- Wegen § 6b AsylbLG findet der sozialrechtliche Herstellungsanspruch Anwendung, soweit die örtlich unzuständige Behörde einen Asylbewerberleistungsfall entgegen § 16 Abs. 2 SGB I nicht an die nach § 10a AsylbLG örtlich zuständige Behörde weiterleitet und diese dem Asylbewerber in Unkenntnis des Leistungsfalls existenzsichernde Leistungen nur mit Verzögerung und Rückwirkung gewähren kann.
- Wegen der Subsidiarität der Verurteilung der Beigeladenen kann ein Bescheidungsurteil nach § 88 Abs. 1 SGG i.V.m. § 75 Abs. 5 SGG nur ergehen, wenn das Gericht zugleich eine Untätigkeitsklage der Klägerin gegen die Beklagte abweist.
- Eine Änderung der Rechtsverfolgung gegenüber der Beigeladenen nach § 75 Abs. 5 SGG ist nicht in Analogie zu § 99 SGG zulässig.
Tenor: |
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Tatbestand und Entscheidungsgründe: |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Analogleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bereits vor dem 10.11.2022.
Ein deutscher Dr. der Kardiologe verpflichtete sich am 11.08.2017 die Kosten für den Lebensunterhalt der 1995 geborenen Klägerin syrischer Staatsangehörigkeit zu tragen. Diese erhielt ein Visum zum Studium und reiste am 06.02.2018 nach Deutschland ein. Hier war sie bis 2022 an der Universität des Saarlandes immatrikuliert.
Vor dem Ablauf ihrer bis zum 22.06.2022 befristeten Aufenthaltserlaubnis zog sie nach Kaiserslautern und war dort erwerbslos. Sie beantragte am 23.03.2022 Asyl. Die dortige Ausländerbehörde erteilte ihr am 29.06.2022 eine Wohnsitzauflage für den Stadtbereich Kaiserslautern sowie eine Aufenthaltsgestattung für die Durchführung des Asylverfahrens. Zudem wurde sie nach dem Asylgesetz oder Aufenthaltsgesetz in den örtlichen Bereich des Stadtgebiets Kaiserslautern verteilt bzw. zugewiesen.
Am 13.07.2022 erörterte Kaiserslauterns Ausländerbehörde den Fall der Klägerin mit dem für die Gewährung von Asylbewerberleistungen zuständigen Dezernat für Soziales der Stadt Kaiserslautern telefonisch. Mit einer hierauf Bezug nehmenden E-Mail vom selben Tag überließ die Ausländerbehörde der Asylbewerberleistungsbehörde Unterlagen betreffend die Klägerin und wies ausdrücklich darauf hin, dass die zugunsten der Klägerin am 11.08.2017 abgegebene Verpflichtungserklärung nur noch einen Monat lang gültig sei. Die Asylbewerberleistungsbehörde der Stadt Kaiserslautern blieb zunächst untätig. Nach den späteren Angaben der Klägerin gegenüber dem Gericht gewährte es keine existenzsichernden Leistungen, weil die Stadtverwaltung Kaiserlautern der ihr gegenüber geäußerten Rechtsvorstellung unterlag, ein Antrag auf Asylbewerberleistungen dürfe erst gestellt werden, nachdem eine behördliche Entscheidung über das von der Klägerin studienbedingt Begehren nach einer Umverteilung in das Stadtgebiet Karlsruhe vorliege.
Am 01.08.2022 erteilte das Karlsruher Institut für Technologie der Klägerin eine Zulassung für ein Studium im Stadtgebiet der später Beklagten. In ihrer hier ab dem 01.08.2022 angemieteten Wohnung hielt sich die Klägerin seither (bis 30.04.2025) gewöhnlich auf. Am 18.08.2022 stellte sie einen förmlichen Umverteilungsantrag von Kaiserslautern nach Karlsruhe. Am 22.08.2022 beantragte die Klägerin beim Studierendenwerk Karlsruhe BAföG. Dieses leitete den Antrag nicht an die in Angelegenheiten des AsylbLG zuständige Behörden weiter und lehnte am 30.11.2022 die Bewilligung von BAföG ob des Asylverfahrens ab.
