Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 29. November 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1970 geborene Klägerin hat den Beruf der Restaurantfachfrau erlernt und war zuletzt als Hauswirtschafterin in einem Privathaushalt berufstätig. Seit Herbst 2017 ist sie arbeitsunfähig erkrankt bzw. arbeitslos.
Vom 16. August bis 3. September 2018 absolvierte sie eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme im Reha-Zentrum S1 (Diagnosen gemäß Entlassungsbericht vom 6. September 2018: leichtgradige Funktionseinschränkung der Lenden- und der Halswirbelsäule bei degenerativen Veränderungen, chronisches Schmerzsyndrom Stadium III nach Gerbershagen, allergisches Asthma bronchiale, Retropatellararthrose rechts, Adipositas, Hyperventilationssyndrom, Schwindel unklarer Genese. Die Klägerin könne noch leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit Einschränkungen hinsichtlich der bewegungsbezogenen Funktionen im Umfang von 6 Stunden und mehr täglich ausüben).
Am 12. August 2019 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Nach Einholung von Befundberichten behandelnder Ärzte holte die Beklagte das Gutachten des N1 vom 11. Januar 2020 (nach ambulanter Untersuchung am 10. Januar 2020) ein. Dieser diagnostizierte ein chronisches Schmerzsyndrom (Stadium III nach Gerbershagen), eine chronisch rezidivierende Cervicobrachialgie links (derzeit mit Einschränkungen der Funktion der Halswirbelsäule und ohne neurologisches Defizit bei zuletzt nachgewiesener medianer Protrusion C 6/7 und C 5/6) sowie eine chronische rezidivierende Lumbalgie und Lumboischialgie links (derzeit mit endgradiger Einschränkung der Funktion der Brust-/Lendenwirbelsäule und ohne neurologisches Defizit bei zuletzt Ausschluss von spinalen oder foraminalen Stenosen sowie NPP), schließlich fachfremd noch allergisches Asthma bronchiale und Hyperthyreose. Auf orthopädischem Fachgebiet sei die Klägerin vollschichtig leistungsfähig für leichte Tätigkeiten, überwiegend stehend, überwiegend gehend, überwiegend sitzend ohne das Führen eines Pkw, die Bedienung von Maschinen sowie Anforderungen an die Konzentration, ohne andauernde Tätigkeiten über der Horizontalen mit Reklination der Halswirbelsäule und ohne andauernde Tätigkeiten mit Zwangshaltungen der Wirbelsäule, verbunden mit häufigem Bücken, Heben und Tragen von schweren und mittelschweren Gegenständen. Somit sei die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Hauswirtschaftshelferin aktuell nicht leidensgerecht.
Auf nervenärztlichem Fachgebiet veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch R1 und E1. Diese diagnostizierten im Gutachten vom 13. Februar 2020 (aufgrund ambulanter Untersuchung am 28. Januar 2020) ein anhaltendes Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule ohne sichere neurologische Ausfälle. Weitergehende richtungsweisende Befunde hätten sich weder auf neurologischem noch auf psychiatrischem Fachgebiet gezeigt. Die Klägerin sei damit auch aus Sicht dieses Fachgebiets im Umfang von über 6 Stunden täglich belastbar. Auszuschließen seien schwere körperliche Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, Tätigkeiten in Zwangshaltungen (insbesondere permanentem Rumpf- Vorneigen) oder in häufig gebückter Körperhaltung. Ebenfalls sollten Tätigkeiten unter ungünstigen klimatischen Verhältnissen, insbesondere Kälte und Nässe, vermieden werden.
Mit Bescheid vom 13. März 2020 lehnte die Beklagte daraufhin den Rentenantrag ab.
Zur Begründung ihres hiergegen eingelegten Widerspruchs machte die Klägerin geltend, unter deutlich stärkeren Beschwerden als bisher berücksichtigt zu leiden. So bestünden degenerative Veränderungen im Bereich der gesamten Wirbelsäule samt therapieresistenter Schmerzen. Zuletzt habe sie mit Hydromorphon behandelt werden müssen, was wegen einer hierdurch verursachten extremen toxischen Hepatitis sowie verstärkter asthmatischer Beschwerden und Ventilationssstörungen, schließlich auch Schwindels, und von Schwächeanfällen mit Bewegungsunfähigkeit habe abgebrochen werden müssen. Das Leben sei auf den Schmerz ausgerichtet, selbst der Haushalt könne wegen der aufgehobenen Beweglichkeit und Belastbarkeit nicht mehr selbstständig geführt werden. Der behandelnde Hausarzt habe aufgrund der Schwächeanfälle die Einrichtung eines Hausnotrufsystems verordnet. Dies setze ihr auch psychisch weiter zu.
Nach Auswertung weiterer ärztlicher Befundberichte wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2021 zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 20. Mai 2021 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben.
Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen.
Der H1 hat mitgeteilt, die Klägerin sei seit Januar 2020 bei ihm in regelmäßiger Behandlung. Er hat die von ihm erhobenen Diagnosen bzw. die von ihm übernommenen Vordiagnosen angegeben. Seiner Einschätzung nach sei die Klägerin nicht in der Lage, selbst einer sehr leichten Tätigkeit im Sinne einer beruflichen Anstellung im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich nachzukommen. Grund hierfür seien die doch erheblichen dauernden Schmerzen, die daraus resultierende körperliche und mentale Müdigkeit und Erschöpfung. Selbst die Bewältigung alltäglicher Arbeiten und Anforderungen im häuslichen Bereich stelle die Klägerin vor eine schier nicht zu bewältigende Aufgabe.
