Angelegenheiten nach §§ 6a und 6 b BKGG

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
SG Schleswig (SHS)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
8 BK 10001/21 PA
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Eine Haushaltsgemeinschaft nach § 6a Abs. 1 BKGG setzt das dauerhafte örtlich verbundene Zusammenleben in einer gemeinsamen Familienwohnung voraus. Eine Inhaftierung schließt die Annahme einer Haushaltsgemeinschaft mit der inhaftierten Person aus.
2. Grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X liegt vor, wenn der Begünstigte unter Berücksichtigung seiner persönlichen Anlagen die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat und einfachste und ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat. Grobe Fahrlässigkeit kann im Einzelfall vorliegen, wenn es unterlassen wird, den Sozialleistungsträger über eine voraussichtlich dreijährige Haftstrafe eines Haushaltsmitglieds zu informieren.
3. Die Anwendung von § 11 Abs. 5 BKGG setzt einen Leistungsanspruch nach dem SGB II des Adressaten der Erstattung der Kinderzuschlagsleistungen und damit Personenidentität voraus.
4. Seit dem 1. Juli 2019 findet nach § 11 Abs. 6 Nr. 1 BKGG bei der Rücknahme von Verwaltungsakten im Kinderzuschlagsrecht § 330 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 SGB III entsprechende Anwendung. Ermessen ist seitdem bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 330 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 SGB III nicht mehr auszuüben. Die Übergangsvorschrift des § 19 Abs. 3 BKGG bezieht sich angesichts der veränderten Berechnung lediglich auf die Bewilligung von Kinderzuschlagsleistungen und nicht auf die Vorschriften zur Aufhebung von Verwaltungsakten in der bis zum 30. Juni 2019 geltenden Fassung des BKGG.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung und Erstattung von Kinderzuschlagsleistungen nach § 6a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) für den Zeitraum Oktober 2018 bis Dezember 2018 in Höhe von 3.060,00 €.

 

Der Kläger wohnte mit seiner Ehefrau, der Zeugin …, und seinen sechs Kindern zusammen in einem Haushalt und bezog im Jahre 2018 laufend Leistungen nach § 6a BKGG.

 

Am 6. Juni 2018 beantragte der Kläger weitere Leistungen nach § 6a BKGG. Dabei gab er bei den Angaben zur antragstellenden Person seine Adressdaten an. Der Kläger erklärte in dem Folgeantrag vom 6. Juni 2018 mit seiner Unterschrift folgende sich auf dem Vordruck befindliche Erklärung:

                                                                                                                                                  

„Ich versichere, dass ich alle Angaben wahrheitsgetreu gemacht habe. Änderungen, insbesondere der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse, werde ich der Familienkasse unaufgefordert und unverzüglich mitteilen. Das Merkblatt über Kinderzuschlag habe ich bereits erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen.“

 

Das Merkblatt über Kinderzuschlag in der Fassung von 2018 (abrufbar unter: https://www.tha.de/Binaries/Binary28523/Merkblatt-KiZ-01.18.pdf, zuletzt abgerufen am 2. April 2025) enthielt hinsichtlich der Mitteilungspflichten die folgenden Ausführungen:

 

„Wenn Sie Kinderzuschlag beantragt haben oder beziehen, müssen Sie der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit unverzüglich alle Änderungen in den Verhältnissen mitteilen, die sich auf die Leistung auswirken können. Dies gilt auch für solche Veränderungen, die Ihnen erst nach Beendigung des Bezuges bekannt werden, wenn sie sich rückwirkend auf den Anspruch auswirken können. Änderungsmitteilungen an andere Behörden oder die für das Arbeitslosengeld II und/oder Sozialgeld zuständige Stelle genügen hier nicht. Außer den Änderungen, die in Nummer 2 des Merkblattes über Kindergeld aufgezahlt sind, müssen Sie insbesondere mitteilen, wenn […] sich die Zahl der Haushaltsmitglieder ändert, […].

