L 11 R 471/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 2453/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 471/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 27.01.2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Streitig ist die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung über den 31.03.2021 hinaus.

Der 1976 geborene Kläger ist gelernter KfZ-Mechaniker und arbeitete in diesem Beruf bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit im Juli 2014. Im Anschluss bezog er zunächst Krankengeld sowie ab Januar 2016 Arbeitslosengeld I. Wegen einer Minderbelastbarkeit bei Ulna Minusvariante beider Handgelenke mit Sekundärverschleißveränderungen der Handwurzel in Form einer Gelenkspalterweiterung zwischen Kahn- und Mondbein (vgl. Gutachten des R1 vom 29.03.2017, weitere Gutachten vom 26.03.2018 und vom 21.02.2019) gewährte die Beklagte dem Kläger auf seinen entsprechenden Antrag hin ab dem 01.07.2017 bis zum 31.03.2021 Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheide vom 10.05.2017, vom 22.03.2018, vom 02.05.2018 und vom 26.02.2019). Nach dem 31.03.2021 weist der Versicherungsverlauf des Klägers erst ab 01.05.2023 wieder Einträge auf (Bezug von Arbeitslosengeld II/Bürgergeld).

Am 17.11.2020 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte beauftragte daraufhin die Z1 mit der Erstellung eines neuen Gutachtens. Diese kam in ihrem Gutachten vom 23.02.2021 aufgrund einer Untersuchung am 19.02.2021 bei Beachtung näher aufgeführter qualitativer Leistungseinschränkungen zu dem Ergebnis eines arbeitstäglichen Leistungsvermögens von mehr als sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Mit Bescheid vom 26.02.2021 lehnte die Beklagte unter Bezugnahme auf dieses Gutachten die Weitergewährung der begehrten Rente mit Bescheid vom 26.02.2021 ab und wies den hiergegen vom Kläger am 11.03.2021 erhobenen Widerspruch nach Einholung sozialmedizinischer Stellungnahmen der Z1 und der D1 mit Widerspruchsbescheid vom 04.10.2021 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 15.10.2021 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und vorgetragen, die Beklagte habe seine Leiden nicht ausreichend berücksichtigt. Er habe durch die Beklagte seit dem 01.07.2017 auf der Grundlage eines Versicherungsfalls vom 27.12.2016 eine volle Erwerbsminderungsrente erhalten und nachdem nachweislich keine Änderung der gesundheitlichen Situation eingetreten sei, sei die Ablehnung der Weitergewährung der vollen Erwerbsminderungsrente nicht zu begründen. Es sei eher festzustellen, dass sich eine verschlechternde Gesundheitssituation aufgrund der psychosomatischen Belastung durch die eingetretenen Rechtsstreitigkeiten um die sozialen Leistungen ergeben habe.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Der R2 hat in seinem Schreiben vom 16.11.2021 dargelegt, der Kläger sei bei ihm seit April 2021 u.a. wegen eines links betonten Zitterns sowie einer Taubheit beider Hände, innerer Unruhe, Nervosität und Gelenkschmerzen in Behandlung, später seien kurze Zuckungen des Kopfes und der Extremitäten zu beobachten gewesen.  Eine leichte Tätigkeit sei bei Beachtung näher aufgeführter qualitativer Einschränkungen noch möglich. Im Bericht vom 22.11.2021 hat der L1 ausgeführt, der Kläger habe u.a. einen Tremor der Hände mehr links als rechts beklagt. Die Frage nach der beruflichen Leistungsfähigkeit könne er nicht beantworten.

Im Anschluss hat das SG den N1 mit der Erstellung eines Gutachtens betraut. Dieser hat den Kläger am 09.09.2022 ambulant untersucht und begutachtet und in seinem Gutachten vom 12.09.2022 folgende Diagnosen gestellt:
1. Ätiologisch unklare myokloniforme Bewegungsstörungen des Kopfes und der linken oberen Extremität
2. Mögliche Somatisierungsstörung
3. Zustand nach Karpaltunneloperation bds.
4. Degeneratives Lumbovertebralsyndrom ohne Wurzelreiz- oder -ausfallsymptome
5. Axonale Polyneuropathie unklarer Ursache
6. Leichte depressive Episode
7. Migräne
Aus neurologischer Sicht sei der Kläger in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten mit einfachen Ansprüchen an die geistige und psychische Belastbarkeit, ohne besondere Beanspruchung beider Hände sowie ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten bzw. unter Absturzbedingungen sechs Stunden täglich und mehr zu verrichten.

