstützend zur Insulintherapie auf eine kohlenhydratreduzierte sowie ballaststoffreiche Mischkost mit möglichst hohem Anteil an Gemüse und Vollkornprodukten geachtet werden. Ebenfalls sollten aufgrund der exokrinen Pankreasinsuffizienz die Mahlzeiten nicht zu fettreich sein. Eine besondere Diät oder Verwendung spezieller Nahrungsergänzungsmittel oder Diätprodukte sei nicht erforderlich. Die Ernährungsempfehlungen gälten zeitlebens, sodass sich in im Laufe des Kalenderjahres 2019 bzw. zum 1. September 2019 keine Änderung ergeben habe.
Mit Urteil vom 24. März 2022 hat das SG den Bescheid vom 9. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2020 insoweit aufgehoben, als darin die Leistungshöhe für die Zeit ab September 2019 (bis einschließlich November 2019) um monatlich 42,40 EUR reduziert worden ist und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Streitgegenstand der Klage ergebe sich in formeller Hinsicht aus dem Bescheid vom 9. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2020 und erstrecke sich im Anschluss an die Ausführungen des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg (Beschluss vom 11. Mai 2021 – L 2 SO 1275/21 ER-B) in zeitlicher Hinsicht lediglich auf den zeitlichen Geltungsbereich des Bewilligungsbescheides vom 2. Mai 2019 (also bis einschließlich November 2019). Der für die Zeit ab dem 1. Dezember 2019 (neuer Bewilligungszeitraum) erteilte Bescheid vom 14. November 2019 (mit den zugehörigen Änderungsbescheiden) sei nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 9. August 2019 geworden. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, den ernährungsbedingten Mehrbedarf (§ 30 Abs. 5 SGB XII) um zehn Prozent zu reduzieren. Die Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X lägen nicht vor. Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen sei nicht erkennbar. Den Angaben der sachverständigen Zeugen sei an keiner Stelle zu entnehmen, dass sich die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers nach der Bescheiderteilung vom 2. Mai 2019 bis zum Beginn des Monats September 2019 wesentlich geändert haben könnten. Das Gericht gehe vielmehr davon aus, dass die im Vordergrund stehenden Erkrankungen des Klägers Dauercharakter hätten. Soweit von W1 angenommen werde, dass die „Zuerkennung“ des 20-prozentigen Mehrbedarfs (wohl 2015) ursprünglich dem Umstand geschuldet gewesen sei, dass ein erheblicher Gewichtsverlust vorgelegen habe und dass eine solche Situation jetzt nicht mehr gegeben sei, sei dies nicht nachvollziehbar. Denn der Kläger sei dem Gericht seit vielen Jahren persönlich bekannt; ein krankheitswertiges Untergewicht habe ersichtlich aber zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Selbst wenn es im Stadium der akuten Krebserkrankung 2015 tatsächlich einmal zu einem drastischen Gewichtsverlust gekommen sein sollte, bestehe keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass dieser Zustand auch noch bei der Bescheiderteilung vom 2. Mai 2019 angedauert habe. Somit sei eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die für die Erteilung des Bescheides vom 2. Mai 2019 maßgeblich gewesen seien, zum hier relevanten Stichtag (1. September 2019), in keiner Weise erkennbar. Dies habe zur Konsequenz, dass der Bescheid in Bezug auf die Herabsetzung des ernährungsbedingten Mehrbedarfs von 20 Prozent auf zehn Prozent keinen Bestand haben könne. Einer Umdeutung des angefochtenen Bescheides in einen Rücknahmebescheid auf Basis von § 45 SGB X stehe entgegen, dass insoweit eine Ermessensbetätigung erforderlich gewesen wäre (vgl. § 43 Abs. 3 SGB X).
