L 10 R 1507/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 1 R 2533/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1507/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Rentenanpassungsmitteilungen regeln ausschließlich die wertmäßige Fortschreibung bereits zuerkannter Rentenrechte und enthalten keine Regelung über einen Einkommensanrechnungsbetrag.
2. Von einem Aufhebungsverwaltungsakt können über die im Wortlaut seines Verfügungssatzes konkret genannten Bewilligungen hinaus weitere Bewilligungen umfasst sein, wenn sich dies aus der Auslegung des Aufhebungsverwaltungsakts nach dem objektiven Empfängerhorizont ergibt.
3. Wer Witwerrente bezieht, ist gesetzlich verpflichtet, erzieltes Einkommen dem Leistungsträger mitzuteilen. Der Mitteilungspflicht wird nicht durch die Anmeldung einer geringfügigen Beschäftigung bei der DRV Knappschaft-Bahn-See genügt. Im Verhältnis eines leistenden Trägers gegenüber Versicherten besteht keine Verpflichtung, in deren Interesse bei anderen Sozialversicherungsträgern Datenabgleiche durchzuführen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 19.03.2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.


Tatbestand


Die Beteiligten streiten in der Sache darüber,
ob die Beklagte die monatlich an den Kläger zur Auszahlung gelangten Beträge seiner Witwerrente im Zeitraum vom 01.07.2010 bis 30.04.2019 wegen der Anrechnung von Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung herabsetzen und einen überzahlten Betrag i.H.v. 11.948,18 € zurückfordern darf.

Der 1943 geborene Kläger war bis zu ihrem Tod 2007 mit T1, geborene T2 (im Folgenden: die Versicherte), verheiratet. Mit Rentenbescheid vom 25.09.2007 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine große Witwerrente, verfügte zugleich, dass die am 27.05.2007 beginnende Rente aufgrund der Höhe seines zu berücksichtigenden Einkommens - der Kläger erzielte Erwerbseinkommen aus einer selbstständigen Tätigkeit - ab dem 01.09.2007 nicht zu zahlen sei und bewilligte eine Nachzahlung für die Zeit vom 27.05.2007 bis zum 30.09.2007 in Höhe von 1.047,40 € (sog. Sterbevierteljahr). Der Kläger wurde in diesem Bescheid unter „weitere Hinweise“ ausdrücklich darüber belehrt, dass, soweit eine Witwenrente oder Witwerrente mit Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen des Berechtigten zusammentreffe, auf die Rente Einkommen in Höhe von 40 % des Betrages anzurechnen sei, um den das monatliche Einkommen einen dynamischen Freibetrag übersteige. Eine Entscheidung über den vom Kläger beantragten Zuschuss zur Krankenversicherung traf die Beklagte in diesem Bescheid (noch) nicht. Mit Bescheid vom 13.11.2007 berechnete die Beklagte die große Witwerrente ab dem 27.05.2007 neu, gewährte ihm nun auch einen Beitragszuschuss zur Krankenversicherung und verfügte eine Nachzahlung von 75,94 €.

Am 28.01.2008 stellte der Kläger einen Antrag auf Regelaltersrente ab dem 01.05.2008, die ihm auch bewilligt wurde. Mit Bescheid vom 06.10.2008 berechnete die Beklagte daraufhin die bisherige große Witwerrente ab dem 27.05.2007 neu, gewährte ihm ab dem 01.11.2008 eine monatliche Rentenzahlung von 217,06 € (monatliche Rente 135,18 €, Zuschuss zum Krankenversicherungs[KV]-Beitrag 81,88 €) und für die Zeit vom 27.05.2007 bis zum 31.10.2008 eine Nachzahlung in Höhe von 3.147,02 €. Hierbei berücksichtigte sie u.a. ab dem 27.05.2007 kein Erwerbseinkommen des Klägers aus selbstständiger Tätigkeit mehr - nach der eigenen Erklärung des Klägers bzw. der Bescheinigung des Steuerberaters würden negative Einkünfte erzielt - und rechnete auch die Regelaltersrente des Klägers im Zeitraum 01.05.2008 bis 30.06.2008 nicht an, da der Freibetrag nicht überschritten wurde. Erst ab dem 01.07.2008 setzte sie ein anzurechnendes Einkommen (ausschließlich) in Form der Regelaltersrente in Höhe von 66,20 € fest. In diesem Bescheid belehrte die Beklagte den Kläger ausdrücklich u.a. über folgende Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten:

„Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können Einfluss auf die Rentenhöhe haben. Daher sind Sie verpflichtet, uns jeden Bezug und jede Veränderung von Erwerbseinkommen oder Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen.

Erwerbseinkommen sind:

Arbeitsentgelt,
Arbeitseinkommen (Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit),
Vergleichbares Einkommen (z.B. Abfindung oder Überbrückungsgeld vom Arbeitgeber).

Arbeitseinkommen teilen Sie uns bitte auch mit, wenn eine selbständige Tätigkeit zwar tatsächlich nicht ausgeübt wird, aber steuerrechtliche „Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit“ vorliegen.

Erwerbsersatzeinkommen sind:

Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Mutterschaftsgeld, Übergangsgeld, Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld, Insolvenzgeld und vergleichbare Leistungen,
Versichertenrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung,
Rente wegen Alters und wegen Erwerbsminderung nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte,
Rente an Versicherte und Hinterbliebene aus der gesetzlichen Unfallversicherung,
Leistungen nach § 10 Abs. 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes,
Ruhegehalt, Unfallruhegehalt und vergleichbare Bezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis oder Amtsverhältnis,
Rente von öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtungen oder Versorgungseinrichtungen,
Berufsschadensausgleich.



Die Meldung von Veränderungen erübrigt sich bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit oder bei Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Den Bezug eines bisher noch nicht mitgeteilten Einkommens oder den späteren Hinzutritt von Einkommen teilen Sie uns bitte immer mit.

…“


Zudem enthielt auch dieser Bescheid den Hinweis (S. 54 SG-Akte), dass auf eine Witwen- oder Witwerrente, die mit Erwerbseinkommen oder Erwerbsersatzeinkommen des Berechtigten zusammentreffe, ein Einkommen in Höhe von 40 % des Betrages anzurechnen sei, um den das monatliche Einkommen einen dynamischen Freibetrag übersteige.

Mit Bescheid vom 22.01.2009 berechnete die Beklagte die große Witwerrente des Klägers aufgrund einer Erhöhung des Zuschusses zum KV-Beitrag ab dem 01.01.2009 neu und bewilligte ihm ab dem 01.02.2009 einen monatlichen Zahlbetrag von 217,63 € (monatliche Rente i.H.v. 135,18 €, Zuschuss zum KV-Beitrag i.H.v. 82,45 €) und für Januar 2009 eine Nachzahlung von 0,57 €. Eine Verfügung über die Einkommensanrechnung enthielt dieser Bescheid nicht. Erneut wurde der Kläger über seine Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten belehrt. 

Mit Bescheid vom 08.02.2010 berechnete die Beklagte die große Witwerrente des Klägers aufgrund einer Änderung im Krankenversicherungsverhältnis (Wegfall des Zuschusses zur KV und Einbehaltung der KV- und Pflegeversicherungs
[PV]-Beiträge aus der Rente) abermals neu und bewilligte ihm ab dem 01.03.2010 einen Zahlbetrag von 123,91 € (monatliche Rente i.H.v. 137,45 €, abzüglich Beitragsanteile des Rentners zur KV i.H.v. 10,86 € und zur PV i.H.v. 2,68 €). Für die Zeit vom 01.01.2010 bis zum 28.02.2010 setzte sie eine Überzahlung i.H.v. insgesamt 188,86 € (rückständiger KV-Beitrag i.H.v. 21,72 €, rückständiger PV-Beitrag i.H.v. 5,36 €, zu Unrecht gezahlter Zuschuss zur KV i.H.v. 161,78 €) fest. Auch dieser Bescheid enthielt keine Verfügung über die Einkommensanrechnung, wies den Kläger jedoch abermals auf seine Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten und darauf hin, dass Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen (namentlich Arbeitsentgelt) in Höhe von 40 % des Betrages anzurechnen sei, um den das monatliche Einkommen einen dynamischen Freibetrag übersteige.

Zum 01.04.2010 nahm der Kläger eine geringfügige Beschäftigung auf, was er der Beklagten
- entsprechend seiner eigenen Angaben im Rahmen des Berufungsverfahrens - nicht mitteilte.

In den Jahren 2010 bis 2018 erhielt der Kläger jeweils zum 01.07. Rentenanpassungsmitteilungen der Deutschen Post AG, Niederlassung Renten Service B1, ausgestellt im Namen der Deutschen Rentenversicherung Bund, in denen jeweils sowohl seine Alters- als auch seine große Witwerrente an den aktuellen Rentenwert angepasst wurde. Den Rentenanpassungsmitteilungen lässt sich jeweils entnehmen, dass auf die Witwerrente lediglich Erwerbsersatzeinkommen in Form der Altersrente und kein Erwerbseinkommen angerechnet wurde. Darüber hinaus verwiesen sie jeweils darauf, dass die in den Rentenbescheiden gegebenen Hinweise zu den Mitteilungspflichten weiterhin gälten, weshalb Umstände, die die Leistungsansprüche oder die Höhe der Leistungen in irgendeiner Weise beeinflussen könnten, dem Träger der Rentenversicherung umgehend mitzuteilen seien.