Der Kläger hat daraufhin ein Attest des L1 vom 08.07.2022 zu den Akten gegeben, wonach er keine Tätigkeit mehr von mehr als drei Stunden täglich ausüben könne.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.01.2023 hat das SG die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) lägen nicht vor, da der Kläger ab dem 01.04.2021 auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt über ein arbeitstägliches Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche verfüge, wobei es bei der vorliegend begehrten Weitergewährung nicht auf eine Änderung des Gesundheitszustands beispielsweise im Sinne des § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ankomme. Der Kläger leide unter ätiologisch unklaren myokloniformen Bewegungsstörungen des Kopfes und der linken oberen Extremität, einer möglichen Somatisierungsstörung, dem Zustand nach Karpaltunneloperation beidseitig, mäßigen Bewegungs- und Belastungsdefiziten beider Handgelenke bei beginnendem degenerativen Verschleiß der Handwurzel mit mäßigen funktionellen Einschränkungen nebst beginnender Verschleißänderungen der Daumensattelgelenke beidseitig ohne relevante funktionelle Einschränkungen, einem degenerativen Lumbovertebralsyndrom ohne Wurzelreiz- oder -ausfallsymptome, einer axonalen Polyneuropathie unklarer Ursache, einem leichten Bewegungs- und Belastungsdefizit beider Knie bei Schmerzsyndrom rund um die Patella, bei femuropatellarer Dysbalance links stärker als rechts ohne relevante funktionelle Einschränkungen, einer leichten depressiven Episode und Migräne. Die Beeinträchtigungen führten dabei nur zu Einschränkungen des Leistungsvermögens des Klägers in qualitativer, nicht jedoch in quantitativer Hinsicht. Hiervon sei das Gericht aufgrund der überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen N1 und im Weiteren im Wege des Urkundenbeweises der Sachverständigen Z1 überzeugt. Denn der Kläger könne noch täglich mindestens sechs Stunden leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung überwiegend im Stehen, Gehen und Sitzen mit einfachen Ansprüchen an die geistige und psychische Belastbarkeit, die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit sowie geistige Flexibilität ausüben. Nicht leidensgerecht seien Tätigkeiten mit besonderer Beanspruchung beider Hände und der Fingerfeinmotorik, Heben und Tragen schwerer Gegenstände, auf Leitern und Gerüsten bzw. unter Absturzbedingungen, mit häufigem Klettern und Steigen, häufigem Knien und Bücken, häufigen Oberkopfarbeiten, besonderer Belastung durch Kälte, besonderer Beanspruchung durch Erschütterungen und Vibrationen sowie besonderer Beanspruchung des Hörvermögens. Überzeugend sei vor diesem Hintergrund auch, dass eine rentenrelevante Minderung der Wegefähigkeit nicht festzustellen sei. Den Beeinträchtigungen könne demnach hinreichend durch qualitative Leistungseinschränkungen Rechnung getragen werden. Mithin habe gutachtlich nicht nur der Sachverständige N1, sondern im Übrigen auch die Sachverständige Z1 eine rentenrelevante quantitative Leistungsminderung des Klägers nachvollziehbar nicht feststellen können. Gestützt werde das vorliegende Ergebnis überdies durch die sachverständige Zeugenauskunft des R2, der lediglich qualitative Leistungseinschränkungen zu entnehmen seien. So sei danach grundsätzlich eine leichte Tätigkeit ohne Schicht- oder Akkordarbeit, ohne Zeitdruck, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie ohne Anforderung an die Feinmotorik noch möglich und sollten Tätigkeiten mit Publikumsverkehr sowie hoher Stressbelastung gemieden werden. Auch insofern bestünden somit lediglich qualitative und keine quantitativen rentenrelevanten Leistungseinschränkungen. Im Weiteren habe der L2 im Wesentlichen mitgeteilt, dass die Frage nach dem arbeitstäglichen Leistungsvermögen arbeitsmedizinischer Fachkenntnis bedürfe und von ihm daher nicht in ausreichender Qualität beantwortet werden könne, und verweise er hinsichtlich eines Tremors auf den behandelnden R2, der wiederum wie zuvor gezeigt, lediglich qualitative Leistungseinschränkungen mitgeteilt habe. Vor diesem Hintergrund sei auch die Behauptung des L1 in seinem vom Kläger vorgelegten Attest vom 08.07.2022, dass eine Belastbarkeit über einen Zeitraum von mehr als drei Stunden pro Tag nicht möglich erscheine - abgesehen davon, dass hiernach allenfalls eine teilweise Erwerbsminderung gegeben wäre -, nicht nachvollziehbar und vermöge das Gericht nicht von einem anderen Ergebnis zu überzeugen. Letztlich seien auch diesem Attest wie bereits seiner Auskunft keine gutachterlich überzeugend objektivierbaren eine rentenrelevante quantitative Leistungsminderung stützenden Befunde zu entnehmen, denen nicht hinreichend durch qualitative Leistungseinschränkungen Rechnung getragen werden könne. Da der Kläger nicht vor dem 02.01.1961 geboren sei, scheide im Übrigen bereits deshalb auch ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI aus.