Gegen das ihm am 30. März 2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 4. April 2022 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Der Beschwerdewert betrage bis dato bereits 1316,11 EUR und es handele sich um eine Leistung über fast vier Jahre hinweg. Die Berufung sei somit zulässig. Die Berufung gelte nicht für den Zeitraum bis November 2019, sondern nur für den Zeitraum ab Dezember 2019.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Mannheim vom 24. März 2022 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Abänderung der für die Zeit ab 1. Dezember 2019 ergangenen Bewilligungs- bzw. Änderungsbescheide Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auch für die Zeit ab 1. Dezember 2019 unter Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs in Höhe von 20 Prozent des Regelsatzes zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte trotz des Ausbleibens des Klägers im anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, da der Kläger in der ihm am 31. Januar 2023 zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist. Der Senat hat auch keinen Anlass gesehen, zur Wahrung des rechtlichen Gehörs des Klägers die mündliche Verhandlung zu vertagen bzw. zu verlegen. Der am 13. Februar 2023 beim LSG eingegangene Antrag des Klägers vom 6. Februar 2023, ihm wegen des Verhandlungstermins am 3. März 2023 eine Fahrkarte zur Verfügung zu stellen, ist durch Beschluss des Vorsitzenden vom 24. Februar 2023 abgelehnt worden, weil der Kläger trotz der Aufforderung, Kontoauszüge vorzulegen, seine Mittellosigkeit nicht nachgewiesen hat.
Die gemäß § 143 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 SGG, da der Kläger höhere Leistungen für mehr als ein Jahr geltend macht.
Die Berufung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Gegenstand des Verfahrens ist zunächst der Bescheid vom 9. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2020 (§ 95 SGG). Mit diesem hat die Beklagte die zuletzt zuvor mit dem Änderungsbescheid vom 2. Mai 2019 erfolgte Bewilligungsentscheidung ab dem Monat September 2019 insoweit aufgehoben, als anstelle des bisher berücksichtigten ernährungsbedingten Mehrbedarfs in Höhe von 20 Prozent des Regelsatzes nur noch ein ernährungsbedingter Mehrbedarf in Höhe von zehn Prozent des Regelsatzes berücksichtigt wurde. Allerdings ist der streitige Zeitraum nicht auf die Zeit bis 30. November 2019 beschränkt. Mit dem Bescheid vom 9. August 2019 hat die Beklagte die vorangegangene Leistungsbewilligung für die Zeit ab 1. September 2019 geändert. Die Geltungsdauer dieses Bescheides ist daher aus der zuvor erfolgten Bewilligungsentscheidung herzuleiten. Zuletzt wurde über die Leistungshöhe ab 1. September 2019 mit dem Bescheid vom 2. Mai 2019 entschieden. Dessen Geltungsdauer war nicht bis 30. November 2019 beschränkt. Auch dieser Bescheid ändert eine zuvor erfolgte Leistungsbewilligung ab und setzt die Leistungen für die Monate April und Mai 2019 sowie die Folgemonate neu fest. Eine Beschränkung der zeitlichen Geltung des Bescheides vom 2. Mai 2019 auf einen bis 30. November 2019 laufenden Bewilligungszeitraum liegt nicht vor. Denn schon zuvor hat die Beklagte die Leistungen jeweils unbefristet auf Dauer bewilligt. So enthält der Bescheid vom 27. November 2018, mit dem die Beklagte über die „Weiterbewilligung ab 1. Dezember 2018“ entschieden hat, gerade keine Befristung der Bewilligung bis zum 30. November 2019. Vielmehr wurden die Leistungen zukunftsoffen weiterbewilligt. Es erfolgte eine Leistungsberechnung für den Monat Dezember 2018 und der Hinweis, dass die monatliche Hilfe auch für die Folgemonate gezahlt werde. Der Bescheid kann damit nur dahingehend verstanden werden, dass die Leistungen auf Dauer bewilligt wurden. Angesichts der Formulierung, dass die Leistungen unter Berücksichtigung geänderter wirtschaftlicher oder persönlicher Verhältnisse neu berechnet wurden und entsprechend auch in der Überschrift des Bescheides die „Änderung der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“ genannt wurde, geht offenbar auch die Beklagte davon aus, dass bereits zuvor die Leistungen nicht befristet bis 30. November 2018, sondern darüber hinaus auf Dauer bewilligt waren. Denn anderenfalls wären die Leistungen nicht zu ändern und nicht neu zu berechnen, sondern erstmals festzusetzen bzw. zu bewilligen gewesen. Dass in § 44 Abs. 3 Satz 1 SGB XII die Bewilligung der Grundsicherungsleistungen lediglich für einen auf zwölf Kalendermonate beschränkten Bewilligungszeitraum vorgesehen ist, ändert an dem tatsächlichen Regelungsgehalt der von der Beklagten erlassenen Bescheide nichts.