 

Wenn Sie Veränderungen verspätet oder gar nicht mitteilen, müssen Sie nicht nur den zu Unrecht gezahlten Kinderzuschlag zurückzahlen. Sie müssen außerdem mit einer Geldbuße oder strafrechtlichen Verfolgung rechnen. Falls sie nicht genau wissen, ob sich eine Veränderung auf den Kinderzuschlag auswirkt, fragen Sie bitte bei der Familienkasse nach.“

 

Mit Bescheid vom 18. Juni 2018 bewilligte die Beklagte Leistungen nach § 6a BKGG für die Monate Juli 2018 bis Dezember 2018 in monatlicher Gesamthöhe von 1.020,00 € für die sechs Kinder des Klägers. Der Bewilligungsbescheid enthielt folgenden Hinweis zu den Mitwirkungspflichten:

 

„Unabhängig von der Überprüfung durch die Familienkasse sind Sie verpflichtet, der Familienkasse unverzüglich alle Änderungen mitzuteilen, die sich auf den Kinderzuschlag auswirken können. Dies gilt insbesondere für alle Änderungen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse (Erhöhung oder Verringerung des Einkommens und Vermögens sowie der Bezug von Sonderzahlungen) für jedes einzelne Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, sowie auch für die Aufwendungen der Unterkunft (einschließlich der Nebenkosten). Im Übrigen wird auf das Merkblatt für Kinderzuschlag verwiesen.“

 

In dem Zeitraum Juli bis August 2018 erfuhr der Kläger, dass er eine Haftstrafe anzutreten habe. Zum 3. September 2018 trat der Kläger seine Haft in der Justizvollzugsanstalt … an. Im weiteren Verlauf beantragte der Kläger mit Folgeantrag vom 6. Dezember 2018 und 14. Juni 2019 weitere Kinderzuschlagsleistungen, wobei er zunächst die Anschrift seiner Person als antragstellende Person fortan jeweils ausließ. In dem Folgeantrag vom 8. Dezember 2019 gab er hingegen erneut seine alte Adresse, …, …, an.

 

Am 31. Juli 2020 teilte die Ehefrau des Klägers, die Zeugin …, der Beklagten telefonisch mit, dass sich der Kläger seit etwa Januar 2018 in der Justizvollzugsanstalt in … aufhalte.

 

Daraufhin stellte die Beklagte die laufende Zahlung von Kinderzuschlag zunächst ein und hörte den Kläger mit Schreiben vom 18. August 2020 zur Überzahlung der Kinderzuschlagsleistungen in Gesamthöhe von 33.990,00 € für den Zeitraum ab Januar 2018 hinsichtlich der erfolgten Bewilligungen vom 25. Januar 2018, 18. Juni 2018, 3. Januar 2019, 29. Juli 2019, 30. Dezember 2019 und 25. April 2020 an. Sie führte begründend aus, es sei Kinderzuschlag erhalten worden, obwohl möglicherweise ganz oder teilweise kein Anspruch bestanden habe. Es sei bekannt geworden, dass der Kläger nicht mehr mit seiner Ehefrau, der Zeugin …, und den Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft lebe. Die Entscheidungen seien daher wegen der Angabe unrichtiger oder unvollständiger Tatsachen zurückzunehmen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X)). Die fehlerhaften Bewilligungen seien erfolgt, weil zumindest grob fahrlässig falsche und/oder unvollständige Angaben gemacht worden seien. Soweit die Bewilligungen zurückgenommen werden, seien die überzahlten Leistungen zu erstatten.

 

Nach Übersendung der Haftbescheinigung des Klägers, die eine Inhaftierung zum 3. September 2020 bestätigte, erließ die Beklagte zum 19. Oktober 2020 einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid für die ausgezahlten Leistungen des Zeitraums Oktober 2018 bis Dezember 2018 in Höhe von 3.060,00 €, da der Kläger zum 3.  September 2018 den Haushalt verlassen habe. Die Bewilligung sei nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X in Verbindung mit § 6a Abs. 7 Satz 3 BKGG aufzuheben. Ermessen bestehe nach § 11 Abs. 6 BKGG in Verbindung mit § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III nicht. Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben werde, seien bereits erbrachte Leistungen zu erstatten (§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Ein Erstattungsverzicht nach § 11 Abs. 5 BKGG komme nicht in Betracht, da der Bezug von Kinderzuschlag den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nicht ausgeschlossen oder gemindert habe.

 

Für den Folgezeitraum erließ die Beklagte einen weiteren Bescheid vom 20. Oktober 2020, der in dem weiteren Verfahren zum Aktenzeichen S 8 BK 10002/21 PA streitgegenständlich ist.

