L 15 U 177/24

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 18 U 336/23
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 177/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 22.03.2024 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Anerkennung der Berufskrankheiten Nr. 4301 und Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

 

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin absolvierte in der Zeit von 1980 bis 1982 eine Ausbildung zur Bürogehilfin und war anschließend bis 1989 bei einer Sanitärfirma beschäftigt. Sodann war die Klägerin von April 1989 bis November 1998 bei der N. AG und anschließend von Dezember 1998 bis Juli 2001 bei der N. GmbH & Co. KG als Sachbearbeiterin im Bereich Rechnungswesen beschäftigt. Im Anschluss war sie bis Dezember 2002 bei der Firma T. beschäftigt. Seit Januar 2003 ist die Klägerin nicht mehr erwerbstätig.

 

Am 04.10.2000 erstattete der Facharzt für Dermatologie P. bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel (BGE), eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit (BK). Die Klägerin klage über Atemnot, Zittern, Schlafstörungen, Druck im Kopf sowie Konzentrationsstörungen und führe dies auf Ausdünstungen von Tonersubstanz der Kopiergeräte zurück. Er gehe vom Vorliegen einer toxischen Einwirkung von chemischen Lösungsmitteln bei Atopiediathese aus.

 

Die BGE leitete daraufhin ein Feststellungsverfahren ein und zog ärztliche Unterlagen sowie eine Auskunft der Krankenversicherung Z. bei. Zudem befragte sie die Klägerin und holte eine Arbeitgeberauskunft ein.

 

Die Klägerin gab in einem Fragebogen vom 03.11.2000 an, ihre Beschwerden seien erstmals etwa im Oktober 1999 aufgetreten. Ursache sei ihrer Ansicht nach der Toner (Drucker).

 

Die BGE holte eine Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) ein, welcher die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) bzw. eine andere Berufskrankheit durch chemische Einwirkungen verneinte (Stellungnahme vom 20.12.2000).

 

Die BGE lehnte daraufhin mit Bescheid vom 06.02.2001 die Entschädigung der bei der Klägerin bestehenden Beschwerden (z.B. Atemnot, Konzentrations- und Schlafstörungen) als Berufskrankheit ab. Nach den Ausführungen des TAD ließen sich die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK 1317 oder eine andere Berufskrankheit durch chemische Einwirkungen nicht hinreichend wahrscheinlich machen.

 

Im anschließenden Widerspruchsverfahren holte die BGE erneut eine Stellungnahme des TAD ein, welcher am 28.05.2001 eine Arbeitsplatzbegehung durchführte (Ermittlungsbericht vom 30.05.2001). Anschließend wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2001 zurückgewiesen. Aufgrund der derzeitigen arbeitsmedizinischen Erkenntnisse stehe fest, dass eine Gesundheitsgefährdung durch Toneremissionen im Bereich des Arbeitsplatzes der Klägerin nicht bestanden habe, zumal auch eine relevante toxische Einwirkung an Ozon oder flüchtigen organischen Verbindungen beim Betrieb der von der Klägerin angeschuldigten Drucker/Kopierer habe ausgeschlossen werden können.

 

