L 15 VJ 5/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 48 VJ 5/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VJ 5/16
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1) Die gesundheitliche Schädigung als Primärschädigung, d.h. die Impfkomplikation, muss neben der Impfung und dem Impfschaden, d.h. der dauerhaften gesundheitlichen Schädigung, im Vollbeweis nachgewiesen sein (Fortsetzung der st. Rspr. des Senats).

2) Bei der Einholung medizinischer Gutachten hat das Gericht besonderes Augenmerk auf passgenaue, den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung tragende Beweisfragen zu legen; in diesem Zusammenhang gegebene Hinweise auf derzeitige (medizinische) Annahmen des Gerichts mit der Bitte um Klärung sind daher nicht nur unbedenklich, sondern vielmehr regelmäßig notwendig.

3) Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand besteht weder ein bewiesener noch ein wahrscheinlicher noch ein möglicher (im Sinne von guter Möglichkeit) Zusammenhang zwischen einer Impfung mit Td-Virelon und dem Entstehen oder der dauerhaften Verschlimmerung einer MS; es besteht lediglich eine theoretische Möglichkeit des Zusammenhangs. Auch eine Kannversorgung scheidet aus.

4) Zum (fehlenden) Zusammenhang zwischen dem Zusatzstoff Aluminiumhydroxid und MS.

5) Die Auffassung, statistische Untersuchungen seien nicht geeignet, Zusammenhangsfragen im Impfschadensrecht (nach dem IfSG bzw. SGB XIV) rechtssicher zu klären, ist nicht haltbar.

6) Es kann hier offenbleiben, ob nach Verneinung eines Zusammenhangs aufgrund aussagekräftiger statistischer Erkenntnisse weiteres medizinisches Erfahrungswissen zum Ausschluss einer Verursachung zwingend zu prüfen ist. 7) Zur Bedeutung der Entscheidung des EuGH vom 21.06.2017 (C-621/15).

 

I.   Auf die Berufung des Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 12.10.2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II.  Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung und Entschädigung einer Multiple-Sklerose-Erkrankung (MS) als Impfschaden.

Die Klägerin ist 1977 geboren und erhielt (wohl anlässlich einer beruflich veranlassten Reise als Bekleidungstechnikerin am 21.11.2006 nach Indien) am 27.10.2006 eine Impfung mit 0,5 ml Td-Virelon gegen Tetanus, Diphtherie und Poliomyelitis und am 06.11.2006 eine Impfung mit Beriglobin gegen Hepatitis-A.

Nach Mitteilung der Klägerin vom 17.12.2020 ist bei dieser seit Oktober 2020 Pflegegrad III und seit September 2020 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 bewilligt worden.

Im ärztlichen Bericht vom 26.01.2007 hielt der die Klägerin behandelnde Neurologe F fest, dass die Klägerin über ein im November vergangenen Jahres akut aufgetretenes Taubheitsgefühl beider Beine sowie über eine Schwäche im rechten Bein bei längerer Gehstrecke berichtet habe. Auf Nachfrage habe sie außerdem eine leichte Dranginkontinenz angegeben. Vor Auftreten der Symptomatik habe ein Auslandsaufenthalt in Indien stattgefunden. Infektzeichen hätten nicht angegeben werden können. Als Diagnosen stellte der Arzt F ein inkomplettes, rechtsbetontes sensomotorisches Querschnittsyndrom und die Erstmanifestation einer MS. Dr. K der M-Klinik, Behandlungszentrum K, stellte in seinem Bericht vom 14.02.2007 eine klinisch eindeutige, schubförmig inkomplett remittierende MS-Erkrankung, Erkrankungsbeginn und prophylaktische Immunmodulation indiziert fest. Bei der Klägerin sei es im November 2006 zu Taubheitsparästhesien der beiden Beine sowie einer Schwäche rechts, passageren Doppelbildern und imperativem Harndrang gekommen. Nach einer Behandlung ambulant bis vor ca. einer Woche sei es bis heute nur zu einer inkompletten Besserung gekommen.

Zudem liegen weitere ärztliche Berichte hinsichtlich von Krankheitsschüben im Sommer 2007 und im August 2013 vor (M-Klinik K, Universitätsklinikum E).

Am 10.12.2013 stellte die Klägerin beim Beklagten einen Antrag auf Beschädigtenversorgung. In dem vorgelegten Attest des Neurologen F vom 20.01.2014 führte dieser aus, dass die Klägerin seit Januar 2007 an einer schubförmig verlaufenden MS leide. Entzündungsherde hätten sich weitgehend spinal manifestiert.

Nach versorgungsärztlichen Stellungnahmen von dem Internisten Dr. H und dem Neurologen PD Dr. K1 des Beklagten vom 04.03.2014, 20.03.2014 und 09.04.2014 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 06.05.2014 den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung ab. Zwar handle es sich, so die Begründung des Bescheids, bei den angeschuldigten Impfungen um öffentlich empfohlene Impfungen; sie seien auch aufgrund des Impfbuchs nachgewiesen. Die Gesundheitsstörung MS könne aber nicht als Folge einer Schädigung im Sinne des IfSG anerkannt werden. Denn der ursächliche Zusammenhang der MS mit dem schädigenden Ereignis, der Impfung, sei nicht wahrscheinlich. Zwar bestehe ein zeitlicher Zusammenhang von einigen Wochen zwischen den Impfungen (am 27.10. und 06.11.2006) einerseits sowie dem Bericht der Universitätsklinik E über das erste Auftreten einer neurologischen Symptomatik im November 2006 und der Erstdiagnose einer MS im Januar 2007 andererseits. In der bisher bekannten Literatur werde aber kein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer MS durch die verabreichten Impfungen beschrieben, speziell für die Tetanusimpfung werde sogar eher eine Risikoreduktion beschrieben. Soweit von Klägerseite ergänzend auf das sog. Asia-Syndrom hingewiesen worden sei, sei festzustellen, dass der Gedanke, Adjuvanzien seien für Impfschäden verantwortlich, nicht neu sei. Es lägen hierzu bereits zahlreiche Studien vor, wobei durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) eine entsprechende Analyse dieser Studien erfolgt sei und ein Zusammenhang letztendlich nicht bewiesen habe werden können.

Am 14.05.2014 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein und begründete diesen damit, es dürfte bekannt sein, dass nach dem Sozialen Entschädigungsrecht eine Kausalitätsbeurteilung nicht auf die Literatur bezogen werden könne. Die Erstsymptome in der 44./45. Kalenderwoche 2006 sowie der bleibende Schaden seien voll bewiesen. Die Frage des kausalen Zusammenhangs zwischen Impfungen und der Entstehung demyelisinierender Erkrankungen sei Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Die Bevollmächtigte hat beantragt, einen u.a. "von der Pharmaindustrie zweifelsfrei unabhängigen Gutachter" zu beauftragen. Es sei denkbar und pathologisch plausibel, dass eine Impfung bei einer Person mit entsprechender Disposition eine Autoimmunerkrankung vorübergehend verschlimmern könne oder auch die Erstmanifestation auslöse ("triggere"). Adjuvanzien verstärkten die Immunantwort spezifisch. Bei der streitgegenständlichen Erkrankung der Klägerin handle es sich um eine pathologische Immunreaktion, bei der Nervengewebe irrtümlich angegriffen werde. Grund dieser immunologischen Fehlreaktion sei wahrscheinlich die sog. molekulare Mimikry, d.h. das Impfantigen zeige strukturelle Ähnlichkeit mit Oberflächenstrukturen von Nervenzellen des Impflings und die durch die Impfung aktivierten T-Lymphozyten griffen die Nervenzellen an. Zusammenfassend hat die Bevollmächtigte festgestellt, dass sie verschiedene zumindest pathobiologisch plausible Erklärungsmodelle für die in einem geradezu typischen zeitlichen Abstand nach der streitgegenständlichen Impfung bei der Klägerin erstmals aufgetretene MS aufgezeigt habe, sodass es möglich sein sollte, die MS via Kannversorgung anzuerkennen und zu versorgen.

Sodann hat Prof. Dr. K2 am 27.12.2014 sein Gutachten für den Beklagten erstellt. Der Sachverständige hat festgestellt, dass die Injektion von Beriglobin (d.h. Gammaglobulin) keine aktive "echte" Impfung sei, sondern vielmehr im Sinne einer passager wirksamen sogenannten passiven Impfung die Applikation fremderzeugter fertiger Antikörper gegen Hepatitis-A. Hier sei eine Allergie möglich, sonst sei hier aber nicht weiter zu diskutieren. Die in den ärztlichen Berichten genannten Symptome gehörten völlig zweifelsfrei zur dann am 27.01.2007 benannten Diagnose MS. Die Injektion vom 06.11.2006 von Beriglobin (passive Immunisierung mit Gammaglobulin) scheide aus medizinischer Perspektive aus; die Impfung mit der Dreifachkombination sei am 27.10.2006 erfolgt. Die postvakzinale Inkubationszeit betrage somit im hier vorliegenden Fall 11 bzw. 16 Tage (erste Symptome 07. bzw. 12.11.2006). Prof. Dr. K2 hat dargelegt, dass die Ursache bzw. die Glieder und Abläufe der pathogenetischen Kette hinsichtlich der MS als noch nicht voll geklärt gelten würden. Derzeit bestehe jedoch überwiegend Akzeptanz für die Annahme, dass es sich um eine Autoaggressionskrankheit (autoimmune Reaktion, eine Fehlleistung des körpereigenen Immunsystems) handle, dies wohl auf der Basis einer genetischen Determination (auch bei diesbezüglich oft leerer Familienanamnese) und erst durch zusätzliche Provokationsfaktoren (Trigger) zur klinischen Verwirklichung als MS gebracht.

Dass Infekte/Infektionskrankheiten für Manifestationsprovokationen einer MS eine Rolle spielen würden, werde kaum noch bezweifelt. Angesichts immunologischer Parallelen zwischen Infekten einerseits und Impfungen andererseits komme in diesem Sinne zwangsläufig auch die Impfung in Diskussion, wobei das Vorkommen von Schüben im Gefolge bestimmter Impfungen kaum bezweifelt werde. Es bestehe aber heftiger Streit zur Frage der Erstmanifestation in ursächlichem Gefolge von Impfungen (Prof. Dr. K2 hat auf eine 1994 publizierte Arbeit des US-amerikanischen Vaccine Safety Commitee - Stratton et al. - verwiesen). Weiter hat er hervorgehoben, dass der Versuch, sehr seltene Impfschadensereignisse statistisch nachzuweisen, regelmäßig zu scheitern pflege, was der Sachverständige sodann erläuterte. Es sei ausgesprochen realitäts- und klinikfern, die statistische Sicherung sehr seltener Impfschäden zu erwarten. Das BMAS habe mit Schreiben vom 01.08.2000 festgestellt, dass epidemiologische Studien allein, insbesondere im Hinblick auf die Seltenheit von Impfschäden, schon aus methodischen Gründen nicht geeignet seien, gutachtensrelevante Aussagen zur Kausalität im Einzelfall zu treffen. Allein aufgrund epidemiologischer Studien von einer medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung im Hinblick auf eine nichtbestehende Kausalbeziehung zu sprechen, sei mithin nicht korrekt. Es komme nicht darauf an, wie ein Impfstoff auf Tausende von Menschen, sondern darauf, wie die Impfung auf den einzelnen Menschen gewirkt habe. Es sei nicht korrekt, anhand in diesem Sinne realitätsferner und nicht aussagefähiger Studien in einem Einzelfall klinisch oder gutachterlich einen impfbedingten Zusammenhang pauschalierend abzulehnen. Vielmehr sei der jeweilige Einzelfall mit seinen spezifischen Daten und Merkmalen sorgfältig abzuwägen.

