Sind umsatzabhängige Provisionen ausweislich des Arbeitsvertrags ebenso wie der laufende Arbeitslohn monatlich zu zahlen, so stellt ein einzelner Monat, in dem mangels Erreichen des Umsatzziels keine Provision gezahlt wird, eine nur unerhebliche Abweichung von dem als Regel vorgesehenen Zahlungsturnus des Arbeitslohns dar, so dass die ansonsten monatlich gezahlten Provisionen als laufender Arbeitslohn anzusehen und bei der Elterngeldbemessung zu berücksichtigen sind (Weiterentwicklung von BSG v. 25.6.2020 – B 10 EG 3/19 R).
GSW Sozialgericht Berlin |
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Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
…,
- Klägerin -
Proz.-Bev.:
Rechtsanwalt …
gegen
das Land Berlin vertreten durch das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin,
Rechtsamt
Otto-Suhr-Allee 100, 10585 Berlin,
- Beklagter -
hat die 2. Kammer des Sozialgerichts Berlin ohne mündliche Verhandlung am 5. März 2025 durch den Richter am Sozialgericht …sowie den ehrenamtlichen Richter … und die ehrenamtliche Richterin … für Recht erkannt:
Der Bescheid vom 27.10.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.3.2024 wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, der Klägerin weiteres Elterngeld für den 13. bis 15. Lebensmonat ihrer am … 2022 geborenen Tochter M. in gesetzlicher Höhe unter Berücksichtigung der im Bemessungszeitraum zugeflossenen und in den Gehaltsabrechnungen als „Prämie/Provision“ benannten sowie mit „S“ (für sonstiger Bezug) gekennzeichneten Beträge zu zahlen.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe des der Klägerin nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (vorliegend in der Fassung vom 15.2.2021 [BGBl. I 239] mWv 1.9.2021 –BEEG–) zustehenden Elterngeldes.
Die Klägerin war vor der Geburt ihrer Tochter M. (im Folgenden „M“) am … 2022 nichtselbständig erwerbstätig bei der B. GmbH als Zahnärztin angestellt. Ausweislich des Arbeitsvertrags galt zur Vergütung Folgendes:
§ 6
(1)
Die Arbeitnehmerin erhält ein Bruttogehalt von 3500 Euro Brutto monatlich. Zusätzlich wird eine Umsatzbeteiligung auf das von der Arbeitnehmerin erwirtschaftete zahnärztliche Honorar (BEMA, GOZ) in Höhe von 25 % gezahlt. Diese Umsatzbeteiligung beginnt ab Erreichen eines monatlichen Honorars der Arbeitnehmerin von 10.500 Euro und wird monatlich im Folgemonat zum Grundgehalt ausgezahlt.
Die Klägerin erhielt ausweislich der Gehaltsabrechnungen der Monate Oktober 2021 bis Oktober 2022 monatlich einen als „Festbezug Lohn/Gehalt“ benannten und mit „L“ (für laufender Bezug) gekennzeichneten Betrag von 3.500 €. Darüber hinaus erhielt sie in den Monaten August bis Oktober 2022 weitere mit „L“ (für laufender Bezug) gekennzeichnete und als „Durchschnitt Provision“ benannte Beträge von jeweils 2.589,06 €.
Schließlich erhielt sie folgende als „Prämie/Provision“ benannte und mit „S“ (für sonstiger Bezug) gekennzeichnete Beträge in den Monaten
Oktober 2021 von 1.206,18 €
Dezember 2021 von 1.172,72 €
Januar 2022 von 2.569,97 €
Februar 2022 von 2.569,70 €
März 2022 von 2.627,51 €
April 2022 von 2.486,45 €
Mai 2022 von 2.585,35 €
Juni 2022 von 3.003,21 €
Juli 2022 von 2.802,45 €
August 2022 von 414,03 €.
Ab dem 25.11.2022 bezog die Klägerin Mutterschaftsgeld von 13,00 € kalendertäglich sowie einen Arbeitgeberzuschuss vom 91,03 € kalendertäglich.
