L 3 R 246/23

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 6 R 560/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 3 R 246/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 25. Oktober 2023 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Klägerin nach Klageabweisung durch Gerichtsbescheid, einer nachfolgenden von ihr beantragten mündlichen Verhandlung und einer erneuten Entscheidung in der ersten Instanz, nun durch Urteil, im Rahmen einer gegen das Urteil gerichteten Berufung einen Anspruch auf Übernahme von Kosten für Hörgeräte geltend machen kann.

Die am ... 1963 geborene Klägerin ist nach der im Jahr 2020 von ihrer Arbeitgeberin erstellten Stellenbeschreibung als Mitarbeiterin des Schreibbüros eines Verbandes mit Aufgaben im Bereich EDV/Datenschutz versicherungspflichtig beschäftigt. Zu der Stellenbeschreibung wird im Übrigen auf Blatt 68 der Verwaltungsakte Bezug genommen. Dem Versicherungskonto der Klägerin ist für das Kalenderjahr 2023 ein gemeldetes Arbeitsentgelt in Höhe von 42.675,00 € zu entnehmen.

Die Klägerin wurde aufgrund eines kombinierten beidseitigen Hörverlusts durch Schallleitungs- und Schallempfindungsstörung und einer zentralen Perforation des Trommelfells erstmals im Jahr 2001 mit Hörgeräten versorgt. Sie erstritt vor dem Sozialgericht Magdeburg im Jahr 2013 eine rechtskräftig gewordene Verurteilung ihrer damaligen (nicht mit der Beigeladenen identischen) Krankenkasse, sie ohne Beschränkung auf den Festbetrag mit dort nach Modell bezeichneten oder gleichwertigen Hörgeräten beidseitig zu versorgen (Urteil vom 12. September 2013, S 10 R 568/08). In den Folgejahren versorgte die Krankenkassen die Klägerin weiterhin ohne Forderung eines Eigenanteils mit Hörgeräten.

Am 7. September 2020 ging bei der vom Sozialgericht beigeladenen Krankenkasse ein Kostenvoranschlag der G. Hörakustik ... (im Folgenden: Hörgeräteakustiker) für die Versorgung mit zwei Hörgeräten unter diesem Datum ein. Der Kostenvoranschlag 34398770 für Hörgeräte „Audeo M30-R silbergrau“ und Otoplastiken vom 7. September 2020 mit Angabe der Positionsnummer und einem Gesamtbetrag (vor Zuzahlungen in Höhe von insgesamt 20,00 €) in Höhe von 3.558,58 € weist Vergütungspauschalen (einschließlich MwSt.) rechts in Höhe von 1.732,50 €, links in Höhe von 1.582,36 € und zwei Reparaturpauschalen - für den Zeitraum bis September 2026 - in Höhe von jeweils 121,86 € einschließlich MwSt. aus. Dem Antrag war der Anpass- und Abschlussbericht des Hörgeräteakustikers beigefügt. Zu dem Kostenvoranschlag nebst Anlagen wird auf Blatt 31 bis 41 der Verwaltungsakte Bezug genommen. Die Beigeladene bewilligte der Klägerin auf diesen Antrag die Übernahme im Rahmen von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von insgesamt 1.483,74 € (Vergütungspauschalen für Phonak Audéo M30-R[M] in Höhe von 662,20 €, 32,88 €, 512,06 €, 32,88 € und die Reparaturpauschalen), abzüglich von zwei Zuzahlungen der Klägerin in Höhe von jeweils 10,00 €.