Seit einigen Jahren sei es, so Prof. Dr. K2 weiter, zunehmend "in Mode gekommen", über die spezifischen Impfantigene hinaus zusätzlich oder eigenständig einige den Impfstoffen zugegebene Zusatzstoffe für Impfschäden verantwortlich zu machen; dies treffe insbesondere auf Thiomersal und Aluminiumverbindungen zu. Auch werde auf das von Shoenfeld und Mitarbeitern "aus der Taufe gehobene" Asia-Syndrom verwiesen. Wenn auf die Möglichkeit eines verstärkten autoimmunen Effekts verwiesen werde, sei dies keine Besonderheit, da Aluminiumhydroxid ja gerade verstärkter immunologischer Wirkung wegen den Impfstoffen beigegeben sei, so Prof. Dr. K2. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige auf das Epidemiologische Bulletin vom 22.06.2007 verwiesen, in dem ausgeführt werde, dass die Aufnahme von Aluminium mit Adjuvanzien in Impfstoffen gering sei und deutlich unter dem TDI-Wert (tolerable daily intake) für Aluminium liege, also der Menge, die täglich ein Leben lang ohne gesundheitsschädliche Wirkungen aufgenommen werden könne. Vergleiche man die Systematik der verfügbaren Mengen, sei für die in den Blutkreislauf gelangenden Mengen Aluminium aus Impfstoffen ein systematisches Toxizitätsrisiko auszuschließen. Es sei überflüssig, um nicht zu sagen unkorrekt, neben der Argumentationslinie "Impfschaden" eine unabhängige zweite Argumentationslinie "Impfschaden durch Zusatzstoffe" aufmachen zu wollen.

Prof. Dr. K2 hat schließlich dargelegt, dass als akzeptierte postvakzinale Inkubationszeit - also dem Abstand zwischen schädigender Impfung einerseits und dem Datum des ersten neuropathologischen Symptoms andererseits - gemeinhin drei bis vier Wochen akzeptiert würden. Im hier vorliegenden Fall (s.o.) sei die zweite bis dritte postvakzinale Woche (11. bis 16. postvakzinaler Tag) betroffen.

Im Hinblick auf das bevorzugt diskutierte Modell (s.o.) entstehe die Frage der Gewichtung zwischen genetischer Determination einerseits und Manifestationsfaktor (hier Impfung) andererseits. Abschließend hat Prof. Dr. K2 zusammenfassend dargelegt, dass er hier den sehr seltenen Fall sehe, dass bei gegebener genetischer Determination zur Autoaggression die Manifestationsprovokation durch die Impfung vom 27.10.2006 zustande gekommen und ursächlich als zumindest gleichwertig einzuordnen sei.

In der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Beklagten vom 30.01.2015 hat sich die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie B gegen eine Abhilfe des Widerspruchs ausgesprochen. Unter anderem hat sie darauf hingewiesen, dass aus ihrer Sicht eher wahrscheinlich sei, dass sich die Klägerin bei ihrem Indienaufenthalt zusätzlich mit anderen Krankheitserregern infiziert habe; insoweit hat die Ärztin auf das vorgelegte Attest des Arbeitgebers verwiesen. Konkurrierend zur Impfung bestehe auch ein zeitlicher Zusammenhang zwischen einer Exposition zu vielen Keimen in einem Schwellenland mit vermindertem hygienischen Standard. Es sei zudem nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festzumachen, dass der entscheidende Faktor neben der genetischen Veranlagung die Impfung gewesen sei. Insbesondere sei auch eine Kreislaufschwäche eher nicht typisch für eine Impfschädigung, sondern für ganz banale gastrointestinale Infekte (wobei auch Typhus, Paratyphus und Poliowildviren in Indien in Frage kämen). Die Annahme des Gutachters, eine Kannversorgung könne geprüft werden, sei zu präzisieren. Weiter hat die Ärztin hervorgehoben, dass es neue Studien zu Tetanus gebe, die belegen würden, dass MS bei geimpften Menschen seltener auftrete als in ungeimpften Kontrollgruppen. Die Klägerin gehöre zu dem Personenkreis junger Frauen in hochentwickelten Ländern, der typischerweise von der Erstmanifestation einer MS betroffen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.03.2015 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung vom 27.10.2006 und der Erstmanifestation der MS könne nicht mit der für eine Anerkennung notwendigen Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft spreche mehr gegen als für einen ursächlichen Zusammenhang. Zudem hat der Beklagte auf den im sozialrechtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweis- und Feststellungslast verwiesen.

Hiergegen hat die Klägerin am 15.04.2015 Klage zum Sozialgericht (SG) München erhoben.

Noch vor Klagebegründung hat PD Dr. K1 in einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.07.2015 hervorgehoben, dass sich die Beurteilung des kausalen Zusammenhangs zwischen Impfungen und Erkrankungen derzeit auf möglichst große Studien stütze. Wenn man den Ausführungen im Gutachten von Prof. Dr. K2 folge, würde bereits ein zeitlicher Zusammenhang ohne Hinweise auf vermehrtes Auftreten in der Literatur ausreichen. Ein solcher sei aber nicht ausreichend.

Am 01.10.2015 hat die Bevollmächtigte der Klägerin in einem Schriftsatz die Auffassung vertreten, dass andere Ursachen als die streitgegenständlichen Impfungen nicht beweisbar seien und somit nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG nicht in die Kausalitätsüberlegungen des Beklagten und des SG Eingang finden dürften. Es sei ausgesprochen unökonomisch, sich permanent mit ärztlichen Hypothesen befassen zu müssen.

Sodann hat das SG Prof. Dr. K2 mit einer gutachterlichen Stellungnahme nach Aktenlage beauftragt. In seiner ausführlichen Stellungnahme vom 07.12.2015 hat sich der Sachverständige zu den versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten geäußert. Der Hinweis auf eine Infektion mit anderen Krankheitserregern im Schwellenland Indien sei damit zu beantworten, dass es unwahrscheinlich sei, dass sich die Klägerin unter den geschilderten Umständen - die Klägerin lande in Indien, checke im Hotel ein und sei am nächsten Morgen bereits krank - infiziert habe. Schließlich sei festzustellen, dass über die Kannversorgung nur hilfsweise im Gutachten gesprochen worden sei, weil ihre Anwendung hier nicht nötig sei. Sehr seltene Impfschäden ließen sich durch statistische Untersuchungen weder ausschließen noch belegen. Richtig sei, dass die hiermit grundsätzlich gegebene Möglichkeit als Beleg einer Wahrscheinlichkeit nicht ausreiche. Wenn die Ärztin B allenfalls eine Gelegenheitsursache sehe, sei festzustellen, dass man darüber diskutieren könne, ob die MS auch später im Gefolge einer Infektion oder einer anderen Ursache ausgebrochen wäre; solches mit der nötigen Wahrscheinlichkeit zu behaupten, bleibe aber reine Spekulation. Auch für retrospektive statistische Studien bleibe das Problem der großen Seltenheit und damit mengenmäßig unzureichender Probandengruppen ebenso wie unverändert logistischer und logischer Fehleranfälligkeit. PD Dr. K1 habe Recht, dass nicht allein ein zeitlicher Zusammenhang genüge. Im Falle der Klägerin sei jedoch festzuhalten, dass zweifelsfrei (Parallele zu Infektionen) eine pathobiologische Plausibilität des Vorkommens impfbedingter MS bestehe und dass es anerkannte Parallelfälle, auch nach dem Tetanusimpfstoff, gebe. Weiter ist auf die "Dramatik und zuverlässige Datierung der Eingangssymptomatik im hier vorliegenden Fall" und auf das Fehlen jeglicher realistischer oder gar belegten alternativer manifestierenden Faktoren verwiesen worden. Es bestehe eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine mindestens gleichwertige Verursachung der Erkrankung der Klägerin durch die o.g. Impfung.

In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.01.2016 ist der Beklagte bei seiner Haltung verblieben. Eine Anerkennung der MS als Schädigungsfolge nach dem IfSG sei nach dem aktuellen Wissenschaftsstand nicht möglich. In Zeiten evidenzbasierter Medizin seien im Hinblick auf Zusammenhangsfragen epidemiologische/ statistische Untersuchungen von überragender Bedeutung, während sogenannten Expertenmeinungen in der Zwischenzeit nur noch eine nachrangige Bedeutung eingeräumt werde. Dies zeige sich z.B. auch bei der Erstellung wissenschaftlich begründeter Leitlinien, bei denen Expertenmeinungen lediglich noch der niedrigste Evidenzgrad eingeräumt werde. Entgegen der von Prof. Dr. K2 vertretenen Meinung seien also statistische Untersuchungen essenziell im Hinblick auf die Bewertung auch kausaler Zusammenhänge von Gesundheitsstörungen mit vorangegangenen Impfungen.

In der darauf folgenden Stellungnahme der Klägerseite vom 19.02.2016 ist es u.a. als "leider sehr bedauerlich" bezeichnet worden, dass die Pharmaindustrie die Impfrisikoforschung zu dominieren scheine. Sehr bedauerlich sei weiter, dass Ärzte sich offenbar immer mehr zu Statistikern degradieren ließen. Es würde sehr interessieren, in wessen Auftrag die vom Versorgungsärztlichen Dienst des Beklagten zitierten Arbeiten stammen würden. Von mehr als 80 Krankheiten, zu denen auch MS gehöre, sei heute bereits bekannt, dass sie über Autoimmunreaktionen des Immunsystems ausgelöst würden bzw. zumindest ausgelöst werden könnten. Pathogenetisch plausibel sei die direkte Toxizität von Aluminium, aber auch die indirekte Toxizität über Induzierung von Autoimmunphänomenen durch TH1/TH2-Dysbalance. Die Forschung habe jedoch gezeigt, dass Aluminiumhilfsstoffe das Potenzial hätten, immunologische Beschwerden bei Menschen hervorzurufen. Hervorzuheben sei u.a. vor allem das Risiko für Autoimmunerkrankungen (Studie von Ch. Shaw und Tomljenovic). Schließlich hat die (frühere) Bevollmächtigte beantragt, ein immunologisches und toxikologisches Zusatzgutachten zum Beweis dafür einzuholen, dass das in den streitgegenständlichen Impfstoffen enthaltene Aluminiumhydroxid geeignet sei, die bei der Klägerin aufgetretene Fehlregulation des Immunsystems zu verursachen und dass der zeitliche Zusammenhang zwischen den streitgegenständlichen Impfungen und den Erstsymptomen der MS ein wichtiges Indiz dafür sei, dass im vorliegenden Fall die Immunfehlregulation durch die streitgegenständlichen Impfungen getriggert worden sei. Aus dem von der Bevollmächtigten vorgelegten neurologisch-psychiatrischen Gutachten, das im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung erstellt worden sei (Dr. L vom 13.12.2015), gehe hervor, dass die Klägerin offensichtlich überempfindlich auf die streitgegenständlichen Impfstoffe, die als Wirksamkeitsverstärker Aluminiumhydroxid enthielten, reagiert habe.

