S 7 KR 758/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 7 KR 758/20
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 126/22
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 63/24 B
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid


1.    Die Klage wird abgewiesen.

2.    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Im Streit steht die Kostenerstattung für Arznei- und Verbandmittel in Höhe von 1.447,74 €.

Bei dem 1939 geborenen Kläger liegt ein komplexes chronisches Krankheitsbild vor (u.a. Erschöpfungssyndrom, chronische Herzinsuffizienz, Mitralklappenprolaps, Hypogonadismus, Hypotonie, Hypothyreose, Pankreas- und Niereninsuffizienz, Leberfunktionsstörung, chronische Obstipation, Laktoseintoleranz, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Anämie, Wirbelsäulen-Syndrom, Osteoporose, Polyarthritis, venöse Insuffizienz, Sicca-Syndrom). Im Mai 2013 diagnostizierte Dr. med. H., Privatklinik Medical Resort L., eine „Mitochondriopathie, genetisch bedingtes ausgeprägtes physisches Erschöpfungssyndrom mit Muskelschwäche“. Ein fachneurologisches Sachverständigengutachten von Prof. Dr. med. D. vom 10.01.2017 (S 7 KR 38/14) ergab, dass die Diagnose einer mitochondrialen Erkrankung weder gesichert sei noch ausgeschlossen werden könne. Das Hessische Landessozialgericht (LSG) beauftragte im Verfahren L 1 KR 42/20 bei Prof. Dr. med. S. zunächst eine Begutachtung nach ambulanter Untersuchung. Aufgrund der Ausführungen von Prof. Dr. med. S. vom 30.06.2020 zu den zum Nachweis einer mitochondrialen Erkrankung erforderlichen Untersuchungen und der Einwände des Klägers fand am 28.07.2020 ein Erörterungstermin statt. Dort erklärte der Kläger, er lege auf eine körperliche Untersuchung im Rahmen der Begutachtung keinen Wert. Das Hessische LSG holte daher bei Prof. Dr. med. S. ein neurologisches Gutachten nach Aktenlage vom 02.02.2021 ein, das sich u.a. auch mit der Frage der erforderlichen Behandlung beschäftigt, wenn man eine mitochondriale Erkrankung im Falle des Klägers unterstellt.

Am 23.05.2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten Erstattung von 1.447,74 € für im Jahr 2019 selbst beschaffte Arznei- und Verbandmittel. Dem Antrag beigefügt waren von Dr. med. P. ausgestellte und eingelöste Privatrezepte für Verband-, Wund-/Haut- und Schmerzmittel mit folgenden Kosten:

-    Topper 8 Kompressen steril 10x20 cm 50x2 Stück (Rezept vom 31.07.2019: 47,50 €; Rezept vom 19.09.2019: 47,50 €)
-    Cetuvit steril Saugkompresse 10x10, 25 Stück (Rezept vom 31.07.2019: 31,84 €)
-    Vliwasorb 10x10 cm 6 Pack (Rezept vom 15.09.2019; 58,20 €)
-    Zemuko gerollt Btl. Vliesauflage 10m x 10cm Lohmann Kom 1 Stück (Rezept vom 18.10.2019: 16,98 €)
-    Aquacel Ag 1 OP Verband (Rezept vom 02.10.2019: 225,05 €)
-    Octenisept Lösung 50 ml (Rezept vom 31.07.2019: 14,36 €; Rezept vom 23.09.2019: 14,36 €)
-    8x Medihoney Antibakt. Med. Honig Apofit Arznei 50 mg (Rezept vom 24.09.2019: geltend gemacht: 101,48 €, aber nur Quittungen vom 06. und 18.09.2019)
-    Prednicarbat Acis Creme N2 50g (Rezept vom 28.10.2019: 19,11 €)
-    Novalgin Tropfen N3 100 ml (Rezept vom 28.10.2019: 22,96 €)

Die auf Privatrezept ausgestellte Verordnung von Dr. med. P. vom 24.09.2019 (8 x Medihoney Antibakt. Med. Honig Apofit) ist bereits Gegenstand des Verfahrens S 7 KR 1983/19 gewesen. Vorlegt worden war dort ein Zahlbeleg über 48,00 €. Die Kosten wurden von der Beklagten getragen. 