Leistungen nach dem AsylbLG beantragte die Klägerin erst am 17.10.2022 und zunächst bei der Stadt Kaiserslautern. Diese lehnte ihren Antrag vom 17.10.2022 durch Bescheid vom 07.11.2022 mit der Begründung ab, ihre örtliche Zuständigkeit sei wegen des Aufenthalts in Karlsruhe nicht mehr gegeben. Hiergegen legte die Klägerin keine Rechtsbehelfe ein. Allerdings sprach die Klägerin am 10.11.2022 bei der für Asylbewerberleistungen im Stadtgebiet der Beklagten zuständigen Anlaufstelle persönlich vor. Zudem erinnerte sie verschiedentlich an ihren Umverteilungsantrag vom 18.08.2022. Dass diesem entsprochen werde, wurde ihr am 22.11.2022 mitgeteilt. Deshalb gewährte die Beklagte ihr durch Bewilligungsbescheid vom 16.12.2022 in der Gestalt des Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheides vom 23.01.2025 Asylbewerberleistungen. Als Leistungsbeginn setzte die Beklagte dabei erst den Tag der diesbezüglichen persönlichen Vorsprache bei sich (d.h. den 10.11.2022) fest.
Weil die Klägerin Asylbewerberleistungen auch für den Zeitraum vom 01.08.2022 bis zum 09.11.2022 begehrt, hat sie am 06.02.2023 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt und diesen nach der Beiordnung am 05.04.2023 (nur) den nachfolgenden Klageantrag ankündigen lassen:
„Die Beklagte wird unter Abänderung des Verwaltungsakts vom 16.12.2022 in der Gestalt des Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheids vom 23.01.2023, Az. 500.1000 / GAP 3 verurteilt, der Klägerin Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bereits ab dem 01.08.2022 entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.“
Diesen Klageantrag hat sie am 05.04.2023 fachkundig begründen lassen mit den Grundsätzen zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, mit der unterlassenen Weiterleitung des in Kaiserslautern schon am 17.10.2022 gestellten Leistungsantrags sowie einer ihren Angaben zufolge fehlerhaften mündlichen Auskunft der Ausländerbehörde der Stadt Kaiserslautern vom 29.06.2022, wonach sie vor der Beantragung von Asylbewerberleistungen erst eine Umverteilungsentscheidung nach Karlsruhe abwarten müsse. Unter diesem Gesichtspunkt hat die Klägerin in der Klagebegründung vom 05.04.2023 auch die Beiladung der Stadt Kaiserslautern, Referat Soziales, als ursprünglich zuständige Sozialbehörde ab August 2022 förmlich beantragt.
Diesem Beiladungsantrag hat das das Gericht am 02.05.2023 gemäß § 75 Abs. 1 SGG entsprochen. Es hat die Klägerin auf die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung hingewiesen. Daraufhin hat ihr Bevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, seine Klagebegründung vom 05.04.2023 sei als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB I wegen der Leistungsablehnung seitens der Beigeladenen durch Bescheid vom 07.11.2022 auszulegen. Im Namen der Klägerin hat er den in der Klagebegründung vom 05.04.2023 angekündigten Klageantrag gestellt und zusätzlich beantragt:
Die Beigeladene wird verurteilt, den Überprüfungsantrag vom 05.04.2023 wegen ihres Ablehnungsbescheides vom 07.11.2022 zu bescheiden.
Die Beigeladene war vom Gericht mit der Terminbestimmung darauf hingewiesen worden, dass im Falle ihres Ausbleibens in der Verhandlung entschieden werden könne. Dennoch hat sie zur Verhandlung einen Beschäftigten ohne (General- oder Termin-) Vollmacht entsandt. Dieser hat erklärt, die Beigeladene wolle keinen Sachantrag stellen und nicht in eine Entscheidung über das Untätigkeitsbegehren einwilligen.