Im Übrigen - rechnerisch blieb ein Betrag für die Vergütungspauschalen in Höhe von 2.074,84 € (ohne die Zuzahlungen in Höhe von 20,00 €) ungedeckt - leitete die Beigeladene mit zwei Schreiben vom 17. September 2020 den Antrag an den beklagten Rentenversicherungsträger zur Prüfung einer Kostenübernahme für die Mehrkosten im Rahmen von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben weiter und setzte die Klägerin von der Weiterleitung in Kenntnis. Diese teilte der Beigeladenen hierzu mit Schreiben vom 20. Oktober 2020 und 28. Juli 2021 mit, mit der Entscheidung „aus dem Schriftsatz vom 17.09.2020“ nicht einverstanden zu sein.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 6. Oktober 2020 die Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ab. Hiergegen legte die Klägerin - ohne Beschränkung auf bestimmte Einzelposten der beantragten Versorgung - Widerspruch ein. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. September 2021 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, in dem Beruf der Klägerin als IT-Spezialistin bestünden keine gegenüber anderen Berufen erhöhten Anforderungen an das Hörvermögen (wie zum Beispiel bei dem Beruf des Konzertmusikers oder des Dirigenten).

Die Klägerin hat am 30. September 2021 Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg unter Angabe des vorgenannten Bescheides und Widerspruchsbescheides erhoben. Auf den am 20. Oktober 2021 eingegangenen Akteneinsichtsantrag hat das Sozialgericht der Klägerbevollmächtigten die Verwaltungsakte zur Einsichtnahme für fünf Werktage übersandt, deren Erhalt am 5. November 2021 sie mit Empfangsbekenntnis bestätigt hat.

Die Klägerin hat im Klageverfahren zunächst geltend gemacht, „Anspruch auf die beantragte Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Kostenübernahme ihres Eigenanteils für die Hörgeräte“ zu haben, ohne insoweit einen konkreten Betrag anzugeben oder einen Kostenvoranschlag in Bezug zu nehmen. Mit Schriftsatz vom 29. März 2022 hat sie gemeint, es gebe nur einen Kostenvoranschlag vom 16. September 2020. Dem Schriftsatz beigefügt gewesen ist indes ein von dem Hörgeräteakustiker an sie - die Klägerin - adressierter Kostenvoranschlag 2594362 vom 22. Juli 2020 für Hörgeräte „AudioNova D 30 R 312 brennender Bernstein“. Diesem Kostenvoranschlag sind ein Gesamtbruttopreis von 1.891,71 €, der Krankenkassenanteil von 1.503,74 € und ein als „Eigenanteil“ bezeichneter Betrag in Höhe von 407,97 € für diverse Zusatzleistungen zu entnehmen.

Das Sozialgericht hat die Beiladung bewirkt und der Klägerin mit Schreiben vom 4. Juni 2023 vor Erlass eines Gerichtsbescheides Gelegenheit gegeben, ihr bisheriges Klagevorbringen zu ergänzen, insbesondere „konkret(er)“ darzulegen, „welches Hörgerät genau mit welchem Eigenanteil in welcher Höhe begehrt wird“. Die Klägerin hat hierzu (ohne einen Kostenvoranschlag vom 16. September 2020 einzureichen) eine Verurteilung der Beklagten bzw. hilfsweise der Beigeladenen beantragt, sie „mit dem Hörgerät Audeo M30-R champagner (P5) rechts (Ser.-Nr. 2034N214X) laut Kostenvoranschlag der Firma G. vom 16.09.2020 beidseitig zu versorgen“.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2023 abgewiesen. Zur Begründung der Entscheidung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Beklagte habe es mit dem angefochtenen Bescheid zutreffend abgelehnt, die Kosten für den Eigenanteil der begehrten Hörgeräte in Höhe von 407,97 € ausweislich des Kostenvoranschlages vom 22. Juli 2020 zu übernehmen. Die Beklagte habe die Klägerin zutreffend darauf verwiesen, dass deren Tätigkeit keinesfalls besondere Anforderungen an das Hörvermögen stelle im Vergleich beispielsweise zu einem Konzertmusiker oder Dirigenten. Der Gerichtsbescheid ist mit der Rechtsmittelbelehrung versehen, das Rechtsmittel der Berufung sei nicht statthaft. Es könne hiergegen mündliche Verhandlung beantragt oder Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden. Der Gerichtsbescheid ist der Klägerin am 2. August 2023 zugestellt worden.