Mit Bescheid vom 05.06.2020 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, eine Leistungspflicht der Krankenkasse bestehe aufgrund des Sachleistungsprinzips nur bei einer Verordnung auf Kassenrezept. Durch die Verordnung auf Privatrezept habe der behandelnde Arzt dokumentiert, dass die Voraussetzungen für eine Verordnung auf Kassenrezept nicht erfüllt seien. Seinen Widerspruch vom 12.05.2020 begründete der Kläger damit, dass es sich um notwendige Verbandmittel zur Wundversorgung bei Ulcus cruris gehandelt habe. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.12.2020 zurück. 

Am 17.12.2020 hat der Kläger Klage erhoben. Ergänzend verweist er auf das Vorliegen einer mitochondrialen Erkrankung. 

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.06.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.12.2020 zur Kostenerstattung in Höhe von 1.447,74 € zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die angegriffenen Bescheide für rechtmäßig.

Auf Nachfrage des Gerichts hat das „Fachzentrum Allgemeine Leistungen“ der Beklagten unter dem 01.04.2021 mitgeteilt, es handele sich – mit Ausnahme von Octenisept – um Kassenleistungen, die auf Kassenrezept verordnet werden können. Octenisept sei gemäß Arzneimittel-Richtlinie (Anlage I Nr. 8) eingeschränkt auf Kassenrezept verordnungsfähig und zwar nur zur Selbstbehandlung schwerwiegender generalisierter Hauterkrankungen (z.B. Epidermylosis bullosa, hereditaria; Pemphigus). Eine eindeutige entsprechende Diagnose sei den vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen. In der Vergangenheit sei teils „Zoster ohne Komplikation“ diagnostiziert worden. Die Anwendung von Octanisept dafür sei eher unüblich.

Die Kammer hat einen Befundbericht bei Dr. med. P. vom 08.08.2021 eingeholt. Demnach wurden die verordneten Mittel zur Behandlung von Ulcera cruris eingesetzt. Sie seien sinnvoll, aber nicht wirtschaftlich im Sinne des § 12 SGB V, denn es gebe preiswertere Alternativen, Generica u.ä. So habe keine Verordnung zulasten der Krankenkasse erfolgen können.

Mit Schreiben vom 01.09.2021 hat die Kammer die Beteiligten unter Fristsetzung von fünf Wochen zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Die Schreiben sind am 09.09.2021 (Beklagte) bzw. 11.09.2021 (Kläger) zugegangen. Die Beklagte hat ihr Einverständnis erklärt. Der Kläger hat ausgeführt, die Wundspezialistin des Pflegedienstes habe davon gesprochen, dass andere Ärzte die Mittel auf Kassenrezept verordneten. Aquacel habe er schon auf Kassenrezept verordnet erhalten. Wegen des Verbandmittels Medihoney hat der Kläger auf die Entscheidung des Sozialgerichts Gießen zu Az. S 7 KR 1983/19 verwiesen. Diese müsse auch für Folgeverordnungen gelten.

Mit Blick auf die Ausführungen des „Fachzentrum Allgemeine Leistungen“ der Beklagten vom 01.04.2021, es handele sich mit Ausnahme von Octanisept um Kassenleistungen, hat die Beklagte auf Nachfrage der Kammer mitgeteilt, dass dies nicht pauschal, sondern vorbehaltlich der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit im Einzelfall zu verstehen sei. Die Kammer hat Dr. med. P. ergänzend befragt. Unter dem 11.03.2022 gab er an, dass die Verordnung von Aquacel mit Rezept vom 02.10.2019 einer Anregung des Pflegedienstes folgend auf Wunsch des Patienten ohne Vorstellung in der Praxis auf Privatrezept erfolgt sei. Am 18.10.2019 habe sich der Kläger zur Untersuchung vorgestellt, worauf eine begrenzte Menge Aquacel als notwendig, hinreichend und wirtschaftlich erachtet und auf Kassenrezept verordnet worden sei. Bezüglich der übrigen Verbandmittel sei eine kassenärztliche Verordnung prinzipiell möglich, nach Prüfung aber im konkreten Fall nicht notwendig oder nicht wirtschaftlich gewesen. Deshalb sei eine Verordnung auf Privatrezept erfolgt.