Ab dem 29.3.2024 (mithin 3 Tage nach dem Beginn des 16. Lebensmonats der M) war die Klägerin wieder in Teilzeit erwerbstätig mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 32 Stunden und einem monatlichen Steuerbrutto von rund 6.000 €.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 27.10.2023 Basiselterngeld für den 13. und 14. Lebensmonat der M in Höhe von 1.348,92 €, Elterngeld Plus für den 15. Lebensmonat der M in Höhe des hälftigen Betrags, mithin von 674,46 €, und Elterngeld Plus für den 16. bis 20. Lebensmonat der M – unter Anrechnung der erzielten Einkünfte – in Höhe des Mindestbetrags von 150 €. Dabei berücksichtigte er in dem Bemessungszeitraum November 2021 bis Oktober 2022 lediglich die als laufende Bezüge ausgewiesene Zahlungen von monatlich 3.500 € (in November 2021 bis Juli 2022 „Festbezug Lohn/Gehalt“) bzw. 6.089,06 € (in August bis Oktober 2022 „Festbezug Lohn/Gehalt“ zzgl. „Durchschnitt Provision“).
Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und begehrte die Berücksichtigung der in den Lohnabrechnungen als „Prämie/Provision“ ausgewiesenen weiteren Gehaltsbestandteile, da diese monatlich zeitgleich mit dem Grundgehalt ausgezahlt worden und daher fester Bestandteil des Gehalts seien.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.3.2024 als unbegründet zurück und stützte sich insoweit insbesondere auf die Entscheidung des BSG v. 25.6.2020 – B 10 EG 3/19 R, wonach Einkünfte, die als sonstige Bezüge ausgewiesen sind, bei der Elterngeldbemessung nicht zu berücksichtigen seien. Maßgeblich sei die Abweichung von dem Lohnzahlungszeitraum, den die Vertragsparteien arbeitsrechtlich zugrunde gelegt haben. Zahlungen, die davon abweichend in anderen Zeitintervallen erfolgen, seien als sonstige Bezüge anzusehen, selbst wenn es sich dabei ihrerseits um gleichbleibende Intervalle handelt. Sei folglich für die Zahlung eines Grundgehalts ein monatlicher Zahlungszeitraum vereinbart, so sei auch bei anderen Entgeltbestandteilen eine lückenlose monatliche Zahlung im Bemessungszeitraum erforderlich, um diese als laufenden Arbeitslohn betrachten zu können. Im vorliegenden Fall weise die Abrechnung für den Monat November 2021 keine als sonstiger Bezug versteuerte „Prämie/Provision“ aus, so dass keine lückenlose Zahlung der Provisionen vorliege.
Mit der am 29.4.2024 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Gewährung weiteren Elterngeldes unter Berücksichtigung der vollständigen Gehaltszahlungen einschließlich der in den Gehaltsabrechnungen als sonstige Bezüge ausgewiesenen Zahlungen „Prämie/Provision“. Zutreffend sei zwar, dass die Abrechnung für November 2021 keine Provisionszahlung enthalte. Dies liege jedoch daran, dass ein Provisionszahlungsanspruch in dem Monat urlaubsbedingt mangels ausreichenden Honorarumsatzes nicht entstanden sei. Dem Grunde, insbesondere dem Arbeitsvertrag nach, habe auch für diesen Monat die Provision abgerechnet und bei Entstehung auch ausgezahlt werden müssen. Die vom BSG in der Entscheidung v. 25.6.2020 – B 10 EG 3/19 R aufgestellten Voraussetzungen für die Einordnung einer Zahlung als „sonstigen Bezug“ im Sinne des § 2c Abs. 1 S. 2 BEEG, nämlich dass die Zahlungszeiträume der weiteren Gehaltsbestandteile von dem als Regel vorgesehenen Zahlungsturnus für Arbeitslohn nicht nur unerheblich abweichen, lägen ersichtlich nicht vor. In dem Urteil werde zwar ausgeführt, dass auch bei anderen Entgeltbestandteilen eine lückenlose monatliche Zahlung im Bemessungszeitraum erforderlich sei, um diese als laufenden Arbeitslohn betrachten zu können. Darauf könne jedoch die Entscheidung des Beklagten nicht gestützt werden, da es in dem vom BSG zu entscheidenden Sachverhalt darauf gar nicht angekommen sei. Dort seien die Provisionen in jedem Monat gezahlt worden. Das BSG habe also den Fall, dass in einem Monat – aus welchen Gründen auch immer – keine Provision gezahlt werde und wie dann die weiteren Zahlungen einzuordnen seien, gar nicht entschieden. Auch auf die Entscheidung des BSG v. 