Die Klägerin hat am 1. September 2023 mit Schriftsatz unter diesem Datum (Blatt 78 bis 79 Bd. I der Gerichtsakte) bei dem Sozialgericht beantragt, „gem. § 105 Abs. 2 SGG eine mündliche Verhandlung anzuberaumen“. Das Sozialgericht sei fehlerhaft von einem von ihr - der Klägerin - erstrebten Betrag von 407,97 € ausgegangen. Sie mache vielmehr entsprechend dem Kostenvoranschlag des Hörgeräteakustikers vom 16. September 2020 einen Anspruch in Höhe von 2.097,82 € geltend. Als Anlage zu ihrem Schriftsatz hat die Klägerin dem Sozialgericht den Kostenvoranschlag 2684314 für Hörgeräte „Audeo M30-R champagner“ vom 16. September 2020 übermittelt, dem (mit diversen Positionen für Zusatzleistungen) bei einem Gesamtbetrag in Höhe von 3.581,56 € ein Eigenanteil der Klägerin in Höhe von 2.097,82 € einschließlich Zuzahlungen in Höhe von insgesamt 20,00 € zu entnehmen ist. Zu dem Kostenvoranschlag vom 16. September 2020 wird auf Blatt 81 bis 82 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat die Klage nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der die Klägerin ihren Antrag aus dem Schriftsatz vom 1. September 2023 wiederholt hat, mit Urteil vom 25. Oktober 2023 abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Die Beklagte habe es zutreffend abgelehnt, „die Kosten für den Eigenanteil der von der Klägerin begehrten Hörgeräte in Höhe von wohl jetzt 2.097,82 Euro zu übernehmen“. Die von der Klägerin geschilderte berufliche Tätigkeit könne unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die Erforderlichkeit höherwertiger Hörgeräte begründen. Der geltend gemachte Anspruch ergebe sich aus der maßgebenden Regelung in § 49 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - SGB IX) nicht. In der Rechtsmittelbelehrung des Urteils wird auf die hiergegen statthafte Berufung verwiesen. Das Urteil ist der Klägerin am 7. November 2023 zugestellt worden.

Die Klägerin hat - unter Beifügung einer Kopie des Urteils vom 25. Oktober 2023 - am 28. November 2023 „gegen das am 25.10.2023 verkündete und 07.11.2023 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Magdeburg Berufung“ bei dem Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt. Von Seiten des Senats ist ihr der Eingang der Berufung gegen das Urteil vom 25. Oktober 2023 bestätigt und der Schriftsatz der Beklagten mit dem Antrag auf Zurückweisung der Berufung gegen dieses Urteil übermittelt worden. Mit Schriftsatz vom 2. Januar 2024 hat die Klägerin zur Begründung ihrer Berufung mitgeteilt, fehlerhaft gehe die erstinstanzliche Entscheidung davon aus, dass weder die Beklagte noch die Beigeladene verpflichtet seien, ihr den „im Antrag konkret bezeichneten Betrag zu erstatten“. Wenn man der erstinstanzlichen Entscheidung folge, dass bei einer Hörgeräteversorgung in der Regel ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen sei, sei die Beigeladene zur Zahlung zu verurteilen. Wenn die Beigeladene insoweit nicht der verpflichtete Sozialleistungsträger sei, habe sie - die Klägerin - einen Anspruch gegen die Beklagte „aufgrund ihres Anspruches zur Teilhabe am Leben“.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 6. Oktober 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2021 zu verurteilen, die Klägerin mit dem Hörgerät Audeo M30-R champagner (P5); rechts (Ser.-Nr. 2034N214DX) laut Kostenvoranschlag der Firma G. vom 16. September 2020 beidseitig in Höhe des Mehranteiles von 2.097,82 € zu versorgen und zu zahlen,