Mit Bescheid vom 24.09.2014 berechnete die Beklagte die große Witwerrente ab dem 01.07.2014 wegen eines Zuschlags für Kindererziehung (sogenannte Mütterrente) neu und bewilligte ab dem 01.10.2014 einen laufenden Zahlbetrag von monatlich 146,88 € (monatliche Rente i.H.v. 163,64 €, abzüglich Beitragsanteile zur KV i.H.v. 13,41 € und PV i.H.v. 3,35 €); für die Zeit vom 01.07.2014 bis zum 30.09.2014 verfügte die Beklagte eine Nachzahlung von 46,20 €. Als Einkommen rechnete sie wiederum ausschließlich die vom Kläger bezogene Regelaltersrente mit einem Betrag i.H.v. 70,45 € an und traf keine (weitere) Verfügung über die Einkommensanrechnung. Auch in diesem Bescheid belehrte die Beklagte den Kläger über seine Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten in Bezug auf die Erzielung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen.

Aufgrund einer am 30.04.2019 erfolgten maschinellen Mitteilung erhielt der für die Bearbeitung der Witwerrente des Klägers zuständige Sachbearbeiter der Beklagten Kenntnis davon, dass der Kläger seit dem 01.04.2010 eine geringfügige Erwerbstätigkeit aufgenommen hatte und seither ein monatliches Erwerbseinkommen i.H.v. 400 € bezog. Die Beklagte hörte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 21.05.2019 zur beabsichtigten Rücknahme der „Bescheide“ über die Rentenanpassungen (Mitteilungen des Rentenservices der Deutschen Post AG) ab dem 01.07.2010 hinsichtlich der Rentenhöhe nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), der Zahlung der laufenden Rente ab dem 01.07.2019 in Höhe von (nur noch) 25,91 € und der Rückforderung der im Zeitraum 01.07.2010 bis 30.06.2019 entstandenen Überzahlung i.H.v. 14.645,70 € nach § 50 Abs. 1 SGB X an.

Mit Schreiben vom 10.06.2019 - bei der Beklagten am 12.06.2019 eingegangen - teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er nicht verstehe, was in den Bescheiden falsch gewesen sei. Es sei immer auch Einkommen angerechnet worden. Zudem habe er seinen Steuerberater eingeschaltet gehabt, der ihm beim Ausfüllen der Formulare geholfen habe. Er könne die Rückforderung nicht bezahlen.

Mit Bescheid vom 04.07.2019 berechnete die Beklagte die große Witwerrente des Klägers ab dem 01.04.2010 neu und berücksichtigte neben dem Erwerbsersatzeinkommen in Form der Regelaltersrente auch das Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung des Klägers i.H.v. monatlich 400 € (anzurechnendes Einkommen entsprechend der Anlage zum Bescheid, Bl. 91 ff. VA-Bd. I Versicherte: ab 01.07.2010 i.H.v. 228,78 €, ab 01.07.2011 i.H.v. 227,64 €, ab 01.07.2012 i.H.v. 229,12 €, ab 01.07.2013 i.H.v. 229,29 €, ab 01.07.2014 i.H.v. 230,45 €, ab 01.07.2015 i.H.v. 231,93 €, ab 01.07.2016 i.H.v. 234,98 €, ab 01.07.2017 i.H.v. 236,41 €, ab 01.07.2018 i.H.v. 238,87 €). Zudem berücksichtigte sie eine Änderung der Beitragszahlung aus der Rente. Sie bewilligte dem Kläger ab dem 01.07.2019 einen monatlichen Zahlbetrag i.H.v. 25,81 € (monatliche Rente i.H.v. 29,04 €, abzüglich Beiträge zur KV i.H.v. 2,12 € und zur PV i.H.v. 0,89 €, abzüglich Anteil am Zusatzbeitrag i.H.v. 0,22 €), nahm die „Bescheide“ über die Rentenanpassungen ab dem 01.07.2010 (Mitteilung des Rentenservice der Deutschen Post AG) mit Wirkung ab dem 01.07.2010 nach § 45 SGB X zurück und verlangte die Erstattung der im Zeitraum vom 01.04.2010 bis 30.06.2019 entstandenen Überzahlung i.H.v. 14.645,70 €. Dem Kläger sei z.B. in den Bescheiden vom 06.10.2008 und 24.09.2014 mitgeteilt worden, dass Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf die Witwerrenten anzurechnen sei. Er habe aus den „Bescheiden“ über die jeweiligen Rentenanpassungen auch erkennen können, dass lediglich seine Altersrente als Einkommen im Wege der Einkommensanrechnung bei der Hinterbliebenenrente zugrunde gelegt worden sei. Es spiele für die Rücknahmeentscheidung auch keine Rolle, dass der Bezug von Arbeitseinkommen erst zum jetzigen Zeitpunkt bekannt geworden sei, da er seinen gesetzlichen Mitwirkungspflichten, auf die er hingewiesen worden sei, nicht nachgekommen sei. Auch das von ihr ausgeübte Ermessen führe zu keiner anderen Entscheidung. Schlechte wirtschaftliche Verhältnisse seien kein im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigender Grund, von einer Bescheidrücknahme und der damit verbundenen Rückforderungshöhe abzusehen. Diese könnten bei den Rückzahlungsmodalitäten berücksichtigt werden.

Hiergegen erhob der Kläger am 09.08.2019 Widerspruch und teilte unter Vorlage einer Meldebescheinigung zur Sozialversicherung vom 03.06.2019 mit, dass er lediglich bis zum 30.04.2019 geringfügig beschäftigt gewesen sei und diese Beschäftigung der Rentenversicherung auch ordnungsgemäß durch seinen Steuerberater gemeldet worden sei. Zudem führte er aus, dass er nach wie vor nicht verstehe, was er falsch gemacht haben soll. Während er noch selbstständig gewesen sei, seien seine Einkünfte „irgendwie“ auf die Witwerrente angerechnet worden. Das sei alles sehr kompliziert gewesen und daher vom Steuerberater erledigt worden. Sodann habe er selbst eine Rente bekommen, die „automatisch“ angerechnet worden sei. Ab April 2010 sei er ganz offiziell geringfügig beschäftigt und angemeldet gewesen. Er habe sich als Rentner 400 € hinzuverdient. Überall könne man lesen, dass man als Altersrentner hinzuverdienen dürfe. Deshalb verstehe er nicht, weshalb ein geringfügiges Einkommen überhaupt angerechnet werde. Er sei gar nicht auf die Idee gekommen, dass ein Teil davon auf die Rente angerechnet werde. Er verstehe auch nicht, wieso für die Monate April, Mai und Juni 2010 keine Rente zurückgefordert worden sei, sondern erst ab Juli 2010. Er habe sich auch die Rentenbescheide nochmals angeschaut. Da stehe sehr viel drin, aber nichts von geringfügigem Einkommen. Die komplizierten Schreiben zu den Rentenanpassungen, in denen auch etwas von Anrechnung von Einkommen auf die Witwerrente stehe, könne man nicht verstehen. Da werde alles Mögliche abgezogen und man wisse vorher nicht, ob überhaupt etwas angerechnet werden müsse. Er habe keine Fehler machen wollen. Es sei ungerecht, dass er jetzt für so einen langen Zeitraum Geld zurückzahlen müsse.

Im Rahmen der Überprüfung der Ausgangsentscheidung im Widerspruchsverfahren stellte die Beklagte fest, dass bei ihr am 19.04.2016 (erstmals) eine maschinelle Mitteilung über das vom Kläger im Jahr 2015 erzielte Arbeitsentgelt i.H.v. 4.800 € eingegangen, diese jedoch nicht an das für die Witwerrente des Klägers zuständige Dezernat weitergeleitet worden sei (s. Vermerk vom 27.01.2020, Bl. 166 VA-Bd. I Versicherte).

Mit (Teilabhilfe-)Bescheid vom 04.03.2020 verfügte die Beklagte eine weitere Neuberechnung der großen Witwerrente des Klägers ab dem 01.07.2010 und bewilligte dem Kläger ab dem 01.03.2020 einen monatlichen Zahlbetrag i.H.v. 176,87 € (monatliche Rente i.H.v. 198,95 €, abzüglich Beiträge zur KV i.H.v. 14,52 € und PV i.H.v. 6,07 €, abzüglich Anteil am Zusatzbeitrag i.H.v. 1,49 €). Ab dem 01.05.2019 berücksichtigte die Beklagte nur noch ein Erwerbsersatzeinkommen in Form der Regelaltersrente und kein Erwerbseinkommen aus geringfügiger Beschäftigung mehr. Hinsichtlich der Höhe der Rückforderung nahm sie den Bescheid vom 04.07.2019 insoweit zurück, als sie die Erstattungsforderung auf 11.948,18 € reduzierte, da sie nunmehr im Rahmen des Ermessens für die Zeit ab dem 01.07.2016 ein Mitverschulden im Hinblick auf das gemeldete Arbeitsentgelt berücksichtigte und die ab diesem Zeitpunkt entstandene Überzahlung infolgedessen halbierte.  