Die ordnungsgemäß vertretene Beklagte hat sich weder zum Untätigkeitsbegehren eingelassen noch in dessen Geltendmachung eingewilligt und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch liege nicht vor. Er greife im Asylbewerberleistungsrecht im Falle einer unterbliebenen Antragsweiterleitung nach § 16 Abs. 2 SGB I nicht, da ein Asylbewerberleistungsantrag schon nicht erforderlich sei, weil das Kenntnisnahmeprinzip aus § 18 SGB XII über § 6b AsylbLG Anwendung finde.
Wegen des weiteren Sachverhalts und Vorbringens wird auf die Akten des Gerichts, der Beklagten, der Beigeladenen und der beiden Ausländerbehörden der Städte Karlsruhe und Kaiserslautern verwiesen.
Entscheidungsgründe
1. Das Gericht kann gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG entscheiden, obschon die Beigeladene zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist.
Nicht erschienen ist die Beigeladene, weil sie am 06.05.2025 einen Beschäftigten entsandt hat, ohne ihm eine (General- oder Termin-) Vollmacht i.S.v. § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGG zu erteilen.
Indes war die Beigeladene vom Gericht mit der Terminbestimmung vom 07.04.2025 ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle ihres Ausbleibens in der mündlichen Verhandlung vom 06.05.2025 entschieden werden könne.
2. Aufgrund der Klage S 12 AY 295/23 ist die Beklagte nicht antragsgemäß zu verurteilen.
Die Klägerin kann nicht beanspruchen, dass die Beklagte unter Abänderung des Verwaltungsakts vom 16.12.2022 in der Gestalt des Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheids vom 23.01.2023 durch das Gericht verurteilet wird, der Klägerin Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bereits ab dem 01.08.2022 und bis einschließlich 09.11.2022 entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes zu gewähren.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten verletzen nämlich keine klägereigenen Rechte. Die Beklagte durfte eine Leistungsgewährung nicht nur bis einschließlich 09.11.2022 ablehnen, sondern sogar darüber hinaus bis 21.11.2022. Einen früheren Beginn der Leistung als bewilligt kann die Klägerin nicht mit Erfolg klageweise geltend machen. Die Grundsätze der sozialrechtlichen Herstellung kann die Klägerin gegen die Beklagte für den Zeitraum vor dem 10.11.2022 nicht bemühen.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist eine von der Rechtsprechung entwickelte und inzwischen von der herrschenden Meinung anerkannte Rechtsfigur. Wird ein Versicherter oder ein in einem sonstigen Sozialrechtsverhältnis Stehender aufgrund der Verletzung einer aus dem Sozialrechtsverhältnis folgenden Pflicht – insbesondere bei pflichtwidrig unterlassener oder mangelhafter Beratung oder Auskunft – durch einen Sozialleistungsträger zu Dispositionen in Bezug auf das Sozialrechtsverhältnis veranlasst, die seine Ansprüche verkürzen oder seine Lasten erhöhen, so hat er gegen den zuständigen Leistungsträger einen Anspruch auf Herstellung des Zustands, der bestehen würde, wenn der Beratungs- oder Aufklärungsfehler unterblieben wäre. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt mithin auf der Tatbestandsseite voraus, dass der Sozialleistungsträger eine ihm entweder aufgrund Gesetzes oder aufgrund eines bestehenden Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten gegenüber obliegende Pflicht insbesondere zur Auskunft und Beratung sowie zu einer dem konkreten Anlass entsprechenden „verständnisvollen Förderung“ verletzt und dadurch dem Versicherten einen rechtlichen Nachteil zugefügt hat. Auf der Rechtsfolgenseite ist der Herstellungsanspruch auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung derjenigen Rechtsfolge gerichtet, die eingetreten wäre, wenn der Versicherungsträger die ihm gegenüber dem Versicherten obliegenden Pflichten ordnungsgemäß erfüllt hätte. Die als Naturalrestitution begehrte behördliche Handlung oder Gestaltung muss aber nach dem jeweiligen sachlichen Recht zulässig sein (Dürig/Herzog/Scholz/Papier/Shirvani, 106. EL Oktober 2024, GG Art. 34 Rn. 69, beck-online).