 

Gegen den Bescheid vom 19. Oktober 2020 erhob der Kläger am 2. November 2020 Widerspruch. Begründend führte er im Wesentlichen aus, die Familie habe weiterhin durch den Kinderzuschlag gelebt. Sinn und Zweck des Kinderzuschlages seien daher gewahrt geblieben.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2021 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, der Kläger habe grob fahrlässig seine Mitwirkungspflichten verletzt. Aufgrund des getrennten Haushaltes seit dem 3. September 2019 habe ein Anspruch seit Oktober 2018 nicht mehr bestanden. Die Bewilligung vom 18. Juni 2018 sei insoweit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X aufzuheben gewesen. Insbesondere habe sich die Mitwirkungspflicht auch aus dem Merkblatt zum Kinderzuschlag ergeben. Die notwendige Mitteilung sei erst fast zwei Jahre später erfolgt. Dies sei damit nicht unverzüglich geschehen. Die Rechtsmittelbelehrung des Widerspruchsbescheids enthielt den Hinweis, Klage sei vor dem Sozialgericht in Kiel zu erheben.

 

Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 11. März 2021 Klage vor dem Sozialgericht Kiel erhoben. Mit Beschluss vom 30. März 2021 hat das Sozialgericht Kiel den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht Schleswig verwiesen. Begründend führt der Kläger aus, eine Aufhebung der Leistungen habe lediglich mit Wirkung für die Zukunft erfolgen dürfen. Da eine Trennung durch die Inhaftierung nicht erfolgt sei, habe er nach seinem Verständnis auch keine Mitteilungspflichten verletzt. Der Kinderzuschlag und das Kindergeld sei auf das Gemeinschaftskonto der Familie geflossen. Der Kläger habe hierauf aus der Haft keinen Zugriff gehabt. Die Leistungen seien zudem aufgrund der Verpflegung der Familie verbraucht worden. Auch die Zeugin … sei Mitinhaberin des Kontos gewesen. Sinn und Zweck des Kinderzuschlages sei es, Betroffene über die Hartz-IV Schwelle zu heben. Der Begriff des gemeinsamen Haushaltes sei nur in Anlehnung zu § 7 Abs. 3 Nr. 4 Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) zu verstehen und nicht gleichlaufend zu verwenden. Der Sinn und Zweck des Kinderzuschlags sei durch die tatsächliche Versorgung der Familie erreicht worden. Subjektiv sei der Kläger zudem weiterhin Teil der Bedarfsgemeinschaft gewesen. Dem Kläger sei nicht bekannt gewesen, dass der Haushalt durch seine Inhaftierung als aufgehoben gelten könne. Er sei dort weiter gemeldet gewesen und sein Hausstand sei dort verblieben. Für die Vergangenheit dürfe ein begünstigender Verwaltungsakt nur aufgehoben werden, soweit der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig seiner Mitteilungspflicht nicht nachgekommen sei. In dem Merkblatt der Beklagten sei lediglich der Fall aufgeführt, dass eine Mitteilung zu erfolgen habe, wenn ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ausziehe. Dies sei durch die Inhaftierung nicht geschehen. Das Merkblatt sei zu unbestimmt formuliert gewesen. § 48 SGB X eröffne zudem einen Ermessensspielraum. Im Falle der Erstattung der Leistungen entstünden der Familie unzumutbare Nachteile. Die Nachholung der Beantragung von anderweitigen Leistungen, wie von Leistungen nach dem SGB II, sei nachträglich nicht mehr möglich. Es liege kein Grund vor, der das sich Berufen auf das schutzwürdige Vertrauen ausschließe.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Bescheid vom 19. Oktober 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2021 aufzuheben.

 

Die Beklagte beantragt,

 

            die Klage abzuweisen.

 

Die Beklagte bezieht sich auf ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und führt ergänzend aus, dass im Rahmen von § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X nur Ermessen auszuüben sei, soweit ein atypischer Fall vorliege.

 

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 28. März 2025 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin …, der Ehefrau des Klägers. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Ergänzend wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die Verwaltungsakten des Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen. Diese haben der Kammer vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

 

Die nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als isolierte Anfechtungsklage statthafte Klage ist zulässig, aber unbegründet.

 

Der Bescheid vom 19. Oktober 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Insbesondere ist die Kammer nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger grob fahrlässig seine Mitwirkungspflichten verletzte, indem er die Beklagte nicht über seine Inhaftierung zum 3. September 2018 informierte.