Die Kammer hat den Beteiligten mit Schreiben vom 16.03.2022 mitgeteilt, dass sie nunmehr durch Gerichtsbescheid zu entscheiden beabsichtige. Der Kläger hält eine Beiziehung der Behandlungsakte des Pflegedienstes und eine Befragung eines Arztes über die Behandlungserfordernisse bei Vorliegen einer mitochondrialen Stoffwechselstörung für erforderlich. Die Abheilung des Ulcus cruris habe sich nach zunächst positivem Verlauf während eines Aufenthaltes in der C.-Klinik unter kassenärztlicher Behandlung wieder verschlechtert, bis der Pflegedienst Aquacel vorgeschlagen habe. Er verweist darauf, dass Mitochondriopathie sich auf alle Zellen bzw. Gewebe auswirke. Ein Ulcus cruris sei damit ebenfalls Ausdruck dieser Stoffwechselstörung. Deshalb hält der Kläger eine umfassende (internistische) Beweiserhebung für erforderlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten in diesem und in den  Verfahren S 7 KR 38/14 und S 7 KR 1983/19 Bezug genommen. Deren Inhalt ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.


Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Sein diesbezügliches Ermessen hat das Gericht nach Anhörung der Beteiligten zugunsten einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid ausgeübt.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung von Kosten für im Jahr 2019 selbst beschaffte Arznei- und Verbandmittel.

Als Anspruchsgrundlage für die Erstattung von Kosten für Arznei- und Verbandmitteln kommt § 13 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 31 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V in Betracht.

Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit sie nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind, und auf Versorgung mit Verbandmitteln, Harn- und Blutteststreifen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Die Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) konkretisiert den Inhalt und Umfang der im SGB V festgelegten Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 AM-RL). Die an sich ausgeschlossene Verordnung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel für Versicherte, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben (§ 34 Abs. 1 Satz 1 und 5 SGB V), ist ausnahmsweise zulässig, wenn sie bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V, § 12 Abs. 2 AM-RL). Schwerwiegende Erkrankungen und Standardtherapeutika zu deren Behandlung sind in Anlage I aufgeführt (§ 12 Abs. 5 AM-RL). Für die in der Anlage I zur AM-RL aufgeführten Indikationsgebiete kann der behandelnde Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnen, sofern ihre Anwendung für diese Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist (§ 12 Abs. 6 Satz 1 AM-RL). Die Leistungen der GKV müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, dürfen die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V). 

Für die folgenden Arznei- und Verbandmittel liegen ausschließlich privatärztliche Verordnungen von Dr. med. P. vor: Topper 8 Kompressen (31.07.2019 und 19.09.2019), Cetuvit steril Saugkompresse (31.07.2019), Vliwasorb (15.09.2019), Zemuko gerollt (18.10.2019), Aquacel Verband (02.10.2019), 8x Medihoney Antibakt. Med. Honig Apofit, Arznei 50 mg (24.09.2019), Octenisept Lösung 50 ml (31.07.2019 und 23.09.2019), Prednicarbat Acis Creme N2 50g (28.10.2019) Novalgin Tropfen N3 100 ml (28.10.2019).