Der S2 hat angegeben, die Klägerin stehe unter einer dauerhaften antiasthmatischen Behandlung. Er hat Arztberichte über die Vorstellungen der Klägerin vorgelegt. Die Diagnose eines Asthma bronchiale sei klinisch bestätigt worden, ebenso eine allergische Milbensensibilisierung. Eine Perikardzyste sei 2015 mittels Video assistierter Thorakoskopie entfernt worden. Es finde eine regelmäßige inhalative Therapie (vergleiche auch beigefügte Arztbriefe), zudem regelmäßige Atemphysiotherapie statt. Für eine dezidierte Leistungseinschätzung wäre ein arbeitsmedizinisches Gutachten zu fordern.
Die Z1 hat mitgeteilt, die Klägerin sei von ihr letztmalig am 24. September 2020 behandelt worden. Es hätten sich im Vergleich zum letzten Gutachten vom 6. Oktober 2020 keine Änderungen ergeben.
Die K1 hat angegeben, die Klägerin befinde sich seit 6. Juli 2021 in ihrer Behandlung. Sie habe vom 19. Juli 2021 bis 4. Oktober 2021 10 Infusionen erhalten. Am 18. August 2021 habe sie sich erneut in der Sprechstunde vorgestellt. Vom 13. Oktober 2021 bis aktuell habe sie erneut 7 Infusionsbehandlungen erhalten. Am 25. November 2021 habe sie einen Prednisolonstoß 100 i.m. erhalten. Zuletzt habe sie sich am 30.11.2021 vorgestellt. Sie hat über die von der Klägerin mitgeteilten Beschwerden und die gestellten Diagnosen berichtet. Die Klägerin fühle sich in ihren Freizeit-, Alltagsaktivitäten und in ihrer Arbeitsfähigkeit zu je 100% beeinträchtigt. Nach der Hospital A1 und Depression Scale (HADS-D) seien die für Angst und Depressivität erhobenen Befunde unauffällig gewesen.
Im Anschluss hat das SG von Amts wegen das neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinisches Gutachten des R2 vom 15. August 2022 (nach ambulanter Untersuchung am 11. April 2022) eingeholt. R2 hat mitgeteilt, an Gesundheitsstörungen finde sich bei der Klägerin im Rahmen der Vorgeschichte sowie unter Berücksichtigung des aktuellen neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinischen Befundes eine leichte, anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit sei es der Klägerin aus neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinischer Sicht noch möglich, leichte körperliche Arbeiten ohne Akkord- oder Fließbandtätigkeiten im Umfang von sechs Stunden und mehr arbeitstäglich durchzuführen.
Die Klägerin sollte keine Lasten mehr mit einem Gewicht von mehr als zehn Kilogramm heben bzw. tragen. Die genannten Tätigkeiten sollten vorzugsweise im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen ausgeführt werden.
Falls dieser wünschenswerte Positionswechsel berufsbedingt nicht möglich sein sollte, so könne es der Klägerin noch auferlegt werden, ständig zu sitzen, überwiegend zu stehen oder überwiegend zu gehen. Zwangshaltungen der Wirbelsäule, wie dies zum Beispiel beim Bücken oder bei knienden Tätigkeiten der Fall sei, sollten vermieden werden.
Arbeiten auf Leitern oder auf Gerüsten seien angesichts der Schmerzsymptomatik nicht mehr leidensgerecht. Treppensteigen sei noch zumutbar. Arbeiten unter der Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe sollten vermieden werden, während Tätigkeiten im Freien unter günstigen Witterungsbedingungen nicht grundsätzlich auszuschließen seien.
Arbeiten an Büromaschinen oder an Computertastaturen könnten noch verrichtet werden. Tätigkeiten in der Früh- oder in der Spätschicht kämen noch in Frage, während Nachtschichten aufgrund der Gefahr einer Verschlimmerung der oben beschriebenen Schlafstörungen zu vermeiden seien. Eine durchschnittliche Beanspruchung des Gehörs oder des Sehvermögens sei leidensgerecht. Publikumsverkehr sei noch zumutbar.
Eine besondere geistige Beanspruchung mit hoher oder höherer Verantwortung, wie dies zum Beispiel beim Anleiten oder beim Beaufsichtigen mehrerer Personen bzw. beim Überwachen komplexer oder laufender Maschinen der Fall sei, könne der Klägerin ebenfalls noch auferlegt werden. Im Falle einer überwiegend oder ständig sitzenden Tätigkeit sollte die Klägerin einen nach ergonomischen Kriterien gestalteten Arbeitsplatz erhalten.
Ansonsten seien keine besonderen Arbeitsbedingungen unerlässlich. Hinsichtlich des Arbeitsweges bestünden keine Einschränkungen zeitlicher oder sonstiger Art. Insbesondere könne eine Gehstrecke von 500 Meter noch viermal täglich zurückgelegt werden.
Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen stünden auch nicht der Benutzung öffentlicher oder privater Verkehrsmittel entgegen.
Nachdem die Klägerin Einwendungen gegen das Gutachten vorgebracht hat, hat R2 die ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 25. November 2022 abgegeben.
Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG ist zunächst S3 als Gutachter beauftragt worden. Dieser hat nach Auseinandersetzung mit der Verwaltungs- und Gerichtsakte mitgeteilt, er gehe nicht davon aus, dass durch eine Begutachtung durch ihn ein anderes Ergebnis als jenes der Vorgutachter zu erwarten sein werde,
Daraufhin hat die Klägerin den S4 benannt. Dieser hat die Klägerin am 15. Mai 2023 untersucht und in seinem Gutachten vom 25. Mai 2023 auf orthopädischem Fachgebiet eine Lumboischialgie bei Protrusion L5/S1 und L3/4 mit fortgeschrittenen degenerativen Aufbraucherscheinungen monosegmentaler L5/S1 mit mäßiggradigen funktionellen Einschränkungen, eine Zervikobrachialgie bei NPP 06/7 mit beginnenden degenerativen Aufbraucherscheinungen mit geringen funktionellen Einschränkungen, mäßiggradige Retropatellararthrose rechts, mit geringen funktionellen Einschränkungen, initiale Polyarthrose beider Hände, bei noch gut erhaltener Funktionalität der Hände. Chronische Stauungsdermatose beider Unterschenkel mit wiederkehrenden Ulzera, Lipödembildung beide Oberarme und beide Oberschenkel und aktuell Carpaltunnelsyndrom links, derzeit konservative Therapie mittels Handgelenksorthese sowie auf nicht orthopädischem Fachgebiet eine somatoforme Schmerzstörung, Asthma bronchiale, Polyallergie, CVI, Hypothyreose und Z. n. medikamentös toxischer Hepatitis (Hydromorphon) diagnostiziert. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit einer Hauswirtschafterin mit Kinderbetreuung, mit zum Teil mittelschweren Tätigkeitsmerkmalen und häufigem Knien und Hocken sei nicht mehr leidensgerecht und sollte nicht mehr ausgeübt werden. Für den allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen, zeitweise im Gehen, in Tagesschicht/Frühschicht/Spätschicht-Form unter Berücksichtigung des – näher dargelegten - negativen Leistungsbildes. Es seien keine besonderen Arbeitsbedingungen unerlässlich.
Aufgrund der Gangbildanalyse sollte die Klägerin durchaus in der Lage sein, eine Gehstrecke von 500 m noch 4x täglich in 20 Minuten zurücklegen zu können. Ebenso sei sie in der Lage, öffentliche oder private Verkehrsmittel zu benutzen.
Es bestehe eine krasse Diskrepanz zwischen den Angaben der Klägerin, was sie noch gehen könne (wenige Meter) und dem demonstrierten Gangbild.
Nachdem die Klägerin am Gutachten des S4 Kritik geübt hat (u.a. sei ein mitgebrachter Ordner mit ärztlichen Unterlagen nicht ausreichend berücksichtigt worden) hat. S4 die ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 1. August 2023 abgegeben.
Die Klägerin hat an der Klage festgehalten und weiter Kritik an den Feststellungen der Sachverständigen geäußert.
Mit Urteil vom 29. November 2023 hat das SG die Klage abgewiesen.
Die Klage sei zulässig, jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI.
Gesundheitlich beeinträchtigt sei die Klägerin zunächst durch degenerative Veränderungen der Lenden-und Halswirbelsäule sowie auch im Bereich des rechten Knies und beider Hände. Aus den von dem im Rahmen von § 109 SGG benannten orthopädischen Sachverständigen S4 in seinem Gutachten vom 25. Mai 2023 genannten Diagnosen ergäben sich – wie S4 nachvollziehbar ausführe - bei der Klägerin Einschränkungen bezüglich der Geh- und Stehfähigkeit aufgrund der Schmerzen im rechten Kniegelenk sowie eine Einschränkung der Belastbarkeit der Rumpfwirbelsäule mit Hebe-und Tragelasten, bei Tätigkeiten in Armvorhalte und über Kopf sowie beim Greifen und Halten von schweren Gegenständen. Damit seien leichte und mittelschwere Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Gegenständen bis 10 kg, zeitweise im Gehen, zeitweise im Stehen, überwiegend im Sitzen, ohne häufiges Bücken und ohne häufiges Besteigen von Leitern und Gerüsten, auch am Fließband und in Wechselschicht, möglich. Zu vermeiden seien Arbeiten mit erhöhter Unfallgefahr, Arbeiten in Kälte, Nässe und im Freien, unter Einwirkung von Staub, Gasen oder Dämpfen, im Akkord oder in Nachtschicht.
Damit hätten sich die Feststellungen des von der Beklagten beauftragten Gutachters N1 (Untersuchung am 10. Januar 2020) weitestgehend bestätigt. Eine gravierende Verschlechterung im zeitlichen Verlauf sei nicht festzustellen gewesen. Eine gleichlautende überschlägige Einschätzung habe auch der in der sozialmedizinischen Begutachtung gerade auch von Schmerzpatienten sehr erfahrene, zuvor von der Klägerin benannte S3 mit Schreiben vom 31. Januar 2023 abgegeben.