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, nach der Provisionen nicht elterngelderhöhend wirken, könne nicht abgestellt werden, da diese Entscheidung den Fall der nur quartalsweise gezahlten Provisionen betreffe, der nach der Lohnsteuerrichtlinie 39.b1 Abs. 2 Nr. 10 als „Zahlungen innerhalb eines Kalenderjahres als viertel- oder halbjährliche Teilbeträge“ zu qualifizieren sei, was auf den vorliegenden Fall nicht zutreffe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 27.10.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.3.2024 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr Elterngeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er nimmt Bezug auf die Begründung des Widerspruchsbescheids und trägt ergänzend vor, dass es sich entsprechend der Rechtsprechung des BSG (B 10 EG 2/19 R) bei den vorliegen-
den Provisionszahlungen nicht um laufenden Arbeitslohn gehandelt habe, da es an der erforderlichen lückenlosen und somit regelmäßigen Zahlung der Provision fehle, weil eine Provisionszahlung im November 2021 nicht erfolgt sei.
Der Einkommenssteuerbescheid der Klägerin für das Jahr 2021 ist am 3.11.2022 ergangen, der für das Jahr 2022 am 30.8.2023.
Ausweislich einer von der Kammer beim Beklagten eingeholten Probeberechnung ergäbe sich nach der von der Klägerin bei der Elterngeldbemessung begehrten Berücksichtigung der weiteren Provisionszahlungen „Prämie/Provision“ im 13. und 14. Lebensmonat der M ein Anspruch auf Elterngeld von jeweils 1.782,06 €, im 15. Lebensmonat der M ein Anspruch auf Elterngeld Plus von 891,03 € und im 16. bis 20. Lebensmonat der M verbliebe es aufgrund des anzurechnenden Einkommens aus der Teilzeiterwerbstätigkeit beim Mindestbetrag des Elterngeld Plus von monatlich 150 €; der Gesamtbetrag des weiteren Elterngelds würde mithin insgesamt 1.082,85 € (2 x 433,14 € und 1 x 216,57 €) betragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der Beratung und Entscheidung der Kammer gemachten Prozessakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Die Beteiligten haben mit Schriftsatz vom 10.12.2024 (Klägerin) und 28.11.2024 (Beklagter) gegenüber dem Gericht ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Gemäß § 124 Abs. 2 SGG konnte das Gericht im Einverständnis mit den Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) ist begründet. Das hiermit gemäß § 123 SGG verfolgte Begehren der Klägerin ist entsprechend ihres Antrags dahingehend zu verstehen, dass diese ein Grundurteil nach § 130 SGG erstrebt, mit dem ihr vom Gericht unter Änderung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung Elterngeld in gesetzlicher Höhe unter Berücksichtigung eines höheren Einkommens im Bemessungszeitraum einschließlich der als sonstige Bezüge ausgewiesenen Provisionen zugesprochen wird (vgl. zur Zulässigkeit eines Grundurteils im Elterngeldrecht etwa BSG v. 29.6.2017 – B 10 EG 4/16 R, RdNr. 10; juris). Da die Klägerin keinen bezifferten Antrag gestellt, sondern nur eine Verurteilung dem Grunde nach beantragt hat, war es der Kammer verwehrt, eine Verurteilung zur Zahlung konkret bezifferter höherer Leistungen auszusprechen, weil sie damit über den Klageantrag hinausgegangen wäre (vgl. etwa BSG v. 16.4.2013 – B 14 AS 71/12 R, RdNr. 14; juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 130 SGG, RdNr. 2e mwN).