Hiergegen hat der Kläger am 13.02.2023 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingereicht und erneut ausgeführt, es hätte der Prüfung bedurft, ob sich eine Veränderung der gesundheitlichen Entwicklung im Vergleich zum vorherigen Zustand, der zu einer Gewährung der bisherigen Zeitrente geführt habe, ergeben habe. Zudem sei eine Summierung gewöhnlicher Leistungseinschränkungen aufgrund einer Addierungs- und Verstärkungswirkung eingetreten. Das SG hätte kein nervenärztliches, sondern ein arbeitsmedizinisches Gutachten einholen müssen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 27.01.2023 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.10.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 31.03.2021 hinaus eine unbefristete, hilfsweise eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat auf ihren erstinstanzlichen Vortrag sowie die Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheides verwiesen.

Nachdem der Kläger im Rahmen eines Erörterungstermins seine Beschwerden vorgetragen hatte, hat der Senat zum einen den Arzt J1 und zum anderen den R3 jeweils mit der Erstellung eines Gutachtens betraut. J1 hat in seinem Gutachten vom 15.06.2023 nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 06.06.2023 folgende Diagnosen gestellt:
• Diskrete Fehlstatik der Wirbelsäule ohne Funktionseinschränkung oder neurologische Ausfälle; moderate degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule in der Bildgebung
• Massiver chronischer Hand- und Daumensattelgelenksschmerz beidseits ohne entsprechendem klinischen und bildgebenden Korrelat
• Leistenschmerz rechts ohne Funktionseinschränkung der Hüftgelenke
• Knieschmerz beidseits ohne Reizzustand oder Bewegungseinschränkung bei altersentsprechendem Röntgenbefund
Zusammenfassend sehe er die Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet weit im Vordergrund. Es ließen sich keine klinischen und bildgebenden Befunde objektivieren, welche die massive Beschwerdesymptomatik erklären könnten. Orthopädischerseits könne der Kläger noch leichte und kurzzeitig mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit der Möglichkeit zum Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen verrichten. Gemieden werden müssten Heben und Tragen von Lasten über 8 kg, häufige Wirbelsäulenzwangshaltungen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Zwangshaltungen der Arme, schwere Handarbeit beidseits sowie die Fingerfeinmotorik belastende Tätigkeiten und Arbeiten in Kälte und Nässe aufgrund des Raynaud-Syndroms beider Hände. Solche Tätigkeiten könnten noch mindestens sechs Stunden täglich verrichtet werden.

R3 hat den Kläger am 09.10.2023 ambulant untersucht und ist in seinem Gutachten vom 18.01.2024 zu folgenden Diagnosen gekommen: Mittelschwere Depression, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, leichte motorische Tic-Störung und Migräne. Der Kläger könne leichte körperliche Arbeiten bei Beachtung näher aufgeführter qualitativer Einschränkungen nur noch in einem Umfang von drei bis unter sechs Stunden ausüben. Durch die mittelschwere Depression sei es zu einer Störung der Stimmungslage, des Antriebes, des formalen Denkens und der kognitiven Funktionen gekommen, die somatoforme Schmerzstörung habe zu einer vermehrten Schmerzwahrnehmung und zu Einschränkungen der Beweglichkeit des Skelettsystems geführt. Nach drei Stunden sei während der Begutachtung eine mittelgradige Störung der Auffassungsgabe, der Konzentrationsfähigkeit und der Aufmerksamkeitsdauer eingetreten, auch habe sich der Gedankengang nach drei Stunden mittelgradig verlangsamt, Todeswünsche bzw. Suizidgedanken seien aufgetreten. Die mittelschwere Depression sei wohl erst nach der Begutachtung durch N1, also erst seit Ende 2022, aufgetreten. Die anhaltende somatoforme Schmerzstörung bestehe wahrscheinlich seit 2017. Die quantitative Leistungseinschränkung sei deshalb erst Ende des Jahres 2022 eingetreten.

Nachdem sich B1 vom Sozialmedizinischen Dienst der Beklagten in einer Stellungnahme vom 22.02.2024 kritisch zum Gutachten des R3 geäußert hatte, hat dieser im Schreiben vom 23.05.2024 ergänzend Stellung genommen und im Ergebnis an seiner Beurteilung festgehalten.

