L 1 U 2398/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 U 89/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 2398/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 12. Juli 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Kosten des auf Antrag der Klägerin erhobenen Gutachtens des 
W1 vom 9. September 2024 werden nicht auf die Staatskasse übernommen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin infolge eines Arbeitsunfalls einen Anspruch auf Verletztengeld über den 31. Oktober 2019 hinaus sowie Verletztenrente im Anschluss an das Verletztengeld und Haushaltshilfe und Heilbehandlung über den 31. Mai 2019 hinaus hat.

Die 1974 geborene Klägerin erlitt in ihrer damaligen Berufstätigkeit als Sachbearbeiterin bei der Firma I1 am 29. Mai 2017 einen Arbeitsunfall, als sie an ihrem Arbeitsplatz mit dem linken Fuß gegen einen Schrank bzw. mobilen Rollcontainer gestoßen ist. Im Durchgangsarztbericht des R1 vom Unfalltag wird als Erstdiagnose eine Mittelfußprellung links genannt. Laut diesem Durchgangsarztbericht sowie der Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 31. Mai 2017 war die Klägerin mit dem linken Fuß gegen einen Schrank bzw. mobilen Rollcontainer gestoßen. Die Klägerin selbst gab an, auf dem Weg zu ihrem Schreibtisch sei sie mit dem linken Fuß mehrfach gegen einen Moby (Rollschrank) gestoßen, der in geringem Abstand zu ihrem Schreibtisch im Durchgang gestanden habe.

Am 7. Juni und 23. Juni 2017 erfolgten MRT-Untersuchungen des linken Fußes, am 28. Juni 2017 eine MRT-Untersuchung des linken Sprunggelenks.

Die Klägerin war nach diesem Unfallereignis lange Zeit arbeitsunfähig und ihr wurde später von der Deutschen Rentenversicherung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beginnend ab dem 1. Januar 2020 bis Oktober 2022 gewährt. Im Mai 2024 nahm sie wieder eine Arbeitstätigkeit im Bereich L1 Cargo auf, das Arbeitsverhältnis wurde  jedoch zum 31. Oktober 2024 wieder gekündigt (Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 9. Oktober 2024).

P1 von der A1 Klinik H1 berichtete am 26. Juli 2017 von persistierenden Beschwerden im Bereich des linken Fußes nach Anpralltrauma und äußerte den Verdacht auf ein Complex Regional Pain Syndrome oder Komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS Typ I). In den Kernspinbildern des Sprunggelenkes und des Fußes zeigten sich altersentsprechende Befunde ohne Hinweise auf Stressfrakturen. Insbesondere liege kein Knochenödem, keine fleckige Entkalkung oder sonstige Hinweise auf trophische Störungen oder entzündliche Reaktionen vor.

Die Klägerin suchte im weiteren Verlauf bei persistierenden Beschwerden eine Vielzahl verschiedener Ärzte (u.a. K1 und B1 [Uniklinik M1]) auf, die die Klägerin wegen einer chronischer Schmerzerkrankung behandelten und ebenfalls ein CRPS diagnostizierten. Für deren Berichte wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakte verwiesen.

Nach Einholung und Auswertung weiterer Arztberichte teilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 15. November 2017 mit, als Folgen des Arbeitsunfalls vom 29. Mai 2017 würden eine folgenlos ausgeheilte Sprunggelenks- und Mittelfußprellung links anerkannt. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit sowie Anspruch auf Heilbehandlung, Verletztengeld und Haushaltshilfe bestünden bis 12. Juli 2017. Ansprüche auf Kraftfahrzeughilfe, ein persönliches Budget oder Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls bestünden nicht. Mit Bescheid vom 6. Juni 2018 half die Beklagte dem hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin teilweise ab und hob den Bescheid vom 15. November 2017 teilweise auf. Zur Begründung führte sie aus, es bestehe über den 12. Juli 2017 hinaus ein Anspruch auf Heilbehandlung, Verletztengeld und Haushaltshilfe dem Grunde nach. Durch Untersuchungen am 28. Februar und 17. April 2018 in der Neurologischen Klinik in M1 sei die Diagnose eines CRPS infolge der Sprunggelenks- und Mittelfußprellung vom 29. Mai 2017 erwiesen worden. Damit bestünden auch über den 12. Juli 2017 hinaus Beschwerden, die einen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung begründeten. Über Kraftfahrzeughilfe, persönliches Budget und Verletztenrente könne zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden werden.

Nachfolgend schlossen sich verschiedene weitere Verwaltungs- und Gerichtsverfahren an, in denen u.a. über die Erstattung von Kosten für eine Haushaltshilfe, die Kosten für einen Mietwagen sowie einen Anspruch auf Kfz-Hilfe gestritten wurde (vgl. übersichtliche Darstellung im Rahmen des Tatbestandes des erstinstanzlichen Urteils).