Die Pharmalobby habe offenbar eine ganze Reihe von Medizinprofessoren gefunden, die sich mit negativen nicht auf dem neuesten Stand der internationalen Impfrisikoforschung befindlichen Impfschadensgutachten "ein kleines Zubrot zu ihrem kargen Professorengehalt verdienen wollen und die im Rahmen von sogenannten Fortbildungsveranstaltungen Ärzten einreden" wollten, "impfen sei so harmlos wie ein Küsschen von Mama". Ein Anerkenntnis des Impfschadens, zumindest via Kannversorgung, würde dem Beklagten zur Ehre gereichen, so die Bevollmächtigte.

In der ausführlichen versorgungsärztlichen Stellungnahme des Beklagten vom 19.04.2016 ist der Neurologe Dr. K3 auf die Darlegungen der Bevollmächtigten eingegangen. Die von der Bevollmächtigten in ihren Schriftsätzen empfohlenen Bücher hätten nur populärwissenschaftlichen Charakter und könnten keinen Beitrag zur Sachdiskussion leisten (z.B. Aluminiumexpositionen in Tierversuchen sowie Zusammenhang mit ganz anderen Fragestellungen als einer Impfproblematik). Die Fragestellung sei in der Zwischenzeit so gut untersucht, dass hierzu offizielle Stellungnahmen der großen öffentlichen Organisationen (z.B. der WHO oder des PEI) vorliegen würden, anlässlich derer man sich auf unabhängiger, produktneutraler und evidenzbasierter Weise mit dem Thema erschöpfend beschäftigt habe.

Auf Veranlassung des SG hat Prof. Dr. K2 sodann am 04.08.2016 eine weitere ergänzende Stellungnahme zu seinem Gutachten erstellt. Er hat sich ausdrücklich als strikten Schulmediziner bezeichnet, was bedeute, dass Impfungen unentbehrlich seien, obwohl es selten, aber zweifelsfrei Impfschäden gebe. Die evidenzbasierte Medizin arbeite keineswegs ausnahmslos mit Statistik und sie beschäftige sich vorrangig mit der Abwägung von Therapiekonzepten. Die von Dr. K3 zitierten Publikationen (s.o.) würden am Problem unzureichender Probandenzahl bzw. unzureichender Sauberkeit der Anamnese bzw. fehlender Unabhängigkeit scheitern. Korrekt arbeitende Evidenzermittlung wisse, dass es Ausnahmen gebe. Nach wie vor gelte: In solchen sehr seltenen Fällen entscheide die unabhängige, unvoreingenommene, sorgfältige und klinikerfahrene Einzelfallanalyse. Nach den Anhaltspunkten (AHP) könne für die hier vorliegende Frage daher die sogenannte Kannversorgung bemüht werden. Der vorliegende Einzelfall stelle sich freilich als so klar dar, dass auch ohne Bemühung der Kannversorgung eine impfbedingte Manifestationsprovokation mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit festzustellen sei. Im Hinblick auf die Verursachung durch die Aluminiumzumischung, die von der Bevollmächtigten vorgetragen werde, hat Prof. Dr. K2 festgestellt, dass wegen ihrer Menge die Intoxikation des Impflings ausgeschlossen sei. Zu diskutieren bleibe somit der immunverstärkende Effekt. Der gesamte Disput über Aluminium und MS im konkret hier vorliegenden Fall sei durchaus entbehrlich, geschweige denn, dass weitere toxikologische Untersuchungen angezeigt wären.

Auf die mündliche Verhandlung vom 12.10.2016 hat das SG in seinem Urteil den Bescheid des Beklagten vom 06.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.03.2015 aufgehoben und festgestellt, dass die bei der Klägerin bestehende MS nach den Grundsätzen der Kannversorgung Folge einer Impfschädigung sei. Es hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin ausgehend davon ab dem 01.12.2013 die gesetzlichen Entschädigungsleistungen nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 90 zu gewähren.

In den Entscheidungsgründen hat das SG festgestellt, dass nur deshalb kein ursächlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Erstmanifestation einer MS etwa zwei Wochen später mit der vom Gesetz geforderten Wahrscheinlichkeit hergestellt werden könne, weil über die Ursachen dieser Erkrankung in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit bestehe. Prof. Dr. K2 habe in seinem Gutachten dargelegt, dass die Glieder und Abläufe der zu dieser Erkrankung führenden pathogenetischen Kette als noch nicht voll geklärt gelten und dass insoweit noch sehr unterschiedliche Konzepte diskutiert würden. Da in der medizinischen Wissenschaft noch kein Konsens darüber erzielt werden habe können, so das SG, wie die Krankheit im Einzelnen entstehe, komme hier nach Überzeugung des SG eine Anerkennung im Wege der Kannversorgung in Betracht.

Nach der Impfung sei es zum Auftreten von Symptomen gekommen, die als die Erstmanifestation einer MS und gleichzeitig als eine ausgeprägte Impfreaktion zu interpretieren seien. Das SG hat sich hierbei auf die "überzeugenden Feststellungen und Bewertungen des vom Beklagten selbst beauftragten" Sachverständigen Prof. Dr. K2 gestützt. Dass Infekte ein Faktor sein könnten, der zur Manifestationprovokation führe, werde heute kaum noch bezweifelt. Da nun aber Impfstoffe im menschlichen Organismus zu infektanalogen immunologischen Abläufen führen würden, sei es nach den allgemeinen Erfahrungen über biologische Verläufe plausibel, dass auch eine Impfung die Erstmanifestation einer MS provozieren und somit die Krankheit im medizinisch-naturwissenschaftlichen Sinne verursachen könne.
 
Dem trage im Übrigen auch die Fachinformation des Herstellers zum Impfstoff Td-Virelon vom November 2003 Rechnung. Der Hersteller des Impfstoffs räume selbst die Existenz eines gewissen, wenn auch kleinen Risikos für die Krankheitsentstehung im Einzelfall ein, so dass die Position des Beklagten nicht überzeuge, derzufolge ein entsprechender Zusammenhang nach dem aktuellen medizinischen naturwissenschaftlichen Erkenntnisstand von vornherein sicher ausgeschlossen werden könne und somit auch die Anerkennung nach den Grundsätzen der Kannversorgung nicht in Betracht komme. Die Fachinformation des Herstellers stehe auch mit der Argumentation von Prof. Dr. K2 im Einklang, wonach im Hinblick auf die geringe Zahl der in Frage kommenden Fällen statistische Methoden ohnehin ungeeignet seien, um die Anerkennung eines solchen Zusammenhangs generell verneinen zu können. Wenn dort weiter ausgeführt werde, Impfungen seien nach heutigem Kenntnisstand nicht die Ursache von Autoimmunerkrankungen, wäre damit, so das SG, nach alledem lediglich ausgesagt, dass die Erkrankungen allein aufgrund einer Impfung (also ohne eine entsprechende genetische Disposition) nicht entstehen könnten.

Nach alldem sei die MS als Impfschaden anzuerkennen und zu entschädigen, weil die der Impfung nach den Regeln der Kannversorgung zuzurechnende Erstmanifestation der Erkrankung zwischenzeitlich in ein Dauerleiden eingemündet sei, in dessen Verlauf die Impfung als rechtlich wesentlicher Kausalitätsfaktor (mangels anderweitiger Erkenntnisse) weiter fortwirke. Der GdS sei entsprechend den Feststellungen im Rahmen des Schwerbehindertenverfahrens mit 90 zu bemessen, da die Grundsätze für die Bestimmung des GdB einer- und des GdS andererseits identisch seien.

Hiergegen hat der Beklagte am 22.11.2016 beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) Berufung eingelegt.

Zur Begründung der Berufung hat der Beklagte dargelegt, dass nach seiner Auffassung weder eine MS als annähernd gleichwertig ursächlich auf die Impfung zurückzuführen sei noch dass die Voraussetzungen der Kannversorgung gegeben seien. Dabei hat der Beklagte u.a. auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. L1 vom 11.11.2016 Bezug genommen. Darin hat die Internistin ausgeführt, dass Prof. Dr. K2 in keiner Weise gefolgt werden könne, wenn dieser meine, dass auch ohne Bemühung der Kannversorgung eine impfbedingte Manifestationsprovokation mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit festzustellen sei. Der immer wieder diskutierte Verdacht, Impfungen könnten neurologische Erkrankungen wie Autismus verursachen oder eine Opticusneuritis bzw. MS auslösen, sei durch klinische Studien zweifelsfrei widerlegt worden. In manchen Studien sei die MS-Häufigkeit bei Diphterie/Tetanus-Geimpften sogar niedriger gewesen. Bei mit Wahrscheinlichkeit abzulehnender Kausalität sei auch eine Anwendung nach der Kannversorgung nicht zu begründen. Dr. L1 hat darauf hingewiesen, dass eine solche darüber hinaus eine ungewöhnliche Impfkomplikation voraussetzen würde, die vorliegend nicht gegeben sei. Unstreitig bestehe zwar ein sehr enger zeitlicher Zusammenhang, dieser sei für immunologische Geschehen eher ungewöhnlich kurz (knapp zwei Wochen zwischen Impfung und bewusst erstmaligem Wahrnehmen von MS-spezifischen Symptomen, und dies ohne sonstige Hinweise auf eine stärkere entzündliche bzw. immunologische Körperreaktion). Da sich die Klägerin erst über zwei Monate später in ärztliche Behandlung begeben habe, könne nicht erkannt werden, ob tatsächlich erst zu diesem Zeitpunkt erstmalig eine Schädigung des zentralen Nervensystems erfolgt sei. Die MRT-Untersuchung Ende Januar 2007 habe vor allem inaktive, nicht mehr kontrastmittelspeichernde Herde gezeigt. Es sei daher nicht auszuschließen, dass es bereits früher zu einer Myelonschädigung mit nur latenter klinischer Symptomatik gekommen sei, die dann unter zusätzlicher Belastung durch die Indienreise klinisch manifest geworden sei. Dem Sachverständigen Prof. Dr. K2 könne auch in seiner generellen Verneinung der Aussagekraft von großen statistischen Untersuchungen über Jahrzehnte hinsichtlich relativ seltener Impfkomplikationen nicht gefolgt werden. Dabei sei zu beachten, dass die MS nicht zu den seltenen Erkrankungen gehöre.

Allein ein zeitlicher Zusammenhang sei kein Beleg für einen ursächlichen Zusammenhang, insbesondere nicht mit Wahrscheinlichkeit, auch nicht bei autoimmunologisch ausgelösten Erkrankungen. In der Berufungsbegründung hat der Beklagte zudem darauf hingewiesen, dass die Ausführungen in den AHP 2008 zur Kannversorgung (Nr. 39) und insbesondere zur MS (Nr. 34) nicht mehr gültig seien und inzwischen das BMAS auch ein Rundschreiben vom 12.12.1996, das ebenfalls Ausführungen zur Kannversorgung bei MS enthalten habe, mit Rundschreiben vom 07.11.2016 wegen der nicht mehr gegebenen Aktualität der medizinisch-wissenschaftlichen Inhalte mit sofortiger Wirkung vollständig und ersatzlos aufgehoben habe. Die Begutachtungskriterien zu den im Rundschreiben genannten Erkrankungen seien, so das BMAS, veraltet und die Gutachter ohnehin verpflichtet, evidenzbasierte Kriterien anzuwenden. Künftig sei im Rahmen der Begutachtung auf Grundlage evidenzbasierten medizinischen Wissens und unter Anwendung von Teil C der VG zu prüfen, ob die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs vorliege.