Auf Hinweis des Senats, die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung könne am Fehlen der 3/5-Belegung scheitern, hat der Klägerbevollmächtigte ausgeführt, zwischen dem Ende des Rentenbezugs und dem Beginn des Bezugs von Arbeitslosengeld II lägen genau 24 Monate und die Ausschlussfrist trete erst ab dem 25. Monat ein. Es sei zu fragen, ob die 3/5-Regelung in einem schwebenden Sozialgerichtsverfahren nach einer Rentenbezugszeit anwendbar sei, da dies nicht mit dem Sozial- und Rechtsstaatsprinzip der Verfassung in Einklang zu bringen sei. Auch liege hier nach mehrjährigem Rentenbezug und jahrelanger Arbeitsunfähigkeit eine Erwerbsunfähigkeit trotz der Begutachtungen vor.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet, da die Beklagte in ihrem Bescheid vom 26.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.10.2021 zu Recht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt und das SG die hiergegen gerichtete Anfechtungs- und Leistungsklage aus zutreffenden Gründen abgewiesen hat.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl. I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3).

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt.

Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Wie sich aus § 43 Abs. 1 SGB V ergibt, ist Voraussetzung für die Gewährung einer Rente nicht nur das Vorliegen einer Erwerbsminderung, sondern überdies müssen weitere besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen erfüllt sein, nämlich das Vorliegen von drei Jahren Pflichtbeitragszeiten in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung. Vorliegend wird der Fünfjahreszeitraum durch die Zeit des Rentenbezugs (01.07.2017 bis 31.03.2021 = 45 Monate) ebenso wie durch die Zurechnungszeit vor Rentenbeginn (27.12.2016 bis 30.06.2017: sechs Monate, da der Dezember, der gleichzeitig auch ein Pflichtbeitragsmonat ist, nicht mitzählt, vgl. § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB VI) um 51 Monate verlängert (§ 43 Abs. 4 Ziff. 1 SGB VI i.V.m. § 58 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 5 SGB VI) und beträgt somit 111 Monate (60 + 51 Monate).

Dem in den Akten vorliegenden Versicherungsverlauf vom 24.09.2024 (Bl. 196 Senatsakte) lassen sich vor dem Rentenbezug (01.07.2017 bis 31.03.2021) bzw. der vorausgehenden Zurechnungszeit vor Rentenbeginn (27.12.2016 bis 30.06.2017) lückenlose Beitragszeiten mit Pflichtbeiträgen bis zurück ins Jahr 2007 entnehmen. Erst nach dem Rentenbezug, somit ab April 2021, finden sich bis Ende April 2023 keine Einträge mehr, d.h. es ist eine Lücke von über zwei Jahren (nämlich von genau 25 Monaten) entstanden. Bereits bei einem Leistungsfall im Mai 2023 wäre daher die 3/5-Belegung nicht mehr erfüllt, da dann in dem auf 111 Monate verlängerten „Fünfjahreszeitraum, der - ausgehend von einem Leistungsfall im Mai 2023 - am 01.02.2014 beginnt und mit dem 30.04.2023 endet, durch die entstandene mehr als zwei Jahre dauernde Lücke nur noch 35 statt der geforderten 36 Monate an Pflichtbeitragszeiten vorlägen (nämlich die Pflichtbeitragszeiten vom 01.02.2014 bis zum 31.12.2016). Durch den Bezug von Arbeitslosengeld II bzw. Bürgergeld ab dem 01.05.2023 ändert sich hieran nichts mehr - zwar verlängert sich der „Fünfjahreszeitraum“ um jeden Monat des Alg-II bzw. Bürgergeldbezugs (vgl. § 58 Abs. 1 Ziff. 6 SGB VI), doch kommen keine Pflichtbeitragsmonate mehr hinzu und bleibt die schädliche Lücke im Versicherungsverlauf erhalten. Nur, wenn die Erwerbsminderung spätestens im April 2023 eingetreten wäre, fänden sich in dem verlängerten „Fünfjahreszeitraum“ (vom 01.01.2014 bis 31.03.2023) noch 36 Monate an Pflichtbeitragszeiten, nämlich die Zeit vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2016.

Das Argument des Klägerbevollmächtigten, die 3/5-Regelung sei im vorliegenden Fall eines schwebenden Gerichtsverfahrens nach vorherigem Rentenbezug nicht anwendbar, überzeugt den Senat nicht. Die gesetzliche Regelung ist eindeutig und differenziert nicht danach, ob ein Versicherter im Rahmen eines Rechtsstreits gegen die Rentenversicherung vorgeht oder vorher Rente bezogen hat. Ein Verstoß gegen das Sozialstaats- oder Rechtsstaatsprinzip ist nicht ersichtlich.