Der angefochtene Bescheid vom 27.10.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.3.2024 ist rechtwidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Diese hat einen Anspruch auf die Bewilligung höheren Elterngeldes unter Berücksichtigung der von ihr im Bemessungszeitraum erzielten, als „Prämie/Provision“ benannten und mit „S“ (für sonstiger Bezug) gekennzeichnete Beträge in den Monaten Dezember 2021 von 1.172,72 €, Januar 2022 von 2.569,97 €, Februar 2022 von 2.569,70 €, März 2022 von 2.627,51 €, April 2022 von 2.486,45 €, Mai 2022 von 2.585,35 €, Juni 2022 von 3.003,21 €, Juli 2022 von 2.802,45 € und August 2022 von 414,03 €.
Die Klägerin erfüllte im Bezugszeitraum – unstreitig – die Leistungsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 BEEG, denn sie hatte ihren Wohnsitz in Deutschland, lebte mit ihrer Tochter in einem Haushalt, betreute und erzog ihre Tochter selbst und übte keine Vollzeiterwerbstätigkeit aus; die von der Klägerin ab Anfang des 16. Lebensmonats der M ausgeübte Teilzeiterwerbstätigkeit im Umfang einer wöchentlichen Arbeitszeit von 32 Stunden ist nach § 1 Abs. 6 BEEG zulässig.
Den Bemessungszeitraum hat der Beklagte zu Recht nach § 2b Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2 BEEG auf die Monate November 2021 bis Oktober 2022 festgelegt.
Streitig ist allein die Ermittlung des Einkommens im Bemessungszeitraum November 2021 bis Oktober 2022 und insoweit die (Nicht-)Berücksichtigung der zugeflossenen Provisionen, die als „Prämie/Provision“ benannt und mit „S“ (für sonstiger Bezug) gekennzeichnet sind.
Gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 und 2 BEEG wird Elterngeld in Höhe von 67 Prozent des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1.800 € monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat. Nach § 2c Abs. 1 S. 1 BEEG ergibt sich das Einkommen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit aus dem monatlich durchschnittlich zu berücksichtigenden Überschuss der Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit in Geld oder Geldeswert über ein Zwölftel des Arbeitnehmer-Pauschbetrags, vermindert um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben nach den §§ 2e und 2f BEEG. Gemäß § 2c Abs. 1 S. 2 BEEG werden Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren nach den lohnsteuerlichen Vorgaben als sonstige Bezüge zu behandeln sind, nicht berücksichtigt. Grundlage der Ermittlung der Einnahmen sind gemäß § 2c Abs. 2 S. 1 und 2 BEEG die Angaben in den für die maßgeblichen Monate erstellten Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers, wobei deren Richtigkeit und Vollständigkeit in den maßgeblichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen vermutet wird.
Davon ausgehend sind neben den vom Beklagten berücksichtigten als laufenden Bezüge ausgewiesene Zahlungen „Festbezug Lohn/Gehalt“ und „Durchschnitt Provision“ auch die als „Prämie/Provision“ benannten und mit „S“ für sonstiger Bezug gekennzeichnete Beträge zu berücksichtigen. Insbesondere steht dem nicht die Regelung des § 2c Abs. 1 S. 2 BEEG, wonach Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren nach den lohnsteuerlichen Vorgaben als sonstige Bezüge zu behandeln sind, unberücksichtigt bleiben, entgegen.