Dass die Beklagte die dauerhafte Leistungsbewilligung zwischenzeitlich aufgehoben hätte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere folgt eine solche Aufhebung nicht aus der zwischenzeitlich lediglich befristeten Leistungsbewilligung, wie sie mit den Bescheiden vom 29. Dezember 2020 und vom 6. Dezember 2021 erfolgt ist, in denen die Beklagte erklärt hat, die Leistungen würden für die Zeit vom 1. Dezember 2020 bis zum 30. November 2021 bzw. vom 1. Dezember 2021 bis 30. November 2022 bewilligt werden. Denn hierdurch wird lediglich ein Teilzeitraum der bereits erfolgten Dauerbewilligung neu geregelt, jedoch die darüber hinaus bereits erfolgte Bewilligungsentscheidung nicht beseitigt.
Damit sind alle weiteren für die Zeit ab 1. September 2019 bis zum 2. März 2023 ergangenen Bescheide (vom 14. November 2019, 19. Dezember 2019, 20. Februar 2020, 2. Juli 2020, 18. Dezember 2020, 29. Dezember 2020, 22. Januar 2021, 19. Februar 2021, 23. April 2021, 26. Mai 2021, 22. Juni 2021, 23. Juli 2021, 24. August 2021, 21. September 2021, 6. Dezember 2021, 21. Dezember 2021, 25. Januar 2022, 22. Februar 2022, 22. April 2022, 24. Juni 2022, 22. Juli 2022, 23. August 2022, 23. September 2022, 25. Oktober 2022, 22. November 2022 und 20. Dezember 2022, 24. Januar 2023, 21. Februar 2023) gemäß §§ 86, 96 SGG Gegenstand des Widerspruchs- bzw. Klageverfahrens geworden.
Im Übrigen ist der Streitgegenstand in sachlicher Hinsicht auf den Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung beschränkt. Nur hinsichtlich der Höhe des berücksichtigten Ernährungsmehrbedarfs hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 9. August 2019 eine Regelung getroffen und nur darauf bezieht sich das Begehren des Klägers. Eine Beschränkung des Streitgegenstands auf die Sonderbedarfe nach § 42 Nr. 2 SGB XII in Verbindung mit § 30 Abs. 5 SGB XII (Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung) ist auch zulässig (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 19. Mai 2009 – B 8 SO 8/08 R – SozR 4‑3500 § 42 Nr. 2 Rdnr. 13; Urteil vom 26. August 2008 – B 8/9b SO 10/06 R – juris Rdnrn. 12 ff.).