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.08.2020 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück, soweit ihm nicht durch Bescheid vom 04.03.2020 abgeholfen worden sei. Die Rentenanpassungsmitteilungen zum 01.07.2010, 01.07.2011, 01.07.2012, 01.07.2013, 01.07.2014, 01.07.2015, 01.07.2016, 01.07.2017 und 01.07.2018 hätten die rechtswidrige begünstigende Regelung enthalten, ab dem 01.07.2010 kein Arbeitsentgelt aus geringfügigen Beschäftigung auf die Hinterbliebenenrente anzurechnen. Die Rentenanpassungsmitteilungen basierten jedoch auf Angaben, die der Kläger grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe, da er den Beginn und die Arbeitsentgelte aus der geringfügigen Beschäftigung ihr nicht mitgeteilt habe. Zudem sei ihm die Rechtswidrigkeit der Rentenanpassungsmitteilungen bekannt bzw. in grob fahrlässiger Weise nicht bekannt gewesen, weil er deren Fehlerhaftigkeit hätte erkennen müssen. Der Kläger sei bereits mit Bescheid vom 06.10.2008 ausdrücklich über seine Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten belehrt und darauf hingewiesen worden, dass Arbeitsentgelt auf die Hinterbliebenenrente anzurechnen und daher auch anzugeben sei. Diese Mitteilungspflichten seien durch die in der Folge erlassenen Bescheide und Rentenanpassungsmitteilungen konkretisiert bzw. wiederholt worden. Der Kläger sei verpflichtet, die Bescheide und Rentenanpassungsmitteilungen zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen (Verweis auf Bundessozialgericht - BSG - 01.07.2010, B 13 R 77/09 R, in juris). Hätte er dies getan, hätte ihm auffallen müssen, dass lediglich seine Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und nicht auch das Einkommen aus der geringfügigen Beschäftigung angerechnet worden sei. Der Hinzutritt der geringfügigen Beschäftigung zum 01.04.2010 stellte eine Einkommenserhöhung dar, die nach § 18d Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) erst zum 01.07.2010 zu berücksichtigen gewesen sei. Es sei auch nicht erheblich, ob die Beklagte ein Mitverschulden treffe, da die grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers nicht dadurch entfalle, dass die wesentliche Ursache der Unrichtigkeit des Verwaltungsaktes bei der Behörde liege. Es sei unerheblich, dass der Arbeitgeber die jährlichen Arbeitsentgelte über die Minijobzentrale gemeldet habe, da dies ausschließlich zu seiner Versicherungsnummer und nicht zur Versicherungsnummer der Hinterbliebenenrente erfolgt sei. Dies sei aufgrund der Mitteilungspflichten auch nicht vorgesehen. Im Übrigen sei dem Kläger auch ein (mögliches) Verschulden seines Steuerberaters zuzurechnen. Allerdings berücksichtige sie im Rahmen der Ermessensausübung im Zeitraum 01.07.2016 bis 30.04.2019 aufgrund der ihr von anderer Seite erstmals ab April 2016 übermittelten Arbeitsentgelte ein behördliches Mitverschulden und reduziere insoweit die Überzahlung um 50 %, sodass sich der überzahlte Betrag auf 11.948,18 € beschränke. Dieser sei nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.

Hiergegen hat der Kläger am 08.09.2020 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben, seinen bisherigen Vortrag wiederholt und vertieft und ergänzend (abermals) ausgeführt, dass er nie etwas Falsches behauptet habe, da er gar nicht gefragt worden sei, ob er noch ein wenig hinzu verdiene. Ihm sei auch nicht klar, wie er hätte merken können, dass ihm keine oder weniger Witwerrente zustehe, da die Bescheide sehr kompliziert und schwer zu verstehen seien. Es stehe nirgends, dass auch Geld aus geringfügiger Beschäftigung mitzuteilen sei.

Mit Urteil vom 19.03.2021 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 04.07.2019 in der Fassung des Bescheides vom 04.03.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2020 aufgehoben, „soweit damit die Bescheide über die Rentenanpassungen ab dem 01.07.2010 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01.07.2010 zurückgenommen und die Erstattung einer eingetretenen Überzahlung i.H.v. 11.948,18 € gefordert“ worden sind. Die Tragung der außergerichtlichen Kosten des Klägers hat es der Beklagten auferlegt. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass die Beklagte ausdrücklich allein die Rentenanpassungsmitteilungen hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01.07.2010 nach § 45 SGB X, nicht jedoch die erteilten Rentenbewilligungsbescheide, insbesondere diejenigen vom 08.02.2010 und 24.09.2014 mit Wirkung ab dem 01.07.2010, zurückgenommen habe. Die Regelung des § 45 SGB X sei jedoch auf die Rentenanpassungsmitteilungen nicht anzuwenden, da in diesen keine eigenständige Regelung zur (Nicht-)Anrechnung des Einkommens aus der geringfügigen Beschäftigung getroffen worden sei. Zwar handele es sich bei den Rentenanpassungsmitteilungen um Verwaltungsakte, die inhaltlich jedoch auf die wertmäßige Fortschreibung bereits zuerkannter Rentenrechte beschränkt seien und daher nur einen begrenzten Regelungsgehalt (Änderung der wertmäßigen Bestimmung des Rentenrechts nach Änderung der Bemessungsgrundlage bzw. des aktuellen Rentenwertes) hätten. Eine erneute Regelung des Rentenanspruchs dem Grunde nach enthielten die Rentenanpassungsmitteilungen nicht, da sie weder die bisherige Regelung wiederholten, noch das anzupassende Recht neu begründeten. Rentenanpassungsmitteilungen seien damit nur bei Fehlern in der Anpassung aufzuheben, nicht jedoch, soweit Fehler in der zurückliegenden Feststellung vorlägen. Fehler in der Rentenanpassung seien jedoch nicht ersichtlich und habe die Beklagte auch nicht vorgetragen, weshalb die teilweise Rücknahme der Rentenanpassungsmitteilungen rechtswidrig sei. Die in den Rentenbescheiden ergangene Entscheidung über die Regelung des Rentenanspruchs sowie die Einkommensanrechnung habe die Beklagte nicht aufgehoben, sodass im vorliegenden Verfahren über die Frage, ob die Entscheidung über den Rentenanspruch und die Einkommensanrechnung wegen des von dem Kläger erzielten Einkommens aus geringfügiger Beschäftigung (teilweise) hätte aufgehoben werden können, nicht zu entscheiden sei. Da schon keine Aufhebung eines Verwaltungsaktes über die Bewilligung von Witwerrente vorliege, bestehe auch der von der Beklagten auf Grundlage des § 50 Abs. 1 SGB X geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht. Selbst wenn man der Auffassung der Beklagten folgen würde, wonach auch in den Rentenanpassungsmitteilungen eine Regelung über die Frage der Anrechnung von Einkommen auf die Witwerrente des Klägers dem Grunde nach getroffen worden sei, ändere dies nichts, da sie gerade die für den streitigen Zeitraum erteilen Rentenbewilligungsbescheide nicht aufgehoben habe, weshalb der Kläger weiterhin einen Rechtsgrund zum Behaltendürfen der Witwerrente in der bewilligten Höhe habe. Zudem sei auch fraglich - ohne dass hierüber entschieden werden müsse -, ob dem Kläger überhaupt grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X anzulasten sei, da sich aus einem Vermerk in der Verwaltungsakte ergebe (Bl. 15R VA-Bd. I Versicherte), dass ein Anruf im „Gegendezernat“ - also der bei der Beklagten intern für die Bearbeitung der Altersrente des Klägers zuständigen Stelle - ergeben habe, dass die geringfügige Beschäftigung ab 2010 gemeldet worden sei. Dies decke sich auch mit den Angaben des Klägers, wonach er die Beklagte (über den Steuerberater) über die Aufnahme der geringfügigen Beschäftigung informiert habe. Es sei fraglich, ob der Umstand, dass der Kläger dies nicht zusätzlich dem für die Bearbeitung der Witwerrente zuständigen Dezernat mitgeteilt habe, grobe Fahrlässigkeit begründen könne, zumal die Rentenanpassungsmitteilungen ebenfalls jeweils in einem einzigen Anpassungsbescheid für beide Rentenarten erfolgt seien und damit nach außen den Anschein einer gemeinsamen Bearbeitung durch die Beklagte entstanden sei. Es sei auch fraglich, ob vor diesem Hintergrund trotz fehlender Ausweisung von Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung in der Rentenanpassungsmitteilung grob fahrlässige Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Rentenbewilligungsbescheide zu unterstellen sei. Jedenfalls habe die Beklagte dies nicht im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt.