 

Zutreffend hat die Beklagte ihre Rücknahmeentscheidung auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X in Verbindung mit § 11 Abs. 6 Nr. 1 BKGG und § 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III) gestützt.

 

Soweit nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll nach Satz 2 mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

  1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
  2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
  3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
  4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

 

Nach § 11 Abs. 6 Nr. 1 BKGG in der Fassung vom 29. April 2019 sind die Vorschriften des SGB III über die Aufhebung von Verwaltungsakten nach § 330 Abs. 2, 3 Satz 1 entsprechend anwendbar. Liegen die in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X genannten Voraussetzungen für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vor, ist dieser nach § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben.

 

In der bis zum 1. Juli 2019 geltenden Fassung des § 6a BKGG existierte der Abs. 7 Satz 3 des § 6a BKGG ferner noch nicht, wonach Änderungen in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen während des laufenden Bewilligungszeitraums abweichend von § 48 des SGB X nicht zu berücksichtigen sind, es sei denn, die Zusammensetzung der Bedarfsgemeinschaft oder der Höchstbetrag des Kinderzuschlags ändert sich.

 

In formeller Hinsicht ist die Verwaltungsentscheidung nicht zu beanstanden. Insbesondere ist der Kläger mit Schreiben vom 18. August 2020 zur Überzahlung ordnungsgemäß angehört worden. Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist dem Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung zu den für den beabsichtigen Verwaltungsakt entscheidungserheblichen Tatsachen zu gewähren. In dem Anhörungsschreiben ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass er Kinderzuschlag erhalten habe, obwohl möglicherweise ganz oder teilweise kein Anspruch bestand. Es sei bekannt geworden, dass der Kläger seit Januar 2018 nicht mehr mit seiner Ehefrau und den Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft lebe und dass ein Anspruch auf Kinderzuschlag daher nicht mehr bestehe. Weiter führte die Beklagte aus, die fehlerhaften Bewilligungen dürften erfolgt sein, weil der Kläger zumindest grob fahrlässig falsche und/oder unvollständige Angaben gemacht habe. Soweit Bewilligungen zurückgenommen werden, seien überzahlte Leistungen zu erstatten. Als Rechtsgrundlage nannte er § 45 SGB X. Dass sich die Anhörung zunächst auf eine Rücknahme seit Januar 2018 und lediglich auf § 45 SGB X bezog, ist angesichts der vergleichbaren Voraussetzungen von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X, auf die sich die Beklagte stütze, und § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X unschädlich. Eine erneute Anhörung war nicht erforderlich. Dem Kläger ist im Rahmen der Anhörung Gelegenheit gegeben worden, sich zu der grob fahrlässigen Verletzung seiner Mitteilungspflichten für den streitgegenständlichen Zeitraum ab Oktober 2018 zu äußern. Davon hat er Gebrauch gemacht, sodass die Leistungen nach Übersendung der Haftbescheinigung schließlich erst ab Oktober 2018 aufgehoben wurden.

 

Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht ist die Verwaltungsentscheidung nicht zu beanstanden.

 

Bei der Bewilligung von Kinderzuschlagsleistungen handelt es sich zunächst um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, weil dieser durch die Bewilligung über den Zeitraum von Juli 2018 bis Dezember 2018 in rechtlicher Hinsicht über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe bzw. Bindungswirkung hinaus Wirkungen erzeugt (Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 48 SGB X (Stand: 15. November 2023), Rn. 53).

 

Durch die Inhaftierung des Klägers zum 3. September 2018 ist eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, da der Kläger ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zusammen in einem Haushalt mit seiner Ehefrau, der Zeugin …, und seinen sechs Kindern lebte. Dies ist zum Zeitpunkt der bewilligten Leistungen im Juni 2018 noch der Fall gewesen.

 

Diese Änderung ist auch als wesentlich und für den Kläger als nachteilig anzusehen. Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen ist gegeben, wenn der Verwaltungsakt von der Behörde nach den nunmehr vorliegenden Verhältnissen so nicht mehr erlassen werden dürfte (Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 48 SGB X (Stand: 15. November 2023), Rn. 66).

Dies ist der Fall, denn nach § 6a Abs. 1 BKGG erhalten Personen nur für die in ihrem Haushalt lebende unverheiratete oder nicht verpartnerte Kinder, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, einen Kinderzuschlag, wenn zudem die Voraussetzungen nach Nr. 1 bis 3, Abs. 1a BKGG erfüllt sind. Damit waren die Leistungsvoraussetzen des § 6a Abs. 1 BKGG nicht mehr erfüllt.