Der Beklagte hat schließlich beantragt, ein Gutachten einzuholen. Im Übrigen werde vom Beklagten nicht unstreitig gestellt, dass ein GdS von 90 auf die streitgegenständlichen Impfungen zurückzuführen sei. Ein rügeloses Einlassen in der mündlichen Verhandlung des SG am 12.10.2016, wie die Bevollmächtigte meine, liege sicherlich nicht vor.

Mit Schreiben vom 05.12.2016 hat die Klägerin über die (frühere) Bevollmächtigte Anschlussberufung eingelegt.

Mit Beschlüssen vom 05.01.2017 (L 15 VJ 6/16 ER) und 21.12.2017 (L 15 VJ 7/17 ER) hat das BayLSG die Anträge des Beklagten auf Aussetzung der Vollstreckung des Urteils abgelehnt.

Mit Ausführungsbescheid vom 14.02.2017 ist die Entscheidung des SG ausgeführt worden.

Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat die Klägerin über ihre (frühere) Bevollmächtigte erneut zur Verursachung von Autoimmunreaktionen durch das in Impfstoffen als Wirksamkeitsverstärker enthaltene Aluminiumhydroxid vorgetragen. Chronische Entzündungen, ausgelöst durch ein hyperaktives Immunsystem, stellten eine ständig drohende Folge des Einsatzes von Aluminium dar.

Mit Schreiben vom 09.08.2017 hat der Beklagte dem Senat mitgeteilt, dass PD Dr. W von der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin M am 28.07.2017 im Auftrag des Beklagten ein Gutachten (Privatgutachten) nach Aktenlage unter Berücksichtigung der aktuellen wissenschaftlichen Literatur zum Fall der Klägerin erstellt habe. Durch klinische Forschungsschwerpunkte auf dem Gebiet der entzündlichen Erkrankungen, wie z.B. der MS, seien hier die aktuellsten Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen verfügbar. Im Gutachten vom 28.07.2017 hat der Facharzt u.a. hervorgehoben, dass die zufällige Beobachtung vom Auftreten einer MS bzw. CIS (klinisch isoliertes Syndrom, also der Erstmanifestation einer MS) nach einer Impfung - wie sie in einigen Fallsammlungen vorkommen würden - nicht hinreichend für einen kausalen Zusammenhang sei, da die MS zu den häufigeren Erkrankungen in Deutschland zähle. Bei der Anfertigung des Gutachtens sei eine ausführliche Literaturrecherche in der Medline erfolgt. Zusammenfassend hat er festgestellt, keine Fallkontroll- oder Kohortenstudie gefunden zu haben, die einen überzeugenden Zusammenhang zwischen der Impfung gegen Tetanus/Diphterie/Polio und MS zeigen hätte können. Im Gegenteil, es hätten sich eine Metaanalyse und ein systematischer Review gefunden, die beide ein erniedrigtes Risiko für MS demonstriert hätten. In diesem Zusammenhang hat PD Dr. W darauf verwiesen, dass Metaanalysen und systematischen Übersichtsarbeiten der höchste Evidenzgrad zukomme, wobei es sich meistens um die Auswertung mehrerer Studien zu einer Problematik handele. Dies scheine für die gegebene Fragestellung in dem Gutachten von enormer Bedeutung zu sein, da die MS eine häufige Erkrankung in großen Teilen der westlichen Welt sei. Fallsammlungen, Expertenmeinungen oder gar Einzelfallberichte seien dementsprechend nicht zielführend, da auch Impfungen eine häufige Intervention darstellen würden. Somit sei statistisch gesehen zu erwarten, dass nach Impfungen einige Erstmanifestationen einer MS auftreten müssten. Die reine zeitliche Assoziation, die in diesen Fällen, wie auch in dem Gutachten bei der Klägerin vorliege, stelle aus den oben genannten Gründen aber keine hinreichende Kausalität dar. Sie sei aufgrund der vorhandenen Studien zum derzeitigen Punkt sogar auszuschließen.

Eine Assoziation der Adjuvantien wie Aluminiumhydroxid, die sich auch im Impfstoff Td-Virelon finden würden, und MS sei aus den gleichen Gründen nicht vorhanden.

Nach den geschilderten medizinischen Erkenntnissen bestehe weder ein bewiesener noch ein wahrscheinlicher noch ein möglicher (im Sinne von guter Möglichkeit) Zusammenhang zwischen der Impfung mit Td-Virelon und dem Entstehen oder der dauerhaften Verschlimmerung einer MS. Es bestehe lediglich eine theoretische Möglichkeit des Zusammenhangs aufgrund der zeitlichen Abfolge von Impfung und Erstmanifestation.

Mit Schriftsatz vom 13.09.2017 hat die Bevollmächtigte hervorgehoben, wenn der Beklagte dem Verfahren "vorschnell seinen Fortgang geben" wolle, so möge er sich auch mit den Arbeiten von Shaw et al., Shoenfeld et al. und Exley zum Risikopotential des Impfzusatzstoffes Aluminiumhydroxid auseinandersetzen. Die Literaturrecherche in dem Gutachten sei extrem einseitig, was aber verständlich erscheine, da die Universität M erheblich von der Pharmaindustrie gefördert werde. Zudem hat sie auf das Urteil des EuGH vom 21.06.2017 (C 621/15) verwiesen.

Hinsichtlich der vom Senat angedachten Beauftragung eines Sachverständigen hat die (frühere) Bevollmächtigte angeregt, mit der Entscheidung zuzuwarten, bis eine Neuveröffentlichung der Europäischen Behörde für Arzneimittelsicherheit (EMA) zum Nebenwirkungsprofil von Aluminiumhydroxid vorliege. Die Klägerin sei nicht bereit, einen Gutachter zu akzeptieren, der zum einen auch für die Pharmaindustrie arbeite und der zudem die umfangreiche internationale Fachliteratur zum Risikopotential von Aluminiumhydroxid entweder nicht kenne oder bewusst übergehe.

In der Zwischenzeit war von Klägerseite Prof. Dr. M, Arzt für Klinische Pharmakologie, mit der Erstellung eines Privatgutachtens im vorliegenden Rechtsstreit beauftragt worden. In dem Gutachten vom 26.02.2018 hat der Facharzt zunächst klargestellt, dass er nicht die Erkrankung der Klägerin bewerte. Er, der Gutachter, sei geprüfter Pharmareferent und besitze auch die Qualifikation als Medizinprodukteberater in der medizinisch-technischen Industrie. In dem Gutachten hat er hervorgehoben, dass in der Nebenwirkungsdatenbank der WHO (WHO Uppsala Monitoring Center) 22 MS-Fälle als Nebenwirkung zu Td-Virelon gemeldet seien. Weiter hat der Sachverständige dargestellt, dass die Autoimmunerkrankungen im Zusammenhang mit Impfungen schon seit vielen Jahren im wissenschaftlichen Umfeld diskutiert würden. Er hat hier verschiedene Veröffentlichungen dargestellt und u.a. auf die Ankündigung des PEI hinsichtlich eines Forschungsprojekts zu den möglichen Nebenwirkungen von Aluminium in Impfstoffen im Bulletin zur Arzneimittelsicherheit, 9/2017, S. 26, hingewiesen. Auch hat er hervorgehoben, dass der Hersteller von Td-Virelon bestätigt habe, dass in sehr seltenen Fällen Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems möglich seien.

Sodann ist Prof. Dr. M auf das Gutachten von PD Dr. W eingegangen. Das dort vorgenommene Zitieren von Studien aus anderen Ländern sei gängige Praxis und nicht zu kritisieren. Zu kritisieren sei aber, dass in keiner der Studien, die von PD Dr. W aufgegriffen worden seien, einzeln oder in Kombination Bezug auf die Impfstoffe genommen werde, die bei der gegenständlichen Imfpung Anwendung gefunden hätten. Impfstoffe seien aber grundsätzlich unterschiedlich.

Schließlich hat er auf das Ergebnis einer Literaturrecherche über Medline mit Pubmed (bis 26.08.2016) und die dort gefundenen Fälle neurologischer Erkrankungen (einschließlich MS) verwiesen. Über den gesamten Zeitraum, in dem die Datenbank geführt worden sei, seien 70.531 Fälle von MS in Form von Veröffentlichungen publiziert worden. Derzeit scheine nach den Autoren der plausibelste Mechanismus die Hyperstimulation des Immunsystems zu sein, die als Verstärker einer bereits existierenden autoimmunen Verwundbarkeit wirke. Außerdem werde angenommen, dass die Impfung als einer der wichtigsten Auslöser für die zugrundeliegende MS agiere. Der Weg, den das Aluminium in das ZNS des Menschen nehme bzw. nehmen könne, sei geklärt, nicht jedoch bisher, wie das Aluminium im Gehirn die Entstehung diverser neurologischer Erkrankungen begünstigen könne. Das Ergebnis müsse abgewartet werden. Die Verdoppelung des Wissens in der Medizin finde mittlerweile alle vier Jahre statt.

Er, der Gutachter, sei der Überzeugung, dass jeder Hilfsstoff, der in ein Arzneimittel inkorporiert werde, eine eigene Entität für die Entwicklung von Nebenwirkungen sei. Der toxikologische Schwellenwert sei für jede chemische Substanz anders und entsprechend für jede bekannte Substanz einzeln definiert. Allgemein werde in der Diskussion eine Menge von 1,5 bis 1,8 mg Aluminium als zu gering angesehen, um Nebenwirkungen auszulösen. Er sei der Überzeugung, es sei fragwürdig, eine Diskussion "in diesem Duktus zu führen". Das Nebenwirkungspotential von inkorporierten Impfstoffsubstanzen müsse folglich immer ausgehend von dessen toxikologischem Schwellenwert betrachtet werden.
Zusammenfassend hat der Gutachter darauf hingewiesen, dass die vorgelegten Dokumente "eindeutig die Einschätzung von Herrn Prof. Dr. K2" bestätigen würden. Das Gutachten von PD Dr. W sei "pars et pro toto" auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.

Mit Schriftsatz vom 16.05.2018 hat die Bevollmächtigte vom großen Verdienst von Prof. Dr. M gesprochen, endlich auch das Risikopotential und die Forschungsdefizite von Aluminiumhydroxid klar angesprochen zu haben. Von dem Gutachter sei ein Gutachten zur Kausalitätsfrage und zur Höhe des GdS der Klägerin einzuholen.

Mit Schreiben vom 18.07.2018 hat der Beklagte unter Verweis auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. K3 vom 17.05.2018 hervorgehoben, dass sich weiterhin keine Hinweise fänden, das in den Impfstoffen enthaltene Aluminium sei kausal ursächlich für die Entstehung einer MS. In der Stellungnahme hat der Neurologe u.a. betont, man müsse davon ausgehen, dass von den zitierten 22 Fällen einer MS im Zusammenhang mit dem Impfstoff Td-Virelon (s.o.) allenfalls ein Teil einer Kausalitätsüberprüfung unterzogen worden sei. Im Gutachten von Prof. Dr. M würden selektiv Arbeiten herausgesucht, die Hypothesen zu negativen Wirkungen von Aluminium aufstellen würden. Zum Teil würden hier auch Arbeiten zitiert, die sich mit toxischen Aluminiumwirkungen (z.B. im Rahmen einer beruflichen Exposition) z.B. an der Lunge beschäftigen würden. Solche Arbeiten könnten für den streitgegenständlichen Fall keinen Beitrag leisten.

Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat die Bevollmächtigte u.a. die Auffassung vertreten, seitens des Medizinischen Dienstes des Beklagten würden nur einseitig Argumente gegen einen Impfschaden der Klägerin gesucht. Die extrem hohen Beweisanforderungen, welche der Ärztliche Dienst des Beklagten an den Nachweis eines Impfschadens stelle, widersprächen der Rechtsprechung des EuGH. Selbst wenn man dem Beklagten zugestehen würde, dass die Ursache der MS nicht ausreichend erforscht sei, wäre, so die Bevollmächtigte, der Impfschaden der Klägerin unter Berücksichtigung der Grundsätze, welche der EuGH in der Rechtssache C 621/15 entwickelt habe, anzuerkennen und zu versorgen. Weiter hat sie u.a. hervorgehoben, dass die Klägerin bis zum Beginn der streitgegenständlichen Impfserie gesund gewesen sei. Die MS sei relativ häufig, impfbedingte Manifestationsprovokation hingegen ausgesprochen selten. Daher seien Versuche statistischer Beweise bezüglich der ursächlichen Rolle von Impfungen logischerweise chancenarm und regelmäßig umstritten.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 02.08.2019 ist u.a. Gelegenheit gegeben worden, genau darzulegen, wann die Impfkomplikation (Primärschaden) nach den Impfungen aufgetreten sei und worin diese genau bestanden habe. Zudem ist insoweit um die Angabe der Fundstelle in den Behandlungsunterlagen gebeten worden.

Im Folgenden hat der Senat auf die Anregung der Bevollmächtigten den Vorsitzenden der vorliegenden erkennenden Kammer des SG bezüglich der Anerkennung eines impfschadensbedingten GdS durch den Beklagtenvertreter in der o.g. mündlichen Verhandlung des SG befragt. Der Kammervorsitzende hat am 07.08.2019 im Wesentlichen dargelegt, ausschließen zu können, dass vom Beklagtenvertreter eine solche Aussage im Sinne einer entsprechenden prozessualen Erklärung getätigt worden sei. Inwieweit in der mündlichen Verhandlung Äußerungen darüber gefallen seien, ob die Klägerin vor der Impfung gesund gewesen sei, vermöge er nicht mehr zu sagen.

Am 12.08.2019 hat die Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik, Regionaldirektion Süd-Ost, mitgeteilt, dass auf Bitte der Klägerin das dortige Verwaltungsverfahren auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls ruhe.

Im Hinblick auf die vom Senat angefragte Primärschadensproblematik hat die Bevollmächtigte am 11.10.2019 mitgeteilt, dass die Klägerin "mit überraschtem Erstaunen zur Kenntnis genommen" habe, dass sie jetzt noch über die in Indien aufgetretenen Krankheitserscheinungen ärztliche Unterlagen vorlegen solle. Dies könne die Klägerin leider nicht. Die Aufbewahrungsfrist für ärztliche Unterlagen sei bereits verstrichen. Die Klägerin könne allerdings zwei Zeugen für die Mitte November 2006 bei ihr in Indien erstmals aufgetretenen neurologischen Ausfallerscheinungen benennen, nämlich den damaligen Chef der Klägerin und der Vater. Wegen der bereits dargelegten Krankheitserscheinungen habe die Klägerin während des Indienaufenthalts drei Tage lang ihrer Arbeit nicht nachgehen können; sie habe damals ihren Vater telefonisch über die Beschwerden informiert.
Im weiteren Verlauf hat die Bevollmächtigte u.a. betont, dass die Klägerin bis zur streitgegenständlichen Impfung völlig gesund gewesen sei und keinerlei Normabweichungen gezeigt habe, welche auch nur verdächtig in Richtung MS gewesen seien. Während eine normale MS schleichend beginne, spreche alles dafür, dass bei der Klägerin entweder eine allergische Reaktion auf den Impfstoff der entscheidende (Co-)Faktor für den Ausbruch gewesen sei oder dass durch die streitgegenständliche Impfung ein ruhender Prozess im Körper der Klägerin aktiviert worden sei.
Im Schriftsatz vom 02.04.2020 hat die Bevollmächtigte darauf hingewiesen, dass der Anspruch der Klägerin auf die Kannversorgung seit dem Urteil des SG angesichts neuer medizinischer Erkenntnisse und der rechtlichen Weiterentwicklung zu einem Anspruch auf Muss-Versorgung geworden sei.

Am 30.07.2020 hat es die Bevollmächtigte als unverständlich bezeichnet, warum der Beklagte die Klageforderung nicht anerkenne. Es sei unglaublich, dass in der BRD unter dem Einfluss einer überstarken Pharmalobby immer noch versucht werde, Erkenntnisse internationaler Impfrisikoforschung zu ignorieren. Nach dieser und der insoweit herrschenden Meinung könne eingespritztes Aluminium Autoimmunreaktionen auslösen. Vorab sei ein Gutachten bei Prof. L2 zum Beweis dafür einzuholen, dass MS nach mittlerweile herrschender medizinischer Meinung verursacht werde durch ein autoimmunologisches Geschehen und dass ein solches durch den eigentlichen Impfstoff (molekulares Mimikry) oder durch den Impfzusatzstoff und Wirksamkeitsverstärker Aluminiumhydroxid verursacht werden könne.

Mit Schriftsatz vom 09.05.2022 hat die neue Bevollmächtigte der Klägerin im Wesentlichen die Auffassung vertreten, die Darstellung des Beklagten sei unzutreffend, wonach sich aus der Veröffentlichung der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen ergebe, es sei zweifelsfrei widerlegt, dass Impfungen neurologische Erkrankungen auslösen könnten. In der Anlage dieser Veröffentlichung seien unter dem Zusatz "entzündliche ZNS-Erkrankungen" zusammengefasst die Akute Disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) und die MS genannt. Zwischen beiden, so die Bevollmächtigte, bestünden fließende Übergänge. Es bestünden Ähnlichkeiten zwischen Ätiologie und Pathogenese. Die Veröffentlichung der genannten Kommission sei nicht eindeutig. Im Übrigen sei es unzutreffend, dass durch klinische Studien zweifelsfrei widerlegt sei, dass eine Impfung eine MS mit verursachen könne.
 
Es sei, so die Bevollmächtigte, unerheblich und hypothetisch, ob aufgrund der genetischen Disposition eine MS zu einem späteren Zeitpunkt durch einen anderen externen Faktor ausgelöst worden wäre.
Zudem hat sie darauf hingewiesen, dass es keine statistische Ermittlung der Erstmanifestation von MS infolge von Impfungen hinsichtlich des zeitlichen Abstands gebe. PD Dr. W setze sich ausschließlich mit epidemiologischen/statistischen Studien auseinander, eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein ursächlicher Einfluss der Impfungen für die Entstehung und den Verlauf der MS-Erkrankung der Klägerin in wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen werde, erfolge aber nicht. Das Gutachten schließe jedoch mit den nicht nachvollziehbaren, geradezu widersprüchlichen Aussagen, es bestehe kein (im Sinne einer guten Möglichkeit) möglicher Zusammenhang, es bestehe aber eine theoretische Möglichkeit des Zusammenhangs. Da eine MS wesentlich häufiger durch andere externe Faktoren wie z.B. Infekte ausgelöst werde, könne die Klärung der Frage, ob es sich um eine gute Möglichkeit handle, nicht über epidemiologische/statistische Studien erfolgen, sondern sie müsse über Studien erfolgen, die sich auf die mögliche Ätiologie und mögliche Pathogenese im Einzelfall stützen würden. Die Seltenheit der Verursachung durch eine Impfung führe dazu, dass es bei epidemiologischen/statistischen Studien keine signifikanten Ergebnisse gebe, obwohl es sich um eine gute Möglichkeit handle.

Sodann ist vom Senat der Neurologe Prof. Dr. P (L-Universität) mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens (§ 106 SGG) beauftragt worden. In seinem Gutachten vom 28.05.2023 hat der Sachverständige zunächst mitgeteilt, dass die Durchführung einer ambulanten neurologischen Untersuchung wegen des schlechten Gesundheitszustands der Klägerin nicht möglich gewesen sei; daher sei die Begutachtung nach Aktenlage erfolgt.

Prof. Dr. P hat die einzelnen Symptome der Klägerin und deren Beginn, wie sie in den Akten beschrieben werden, im Einzelnen dargestellt. Wenn man anhand der Unterlagen den Beginn der neurologischen Symptomatik auf den November 2006 datiere, wäre, so der Sachverständige, ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der erfolgten Impfung am 27.10.2006 mit 0,5 ml Td-Virelon gegen Tetanus, Diphtherie und Poliomyelitis und der neurologischen Symptomatik prinzipiell plausibel. Ein zeitlicher Zusammenhang einer Impfung mit einer neurologischen Symptomatik begründe aber keinen kausalen Zusammenhang, wobei zu berücksichtigen sei, dass MS auf dem neurologischen Fachgebiet keine seltene Erkrankung sei, sodass grundsätzlich mit einem zufälligen Zusammentreffen einer Impfung mit dem Auftreten neurologischer Symptome zu rechnen sei.

Die im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung aufgetretenen neurologischen Beschwerden seien nicht kausal mit der Impfung verknüpft. Hierzu hat der Sachverständige die wichtigsten Quellen der entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnisse dargelegt (Seite 8 ff. des Gutachtens).

Erst kürzlich seien in einer groß angelegten systematischen Übersichtsarbeit (mit Mendelian-Randomisierung) eine lange Liste möglicher Risikofaktoren für eine MS untersucht worden. Bezogen auf die Tetanusimpfung und die Diphtherieimpfung habe sich eine indirekte (negative) Assoziation mit dem MS-Risiko gefunden. Die genannten Impfungen hätten also zu einem reduzierten Risiko einer MS geführt.

Ferner sei auch in dem international zu den renommiertesten Zeitschriften zählenden Journal Nature Reviews Neurology 2022 die einheitliche wissenschaftliche Datenlage betont worden, dass Impfungen keine MS auslösen würden. Auch in den aktuellen Lehrbüchern der Neurologie werde darauf hingewiesen, dass das MS-Risiko durch Impfungen nicht erhöht sei.

Zusammenfassend spreche also der aktuelle klinisch-wissenschaftliche Kenntnisstand eindeutig dagegen, dass die bei der Klägerin verabreichte Impfung gegen Tetanus, Diphtherie und Poliomyelitis die Erkrankung einer MS ausgelöst habe.

In der medizinischen Wissenschaft bestehe keine Ungewissheit bezüglich des Zusammenhangs im hier zu begutachtenden konkreten Sachverhalt. Auf die Frage des Gerichts, ob es wenigstens eine (seriöse) wissenschaftliche Lehrmeinung gebe, die theoretisch die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs vertrete und ob nach dieser Meinung im konkreten Fall der Klägerin die Impfung für die Komplikationen kausal sei, hat Prof. Dr. P ausgeführt, dass es früher prinzipiell die theoretische Überlegung einer autoimmunologischen Reaktion im Zentralnervensystem auf eine vorausgegangene Impfung gegen Tetanus, Diphtherie und Poliomyelitis gegeben habe. Die theoretische Möglichkeit einer durch die vorausgegangenen Impfungen ausgelöste MS habe aber in wissenschaftlichen Studien widerlegt werden können.