Gegen das - ihr am 08.04.2021 zugestellte - Urteil hat die Beklagte am 28.04.2021 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zwar sei dem SG zuzugeben, dass sich der Regelungsgehalt einer „normalen“ Rentenanpassungsmitteilung auf den Grad der Änderung des bereits festgestellten Geldwertes des Stammrechts auf Rente beschränke. In den vorliegenden Rentenanpassungsmitteilungen sei jedoch klar erkennbar mehr geregelt worden, da auch die Einkommensanrechnungsvorschrift des § 97 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) angewandt und somit die Rentenhöhe neu bestimmt worden sei. Da die Rentenanpassungsmitteilungen ab dem 01.07.2010 jeweils ab dem 1. Juli eines Jahres die Rentenhöhe regelten, seien diese und nicht der Witwerrentenbewilligungsbescheid aufzuheben gewesen. Zudem beruhe die Rechtswidrigkeit der Rentenanpassungsmitteilungen auf Angaben, die der Kläger mindestens grob fahrlässig unrichtig gemacht habe. Er sei vor Aufnahme der geringfügigen Beschäftigung - zuletzt mit Bescheid vom 08.02.2010 - ausdrücklich darüber belehrt worden, dass der Bezug von Erwerbseinkommen/Arbeitsentgelt unverzüglich mitzuteilen sei. Dieser Hinweis auf die Mitteilungspflicht sei leicht verständlich gewesen. Ausweislich der Verwaltungsakte über die vom Kläger bezogene Altersrente habe er - entgegen seines Vortrags und der Annahme des SG - dies jedoch (auch) nicht der für seine Altersrente zuständigen Stelle bei der Beklagten mitgeteilt. Doch selbst wenn es eine derartige Mitteilung gegeben hätte, sei von grober Fahrlässigkeit auszugehen, da er diese Mitteilung jedenfalls nicht unter der zu der Witwerrente gehörenden Versicherungsnummer gemacht habe. Er sei in den Bescheiden auch ausdrücklich darauf hingewiesen worden, bei Anfragen stets die entsprechende Versicherungsnummer anzugeben. Etwaige Vorstellungen des Klägers über einen Datenabgleich seien im Hinblick auf diese klar formulierte Pflicht irrelevant (Verweis auf Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 12.10.2020, L 11 R 4263/19, zu einer Aufhebungsentscheidung gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB X). Auch habe der Kläger die Rechtswidrigkeit der Rentenanpassungsmitteilungen mindestens grob fahrlässig nicht erkannt. Aufgrund der ihm erteilten Hinweise hätte er wissen müssen, dass zwischen der Höhe der Witwerrente und dem Bezug von Einkommen ein unmittelbarer Zusammenhang dergestalt bestehe, dass Arbeitsentgelt auf die Witwerrente anzurechnen sei, zumal seine Witwerrente aufgrund der Höhe seines Einkommens anfänglich sogar voll geruht habe. Darüber hinaus sei auch die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X bei der Erteilung des Bescheides vom 04.07.2019 gewahrt gewesen, da die Beklagte erst ab Ende April 2019 positive Kenntnis darüber gehabt habe, dass bei der Witwerrente das Arbeitsentgelt aus der geringfügigen Beschäftigung nicht angerechnet worden sei. Bei Erlass der ab dem 01.07.2016 ergangenen Rentenanpassungsmitteilungen sei ihr die Rechtswidrigkeit noch nicht bewusst gewesen. Zudem beginne die Jahresfrist nach ständiger Rechtsprechung frühestens nach erfolgter Anhörung des Betroffenen. Der Kläger sei mit Schreiben vom 21.05.2019 angehört worden und habe sich seinerseits mit Schreiben vom 10.06.2019 hierzu geäußert. Es seien auch keine Ermessensfehler ersichtlich. Sie habe bezüglich der Überzahlung ab dem 01.07.2016 bereits ein eigenes Mitverschulden berücksichtigt und die Rückforderung reduziert. Da es nach der Rechtsprechung des BSG (Verweis auf BSG 30.10.2013, B 12 R 14/11 R, in juris) schon nicht ermessensfehlerhaft sei, wenn sie ein Mitverschulden gänzlich unberücksichtigt lasse, müsse die Ermessensausübung erst Recht fehlerfrei sei, wenn sie ein Mitverschulden berücksichtige und die Rückforderungssumme dementsprechend reduziere.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 19.03.2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und ergänzt, dass die Rentenanpassungsmitteilungen schon nicht auf vorsätzlich oder grob fahrlässig gemachten Angaben seinerseits beruhten, da er vor deren Erlass keine Angaben gemacht habe und diese initiativ auch nicht habe machen müssen. Darüber hinaus seien auch die subjektiven Voraussetzungen nicht gegeben, da er bis heute den Zusammenhang zwischen seinen „offiziellen, also angemeldeten“ Einnahmen aus der geringfügigen Beschäftigung, die ohne Auswirkungen auf seine Altersrente blieben, und der Höhe der Witwenrente nicht verstehe. Zudem habe die Beklagte die Rücknahmeentscheidung im Ausgangsbescheid allein auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X und erst im Widerspruchsbescheid auch auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gestützt. Soweit die Beklagte versuche, die von ihr verfügte Rücknahme der Rentenanpassungsmitteilungen in eine Aufhebungsentscheidung nach § 48 SGB X umzudeuten, da der Kläger einer Mitteilungspflicht gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nicht nachgekommen sei, habe sie hierzu schon keinen entsprechenden Bescheid erlassen und ihn auch insoweit nicht angehört.

Mit Schriftsatz vom 12.10.2021 hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass sie die Aufhebung nicht auf § 48 SGB X, sondern - nach wie vor - auf § 45 SGB X stütze, der Kläger die geringfügige Beschäftigung einem gänzlich anderen Rentenversicherungsträger, nämlich der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-B1 (Minijob-Zentrale), und gerade nicht der Beklagten gemeldet habe und der Kläger selbst vortrage, vor Erteilung der Rentenanpassungsbescheide keine Angaben über Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung gemacht zu machen, was gerade das Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X belege.

Der vormalige Berichterstatter des Senats hat die Berufung der Beklagten nach vorläufiger Prüfung als unbegründet eingeschätzt und einen Beschluss gem. § 153 Abs. 4 SGG angekündigt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 23.01.2025 hat die Senatsvorsitzende die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Senat auch zu einer anderen Beurteilung kommen könne; wegen der diesbezüglichen weiteren Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.


Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig und - entsprechend den den Beteiligten vorab in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweisen - auch begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist (allein) der Bescheid der Beklagten vom 04.07.2019 in der Fassung des (Teilabhilfe-)Bescheides vom 04.03.2020 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom
20.08.2020, dies indes nur insoweit, wie die Beklagte damit die dem Kläger mit Bescheid vom 06.10.2008 bewilligte Witwerrente aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau für den Zeitraum vom 01.07.2010 bis 30.04.2019 unter Zugrundelegung des (weiteren) Hinzuverdienstes des Klägers aus geringfügiger Beschäftigung (genauer: unter Festsetzung eines höheren, rentenschädlichen Anrechnungsbetrags aus weiterem Einkommen, s. dazu noch sogleich) in diesem Zeitraum „neu berechnet“, frühere Bescheide ab dem 01.07.2010 (auch dazu noch sogleich) insoweit hinsichtlich der Rentenhöhe zurückgenommen und die Erstattung eines rentenüberzahlten Betrags i.H.v. 11.948,18 € im Zeitraum vom 01.07.2010 bis 30.04.2019 wegen der nicht erfolgten Anrechnung angeordnet hat. Dabei ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht darauf hinzuweisen, dass der Bescheid vom 04.03.2020 nach § 86 Halbsatz 1 SGG von Gesetzes wegen Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 04.07.2019 geworden war; denn dieser Bescheid änderte den Bescheid vom 04.07.2019 jedenfalls hinsichtlich der Höhe des Rückforderungsbetrages ab und verringerte damit die Beschwer des Klägers. 

Nach § 97 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ist der Rentenversicherungsträger ermächtigt, Erwerbseinkommen von Berechtigten, das mit einer Witwerrente „zusammentrifft“, hierauf (d.h. auf die monatlichen Rentenzahlungsansprüche) durch (Dauer-)Verwaltungsakt anspruchsvernichtend „anzurechnen“. Ein derartiges Zusammentreffen von Einkommen und Witwerrente liegt im Rechtssinne vor, wenn der Rentenberechtigte für denselben Zahlungszeitraum (d.h. bei Renten: für einen bestimmten Kalendermonat; vgl. § 118 Abs. 1 SGB VI) gegen den Träger der Rentenversicherung aus einem Renten(stamm)recht einen Zahlungsanspruch auf Rente hat und ihm zeitgleich außerdem ein Recht auf Einkommen u.a. aus eigener Erwerbstätigkeit zusteht (statt vieler nur BSG 25.01.2001, B 4 RA 110/00 R, in juris, Rn. 21 m.w.N., auch zum Vorstehenden; Senatsurteil vom 16.11.2023, L 10 R 586/21, in juris, Rn. 28).