In dem anschließend beim Sozialgericht (SG) Köln geführten Klageverfahren (S 16 U 159/01) wurde nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Arbeitsmedizin S.. Dieser gelangte nach ambulanter Untersuchung der Klägerin im April 2003 zu der Einschätzung, dass eine obstruktive Ventilationsstörung nicht nachweisbar sei, auch keine restriktive Atemwegserkrankung. Eine BK 1317 oder 4301 liege nicht vor (Gutachten vom 13.05.2003). Auf Antrag der Klägerin wurde sodann nach § 109 SGG ein Gutachten von P. eingeholt. Dieser diagnostizierte ein respiratorisches Atopiesyndrom, ein MCS-Syndrom, ein Basalzellcarcinom sowie Eisenmangel. Eine BK 1317 wurde verneint. Es bestehe aber mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht die Entstehung, sondern das Wiederaufleben einer Erkrankung mit nachfolgender Verschlimmerung, so dass nur die BK 4301 zutreffen würde (Gutachten vom 25.02.2004). Die Klage wurde sodann mit Urteil vom 11.11.2004 abgewiesen. Im dagegen geführten Berufungsverfahren (L 4 U 113/04) wurde nach § 106 SGG ein Gutachten des Facharztes für Arbeitsmedizin L. eingeholt. Dieser diagnostizierte nach ambulanter Untersuchung der Klägerin im Januar 2006 eine tonerfixierte multiple Chemikalien-Sensitivität (MCS), eine Hausstaubmilbenallergie, derzeit ohne Nachweis einer obstruktiven Atemwegserkrankung sowie einen Narbenbezirk im rechten Mittelbauch, anamnestisch Basaliom mit Z.n. Therapie mit Imiquimod. Eine obstruktive Atemwegserkrankung oder allergische Rhinopathie könne nicht als gesichert gelten. Eine BK 4301 liege nicht vor (Gutachten vom 13.01.2006). Die Berufung wurde im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.05.2006 zurückgenommen.

 

Bereits mit Schreiben vom 29.11.2005 hatte die Klägerin die Anerkennung einer BK 4302 beantragt und zugleich einen Antrag nach § 44 SGB X gestellt.

 

Die BGE holte daraufhin eine Stellungnahme des TAD ein, welcher die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK 4302 verneinte. Keine der in Toner enthaltenen Substanzen stelle einen Gefahrenstoff im Sinne der BK 4302 dar (Stellungnahme vom 11.01.2006). Mit Bescheid vom 18.01.2006 lehnte die BGE die Entschädigung der bei der Klägerin bestehenden Beschwerden (z.B. Atemnot, Konzentrations- und Schlafstörungen, Zittern, Druck im Kopf) als Berufskrankheit auch unter den Gesichtspunkten einer BK 4302 ab. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2006 zurückgewiesen. Die sodann beim SG Köln erhobene Klage (S 16 U 130/06, Wiederaufnahme unter S 16 U 154/08) wurde mit Gerichtsbescheid vom 25.08.2009 abgewiesen. Es lägen weder die arbeitstechnischen noch die medizinischen Voraussetzungen der BK 4302 vor. Insbesondere sei das erforderliche Krankheitsbild einer obstruktiven Atemwegserkrankung nicht nachgewiesen. Im anschließenden Berufungsverfahren (L 4 U 118/09) wurde auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG ein Gutachten des Internisten und Umweltmediziners E. eingeholt. Dieser stellte eine ausgeprägte Reaktionslage der oberen Atemwege gegenüber Tonerstäuben fest, die Lungenfunktionsprüfung ergab keine wesentliche Einschränkung der ventilatorischen Leistung (Gutachten vom 05.08.2011). Die Berufung wurde im Termin zur mündlichen Verhandlung am 29.02.2012 zurückgenommen.

 

Mit Schreiben vom 12.12.2013 stellte die Klägerin bei der Beklagten als Rechtsnachfolgerin der BGE einen Überprüfungsantrag u.a. hinsichtlich der BK 4301/4302.

 

Die Beklagte lehnte die Rücknahme des Bescheides vom 06.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2001 ab (Bescheid vom 23.01.2014, Widerspruchsbescheid vom 27.05.2014). Die dagegen beim SG Köln erhobene Klage (S 18 U 281/14) wurde mit Gerichtsbescheid vom 11.03.2015 abgewiesen, die anschließende Berufung (L 17 U 256/15) mit Urteil vom 08.02.2017 zurückgewiesen. Die Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens (L 17 U 466/21 WA) wurde mit Beschluss vom 31.01.2022 als unzulässig verworfen.