Zusammenfassend hat der Sachverständige festgestellt, dass weder ein bewiesener noch ein wahrscheinlicher noch ein möglicher Zusammenhang (im Sinne von guter Möglichkeit) zwischen der Impfung mit den oben genannten Impfstoffen und dem Entstehen einer MS bestehe. Aufgrund des aktuell geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstandes sei davon auszugehen, dass die neurologischen Symptome zufällig nach der Impfung aufgetreten seien und in keinem kausalen Zusammenhang mit dieser stehen würden.

Insoweit hat Prof. Dr. P auch auf das Vorgutachten von PD Dr. W (s.o.) verwiesen. Dessen Bewertung sei durch spätere wissenschaftliche Studien noch weiter untermauert worden.

Im Schriftsatz vom 08.09.2023 ist von der Klägerseite zum Gutachten von Prof. Dr. P Stellung genommen worden. Es ist erneut darauf hingewiesen worden, dass epidemiologische/statistische Studien nicht geeignet seien, Aussagen in Bezug auf den kausalen Zusammenhang zwischen Impfungen und der Erstmanifestation einer MS-Erkrankung zu treffen. Der Sachverständige habe die Beweisfrage, ob über die Ursache der Erstmanifestation der MS-Erkrankung in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit bestehe, nicht beantwortet. Das Gutachten enthalte keine Bezugnahmen auf Studien, die sich auf den Pathomechanismus der Verursachung einer MS beziehen würden. Statistische Erhebungen könnten höchstens die Aussage treffen, dass ein Zusammenhang statistisch nicht auffällig sei; dies sei aber auch dann nicht der Fall, wenn die Fälle entsprechend selten seien. Weiter hat die Bevollmächtigte am Gutachten von Prof. Dr. P kritisiert, dass es nicht zu den fließenden Übergängen zwischen einer ADEM und MS sowie zu den Ähnlichkeiten zwischen Ätiologie und Pathogenese der beiden Erkrankungen Stellung nehmen. Das Gutachten enthalte auch keine Aussage zu der Frage, ob eine wissenschaftliche Lehrmeinung den Ursachenzusammenhang zwischen Impfung und MS-Erkrankung als theoretisch begründet ansehe und für wahrscheinlich halte. Es beziehe sich lediglich auf Standardwerke.

Sodann ist auf Antrag der Klägerin mit Beweisanordnung vom 13.09.2023 Prof. Dr. L2 vom Senat gemäß § 109 SGG beauftragt worden. In seinem neurologischen Gutachten vom 17.10.2024 hat sich der Sachverständige ausführlich mit den Vorbefunden beschäftigt. In den letzten 15 Jahren, insbesondere aber in den letzten drei Jahren sei die Ätiopathogenese der MS wesentlich besser verstanden worden. Es bestehe inzwischen allgemeiner Konsens darüber, dass sich eine MS nur auf der Grundlage spezifischer genetischer Veranlagungen, einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) in einem spezifischen Altersabschnitt und bei Fehlen anderer Infektionen in der Kindheit (insbesondere keine Infektion mit dem Cytomegalie-Virus) entwickeln könne. Prof. Dr. L2 hat dargelegt, dass ein kleiner Abschnitt des Virus und des menschlichen Gehirns die genau baugleiche Struktur besitzen würden und damit potenziell vom Immunsystem nicht unterschieden werden könnten. Bei Bekämpfung des Virus greife das Immunsystem dann theoretisch auch diesen Teil des Gehirns an. Eine MS entwickle sich also nur bei sehr spezifischen genetischen Voraussetzungen, in Verbindung mit spezifischen Infektionen in einem bestimmten Altersabstand, aber auch nur dann, wenn vorher andere schützende Infektionen ausgeblieben sein. Eine einzelne Impfung sei daher aus heutiger Sicht nach ganz überwiegend herrschender Meinung nicht geeignet, diesen derart komplexen Mechanismus einer MS in Gang zu setzen oder gar zu verursachen.

Bei der Klägerin liege eine MS mit schubförmig remittierendem Verlauf vor. Die Erstdiagnose sei im Januar 2007 (durch eine Untersuchung am 24.01.2007) festgestellt worden. Der Verlauf der Erkrankung sei in der vorliegenden sehr umfangreichen Akte gut dokumentiert. Als weitere Gesundheitsstörungen ließen sich (aus den Akten) eine chronische Urtikaria, eine Schilddrüsenunterfunktion und ein Prädiabetes entnehmen.

In einem gewissen zeitlichen Zusammenhang zur Impfung mit dem Präparat Virelon sei es offenbar zu verschiedenen Symptomen gekommen. Bei den Symptomen Doppelbilder, Taubheitsgefühl und Lähmungserscheinungen in den Beinen sowie Blasenstörung, wie diese offenbar erstmals bei der Reise nach Indien Mitte November 2006 bei der Klägerin aufgetreten seien, handle es sich nicht um übliche Impfreaktionen. Es werde davon ausgegangen, dass die oben geschilderten Symptome tatsächlich Mitte November 2006 erstmals aufgetreten seien und als Erstmanifestation einer MS einzuordnen seien, so Prof. Dr. L2.

Dieser augenfällige zeitliche Zusammenhang reiche jedoch alleine nicht aus, um eine Kausalität zu begründen. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass eine chronisch-entzündliche, neurobiologische Erkrankung des zentralen Nervensystems wie eine MS tatsächlich durch eine Impfung gegen Tetanus - sei es als Einzelimpfstoff oder als Kombinationsimpfstoff - entstehe oder bei latenter Veranlagung getriggert werde. Hinsichtlich der diesbezüglichen Datenlage und wissenschaftlichen Literatur sei bereits ausführlich in den Gutachten von Prof. Dr. P und von PD Dr. W Stellung genommen worden. Den Ausführungen zu den verschiedenen zitierten Studien in den beiden Gutachten könne vollständig gefolgt werden, so Prof. Dr. L2. Wenn Prof. Dr. P in seinem Gutachten darauf verweise, dass es früher prinzipiell die theoretische Überlegung einer autoimmunologischen Reaktion etc. gegeben habe, diese theoretische Möglichkeit aber durch wissenschaftliche Studien widerlegt worden sei, so könne ihm ebenfalls gefolgt werden. Durch die genannte Impfung werde eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems weder ausgelöst noch getriggert, wie die Datenlage belege.

Weiter hat der Sachverständige ausgeführt, dass es im Gefolge einer Impfung es allenfalls zu sogenannten monophasischen - also einmalig auftretenden - entzündlichen, autoimmunologischen Reaktionen, wie einer ADEM kommen könne. Hierbei handele es sich um eine immun vermittelte demyelinisierende Erkrankung (mit bevorzugtem Auftreten im Kindesalter), die typischerweise monophasisch verlaufe und postinfektiös auftrete. Klinisch zeige sich eine multilokale Symptomatik mit Enzephalopathie und reversiblen, unscharfen Läsionen in der weißen Substanz unter Einbezug von Thalamus und Basalganglien in der cMRT. Die ADEM und die MS würden als unterschiedliche Entitäten angesehen werden. Die ADEM stelle möglicherweise eher ein akut entzündliches ZNS-Syndrom als eine einzelne Erkrankungsentität dar.

Zusammenfassend sei festzuhalten, dass nach der geltenden medizinisch-wissenschaft-lichen Lehrmeinung kein kausaler Zusammenhang zwischen der bei der Klägerin verabreichten Impfung gegen Tetanus, Diphtherie und Poliomyelitis (Td-Virelon) am 27.10.2006 und der chronischen ZNS-Erkrankung MS bestehe. Das erstmalige Auftreten Mitte von Symptomen November 2006 sei als ein zufälliges Zusammentreffen mit der erfolgten Impfung zu interpretieren.

Schließlich hat Prof. Dr. L2 auch zur Argumentation mit Impfungszusatzstoffen Stellung genommen. Die immer wieder angeführte Vermutung, dass solche Zusatzstoffe, insbesondere Aluminiumhydrooxid, für die Entwicklung oder Auslösung einer MS verantwortlich sein könnten, sei nicht nachvollziehbar. Keine der im bisherigen Verfahren zitierten Veröffentlichungen sei geeignet, einen solchen Zusammenhang zu belegen. Es gebe somit keine wissenschaftlichen Daten, die für die Auslösung der chronisch-entzündlichen, immunologischen Erkrankung MS durch Aluminium sprechen würden. Wie schon im Gutachten von Prof. Dr. P und auch zuvor an anderer Stelle werde nochmals auf die Veröffentlichung des PEI vom September 2015 mit Bezug auf die Sicherheitsbewertung von Aluminium in Impfstoffen verwiesen. In einer weiteren Veröffentlichung aus dem PEI im Bundesgesundheitsblatt 2019 heiße es weiter, dass bei der Frage nach einer möglichen systemischen Toxizität im Zusammenhang mit der Anwendung von Impfstoffen, die Aluminium als Adjuvans enthielten, bedacht werden müssen dass es sich nicht um eine intravenöse, sondern eine intramuskuläre Zufuhr von schwer löslichen Aluminiumverbindungen handle. Zu keinem Zeitpunkt sei somit das gesamte Aluminium gleichzeitig im Blut verfügbar, auch werde das Aluminium über die Niere sehr schnell eliminiert. Der Beitrag von Impfungen zur geschätzten lebenslangen Nettoakkumulation von Aluminium im Organismus sei daher im Vergleich zur kontinuierlichen Aufnahme von Aluminium aus anderen Quellen gering.

Prof. Dr. L2 hat zudem dargelegt, dass weder im Allgemeinen noch in dem konkreten zu begutachtenden Sachverhalt der Klägerin in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit bezüglich des kausalen Zusammenhangs bestehe. Auch hinsichtlich einer einzelnen Lehrmeinung werde ausdrücklich den Ausführungen von Prof. Dr. P in seinem Gutachten gefolgt.

Während zunächst im Schreiben der Bevollmächtigten vom 10.12.2024 um eine Entscheidung des Gerichts gebeten worden war, ist mit Schreiben vom 16.01.2025 beantragt worden, ein weiteres Gutachten eines anderen Sachverständigen einzuholen. Zudem ist beantragt worden, den Sachverständigen Prof. Dr. L2 in der mündlichen Verhandlung zu seinem Gutachten anzuhören, insbesondere dazu, dass er in einem Schreiben vom 16.08.2022 erklärt habe, der Nachweis eines Zusammenhangs zwischen MS und Impfung könne "selten geführt werden". In seinem Gutachten vom 17.10.2024 lege er nun aber dar, dass es keinen Hinweis darauf gebe. Weiter hat die Bevollmächtigte in dem Schriftsatz die Auffassung vertreten, dass der Senat dem Sachverständigen Prof. Dr. P in der Beweisanordnung bzgl. des Gutachtens eine Tendenz vorgegeben habe, indem es zur eigenen Einschätzung in Bezug auf medizinische Fragestellungen Ausführungen gemacht habe ("Das Gericht geht zurzeit davon aus, dass ..."). Es könne nicht ausgeschlossen werden, so die Bevollmächtigte, dass die Beurteilung von Prof. Dr. P von dieser gerichtlichen Tendenz beeinflusst gewesen sei. Gleiches gelte für die Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. L2, der sich an vielen Stellen explizit an der Beurteilung von Prof. Dr. P orientiert habe.

In der mündlichen Verhandlung des Senats am 31.01.2025 ist der Sachverständige Prof. Dr. L2 von der Bevollmächtigten der Klägerin ausführlich befragt worden.