S4 habe sich auch im Einzelnen mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Klägerin über die sogenannte Wegefähigkeit zur Erreichung eines Arbeitsplatzes verfüge.
Er habe dabei richtigerweise das demonstrierte Gangbild im Rahmen der Untersuchung gewürdigt, aber auch die bei der gutachtlichen Untersuchung vorgefundene muskuläre Situation und den neurologischen Status der Klägerin. Nicht nur in diesem Punkt, sondern ganz allgemein hätten sich auch bei S4 die von der Klägerin beklagten Einschränkungen der Beweglichkeit nicht vollumfänglich objektivieren lassen. Die Klägerin habe die Überprüfung der Beweglichkeit durch S4 zwar als äußerst schmerzhaft und quälend empfunden, zugleich seien vegetative Zeichen einer entsprechend erhöhten Anstrengung und Schmerzbeeinträchtigung wie erhöhter Atemsequenz, Notwendigkeit von Pausen, Schwitzen usw. nicht feststellbar gewesen. Bei Verzicht auf den mitgeführten Rollator habe sich das Gangbild kaum geändert. Wenn die Klägerin mit Schriftsatz vom 10. November 2023 ausführen lasse, kurze seitliche Bewegungen bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder auch des Pkws lösten bei ihr sofort extreme Schmerzen aus, so sei hierfür kein objektiver Grund erkennbar. Die Schlussfolgerung des S4 in der ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 1. August 2023, er könne sich aus orthopädischer Sicht für die Klägerin eine vollschichtige Tätigkeit in einem Callcenter, am Empfang, an einer Rezeption oder einer Pforte vorstellen oder aber auch eine leichte sitzende Tätigkeit in der Montage, sei plausibel, wenngleich es rechtlich der Benennung konkreter Verweisungstätigkeiten gar nicht bedürfe. Ob die Klägerin aus orthopädischer Sicht einer Berufstätigkeit im Umfang von 6 Stunden täglich im bisherigen Berufsbereich der Hauswirtschaft noch gewachsen wäre, hänge naturgemäß von den konkreten Bedingungen einer Arbeitsstelle und der körperlichen Schwere der regelmäßig zu verrichtenden Tätigkeiten ab. Auch hierauf komme es rechtlich indes nicht an. Die wesentliche gesundheitliche Beeinträchtigung der Klägerin liege vielmehr offenkundig auf dem nervenärztlich-schmerzmedizinischen Gebiet. Bereits in den Jahren 2018 und 2019 habe sich die Klägerin wiederholt in stationäre schmerztherapeutische Behandlungen in R3 und B1 begeben. Ihr behandelnder H2 habe bereits in seinem Befundbericht an die Beklagte vom 29. August 2019 ausgeführt, die Klägerin sei schmerzzentriert, eine orthopädische Ursache für das Ausmaß ihrer Beschwerden finde sich nicht. Auch auf nervenärztlichem Fachgebiet habe die gerichtliche Sachaufklärung das Ergebnis der Begutachtung im Verwaltungsverfahren durch R1 E1 bestätigt. Der gerichtliche Sachverständige R2 habe –wie er in seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 28.11.2022 dezidiert dargelegt habe- in seiner diesbezüglichen Beurteilung die Aktenlage umfassend berücksichtigt, ebenso den anamnestisch erhobenen Tagesablauf der Klägerin, den klinischen und testpsychologischen Befund. Die von ihm aufgrund dessen gestellte Diagnose einer leichten anhaltenden somatoformen Schmerzstörung korreliere in nachvollziehbarer Weise mit Anamnese und Befunden. Wesentliche weitergehende Einschränkungen als die oben wiedergegebenen, von S4 beschriebenen ergäben sich für die berufliche Einsetzbarkeit hieraus nicht. Die von Klägerseite erhobenen Einwände gegen die Feststellungen von R2 könnten durch dessen ergänzende Stellungnahme vom 18.11.2022 als entkräftet gelten R2 verfüge gerichtsbekannt über mittlerweile jahrzehntelange Erfahrung in der Erstattung nervenärztlich-schmerzmedizinischer Gutachten in sozialgerichtlichen Verfahren namentlich im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung. Dies schließe naturgemäß fachliche Fehler bei der Gutachtenerstattung nicht gänzlich aus. Die Einschaltung von medizinischen Fachangestellten als Hilfspersonen im Rahmen der Begutachtung unter entsprechender ärztlicher Aufsicht und Anleitung etwa für die Durchführung von Tests begegne keinen Bedenken. Für das Gericht sei es, auch auf Grund langjähriger Kenntnis der Arbeitsweise des Sachverständigen aus einer erheblichen Zahl anderer Klageverfahren, kaum vorstellbar, dass R2 die klinische Untersuchung und Anamneseerhebung sowie die zusammenfassende gutachtliche Würdigung nicht selbst durchgeführt habe.