Die Erwerbsminderung hätte daher vorliegend spätestens im April 2023 eintreten müssen, um der 3/5-Belegung noch zu genügen. Dabei muss der Nachweis für die den Anspruch begründenden Tatsachen im Wege des sog. Vollbeweises erfolgen. Dies erfordert, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann, d.h., das Gericht muss von der zu beweisenden Tatsache mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit ausgehen können; es darf kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel mehr bestehen. Von dem Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen muss insoweit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden können (BSG 14.12.2006, B 4 R 29/06 R; Bayerisches LSG 26.07.2006, L 16 R 100/02; beide in juris; vgl. auch BSG 20.12.2023, B 5 R 81/23 B, juris Rn. 9). Können die genannten Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht im erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleiten möchte. Für das Vorliegen der Voraussetzungen der Erwerbsminderung trägt insoweit der Versicherte die Darlegungs- und objektive Beweislast (vgl. BSG 23.10.1996, 4 RA 1/96, juris).

Der Senat stellt nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung fest (§ 128 Abs. 1 SGG), dass der Eintritt von Erwerbsminderung in der Zeit bis zum 30.04.2023 nicht nachgewiesen ist.

Auf orthopädischem Fachgebiet leidet der Kläger unter einer diskreten Fehlstatik der Wirbelsäule ohne Funktionseinschränkung oder neurologische Ausfälle, moderaten degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule in der Bildgebung, einem massiven chronischen Hand- und Daumensattelgelenksschmerz beidseits ohne entsprechendes klinisches und bildgebendes Korrelat, einem Leistenschmerz rechts ohne Funktionseinschränkung der Hüftgelenke sowie  Knieschmerz beidseits ohne Reizzustand oder Bewegungseinschränkung bei altersentsprechendem Röntgenbefund. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des J1. Hieraus resultieren qualitative Leistungseinschränkungen insofern, als der Kläger nur noch leichte und kurzzeitig mittelschwere körperliche Tätigkeiten verrichten kann mit der Möglichkeit zum Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen. Gemieden werden müssen Heben und Tragen von Lasten über 8 kg, häufige Wirbelsäulenzwangshaltungen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Zwangshaltungen der Arme, schwere Handarbeit beidseits sowie die Fingerfeinmotorik belastende Tätigkeiten und Arbeiten in Kälte und Nässe aufgrund des Raynaud-Syndroms beider Hände. Diese Einschätzung des J1, der sich der Senat anschließt, entspricht im Wesentlichen der der Z1, deren Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet.
Eine quantitative Leistungsminderung resultiert hieraus nicht. Insbesondere ist nicht nachgewiesen, dass die Beschwerden an den Fingern, die auf Empfehlung des R1 zuvor Grundlage für die Gewährung der Zeitrente gewesen waren, die Leistungsfähigkeit des Klägers zeitlich einschränken bzw. in qualitativer Hinsicht derart massiv sind, dass eine Tätigkeit mit den Händen nicht mehr möglich wäre. Z1 konnte im Rahmen ihrer Begutachtung keine wesentliche Auffälligkeit hinsichtlich einer Verschmächtigung der Hohlhandbinnenmuskulatur oder Unterarmmuskulatur feststellen. Reizzustände an den Handgelenken zeigten sich nicht. Der Kläger gab zwar Druckschmerzen im Bereich der Handwurzel beidseits, in Höhe der Tabatière und der Daumensattelgelenke an sowie Schmerz bei endgradiger Streckung und Beugung des Handgelenkes, doch zeigten die Bewegungsausrichtungen des Handgelenks keine relevanten Einschränkungen. Die Daumensattelgelenke als auch die restlichen Gelenke der Langfinger waren frei beweglich, auch zeigte sich die Kraftentfaltung beim Händedruck beidseits normal ausgeprägt und symmetrisch. Der Faustschluss war beidseits komplett möglich, ebenso wie der Schlüsselgriff, Pinzettengriff und die Berührung der Fingerkuppen mit dem Daumen. Korrespondierend hierzu war der Kläger in der Lage, sich an- und auszuziehen, hier insbesondere die Schnürschuhe mit beiden Händen nicht wesentlich verlangsamt auszuziehen, die beiden Handorthesen problemlos abzulegen und am Ende der Untersuchung wieder anzulegen. Er füllte notwendige Formulare in üblicher Form unter Einnahme der Schreibhaltung mit der linken Hand ohne wesentliche Erschwernis lediglich leicht verlangsamt, aber in üblicher Zeitspanne aus. Der Kläger gab gegenüber der Gutachterin Z1 zudem an, dreimal täglich den großen Hund auszuführen. Dies erfordert eine Greiffunktion und eine volle Kraftentfaltung beider Hände, wie die Gutachterin Z1 zutreffend anmerkt. Für den Senat nachvollziehbar kam Z1 auf der Grundlage dieser Untersuchungen und Beobachtungen zu dem Schluss, eine Herabstufung des Leistungsvermögens auf unter dreistündig ließe sich nicht objektivieren. Nicht wesentlich anders zeigte sich der Zustand der Hände im Rahmen der Begutachtung durch J1. Auch hier war der Kläger in der Lage, sich selbständig zu entkleiden bei seitengleichem Einsatz der Arme. Gürtelschlaufe, Reißverschluss, Socken sowie die Klettverschlüsse der gegenseitigen Handgelenksorthesen konnten ohne sichtbare Behinderung abgelegt werden. Bei der Untersuchung der Hände zeigte sich zwar eine erhebliche Druckschmerzhaftigkeit über den Handgelenkskonturen und über dem Daumensattelgelenk beidseits, doch gab es hier keine Schwellungen, keine Überwärmung und keine tastbaren knöchernen Anbauten. Auch wenn sämtliche Provokationstests im Bereich der Handgelenke und auch die Beweglichkeit schmerzhaft waren, waren die Beweglichkeiten der Daumen und Langfinger seitengleich frei bei regelrecht gezeichneten Gelenkkonturen ohne Druckschmerzhaftigkeit im Bereich der Daumenendgelenke sowie sämtlicher Langfingergelenke. Der Faustschluss zeigte sich seitengleich komplett, mit den Daumen konnten die übrigen Fingerspitzen problemlos erreicht werden, die Griffvarianten waren seitengleich möglich. Bei der orientierenden Überprüfung der groben Kraft erfolgte kurzzeitig eine regelrechte Kraftentfaltung. Nachvollziehbar sah J1 - nach Auswertung vorliegender CT und MRT-Befunde und unter Berücksichtigung entsprechender Berichte der behandelnden Ärzte - eine erhebliche Diskrepanz zwischen der angegebenen Beschwerdesymptomatik sowie dem klinisch und bildgebend zu erhebenden Befund. Er führte hierzu aus, im Bereich der Handgelenke und Hände sei zumindest links eine Durchblutungsstörung/Nekrose des Mondbeines bildgebend ausgeschlossen. Eine relevante Schädigung des Diskus triangularis im Bereich des Handgelenkes sei nicht nachzuweisen. Eine wesentliche scapholunäre Dissoziation lasse sich im MRT vom 16.04.2018 sowie auf den Röntgenaufnahmen vom 11.02.2019 nicht begründen. Es sei zu unterstellen, dass die Gesundheitsstörungen im Bereich der Handgelenke durch insgesamt vier Handchirurgen suffizient diagnostiziert worden seien. Die letztgenannten Befunde erklärten die massive Beschwerdesymptomatik nicht. Hieraus hat J1 überzeugend gefolgert, dass die Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet weit im Vordergrund stünden. Hier sei auf das Gutachten des N1 zu verweisen. Dieser Bewertung schließt sich der Senat an.