Am 5. September 2019 untersuchte der M2 die Klägerin im Auftrag der Beklagten und erstattete am 1. Oktober 2019 ein neurologisches Gutachten über die Unfallfolgen. M2 verneinte das unfallbedingte Vorliegen eines CRPS. Die aktuelle Arbeitsunfähigkeit der Klägerin beruhe nicht auf den Unfallfolgen. Das Eingangskriterium des CRPS, der nicht durch das Anfangstrauma erklärbare Schmerz, sei zweifelsohne erfüllt. Eine Asymmetrie im Schwitzen bestehe aber nicht, auch kein Ödem. Ein Schmerz bei Druck auf die Gelenke/Knochen und Muskeln werde zwar angegeben, sei aber nicht objektivierbar. Eine relevante Asymmetrie der Hauttemperatur bestehe nicht und sei auch in den Vorbefunden praktisch nicht beschrieben worden. Motorische Störungen mit Einschränkung der aktiven und passiven Beweglichkeit, Störungen der Feinmotorik sowie einer schmerzbedingten Kraftminderung und Pseudoparesen bis hin zu Bewegungsstörungen (Tremor, Dystonie) fänden sich in derselben Form auch im Rahmen psychogener Bewegungsstörungen, zu denen man auch bewusste und unbewusste Entschädigungswünsche rechnen müsse. Diese seien für ein CRPS nicht spezifisch. Bei der Klägerin sei die gezeigte Fußheberschwäche eindeutig nicht konsistent über die gesamte Untersuchungssituation zu beobachten gewesen.
Bei der Klägerin sei das Trauma jedenfalls in eine komplexe Vorgeschichte eingebettet mit monatelangen schmerzbedingten Krankschreibungen. Bereits am 7. April 2019 und damit vor dem Unfallereignis habe ein Schmerztherapeut über „Ärger, den die Kasse und der Arbeitgeber mache" berichtet und deswegen eine Psychotherapie empfohlen. Mit Blick auf die Diagnosestellung CRPS durch verschiedenen behandelnde Ärzte führte M2 aus, alle Behandler, die die CRPS-Diagnose anzweifelten, seien im weiteren Verlauf von der Klägerin nicht mehr aufgesucht worden, sodass es schon allein deswegen eine Tendenz hin zur CRPS-Diagnose (durch Behandler) gebe. Aufgrund der Vorgeschichte, von Inkonsistenzen in der Untersuchungssituation und mangels objektiver Befunde sei es naheliegend, Entschädigungswünsche als wesentliche Ursache der vorliegenden Symptomatik anzusehen. M2 stellte die Diagnose Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen. Es handele sich nicht um eine unfallbedingte Funktionsbeeinträchtigung. Ein CRPS sei als Folge des Unfalls vom 29. Mai 2017 nicht aufgetreten. Eine unfallbedingte MdE auf neurologischem Fachgebiet bestehe nicht.

Eine für den 12. September 2019 gleichfalls im Verwaltungsverfahren vorgesehene orthopädisch-chirurgische Begutachtung durch T1 in B2 scheiterte aufgrund einer von der Klägerin beklagten massiven Berührungsempfindlichkeit des gesamten betroffenen Fußes. Die Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes führte die Klägerin später auf die Begutachtung durch M2 zurück.

R2 und L2 (neuropsychiatrisch) diagnostizierten im Oktober 2019 jeweils im Rahmen eines Gutachtens für die Deutsche Rentenversicherung Bund ein CRPS.

Mit Bescheid vom 23. Oktober 2019 teilte die Beklagte der Klägerin sodann mit, als Folge des Arbeitsunfalls werde eine vorübergehende Verschlimmerung eines vorbestehenden Schmerzleidens in Form eines CRPS nach folgenlos ausgeheilter Sprunggelenks- und Mittelfußprellung links anerkannt. Ansprüche auf Heilbehandlung, Verletztengeld und Haushaltshilfe bestünden jeweils bis zum 31. Mai 2019. Die bezüglich der Haushaltshilfe zuvor erlassenen Bescheide würden entsprechend abgeändert. Ein Anspruch auf Rente ab dem 1. Juni 2019 bestehe nicht. Ab dem 1. Juni 2019 liege keine unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit mehr vor. Die danach bestehenden Beschwerden seien auf andere, unfallunabhängige Gründe zurückzuführen.

Mit weiterem Bescheid vom 31. Oktober 2019 teilte die Beklagte der Klägerin - nach vorheriger Anhörung - mit, ein Anspruch auf Zahlung von Verletztengeld über den 31. Oktober 2019 hinaus wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 29. Mai 2017 bestehe nicht.

Die gegen diese Entscheidungen erhobenen Widersprüche der Klägerin wies die Beklagte jeweils mit Widerspruchsbescheiden vom 16. Dezember 2019 als unbegründet zurück. Beide Widerspruchsbescheide wurden mit einem Anschreiben vom 16. Dezember 2019 mittels Empfangsbekenntnis an den damaligen Prozessbevollmächtigte der Klägerin übersandt und gingen am 18. Dezember 2019 zu.