Damit erscheine es im Ergebnis zwar möglich, dass die schmerzbedingte Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes und der Erwerbsfähigkeit der Klägerin gravierender sei als von N1, R1, E1, R2, S3 und S4 angenommen. Die Einschätzungen des H1 und der Z1 in ihren schriftlichen sachverständigen Zeugenauskünften an das Gericht vermöchten indes jedenfalls die unter der ausdrücklichen gutachtlichen Fragestellung der Erwerbsfähigkeit abgegebenen Einschätzungen nicht so nachhaltig zu entkräften bzw. zu widerlegen, dass eine rentenrelevante Einschränkung der Erwerbsfähigkeit nachgewiesen wäre. Selbst wenn man das Sachverständigengutachten von R2 im Hinblick auf die u.a. mit Schriftsatz der Klägerin vom 23. März 2023 behaupteten Umstände der gutachtlichen Untersuchung außer Betracht ließe, führe dies vor dem Hintergrund des weiteren Beweisergebnisses nicht zum Nachweis einer Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit auf unter sechs Stunden täglich für jegliche, auch leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Wie oben bereits ausgeführt, träfen die Folgen einer Nichterweislichkeit der anspruchsbegründenden Tatsachen letztlich die Klägerin.
Gegen das den Bevollmächtigten der Klägerin am 22. Dezember 2023 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18. Januar 2024 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie hat Verfahrensfehler durch den entscheidenden Richter beim SG geltend gemacht und beanstandet, die befassten Gutachter hätten nicht alle bei der Klägerin vorliegenden Diagnosen gekannt bzw. berücksichtigt. Ferner hat die Klägerin Kritik an den Gutachten des R2 und des S4 geäußert.
R2 sei auch befangen gewesen, weil er in einer von der Beklagten finanzierten Reha-Klinik arbeite. S3 sei als Gutachter nicht tätig geworden, weshalb sich das Urteil auch nicht auf dessen Aussagen stützen könne. Die Klägerin hat ferner ausführlich zu ihrem Gesundheitszustand vorgetragen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 29. November 2023 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2021 zu verurteilen, ihr auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, zumindest zeitlich befristet, ab dem 1. August 2019 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat an ihrer Rechtsauffassung festgehalten.
Der Senat hat von Amts wegen das nervenärztliche Gutachten der E1 vom 2. Oktober 2024 (nach ambulanter Untersuchung am 16. Juli 2024 und unter Einbeziehung eines neuropsychologischen Zusatzgutachtens des G1 aufgrund einer Untersuchung am 10. September 2024) eingeholt. E1 hat eine Opiatabhängigkeit bei langjährigem Medikamentengebrauch, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Spezifische (isolierte) Phobie (Klaustrophobie), und fachfremd Asthma bronchiale, gastroösophageale Refluxkrankheit, chronisch venöse Insuffizienz der Beine, Lipödem beider Arme und Beine, Lymphödem beider Arme und Beine, mäßiggradige Retropatellararthrose rechts mit geringen funktionellen Einschränkungen und initiale Polyarthrose beider Hände diagnostiziert. Nach ihrer Einschätzung sind leichte körperliche Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis 5 kg im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen oder überwiegend sitzend, ohne Tätigkeiten in Zwangshaltungen, ohne häufiges Bücken, ohne Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten möglich. Akkord-, Fließband- und Nachtarbeit seien nicht möglich, auch keine Tätigkeiten unter ungünstigen klimatischen Verhältnissen, insbesondere Kälte und Nässe und keine Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an Anpassungs- und Umstellungsvermögen sowie keine fordernden sozialen Interaktionen. Zum jetzigen Zeitpunkt sei aufgrund der bestehenden Suchtmittelabhängigkeit von Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Für das Erreichen einer stabilen Abstinenz sei ein Zeitraum von 3 Monaten als ausreichend anzusehen. Im Anschluss könnten die noch möglichen Tätigkeiten unter Berücksichtigung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen mindestens 6 Stunden täglich verrichtet werden. Auf ergonomische Arbeitsplatzgestaltung sollte geachtet werden, darüber hinaus seien keine besonderen Arbeitsbedingungen erforderlich. Der Klägerin sei es unter Verwendung von Hilfsmitteln noch zumutbar, täglich 4 mal die Wegstrecke von (etwas) über 500 m zu Fuß zurückzulegen. Die Klägerin könne etwas mehr als 500 m in ca. 20 Minuten zurücklegen. Sie könne 2 x täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen. Die Eignung zum Führen von Kfz sei bei dem gegebenen Suchtmittelkonsum bis zu einer lege artis belegten stabilen Abstinenz als nicht gegeben anzusehen.
Die Beklagte hat an ihrer Rechtsauffassung festgehalten und die sozialmedizinische Stellungnahme der Beratungsärztin K2 vom 30. Oktober 2024 vorgelegt.
Die Klägerin hat mit Schreiben vom 16. Dezember 2024 mit ausführlicher Begründung E1 und Herrn G1 als befangen abgelehnt.
Wegen des weiteren Vorbringens und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Der Senat konnte den Rechtsstreit entscheiden, obschon die Beklagte zur mündlichen Verhandlung am 17. Dezember 2024 keinen Vertreter entsandt hat. Dies ist der Beklagten unter Hinweis darauf, dass auch in Abwesenheit eines Vertreters verhandelt und entschieden werden kann (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2 SGG) freigestellt gewesen.
Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 29. November 2023 ist nicht zu beanstanden. Das SG hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt.
Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist § 43 Sechstes Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
teilweise erwerbsgemindert sind,
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, wenn sie
voll erwerbsgemindert sind,
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Nicht erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.