 

Mit Bescheid vom 17.05.2016 lehnte die Beklagte auch eine Rücknahme des Bescheides vom 18.01.2006 ab. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 07.07.2016 zurückgewiesen. Die dagegen beim SG Köln erhobene Klage (S 18 U 294/16) wurde mit Gerichtsbescheid vom 04.06.2018 abgewiesen, die Berufung (L 17 U 617/18) mit Urteil vom 04.05.2022 zurückgewiesen. Die sodann erhobene Nichtzulassungsbeschwerde (B 2 U 8/22 AR) wurde als unzulässig verworfen.

 

Mit Schreiben vom 29.06.2020 stellte die Klägerin einen weiteren Überprüfungsantrag.

 

Die Beklagte lehnte die Rücknahme des Bescheides vom 06.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2001 über die Ablehnung der Anerkennung einer BK 1317 und der Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass der Beschwerden Atemnot, Konzentrations- und Schlafstörungen erneut ab (Bescheid vom 04.08.2020, Widerspruchsbescheid vom 09.10.2020). Die dagegen beim SG Köln erhobene Klage (S 16 U 425/20) wurde mit Gerichtsbescheid vom 13.12.2021 abgewiesen, die anschließende Berufung (L 17 U 19/22) wurde zurückgenommen.

 

Mit Schreiben vom 12.04.2023 stellte die Klägerin erneut einen Überprüfungsantrag.

 

Mit Bescheid vom 22.06.2023 lehnte die Beklagte es ab, den Bescheid vom 18.01.2006 zurückzunehmen. Die Voraussetzungen einer Rücknahme nach § 44 SGB X lägen nicht vor. Die Klägerin habe keine neuen Gesichtspunkte aufgezeigt, die eine Rücknahme des Bescheides rechtfertigen würden.

 

Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2023 zurückgewiesen.

 

Dagegen hat die Klägerin am 11.10.2023 Klage beim SG Köln ausdrücklich wegen der BK 4301 und 4302 erhoben und zur weiteren Begründung ein Informationsschreiben der Stiftung nano-control sowie eine Broschüre der Bundesanstalt für Arbeitsschutz zum Thema Gefahrstoffe beim Drucken und Kopieren im Büro aus August 1993 übersandt.

 

Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

 

die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 22.06.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2023 aufzuheben und bei ihr unter Rücknahme des Bescheides vom 18.01.2006 die Berufskrankheit nach der Ziffer 4301 und 4302 nach der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.

 

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

            die Klage abzuweisen.

 

Sie hat sich auf die angefochtenen Bescheide bezogen.

 

Auf Aufforderung des SG hat die Beklagte eine erneute Stellungnahme der Präventionsabteilung eingeholt. Danach ergebe sich auf der Grundlage der Pilotstudie des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), des toxikologischen Projekts des Berufsgenossenschaftlichen Forschungsinstituts für Arbeitsmedizin im Auftrag der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft von 2006 sowie den IFA-Forschungsprojekten FF-FP O294A, FF-FP O0294B und IFA 3133 sowie auf der Basis der vorliegenden Arbeitsplatzmessungen und toxikologischen Auswertungen kein Hinweis darauf, dass der Kontakt zu Druckgeräten und ihren Emissionen am Arbeitsplatz eine gesundheitliche Relevanz habe. Eine Einwirkung im Sinne der BK 4302 liege somit nicht vor (Stellungnahme vom 08.12.2023).

 

Mit Gerichtsbescheid vom 22.03.2024 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, da die Klägerin keinen Einwirkungen im Sinne der BK 4301 und 4302 ausgesetzt gewesen sei. Dies ergebe sich aus den Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten.

 

Gegen den ihr am 27.03.2024 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 26.04.2024 Berufung eingelegt. Der Gerichtsbescheid enthalte zahlreiche, sachliche und inhaltliche Fehler und auch Falschangaben der Beklagten und des Präventionsdienstes. Außerdem sei durch die Beklagte keine korrekte Ermittlung und keine Begutachtung erfolgt. Ihre Tonerintoxikation sei durch ihre berufliche Tätigkeit ab 01.04.1989 ausgelöst bzw. verursacht und ihre Krebserkrankungen stünden damit im Zusammenhang.

