Ein Anspruch eines Grundschülers auf Behandlungspflege in Form einer Schulbegleitung wegen einer Diabetes-Erkrankung ergibt sich aus § 37 Abs. 2 SGB V. Dessen Anwendungsbereich ist nicht durch § 37c SGB V gesperrt. Ein Fall der außerklinischen Intensivpflege, bei der ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege erforderlich wäre, liegt in diesen Fällen in der Regel nicht vor.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24.01.2025 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller (Ast.) begehrt in der Hauptsache die Begleitung mit einer Betreuungskraft während des Schulbesuchs.
Der 2018 geborene Ast. ist bei der Antragsgegnerin (Ag.) im Rahmen der Familienversicherung gesetzlich krankenversichert. Bei dem Ast. wurde im Dezember 2024 erstmals Diabetes mellitus Typ 1 diagnostiziert. Der Ast. ist mit einer Insulinpumpe versorgt (Gutachten des W1 vom 18.12.2024). Er besucht die erste Klasse der Grundschule Ö1 (arbeits-)täglich von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr.
Unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung des W1 vom 13.12.2024 beantragte der Ast. bei der Ag. eine Schulbegleitung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege wegen der Gefahr einer schweren Stoffwechselentgleisung und der Unmöglichkeit eines selbständigen Diabetesmanagements für die Dauer vom 18.12.2024 bis zum 31.07.2025 (im Einzelnen: Medikamentengabe, Injektionen subkutan, Blutzuckermessung bei intensivierter Insulintherapie).
Mit Bescheid vom 03.01.2025 lehnte die Ag. die begehrte Schulbegleitung ab. Zur Begründung führte sie an, seit dem 18.03.2022 sei die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) über die Verordnung von außerklinischer Intensivpflege (AKI-RL) in der Fassung vom 19.11.2021) in Kraft (zuletzt geändert am 05.12.2024). Versicherte, die bislang Anspruch auf spezielle Krankenbeobachtung nach der Richtlinie G-BA über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (HKP-RL) in der Fassung vom 17.09.2009, zuletzt geändert am 19.11.2021 und am 21.07.2022, gehabt hätten, würden künftig außerklinische Intensivpflege erhalten. Dies beinhalte auch Kita- und Schulbegleitungen. Ab dem 31.10.2023 sei hierfür das neue dreiteilige Verordnungsmuster zu verwenden und ein Behandlungsplan zu erstellen (§ 6 AKI-RL). Dies sei nicht erfolgt. Es sei eine neue, richtlinienkonform ausgestellte Verordnung über außerklinische Intensivpflege erforderlich. Deshalb sei eine Kostenübernahme im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht möglich. Im Übrigen habe eine Abgrenzung zwischen der Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) und der Assistenzleistungen des Eingliederungshilfeträgers nach §§ 76, 113 Neuntes Sozialgesetzbuch (SGB IX) stattzufinden. Hierfür müsse sich der Ast. kurzfristig mit dem ortszuständigen Sozial- und Jugendamt in Verbindung setzen.
Der Ast. legte am 15.01.2025 Widerspruch ein. Laut dem zuständigen Landratsamt R1 (LRA) müsse die Schulbegleitung von der Krankenkasse übernommen werden. Die erforderlichen Blutzuckermessungen und damit einhergehende Tätigkeiten seien als Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V zu qualifizieren, wenn die Schulbegleitung ausschließlich aufgrund der Grunderkrankungen (Diabetes) erforderlich sei. Die begehrte Leistung sei in vollem Umfang der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 SGB V zuzuordnen, weil beim Ast. neben dem Diabetes mellitus keine weiteren Einschränkungen festgestellt worden seien. Der Unterstützungsbedarf betreffe lediglich den Diabetes mellitus Typ 1. Die Leistung solle während des Grundschuldbesuchs von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr erfolgen. Es müssten die regelmäßig erforderlichen Blutzuckerkontrollen und Insulingaben übernommen werden. Gleichermaßen müsse die Schulbegleitung aber auch in Sondersituationen wie z.B. vor und während des Schulsports oder längeren Ausflügen, aber auch bei unvorhersehbar auftretenden Symptomen einer Über- oder Unterzuckerung Blutzuckermessungen durchführen und nach Interpretation der Blutzuckerwerte die entsprechende Insulindosis verabreichen.
Der Ast. hat am 17.01.2025 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) beantragt, die Ag. im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für die Schulbegleitung zu übernehmen. Er hat sich im Wesentlichen auf seinen Vortrag zur Begründung seines Leistungsantrags bezogen.