hilfsweise die Beigeladene zu verurteilen, die Klägerin ohne Beschränkung auf den Festbetrag mit dem Hörgerät Audeo M30-R champagner (P5); rechts (Ser.-Nr. 2034N214DX) laut Kostenvoranschlag der Firma G. vom 16. September 2020 beidseitig in Höhe des Mehranteiles von 2.097,82 € zu versorgen und zu zahlen oder die Klägerin mit einem im Nutzen für die Klägerin gleichwertigen Hörgerät beidseitig zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 25. Oktober 2023 zu verwerfen, soweit es den Leistungsauftrag des Rentenversicherungsträgers betrifft.

Sie hält die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts für nicht statthaft.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Zu den vom Senat eingeholten Befundberichten der Fachärztin für HNO-Heilkunde Dr. Hä. vom 23. April 2024 und des Facharztes für HNO-Heilkunde Dr. H. vom 4. Juni 2024 wird auf Blatt 165 bis 167 und 188 bis 189 Bd. II der Gerichtsakte Bezug genommen. Zu dem vom Senat eingeholten Versicherungsverlauf vom 14. Juni 2024 wird auf Blatt 196 bis 197 Bd. II der Gerichtsakte Bezug genommen.

Der Senat hat die Klägerin mit gerichtlichem Schreiben vom 17. Juni 2024 auf die von ihr vorzunehmende Beurteilung, ob von der aus Sicht des Senats statthaften Berufung gegen den vorgenannten Gerichtsbescheid Gebrauch gemacht werden solle, hingewiesen. In Anbetracht der zum Zeitpunkt des Schreibens fast ein Jahr zurückliegenden Zustellung des Gerichtsbescheids sei zu berücksichtigen, dass die Statthaftigkeit der Berufung gegen das nachfolgende Urteil des Sozialgerichts voraussetze, dass mit der Klage vor dem Sozialgericht ein Streitgegenstand verfolgt worden ist, dessen Wert 750,00 € nicht übersteigt. Eine Umdeutung des Antrags auf mündliche Verhandlung in eine Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2023 werde nicht erfolgen.

Die Klägerin hat bis zum Ablauf der Frist von einem Jahr am 2. August 2024 (Freitag) keine Berufung gegen den Gerichtsbescheid eingelegt.

Die Beteiligten sind mit gerichtlichem Schreiben vom 17. Oktober 2024, der Klägerin zugestellt am Folgetag, unter ausführlicher Darstellung des Verfahrensablaufs darauf hingewiesen worden, dass es beabsichtigt sei, die Berufung gegen das Urteil vom 25. Oktober 2023 als unzulässig zu verwerfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 25. Oktober 2023 ist unzulässig.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 31. Juli 2023 ist der Klägerin am 2. August 2023 zugestellt worden und damit rechtskräftig. Auch nach dem Hinweis des Senats im gerichtlichen Schreiben vom 18. Juni 2024 ist gegen diesen Gerichtsbescheid innerhalb der bei einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung geltenden Frist aus § 66 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht das zutreffende Rechtsmittel der Berufung eingelegt worden ist. Die gegen das Urteil vom 25. Oktober 2023 am 28. November 2023 eingelegte Berufung ist - insbesondere bei der rechtskundig vertretenen Klägerin - nicht in eine Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2023 umzudeuten gewesen. Dasselbe gilt für den Antrag der Klägerin auf mündliche Verhandlung gegen den Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2023 (vgl. z.B.: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. August 2014 - L 13 AS 3162/14 -, juris, RdNr. 18). Mit der Entscheidung in einer Rechtssache kann nach § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 318 Zivilprozessordnung das jeweils erkennende Gericht nicht erneut über denselben Streitgegenstand entscheiden. Die Rechtskraft bindet jedes andere Gericht, d.h. hier das LSG. Bei einer rechtskräftigen Entscheidung in der Sache durch Gerichtsbescheid ist in demselben Rechtsstreit eine Berufung nicht mehr möglich. Allein der von der Klägerin hier gestellte unzulässige Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gegen den Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2023 eröffnet eine Berufung gegen das auf diese mündliche Verhandlung später erlassene Urteil nicht, unabhängig davon, ob das Sozialgericht den Antrag als unzulässig oder unbegründet behandelt hat.