Am 10. Januar 2020 hat die Klägerin wegen „wegen Anspruch auf Verletztengeld, Heilbehandlung inklusive Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, Kostenübernahme für eine Haushaltshilfe und Anspruch auf Verletztenrente“ beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage gegen den Bescheid vom 23. Oktober 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2019 erhoben (Az.: S 12 U 89/20). Dieser Klage war als Anlage auch der Bescheid vom 31. Oktober 2024 beigefügt. Am Montag, den 20. Januar 2020 hat der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine weitere Klage gerichtet gegen die Bescheide vom 23. Oktober und 31. Oktober 2019, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2019 erhoben (Az.: S 12 U 167/20). Mit Schreiben vom 7. Mai 2020 hat die Klägerin auf Nachfrage des SG mitgeteilt, dass die Klage S 12 U 167/20 durch ihren Prozessbevollmächtigte ohne ihr Wissen und Einvernehmen beim SG eingereicht worden sei, weshalb sie diese Klage nicht weiter aufrecht erhalten wolle und beantrage, dass der Klageantragspunkt zur Anfechtung des Bescheids vom 31. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2019 in die bereits laufende Klage mit dem Aktenzeichen S 12 U 89/20 in Form einer Klageerweiterung mitaufgenommen werde. Mit Beschluss vom 18. Mai 2020 hat das Gericht beide Verfahren unter dem Aktenzeichen S 12 U 89/20 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Das SG hat den Hausarzt der Klägerin S1, die W2, die M3 und den M4 als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. Ferner hat es von der Barmer Krankenkasse eine Leistungsauskunft und von der G1-Klinik S2 Behandlungsunterlagen vom 1. Mai 2017 einschließlich einer Röntgenaufnahme beigezogen.

Das SG hat den P2 von Amts wegen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Aufgrund einer Untersuchung der Klägerin am 4. März 2021 hat dieser am 12. April 2021 ein Gutachten erstattet. P2 hat in seinem Gutachten zusammenfassend dargelegt, die von der Klägerin angegebenen, seit mittlerweile mehr als 3 Jahren bestehenden massiven Beschwerden seien aus orthopädisch/unfallchirurgischer Sicht nicht nachzuvollziehen. Diese seien Ausdruck einer unfallunabhängigen und insbesondere bereits seit langer Zeit vorbestehenden chronischen Schmerzstörung bzw. Somatisierungsstörung mit gestörter Schmerzverarbeitung.
Die seitengleiche Bemuskelung beider unterer Extremitäten, ebenso wie der seitengleiche Kalksalzgehalt des Fußskeletts sei nicht in Übereinstimmung zu bringen mit einer tatsächlich bestehenden, erheblichen Minderbelastbarkeit, die, insbesondere wenn tatsächlich über Jahre bestehend, zwangsläufig mit einer muskulären Hypotrophie und Kalksalzminderung der skelettären Strukturen einhergehen würde. Das Vollbild eines CRPS sei nicht nachgewiesen. Vielmehr sei das bereits vor dem streitigen Unfall schon bestehende multilokuläre Beschwerdebild der Klägerin, mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die unfallunabhängig vorbestehende chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren zurückzuführen.

Die Klägerin hat gegen das Gutachten des P2 umfangreiche Einwände erhoben. Sie hat insbesondere geltend gemacht, P2 habe in seinem Gutachten die gesamten neurologischen Expertisen der sie behandelnden M1 wie auch von K1 kaum erwähnt, obwohl diese beiden Stellen in Deutschland die maßgeblichen Know-How-Träger für das Krankheitsbild des CRPS seien, und er sei auch nicht auf die erhebliche Schädigung ihrer Gesundheit durch den M2 eingegangen. P2 verfüge nicht über das nötige Know-How, ein CRPS fachmännisch zu diagnostizieren oder gar die Behandlungen hierfür zu verifizieren. Die Klägerin hat  die Einholung eines Gutachtens durch einen „fähigen objektiven neuen Gutachter“ angeregt und dem SG empfohlen, gegenüber der Beklagten Stillschweigen über die auserwählten Gutachter zu wahren, damit diese gar nicht erst wisse, wen sie bestechen könnte.

Mit Beschluss vom 6. Dezember 2021 hat das SG das Ablehnungsgesuch gegen den P2 zurückgewiesen.

Auf Anforderung des SG hat P2 eine ergänzende Stellungnahme vom 28. Februar 2022 erstellt und an seinem bisherigen Ergebnis festgehalten.

Mit Beschluss vom 9. November 2022 hat das Gericht auf Anregung der Klägerin und mit Zustimmung der Beklagten das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 2. Februar 2023 das Verfahren wieder angerufen.

Mit Urteil vom 12. Juli 2023 hat das SG die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat es dargelegt, bei der Klägerin sei ein CRPS jedenfalls für den Zeitraum nach dem 31. Mai 2019 nicht nachzuweisen. Das SG hat sich der Bewertung des P2 angeschlossen.

Gegen das am 24. Juli 2023 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20. August 2023 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie verschiedene Befund- und Behandlungsberichte vorgelegt, in denen ein CRPS diagnostiziert wurde. Es sei nur schwer nachvollziehbar, dass sich die zahlreichen Fachärzte und Gutachter, die die Diagnose eines CRPS bisher attestiert hätten, geirrt oder ihre Arbeit nicht professionell und gewissenhaft genug geleistet hätten. Die Klägerin hat insbesondere auf die CRPS-Diagnose durch B1 verwiesen, der über äußerst spezielle Testgeräte und -möglichkeiten verfüge, um das Krankheitsbild des CRPS objektivieren zu können. Dieser zähle zu den bekanntesten CRPS-Spezialisten, die es bundesweit gebe. In den Befunden des B1 sei das Bestehen des CRPS nicht einmal angezweifelt, sondern stets als nachgewiesen erachtet worden. Die Klägerin hat zudem einen Bericht der Neurologischen Praxis S3 vom 9. November 2023 vorgelegt, der
u.a. auch über ein chronisches Fatigue-Syndrom berichtet, welches sich im zeitlichen Zusammenhang mit einer Corona-Infektion im März dieses Jahres manifestiert habe (Long-Covid-Syndrom).