Das Recht der Beklagten, eine sozialrechtliche Herstellung abzulehnen, folgt im Verfahren S 12 AY 295/23 nicht daraus, dass im Asylbewerberleistungsrecht im Falle einer entgegen § 16 Abs. 2 SGB I unterlassenen Weiterleitung eines Leistungsfalls der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nie greifen würde.
Es ist obergerichtlich geklärt, dass die sozialrechtliche Herstellung nicht nur bei Leistungen auf Antrag greift, sondern auch, wenn die Leistungen ab Kenntnis der Behörde im Sinne des § 18 SGB XII zu erbringen sind (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 29. April 2010 – B 9 VS 2/09 R –, SozR 4-3200 § 88 Nr 4, Rn. 50). Wegen § 6b AsylbLG findet der sozialrechtliche Herstellungsanspruch Anwendung, soweit die örtlich unzuständige Behörde einen Asylbewerberleistungsfall entgegen § 16 Abs. 2 SGB I nicht an die nach § 10a AsylbLG örtlich zuständige Behörde weiterleitet und diese dem Asylbewerber in Unkenntnis des Leistungsfalls existenzsichernde Leistungen nur mit Verzögerung und Rückwirkung gewähren kann.
Allerdings lag hier kein Fall einer unrechtmäßig an die Beklagte unterlassenen Weiterleitung des Leistungsfalls der Klägerin vor. Die Beklagte war für die Erbringung von Asylbewerberleistungen an die Klägerin nach dem AsylbLG nicht örtlich zuständig bis zum 21.11.2022. Hierfür war bis dahin noch die Asylbewerberleistungsbehörde Kaiserslauterns bzw. die Beigeladene örtlich zuständig. Deshalb hätte es jeweils keiner Weiterleitung des Leistungsfalls des Klägers an die Beklagte gemäß § 16 Abs. 2 SGB I bedurft anlässlich:
Solange die Klägerin aus aufenthalts- bzw. asylrechtlichen Gründen im Stadtgebiet der Beigeladenen wohnen und sich dort aufhalten musste, ging die örtliche Leistungszuständigkeit der Beigeladenen gemäß § 10a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylbLG der bloßen Auffangzuständigkeit der Beklagten am tatsächlichen Aufenthaltsort nach § 10a Abs. 1 Satz 3 AsylbLG vor. Anstatt die Leistungsbewilligung mit der fehlerhaften Begründung abzulehnen, sie wäre örtlich unzuständig, hätte die Beigeladene der Klägerin deshalb am 07.11.2022 Asylbewerberleistungen für die Zeit ab dem 01.08.2022 gewähren müssen.
Eben dies steht dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten entgegen. Denn dem ihrerseits von der Beklagten im Wege der Naturalrestitution begehrte Gestaltung nach dem AsylbLG wäre materiell-rechtlich unzulässig ob der örtlichen Zuständigkeit der Beigeladenen bis 21.11.2022 gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 AsylbLG.
§ 11 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG zufolge darf Leistungsberechtigten in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie sich einer asyl- oder ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung zuwider aufhalten, von der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Bedarfs für die Reise zu ihrem rechtmäßigen Aufenthaltsort gewährt werden. Leistungsberechtigten darf in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie entgegen einer Wohnsitzauflage ihren gewöhnlichen Aufenthalt nehmen, von der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Bedarfs für die Reise zu dem Ort gewährt werden, an dem sie entsprechend der Wohnsitzauflage ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen haben (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG).