Soweit sich die Klage gegen die Aufhebung des Bescheides vom 2. Mai 2019 durch den Bescheid vom 9. August 2019 und die genannten in der Folgezeit erlassenen Bescheide richtet, ist die Klage als reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGG) statthaft. Allerdings wird dadurch das Begehren des Klägers auf dauerhafte Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs in Höhe von 20 Prozent des Regelsatzes nicht vollständig erfasst. Denn bei dem Mehrbedarf handelt es sich zwar um einen abtrennbaren Streitgegenstand. Einzelne Bedarfspositionen der bewilligten Grundsicherungsleistungen erwachsen jedoch nicht in Bindungswirkung. Der Bescheid vom 2. Mai 2019 ist – solange er nicht wirksam aufgehoben wird – daher nur hinsichtlich der insgesamt in Höhe von 776,65 EUR festgesetzten Leistungen bindend. Hinsichtlich der vom Kläger begehrten Berücksichtigung eines Mehrbedarfs in Höhe von 20 Prozent ist die Anfechtungsklage daher in Kombination mit einer Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) statthaft.
Der Bescheid vom 9. August 2019 in der Fassung der Bescheide vom 14. November 2019, 19. Dezember 2019, 20. Februar 2020 und vom 2. Juli 2020 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 11. August 2020 in der Fassung der Bescheide vom 18. Dezember 2020, 29. Dezember 2020, 22. Januar 2021, 19. Februar 2021, 23. April 2021, 26. Mai 2021, 22. Juni 2021, 23. Juli 2021, 24. August 2021, 21. September 2021, 6. Dezember 2021, 21. Dezember 2021, 25. Januar 2022, 22. Februar 2022, 22. April 2022, 24. Juni 2022, 22. Juli 2022, 23. August 2022, 23. September 2022, 25. Oktober 2022, 22. November 2022 und 20. Dezember 2022 ist daher rechtswidrig, soweit – wegen der Berücksichtigung eines Mehrbedarfs von nur noch zehn Prozent des Regelsatzes – Grundsicherungsleistungen von weniger als 776,65 EUR bewilligt worden sind.
Denn die Beklagte war nicht berechtigt, dem Kläger ab September 2019 gestützt auf die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs von nur noch zehn Prozent des Regelsatzes anstelle 20 Prozent des Regelsatzes gegenüber dem Bescheid vom 2. Mai 2019 geringere Grundsicherungsleistungen zur bewilligen. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X lagen insofern nicht vor. Dies wurde vom SG zutreffend dargelegt, wogegen sich die Beklagte auch nicht gewandt hat. Die Beklagte hat den Bescheid vom 2. Mai 2019, mit welchem sie dem Kläger unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs in Höhe von 20 Prozent des Regelbedarfs Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auf Dauer in Höhe von 776,65 EUR gewährt hat, auch nicht gemäß § 45 SGB X wirksam zurückgenommen. Ausgehend davon, dass eine Änderung der Verhältnisse hinsichtlich der Erforderlichkeit des Mehrbedarfs zulasten des Klägers nach Erlass des Bescheides vom 2. Mai 2019 nicht eingetreten ist, sowie unter der Annahme, dass dem Kläger ein Mehrbedarf in Höhe von 20 Prozent nicht (mehr) zusteht, war der Bescheid vom 2. Mai 2019 hinsichtlich eines Betrages von 42,20 EUR, der auf der Berücksichtigung eines Mehrbedarfs in Höhe von 20 Prozent anstelle nur zehn Prozent beruht, von Anfang an rechtswidrig, sodass eine Zurücknahme nur nach der Vorschrift des § 45 SGB X in Betracht kommt. Die Vorschrift setzt jedoch die Ausübung von Ermessen („darf“) voraus. Eine Ermessensentscheidung über die Herabsetzung der Leistungen unter Berücksichtigung eines geringeren ernährungsbedingten Mehrbedarfs hat die Beklagte bislang jedoch nicht getroffen.
Damit ist nicht nur der Bescheid vom 9. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2020 insoweit rechtswidrig, als dem Kläger um 42,20 EUR geringere Leistungen gewährt wurden, sondern sämtliche Folgebescheide, soweit dem Kläger wegen der Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs von nur zehn Prozent Leistungen von weniger als 776,65 EUR zuerkannt worden sind.