Die Klägerin beantragt

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 12. Juli 2023 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 23. und 31. Oktober 2019 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. Dezember 2019 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Verletztengeld über den 31. Oktober 2019 hinaus, Haushaltshilfe und Heilbehandlung über den 31. Mai 2019 hinaus sowie Verletztenrente im Anschluss an das Verletztengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet das Urteil des SG für zutreffend und hält an ihrer Entscheidung fest. Sie hat zur
Berufungserwiderung ergänzend vorgetragen, die weiteren Unterlagen führten zu keiner anderen Beurteilung. Vielmehr zeige sich, dass auch nach über 6 Jahren seit dem Unfall ein diffuses, multifaktorielles Krankheitsgeschehen bei der Klägerin bestehe und der Nachweis eines CRPS am linken Fuß nicht (mehr) mit dem erforderlichen Beweisgrad erbracht werden könne.

Auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG hat der Senat ein Gutachten bei W1 (Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin Zentrum für Interdisziplinäre Schmerzmedizin H2 B3) eingeholt. In seinem Gutachten vom 9. September 2024 hat W1 im Ergebnis dargelegt, bei der Klägerin sei eine primäre chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychosomatischen Faktoren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit existent. Diese sei durch das ebenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit existente CRPS des linken Fußes als direkte Unfallfolge und dem damit existenten Anpralltrauma ursächlich begründbar. Er nahm eine Gesamt-MdE von 60 vH an. Eine unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit bestehe seit dem Unfallgeschehen vom 29. Mai 2017 bis dato. Die Klägerin sei seit dem Unfallgeschehen als arbeitsunfähig einzustufen. Es könne ausgeschlossen werden, dass die Klägerin aggraviere oder simuliere. Befragt nach den Abweichungen zu den Vorgutachten hat W1 ausgeführt, die Unterschiede der Gutachtenergebnisse seien zwar auf den ersten Blick gravierend, sie gingen aber von einer unterschiedlichen Bewertung der Erkrankungsbilder und deren Ausmaßen und v.a. Folgen für die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Klägerin aus.
Aus schmerzmedizinischer Fachexpertise werde eine intensive schmerzmedizinische therapeutische Betreuung und Begleitung der Klägerin mit unterstützenden physikalischen und ergotherapeutischen Maßnahmen auf unbestimmte Zeit als dringend notwendig gesehen, um eine Progredienz der Erkrankung im weiteren Verlauf zu vermeiden. Die Diagnose einer chronischen Schmerzerkrankung sei letztlich in allen Befunden und Gutachten sowie Stellungnahmen bei aller Variabilität der gutachterlichen Bewertungen insgesamt unstrittig. Es gebe auch Hinweise auf das Vorliegen einer sekundär entstandenen psychosomatischen Beeinflussung der chronischen Schmerzerkrankung im Sinne durch den Schmerz getriggerten Verstimmungen und eingeschränkten Sozialkontakten.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 30. September 2024 dahingehend Einwendungen gegen das Gutachten des W1 erhoben. Das Gutachten setze sich insbesondere nicht mit den in der Aktenlage mehrfach dokumentierten weiteren Erkrankungen, der langjährigen Schmerzbiographie und vorhandenen Belastungsfaktoren auseinander. Aufgrund der bereits in der Anamneseerhebung bestehenden Defizite hätten die weiteren gutachterlichen Ausführungen von W1 nur begrenzte Aussagekraft. Das Gutachten könne trotz umfassenden Testungen am Untersuchungstag nicht darüber hinwegtäuschen, dass als Brückenbefunde im Wesentlichen die anamnestischen Angaben herangezogen werden und nicht objektivierte Befunde. Dass ein CRPS - zumindest zeitweise - bestanden habe, sei unstrittig. An verschiedenen Stellen seines Gutachtens führe W1 sinngemäß aus, dass er neben dem CRPS eine chronische Schmerzerkrankung sehe. Damit wäre neben der Frage des weiteren Bestehens des CRPS die Frage einer weiteren Unfallfolge im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität getrennt zu beantworten gewesen. Dies erfolge im Gutachten von W1 nicht.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung hat keinen Erfolg. Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung Klägerin ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet.

1.)
Die am 10. Januar 2020 (von der Klägerin selbst) erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage auf Gewährung von Verletztengeld über den 31. Oktober 2019 hinaus
sowie Haushaltshilfe und Heilbehandlung über den 31. Mai 2019 hinaus und Verletztenrente im Anschluss an das Verletztengeld ist zulässig. Zwar hat die Klägerin in dieser Klage im Antrag ausdrücklich nur den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 23. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2019 benannt. Der weitere Bescheid vom 31. Oktober 2019 war jedoch der Klage beigefügt und aus der Klagebegründung war mit hinreichender Klarheit zu erkennen, dass die Klägerin auch mit diesem Bescheid inhaltlich nicht einverstanden ist, so dass auch dieser zum zulässigen Klagegegenstand geworden ist.

Mit Blick auf den Verbindungsbeschluss des SG vom 18. Mai 2020 ist lediglich klarstellend anzumerken, dass die vom damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 20. Januar 2020 erhobene weitere Klage wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig war, allerdings von der Klägerin auch mit Schreiben vom 7. Mai 2020 bereits sinngemäß für erledigt erklärt wurde („Deshalb würde ich diese Klage nicht weiter aufrechterhalten wollen“).