Die Ag. ist dem Antrag entgegengetreten. Der Ast. habe keine ärztliche Verordnung auf dem vereinbarten Vordruck im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 2 AKI-RL vorgelegt. Die Verwendung eines speziellen Vordrucks sei Voraussetzung für die Leistungsgewährung. Die vom Ast. beantragte ständig durchgehende Beobachtung auf etwaige Unterzuckerungssymptome und auf ungeplante Nahrungsaufnahme sei ihrer Ansicht nach auch keine Intensivpflegeleistung der Behandlungspflege, sodass auch materiell rechtlich kein Anspruch bestehe.
Mit Beschluss vom 24.01.2025 hat das SG die Beklagte verpflichtet, dem Ast. vorläufig ab dem 27.01.2025 für die Dauer von drei Monaten, längstens bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über den Ablehnungsbescheid vom 03.01.2025, die ärztlich verordnete häusliche Krankenpflege während des Schulbesuchs in der Grundschule Ö1 arbeitstäglich (Montag bis Freitag) in der Zeit von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr zur Verfügung zu stellen. Der Ast. habe sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Anspruch des Ast. beruhe auf § 37 Abs. 2 SGB V. Zur Behandlungspflege gehörten alle Pflegemaßnahmen, die durch bestimmte Erkrankungen erforderlich werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet seien und dazu beitrügen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht würden. Die Hilfeleistungen umfassten Maßnahmen verschiedenster Art, wie z.B. Injektionen, Verbandwechsel, Katheterisierung, Einläufe, Spülungen, Einreibungen, Dekubitusversorgung, Krisenintervention, Feststellung und Beobachtung des jeweiligen Krankenstandes und der Krankheitsentwicklung, die Sicherung notwendiger Arztbesuche, die Medikamentengabe sowie die Kontrolle der Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten (Verweis auf Bundessozialgericht [BSG] 10.11.2005, B 3 KR 38/04 R, juris Rn. 14 m.w.N.). Der Ast. habe glaubhaft gemacht, dass er entsprechende Leistungen benötige. Die begehrte Schulbegleitung diene der Versorgung der beim Ast. vorliegenden Erkrankung, nämlich eines Diabetes mellitus Typ 1. Maßgeblich sei hierbei, dass es nach den Ausführungen des den Ast. behandelnden W1 (Gutachten vom 18.12.2024) notwendig sei, bei jeder Mahlzeit den aktuellen Blutzuckerwert zu messen und die erforderliche Insulinmenge nach Berechnung über die Insulinpumpe zu verabreichen. Dazu müsse auf den aktuellen Bewegungsumfang reagiert werden, da körperliche Betätigung zu Unterzuckerung führen könne. Es müsse in solchen Fällen durch die Gabe von Kohlenhydraten reagiert werden. In der Schule umfasse die Unterstützung die Kontrolle der Blutzuckerwerte und der Sensoralarme, die unmittelbare, notfallmäßige Reaktion auf Unterzuckerungen durch Kohlenhydratgabe und blutige Kontrolle des Glukosespiegels, zu den Essenszeiten ca. alle zwei bis drei Stunden die Eingabe der durch das Kind verzehrten Kohlenhydrate in die Insulinpumpe und Abgabe der berechneten Dosis, die durchgehende Beobachtung des Kindes auf etwaige Unterzuckerungssymptome und auf ungeplante Nahrungsaufnahme, bei Blutzuckerentgleisungen eine Verständigung der Eltern oder des Rettungsdienstes und bei schwerer Unterzuckerung die Gabe von Glukagon als Notfallspritze oder als Nasenspray. Nach W1 sei die durchgehende Beobachtung des Ast. essentiell, da sonst schwere Blutzuckerentgleisungen mit verheerenden Folgen zu erwarten seien, was eine allgemeine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes zur Folge hätte. Eine entsprechende Krankenbeobachtung während des Schulbesuchs unterfalle der Behandlungspflege im Sinne des § 37 Abs. 2 SGB V (vgl. Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg 27.07.2022, L 5 KR 2686/21, juris Rn. 40 ff.).
Mit ihrer am 27.01.2025 beim SG eingelegten Beschwerde, die das SG am 28.01.2025 an das LSG Baden-Württemberg weitergeleitet hat, macht die Ag. weiter geltend, dass weder die materiellen Voraussetzungen für eine außerklinische Intensivpflege im Sinne des § 37c SGB V vorlägen, noch die für eine solche Leistung erforderlichen formellen Voraussetzungen erfüllt seien, weil der Ast. kein spezielles Verordnungsmuster vorgelegt habe.