Mit der Verordnung auf Privatrezept hat Dr. med. P. zum Ausdruck gebracht, dass die Voraussetzungen für eine Verordnung zulasten der Krankenkasse nicht vorliegen. Dies hält auch einer inhaltlichen Prüfung stand. Nach den eingeholten Befundberichten von Dr. med. P. vom August 2021 und März 2022 handelte es sich um Verordnungen, die zwar sinnvoll, aber nicht notwendig bzw. wirtschaftlich waren. Die beklagte Krankenkasse darf diese Leistungen mithin nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Dies gilt zur Überzeugung der Kammer auch für den mit Privatrezept vom 02.10.2019 verordneten Aquacel Verband. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Verordnung lediglich auf Wunsch des Klägers ohne Vorstellung in der Praxis erfolgt. Erst am 18.10.2019 hat sich der Kläger zur Untersuchung bei Dr. med. P. vorgestellt, worauf eine begrenzte Menge Aquacel als notwendig, hinreichend und wirtschaftlich erachtet und dementsprechend auf Kassenrezept verordnet worden ist. Eine Verordnung von Octanisept auf Kassenrezept wäre gemäß Anlage I Nr. 8 der AM-RL zwar zur Selbstbehandlung schwerwiegender generalisierender blasenbildender Hauterkrankungen möglich. Allerdings hätte hierzu eine entsprechende Diagnose in der Verordnung angegeben werden müssen, woran es hier fehlt. Auch ist nicht ersichtlich, dass eine entsprechende Diagnose vorläge. Die auf Privatrezept ausgestellte Verordnung von Dr. med. P. vom 24.09.2019 (8 x Medihoney) ist bereits Gegenstand des Verfahrens S 7 KR 1983/19 gewesen. Dr. med. P. war dort irrtümlich davon ausgegangen, dass eine Verordnung von Medihoney zulasten der Krankenkasse prinzipiell nicht möglich sei, weshalb er ein Privatrezept ausgestellt hatte. Dies hatte sich als unrichtig erwiesen und die konkrete Verordnung als notwendig und wirtschaftlich. Die Kosten wurden daher von der Beklagten getragen. Eine nochmalige Kostenerstattung kann der Kläger nicht verlangen. Soweit der Kläger auf die mit Quittungen vom 06. und 18.09.2019 belegte Selbstbeschaffung von Medihoney verweist, fehlt es hierzu an der Vorlage der erforderlichen ärztlichen Verordnung. Im Übrigen ist weder ersichtlich noch dargetan, weshalb ein Ulcus cruris – selbst wenn man hypothetisch den Nachweis einer Mitochondriopathie unterstellen würde – nur mit den begehrten Verbandmitteln behandelt werden konnte. 

Soweit dem streitigen Erstattungsbetrag von 1.447,74 € ansonsten lediglich Rechnungen bzw. Quittungen (vgl. Bl. 5 ff. VerwAkte) zugrunde liegen, scheitert eine Kostenerstattung schon am Fehlen einer ärztlichen Verordnung. Im Übrigen scheidet eine reguläre Verordnung von Arzneimitteln der Anthroposophie und Homöopathie aufgrund von Mitochondriopathie ohnehin aus, weil in der Anlage I zur Arzneimittel-Richtlinie mitochondriale Stoffwechselerkrankungen nicht als Indikationsgebiete aufgeführt sind. Als Anspruchsgrundlage für die Verschreibung von Arzneimitteln zur Behandlung einer Mitochondriopathie kommen damit nur § 2 Abs. 1a SGB V sowie die Grundsätze für einen Off-Label-Use (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 10/16 R – juris, Rn. 16 ff.) in Betracht.

Auf ein Systemversagen oder vergleichbare Fallgestaltungen (§ 2 Abs. 1a SGB V, Grundsätze für einen Off-Label-Use) kann sich der Kläger allerdings nicht mit Erfolg berufen. Denn schon das Vorliegen einer mitochondrialen Stoffwechselstörung, welche aus Klägersicht die Notwendigkeit der fraglichen Arznei- und Verbandmittel begründet, ist nicht im erforderlichen Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen. 