2.)
Die Bescheide der Beklagten vom 23. und 31. Oktober 2019 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. Dezember 2019 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Verletztengeld über den 31. Oktober 2019 hinaus sowie Haushaltshilfe und Heilbehandlung über den 31. Mai 2019 hinaus und auf Verletztenrente im Anschluss an das Verletztengeld.

Dass es sich bei dem Ereignis vom 29. Mai 2017 um einen Arbeitsunfall handelt, hat die Beklagte zutreffend nicht in Zweifel gezogen und steht auch für den Senat fest.

3.)
Ein Anspruch auf Verletztengeld über den 31. Oktober 2019 hinaus besteht nicht.

Nach § 45 Abs. 1 SGB VII wird Verletztengeld geleistet, wenn Versicherte „infolge“ des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben können und unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Heilbehandlung Anspruch auf Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Unterhaltsgeld, Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld, nicht nur darlehensweise gewährtes Arbeitslosengeld II oder nicht nur Leistungen für Erstausstattung für Bekleidung bei Schwangerschaft und Geburt nach dem SGB II oder Mutterschaftsgeld hatten. Der Anspruch auf Verletztengeld endet gem. § 46 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII mit dem letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit. Ein Anspruch auf Verletztengeld besteht demnach nur, wenn die Arbeitsunfähigkeit oder Teilnahme an der Heilbehandlung ihre rechtlich wesentliche Ursache in einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit haben (vgl. Westermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 45 SGB VII, Stand: 5. November 2024, Rn. 31).

Diese Voraussetzung liegt nicht vor. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass jedenfalls die ab dem 31. Mai 2019 noch bestehende Arbeitsunfähigkeit ihre rechtlich wesentliche Ursache im Unfallereignis vom 29. Mai 2017 hatte und die Klägerin infolge dieses Arbeitsunfalls arbeitsunfähig war oder ist.

Die Klägerin hat am 29. Mai 2017 im Vollbeweis gesichert eine Prellung des linken Sprunggelenks- und eine Mittelfußprellung erlitten. Als Folge des Arbeitsunfalles hat die Beklagte zudem mit dem streitigen Bescheid eine vorübergehende Verschlimmerung eines vorbestehenden Schmerzleidens in Form eines CRPS nach folgenlos ausgeheilter Sprunggelenks- und Mittelfußprellung links anerkannt, die für den Senat insoweit bindend ist. Soweit die Beklagte allerdings zuvor in der Begründung des Bescheides vom 6. Juni 2018 vom Nachweis eines CRPS sprach, lag hierin noch keine bindende Feststellung von Unfallfolgen, sondern es handelte sich um ein reines Begründungselement (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Februar 2024 - L 1 U 2119/22 -, Rn. 33 ff, juris).

Als weitere unfallunabhängige und bereits vor dem Unfallereignis vom 29. Mai 2017 bestehende Gesundheitsstörung ist der Senat zudem von einer bei der Klägerin bestehenden chronischen Schmerzstörung bzw. Somatisierungsstörung mit gestörter Schmerzverarbeitung überzeugt. Diese sieht der Senat auch als rechtlich wesentliche Ursache der bei der Klägerin bestehenden erheblichen Beschwerden und der über den 31. Mai 2019 hinausgehenden Arbeitsunfähigkeit an.

Der Senat vermag hingegen nicht festzustellen, dass der Unfall vom 29. Mai 2017 auch noch nach dem 31. Mai 2019 (und damit auch nicht nach dem 31. Oktober 2019) ursächlich für die bei der Klägerin vorhandenen gesundheitlichen Beschwerden und die dadurch bedingte Arbeitsunfähigkeit waren.

Dabei stützt er sich - wie bereits das SG - wesentlich auf das Gutachten des
P2, der das zuvor bereits eingeholte Gutachten im Verwaltungsverfahren des M2 vollumfänglich bestätigt hat.

Ob ein Gesundheitsschaden dem Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls als Unfallfolge im engeren Sinne zuzurechnen ist (sog. haftungsausfüllende Kausalität), beurteilt sich nach der Zu-rechnungslehre der Theorie der wesentlichen Bedingung (st. Rspr., vgl. stellvertretend BSG, Urteil vom 5. Juli 2011 - B 2 U 17/10 R = BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr. 1 Rn. 28 ff. m.w.N.). Die Zurechnung erfolgt danach in zwei Schritten: Erstens ist die Verursachung der weiteren Schädigung durch den Gesundheitserstschaden im naturwissenschaftlich-naturphilosophischen Sinne festzustellen. Ob die Ursache-Wirkung-Beziehung besteht, beurteilt sich nach der Bedingungstheorie. Nach ihr ist eine Bedingung dann notwendige Ursache einer Wirkung, wenn sie aus dem konkret vorliegenden Geschehensablauf nach dem jeweiligen Stand der einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse (Erfahrungssätze) nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine-qua-non). Auf dieser ersten Stufe sind alle derartigen notwendigen Bedingungen grundsätzlich rechtlich gleichwertig (äquivalent). Alle festgestellten anderen Bedingungen (und kein Ereignis ist monokausal), die in diesem Sinn nicht notwendig sind, dürfen hingegen bei der nachfolgenden Zurechnungsprüfung nicht berücksichtigt werden. Ist der Gesundheitserstschaden in diesem Sinne eine notwendige Bedingung des weiteren Gesundheitsschadens, wird dieser ihm aber nur dann zugerechnet, wenn er ihn wesentlich (ausreichend: mit-) verursacht hat. "Wesentlich" (zurechnungsbegründend) ist der Gesundheits-erstschaden für den weiteren Gesundheitsschaden nach der in der Rechtsprechung des BSG gebräuchlichen Formel, wenn er eine besondere Beziehung zum Eintritt dieses Schadens hatte (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 Rn. 15 ff. m.w.N.).