Die Anschlussberufung ist in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen worden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 12.10.2016 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 06.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.03.2015 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,
sowie hilfsweise zum Beweis der Tatsache, dass die Impfung der Klägerin vom 27.10.2006 mit Td-Virelon gegen Tetanus, Diphtherie und Poliomyelitis die bei der Klägerin bestehende MS mit Wahrscheinlichkeit verursacht hat, ein medizinisches Sachverständigengutachten bei einem im Verfahren bisher nicht beauftragten Sachverständigen einzuholen, wobei diesem die Beweisanordnung vom 22.07.2022, das Sachverständigengutachten von Herrn Prof. Dr. P und das Sachverständigengutachten von Herrn Prof. Dr. L2 nicht zur Kenntnis gebracht werden.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG im vorliegenden Klageverfahren beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet.

Das SG hat zu Unrecht der Klage entsprochen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung und auf Impfschadensversorgung. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Soweit der Beklagte in dem Urteil zur Gewährung der gesetzlichen Entschädigungsleistungen nach einem GdS von 90 verurteilt worden ist, hat die Entscheidung des SG bereits deshalb keinen Bestand, weil die hierauf gerichtete Klage unzulässig gewesen ist. Soweit die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Beschädigtenversorgung ohne nähere Bestimmung nach dem IfSG begehrt hat, ist dies nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung unzulässig (vgl. BSG, Urteil vom 02.10.2008 - B 9 VG 2/07 R). Zwar kann im sozialgerichtlichen Verfahren die Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG auf jede nach dem materiellen Recht vorgesehene Leistung gerichtet werden; die beanspruchte Leistung muss indes genau bezeichnet werden (vgl. BSG, a.a.O.; Urteil des erkennenden Senats vom 21.07.2016 - L 15 VG 7/12). Die Begriffe der Versorgung / Entschädigungsleistungen betreffen aber keine bestimmte Leistung, sondern umfassen alle nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) (bzw. Sozialgesetzbuch Vierzehntes Buch - SGB XIV) in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung zur Verfügung stehenden Leistungen (vgl. BSG, a.a.O.).

Vor allem aber steht der Klägerin kein Anspruch auf die begehrte Feststellung und auf Impfschadensversorgung zu, weil die Voraussetzungen hierfür in mehrfacher Hinsicht nicht erfüllt sind. Es fehlt vorliegend sowohl an einer Primärschädigung ("Impfkomplikation") als auch an der Schädigungsfolge ("Impfschaden") als zweites und drittes Glied der dreigliedrigen Kausalkette im Sinne des Sozialen Entschädigungsrechts.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG beurteilen sich Inhalt und Wirkung sozialrechtlicher Ansprüche nach dem Recht, das zur Zeit des anspruchsbegründenden Ereignisses oder Umstandes gegolten hat, sofern nicht später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß etwas Anderes bestimmt (Grundsatz des intertemporalen Rechts, vgl. nur BSG, Urteil vom 26.11.1991 - 1 RK 22/91). Rechtsänderungen erfassen danach auch bereits begonnene, aber noch nicht vollendete Sachverhalte. Soweit keine besondere Übergangsregelung vorhanden ist, ist der Fall zeitabschnittsbezogen anhand sämtlicher Gesetzesfassungen zu prüfen, die sich seit dem ersten Entstehen des Anspruchs in Kraft befunden haben (BayLSG, Urteil vom 11.07.2017 - L 15 VJ 6/14).

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der zum Zeitpunkt der vorliegenden Antragstellung geltenden Fassung vom 28.05.2021 erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die (1.) von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, die (1a.) gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 20i Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 Buchstabe a, auch in Verbindung mit Nummer 2, des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) vorgenommen wurde, die (2.) auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde, die (3.) gesetzlich vorgeschrieben war oder die (4.) auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt. § 60 IfSG in der Fassung vom 12.12.2023 hat eine Änderung im Wesentlichen lediglich bzgl. des Zusatzes erfahren, dass auch Schutzimpfungen von Personen, die in der privaten Krankenversicherung versichert sind, erfasst sind, die in einem Umfang vorgenommen werden, der dem Anspruch auf Basis einer Rechtsverordnung nach § 20i Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch entspricht.

Vorliegend ist nicht § 24 SGB XIV einschlägig. Gemäß § 141 Satz 1 SGB XIV, der eine Übergangsvorschrift zur Lösung des Konflikts zwischen der alten Regelung des Impfschadensrechts in § 60 IfSG und der Neuregelung in § 24 SGB XIV darstellt, erhalten Personen, die wie die Klägerin vor dem Inkrafttreten dieses Buches am 01.01.2024 geschädigt worden sind, Leistungen nach diesem Buch, wenn die Voraussetzungen nach § 60 IfSG in der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung erfüllt waren.

Nach § 2 Nr. 11, 1. Halbsatz IfSG in der bis 31.12.2023 unverändert geltenden Fassung vom 20.07.2000 ist der Impfschaden definiert als die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.

Die Anerkennung als Impfschaden setzt eine dreigliedrige Kausalkette voraus (BSG, Urteil vom 25.03.2004 - B 9 VS 1/02 R; BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 3/13 R; vgl. auch jüngst das Urteil des Senats vom 14.12.2021 - L 15 VJ 4/13): Ein schädigender Vorgang in Form einer "Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe", der die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllt (1. Glied), muss zu einer "gesundheitlichen Schädigung" (2. Glied), also einem Primärschaden in Form einer Impfkomplikation geführt haben, die wiederum den "Impfschaden", d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, also den Folgeschaden (3. Glied) bedingt.

Diese drei Glieder der Kausalkette müssen - auch im Impfschadensrecht - im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (ständige Rspr., vgl. BSG, Urteile vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R - und vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R; BayLSG, Urteil vom 25.07.2017 - L 20 VJ 1/17; Hessisches LSG, Urteil vom 26.06.2014 - L 1 VE 12/09; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.07.2016 - L 13 VJ 19/15). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist jedoch ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R) und somit eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92).

Zwar hat der erkennende Senat in seiner früheren Rechtsprechung auf das Erfordernis des Vollbeweises in Bezug auf den Primärschaden verzichtet (vgl. Urteil des Senats vom 31.07.2012 - L 15 VJ 9/09). Diese Rechtsprechung hat der Senat vor dem Hintergrund der gesetzlichen Vorgaben und der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedoch bereits mit Urteil vom 26.03.2019 - L 15 VJ 9/16 (vgl. auch Urteil des Senats vom 02.07.2019 - L 15 VJ 4/16) - ausdrücklich aufgegeben. Denn das BSG geht in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. den Beschluss vom 29.01.2018 - B 9 V 39/17 B) davon aus, dass der Primärschaden im Vollbeweis nachgewiesen sein muss. Es hat hierzu im Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R, Folgendes ausgeführt:

"Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - im sog. Vollbeweis - feststehen müssen und allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit ausreicht (s § 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (s BSGE 60, 58 = SozR 3850 § 51 Nr 9; Rohr/Sträßer/Dahm, aaO Anm 11 mwN). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind."

Auch nach der Rechtsprechung im wesensverwandten Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung ist der Nachweis des unmittelbar nach dem schädigenden Vorgang vorliegenden Gesundheitsschadens, dort auch "Erstschaden" genannt, im Vollbeweis zu führen (Urteile des BSG vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R - und B 2 U 23/11 R: "Die den Versicherungsschutz in der jeweiligen Versicherung begründende ´Verrichtung´, die (möglicherweise dadurch verursachte) ´Einwirkung´ und der (möglicherweise dadurch verursachte) ´Erstschaden´ müssen (vom Richter im Überzeugungsgrad des Vollbeweises) festgestellt sein").

Der erkennende Senat sieht entsprechend der Rechtsprechung des BSG und im Übrigen auch des 20. Senats des BayLSG (Urteil vom 25.07.2017 - L 20 VJ 1/17) eine "irgendwie geartete Beweiserleichterung beim Primärschaden", eine Beurteilung "des Zusammenhangs zwischen Impfung und manifestiertem Gesundheitsschaden in einer einzigen gedanklichen Etappe" anhand von "Mosaiksteinen", die den Nachweis des Primärschadens im Vollbeweis als "realitätsfremd" und damit verzichtbar erscheinen lassen würden, jedenfalls derzeit als nicht angezeigt an (Urteil vom 26.03.2019 - L 15 VJ 9/16). Die Anerkennung eines Impfschadens unter reduzierten Beweisanforderungen zu ermöglichen, bliebe grundsätzlich dem Gesetzgeber vorbehalten.

Die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs zwischen den drei Gliedern der Kausalitätskette folgt, wie ansonsten im Versorgungsrecht auch, der Theorie der wesentlichen Bedingung (ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Urteile vom 23.11.1977, Az.: 9 RV 12/77, vom 08.05.1981, Az.: 9 RV 24/80, vom 20.07.2005, Az.: B 9a V 1/05 R, und vom 18.05.2006, Az.: B 9a V 6/05 R). Diese beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie: Danach ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Als rechtserheblich werden allerdings nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben.

Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen den drei Gliedern der Kausalkette reicht nach § 61 Satz 1 IfSG der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit aus. Die Beweisanforderung der Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität zwischen dem ersten und dem zweiten Glied der Kausalitätskette als auch für den Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen dem zweiten und dem dritten Glied (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R). Die vom BSG früher vertretene Rechtsauffassung, dass für die haftungsbegründende Kausalität ebenfalls der Beweismaßstab des Vollbeweises zu fordern wäre (so BSG, Urteil vom 24.09.1992 - 9a RV 31/90), hat das BSG längst ausdrücklich aufgegeben (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R).

Eine potentielle, versorgungsrechtlich geschützte Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977 - 10 RV 15/77), also mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang spricht (vgl. BSG, Urteile vom 19.08.1981 - 9 RVi 5/80, vom 26.06.1985 - 9a RVi 3/83, vom 19.03.1986 - 9a RVi 2/84, vom 27.08.1998 - B 9 VJ 2/97 R - und vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 26.11.1968 - 9 RV 610/66 - und vom 07.04.2011, a.a.O.).

Kann eine Aussage zu einem wahrscheinlichen Zusammenhang nur deshalb nicht getroffen werden, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt die sogenannte Kannversorgung gemäß § 60 Abs. 1 IfSG i.V.m. § 61 S. 2 IfSG in Betracht.

Lässt sich der Vollbeweis in Bezug auf die drei Glieder der Kausalitätskette nicht führen oder der Ursachenzusammenhang zwischen den drei Gliedern der Kausalitätskette nicht wahrscheinlich machen und auch über die Kannversorgung nicht herstellen, so geht die Nichterweislichkeit der Tatsache bzw. des Ursachenzusammenhangs nach den allgemeinen Regeln der Beweislast zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs hierauf stützen will, vorliegend also zu Lasten der Klägerin. Die Beweislast (auch) für die Wahrscheinlichkeit liegt bei der geschädigten Person; die im Medizinrecht übliche Beweislastumkehr ist im Sozialen Entschädigungsrecht nicht anwendbar (vgl. z.B. Aligbe, NJW 2023, 2457, 2460).

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann sich der Senat nicht davon überzeugen, dass bei der Klägerin eine Impfkomplikation und ein Impfschaden im o.g. Sinn vorliegt.

Die Klägerin ist unbestritten am 27.10.2006 mit 0,5 ml Td-Virelon gegen Tetanus, Diphtherie und Poliomyelitis und am 06.11.2006 mit 5 ml Beriglobin gegen Hepatitis-A geimpft worden. Die Klägerin leidet nach den ebenfalls unstreitigen Feststellungen u.a. von Prof. Dr. L2 an einer MS mit schubförmig remittierendem Verlauf, ferner einer chronischen Urtikaria, einer Schilddrüsenunterfunktion und einem Prädiabetes.