Die Kammer verweist insoweit auf das neurologische Gutachten von Prof. Dr. med. D. vom 10.01.2017. Demnach sind etablierte diagnostische Verfahren (muskelbioptische Aufarbeitung mit enzymhistochemischer Analyse, biochemische Untersuchung der Atmungskettenenzymfunktionen im Gewebe, molekulargenetische Untersuchungen der mitochondrialen DNA und/oder nuklearer mitochondrialer Gene) im Falle des Klägers nicht erfolgt. Die im Mai 2013 gestellte Diagnose einer Mitochondriopathie beruht vielmehr allein auf laborchemischen Befunden (u.a. Citrullin im Urin, Nitrotyrosin, Coenzym Q10- und APT-Bestimmungen) sowie genetischen Untersuchungen (u.a. Vitamin-D-Rezeptor, Tumor-Nekrose-Faktor Alpha, Superoxiddismutase 2, Katalase (Position 89 und Position 262), GIutathion-S-Transferase T1, -P1 und -M1. etc.). Aus fachneurologischer Sicht und gemäß den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie bzw. der AWMF handelt es sich bei diesen zur Diagnose einer Mitochondriopathie führenden laborchemischen und genetischen Untersuchungen nicht um klinisch und/oder wissenschaftlich etablierte diagnostische Parameter für den Nachweis einer mitochondrialen Erkrankung (S. 41 ff. des Gutachtens, Bl. 216 ff. der Gerichtsakte im Verfahren S 7 KR 38/14). Prof. Dr. med. S. hat dies in seinem neurologischen Gutachten vom 02.02.2021 ausdrücklich bestätigt. Zusätzlich hat er herausgearbeitet, dass der bei dem Kläger bestehende unbehandelte Hypogonadismus ebenfalls zu Symptomen führen kann, wie sie der Kläger beschreibt. 

Mangels abgeschlossener Diagnostik in Bezug auf die mitochondriale Erkrankung kann somit die Notwendigkeit diesbezüglicher Verordnungen nicht hergeleitet werden. Dies geht zu Lasten des Klägers, dem im Zweifel der Nachweis der Notwendigkeit der streitigen Behandlung obliegt. Es ist seine Sache, die nach allgemein anerkanntem Stand der Wissenschaft erforderlichen Untersuchungen zur Feststellung einer Mitochondriopathie durchführen zu lassen. Im Verfahren L 1 KR 42/20 hat er indessen den erforderlichen Untersuchungen zum Nachweis einer mitochondrialen Erkrankung nicht zugestimmt, sondern sich nur mit einer Blutentnahme einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der für den Nachweis einer mitochondrialen Erkrankung erforderlichen Untersuchungen wird auf die überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. med. S. vom 30.06.2020, auf das Gutachten von Prof. Dr. med. D. sowie auf die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie bzw. der AWMF verwiesen. Soweit der Kläger andere Nachweise für ausreichend erachtet, kann die Kammer dies angesichts der vorliegenden gutachterlichen Ausführungen nicht nachvollziehen. Zur Überzeugung der Kammer greift insbesondere auch der Einwand des Klägers nicht, dass es sich bei der Mitochondriopathie um eine Stoffwechselstörung und somit um eine internistische Erkrankung handele, während Prof. Dr. med. D. und Prof. Dr. med. S. die Krankheit nur vom nicht einschlägigen neurologischen Standpunkt betrachtet hätten. Die Sachverständigen haben sich bei ihren Ausführungen auf die AWMF-S1-Leitlinie „Mitochondriale Erkrankungen“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie bezogen. Dort werden die biologischen, histologischen und genetischen Grundlagen (Kap. 2.2) und der multisystemische Charakter der Erkrankungen (Kap. 1) erläutert. Gemeinsames Kennzeichen der Erkrankungen sind demnach Störungen im Bereich mitochondrial lokalisierter Stoffwechselwege, die sich häufig mit einer neurologischen Symptomatik präsentieren (Kap. 2.1). Dies ist genau das Krankheitsbild, das der Kläger beschreibt. Es besteht daher zur Überzeugung der Kammer keine Notwendigkeit, den Sachverhalt nochmals internistisch zu beurteilen. Zu entsprechenden Ermittlungen von Amts wegen hat sich die Kammer daher nicht gedrängt gesehen.

Die Klage war nach alledem abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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