Das Vorliegen einer rentenberechtigenden Leistungsminderung und auch der weiteren Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung muss im Vollbeweis objektiv nachgewiesen sein. Dies erfordert, dass die Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen müssen (vgl. auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteile vom 15. Januar 2009 – L 14 R 111/07 und vom 8. Juli 2010 – L 14 R 112/09). Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsache – hier der vollen oder teilweisen Erwerbsminderung begründenden Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens – als erbracht angesehen werden kann. Eine bloße gewisse Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Kann das Gericht das Vorliegen der den Anspruch begründenden Tatsachen trotz Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten nicht feststellen, geht dieser Umstand zu Lasten desjenigen, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleiten will, hier also zu Lasten der Klägerin.
Gemessen hieran ist die Klägerin nicht erwerbsgemindert.
Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils unter Zugrundelegung der vorgenannten Anspruchsvoraussetzungen zutreffend dargelegt, dass die medizinischen Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente nicht vorliegen, weil die Klägerin in der Lage ist, sechs Stunden am Tag zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Das SG hat sich bei seiner Einschätzung auf orthopädischem Fachgebiet nachvollziehbar im Wesentlichen auf das (auf Antrag der Klägerin eingeholte) fachärztliche Gutachten des S4 und die von diesem erhobenen Untersuchungsbefunde gestützt. Auf nervenärztlich-schmerzmedizinischem Fachgebiet hat sich das SG auf das Gutachten des R2 und dessen Feststellungen sowie auf das Ergebnis der Begutachtung im Verwaltungsverfahren durch E1 gestützt und sich mit schlüssiger Begründung und ausführlicher Auseinandersetzung mit den von der Klägerin geäußerten Kritikpunkten an den Gutachten den Leistungseinschätzungen der Sachverständigen angeschlossen. Der abweichenden Leistungseinschätzung der behandelnden Ärzte hat sich das SG mit nachvollziehbarer Begründung nicht angeschlossen und richtig darauf hingewiesen, dass verbleibende Zweifel zu Lasten der Klägerin gehen.
Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.
Im Berufungsverfahren haben sich keine wesentlich neuen Erkenntnisse ergeben, welche eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.
Soweit die Klägerin u.a. vorgebracht hat, R2 sei voreingenommen, weil er in einer Reha-Klinik beschäftigt und von der Beklagten finanziell abhängig sei, liegt schon kein zulässiger Ablehnungsantrag vor. Gemäß § 406 Abs.2 S.1 ZPO ist ein Ablehnungsantrag spätestens binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen zu stellen. Eine spätere Ablehnung ist gemäß § 406 Abs.2 S.2 ZPO nur dann zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden gehindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Nach einhelliger Auffassung ist in diesem Fall der Antrag entsprechend § 121 BGB unverzüglich nach Kenntnis von dem Ablehnungsgrund zu stellen (BGH, Beschluss vom 15.03.2005 - VI ZB 74/04 -, juris; BayObLG, Beschluss vom 16.06.1994 - 1Z BR 73/94 -, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 12.08.2008 - 4 W 38/16 -, juris; Zöller-Greger, ZPO, 35. Aufl., §406, Rn. 11). Der Ablehnungsantrag ist innerhalb einer den Umständen des Einzelfalles angepassten Überlegungsfrist anzubringen (BGH a.a.O.). Im vorliegenden Fall ist der erst im Berufungsverfahren ausdrücklich gestellte Ablehnungsantrag verspätet; Hinderungsgründe sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden. Zwar ist bereits im erstinstanzlichen Verfahren mit Schriftsatz des damaligen Prozessbevollmächtigten vom 22. September 2022, dem eine ausführliche Stellungnahme der Klägerin bzw. des Herrn B2 beigefügt war, Kritik am Gutachten des R2 geäußert wurde, jedoch wurde auch hier nicht die Frist von 2 Wochen eingehalten und R2 auch nicht als befangen abgelehnt.
Im Übrigen liegen keine Anhaltspunkte gegen die Verwertbarkeit des Gutachtens des R2 vor. Die Auswahl des Sachverständigen steht im Ermessen des Gerichts, wobei wesentliches Kriterium der Auswahlentscheidung die fachliche Eignung des Sachverständigen zur sachgerechten Beantwortung der Beweisfragen ist und Voraussetzung für die ordnungsgemäße Auswahl des Sachverständigen ist, dass dieser nicht nur fachlich geeignet, sondern auch bereit und in der Lage ist, ein neutrales Gutachten zu erstellen (vgl. Mushoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 103 SGG [Stand: 26.09.2022], Rn. 192, 194, 196). Im vorliegenden Fall bestehen keine Zweifel an der fachlichen Eignung und Neutralität des Sachverständigen, der seit vielen Jahren als Gerichtsgutachter tätig ist. Allein der Umstand, dass er in einer Reha-Klinik beschäftigt ist, stellt seine Neutralität nicht in Frage. Aus dem Gutachten selbst ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass es nicht den Anforderungen an ein verwertbares Gutachten entspricht. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen in seinem Gutachten und der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme stützen sich auf die Aktenlage, die Anamnese sowie die eigene Befunderhebung und enthalten keine erkennbaren Widersprüche. Die von der Klägerin vorgebrachten Kritikpunkte können dessen Einschätzung demnach nicht in Frage stellen.