Während die anspruchsbegründenden Tatsachen des Arbeitsunfalls in Form der versicherten Tätigkeit, der schädigenden Einwirkung und der als Unfallfolge geltend gemachten Gesundheitsstörung jeweils i.S. eines Vollbeweises erwiesen sein müssen, genügt für die Annahme der haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität der Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, a.a.O., Rn. 20 auch zum Nachfolgenden). Diese liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Es genügt nicht, wenn der Ursachenzusammenhang nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Dabei ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Denn es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Es reicht daher zur Begründung des ursächlichen Zusammenhangs nicht aus, gegen diesen Zusammenhang sprechende Umstände auszuschließen.

Gestützt aus das ausführliche und überzeugende Gutachten des
P2 und ergänzend des Gutachtens des M2 vermag der Senat zunächst fortbestehende Folgen, des von der Beklagten grundsätzlich als vorübergehende Verschlimmerung eines vorbestehenden Schmerzleidens anerkannten CRPS nicht festzustellen. Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Unfall vom 29. Mai 2017 auch noch nach dem 31. Mai 2019 ursächlich für die bei der Klägerin vorhandenen massiven Beschwerden und die dadurch bedingte Arbeitsunfähigkeit waren. Auf Basis einer Untersuchung der Klägerin am 4. März 2021 hat P2 für den Senat überzeugend herausgearbeitet, dass sich die Klägerin bei dem Unfallereignis vom 29. Mai 2017 eine Prellung des linken Vorfußes zugezogen hat, wobei das in diesem Zusammenhang erlittene Weichteilödem im Bereich des linken Fußrückens ausweislich der am 26. Juni 2017 durchgeführten Verlaufskontrolle zeitgerecht abgeheilt ist. P2 hat zudem überzeugend herausgearbeitet, dass ein Zusammenhang der andauernden und auch aktuell noch bestehenden Beschwerden an der linken unteren Extremität mit dem Ereignis vom 29. Mai 2017 nicht hinreichend wahrscheinlich zu machen ist. Die von der Klägerin angegebenen massiven Beschwerden konnte er aus orthopädisch/unfallchirurgischer Sicht nicht nachvollziehen und hat diese überzeugend als Ausdruck einer unfallunabhängigen, bereits seit langer Zeit vorbestehenden chronischen Schmerzstörung bzw. Somatisierungsstörung mit gestörter Schmerzverarbeitung gewertet. Er hat darauf hingewiesen, dass die seitengleiche Bemuskelung beider unterer Extremitäten, ebenso wie der seitengleiche Kalksalzgehalt des Fußskeletts nicht mit einer tatsächlich bestehenden, erheblichen Minderbelastbarkeit in Übereinstimmung zu bringen sind, die, insbesondere, wenn tatsächlich über Jahre bestehend, zwangsläufig mit einer muskulären Hypotrophie und Kalksalzminderung der skelettären Strukturen einhergeht. P2 sah zum Zeitpunkt seiner Begutachtung das Vollbild eines CRPS nicht (mehr) als nachgewiesen an. Er gelangte mit nachvollziehbarer Begründung vielmehr zu dem Ergebnis, dass das bereits vor dem streitigen Unfall schon bestehende multilokuläre Beschwerdebild der Klägerin mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die unfallunabhängig vorbestehende chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren zurückzuführen ist. Er hat zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Vielzahl behandelnder Ärzte bereits deutlich vor dem streitigen Unfallereignis am 29. Mai 2017 eine bei der Klägerin bestehende Schmerzfehlverarbeitung beschrieben haben. Dies entspricht in allen wesentlichen Punkten dem Gutachten des M2, der gleichfalls darauf hingewiesen hat, dass das (Unfall-)Trauma in eine komplexe Vorgeschichte mit monatelangen schmerzbedingten Krankschreibungen eingebettet war.

Diese Ausführungen sind zutreffend und für den Senat überzeugend. So hat
der H3 als Folge zweier Bandscheibenvorfällen nach zwei Unfällen bereits vor dem hier streitigen Arbeitsunfall am 7. April 2017 eine chronische Schmerzerkrankung Stadium III nach Gerbershagen diagnostiziert. Auch P3 (Oktober 2016: „Somatoforme Störung“), R3 (November 2016: „Somatoforme Störung“), H4 (Dezember 2016: „Sonstiger chronischer Schmerz“), R4 (Januar 2017: „Somatoforme Störung“ und „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“) und B4 (März 2017: „Chronische Schmerzstörung mit somatische und psychischen Faktoren“) gingen bereits zeitlich vor dem streitigen Unfallereignis von einer gesicherten Schmerzerkrankung aus. Dem entsprechen auch die Ausführungen des S1 in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 25. März 2020, in der er die Klägerin schon im Januar 2017 „als chronische Schmerzpatientin“ beschrieben und u.a. eine Neurastenie, depressive Entwicklung und psychovegetative Erschöpfung diagnostizierte. S1 hatte zuvor auch schon im November 2016 über eine erhebliche Schmerzsymptomatik, im Sinne einer somatoformen Scherzstörung der Klägerin berichtet („15.11.2016: war bei 4 Orthopäden, verschiedene Therapieansätze [meist Igel], war beim S4, kann keine Schuhe mit Absätzen tragen wegen starker Schmerzen im re. Fuß, flache Schuhe gehen, MRT Fuß re. war angebl. o.B., soll zu S5, Vorschlag: Osteopathie, jetzt auch Beschwerden rechtes Bein Diagnosen: Sensibilitätsstörung [re] Psychovegetative Dystonie“). Im März 2017 berichtete er ebenfalls von Somatisierungsreaktionen („22.03.2017: wird von Arbeitsgeber unter Druck gesetzt, soll jetzt Arbeitszeit auf 5 Tage strecken Diagnosen: Neurasthenie Somatisierungsreaktion [V.a.]“).  