Die Ag. beantragt,
den Beschluss des SG Karlsruhe vom 24.01.2025 aufzuheben und den Antrag des Ast. abzulehnen.
Der Ast. beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er betont nochmals, dass er einen Hilfebedarf nur wegen der Diabetes-Erkrankung habe. Ansonsten sei er völlig normal entwickelt und benötige aus anderen Gründen keinerlei Hilfe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte, die Akten des SG und die Akten des Senats Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Ag. hat keinen Erfolg.
1. Der Senat entscheidet über die Beschwerde der Ag. durch Beschluss (§ 176 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Eine mündliche Verhandlung wird nicht für erforderlich gehalten (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 3 SGG). Die form- und fristgerechte (§ 173 SGG) und auch ansonsten nach § 172 SGG statthafte Beschwerde ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Vielmehr hat das SG die Ag. zu Recht verpflichtet, vorläufig Leistungen der Behandlungspflege in Form einer Schulbegleitung in näher definiertem Umfang zu erbringen.
2. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen (Regelungsanordnung). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).
Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG, Kammer] 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, juris Rn. 23). Im Recht der GKV ist ihnen allerdings in den Fällen, in denen es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung für den Ast. geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt. Drohen dem Antragssteller - wie hier - ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, verlangt Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) von den Sozialgerichten bei der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache grundsätzlich eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage, die sich von der im Hauptsacheverfahren nicht unterscheidet (vgl. BVerfG 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, juris Rn. 9). Sie haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG [Kammer], 29.07.2003, 2 BvR 311/03, BVerfGK 1, 292, 296, juris Rn. 6 f.). Ist dem Gericht in einem solchen Fall eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. BVerfG [Kammer], 02.05.2005, a.a.O., juris Rn. 25 f.); die grundrechtlichen Belange des Ast. sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (BVerfG [Kammer] 22.11.2002, juris Rn. 6; vgl. auch Senatsbeschluss 18.05.2015, L 11 KR 4414/14 ER-B, juris Rn. 30 - 31).
a) Die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Eilbedürftigkeit ist gegeben. Eine Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Ast. erscheint nötig. Der Ast. ist so schwer erkrankt, dass er sich nicht selbst versorgen kann. Er verfügt altersbedingt noch nicht über den Reifegrad, der ihn in die Lage versetzen würde, durch Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle den durch die Diabetes-Erkrankung unvorhersehbar auftretenden Gefährdungslagen adäquat entgegen zu wirken. Andererseits besteht auch für ihn die Schulpflicht, sodass er auch aus rechtlichen Gründen gehalten ist, den Schulunterricht in der ersten Klasse der Grundschule zu besuchen. Den dabei auftretenden Gefährdungslagen kann nach Auffassung des Senats vorläufig bis zum Erreichen eines gewissen Reifegrades nur durch die Stellung einer Begleitperson begegnet werden, jedenfalls solange nicht durchgehend Lehrkräfte vorhanden sind, die gegebenenfalls in Notlagen eingreifen könnten. Hieraus ergibt sich die Eilbedürftigkeit. Der Ast. muss die Grundschule besuchen. Es ist nicht angebracht, im das Risiko einer schwer wiegenden Blutzuckerentgleisung mit den darauf beruhenden möglichen schwerwiegenden Gesundheitsschädigungen bis zum Abschluss des Hauptverfahrens zuzumuten.
b) Der Ast. hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Der Anspruch auf Behandlungspflege in Form einer Schulbegleitung ergibt sich aus § 37 Abs. 2 SGB V. Dessen Anwendungsbereich ist nicht durch § 37c SGB V gesperrt. Ein Fall der außerklinischen Intensivpflege, bei der ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege erforderlich wäre, liegt entgegen der Auffassung der Ag. nicht vor. Die Verwendung eines speziellen Verordnungsformulars (§ 6 Abs. 1 AKI-RL) kann deshalb nicht verlangt werden.