Insoweit ist zunächst zu konstatieren, dass im Elterngeldverfahren die Bindung der Beteiligten an die Lohnsteueranmeldungen des Arbeitgebers in dem Moment endet, indem die diesbezüglichen Einkommenssteuerbescheide erlassen worden sind (vgl. BSG v. 25.6.2020 – B 10 EG 3/19 R, 1. LS und RdNr. 39; juris), weil sich die Lohnsteueranmeldung in diesem Moment auf andere Weise im Sinne des § 124 Abs. 2 Abgabenordung (AO) erledigt (BSG, aaO, RdNr. 38). Wird also mit Erlass eines Einkommensteuerbescheids ein anderer Verwaltungsakt zur Grundlage der Besteuerung, so entfällt die Bindungswirkung einer Lohnsteueranmeldung nicht nur im Steuerrecht, sondern aufgrund der Steuerrechtsakzessorietät des Elterngelds auch im Elterngeldrecht, so dass die Elterngeldbehörden (und damit nachfolgend auch die Sozialgerichte) in einer solchen Konstellation ausnahmsweise bei eigenen Bedenken oder bei Einwänden des Elterngeldberechtigten gegen die steuerrechtliche Einordnung von Vergütungsbestandteilen selbst vollumfänglich nach den materiellen lohnsteuerrechtlichen Vorgaben prüfen müssen, ob diese als laufender Arbeitslohn oder als sonstige Bezüge im Sinne des § 2c Abs. 1 S. 2 BEEG zu behandeln sind (so [mit Ausnahme des Klammerzusatzes] wörtlich BSG, aaO, RdNr. 43). Im vorliegenden Fall ist für die Monate des Bemessungszeitraums November 2021 bis Oktober 2022 die Bindungswirkung der Lohnsteueranmeldungen mit dem Erlass der Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2021 und 2022 am 3.11.2022 und 30.8.2023 entfallen und die Klägerin hat Einwände gegen die Einordnung der als sonstige Bezüge gekennzeichneten, nicht berücksichtigten Provisionszahlungen vorgebracht, so dass eine eigenständige vollumfängliche Prüfung nach den materiellen lohnsteuerrechtlichen Vorgaben zu erfolgen hat.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung aus dem Bereich des Elterngelds gilt sodann, dass nicht zu berücksichtigende sonstige Bezüge im Sinne des § 2c Abs. 1 S. 2 BEEG unter Berücksichtigung der materiellen lohnsteuerrechtlichen Vorgaben solche Entgeltbestandteile sind, deren Zahlungszeiträume von dem als Regel vorgesehenen Zahlungsturnus für Arbeitslohn nicht nur unerheblich abweichen; maßgeblich ist die Abweichung von dem Lohnzahlungszeitraum, den die Vertragsparteien arbeitsrechtlich zugrunde gelegt haben. Zahlungen, die davon abweichend in anderen Zeitintervallen erfolgen, sind als sonstige Bezüge anzusehen, selbst wenn es sich dabei ihrerseits um gleichbleibende Intervalle handelt (so wörtlich BSG v. 25.6.2020 – B 10 EG 3/19 R, RdNr. 23; juris). Dies basiert auf der entsprechenden finanzgerichtlichen Rechtsprechung zu § 38a Einkommenssteuergesetz (EStG), auf die wegen der Steuerrechtsakzessorietät des Elterngelds zurückgegriffen werden kann. § 38a Abs. 1 S. 2 und 3 EStG definieren die Begriffe laufender Arbeitslohn und sonstige Bezüge nicht ausdrücklich. Nach der Rechtsprechung des BFH ist laufend gezahlter Arbeitslohn im Sinne des § 38a Abs. 1 S. 2 EStG nur ein solcher, der dem Arbeitnehmer regelmäßig fortlaufend zufließt (BFH v. 24.8.2017 – VI R 58/15, RdNr. 21 mwN, juris). Maßgeblich ist, ob der Arbeitslohn einem laufenden Lohnzahlungszeitraum zugehörig gezahlt wird oder nicht; als Lohnzahlungszeitraum ist der Zeitraum anzusehen, für den der Arbeitslohn gezahlt wird; er richtet sich nach den arbeitsrechtlichen Vereinbarungen (vgl. BFH v. 12.10.2023 – VI R 46/20, RdNr. 26 mwN; BFH v. 10.3.2004 – VI R 27/99, RdNr. 15 mwN; juris). Laufender Arbeitslohn ist danach durch seinen arbeitsvertraglich definierten Lohnzahlungszeitraum gekennzeichnet, der – rein zeitlich betrachtet – den Regelfall der Entlohnung darstellt (FG Baden-Württemberg v. 21.10.2022 – 10 K 262/22, RdNr. 44; juris).
Nach diesen Grundsätzen stellen die als „Prämie/Provision“ benannten und mit „S“ für sonstiger Bezug gekennzeichnete Beträge keine sonstigen Bezüge dar, sondern bei der Elterngeldbemessung zu berücksichtigende laufende Bezüge.