 

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 22.03.2024 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.06.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2023 zu verurteilen, den Bescheid vom 18.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2006 zurückzunehmen und das Vorliegen einer BK 4301 und 4302 nach der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.

 

Die Klägerin hat am 13.11.2024 beim SG Köln Akteneinsicht genommen.

 

Mit Schreiben vom 07.01.2025, bei Gericht eingegangen am 14.01.2025, hat die Klägerin mit Hinweis auf eine am Terminstag stattfindende Beerdigung eines sehr guten Freundes ihrer Familie sowie weitere (Arzt-)Termine die Verlegung des für den 14.01.2025 um 14.00 Uhr anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung beantragt. Der Antrag wurde mit Verfügung des Vorsitzenden vom 14.01.2025 um 12.47 Uhr abgelehnt.

 

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.01.2025 ist die Klägerin nicht erschienen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die beigezogene Akte S 18 U 294/16 sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

 

Entscheidungsgründe:

 

Der Senat konnte in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden, weil die Klägerin auf diese Möglichkeit in der ihr mittels Postzustellungsurkunde am 20.12.2024 zugestellten Terminsmitteilung vom 10.12.2024 hingewiesen worden ist (§§ 153 Abs. 1110 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Klägerin konnte auch nicht davon ausgehen, dass der Termin aufgrund des von ihr gestellten Verlegungsantrags aufgehoben wird. Die Klägerin hat keine erheblichen Gründe (§ 202 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 Zivilprozessordnung <ZPO>) für die beantragte Verlegung der mündlichen Verhandlung vorgetragen oder glaubhaft gemacht, weshalb ihr Antrag mit Verfügung des Vorsitzenden vom 14.01.2025 noch vor Beginn der Terminsstunde abgelehnt worden ist. Zwar konnte der Senat nicht davon ausgehen, dass die Ablehnung des Verlegungsantrags die Klägerin noch rechtzeitig vor der Verhandlung erreichen werde, da die Klägerin weder eine Telefon- oder Faxnummer noch eine E-Mailadresse angegeben hat. In einer solchen Fallkonstellation obliegt es jedoch der Klägerin, sich - ggf. durch telefonische Nachfrage auf der Geschäftsstelle - kundig zu machen, ob ihrem Verlegungsantrag stattgegeben worden ist (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Beschluss vom 18.01.2011 - B 4 AS 129/10 B -, juris Rn. 7 m.w.N.).

 

Soweit die Klägerin zudem darauf hingewiesen hat, der Termin zu mündlichen Verhandlung sei ihr „zu kurzfristig“ mitgeteilt worden, weist der Senat darauf hin, dass der Klägerin die Terminsmitteilung für den 14.01.2025 am 20.12.2024 und mithin innerhalb der gemäß § 110 Abs. 1 SGG in der Regel einzuhaltenden Ladungsfrist von zwei Wochen zugestellt worden ist.

 

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Feststellungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und 3, 55 Abs. 1 Nr. 356 SGG, gerichtet auf die gerichtliche Aufhebung der Ablehnungsentscheidung in dem Bescheid vom 22.06.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2023 (§ 95 SGG), die behördliche Rücknahme des bestandskräftigen (§ 77 SGG) Bescheides vom 18.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2006 sowie auf die gerichtliche Feststellung der BKen 4301 und 4302 (vgl. zur statthaften Klageart BSG, Urteil vom 16.03.2021 - B 2 U 11/19 R -, juris Rn. 9 m.w.N.) hat keinen Erfolg.

 

1) Soweit die Klägerin die Anerkennung der BK 4301 begehrt, ist die Klage bereits mangels einer nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG erforderlichen anfechtbaren Entscheidung der Beklagten durch Verwaltungsakt unzulässig.