§ 37c SGB V ist lex specialis zu § 37 Abs. 2 SGB V nur für den Fall, dass ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege erforderlich ist (vgl. insoweit auch § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB V). Ansonsten engt er den Anwendungsbereich des § 37 Abs. 2 SGB V weder ein noch beschränkt er ihn. Ein Fall, in dem ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege erforderlich ist (§ 37c Abs. 1 Satz. 1 SGB V), liegt nach Auffassung des Senats aber nicht vor. Vielmehr dürfte sich der Fall zwanglos wie bisher unter die von § 37 Abs. 2 SGB V geregelten Fallkonstellationen einordnen lassen. Nach § 1 AKI-RL haben Versicherte einen besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege, sofern sie die Voraussetzungen gemäß § 4 Abs. 1 AKI-RL erfüllen. Ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege liegt danach vor, wenn die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft oder ein vergleichbar intensiver Einsatz einer Pflegefachkraft im gesamten Versorgungszeitraum zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft nach näherer Maßgabe erforderlich ist (Nolte in Kasseler Kommentar SGB V, Stand 02/2024; § 37c Rn. 4). Was unter einer geeigneten Pflegekraft zu verstehen ist, wird in den Rahmenempfehlungen nach § 132 Abs. 1 SGB V zur Versorgung mit außerklinischer Intensivpflege vom 03.04.2023 erläutert. § 3 und § 4 der Rahmenempfehlungen enthalten insoweit zahlreiche Qualifikationsmerkmale, die eine verantwortliche Pflegekraft und die an der Versorgung beteiligten Pflegefachkräfte (hier für weder beatmete noch trachealkanülisierte Versicherte) erfüllen müssen. Nach diesen Maßgaben ist vor dem Hintergrund der Stellungnahmen des behandelnden W1 nicht ersichtlich, dass für die Begleitung und Beobachtung des Ast. eine derartig ausgebildete und qualifizierte Pflegefachkraft erforderlich wäre. Wie die Durchsicht der genannten Vorschrift und der dazu ergangenen Richtlinien des G-BA zeigt, hat der Gesetzgeber dabei an wesentlich andere Fallkonstellationen gedacht. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen hier die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft, die dann ja auch außerhalb der Schulzeiten vor Ort sein müsste, erforderlich sein sollte. Eine Einführung, gegebenenfalls ausführliche Unterrichtung, dürfte nach Auffassung des Senats ausreichend sein. Deshalb sind auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AKI-RL nicht erfüllt.
Der Anspruch des Ast. folgt vielmehr aus § 37 Abs. 2 SGB V. Danach erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (Behandlungssicherungspflege). In Richtlinien nach § 92 SGB V legt der G-BA fest, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach den Absätzen 1 und 2 auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können (§ 37 Abs. 6 SGB V). Der krankenversicherungsrechtliche Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungssicherungspflege besteht neben dem Anspruch auf Leistungen bei häuslicher Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung (§ 13 Abs. 2 SGB XI). Zur Behandlungspflege gehören alle Pflegemaßnahmen, die durch bestimmte Erkrankungen erforderlich werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden. Die Hilfeleistungen umfassen Maßnahmen verschiedenster Art, wie z.B. Injektionen, Verbandwechsel, Katheterisierung, Einläufe, Spülungen, Einreibungen, Dekubitusversorgung, Krisenintervention, Feststellung und Beobachtung des jeweiligen Krankenstandes und der Krankheitsentwicklung, die Sicherung notwendiger Arztbesuche, die Medikamentengabe sowie die Kontrolle der Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten (BSG 10.11.2005, B 3 KR 38/04 R, juris Rn. 14 m.w.N; ausführlich und mit zahlreichen weiteren Nachweisen LSG Baden-Württemberg, 27.02.2022, L 5 KR 2686/21). Entsprechende Leistungen benötigt der Ast. Die begehrte Schulbegleitung dient der Versorgung der beim Ast. vorliegenden Erkrankung, des Diabetes mellitus Typ 1. Insoweit genügt die Gewährung regelmäßiger Blutzuckermessungen und Insulingaben während des Schulbesuchs zu im Voraus bestimmten Zeiten nicht. Aufgrund der schwankenden Blutzuckerwerte infolge wechselnder körperlicher Aktivitäten, unregelmäßigem Tagesrhythmus und Infekten besteht die Notwendigkeit einer jederzeitigen Interventionsmöglichkeit. Folglich benötigt der Ast. daher auch während des Schulbesuchs eine ständige Beobachtung, damit in den jeweiligen, unvorhersehbar auftretenden Situationen die geeigneten Maßnahmen ergriffen werden können, um Über- und Unterzuckerungen zu vermeiden. Hierzu ist der Ast. wegen seines Alters selbstständig und ohne Hilfe derzeit nicht in der Lage. Maßgebend ist hierfür, dass die Blutzuckermessung und Anpassung der Insulingabe beim Ast. während des Schulbesuchs täglich zu unbestimmten Zeitpunkten nötig wird. Wegen der Gefahr von gesundheitlichen Komplikationen ist die engmaschige Beobachtung der gesundheitlichen Situation des Ast. notwendig. Es muss die Möglichkeit der jederzeitigen Intervention bestehen (LSG Baden-Württemberg, 20.11.2019, L 2 SO 3106/19 ER-B; 25.03.2021; L 4 KR 3741/20 ER-B, beide in juris). Bei der begehrten Diabetes-Assistenz handelt es sich deshalb um eine Krankenbeobachtung als Maßnahme der Behandlungssicherungspflege im Sinne des § 2 Abs. 2 HKP-RL.