Bei dieser Anrechnung und damit der Sache nach (vgl. dazu die mehrmaligen Beanstandungen des BSG hinsichtlich der missverständlichen Formulierungen der Rentenversicherungsträger in der Praxis, etwa BSG 27.05.2014, B 5 R 6/13 R, in juris, Rn. 12 m.w.N. zur st. Rspr.; Senatsurteil vom 16.11.2023, a.a.O., in juris Rn. 29) auch bei der vorliegend in Rede stehenden „Neuberechnung“ der Witwerrente des Klägers mit Wirkung für die Vergangenheit wegen hinzugetretenem Erwerbseinkommen aus geringfügiger Beschäftigung mit dem Bescheid vom 04.07.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 04.03.2020
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2020 handelt es sich rechts- und verfügungstechnisch um die Festsetzung eines monatlichen Anrechnungsbetrags (hier wegen weiterem rentenschädlichen Einkommen), also um eine eigenständige, isolierte Regelung (s. statt vieler nur BSG a.a.O. Rn. 12, 15 m.w.N. unter Hinweis auf die Unterscheidung zwischen dem Anspruch auf Rente dem Grunde nach und dem Einzelanspruch auf Zahlung; zur dogmatischen Figur der Anrechnung und zur Verfassungsmäßigkeit eingehend z.B. BSG 31.03.1998, B 4 RA 49/96 R, in juris, Rn. 12 ff.; zu Letzterem auch Bundesverfassungsgericht - BVerfG - 28.02.1998, 1 BvR 1318/86, in juris, Rn. 57 ff.). Denn § 97 SGB VI lässt das (Stamm-)Recht des Klägers auf große Witwerrente mit dem durch „Neuberechnungsbescheid“ vom 04.07.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 04.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2020 nunmehr (rückwirkend ab dem 01.07.2010) festgestellten Wert unberührt und mindert diesen nicht; die Vorschrift nimmt auf die wertbestimmenden Faktoren der Rente keinen Einfluss. Weder die Zahl der Entgeltpunkte noch der Rentenartfaktor noch der aktuelle Rentenwert sind von der Regelung des § 97 SGB VI im Sinne einer Einschränkung (Verminderung) betroffen. Vielmehr setzt § 97 SGB VI gerade voraus, dass der Wert des Rechts der Witwerrente als solcher unverändert bleibt. Die (Anrechnungs-) Regelung beschränkt sich darauf, dass - bei gleichbleibendem Wert des Rechts auf Witwerrente - derjenige Betrag reduziert wird, dessen monatliche Auszahlung der Rentner verlangen kann, d.h. sie schmälert bzw. beseitigt dessen Recht, die Auszahlung des monatlichen Betrags zu verlangen (§ 194 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -), mit dem der Wert der Rente (ursprünglich) festgestellt wurde (s. zu allem nur BSG 27.05.2014, B 5 R 6/13 R, a.a.O. Rn. 13; Senatsurteil vom 16.11.2023, a.a.O.).

Ausgehend davon richtet sich das Begehren des Klägers (§ 123 SGG) - auch von Anfang an - ausschließlich und allein der Sache nach dagegen, dass die Beklagte mit dem Bescheid vom 04.07.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 04.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2020 entgegen früherer Bescheide ab dem 01.07.2010 einen (zusätzlichen) Anrechnungsbetrag wegen des Arbeitseinkommens des Klägers aus geringfügiger Beschäftigung festgesetzt und deswegen die Erstattung eines in Ansehung entsprechend geringerer Zahlungsansprüche überzahlten Rentenbetrags i.H.v.
11.948,18 € im Zeitraum vom 01.07.2010 bis 30.04.2019 angeordnet hat. Die übrigen Regelungen im Ausgangsbescheid vom 04.07.2019, namentlich die Umsetzung der Änderung in der Beitragszahlung zur Krankenversicherung und die Durchführung einer „Rentenanpassung“ hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt angegriffen. Der Kläger hat sich vielmehr stets und von Beginn des Verwaltungsverfahrens an nur dagegen gewandt, dass er wegen der (rückwirkenden) Neufestsetzung des Anrechnungsbetrags unter entsprechender Verlautbarung der Rücknahme früherer Festsetzungen im Zeitraum vom 01.07.2010 bis 30.04.2019 eine Erstattung i.H.v. 11.948,18 € leisten soll.

Demgemäß hat der Senat vorliegend auch allein zu überprüfen (vgl. dazu
BSG 27.05.2014, B 5 R 6/13 R, a.a.O. Rn. 12, 15; s. auch BSG 20.01.2021, B 13 R 13/19 R, in juris, Rn. 13; Senatsurteil vom 16.11.2023, L 10 R 586/21, a.a.O. Rn. 31), ob die Beklagte die früheren Anrechnungsbetragsfestsetzungen für den Zeitraum vom 01.07.2010 bis 30.04.2019 mit Bescheid vom 04.07.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 04.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2020 rechtmäßig aufgehoben und neu festgesetzt hat sowie rechtmäßig vom Kläger für diesen Zeitraum eine Erstattung i.H.v. 11.948,18 € verlangt.

Unter Zugrundelegung dessen hat das SG den
Bescheid vom 04.07.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 04.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2020 zu Unrecht auf die (reine) Anfechtungsklage des Klägers (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGG) im dort ausgeurteilten Umfang aufgehoben. Denn dieser ist - soweit der gerichtlichen Prüfung unterliegend (s.o.) - rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, sodass das angefochtene Urteil keinen Bestand haben kann und die Klage im Rahmen der Berufung der Beklagten abzuweisen ist.

Zu Recht hat die Beklagte die dem Kläger im Zeitraum vom 01.07.2010 bis zum 30.04.2019 gezahlte große Witwerrente unter Ansetzung eines höheren Einkommensanrechnungsbetrages der Höhe nach aufgehoben.

Zwar hat die Beklagte in dem Bescheid vom 04.07.2019 ausdrücklich lediglich die ab dem 01.07.2010 erlassenen Rentenanpassungsmitteilungen und nicht den vor dem Hinzutreten des Erwerbseinkommens aus geringfügiger Beschäftigung am 01.04.2010 letztmals die Höhe des Anrechnungsbetrages regelnden Bescheid vom 06.10.2008 aufgehoben. Bei den Rentenanpassungsmitteilungen handelt es sich zwar grundsätzlich auch um Verwaltungsakte; indes beschränkt sich deren Regelungsgehalt ausschließlich auf die wertmäßige Fortschreibung bereits zuerkannter Rentenrechte, weshalb sie lediglich einen begrenzten Regelungsgehalt (Änderung der wertmäßigen Bestimmung des Rentenrechts nach Änderung der Bemessungsgrundlage bzw. des aktuellen Rentenwertes) haben (BSG 17.10.2017, B 13 R 11/15 BH, in juris Rn. 6; 23.03.1999, B 4 RA 41/98 R, in juris, Rn. 22 ff.; Bayerisches LSG 26.08.2020, L 19 R 272/20, in juris, Rn. 22). Sie enthalten weder eine (erneute) Regelung des Rentenanspruchs dem Grund nach, noch treffen sie eine eigenständige Regelung darüber, welche Art von Einkommen auf das Rentenstammrecht anzurechnen ist, sondern wiederholen insoweit lediglich die im Rentenbewilligungsbescheid getroffenen Regelungen. So liegt es auch hier: Die ab dem 01.07.2010 erlassenen Rentenanpassungsmitteilungen regeln weder den Rentenanspruch dem Grunde nach neu, noch treffen sie eine eigenständige Regelung über den (Einkommens-)Anrechnungsbetrag, sondern legen ausschließlich den im Bescheid vom 06.10.2008 festgesetzten (Einkommens-)Anrechnungsbetrag in Form der Regelaltersrente des Klägers zugrunde und zwar unter Berücksichtigung des jeweils aktuellen Rentenwertes. Die bloße „Aufhebung“ der Rentenanpassungsmitteilungen führt mithin also nicht zur Aufhebung oder Abänderung des mit Bescheid vom 06.10.2008 verfügten Anrechnungsbetrages wegen rentenschädlichem Einkommen, was auch das SG
zutreffend ausgeführt hat.

Jedoch hat die Beklagte zur Überzeugung des Senats mit den angefochtenen Bescheiden der Sache nach konkludent die Festsetzung des (Einkommens-)Anrechnungsbetrags lediglich in Form der Regelaltersrente des Klägers mit Bescheid vom 06.10.2008 aufgehoben und dahingehend abgeändert,
als im Zeitraum vom 01.07.2010 bis 30.04.2019 neben dieser Regelaltersrente des Klägers auch das von ihm im Zeitraum vom 01.04.2010 bis 30.04.2019 bezogene und entsprechend § 18d Abs. 1 Satz 1 SGB IV ab dem 01.07.2010 auch anzurechnende Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung auf das (Witwer-)
Rentenstammrecht des Klägers anzurechnen ist
. Dies ergibt sich aus der Auslegung der Bescheide und hat auch dem erkennbaren Willen der Beklagten entsprochen.

Maßstab für die Auslegung von Verwaltungsakten ist der objektive Empfängerhorizont (dazu nur BSG 25.10.2017, B 14 AS 9/17 R, in juris, Rn. 21 ff. m.w.N., st. Rspr., auch zum Nachfolgenden). Verwaltungsakte sind auszulegen in Anwendung der für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB). Für die Auslegung kommt es über den bloßen Wortlaut hinaus auf den objektiven Sinngehalt des Verwaltungsakts an, also darauf, wie der Empfänger dessen Inhalt (Verfügungssatz und Begründung) bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen konnte und musste. Die Auslegung geht aus vom Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der alle Begleitumstände und Zusammenhänge (Vorgeschichte, Anträge, Begleitschreiben, Situation des Adressaten, genannte Rechtsnormen, auch Interesse der Behörde) berücksichtigt, welche die Behörde erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat. Auch zur Auslegung von Aufhebungsverwaltungsakten kann auf den gesamten Inhalt des Bescheids einschließlich der von der Behörde gegebenen Begründung, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden. Diese Auslegungsmöglichkeiten finden bei Aufhebungsverwaltungsakten ihre Grenze dort, wo es dem Adressaten überlassen bleibt, Gegenstand, Inhalt, Zeitpunkt und Umfang der Aufhebung zu bestimmen, weil der in begünstigende Rechtspositionen eingreifende Leistungsträger verpflichtet ist, diese Entscheidung selbst zu treffen und dem Adressaten bekanntzugeben.