 

Mit dem Bescheid vom 18.01.2006 hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten nach dessen eindeutigen Wortlaut ausschließlich die Anerkennung einer BK 4302 geprüft und abgelehnt. Darauf nimmt auch der angefochtene Überprüfungsbescheid vom 22.06.2023 in seiner Begründung ausdrücklich Bezug („Mit Bescheid vom 18.01.2006 wurde das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Ziffer 4302 der Berufskrankheiten-Liste abgelehnt, weil die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt waren.“). Eine anfechtbare bzw. durch das Gericht überprüfbare Verwaltungsentscheidung im Sinne von § 31 SGB X bezüglich der BK 4301 enthält der Bescheid vom 18.01.2006 ebenso wie der Bescheid vom 22.06.2023 hingegen nicht.

 

2) Soweit die Klägerin die Anerkennung der BK 4302 begehrt ist die Klage unbegründet, da die Klägerin durch den angefochtenen Bescheid vom 22.06.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2023 nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG ist. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 18.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2006 und Anerkennung einer BK 4302.

 

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (§ 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Er kann nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

 

 Die allgemeine Regelung des § 44 Abs. 2 SGB X bildet einen Auffangtatbestand ("im Übrigen") für Fälle, in denen der spezielle § 44 Abs. 1 SGB X – wie hier – nicht anwendbar ist, da der Verwaltungsakt über die Ablehnung der BK 4302 im Ausgangsbescheid vom 18.01.2006 lediglich die Grundlage der in Frage kommenden Sozialleistungen verneint, ohne sie unmittelbar selbst zu regeln, sodass der Anwendungsbereich des § 44 Abs. 1 SGB X nicht eröffnet ist. Etwas anderes gilt nicht deshalb, weil die Beklagte im Ausgangsbescheid vom 18.01.2006 „Entschädigung“ pauschal versagt hat, da diese pauschale Leistungsablehnung keine Regelung darstellt (vgl. insgesamt BSG, Urteil vom 27.09.2023 - B 2 U 13/21 R -, juris Rn. 10 m.w.N.).

 

Ein Verwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn die Behörde das im Erlasszeitpunkt geltende Recht – aus heutiger Sicht ("geläuterte Rechtsauffassung“) unrichtig angewandt hat oder von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist (BSG, Urteil vom 27.09.2023 - B 2 U 13/21 R -, juris Rn. 26 m.w.N.).

 

Der Bescheid vom 18.01.2006 war nicht rechtswidrig.

 

Rechtsgrundlage für die Anerkennung der BK ist § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. der BK Nr. 4302.

 

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog. Listen-BK) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 23 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist für die Feststellung einer Listen-BK (Versicherungsfall) erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit. Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall; vgl. dazu nur BSG, Urteil vom 16.03.2021 - B 2 U 11/19 R -, juris Rn. 12 m.w.N.).

 

Die Feststellung einer BK setzt mithin voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind und dass zum anderen das typische Krankheitsbild dieser BK vorliegt und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist.

 

Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 18.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2006 war die BK 4302 wie folgt bezeichnet: „Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können“. Der in der BK-Bezeichnung enthaltene Unterlassungszwang wurde mit Wirkung vom 01.01.2021 durch das 7. SGB IV ÄndG gestrichen (BGBl. I 2020, Nr. 28, S. 1248, Art. 24 Nr. 3).

 

Vorliegend ist zur Überzeugung des Senats bereits nicht im Vollbeweis nachgewiesen, dass bei der Klägerin das von der BK 4302 geforderte Krankheitsbild einer obstruktiven Atemwegserkrankung vorliegt.

 

Der im Verfahren S 16 U 159/01 gehörte Sachverständige S. hat in seinem nach ambulanter Untersuchung der Klägerin im April 2003 erstellten Gutachten vom 13.05.2003, welches der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, ausgeführt, dass weder eine obstruktive Ventilationsstörung noch eine restriktive Atemwegserkrankung nachweisbar ist. Auch der im anschließenden Berufungsverfahren L 4 U 113/04 gehörte Sachverständige L. konnte in seinem aufgrund ambulanter Untersuchung der Klägerin im Januar 2006 erstellten Gutachten vom 13.01.2006 keinen Hinweis für eine obstruktive Atemwegserkrankung oder eine bronchiale Hyperreaktivität feststellen.