Soweit der G-BA in der Änderung der HKP-RL die bisher im Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege (Leistungsverzeichnis) der Anlage zur HKP-RL unter Ziff. 24 genannten Leistungen der speziellen Krankenbeobachtung gestrichen hat, folgt daraus entgegen der Auffassung der Ag. nicht, dass solche Leistungen nicht mehr im Rahmen des § 37 Abs. 2 SGB V zu erbringen wären. Gemäß § 1 Abs. 4 HKP-RL sind nicht im Leistungsverzeichnis aufgeführte Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege im Sinne von § 37 SGB V in medizinisch zu begründenden Ausnahmefällen verordnungs- und genehmigungsfähig, wenn sie Bestandteil des von der Verordnerin oder dem Verordner erstellten Behandlungsplans sind, im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich sind und von geeigneten Pflegekräften erbracht werden sollen. Auch in den tragenden Gründen zum Beschluss des G-BA über eine Änderung der Häusliche Krankenpflege-Richtlinie: Übergangsregelung und Anpassung zur außerklinischen Intensivpflege vom 19.11.2021 weist er unter Punkt 2 daraufhin, dass die HKP-RL keinen abschließenden Leistungskatalog darstellt und auch bei im Einzelfall erforderlichen und wirtschaftlichen Maßnahmen der Behandlungspflege auch außerhalb des Leistungsverzeichnisses eine Leistungsverpflichtung der Krankenkassen bestehen kann. Damit sei - so der G-BA - nicht ausgeschlossen, dass die spezielle Krankenbeobachtung im Sinne der bisherigen Nr. 24 des Leistungsverzeichnisses, 2. Spiegelstrich der Bemerkungsspalte, im Einzelfall auch nach der Streichung der Nr. 24 des Leistungsverzeichnisses erforderlich und wirtschaftlich sein kann und entsprechend verordnet und erbracht wird. Ein zwingender Ausschluss der hier umstrittenen Leistungen ergibt sich also gerade nicht.
Selbst wenn dem nicht so wäre, kann ein nach Maßgabe des Gesetzesrechts in § 37 Abs. 2 SGB V bestehender Leistungsanspruch entgegen der Ansicht der Ag. durch möglicherweise entgegenstehendes Richtlinienrecht nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Zwar handelt es sich bei den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V (hier die HKP-RL) um untergesetzliche Normen, die grundsätzlich auch innerhalb des Leistungsrechts zu beachten sind, sie verstoßen aber gegen höherrangiges Recht, soweit sie einen Ausschluss der im Einzelfall gebotenen Krankenbeobachtung aus dem Katalog der verordnungsfähigen Leistungen vorsehen. Ebenso wenig wie der G-BA ermächtigt ist, den Begriff der Krankheit in § 27 Abs. 1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen zu bestimmen, ist er befugt, medizinisch notwendige Maßnahmen von der häuslichen Krankenpflege auszunehmen. Die HKP-RL bindet die Gerichte insoweit nicht (SG Bremen 20.08.2024, S 66 KR 82/24 ER, juris Rn. 29). Der G-BA kann gesetzliche Ansprüche weder erweitern noch ausschließen. Ihm ist lediglich die Rechtsmacht gegeben, Ansprüche im Einzelnen zu konkretisieren. Deshalb ist der Ausschluss medizinisch notwendiger Maßnahmen aus der häuslichen Krankenpflege durch untergesetzliche Rechtsnormen nicht zulässig (Nolte in Kasseler Kommentar SGB V, Stand 02/2024, § 37 Rn. 20a).
Ein Anspruch gegen den Träger der Eingliederungshilfe (Landratsamt R1) kommt nicht in Betracht. Bei der beantragten Leistung handelt es sich nicht um eine Leistung der Eingliederungshilfe als Hilfe zur angemessenen Schulbildung. Leistungen der häuslichen Krankenpflege haben kurativen Charakter. Leistungen erfolgen, wenn sie „zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich“ sind. (LSG Sachsen 21.4.2021, L 1 KR 539/17, Rn. 41ff.; SG Darmstadt, 07.02.2025, S 13 KR 262/23, Rn. 30, beide in juris). Der Senat hat aus diesem Grund auch von einer Beiladung des Trägers der Eingliederungshilfe abgesehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§177 SGG).