Einen Anspruch auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs in Höhe von 20 Prozent des Regelbedarfs, mit der Folge, dass sich bei Erhöhung des Regelsatzes der zu berücksichtigende Mehrbedarf und hierdurch der Gesamtanspruch der Grundsicherungsleistungen erhöht, hat der Kläger, insbesondere in der insoweit streitigen Zeit ab 1. Dezember 2019, jedoch nicht.
Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung umfassen gemäß § 42 SGB XII u.a. auch den hier streitigen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 5 SGB XII. Nach § 30 Abs. 5 SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. § 30 Abs. 5 SGB XII ist ab dem 1. Januar 2021 durch das Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe und zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sowie weiterer Gesetze vom 9. Dezember 2020 (BGBl I 2020, 2855) neu gefasst worden (zur Begründung BT-Drs. 19/24034, S. 32 f.). Die neue Formulierung – vor allem Satz 1 – rückt mehr in die Nähe der Formulierung des § 21 Abs. 5 SGB II („aus medizinischen Gründen“), ohne sie jedoch vollständig zu übernehmen. Die Gesetzesbegründung zur Änderung des § 30 Abs. 5 SGB XII weist darauf hin, dass sich keine materiellen Änderungen ergäben, sondern eine Angleichung an die Systematik und Begrifflichkeit des SGB XII gewollt sei (BT-Drs. 19/24034, S. 32). Mit der neuen Formulierung solle außerdem hervorgehoben werden, dass die Mehraufwendungen für eine im Vergleich zu einer „normalen“ Ernährung abweichende Ernährungsweise abgedeckt werden sollten, wenn aus medizinischen Gründen eine „normale“ Ernährung entweder unzureichend oder sogar gesundheitsschädlich sei. Die konkrete Formulierung sei an § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB XII angelehnt (BT-Drs. 19/24034, S. 32; vgl. Simon in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, Stand 2. März 2023, § 30 Rdnr. 111.1). Nach der Parallelvorschrift im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II wird bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt (§ 21 Abs. 5 SGB II). Damit wird zwar der Kreis der Anspruchsberechtigten in § 21 Abs. 5 SGB II und § 30 Abs. 5 SGB XII jeweils anders definiert, jedoch bestehen zwischen den beiden Normen keine inhaltlichen Unterschiede. Die Vorschriften sind gleich auszulegen (BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 – B 4 AS 100/10 R – juris Rdnr. 18 ff.; Urteil vom 9. Juni 2011 – B 8 SO 11/10 R – juris Rdnr. 24). Voraussetzung für den Rechtsanspruch auf einen Mehrbedarf ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine besondere Ernährung erforderlich macht, deren Kosten höher sind als dies für Personen ohne eine solche Einschränkung der Fall ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. bspw. Urteil vom 14. Februar 2013 – B 14 AS 48/12 R – juris Rdnr. 12 und Urteil vom 20. Februar 2014 – B 14 AS 65/12 R – juris Rdnr. 13 jeweils m.w.N.). Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder einer drohenden Erkrankung oder Behinderung und der Notwendigkeit einer besonderen Ernährung vorliegen und diese besondere „Krankenkost“ muss gegenüber der in der Bevölkerung üblichen, im Regelfall zum Ausdruck kommenden Ernährung kostenaufwändiger sein (BSG, Urteil vom 14. Februar 2013, a.a.O.). Der Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung aus medizinischen Gründen soll helfen, im Hinblick auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums eine Ernährung zu finanzieren, mit der der Verlauf einer (bestehenden) gesundheitlichen Beeinträchtigung durch Abmilderung von deren Folgen, Verhinderung oder Hinauszögern einer Verschlechterung oder deren (drohenden) Eintretens beeinflusst werden kann (BSG, Urteil vom 20. Februar 2014, a.a.O. Rdnr. 15). Dabei ist zu beachten, dass § 30 Abs. 5 SGB XII lediglich den Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung erfasst. Der notwendige Bedarf für Ernährung wird als ein Teil der Regelleistung bzw. des Regelbedarfs typisierend zuerkannt, wobei von der Deckung der laufenden Kosten eines typischen Leistungsberechtigten im Rahmen eines soziokulturellen Existenzminimums für eine ausreichend ausgewogene Ernährung im Sinne einer ausreichenden Zufuhr von Proteinen, Fetten, Kohlehydraten, Mineralstoffen und Vitaminen ausgegangen wird (BSG, Urteil vom 20. Februar 2014, a.a.O. Rdnr. 13). Damit gilt im Ergebnis eine Vollkosternährung als vom Regelbedarf gedeckt, weil es sich hierbei um eine ausgewogene Ernährungsweise handelt, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt (bspw. BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 – B 4 AS 100/10 R – juris Rdnr. 24).