 

Unter einer Haushaltsgemeinschaft ist das dauerhafte örtlich verbundene Zusammenleben in einer gemeinsamen Familienwohnung zu verstehen (Kühl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 6a BKGG (Stand: 17. Januar 2025), Rn. 38; BSG, Urteil vom 7. März 1990 - 3 RK 16/89). Ein dauerhaftes örtliches Zusammenleben in einer gemeinsamen Familienwohnung lag seit 3. September 2018 unstreitig nicht mehr vor.

 

Insoweit ist den Ausführungen der Prozessbevollmächtigten des Klägers auch nicht zuzustimmen, wonach der Begriff des Haushaltes lediglich in Anlehnung zu § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II zu verstehen sei, da die tatsächliche Versorgung der Familie bei Kinderzuschlagsleistungen im Vordergrund stehe. Auch die Bewilligung von Kinderzuschlag erfolgt - wie bei den Leistungen nach dem SGB II - streng bedarfsorientiert. Daher sind auch hier - anders als beim Kindergeld - die tatsächlichen Verhältnisse der Bedarfsgemeinschaft sauber in die Berechnung einzustellen. Der Gesetzeszweck des Kinderzuschlags liegt nach der Gesetzesbegründung ferner nicht nur in der Versorgung der Familie sondern darin, dass Eltern, die ihren Bedarf durch eigenes Einkommen selbst decken können, nicht nur wegen der Unterhaltsbelastung für ihre Kinder Arbeitslosengeld II und Sozialgeld in Anspruch nehmen müssen und durch den Kinderzuschlag einen Arbeitsanreiz erhalten (BT-Drs. 15/1516, S. 83; BT-Drs. 19/7504, S. 1.). Folglich rechtfertigt dieser Gesetzeszweck - der eine ganz bestimmte Zielgruppe betrifft - die erweiterte Auslegung einer Haushaltsgemeinschaft nicht.

 

Die Bewilligung des Kinderzuschlags war demnach nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse für die Vergangenheit aufzuheben, da der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse jedenfalls grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.

Es bestand eine durch Rechtsvorschrift vorgeschriebene Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse. Nach § 60 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I) hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen.

 

Indem der Kläger es unterließ, der Beklagten seine Inhaftierung zum 3. September 2018 anzuzeigen, ist er zur Überzeugung der Kammer seiner Mitteilungspflicht nach § 60 Satz 1 Nr. 2 SGB I grob fahrlässig nicht nachgekommen. Grobe Fahrlässigkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist in Bezug auf die Unterlassung der Mitteilung der Veränderung der Fall, wenn der betroffenen Person hier einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat, und deshalb nicht beachtet hat, was im gegebenen Falle jedem einleuchten muss. Dabei auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten der betroffenen Person sowie die besonderen Umstände des Falls abzustellen. Unter Umständen ist zudem in die Bewertung mit einzubeziehen, dass den Leistungsträger Beratungspflichten treffen (Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 48 SGB X (Stand: 15. November 2023), Rn. 132).

 

Der Kläger ist sowohl im Rahmen der Antragstellung durch das Formular und das Merkblatt sowie in dem Bewilligungsbescheid vom 18. Juni 2018 ausdrücklich auf seine Mitwirkungspflichten hingewiesen worden. Insbesondere der Hinweis auf dem Merkblatt, dass bei Unsicherheit über die Erheblichkeit der Änderung dennoch eine Mitteilung zu machen ist, hätte den Kläger nach Ansicht der Kammer dazu veranlassen müssen, im September 2018 jedenfalls vorsorglich bei der Beklagten eine Änderungsmitteilung zu unternehmen.

 

Die Beklagte hat hier im Rahmen ihrer Hinweispflichten mehrfach auf die bestehende Mitwirkungspflicht des Klägers hingewiesen. Damit ist der Kläger ausreichend auf die Gesetzeslage und seine Mitwirkungspflichten nach § 60 Satz 1 Nr. 2 SGB I hingewiesen worden. Dem Kläger hätte unter dieser ausführlichen Hinweiserteilung einleuchten müssen, dass seine Inhaftierung jedenfalls möglicherweise etwas am Leistungsanspruch ändert und dies daher eine Mitteilungspflicht auslöst. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine dreijährige Haftstrafe zu erwarten war. Nicht notwendig ist dabei, dass er die Anspruchsvoraussetzungen des § 6a BKGG vollends verstand.