Der Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2023 wäre durch den Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs. 3 SGG in seiner Urteilswirkung nur entfallen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 € nicht überstiegen hätte. Das ist vorliegend nicht der Fall. Der Senat muss sich insoweit nicht mit der Frage befassen, ob eine Änderung des Streitgegenstandes nach Erlass eines Gerichtsbescheides Einfluss auf das statthafte Rechtsmittel nach Durchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung haben kann. Denn bei Klageerhebung vor dem Sozialgericht war der Schwellenwert für eine kraft Gesetzes zulässige Berufung eindeutig überschritten und dies unabhängig davon, ob man auf den Kostenvoranschlag vom 7. September 2020 oder auf die von der Klägerin erst im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Kostenvoranschläge vom 22. Juli oder 16. September 2020 abstellt. In Bezug auf den letztgenannten Kostenvoranschlag ist insoweit besonders hervorzuheben, dass dessen Inhalt zum Zeitpunkt des Erlasses des Gerichtsbescheides vom 31. Juli 2023 weder der Beklagten oder Beigeladenen noch dem Sozialgericht bekannt gewesen ist. Für alle drei Kostenvoranschläge verbleibt schon in Bezug auf die Vergütungspauschalen eine von der Klägerin zu tragende Differenz zu dem Festbetrag, die 750,00 € übersteigt. Auch unter Berücksichtigung sämtlicher Besonderheiten des Verfahrensablaufs ist es für den gesamten Zeitraum von der Klageerhebung bis zur Verkündung des Urteils vom 25. Oktober 2023 ausgeschlossen, zu einem vor dem Sozialgericht streitigen Betrag von nicht mehr als 750,00 € im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG i.V.m. § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG zu gelangen.

Im Übrigen ist selbst bei einem zulässigen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung regelmäßig gegen das auf den Gerichtsbescheid folgende Urteil nur die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 145 SGG, nicht aber die Berufung statthaft, soweit das Sozialgericht diese - wie im vorliegenden Fall - nicht im Tenor oder den Entscheidungsgründen zugelassen hat. Die Klägerin kann sich hier auch nicht darauf berufen, dass dem Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2023 eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung beigefügt gewesen ist. Die Statthaftigkeit von Rechtsmitteln wird nicht durch die Rechtsmittelbelehrung bestimmt (vgl. statt aller Bundessozialgericht, Urteil vom 4. Juli 2018 - B 3 KR 14/17 R -, juris, RdNr. 15). Vielmehr bietet das Gesetz als Korrektiv für eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung die verlängerte Rechtsmittelfrist. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin im Übrigen weder die ihr vom Sozialgericht vor Erlass des Gerichtsbescheides ausdrücklich eingeräumte Möglichkeit, ihr Begehren zu beziffern, noch den Hinweis des Senats auf die ablaufende verlängerte Berufungsfrist gegen den Gerichtsbescheid genutzt. Die der Klägerin verschlossene Möglichkeit, eine Prüfung ihres materiell-rechtlichen Anspruchs zu bewirken, ist in der Gesamtschau nicht dem Sozialgericht anzulasten.

Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es für eine zulässige Klage über die beantragte Zahlung in Höhe von 2.097,82 € für die gewünschte Hörgeräteversorgung nach dem Kostenvoranschlag vom 16. September 2020 auch an einem abgeschlossenen Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und daraus folgend auch einem Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Entscheidung gefehlt hat.