Vor dem Hintergrund dieser in sich schlüssigen und widerspruchsfreien Gutachten der Z1 sowie des J1 konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass die Handbeschwerden derart gravierend sind, wie dies vom Kläger vorgetragen wird. Ob es hier zu einer Veränderung im Vergleich zum Gesundheitszustand in den Jahren 2017 bis März 2021 gekommen ist, ist - anders als der Klägerbevollmächtigte meint - nicht von Bedeutung. Hätte die Beklagte eine unbefristete Rente gewährt, wäre eine Aufhebung des Rentenbescheides nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X bzw. § 48 SGB X in Frage gekommen. Im Rahmen dieser Vorschriften wäre dann tatsächlich u.a. zu prüfen gewesen, ob die Bewilligung von Anfang an rechtswidrig war (§ 45 SGB X) oder ob sich eine wesentliche Änderung ergeben hat (§ 48 SGB X). Da aber vorliegend nur eine befristete Rente bewilligt wurde, sind die Voraussetzungen für eine erneute Rentengewährung ohne rechtliche Bindung an die vorhergehenden Bewilligungen neu zu prüfen. Es macht damit rechtlich keinen Unterschied, ob wie hier ein Weiterbewilligungsantrag vorliegt oder aber ein Erstantrag.

Die übrigen orthopädischen Beschwerden führen ebenfalls nicht zu einer quantitativen Leistungsminderung, da sie - wie sowohl Z1 als auch J1 überzeugend ausgeführt haben - kein außergewöhnliches Ausmaß erreichen. Zu Funktionseinschränkungen oder neurologischen Ausfällen führt die diskrete Fehlstatik der Wirbelsäule nicht, der Leistenschmerz hat keine Funktionseinschränkungen der Hüftgelenke zur Folge, die Knie sind ohne Reizzustand oder Bewegungseinschränkung bei altersentsprechendem Röntgenbefund. Damit sind qualitative Anforderungen an eine auszuübende Tätigkeit ausreichend, um die Beschwerden auszugleichen.