 

Die Kammer nimmt das Vorliegen der groben Fahrlässigkeit insbesondere vor dem Hintergrund an, da die Ehefrau des Klägers und die Kinder durch die Inhaftierung des Klägers faktisch nunmehr mehr Geld zur Verfügung hatten, da der Regelbedarf des Klägers wegfiel, aber immer noch der gleiche Geldbetrag durch Wohngeld, Kinderzuschlag, Kindergeld und die Rente des Klägers auf dem gemeinsamen Konto zur Verfügung stand. Die Kammer nimmt an, dass dieser Umstand dem Kläger und seiner Ehefrau jedenfalls auffiel. Die Zeugin … hat in der mündlichen Verhandlung ausgesagt, die finanziellen Verhältnisse der Familie seien nicht konkret weiter besprochen worden, da der Familie nach Inhaftierung des Klägers dieselben finanziellen Verhältnisse weiterhin zur Verfügung standen. Damit ist jedenfalls durch den Kläger bewusst wahrgenommen worden, dass die Familie nach der Inhaftierung des Klägers keine finanziellen Einbußen zu verzeichnen hatte. Die Kammer geht auch davon aus, dass damit auffiel, dass ohne die Notwendigkeit der Verpflegung des Klägers damit faktisch mehr Geld zur Verfügung stand. Allein dieser Umstand hätte nach Ansicht der Kammer dazu führen müssen, bei der Beklagten nachzufragen, ob es dennoch bei dem bewilligten Kinderzuschlag verbleibe. Allein der Umstand, dass in dem Merkblatt der Beklagten eine Inhaftierung nicht ausdrücklich genannt wurde, steht dieser Annahme der groben Fahrlässigkeit nicht entgegen. Dem Merkblatt ist zu entnehmen, dass die angeführten Beispiele nur exemplarischer Natur sind. Zudem ist aufgeführt, dass eine Mitteilung zu erfolgen hat, wenn sich die Zahl der Haushaltsmitglieder ändert. Dies hätte den Kläger im Zusammenhang mit dem letzten Absatz des Merkblattes - dass im Zweifel bei der Familienkasse nachzufragen sei - zu einer Mitteilung veranlassen müssen.

 

Die Kammer ist zudem vor dem Hintergrund, dass in dem Bewilligungsbescheid vom 18. Juni 2018 auch der elterliche Bedarf als für die Berechnung relevanten Punkt genannt wurde, der Überzeugung, dass dem Kläger hätte einleuchten müssen, dass eine Mitteilung wegen der Änderung der Verhältnisse zu erfolgen hat. Zudem hat die Zeugin … in der mündlichen Verhandlung ausgesagt, sie selbst habe darüber nachgedacht, dass die Änderung der Beklagten gegebenenfalls mitzuteilen sei. Sie habe nur nicht gewusst, ob sie dies dem Kläger mitteilen solle. Vor diesem Hintergrund geht die Kammer davon aus, dass grundsätzlich entsprechende Einsichtsfähigkeit innerhalb der klägerischen Familie und auch bei dem Kläger existierte und die Frage der Mitteilungsbedürftigkeit der Inhaftierung des Klägers Thema - wenn auch gegebenenfalls nur oberflächlich - innerhalb der Familie war. Dass die Relevanz der Inhaftierung für den Kinderzuschlag niemals zwischen den Eheleuten Thema war, hält die Kammer aufgrund des Umstands, dass jedenfalls die Zeugin über die Relevanz nachdachte, für wenig glaubhaft. Die Relevanz der Änderung dann nicht zu recherchieren oder rein vorsorglich eine Mitteilung an die Beklagte zu unternehmen ist grob fahrlässig. Hinzuweisen ist zudem darauf, dass der Kläger im Rahmen des Folgeantrages vom 6. Juni 2016 seine Adresse, …, …, angab und seine Kinder unter 2. des Antrages als „zum Haushalt der antragstellenden Person gehörende weitere Personen“. Damit hätte dem Kläger bei einfacher Überlegung einleuchten müssen, dass eine im Zusammenhang mit der Leistung abgegebene Erklärung sich geändert hat.