Der Kläger bedarf im Hinblick auf die bei ihm bestehenden Erkrankungen keiner kostenaufwändigen besonderen „Krankenkost“. Die sachverständige Zeugin D1 hat die Erforderlichkeit einer gesunden kohlenhydratreduzierten sowie ballaststoffreichen Mischkost mit einem möglichst hohen Anteil an Gemüse und Vollkornprodukten angegeben. Entsprechend hat sich die sachverständige Zeugin R1 geäußert, die die Verwendung frischer Zutaten sowie eine kohlenhydrat- und fettarme Ernährung unter Verzicht auf Fertiggerichte empfohlen hat. Bei der von den sachverständigen Zeuginnen beschriebenen Kostform handelt es sich um nichts anderes als die vom Regelbedarf bereits gedeckten Vollkosternährung.
Insgesamt hat der Kläger danach auch für die Zeit ab 1. Dezember 2019 Anspruch auf Gewährung von Leistungen in Höhe von 776,65 EUR bzw. unter Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs von maximal 84,80 EUR. Denn auch, soweit die Grundsicherungsleistungen ab 1. Dezember 2019 in Höhe von weniger als 776,65 EUR festgesetzt worden sind, sind die Voraussetzungen für eine teilweise Aufhebung bzw. Rücknahme des Bescheides vom 2. Mai 2019 nicht erfüllt. Soweit für den Monat Dezember 2019 mit Bescheid vom 14. November 2019 die Leistungen darüber hinaus um mehr als 42,20 EUR aufgehoben und Leistungen von weniger als 570,02 EUR festgesetzt worden sind, beruht die Aufhebung auf anderen Gründen (geringerer Anspruch auf Unterkunftskosten, höheres anzurechnendes Einkommen), was insoweit vom Kläger nicht angefochten worden ist. Soweit dem Kläger, wie im Monat Februar 2020 sowie ab Januar 2023, höhere Leistungen als 776,65 EUR bewilligt worden sind, handelt es sich nicht um eine Aufhebung des Bescheides vom 2. Mai 2019 zulasten des Klägers. Da er keinen Anspruch auf die Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs von mehr als zehn Prozent des Regelsatzes hat, bleibt es insoweit bei den festgesetzten Leistungen. Im Einzelnen sind danach der Bescheid vom 9. August 2019 in der Fassung der Bescheide vom 14. November 2019, 19. Dezember 2019, 20. Februar 2020 und vom 2. Juli 2020 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 11. August 2020 in der Fassung der Bescheide vom 18. Dezember 2020, 29. Dezember 2020, 22. Januar 2021, 19. Februar 2021, 23. April 2021, 26. Mai 2021, 22. Juni 2021, 23. Juli 2021, 24. August 2021, 21. September 2021, 6. Dezember 2021, 21. Dezember 2021, 25. Januar 2022, 22. Februar 2022, 22. April 2022, 24. Juni 2022, 22. Juli 2022, 23. August 2022, 23. September 2022, 25. Oktober 2022, 22. November 2022 und 20. Dezember 2022 rechtswidrig und aufzuheben, soweit dem Kläger zuletzt für die Monate September 2019 bis November 2019 Leistungen von weniger als 776,65 EUR monatlich, für Dezember 2019 von weniger als 570,02 EUR, für Januar 2020 sowie für bis März 2020 bis Dezember 2022 weniger als 776,65 EUR monatlich gewährt worden sind. Damit stehen dem Kläger gegenüber der zuletzt erfolgten Leistungsfestsetzung für die Monate September 2019 bis November 2019 weitere 42,20 EUR monatlich (zuletzt mit Bescheid vom 9. August 2019 festgesetzt: 734,70 EUR), für den Monat Dezember 2019 weitere 42,20 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 11. November 2019 festgesetzt: 527,62 EUR), für den Monat Januar 2020 weitere 31,60 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 19. Dezember 2019 festgesetzt: 745,05 