Gemessen hieran war die Beklagte vor der Bekanntgabe vom 22.11.2022 der stattgebenden Entscheidung vom 16.11.2022 über den Umverteilungsantrag vom 18.08.2022 nicht berechtigt, der Klägerin etwas anderes zu gewähren als eine – hier nicht streitbefangene – Reisebeihilfe für eine Reise in das Stadtgebiet der Beigeladenen. Denn die Klägerin hielt sich zuvor im Stadtgebiet der Beklagten sowohl wider ihrer asyl- oder ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung als auch wider ihre Wohnsitzauflage auf. Sie war nämlich für die Durchführung des Asylverfahrens nach dem Asylgesetz oder Aufenthaltsgesetz in den örtlichen Bereich des Stadtgebiets der Beigeladenen verteilt bzw. dorthin zugewiesen worden, als ihr die dortige Ausländerbehörde am 29.06.2022 eine Aufenthaltsgestattung für die Durchführung des Asylverfahrens sowie eine Wohnsitzauflage für denselben Stadtbereich erteilt wurde, nachdem sie am 23.03.2022 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Asyl beantragt hatte.
3.) Das angerufene Gericht lehnt es anlässlich der Abweisung der Klage S 12 AY 295/23 auch ab, anstelle der Beklagten die Beigeladene gemäß § 75 Abs. 5 SGG zu verurteilen, der Klägerin Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bereits ab dem 01.08.2022 und bis einschließlich 09.11.2022 entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes zu gewähren.
Nach § 75 Abs. 5 SGG kann zwar (unter anderem) in Angelegenheiten des Asylbewerberleistungsrechts ein Träger nach seiner Beiladung verurteilt werden.
Diese Vorschrift gibt den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit aus prozessökonomischen Gründen aber nur die Befugnis, in Fällen, in denen der Kläger einen nicht passiv legitimierten Leistungsträger verklagt, den in Wirklichkeit passiv legitimierten, aber nicht verklagten Leistungsträger nach Beiladung zu verurteilen, um einen neuen Rechtsstreit und damit auch die Möglichkeit sich praktisch widersprechender Urteile verschieden besetzter Spruchkörper zu vermeiden. Demnach kommt eine Verurteilung der Beigeladenen nur subsidiär in Betracht. Sie darf erst stattfinden, soweit die Klage gegen den ursprünglich Beklagten keinen Erfolg hat. Zudem muss es sich um Ansprüche handeln, die sich gegenseitig ausschließen, also nicht nebeneinander bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010 – B 9 VS 2/09 R –, SozR 4-3200 § 88 Nr 4, Rn. 48).
Gemessen hieran sind hinsichtlich des (sog. „unechten“) Leistungsbegehrens die Voraussetzungen für eine Verurteilung der Beigeladenen nach § 75 Abs. 5 SGG nicht gegeben.
Bei den Leistungsansprüchen der Klägerin nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gegen die Beigeladene und den Leistungsansprüchen der Klägerin gegen die Beklagte handelt es sich gerade nicht um Leistungsansprüche, die sich gegenseitig ausschließen.
Vielmehr können diese Ansprüche jeweils ohne Weiteres rechtlich nebeneinander bestehen, weil sie die unterschiedlichen Leistungszeiträume vor bzw. nach der Bekanntgabe der Entscheidung über den Umverteilungsantrag am 22.11.2022 betreffen (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010 – B 9 VS 2/09 R –, SozR 4-3200 § 88 Nr 4, Rn. 50). Zudem steht einer Verurteilung der Beigeladenen ohnehin die Bestandskraft aus § 77 SGG des Ablehnungsbescheids vom 07.11.2022 entgegen.
4.) Die Beigeladene ist auch nicht zur Bescheidung eines „Überprüfungsantrags“ vom 05.04.2023 wegen ihres Ablehnungsbescheides vom 07.11.2022 zu verurteilen.
Auch insofern kommt eine Verurteilung der Beigeladenen gemäß § 75 Abs. 5 SGG nicht in Betracht, weil sich die gegenüber der Beklagten und der Beigeladenen geltend gemachten Ansprüche nicht wechselseitig ausschließen.