Abzustellen ist insoweit zum einen auf die – abstrakte – arbeitsvertragliche Ausgestaltung der Zahlungen und zum anderen auf die – konkrete – Auszahlung, mithin das tatsächliche Erreichen der Voraussetzungen der regelmäßigen Zahlung. Denn entscheidend ist der Regelfall der Entlohnung entsprechend des arbeitsvertraglich definierten Lohnzahlungszeitraums, also die regelmäßige tatsächliche Entlohnung ausgehend von den arbeitsvertraglichen Regeln.
Der arbeitsvertraglich bestimmte Zahlungsturnus war nach § 6 Abs. 1 des Arbeitsvertrags sowohl für das Grundgehalt wie auch für die Provisionen die monatliche Zahlweise, so dass die abstrakte arbeitsvertragliche Ausgestaltung der Zahlungen zur Einordnung als laufende Bezüge führt.
Die regelmäßige tatsächliche Entlohnung erfolgte ebenso sowohl für das Grundgehalt wie auch für die Provisionen monatlich. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung insoweit hervorgehobene „Regelfall“ eben gerade keine ununterbrochene Zahlung erfordert, denn ein „Regelfall“ ist ein – nur – regelmäßiger, fast ausnahmslos eintretender Fall (so Duden auf www.duden.de/rechtschreibung/Regelfall; abgerufen am 5.3.2025). Ebenso stellt die elterngeldrechtliche Rechtsprechung auch nicht auf jedwede Abweichung vom als Regel vorgesehenen Zahlungsturnus ab, sondern darauf, ob die Zahlungen „nicht nur unerheblich abweichen“; eine bloß unerhebliche Abweichung ist dementsprechend unschädlich.
Die Kammer sieht im vorliegenden Fall in der fehlenden Zahlung der Provision für den Monat November 2021 lediglich eine unerhebliche Abweichung vom ansonsten regelmäßigen monatlichen Zahlungsturnus sowohl des Grundgehalts als auch der Provisionen. Denn zum einen stellt die ausgebliebene Zahlung für lediglich einen Monat die geringstmögliche Abweichung vom arbeitsvertraglichen Zahlungsturnus der monatlichen Zahlung dar. Wenn also im Sinne der vorbenannten finanzgerichtlichen und elterngeldrechtlichen Rechtsprechung keine ausnahmslos ununterbrochene Zahlung erforderlich ist, weil – nur – der Regelfall der Entlohnung entscheidend ist und davon unerhebliche Abweichungen unschädlich sind, so muss unter den Begriff der unerheblichen Abweichung zumindest die geringstmögliche Abweichung einzuordnen sein, weil ansonsten kein Anwendungsfall für die unerhebliche Abweichung vom Regelfall verbliebe. Zum anderen basiert der Ausfall der Zahlung für den Monat November 2021 nicht auf Gründen, die von der Klägerin „vorwerfbar“ verursacht worden sind. Denn die Nichtzahlung der Provision im November 2021 basierte – nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Klägerin, an deren Richtigkeit die Kammer keinen Zweifel hat – auf dem urlaubsbedingten Nichterreichen des Umsatzziels. Zur Überzeugung der Kammer kann die Inanspruchnahme des gesetzlich mit dem Zweck der Erholung vorgesehenen Urlaubs (vgl. dazu etwa BSG v. 15.12.2015 – B 10 EG 3/14 R, RdNr. 16; juris) dem Elterngeldberechtigten aber ebenso wenig wie eine Erkrankung entgegen gehalten werden (würde etwa aufgrund einer längerfristigen Erkrankung nach der zunächst erfolgten Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sodann Krankengeld gezahlt, so würde die daraus resultierende Unterbrechung der laufenden Lohnzahlungen für die Monate des Krankengeldbezugs auch nicht dazu führen, dass das zuvor und danach bezogene Grundgehalt als sonstiger Bezug zu behandeln wäre, nur weil es nicht durchgehend monatlich gezahlt worden ist); das urlaubs- oder krankheitsbedingte Nichterreichen der Voraussetzungen für eine ansonsten monatlich gezahlte Provision in nur einem Monat des Bemessungszeitraums stellt vor diesem Hintergrund eine nur unschädliche, unerhebliche Abweichung vom Regelfall der monatlichen Entlohnung dar.