 

Die von der Klägerin nach § 109 SGG benannten Sachverständigen P. und E. haben in ihren Gutachten aus 2004 und 2011 ebenfalls keine obstruktive Atemwegserkrankung diagnostiziert.

 

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den weiteren aktenkundigen medizinischen Befunden.

 

R. hat in seinem Bericht vom 11.07.2000 zwar eine Hyperreagibilität der Atemwege beschrieben, die von ihm durchgeführte Lungenfunktionsprüfung ergab jedoch keine Obstruktion. Auch die Ärztin für Lungen- und Bronchialheilkunde G. konnte lediglich einmalig am 03.03.2000 eine minimale Obstruktion feststellen, wohingegen die am 29.02.2000 und 23.03.2000 erhobenen Befunde unauffällig waren. Das im Auftrag der BfA erstellte Gutachten von X. vom 29.08.2003 ergab keinen Nachweis für eine obstruktive Atemwegserkrankung, ebenso das im Auftrag des Versorgungsamtes O. erstellte Gutachten vom 13.12.2004.

 

Anhaltspunkte dafür, dass zwischenzeitlich neuere medizinische Befunde vorliegen, aus denen sich der erforderliche Nachweis einer obstruktiven Atemwegserkrankung ergibt, sind nicht ersichtlich. Dass solche Befunde vorliegen, wird von der Klägerin auch nicht vorgetragen. Ihr geht es offenbar (vorrangig) um die Anerkennung ihrer (Haut-) Krebserkrankung, die bereits kein von der BK 4302 erfasstes Krankheitsbild darstellt.

 

Darüber hinaus hat sich die Klägerin zuletzt im Verfahren L 17 U 617/18 trotz mehrfacher Aufforderung geweigert, ihre behandelnden Ärzte zu benennen und diese von der Schweigepflicht zu entbinden, so dass weitere medizinische Ermittlungen nicht erfolgen konnten.

 

Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin bereits seit Januar 2003 nicht mehr erwerbstätig ist. Sollte zukünftig die Diagnose einer obstruktiven Atemwegserkrankung gestellt werden, dürfte ein kausaler Zusammenhang dieser Erkrankung mit beruflichen Einwirkungen jedenfalls zweifelhaft sein.

 

Darüber hinaus lässt sich zur Überzeugung des Senats auch nicht im Sinne des Vollbeweises feststellen, dass die Klägerin entsprechenden Einwirkungen im Sinne der BK 4302 ausgesetzt war und somit die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind.

 

Chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe kommen in Form von Gasen, Dämpfen, Stäuben oder Rauchen an vielen Arbeitsplätzen vor. Die irritative oder toxische Wirkung hängt von ihrer chemischen Struktur, der Zusammensetzung und ihren chemisch-physikalischen Eigenschaften ab. Zur Beurteilung des Gefahrstoffpotenzials können die MAK-Wert-Begründungen und die Einstufung des Stoffes nach dem Chemikaliengesetz im Hinblick auf die R- und S-Sätze herangezogen werden. Bei chemischen Stoffen kann dem jeweiligen Sicherheitsdatenblatt entnommen werden, ob es sich um einen kennzeichnungspflichtigen Arbeitsstoff handelt, welcher die Atmungsorgane reizen kann (Kennzeichnung: R 37 = Reizt die Atmungsorgane). Viele Gefahrstoffe mit sensibilisierender und/oder chemisch-irritativer bzw. toxischer Wirkung sind im Anhang I der EG-Richtlinie 67/548/EWG einschließlich der Anpassungs- und Änderungsrichtlinien mit den entsprechenden R-Sätzen gekennzeichnet. Ergänzende Hinweise zu sensibilisierenden Stoffen finden sich in der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 907 (Technische Regel für Gefahrstoffe 907, Verzeichnis sensibilisierender Stoffe, http://www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Gefahrstoffe/TRGS/TRGS-907.html). Diese enthält ein Verzeichnis von Stoffen und Tätigkeiten, bei denen davon auszugehen ist, dass sie nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen als sensibilisierend gemäß den Kriterien der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) in Verbindung mit Anhang VI der Richtlinie 67/548/EWG (Stoffrichtlinie), der Richtlinie 1999/45/EG (Zubereitungsrichtlinie) sowie der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP-Verordnung) einzuordnen sind. Die GESTIS-Stoffdatenbank der DGUV (http://www.dguv.de/ifa/de/gestis/stoffdb/index.jsp) enthält Informationen zu etwa 7.000 chemischen Stoffen. Für die Beurteilung chemisch-irritativer Belastungen müssen der konkrete Stoff sowie die Höhe der Exposition anhand konkreter Messergebnisse bzw. anhand von Schätzungen bestimmt werden (vgl. zum Ganzen Mehrtens/Brandenburg, Kommentar zur BKV, Lfg. 2/21, M 4301/4302, S. 21; Römer in: Hauck/Noftz SGB VII, BK-Nr. 43, 2. Ergänzungslfg. 2023 Rn. 9; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Aufl. 2024, S. 1204).