Wegen der Subsidiarität der Verurteilung der Beigeladenen kann ein Bescheidungsurteil nach § 88 Abs. 1 SGG i.V.m. § 75 Abs. 5 SGG nur ergehen, wenn das Gericht zugleich eine Untätigkeitsklage der Klägerin gegen die Beklagte abweist.
Hier begehrt die Klägerin mit ihrer Klage keinen Rechtsschutz wegen der Untätigkeit der Beklagten. Eine solche hat sie bis zuletzt weder schriftlich noch mündlich moniert. Sie hat dies weder durch die von ihr fachkundig gestellten Anträge noch durch ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung nachgeholt. Die mit ihrer Klage gegen die Beklagte geltend gemachten Asylbewerberleistungsansprüche können aber ohne Weiteres neben dem gegenüber der Beigeladenen erhobenen Bescheidungsanspruch wegen der Überprüfung der Leistungsablehnung vom 07.11.2022 bestehen.
In Bezug auf den gegen die Beigeladene geltend gemachten Anspruch auf Bescheidung des „Überprüfungsantrags“ vom 05.04.2023 wegen des Ablehnungsbescheides vom 07.11.2022 liegen die Sachurteilsvoraussetzungen auch unter Berücksichtigung des prozessualen Gestaltungsrechts der Klägerin nicht vor, einen von ihr beim Sozialgericht einmal angebrachten Rechtsbehelf gemäß § 99 Abs. 1 SGG zu ändern.
§ 99 Abs. 1 SGG lässt seinem Wortlaut zufolge nur die „Änderung der Klage“ zu, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.
Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben.
Erstens liegt keine „Änderung der Klage“ vor. Eine solche wird von einer Klägerin nicht begehrt, wenn sie die fehlenden Prozessvoraussetzungen für eine Verurteilung der Beigeladenen nach § 75 Abs. 5 SGG zum Anlass nimmt, einen bislang nicht streitbefangenen Bescheidungsanspruch gegen die Beigeladene geltend zu machen.
Das Prozessverhalten der Klägerin ist nicht statthaft. Eine Änderung der Rechtsverfolgung gegenüber der Beigeladenen nach § 75 Abs. 5 SGG ist nicht in Analogie zu § 99 SGG zulässig.
Die von der Klägerin begehrte Prozessgestaltung gegenüber der Beigeladenen ist von der Prozessrechtsordnung nicht vorgesehen. Diese Regelungslücke ist nicht planwidrig. Sie ist vom Gesetzgeber gewollt. Durch die von der Klägerin begehrte Änderung der Rechtsverfolgung würden die von der Rechtsprechung entwickelten und allgemein anerkannten Voraussetzungen der restriktiv auszulegenden Ausnahmevorschrift des § 75 Abs. 5 SGG unterlaufen (s. o.). Die Regelungslücke für das Prozessgestaltungsbegehren der Klägerin ist auch verfassungslegitim. Die Rechtsordnung trägt dem Justizgewährleistungsanspruch der Klägerin wegen des Begehrens nach einem Bescheidungsurteil in § 88 SGG hinreichend Rechnung. Die Klägerin könnte Untätigkeitsklage gegen die Beigeladene erheben, wenn in ihrer Klagebegründung vom 05.04.2025 ein „Überprüfungsantrag“ wegen des Bescheides vom 07.11.2022 zu erblicken wäre, obschon dieses Schreiben nicht an die Behörde gerichtet war, sondern an das Gericht (vgl. hierzu: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Februar 2020 – L 3 U 3673/19 –, Rn. 26, juris).
Ungeachtet dessen haben die übrigen Beteiligten nicht ausdrücklich in die hier begehrte Änderung der Rechtsverfolgung eingewilligt und sich auf sie auch nicht – im Sinne des § 99 Abs. 2 SGG – eingelassen. Dies wäre seitens des vollmachtlosen Vertreters der Beigeladenen prozessrechtlich überdies auch unwirksam gewesen.
5.) Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus dem Unterliegen der Klägerin in der Sache und dem Umstand, dass die Beigeladene keinen Sachantrag gestellt hat.
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