 

Diese Einschätzung konnte die Kammer auch treffen, ohne dass der Kläger zur mündlichen Verhandlung persönlich erschienen ist, obwohl sein persönliches Erscheinen zunächst angeordnet war. Zwar ist im Rahmen der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten der betroffenen Person zu berücksichtigen, die Kammer ging indes nach der Aktenlage und der Beweiserhebung durch Vernehmung seiner Ehefrau als Zeugin nicht davon aus, dass der persönliche Eindruck des Klägers etwas an der Annahme des Vorliegens der groben Fahrlässigkeit geändert hätte. Dies wäre lediglich der Fall gewesen, wenn die Kammer Anhaltspunkte dafür gehabt hätte, dass aufgrund eines persönlichen Eindrucks des Klägers, von einer geringen Urteilsfähigkeit und/oder einem geringen Einsichtsvermögen auszugehen sein könnte, sodass dem Kläger die pflichtgemäße Erfüllung der Mitteilungspflichten nicht zugemutet werden konnte. Dies hat die Kammer aufgrund der strukturierten Abläufe im Rahmen der Antragstellung, wie sie sich aus der Verwaltungsakte ergaben und aufgrund der Schilderung der Zeugin …, der Ehefrau des Klägers, wie die Einreichung der Folgeanträge und der notwendigen Unterlagen bei der Beklagten - auch während der Inhaftierung des Klägers - zwischen den Eheleuten organisiert war, nicht für naheliegend gehalten. Die umfangreichen Unterlagen wurden grundsätzlich vollständig eingereicht. Wenn doch noch eine Aufforderung der Beklagten zur Einreichung weiterer Unterlagen erging, reichte der Kläger die Unterlagen stets zeitnah und dann vollständig ein. Dies organisierte er im Zusammenspiel mit seiner Ehefrau aus der Justizvollzugsanstalt heraus. Nach Aktenlage erfolgte dies scheinbar mühelos. Die Zeugin brachte dem Kläger nach eigener Aussage dabei die notwendigen Unterlagen mit in die Justizvollzugsanstalt oder schickte sie ihm zu. Dabei erklärte der Kläger der Zeugin, welche Unterlagen er jeweils benötige. Für die Annahme einer ausreichenden Urteilsfähigkeit und Einsichtsvermögen des Klägers spricht auch der Umstand, dass dieser in den Folgeanträgen seit seiner Inhaftierung zunächst seine Adresse nicht mehr angab und diese Zeilen leer ließ. Dies zeigt aus Sicht der Kammer auf, dass der Kläger jedenfalls ein Störgefühl gehabt haben muss, seine Adresse der Justizvollzuganstalt anzugeben. Zudem hat sich die geschilderte Persönlichkeit des Klägers in der mündlichen Verhandlung so dargestellt, dass dieser die Versorgungsangelegenheiten der Familie insgesamt fest in der Hand hielt. Insgesamt hat die Kammer daher keine Anhaltspunkte dafür gehabt, dass dieser organisierte Eindruck des Klägers durch einen persönlichen Eindruck revidiert worden wäre. Kann dem Kläger ausreichende Urteilsfähigkeit und Einsichtsfähigkeit unterstellt werden, zeigt dies, dass ihm das Anstellen naheliegender Überlegungen zuzumuten ist.

 

Zudem geht die Kammer nicht - wie von der Prozessbevollmächtigen des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung angemerkt - davon aus, dass die Leitung der Justizvollzugsanstalt in … den Kläger über seine Mitteilungspflichten hätte informieren müssen, soweit dort durch die Überwachung des Postverkehrs Kenntnis von dem Bezug des Kinderzuschlags bestand. Die Mitteilungspflichten des Klägers lagen weiterhin in seiner eigenen Sphäre. Dem Kläger hätte es freigestanden, bei Fragen zu dem Bezug von Sozialleistungen das Beratungsangebote der Justizvollzugsanstalt wahrzunehmen.

 

Dass die Leistungen bereits verbraucht waren, ist vor dem Hintergrund des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nicht beachtlich.