Darüber hinaus ist die fachärztliche Einschätzung des Sachverständigen R2 auch im Wesentlichen durch das im Berufungsverfahren ergänzend eingeholte Gutachten der E1 bestätigt worden. Auch im Hinblick auf die Ablehnung der Sachverständigen E1 und des Herrn G1 als befangen mit Schreiben vom 16. Dezember 2024 ist darauf hinzuweisen, dass der Ablehnungsantrag unzulässig ist, weil er nicht innerhalb der Frist von 2 Wochen (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V. m. § 406 ZPO) gestellt wurde. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Klägerin und ihr Zustellungsbevollmächtiger B2, mit dem sie gemeinsam ihre Schriftsätze verfasst hat, krankheitsbedingt erst am 16. Dezember 2024 in der Lage waren, den Ablehnungsantrag zu stellen, ergeben sich für den Senat auch inhaltlich keine Bedenken gegen die Verwertbarkeit des Gutachtens der E1. Im Hinblick darauf, dass E1 bereits ein Vorgutachten erstellt hat, lässt sich keine Voreingenommenheit feststellen.
E1 hat in ihrem Gutachten festgehalten, dass sie die Klägerin auf die Vorbegutachtung angesprochen und mitgeteilt hat, dass sie sich nicht für befangen halte und die Klägerin mit der Begutachtung einverstanden war. Die Sachverständige kann im Übrigen sogar aufgrund des eigenen Vorgutachtens mögliche Veränderungen im Gesundheitszustand der Klägerin ggf. besser beurteilen. Auch die Annahme der Klägerin, E1 habe vor der Begutachtung mit R2 gesprochen, sei wütend über die Strafanzeige der Klägerin gegenüber R2 gewesen und habe sich dessen Gutachten voreingenommen angeschlossen und auch Herrn G1 in diese Richtung beeinflusst, vermag keine Unverwertbarkeit der Gutachten zu begründen.
Aus dem Gutachten der E1 ergeben sich keine Anhaltspunkte für fehlende Neutralität der Sachverständigen. E1 hat in ihrem Gutachten nicht auf die von R2 erhobenen Untersuchungsbefunde und Schlussfolgerungen verwiesen, sondern eigene Untersuchungsbefunde erhoben und auch – nachdem sie dies aufgrund der von der Klägerin angegebenen kognitiven und mnestischen Defizite für erforderlich hielt - ein neuropsychologisches Zusatzgutachten angeregt und in ihre Beurteilung mit einbezogen. Soweit im Einzelfall Missverständnisse aufgetreten sein sollten (z.B. im Zusammenhang mit der Annahme von E1, dass die Klägerin selbst Auto fahre) können diese die Neutralität und die Schlussfolgerungen der Sachverständigen insgesamt nicht in Frage stellen.
Auch das Zusatzgutachten des G1 enthält keine Hinweise auf fehlende Neutralität. Herr G1 hat die Klägerin ausführlich zu ihren Beschwerden und Lebensumständen befragt und Untersuchungsbefunde bzw. eine testpsychologische Untersuchung durchgeführt, ohne dass hierbei eine tendenzielle Behandlung erkennbar ist. Die von der Klägerin beanstandeten Formulierungen in den Gutachten der E1 und des Herrn G1 lassen zur Überzeugung des Senats keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Gutachter aufkommen.
Der Senat kann somit das Gutachten der E1 und das Zusatzgutachten des G1 im Rahmen der Beweiswürdigung verwerten.
Der von E1 erhobene psychopathologische Befund war nur leicht auffällig.
Die Stimmung der Klägerin war dysthym, die Versicherte war affektiv eingeschränkt schwingungsfähig, die Auslenkung zum positiven Pol gelang, der Antrieb wirkte leichtgradig reduziert. Auffällig war ein sehr klagsamer Rapport, Mimik und Gestik wirkten spärlich, leidend. Die Probandin musste immer wieder zur Mitarbeit motiviert werden, gab wiederholt an „nicht mehr zu können", sie machte dabei aber keinen schwergradig schmerzgeplagten klinischen Eindruck. Auch die demonstrierten Auffassungsschwierigkeiten, Konzentrations- und Merkfähigkeitsprobleme erschienen nicht plausibel. Die Versicherte wies wiederholt darauf hin, dass sie sich nicht als depressiv erlebe, eine affektive Störung ließ sich nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit diagnostizieren.
Auch der Tagesablauf der Klägerin lässt eine einigermaßen erhaltene Struktur und jedenfalls in Teilen selbstständige Lebensführung erkennen. Danach stehe sie zwischen 7:00 und 8:00 Uhr auf, mache ihre Morgentoilette, frühstücke. Sie schaue, was sie im Haushalt machen könne (ein bisschen staubwischen oder die Spülmaschine ein- und ausräumen). Zur Wäsche müsse sie den Rollator nutzen, weil sie in den Keller müsse und durch die Tiefgarage. Teilweise sei Herr B2 bei ihr, oder sie bei ihm. Wegen ihrer Schmerzen und Beschwerden könne sie nicht alleine sein. Er erledige auch den Einkauf, manchmal gehe sie mit. Bei Schmerzen müsse sie sich hinlegen, sonst stehe sie wieder auf. Ab und zu schaue sie fern. Zu Bett gehe sie zwischen 22:00 und 23:30 Uhr.