Auch die Einschränkungen auf nervenärztlichem Sachgebiet führen nicht zu einer zeitlichen Leistungsminderung bis spätestens April 2023. Hier litt der Kläger zum Zeitpunkt der Begutachtung im September 2022 ausweislich des Gutachtens des N1 an ätiologisch unklaren myokloniformen Bewegungsstörungen des Kopfes und der linken oberen Extremität, einer möglichen Somatisierungsstörung, dem Zustand nach Karpaltunneloperation, einem degenerativen Lumbovertebralsyndrom ohne Wurzelreiz- oder -ausfallsymptome, einer axonalen Polyneuropathie unklarer Ursache, einer leichten depressive Episode sowie Migräne. Diesen Einschränkungen kann durch qualitative Leistungsanforderungen an die auszuübende Tätigkeit Rechnung getragen werden, so dass der Kläger zum Zeitpunkt der Untersuchung durch N1 noch in der Lage war, Arbeiten mit einfachen Ansprüchen an die geistige und psychische Belastbarkeit, die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit sowie geistige Flexibilität, ohne besondere Beanspruchung beider Hände sowie ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten bzw. unter Absturzbedingungen sechs Stunden täglich und mehr zu verrichten. Eine zeitliche Leistungsminderung resultierte hieraus nicht. So konnte der Kläger ohne Zeichen mnestischer oder konzentrativer Defizite über seinen Werdegang und seine Beschwerden berichten, war die Stimmung lediglich dysthym, die Schwingungsfähigkeit nicht beeinträchtigt, und die Auslenkung zum positiven Pol gelang. Klinische Zeichen einer schwerergradigen Depressivität, wie eine vitale Antriebs-, Freud- oder Interessereduktion, fanden sich nicht. Insofern schließt sich der Senat der Einschätzung des N1 an.

Es ist nicht erwiesen, dass sich dieser Zustand bis April 2023 grundlegend verschlechtert hat. Zwar ist R3 in seinem Gutachten vom 11.01.2024 nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 09.10.2023 nunmehr nur noch von einem Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden R4 nun eine mittelschwere Depression und im Zusammenhang mit dieser insbesondere ein deutliches Nachlassen der Konzentration und Aufmerksamkeit nach zwei bzw. drei Stunden im Rahmen der Begutachtung. Dabei hat R3 die damalige Bewertung des N1, der Kläger leide nur unter einer Depression mit einem leichten Ausprägungsgrad, ebenso wenig in Frage gestellt wie dessen Schlussfolgerung, der Kläger könne noch sechs Stunden und mehr pro Tag arbeiten. Vielmehr ging R3 ausdrücklich von einer zwischenzeitlich eingetretenen Verschlechterung aus. Der Senat lässt offen, ob der Kläger zum Zeitpunkt der Begutachtung durch R3 tatsächlich teilweise erwerbsgemindert war - was vom Sozialmedizinischen Dienst der Beklagten in Zweifel gezogen wird. Jedenfalls lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen, wann genau es zu dieser Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen ist. Der von R3 angegebene Zeitpunkt „Ende 2022“ ist jedenfalls durch keine Unterlagen belegt. R3 schreibt hier lediglich, die mittelschwere Depression sei „wohl erst nach der Begutachtung durch N2“ eingetreten. Aus welchem Grund dies aber gerade Ende 2022 der Fall gewesen sein soll und nicht später, begründet R3 nicht. Insofern lässt sich nicht ausschließen, dass es erst ab Mai 2023 zu der Gesundheitsverschlechterung kam und damit zu spät, um die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (3/5-Belegung) zu erfüllen.

Dass die unklaren myokoliformen Bewegungsstörungen des Kopfes und der linken oberen Extremität zu einer Leistungseinschränkung - sei es qualitativ oder quantitativ - führen, wird weder von N1 noch von R3 (der diese als leichte motorische Tic-Störung bezeichnet) behauptet. Auch der Senat sieht hierfür keine Anhaltspunkte.