 

Die Präventionsabteilung der Beklagten hat in ihrer Stellungnahme vom 08.12.2023 unter Berücksichtigung der Pilotstudie des BfR, des toxikologischen Projekts des Berufsgenossenschaftlichen Forschungsinstituts für Arbeitsmedizin im Auftrag der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft von 2006 sowie der IFA-Forschungsprojekte FF-FP O294A, FF-FP O0294B und IFA 3133 und der Ergebnisse der Arbeitsplatzbegehung im Mai 2001 für den Senat überzeugend ausgeführt, dass sich auf Basis der vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie der Arbeitsplatzmessungen und toxikologischen Auswertungen kein Hinweis darauf ergibt, dass der Kontakt zu Druckgeräten und ihren Emissionen am Arbeitsplatz eine gesundheitliche Relevanz hat.

 

Die Ausführungen der Präventionsabteilung entsprechen auch dem bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wie er sich insbesondere aus den Veröffentlichungen des BfR vom 31.03.2008 und der Gefährdungsbeschreibung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) aus Juli 2015 ergibt. Danach existieren keine Hinweise darauf, dass die Exposition mit Toner- und Druckerstaub eine Einwirkung im Sinne der BK 4302 darstellt, die zu entsprechenden obstruktiven Atemwegsbeschwerden führen kann. In Übereinstimmung damit hat auch die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 15.10.2020 auf die Anfrage von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE (BT-Drs. 19/23457) darauf hingewiesen, dass sich das BfR, die BAuA, die BAM und das Umweltbundesamt (UBA) intensiv mit der Thematik von Emissionen aus Laserdruckern befasst haben und zum Ergebnis gekommen sind, dass Laserdrucker keine spezifische Gesundheitsgefahr darstellen.

 

Die Klägerin hat weder substantiiert vorgetragen noch nachgewiesen, dass die Ausführungen der Präventionsabteilung unzutreffend sind. Es reicht nicht aus, wenn die Klägerin die Richtigkeit der Ausführungen des Präventionsdienstes lediglich bestreitet und rein pauschal Gegenteiliges behauptet. Das weitere Vorbringen der Klägerin beschränkt sich im Wesentlichen auf Versuche, wissenschaftliche Einschätzungen in Zweifel zu ziehen. Dabei beruft sie sich auf eine Vielzahl von Darlegungen wie Zeitungsartikel oder Einschätzungen von „nano-Control“ - einer Stiftung, die u.a. die angebliche Gefährdung der Innenraumluft in Büros durch Nanopartikel und Schadstoffe aus Laserdruckern und Kopierern bekämpft (vgl. www.XXX-XXX.XXX) - sowie der „Interessengemeinschaft Tonergeschädigter“. Diese Meinungsäußerungen setzen sich mit den vorstehend aufgeführten Erkenntnissen nicht hinreichend auseinander und geben nicht den aktuellen Stand der Wissenschaft wieder.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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