Der Leistungsauskunft der Krankenkasse kann hiermit korrespondierend entnommen werden, dass die Klägerin bereits vor dem angeschuldigten Ereignis in der Zeit vom 8. August 2016 bis 12. April 2017, also mehr als 8 Monate, durchgehend arbeitsunfähig war. Die Hauptdiagnose, die zu dieser Arbeitsunfähigkeit geführt hat, war die Verstauchung und Zerrung des (rechten) Fußes und als Nebendiagnose wurde eine „somatoforme Störung" benannt. Noch kurz vor dem streitigen Unfall war die Klägerin in der Zeit vom 2. bis 12. Mai 2017 wegen einer Prellung einer oder mehrerer Zehen des linken Fußes krankgeschrieben. Hinzu kamen etliche weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen internistischer Diagnosen.


Als gesichert festzustellen ist nach alledem, dass bei der Klägerin bereits deutlich vor dem Unfallereignis vom 29. Mai 2017 eine ganz erhebliche unfallabhängige Schmerzproblematik und Schmerzfehlverarbeitung bestand und diese (und nicht die Folgen des Unfalls) jedenfalls nach dem 31. Mai 2019 rechtlich wesentlich für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin und deren Arbeitsunfähigkeit waren. Der Senat folgt daher den übereinstimmenden Ausführungen der P2 und M2, wonach jedenfalls ab dem 31. Mai 2019 keine unfallbedingten Gesundheitsstörungen mehr vorlagen, die eine Arbeitsunfähigkeit hätten begründen können und die seither bestehenden Gesundheitsstörungen unfallunabhängig sind. 

Auch W1 hat in seinem Gutachten - auf Basis des zuvor gesagten - überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass die Klägerin an einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychosomatischen Faktoren leidet. W1 hat des Weiteren zutreffend dargelegt, dass die Diagnose einer chronischen Schmerzerkrankung letztlich in allen Befunden und Gutachten bestätigt wird. Der Senat folgt auch seiner Darlegung, dass es Hinweise auf das Vorliegen einer psychosomatischen Beeinflussung der chronischen Schmerzerkrankung im Sinne von durch den Schmerz getriggerten Verstimmungen und eingeschränkten Sozialkontakten gibt. Soweit er dann jedoch ausgeführt hat, die bestehende Schmerzerkrankung sei durch das ebenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit existente CRPS des linken Fußes als direkte Unfallfolge und dem damit existenten Anpralltrauma ursächlich begründbar und bedinge eine Gesamt-MdE von 60 vH, vermag der Senat seinen Ausführungen nicht zu folgen. Insbesondere vermag der Senat dem Gutachten des W1 keine überzeugende Auseinandersetzung und Abgrenzung der tatsächlichen Unfallfolgen, mit der bereits vor dem Unfall durch eine Vielzahl an Arztbesuchen dokumentierten und diagnostizierten Schmerzfehlverarbeitung zu entnehmen. Die Argumentation W1, eine relevante Vorschädigung habe bei der Klägerin nach Aktenlage und eigenen Angaben vor dem Unfallereignis nicht vorgelegen, ist nach den obigen Ausführungen aus Sicht des Senats nachweislich unzutreffend. Die isolierte Betrachtung des Unfallereignisses und die hierauf gestützte Annahme einer erstmalig durch das Bagatellunfallereignis vom 29. Mai 2017 entstandenen Schmerzerkrankung in Form einer hieraus resultierenden CRPS, die auch noch nach dem 31. Mai 2019 rechtlich wesentliche Ursache der Beeinträchtigung der Klägerin war, negiert die in mehreren tausend Seiten Verwaltungsakten enthaltene komplexe Vorgeschichte mit monatelangen schmerzbedingten Krankschreibungen komplett und überzeugt den Senat daher nicht.

Der Hinweis darauf, dass etliche (aber keineswegs alle) behandelnden Ärzte ebenfalls ein CRPS diagnostiziert haben (u.a.
B1 und K1) ist zwar grundsätzlich zutreffend, verkennt aber die Unterschiede zwischen einer Diagnosestellung im therapeutischen Kontext und einer Begutachtung im Sozialgerichtsverfahren. Im Gegensatz zu behandelnden Ärzten, obliegt es einem Gutachter auch Angaben der Klägerin (ggf. unter Auswertung der Akten) kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren, so dass der Verweis auf eine Diagnosestellung im therapeutischen Kontext im Rahmen eines sozialgerichtlichen Gutachtens per se nicht ausreichend ist, sondern immer eine Begründung der Diagnose auf Grund der vom Gutachter selbst erhobener Befunde unter kritischer Würdigung der Aktenlage und der Vorgeschichte erforderlich ist. Dies ist W1 aus den oben genannten Gründen nicht überzeugend gelungen.