Die Diagnose einer Migräne führt ebenfalls zu keiner Erwerbsminderung. Solche Migränekopfschmerzen begründen lediglich Zeiten von Arbeitsunfähigkeit, die begrifflich von einer Erwerbsminderung scharf zu trennen ist. Arbeitsunfähigkeitszeiten führen nur dann zur Erwerbsminderung, wenn diese so häufig auftreten, dass die während eines Arbeitsjahres zu erbringenden Arbeitsleistungen nicht mehr den Mindestanforderungen entsprechen, die ein „vernünftig und billig denkender Arbeitgeber“ zu stellen berechtigt ist, sodass eine Einstellung oder Weiterbeschäftigung eines solchen Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt praktisch ausgeschlossen ist (BSG 31.10.2012, B 13 R 107/12 B, juris). Geklärt hat das BSG, dass diese Mindestanforderungen jedenfalls dann nicht mehr als erfüllt anzusehen sind, wenn der Versicherte die Arbeitsleistung für einen Zeitraum von mehr als 26 Wochen (sechs Monate bzw. die Hälfte) im Jahr gesundheitsbedingt nicht mehr erbringen kann (BSG 31.10.2012 a.a.O. unter Verweis BSG 05.03.1959, 4 RJ 27/58, juris; BSG 23.03.1977, 4 RJ 49/76, juris; BSG 21.07.1992, 4 RA 13/91, juris Rn. 17 ff.). Bei Arbeitsunfähigkeitszeiten von geringerer Dauer, die aber dafür gehäuft auftreten (etwa jede Woche über mehrere Tage), ist jedenfalls eine Verweisungstätigkeit zu benennen (BSG, 31.03.1993, 13 RJ 65/91, juris Rn. 18). Gegenüber R3 hat der Kläger eine Frequenz von ein bis vier Anfällen pro Monat angegeben, die über mehrere Stunden dauerten. Damit wird das vom BSG geforderte Maß, das die Benennung einer Verweisungstätigkeit notwendig macht, nicht erreicht.

Die entgegengesetzte Einschätzung des behandelnden. L1 im Attest vom 08.07.2022, der bereits zum damaligen Zeitpunkt von Erwerbsminderung ausging, vermag vor dem Hintergrund der übereinstimmenden Gutachten der Z1, des N1, des J1 sowie des R3, der das Gutachten des N1 im Ergebnis nicht angezweifelt hat, nicht zu überzeugen. Wesentlich ist vor allem Folgendes: Aufgabe behandelnder Ärzte ist es, ihren Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten zu untersuchen, seinen Wünschen und Vorstellungen zu entsprechen und gemeinsam mit dem Patienten eine wirksame Behandlung für die gesundheitlichen Einschränkungen zu finden. Die Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens spielt - anders als bei der Begutachtung durch einen Sachverständigen - in diesem Arzt-Patienten-Verhältnis demgegenüber keine bzw. nur eine untergeordnete Rolle. Im Gegensatz dazu ist ein Sachverständiger gehalten, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen, ohne hierbei Gefahr zu laufen, durch eine kritische Beurteilung das Vertrauen des Patienten zu verlieren. Vor diesem Hintergrund kommt der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche und damit objektive Sachverständige nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 18.06.2013, L 11 R 506/12; 17.01.2012, L 11 R 4953; 30.06.2020, L 11 R 4342/18) und auch anderer LSG (vgl. Hessisches LSG 28.03.2017, L 2 R 415/14, juris Rn. 65; Hessisches LSG 04.09.2019, L 6 R 264/17, juris Rn. 85; LSG Berlin 20.10.2004, L 17 RA 101/03, juris Rn. 24) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte.

Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person des Klägers eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre, bestehen nicht. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, juris; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, GS 2/95, juris; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, juris). Die zur früheren Rechtslage entwickelten Grundsätze sind auch für Ansprüche auf Rente wegen Erwerbsminderung nach dem ab 01.01.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden (BSG 11.12.2019, B 13 R 7/18 R, juris). Vom praktisch gänzlichen Fehlen von Arbeitsplätzen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die nur mit leichten körperlichen und geistigen Anforderungen verknüpft sind, kann derzeit nicht ausgegangen werden, auch nicht aufgrund der Digitalisierung oder anderer wirtschaftlicher Entwicklungen (BSG 11.12.2019, a.a.O., juris Rn. 27). Eine spezifische Leistungseinschränkung liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG 27.04.1982, 1 RJ 132/80, juris). Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn - wie hier - typische Verrichtungen wie z.B. das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen möglich sind. Einschränkungen, die dem entgegenstehen könnten, lassen sich den vorliegenden Gutachten nicht entnehmen. Es war im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden zu der Frage, welche konkrete Tätigkeit dem Kläger noch leidensgerecht und zumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI). Der Kläger ist auch wegefähig im rentenrechtlichen Sinne (vgl. BSG 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, juris; BSG 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R, juris); dies entnimmt der Senat dem Gutachten des R3, der den Kläger durch Mitarbeiterinnen bei einem Spaziergang begleiten ließ, im Rahmen dessen der Kläger eine Wegstrecke von 500 m in 8 Minuten und 30 Sekunden bewältigte. Es zeigte sich ein normales Gangbild. Zum selben Ergebnis kamen auch J1 sowie N1.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
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