EUR), für die Monate März bis Juni 2020 weitere 31,60 EUR monatlich (zuletzt mit Bescheid vom 20. Februar 2020 festgesetzt: 745,05 EUR), für die Monate Juli bis November 2020 weitere 38,25 EUR monatlich (zuletzt mit Bescheid vom 2. Juli 2020 festgesetzt: 738,40 EUR), für den Monat Dezember 2020 weitere 38,25 EUR zuletzt mit Bescheid vom 29. Dezember 2020 festgesetzt: 738,40 EUR), für den Monat Januar 2021 weitere 20,15 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 29. Dezember 2020 festgesetzt: 756,60 EUR), für den Monat Februar 2021 weitere 20,15 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 22. Januar 2020 festgesetzt: 756,60 EUR), für den Monat März 2021 weitere 20,15 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 19. Februar 2021 festgesetzt: 756,60 EUR), für die Monate April und Mai 2021 weitere 20,15 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 23. April 2021 festgesetzt: 756,60 EUR), für den Monat Juni 2021 weitere 20,15 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 26. Mai 2021 festgesetzt: 756,60 EUR), für den Monat Juli 2021 weitere 64,75 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 22. Juni 2021 ohne Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs festgesetzt: 711,90 EUR), für den Monat August 2021 weitere 20,15 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 23. Juli 2021 festgesetzt: 756,60 EUR), für den Monat September 2021 weitere 20,15 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 24. August 2021 festgesetzt: 756,60 EUR), für die Monate Oktober und November 2021 weitere 20,15 EUR monatlich (zuletzt mit Bescheid vom 21. September 2021 festgesetzt: 756,60 EUR), für den Monat Dezember 2021 weitere 20,15 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 6. Dezember 2021 festgesetzt: 756,60 EUR), für den Monat Januar 2022 weitere 16,27 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 21. Dezember 2021 festgesetzt: 760,38 EUR), für den Monat Februar 2022 weitere 16,05 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 25. Januar 2022 festgesetzt: 760,60 EUR), für die Monate März und April 2022 weitere 16,05 EUR monatlich (zuletzt mit Bescheid vom 22. Februar 2022 festgesetzt: 760,60 EUR), für die Monate Mai und Juni 2022 weitere 16,05 EUR monatlich (zuletzt mit Bescheid vom 22. April 2022 festgesetzt: 760,60 EUR), für den Monat Juli 2022 weitere 26,70 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 24. Juni 2022 festgesetzt: 749,95 EUR), für den Monat August 2022 weitere 26,70 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 22. Juli 2022 festgesetzt: 749,95 EUR), für den Monat September 2022 weitere 26,70 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 23. August 2022 festgesetzt: 749,95 EUR), für den Monat Oktober 2022 weitere 26,70 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 23. September 2022 festgesetzt: 749,95 EUR), für den Monat November 2022 weitere 26,70 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 25. Oktober 2022 festgesetzt: 749,95 EUR) und für den Monat Dezember 2022 weitere 26,70 EUR (zuletzt mit Bescheid vom 22. November 2022 festgesetzt: 749,95 EUR) zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 2091/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 980/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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