Im Hinblick auf die von der Klägerin geschilderten Schmerzen ist jedoch darauf hinzuweisen, dass E1 in ihrem Gutachten mitgeteilt hat, die Klägerin mache trotz der mehrfachen Angaben, nicht mehr zu können, keinen schwergradig schmerzgeplagten klinischen Eindruck. E1 hat auch im Zusammenhang mit den von der Klägerin geltend gemachten erheblichen Einschränkungen von Konzentration, Merkfähigkeit und Gedächtnis und den in der testpsychologischen Untersuchung gezeigten formal unterdurchschnittliche Ergebnisse im Bereich des visuellen Gedächtnisses, der intrinsischen sowie phasischen Alertness, der Verarbeitungsgeschwindigkeit, der fluiden Intelligenz sowie der kognitiven Flexibilität erwähnt, dass die Performanzvalidierungsverfahren einen deutlichen Hinweis auf ein nicht-authentisches Antwortverhalten zeigten. Auch in anderen Untersuchungsergebnissen haben sich auffällige Befunde gezeigt, die deutlich auf ein verfälschendes Antwortverhalten hinwiesen. Ebenso haben sich anlässlich der neurologisch-psychiatrischen Begutachtung erhebliche auffällige Befunde in den Performanzvalidierungsverfahren ergeben. Aus diesem Grund hat E1 die formal auffälligen Leistungen in den testpsychologischen Untersuchungen nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit im Sinne einer kognitiven Störung interpretieren können. Sie hat diesbezüglich auch darauf hingewiesen, dass die anamnestisch erhobene, teilweise erhaltene selbstständige Lebensführung (z.B. fahre mit einem Kfz) sowie die soziale Teilhabe gegen eine gravierende kognitive Störung jedweder Genese sprechen.
E1 hat zwar nachvollziehbar dargelegt, dass es durch die langjährige Verordnung von Opiaten zu einer iatrogenen getriggerten Opiatabhängigkeit gekommen ist, die aktuell vorrangig zu behandeln wäre. Die vorliegende Abhängigkeit bedarf danach einer stationären Entgiftungs- und Entzugsbehandlung.
Der Senat folgt jedoch nicht der von E1 vertretenen Auffassung, dass sowohl die angestammte als auch jedwede andere Tätigkeit unter dem derzeit laufenden Suchtmittelkonsum bis zu einer stabilen Abstinenz als nicht leistbar anzusehen ist.
Denn der von E1 erhobene, nur leicht auffällige psychopathologische Befund und der fehlende Nachweis einer relevanten kognitiven Störung – selbst unter vorhandener Opiatabhängigkeit – sprechen gegen eine so deutliche Leistungseinschränkung, dass auch leichte körperliche Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich nicht mehr zumutbar sind.
Es ist daher irrelevant, dass die Opiatabhängigkeit der Klägerin einerseits nach Auffassung von E1 keine überdauernde Leistungsunfähigkeit bewirken würde, sondern innerhalb eines Zeitraums von etwa drei Monaten - bei entsprechender Behandlung – behoben werden könnte, die Klägerin aber andererseits - nach ihren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung – keinerlei Krankheitseinsicht hat, sondern die Behandlung mit Opiaten unverändert fortzusetzen möchte. Denn jedenfalls steht nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit fest, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin auch für leichte körperliche Tätigkeiten mit den vorhandenen qualitativen Einschränkungen auf unter sechs Stunden arbeitstäglich abgesunken ist.
Darauf, dass E1 auch die Eignung der Klägerin zur Führung eines Kfz für nicht gegeben hält und die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausgesagt hat, dass sie kein Auto besitze und auch nicht Auto fahre, kommt es ebenfalls nicht entscheidend an. Denn die Klägerin ist – nach insoweit übereinstimmenden Einschätzungen von E1 R2 und S4 - in der Lage, wie von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gefordert - viermal täglich etwas über 500 m in jeweils maximal 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991, 13/5 RJ 73/90, juris).
Es liegt auch keine schwere spezifische Leistungseinschränkung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Die von E1, R2 und S4 genannten qualitativen Einschränkungen berücksichtigen die bei der Klägerin vorhandenen Schmerzen und sind in ihrer Art oder Summe nicht geeignet, die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen, sondern beinhalten solche Einschränkungen, die bei der empfohlenen Ausübung von leichten körperlichen Tätigkeiten mitumfasst sind.
Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der - wie die Klägerin - nach dem verbliebenen Restleistungsvermögen noch zumindest körperlich leichte Tätigkeiten (wenn auch mit qualitativen Einschränkungen) mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden, wie z. B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R - BSGE 109, 189).
Auch ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit von betriebsunüblichen Pausen oder sonstigen besonderen Arbeitsbedingungen. Solche sind von den Sachverständigen nicht aufgezeigt worden.
Da das SG somit zu Recht die Klage abgewiesen hat, weist der Senat die Berufung zurück.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass die Klägerin mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke/Berchtold, a.a.O., § 193 Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 13. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 1307/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 240/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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