Für Hörhilfen als Hilfsmittel ist die ärztliche Verordnung bzw. bei einer Wiederversorgung der Kostenvoranschlag des Hörgeräteakustikers mit einer Testung der Eignung des betreffenden Gerätes als Grundlage einer Bewilligung einzureichen (Abschnitt C „Hörhilfen“/§ 30 Satz 2 der Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses, zuletzt geändert am 18. März 2021, BAnz AT vom 15. April 2021, B3). Für den Kostenvoranschlag vom 16. September 2020 sind, anders als dem bei der Beigeladenen eingereichten Kostenvoranschlag vom 7. September 2020, entsprechende Testauswertungen zu keinem Zeitpunkt zum Gegenstand der Verwaltungs- oder Gerichtsakten geworden. Ein für ein Hilfsmittel bewilligter Festbetrag bezieht sich auch nur auf den konkreten Antrag (wobei die Klägerin mit ihrem Antrag auch übersieht, dass dieser immer die gesetzlichen Zuzahlungen in Höhe von 10,00 € auslöst). Dieser Festbetrag kann nicht für die Versorgung mit einem anderen Hilfsmittel, das nicht dem Antrag entspricht, in Anspruch genommen werden. Nach § 7 Abs. 3 Satz 2 der Hilfsmittel-Richtlinie wird das Hilfsmittel durch die Positionsnummern identifiziert: „Das Einzelprodukt (bezeichnet durch die 10-stellige Positionsnummer) wird grundsätzlich vom Leistungserbringer nach Maßgabe der mit den Krankenkassen abgeschlossenen Verträge zur wirtschaftlichen Versorgung mit der oder dem Versicherten ausgewählt“. Die Positionsnummern sind in dem Kostenvoranschlag vom 7. September 2020 mit jeweils zweimal 1320129145 und 1320090001 sowie 1300200002 und 1300200003 angegeben. Entsprechende Angaben fehlen auf dem von der Klägerin in Bezug genommenen Kostenvoranschlag vom 16. September 2020. Schon durch die Abweichung der Farbe (silbergrau bzw. champagner) ist indes eindeutig festzustellen, dass der Kostenvoranschlag vom 16. September 2020 nicht dieselben Hörgeräte wie der Kostenvoranschlag vom 7. September 2020 betrifft.

Im Übrigen beziehen sich sowohl der von einer Krankenkasse zu übernehmende Festbetrag als auch der ggf. zu prüfende Eigenanteil des Versicherten nur auf Vergütungs- und Reparaturpauschalen. Nur der Kostenvoranschlag vom 7. September 2020 ist auf den Leistungsumfang der Sozialversicherung zugeschnitten. Ein „Komplett Paket 04/19“, ein „AudioNova TV Connector D“, „AudioNova Trockenkapseln“ und ein „Schutzbrief Sicherheit“ weisen schon keinen Bezug zum Leistungsrecht der Sozialversicherung auf. Kosten der Energieversorgung bei Hörgeräten sind für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, von der Versorgung ausgeschlossen, sodass auch ein „Phoniak Charger Case combi“ und ein „Phoniak B-R PowerPack“ nicht Gegenstand einer Versorgung aus Mitteln der Sozialversicherung sein können (§ 34 Abs. 4 Satz 1 bis 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V, § 2 Nr. 11 der Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischem Nutzen oder mit geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung). Der vom Hörgeräteakustiker auf dem Versorgungsweg eingereichte Kostenvoranschlag vom 7. September 2020 beschränkte sich den Vorgaben entsprechend auf die beiden Vergütungs- und Reparaturpauschalen. Für den Kostenvoranschlag vom 16. September 2020 ist damit weder von der Beigeladenen noch der Beklagten über den Festbetrag (und damit einen verbleibenden Eigenanteil für die Vergütungspauschalen) entschieden worden. Da die Klägerin ein Rechtsschutzinteresse nach Aktenlage nur hat, wenn zunächst der Festbetrag aus Mitteln der Sozialversicherung übernommen wird, geht ihr im Berufungsverfahren gestellter Antrag ins Leere.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.

Rechtskraft
Aus
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