 

Nach Auffassung der Kammer liegt auch kein Fall des § 11 Abs. 5 BKKG in der Fassung vom 29. April 2019 vor. Wird demnach ein Verwaltungsakt über die Bewilligung von Kinderzuschlag aufgehoben, sind bereits erbrachte Leistungen abweichend von § 50 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch nicht zu erstatten, soweit der Bezug von Kinderzuschlag den Anspruch auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ausschließt oder mindert. Hintergrund der Regelung ist nach der Begründung des Gesetzgebers indes, dass es dieser als unbefriedigend ansah, dass der Bezug von Kinderzuschlag auch bei rückwirkendem Entfallen des Kinderzuschlags aufgrund der im SGB II geltenden Einkommensanrechnung nach dem Zuflussprinzip einen etwaigen SGB II-Leistungsanspruch mindert oder ausschließt, obwohl der Kinderzuschlag tatsächlich zu erstatten ist. Die Fälle, in denen der Gesetzgeber die Erstattung des Kinderzuschlags vermeiden wollte, setzen somit voraus, dass der Kinderzuschlag deshalb zu erstatten ist, weil trotz des Bezugs des Kinderzuschlags die Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II letztlich nicht vermieden wird (vgl. BT-Drs. 18/8041, S. 66; SG Berlin, Urteil vom 27. März 2019 – S 2 BK 17/17, Rn. 26, juris). Der Kläger war während seiner Inhaftierung nach § 7 Abs. 4 Satz 2 BKGG nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II. Der Umstand, dass die Ehefrau des Klägers gegebenenfalls leistungsberechtigt nach dem SGB II gewesen sein könnte, soweit man die Rente des Klägers der Bedarfsgemeinschaft der Kinder und Ehefrau nicht als Einkommen zurechnet, fällt nach Ansicht der Kammer nicht unter § 11 Abs. 5 BKGG. § 11 Abs. 5 BKGG setzt nach Ansicht der Kammer einen Leistungsanspruch nach dem SGB II des Adressaten der Erstattung der Kinderzuschlagsleistungen und damit Personenidentität voraus. Der Leistungsanspruch eines Dritten genügt hierfür nicht.

 

Die Rücknahme erfolgte auch fristgemäß. Insbesondere findet nach § 11 Abs. 3 BKGG die Regelung nach §§ 48 Abs. 4 Satz 1, 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X keine Anwendung. Die Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X hat die Beklagte gewahrt, indem sie jedenfalls knapp drei Monate nach Mitteilung durch die Zeugin … und vier Tage nach Eingang der Äußerung des Klägers auf die Anhörung eine Rücknahmeentscheidung traf.

Zudem ist die Höhe der Rückforderung nicht zu beanstanden. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Familie des Klägers dennoch weiter Kinderzuschlag zugestanden hätte, wenn die Ehefrau des Klägers als kindergeldberechtigte einen Folgeantrag gestellt hätte, weshalb die Kammer auf einen Vergleich zwischen den Beteiligten hingewirkt hatte; gleichwohl stand dem Kläger selbst gerade kein Anspruch zu, da er nicht mit seinen Kindern nach § 6a Abs. 1 BKGG in einem Haushalt lebte.

 

In der Rechtsfolge war der Verwaltungsakt als gebundene Entscheidung für die Vergangenheit ab dem Zeitpunkt der wesentlichen Änderung zurückzunehmen. Seit dem 1. Juli 2019 galt über § 11 Abs. 6 Nr. 1 BKGG der Verweis zu § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III. Damit war Ermessen nicht mehr auszuüben. Auf die Frage, ob ein atypischer Fall vorlag und ob damit Ermessen auszuüben war, kam es daher nicht an. Die Kammer ist der Auffassung, dass das Bundeskindergeldgesetz in der Fassung zum Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung anzuwenden war und die Übergangsvorschrift des § 19 Abs. 3 BKGG in der Fassung vom 29. April 2019 sich lediglich auf die Berechnung des Kinderzuschlags im Rahmen der Bewilligung bezieht und nicht auf die Aufhebung von Verwaltungsakten. Die Übergangsvorschrift zielt nach Auffassung der Kammer insbesondere darauf ab, dass sich für Bewilligungen ab 1. Juli 2019 die Berechnung des Kinderzuschlags durch einen neu geregelten Bemessungszeitraum grundlegend änderte.

 

Die nicht zu beanstandende Erstattungsverfügung basiert als gebundene Entscheidung nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf der als rechtmäßig zu beurteilenden Aufhebungsentscheidung. Soweit demnach ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind demnach - wie vorliegend erfolgt - bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.

Rechtskraft
Aus
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