Die von
R5 und L2 im Rahmen eines Gutachtens für die Deutsche Rentenversicherung Bund erstellten Gutachten, in denen ebenfalls ein CRPS diagnostiziert wurde, setzten sich natur- und auftragsgemäß nicht mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung im Zentrum der Beurteilung stehenden Kausalitätsproblematik auseinander, so dass diesen Gutachten bereits deshalb kein überzeugendes Gewicht beigemessen werden kann. Ergänzend wird auf die zutreffende Kritik des P2 an diesen beiden Gutachten verwiesen.

Nach alledem hält der Senat insgesamt einen Zusammenhang zwischen den noch ab 31. Mai 2019 bestehenden Gesundheitsstörungen der Klägerin mit ihrem am 29. Mai 2017 erlittenen Arbeitsunfall nicht für hinreichend wahrscheinlich.

4.)
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verletztenrente. Versicherte haben Anspruch auf eine Verletztenrente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit in Folge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vH mindern.

Diese Voraussetzungen liegen entsprechend der obigen Ausführungen nicht vor. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass bei der Klägerin jedenfalls ab dem 31. Mai 2019 noch eine MdE von mindestens 10 vH vorlag, die ihre rechtlich wesentliche Ursache im Unfallereignis vom 29. Mai 2017 hat. Wie bereits dargelegt ist der Senat davon überzeugt, dass die unfallunabhängige chronische Schmerzstörung bzw. Somatisierungsstörung mit gestörter Schmerzverarbeitung die rechtlich wesentliche Ursache der bei der Klägerin bestehenden erheblichen Beschwerden darstellt und der streitige Unfall folgenlos ausgeheilt ist.

5.)
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Heilbehandlung über den 31. Mai 2019 hinaus. Der Anspruch auf Heilbehandlung erstreckt sich gem. § 26 Abs. 1 SGB VII darauf, die durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern. Mangels andauernder rechtlich wesentlich auf das Unfallereignis vom 29. Mai 2017 zurückzuführender Gesundheitsstörungen, hat die Klägerin jedenfalls ab dem 31. Mai 2019 keinen Anspruch auf Gewährung von Heilbehandlungsmaßnahmen gegen die Beklagte.

6.)
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Haushaltshilfe über den 31. Mai 2019 hinaus. Nach § 39 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII umfassen die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und die ergänzenden Leistungen auch sonstige Leistungen zur Erreichung und zur Sicherstellung des Erfolges der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe. Dabei beinhalten die "sonstigen Leistungen" - im Sinne einer Generalklausel - alle Leistungen, die über spezialgesetzlich vorgesehene Leistungen hinaus erforderlich für die Widereingliederung des Versicherten sind. Was zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erforderlich ist, bestimmt sich dabei nach den Verhältnissen im Einzelfall. Aus dem Zusammenhang der §§ 26, 39 ff SGB VII und des § 55 SGB IX (Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft) ergibt sich, dass Versicherte die diesbezüglichen Leistungen beanspruchen können, die erforderlich sind, um nach Möglichkeit diejenigen unfallbedingten Defizite zu beheben, die mit den gesetzlich vorgesehenen Rehabilitationszielen ausgeglichen werden sollen. Dabei ergibt sich aus § 26 Abs. 5 S 1 SGB VII, dass die Unfallversicherungsträger zur Deckung eines festgestellten, aufgrund gesetzlicher Vorschriften zu behebenden Bedarfs verpflichtet sind, ihnen aber im Hinblick auf Art, Umfang und Durchführung der Rehabilitationsmaßnahmen ein Ermessen zusteht. § 39 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII bietet somit eine Anspruchsgrundlage u.a. für die Geltendmachung einer Haushaltshilfe, wenn keine speziellere Regelung zugunsten des Versicherten eingreift (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 21. Oktober 2016 – L 9 U 40/16 –, Rn. 33 - 35, juris).

Letzteres ist zwar vorliegend der Fall, da die Klägerin im streitigen Zeitraum ab 31. Mai 2019 von der Beklagten keine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten hat, so dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 42 SGB VII i.V.m. § 74 Abs. 1 SGB IX nicht vorlagen. Jedoch greift § 39 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII nicht zugunsten der Klägerin, da auch insoweit die notwendigen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Kosten für eine Haushaltshilfe scheitert jedenfalls daran, dass zumindest ab dem 31. Mai 2019 die Gewährung einer Haushaltshilfe nicht erforderlich war.
P2 hat hierzu schlüssig begründet dargelegt, dass die Klägerin nur vorübergehend unfallbedingt nicht zur Führung ihres Haushalts in der Lage war.

7.)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


Ferner entscheidet der Senat von Amts wegen nach § 109 Abs. 1 SGG über die Kosten des Wahlgutachtens bei W1. Diese waren nicht auf die Staatskasse zu übernehmen, weil das Gutachten den Senat im Ergebnis nicht zu überzeugen vermochte und die Aufklärung des Rechtsstreits nicht wesentlich gefördert hat.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
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