Ausgehend hiervon ist dem
Bescheid vom 04.07.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 04.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2020 auch für einen objektiven Empfänger hinreichend zu entnehmen, dass es der Beklagten gerade darauf ankam, die den ursprünglichen (Einkommens-)Anrechnungsbetrag festsetzende Verfügung aufzuheben und diesen unter Berücksichtigung weiteren Einkommens - nämlich des Erwerbseinkommens des Klägers aus geringfügiger Beschäftigung im Zeitraum 01.07.2010 bis 30.04.2019 - neu festzusetzen. Dies lässt sich unzweifelhaft der Bescheidbegründung und der -anlagen entnehmen, woraus sich ergibt, dass der Kläger neben der bisher bereits als Erwerbsersatzeinkommen berücksichtigten Regelaltersrente ab dem 01.04.2010 auch Erwerbseinkommen erzielte, das ab dem 01.07.2010 ebenfalls anzurechnen war und zur Herabsetzung der zur Auszahlung gelangten Beträge der Witwerrente im Zeitraum 01.07.2010 bis 30.04.2019 führte. Dass die Beklagte den die (Einkommens-)Anrechnung regelnden Bescheid vom 06.10.2008 in dem streitigen Bescheid vom 04.07.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 04.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2020 nicht datumsmäßig benannte, ist unerheblich, da der Sinn und Zweck des Bescheides - auch für einen objektiven Empfänger, mithin also den Kläger - dennoch klar und unmissverständlich war. Insoweit spielt es keine entscheidende Rolle, dass die Beklagte lediglich die Rentenanpassungsmitteilungen ausdrücklich bezeichnete und nicht den die Festsetzung des (Einkommens-)Anrechnungsbetrages vornehmenden - und insoweit maßgeblichen - Bescheid vom 06.10.2008 (vgl. BSG 25.10.2017, B 14 AS 9/17 R, in juris, Rn. 31 f.; 07.07.2005, B 3 P 8/04 R, in juris, Rn. 19 f.; Senatsurteile vom 26.09.2024, L 10 R 1060/24, a.a.O. Rn. 64 und vom 16.11.2023, L 10 R 586/21, a.a.O. Rn, 49).

Rechtsgrundlage für die „Neufestsetzung“ des angesetzten (Einkommens-)
Anrechnungsbetrages mit Bescheid vom 04.07.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 04.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2020 ist (richtigerweise, s. dazu noch später) § 48 SGB X. Danach (Abs. 1 Satz 1 der Regelung) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden (Abs. 1 Satz 2 der Regelung), soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (Nr. 1), der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2), nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Nr. 3), oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4).

Vorliegend wurde der (Einkommens-)Anrechnungsbetrag vor der Erzielung des Erwerbseinkommens des Klägers aus geringfügiger Beschäftigung ab dem 01.04.2010 letztmals mit Bescheid vom 06.10.2008 festgesetzt. Die nachfolgend erlassenen Bescheide vom 22.01.2009, 08.02.2010 und vom 24.09.2014 befassten sich nicht mit der Einkommensanrechnung, sondern setzten die Erhöhung des Zuschusses zum KV-Beitrag (Bescheid vom 22.01.2009), eine Änderung im Krankenversicherungsverhältnis (Bescheid vom 08.02.2010) und den
Zuschlag für Kindererziehung (sogenannte Mütterrente; Bescheid vom 24.09.2014) um und trafen gerade keine Regelung über den (Einkommens-)Anrechnungsbetrag, weshalb diese auch den Bescheid vom 06.10.2008 nicht abänderten (Senatsurteil vom 16.11.2023, L 10 R 586/21, a.a.O. Rn. 32). Der Bescheid vom 06.10.2008 war zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig, da der Kläger zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich ausschließlich Erwerbsersatzeinkommen in Form seiner Regelaltersrente bezog und die Beklagte folglich auch lediglich einen (Einkommens-)Anrechnungsbetrag aus diesem Einkommen und einen entsprechend niedrigeren Auszahlungsbetrag festsetzte. Wie bereits oben aufgezeigt, erfolgte diese Festsetzung durch Dauerverwaltungsakt. Folglich können nachträglich eingetretene Änderungen in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die den Ursprungsverwaltungsakt (nachträglich) rechtswidrig machen, auch ausschließlich nach Maßgabe des § 48 SGB X mit Wirkung zum Zeitpunkt der Verhältnisänderung korrigiert werden.

Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X erfüllt. Völlig unzweifelhaft erzielte der Kläger nach Erlass des den (Einkommens-)Anrechnungsbetrag festsetzenden Bescheides vom 06.10.2008 ab dem 01.04.2010 bis zum 30.04.2019 Erwerbseinkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung i.H.v. monatlich 400 €. Dieses Einkommen traf mit der dem Kläger bewilligten großen Witwerrente zusammen und war daher gem. § 97 Abs. 1 Satz 1 SGB VI - neben der bereits angerechneten Regelaltersrente - entsprechend § 18d Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IV ab dem 01.07.2010 und bis zur Beendigung der geringfügigen Beschäftigung zum 30.04.2019 auf die Witwerrente anzurechnen. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X stellt ausschließlich auf den tatsächlichen Bezug von Einkommen ab, sodass es auf irgendwelche subjektiven Vorstellungen des Klägers nicht ankommt.

Darüber hinaus liegen zudem auch die Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X vor. Der Kläger ist nämlich auch einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse jedenfalls grob fahrlässig nicht nachgekommen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und daher nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hat einleuchten müssen (vgl. statt vieler nur Senatsurteile vom 16.11.2023, L 10 R 586/21, a.a.O. Rn. 55, und vom 26.09.2024, L 10 R 1060/24, a.a.O. Rn. 68 ff.; Schütze in ders., SGB X, 9. Aufl. 2020, § 48 Rn. 28 und § 45 Rn. 60, beide m.w.N. zur höchstrichterlichen Rspr.).

Der Kläger hat es seinem eigenen ausdrücklichen Vortrag im Berufungsverfahren nach und entgegen seiner lediglich vage gebliebenen Einlassungen im Verwaltungsverfahren, wonach sein Steuerberater alle Einkünfte an die Beklagte mitgeteilt habe, zur Überzeugung des Senats zumindest grob fahrlässig unterlassen, der Beklagten die Aufnahme der geringfügigen Beschäftigung ab dem 01.04.2010 mitzuteilen. Dazu war er gesetzlich verpflichtet. Dies ergibt sich aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), wonach derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, u.a. Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind - was beim Zusammentreffen von Einkommen und Witwerrente der Fall ist (s.o. zu § 97 SGB VI) - unverzüglich mitzuteilen hat.

Über die Pflicht zur Mitteilung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen ist der Kläger in den Bescheiden vom 06.10.2008, vom 22.01.2009 und vom 08.02.2010 ausdrücklich, eindeutig, klar und unmissverständlich belehrt worden (zum genauen Wortlaut s.o. im Tatbestand) und auch in den ab dem 01.07.2010 jährlich erteilten Rentenanpassungsmitteilungen ist ausdrücklich auf diese in den Bescheiden erteilten Hinweise zu den Mitteilungspflichten verwiesen worden. Der Kläger war auch zur vollständigen Lektüre dieser Bescheide verpflichtet (vgl. nur BSG 08.02.2001, B 11 AL 21/00 R, in juris Rn. 25 f.; 01.07.2010, B 13 R 77/09 R, in juris Rn. 33). Dass der Kläger diese Belehrungen „vergessen“ oder nicht verstanden haben will, vermag der Senat weder sachlich-inhaltlich nachzuvollziehen, noch dem Kläger zu glauben, zumal er ohnehin nur pauschal behauptet hat, die (Rentenanpassungs-)Bescheide der Beklagten seien zu kompliziert und nicht zu verstehen. Insoweit ist für den Senat schon nicht nachvollziehbar, was an der ausdrücklichen Belehrung über die Mitteilungspflichten beim Bezug von Einkommen, wie sie von der Beklagten in den Bescheiden vom 06.10.2008, 22.01.2009 und 08.02.2010 ausdrücklich erfolgte, kompliziert und unverständlich sein sollte. 

Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger davon ausgegangen sein will, er sei seiner Mitteilungspflicht schon durch die Anmeldung seiner geringfügigen Beschäftigung - sei es durch den Arbeitgeber, sei es durch den Steuerberater - nachgekommen und diese Anmeldung „gelte“ gleichsam auch gegenüber der Beklagten bzw. sei jedenfalls an diese weiterzuleiten. Denn zuständige Einzugsstelle bei geringfügigen Beschäftigungen ist die DRV Knappschaft-Bahn-See (vgl. § 28i Satz 5 SGB IV in den seit dem 01.09.2009 geltenden Fassungen). Die in § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I normierte Mitteilungspflicht besteht jedoch gegenüber dem Leistungsträger, für dessen Leistungserbringung die Tatsachen und die Änderung der Verhältnisse (hier: der Hinzutritt von auf die Witwerrente anzurechnenden Erwerbseinkommens aus geringfügiger Beschäftigung im streitigen Zeitraum) „erheblich“ sind, vorliegend also gegenüber der Beklagten als Leistungserbringerin der Witwerrente (vgl. dazu nur Senatsurteile vom 16.11.2023,
L 10 R 586/21, a.a.O. Rn. 60 und vom 25.05.2023, L 10 R 39/20, a.a.O. Rn. 51). Ohnehin hat der Senat auch bereits mehrmals entschieden (Senatsurteile a.a.O. Rn. 61 bzw. Rn. 54), dass - aus welchen Gründen auch immer - fehlerhafte oder auch fehlende Datensatzübermittlungen anderer Sozialversicherungsträger respektive der Einzugsstellen dem Rentenversicherungsträger nicht, auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer sog. „Funktionseinheit“, zuzurechnen sind und dass im Verhältnis eines leistenden Trägers gegenüber Versicherten keine Verpflichtung besteht,
in deren Interesse bei anderen Sozialversicherungsträgern Datenabgleiche durchzuführen (Senatsurteil vom 19.10.2023, L 10 R 2383/22, n.v.; Senatsurteil vom 25.05.2023, L 10 R 39/20, a.a.O. Rn. 54 m.w.N.), erst recht nicht „routinemäßig“. Die Pflicht zur Mitteilung, ob und ggf. in welcher Höhe Einkommen erzielt wird, trifft - wie schon dargelegt - ausschließlich den Versicherten, vorliegend also den Kläger (vgl. hierzu auch BSG 03.07.1991, 9b RAr 2/90, in juris Rn. 15; LSG Baden-Württemberg 06.05.2014, L 13 R 481/13, in juris Rn. 41; 11.07.2007, L 6 R 5271/07, www.sozialgerichtsbarkeit.de; LSG Sachsen-Anhalt 20.09.2018, L 1 R 171/17, in juris Rn. 58 ff.). Soweit der Kläger (fälschlicherweise) davon ausgegangen sein will, dass er als Altersrentner unbegrenzt hinzuverdienen dürfe - was in Bezug auf die Regelaltersrente tatsächlich auch zutrifft, nicht jedoch in Bezug auf die Witwerrente -, was man auch „überall“ nachlesen könne, und deshalb aus der geringfügigen Beschäftigung erzieltes Einkommen nicht mitzuteilen sei, ändert dies in Ansehung der zahlreichen Belehrungen und Hinweise in den Rentenbescheiden nichts daran, dass diese Fehleinschätzung jedenfalls als grob fahrlässig einzustufen ist. Denn angesichts der Belehrungen und Hinweise in den genannten Bescheiden hätte er sich gedrängt fühlen müssen, seine eigene laienhafte Einschätzung überprüfen zu lassen und sich mit einem entsprechenden Beratungsbegehren an die Beklagte zu wenden. Wieso er gemeint haben will, dass Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung kein Erwerbseinkommen sein soll, erschließt sich dem Senat ebenfalls nicht ansatzweise. Ein Rechtsirrtum entschuldigt den Kläger nicht.

Damit liegen auf Tatbestandsseite die Voraussetzungen für eine teilweise Aufhebung der im Zeitraum 01.07.2010 bis 30.04.2019 gezahlten Witwerrente der Höhe nach mit Wirkung für die Vergangenheit sowohl nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 als auch nach Nr. 3 SGB X vor.

Auf Rechtsfolgenseite des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X bedeutet das Wort „soll“, dass der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufheben muss, er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen kann. Die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, ist als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden. Bei der Prüfung, ob eine zur Ermessensausübung zwingende Atypik des Geschehensablaufs vorliegt, kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Diese müssen Merkmale aufweisen, die signifikant vom (typischen) Regelfall abweichen, in dem die Rechtswidrigkeit eines ursprünglich richtigen Verwaltungsakts ebenfalls durch nachträgliche Veränderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist. Hierbei ist zu prüfen, ob die mit der Aufhebung verbundene Pflicht zur Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Leistungen (§ 50 Abs. 1 SGB X) nach Lage des Falls eine Härte bedeuten würde, die den Leistungsbezieher in atypischer Weise stärker belastet als den hierdurch im Normalfall Betroffenen. Ebenso ist das Verhalten des Leistungsträgers im Geschehensablauf in die Betrachtung einzubeziehen. Mitwirkendes Fehlverhalten auf seiner Seite, das als eine atypische Behandlung des Falls i.S. einer Abweichung von der grundsätzlich zu erwartenden ordnungsgemäßen Sachbearbeitung zu werten ist, kann im Einzelfall die Atypik des verwirklichten Tatbestands nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ergeben. Dabei ist die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, nicht losgelöst davon zu beurteilen, welcher der in Nr. 1 bis 4 vorausgesetzten Aufhebungstatbestände erfüllt ist (zu allem statt vieler nur BSG 01.07.2010, B 13 R 77/09 R, in juris, Rn. 57 f., m.w.N., st. Rspr. und Senatsurteile vom 25.05.2023, L 10 R 39/20, a.a.O. Rn. 59 und vom 26.09.2024,
L 10 R 1060/24, a.a.O. Rn. 88).

Einen derartigen atypischen Fall verneint der Senat im vorliegenden Einzelfall. Wie bereits oben dargelegt, kam der Kläger trotz mehrmaliger Hinweise der Beklagten zumindest grob fahrlässig seiner Mitteilungspflicht nicht nach und zeigte das Hinzutreten von Erwerbseinkommen ab dem 01.04.2010 der Beklagten nicht an. Dem Verhalten des Klägers lagen auch keine Motive zugrunde, die an sich irgendwie billigenswert wären, zumal er gerade seiner Mitteilungspflicht gegenüber der Beklagten zu keinem Zeitpunkt - und dies neun Jahre lang nicht - nachgekommen ist. Vielmehr hat er die ihm bewilligte Witwerrente ohne Anrechnung seines Erwerbseinkommens weiterbezogen, weil er seiner Mitteilungspflicht zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Dies schließt hier die Annahme eines atypischen Falls aus (s. dazu nur BSG 20.02.1991, 11 RAr 67/89, in juris Rn. 25; Senatsurteile vom 26.09.2024, L 10 R 1060/24, a.a.O. Rn. 90, und vom 25.05.2023, L 10 R 39/20, a.a.O. Rn. 61). Auch begründet der Umstand, dass der Beklagten - genauer: dem dortigen für die Altersrente des Klägers zuständigen Dezernat - ausweislich des Gesamtkontospiegels vom 30.04.2019 (Bl. 3 VA-Bd. I Versicherte) bereits jeweils im April der Jahre 2016, 2017 und 2018 der Bezug von Arbeitsentgelt in den Jahren 2015, 2016 und 2017 maschinell gemeldet worden war - ausweislich des Vermerks vom 13.05.2019 (Bl. 15/RS VA-Bd. I Versicherte) infolge einer Betriebsprüfung beim Arbeitgeber des Klägers - Kenntnis von der Aufnahme der geringfügigen Beschäftigung hatte respektive haben können, nicht per se die Annahme eines atypischen Falles, denn der Kläger durfte in Ansehung seiner Bösgläubig- und Unlauterkeit gerade nicht darauf vertrauen, dass die Beklagte anderweitig von der Aufnahme der geringfügigen Beschäftigung Kenntnis erlangen werde oder gar erlangt hat (vgl. nur BSG 01.07.2010, B 13 R 77/09 R, in juris Rn. 60; Senatsurteile vom 26.09.2024, L 10 R 1060/24, a.a.O. Rn. 91 und vom 25.05.2023, L 10 R 39/20, a.a.O. Rn. 62), zumal in keinem der Bescheide und Rentenanpassungsmitteilungen im streitigen Zeitraum ein Erwerbseinkommen bzw. Arbeitsentgelt aus geringfügiger Beschäftigung auch nur erwähnt wurde.

Auch der lange Überzahlungszeitraum von neun Jahren entlastet den Kläger nicht und begründet keinen atypischen Fall, denn die Ursache der im Zeitraum vom 01.07.2010 bis 30.04.2019 eingetretenen Überzahlung setzte der Kläger durch sein bösgläubiges und unlauteres Verhalten bei gleichzeitig fortwährendem Bezug von nicht angerechnetem Erwerbseinkommen selbst (Senatsurteile a.a.O. Rn. 92 bzw. Rn. 63).


Ein atypischer Fall kann im Übrigen auch nicht dadurch begründet werden, dass ein bösgläubiger und unlauterer Leistungsbezieher wie der Kläger die zur Erstattung gebrachten Leistungen möglicherweise verbraucht hat, denn ein solcher Leistungsbezieher darf von vornherein nicht in schützenswerter Weise darauf vertrauen, die zu Unrecht bezogenen Leistungen behalten und verbrauchen zu dürfen (s. dazu nur BSG 26.08.1994, 13 RJ 29/93, in juris, Rn. 7; Senatsurteile a.a.O. Rn. 93 bzw. Rn. 65 m.w.N.).