Dies entspricht im Übrigen auch dem Ziel des Elterngelds, das Einkommen, das aufgrund der Betreuung und Erziehung des Kindes ausfällt, zu ersetzen (so bereits BSG v. 27.6.2013 – B 10 EG 3/12 R, RdNr. 40; juris). Danach ist wesentlich, welches Erwerbseinkommen dem Elterngeldberechtigten vor der Geburt tatsächlich zur Verfügung stand und damit prägend für die Lebensführung war (so BSG v. 27.6.2019 – B 10 EG 1/18 R, RdNr. 26; juris). Der Einkommensersatz ist dabei auf solche Einkünfte beschränkt, welche die vorgeburtliche Lebenssituation geprägt, das heißt wesentlich beeinflusst haben (BSG v. 8.3.2018 – B 10 EG 8/16 R, RdNr. 28; juris). Dies waren bei der Klägerin neben dem Grundgehalt auch die zugeflossenen Provisionen, die aufgrund der – mit Ausnahme des Monats November 2021 – regelmäßigen Zahlung und ihrer Höhe im Vergleich zum Grundgehalt das vorgeburtliche Einkommen bei Betrachtung des gesamten Bemessungszeitraums maßgeblich mitgeprägt haben.
Im vorliegenden Fall war daher der Regelfall der Entlohnung die monatliche Zahlung von Grundgehalt und Provision, so dass es sich lohnsteuerrechtlich bei den als „Prämie/Provision“ benannten und mit „S“ für sonstiger Bezug gekennzeichnete Beträgen um laufenden Arbeitslohn und nicht um sonstige Bezüge handelte, so dass der Ausschluss des § 2c Abs. 1 S. 2 BEEG nicht eingreift.
Schließlich ergibt sich nichts Anderes aus der nachfolgenden im Urteil des BSG v. 25.6.2020 – B 10 EG 3/19 R in RdNr. 23, juris – gezogenen Schlussfolgerung „Ist also zB für die Zahlung eines Grundgehalts ein monatlicher Zahlungszeitraum vereinbart, ist auch bei anderen Entgeltbestandteilen eine lückenlose monatliche Zahlung im Bemessungszeitraum erforderlich, um diese als laufenden Arbeitslohn betrachten zu können.“ Ersichtlich handelt es sich insoweit lediglich um ein obiter dictum („Ist also zB ...“) und gerade nicht um tragende Gründe der Entscheidung. Weitergehende Ausführungen dazu, ob dieses Beispiel ausnahmslos gelten soll, sind dem Urteil ebenso wenig zu entnehmen, wie eine – sich aufdrängende – Auseinandersetzung mit der Frage, was vor dem Hintergrund der dort getroffenen Aussage denn „nur unerhebliche Abweichungen“ vom arbeitsvertraglich zugrunde gelegten Zahlungszeitraum sein sollen. Vor diesem Hintergrund sieht die Kammer die hiesige Entscheidung, der ein maßgeblich anderer Sachverhalt als der Entscheidung des BSG v. 25.6.2020 – B 10 EG 3/19 R zu Grunde liegt, auch nicht als Abweichung, sondern als Anschluss an die benannte Rechtsprechung des BSG an.
Berücksichtigt man bei der Elterngeldbemessung die als „Prämie/Provision“ benannten und mit „S“ für sonstiger Bezug gekennzeichneten Beträge, so ergibt sich im 13. bis 15. Lebensmonat der M aufgrund des höheren Einkommens im Bemessungszeitraum ein höherer Leistungsanspruch. Für den 16. bis 20. Lebensmonat der M kann sich indes kein höherer Leistungsanspruch ergeben, weil aufgrund der Höhe des in diesen Monaten erzielten Einkommens der Klägerin aus der Teilzeitbeschäftigung (von monatlich rund 6.000 €) nach § 2 Abs. 3 S. 1 und 2 BEEG nur ein Anspruch auf den Mindestbetrag in Betracht kommt.
Nach alledem war der auf den Erlass eines Grundurteils gerichteten Klage im vorbenannten Sinne stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.
Die Berufung ist für den Beklagten gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstands ausgehend von dem sich aus der Probeberechnung des Beklagten ergebenden Nachzahlungsbetrag den Betrag von 750,00 € übersteigt.