Mangels Atypik war die Beklagte mithin vorliegend schon nicht verpflichtet, eine von der gesetzgeberischen Wertung abweichende Ermessensentscheidung zu treffen. Dass sie dennoch zu Gunsten des Klägers den Umstand, dass die
für die Witwerrente zuständige Sachbearbeitung behördenintern nicht über die maschinellen Arbeitsentgeltmeldungen ab April 2016 informiert worden war, als behördliches Mitverschulden berücksichtigt und die Erstattungssumme für den Zeitraum vom 01.07.2016 bis einschließlich 30.04.2019 um die Hälfte reduziert hat, ändert an der rechtlichen Wertung des Senats nichts und ist im Übrigen für den Kläger rein rechtlich vorteilhaft.

Die Beklagte hat auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Es bestehen keinerlei durchgreifende Zweifel daran (s.o.), dass die für die Witwerrente des Klägers zuständige Sachbearbeitung erstmals im April 2019 Kenntnis vom Bezug von Erwerbseinkommen durch den Kläger ab dem 01.04.2010 erlangte. Soweit bereits ab April 2016 Arbeitsentgelt vom Versichertenkonto des Klägers an das Hinterbliebenenkonto der Versicherten gemeldet worden war, sind diese Informationen nicht an die zuständige Sachbearbeitung der Witwerrente des Klägers weitergeleitet worden, sodass diese zum damaligen Zeitpunkt auch (noch) keine Kenntnis vom Bezug des Erwerbseinkommens durch den Kläger hatte. Die Jahresfrist beginnt erst zu laufen, wenn dem zuständigen Sachbearbeiter der Behörde (BSG 09.06.1988, 4 RA 9/88, in juris Rn. 20; 31.01.2008, B 13 R 23/07 R, in juris Rn. 24 f.) die für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen bekannt sind und zwar auch diejenigen, die zur Prüfung eines atypischen Falles und einer eventuell anschließenden Ermessensausübung benötigt werden, mithin nach erfolgter Anhörung des Betroffenen (BSG 31.01.2008, B 13 R 23/07 R, in juris Rn. 29.). Der Kläger nahm auf das Anhörungsschreiben der Beklagten hin mit Schreiben vom 10.06.2019 - bei der Beklagten am 12.06.2019 eingegangen - Stellung, sodass die Jahresfrist erst am 12.06.2019 zu laufen begann. Der streitige Aufhebungsbescheid wurde bereits am 04.07.2019 und somit innerhalb dieser Frist erlassen.

Die Aufhebung der überzahlten Witwerrente zu Lasten des Klägers mit Wirkung für die Vergangenheit durch die angefochtenen Bescheide ist auch nicht nach § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X eingeschränkt, da die Zehnjahresfrist, die mit Änderung der Verhältnisse i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X beginnt (statt vieler nur BSG 11.12.1992, 9a RV 20/90, in juris, Rn. 20; Senatsurteil vom 25.05.2023, L 10 R 39/20, a.a.O. Rn. 75 m.w.N.), vorliegend also am 01.04.2010, zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 04.07.2019 (noch) nicht abgelaufen war.


Dass die Beklagte ihre Entscheidung fälschlicherweise auf § 45 SGB X gestützt hat, was einen rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakt voraussetzen würde, ist - entgegen der Auffassung des Klägers - unschädlich. Denn die Sozialgerichte haben die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen. Ein Nachschieben von Gründen durch andere Rechtsgrundlagen, die dieselbe Regelung rechtfertigen, ist zulässig, soweit der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen nicht beeinträchtigt oder erschwert wird (BSG 18.09.1997, 11 RAr 9/97, in juris Rn. 22 auch zum Nachfolgenden unter Verweis auf Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - 27.01.1982, 8 C 12/81, in juris). Das Auswechseln der Rechtsgrundlage für die Aufhebung ist hier unbedenklich, weil dieselbe Rechtsfolge (Aufhebung) eintritt und die Voraussetzungen dieser Rechtsfolge jedenfalls in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 2 und 3 SGB X sowie u.a. in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X im Sinne der Bösgläubigkeit des Leistungsbeziehers ähnlich geregelt sind. Selbiges muss auch in Bezug auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gelten, der gerade keinen subjektiven Tatbestand voraussetzt, sondern allein auf den objektiven Bezug von Einkommen bzw. Vermögen abstellt. Der Verwaltungsakt wird weder in seinem Wesensgehalt verändert, noch dem Kläger die Rechtsverteidigung erschwert.

Es spielt auch keine Rolle, dass dem Kläger im Rahmen der nach § 24 Abs. 1 SGB X erforderlichen Anhörung durch die Beklagte als Rechtsgrundlage für die beabsichtigte Rücknahme § 45 SGB X und nicht § 48 SGB X genannt wurde. Denn Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Anhörung ist nicht die Mitteilung der richtigen Rechtsgrundlage, sondern die Mitteilung der entscheidungserheblichen Tatsachen, auf die die Beklagte ihre Entscheidung zu stützen gedenkt (BSG 09.11.2010, B 4 AS 37/09 R, in juris Rn. 12; 26.07.2016, B 4 AS 47/15 R, in juris Rn. 13). Dem ist die Beklagte jedenfalls insoweit nachgekommen, als sie den Kläger darauf hinwies, dass er ab dem 01.04.2010 auf die Witwerrente anzurechnendes Erwerbseinkommen erzielte und auf welche Summe sich der Erstattungsbetrag belief.

Auch ist die von der Beklagten geltend gemachte Höhe der Rückforderung von 11.048,18 € nicht zu beanstanden. Den Berechnungsanlagen des Teilabhilfebescheides vom 04.03.2020 ist das von der Beklagten im Zeitraum vom 01.07.2010 bis 30.04.2019 zugrunde gelegte und anrechenbare Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen sowie die im genannten Zeitraum errechneten Überzahlungen zu entnehmen, wobei die Beklagte unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens die Rückforderungssumme im Zeitraum vom 01.07.2016 bis 30.04.2019 um 50 % reduziert hat. Gegen diese Berechnungen hat der Senat nichts zu erinnern und auch vom Kläger sind keine Einwände gegen diese erhoben worden. Hinsichtlich der Einzelheiten der Berechnung verweist der Senat daher auf die Anlagen des Teilabhilfebescheides vom 04.03.2020.


Hat die von der Beklagten verfügte (Teil-)Aufhebung des mit Bescheid vom 06.10.2008 festgesetzten Anrechnungsbetrages somit für den streitigen Zeitraum vom 01.07.2010 bis 30.04.2019 Bestand, weil sie rechtmäßig erfolgt ist, ist die im Bescheid vom 04.07.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 04.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2020 auch enthaltene Erstattungsanordnung im Umfang der in diesem Zeitraum überzahlten Witwerrentenbeträge - nach Abzug von 50 % (s.o.) - und damit in Höhe eines Betrags von insgesamt 11.948,18 € ebenfalls rechtmäßig.

Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist Voraussetzung für die Rückforderung der in dieser Höhe überzahlten Rente lediglich, dass der diese Zahlungsansprüche festsetzende Verwaltungsakt (durch die Verwaltung oder die Gerichte) aufgehoben worden und der Rechtsgrund für diese Leistungen dadurch nachträglich entfallen ist (statt vieler nur BSG, 30.10.2023, B 12 R 14/11 R, in juris, Rn. 40; Senatsurteil vom 25.05.2023, L 10 R 39/20, a.a.O. Rn. 78). Dies ist vorliegend für den Zeitraum vom 01.07.2010 bis 30.04.2019 der Fall. Ist - wie vorliegend - die Aufhebungsentscheidung sachlich für diesen Zeitraum mithin richtig, beschränkt sich die Prüfung der Entscheidung über die damit korrespondierende Erstattung nur noch darauf, ob dem Erstattungsverlangen selbst gegenüber Einwendungen entgegengesetzt werden können (BSG 01.07.2010, B 13 R 77/09 R, in juris, Rn. 61 m.w.N.; Senatsurteil vom 25.05.2023, a.a.O.). Entsprechendes ist vorliegend nicht ersichtlich und auch nicht dargetan; die Höhe des Erstattungsbetrags entspricht dem, was der Kläger im Zeitraum vom 01.07.2010 bis 30.04.2019 insgesamt - abzüglich der 50 % (s.o.) - an unrechtmäßigen Witwerrentenzahlungen wegen Nichtanrechnung des Erwerbseinkommens aus geringfügiger Beschäftigung erhalten hat; auch dies ist unschwer der Berechnungsanlage zum Bescheid vom 04.03.2020 zu entnehmen. Ob der Kläger finanziell in der Lage ist, die Erstattungsforderung zu begleichen, berührt den Bestand der Forderung nicht und ist im vorliegenden Erkenntnisverfahren ohne Belang (Senatsurteil a.a.O.).

Mithin ist das angefochtene Urteil des SG im Rahmen des Berufungsantrags der Beklagten aufzuheben und die Klage ist abzuweisen.

Die Kostenentscheidung für beide Rechtszüge beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
Saved