A. Es fehlt aber bereits an einem Primärschaden (im Sinne einer Impfkomplikation als impfbedingte primäre Gesundheitsstörung).

Die Feststellung eines solchen hat grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen (vgl. hierzu z.B. Karl, in Schmidt, SGB XIV, 1. Aufl. 2021, § 24, Rn. 69, m.w.N.). Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind.

Als Primärschaden, der das Bindeglied zwischen dem angeschuldigten schädigenden Ereignis der Impfungen und dem Impfschaden in Form der bei der Klägerin bestehenden (dauerhaften) MS darstellen muss, macht die Klägerin die Gesundheitsstörungen auf der Indienreise (wohl ab 13.11.2006) geltend. Sie trägt massive Kreislaufschwäche und Schwindel und weitere diverse gesundheitliche Störungen wie Taubheitsgefühle beider Beine, kurze Lähmungserscheinungen, eine Schwäche rechts, passagere für einige Minuten anhaltende Doppelbilder und imperativen Harndrang vor.

Aufgrund der Angaben der Klägerin und auch der Bestätigung durch den Arbeitgeber und der Angaben durch den Vater steht zur Gewissheit des Senats fest, dass die Klägerin während der Indienreise gesundheitliche Störungen erlitten hat. Unzweifelhaft fest steht jedoch nur, dass die Klägerin relativ unspezifische Symptome gehabt hat. So hat der Arbeitgeber am 09.09.2014 lediglich bestätigt, dass die Klägerin (bereits) am zweiten Tag nach der Ankunft massive Kreislaufschwäche und Schwindel gehabt habe und dass sie mehrere Tage nicht arbeiten habe können. Diese - von einem Laien abgegebene - Einschätzung führt ebenso wenig wie die Angabe des Vaters, der lediglich Zeuge vom Hörensagen ist, dazu, dass die (ggf. neurologischen) Symptome als gesichert angesehen werden könnten. Insbesondere liegen auch keinerlei medizinischen Unterlagen vor; die späteren verweisen lediglich auf die Berichte der Klägerin von der Indienreise.

Selbst wenn man die Symptome als belegt ansehen würde - wie es die Sachverständigen Prof. Dr. P und Prof. Dr. L2 machen -, wäre aber ein Primärschaden im oben genannten Sinn nicht nachgewiesen. Denn die von der Klägerin geschilderten Gesundheitsstörungen sind kein Bindeglied zwischen den angeschuldigten schädigenden Ereignissen (Impfungen) und dem Impfschaden (MS). Sie stellen vielmehr bereits den Impfschaden als 3. Glied der Kausalkette selbst dar. Dies bestätigt auch die frühere Bevollmächtigte der Klägerin, wenn diese ausdrücklich ausführt (siehe Schriftsatz vom 06.11.2019), dass die Klägerin kurz nach der streitgegenständlichen Impfung das Vollbild einer MS gezeigt habe. Auch hat die Ärztin des Beklagten Dr. L1 für den Senat sehr plausibel davon gesprochen, dass der zeitliche Zusammenhang zwischen Impfung und MS-Symptomen sehr knapp, eine stärkere entzündliche oder immunologische Körperreaktion jedoch nicht belegt sei. Eine solche wäre aber notwendig, um als Primärschaden (Impfkomplikation) gelten zu können.

B. Selbst wenn man von einer durch die angeschuldigten Impfungen mit Td-Virelon und Beriglobin bewirkten Impfkomplikation ausgehen würde, fehlte es jedenfalls an der Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen dem dann zugestandenen Primärschaden und der als Impfschaden von der Klägerin geltend gemachten MS bzw. zwischen den Impfungen und der MS.
Das BSG hat mit Urteil vom 07.04.2011 (B 9 VJ 1/10 R) zum Prüfungsmaßstab der Kausalität im Impfschadensrecht folgendes ausgeführt:
"Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalbeurteilung sind im sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden AHP anzuwenden und zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales <BMAS>) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP insbesondere um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog. antizipierte Sachverständigengutachten (s nur BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9). Die AHP sind in den Bereichen des sozialen Entschädigungsrechts und im Schwerbehindertenrecht generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm ("normähnlich"). Für den Fall, dass sie nicht mehr den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergeben, sind sie allerdings nicht anwendbar (BSG aaO). Dann haben Verwaltung und Gerichte auf andere Weise den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu ermitteln. Die AHP enthalten in allen hier zu betrachtenden Fassungen seit 1983 unter den Nr. 53 bis 142/143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr. 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr. 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben.

Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen (damals noch als "Impfschaden" bezeichnet) bei Schutzimpfungen in Nr. 57 AHP 1983 bis 2005 sind allerdings Ende 2006 aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden (Rundschreiben des BMAS vom 12.12.2006 - IV.c.6-48064-3; vgl. auch Nr. 57 AHP 2008):
Die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete STIKO entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar.

Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr. 11 IfSG und Nr. 56 Abs. 1 AHP) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kannversorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von §§ 60 f IfSG durchzuführen. Siehe dazu auch Nr. 35 bis 52 (Seite 145 bis 169) der AHP.

Die seit dem 1.1.2009 an die Stelle der AHP getretene VersMedV ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung, die indes, sofern sie Verstöße gegen höherrangige, etwa gesetzliche Vorschriften aufweist, jedenfalls durch die Gerichte nicht angewendet werden darf (BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - SozialVerw 2009, 59, 62 mwN). Anders als die AHP 1983 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern (s BMAS <Hrsg>, Einleitung zur VersMedV, S 5), sodass insoweit entweder auf die letzte Fassung der AHP (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten genutzt werden müssen.

Zutreffend hat das LSG die Auffassung vertreten, dass alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten sind. Dies entspricht der Rechtsprechung des BSG im Sozialen Entschädigungsrecht, insbesondere im Impfschadensrecht, und Schwerbehindertenrecht (s BSG Urteil vom 17.12.1997 - 9 RVi 1/95 - SozR 3-3850 § 52 Nr 1 S 3, Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 25) sowie im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17; Urteil vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7). Ein bestimmter Vorgang, der unter Umständen vor Jahrzehnten stattgefunden hat, muss, wenn über ihn erst jetzt abschließend zu entscheiden ist, nach dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft beurteilt werden. So kann auch die vor Jahrzehnten bejahte Kausalität aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden als fehlend erkannt werden, mit der Folge, dass Anerkennungen unter Umständen zurückzunehmen oder nur aus Gründen des Vertrauensschutzes (§ 45 SGB X) zu belassen sind (vgl BSG Urteil vom 2.12.2010 - B 9 V 1/10 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen)."
Der Nachweis des Kausalzusammenhangs ist nach den geltenden Grundsätzen der objektiven Beweislast positiv zu führen. D.h., dass die Beweislast für die Wahrscheinlichkeit bei der geschädigten Person liegt (s.o.) und dass allein aus dem Ausschluss sonstiger Faktoren oder aus einem zeitlichen Zusammenhang nicht auf einen Ursachenzusammenhang geschlossen werden kann, wenn eine sonstige medizinisch-biologische Erklärung für den geltend gemachten Kausalzusammenhang fehlt (vgl. z.B. aus jüngerer Zeit das Urteil des Senats vom 14.12.2021 - L 15 VJ 4/13).

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann aus Sicht des Senats nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände nicht davon ausgegangen werden, dass der Möglichkeit der Verursachung der MS durch die angeschuldigten Impfungen gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (s.o.), dass also mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang spricht. Zur Überzeugung des Senats besteht lediglich die theoretische Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs, was nicht genügt.

Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere auch aus den überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. P und Prof. Dr. L2 sowie den anschaulichen Erklärungen des Letzteren in der mündlichen Verhandlung, und im Übrigen auch aus dem Gutachten von PD Dr. W und ferner den Darlegungen von Dr. K3 und Dr. L1 des Beklagten. Der Senat macht sich alle diese sachverständigen Feststellungen, die er selbst geprüft hat, zu eigen.

Anders als wohl die Klägerin meint, die ein neues Gutachten beantragt hat und die Nichtberücksichtigung der Gutachten von Prof. Dr. P und Prof. Dr. L2 durch den neuen Gutachter erreichen möchte, ist der Senat in keiner Weise daran gehindert, die Sachverständigengutachten der genannten Sachverständigen zu verwerten. Denn die von der Bevollmächtigten pauschal vorgetragene - sich nicht mit den nachfolgenden Erwägungen auch nur im Ansatz auseinandersetzende - Annahme ist nicht nachvollziehbar, der Senat habe in der Beweisanordnung vom 22.07.2022 an Prof. Dr. P eine (inhaltliche) Tendenz vorgegeben.

Vielmehr hat der Senat seine damalige, in keiner Weise festgelegte Sicht der medizinisch-wissenschaftlichen Situation mitgeteilt, um dem Sachverständigen hierdurch zu ermöglichen, die nach gerichtlicher Auffassung relevante Fragestellung pointiert aufzulösen und die genannten Annahmen entweder zu bestätigen oder zu widerlegen. Der Senat hat durch die Beweisanordnung nichts anderes getan, als seiner verfahrensrechtlichen Pflicht zu entsprechen, nämlich den - hochkomplexen - medizinisch-wissenschaftlichen Sachverhalt so gut als möglich aufzuklären.

Dabei war das Gericht verpflichtet, konkret und zielgerichtet beim Sachverständige anzufragen. Denn bei der Einholung schriftlicher Gutachten hat es "besonderes Augenmerk auf passgenaue, den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung tragende Beweisfragen zu legen" (für Viele z.B. Mushoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 106 SGG, Stand: 20.02.2025, Rn. 145).
 
Es ist nicht im Ansatz ersichtlich, weshalb in den Raum gestellte Thesen, auf die es in dem Rechtsstreit entscheidungserheblich ankommt, zu verheimlichen sein sollten; es gibt auch keinen Grund, dass sich das Gericht "dumm stellen" muss. Die ausführliche Beweisanordnung dient somit gerade auch der Transparenz, die schon im Hinblick auf den Grundsatz des fairen Verfahrens geboten ist (zur Bedeutung von Informationen gerade bei der Einholung von Gutachten - auch im Hinblick auf die hierdurch geschaffene Transparenz - vgl. Mushoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 106 SGG, Stand: 20.02.2025, Rn. 111).

Eine solche Transparenz hat der Senat gerade auch in Abgrenzung zum Vortrag der früheren Bevollmächtigten der Klägerin für besonders notwendig erachtet. Denn diese hat gerade nicht klargestellt, was Grundlage ihrer eigenen medizinisch-wissenschaftlichen Behauptungen bzw. ihrer Auswertung wissenschaftlicher Abhandlungen war und ob sie insoweit aufgrund entsprechender Ausbildung "vom Fach ist" oder lediglich eine laienhafte Argumentation betrieben hat. Hingegen hat der Senat (in Gestalt des zuständigen Berichterstatters) keinen Zweifel daran gelassen, dass er entsprechend den Vorgaben des Prozessrechts sachverständige Hilfe dazu benötigt, die entsprechenden Fragen zu klären. Um die gerichtlichen Fragen exakt klären zu lassen, hat er unter Zitierung mehrerer Fundstellen die ihm bekannten einschlägigen Aussagen zitiert und um Auseinandersetzung hiermit, d.h. um sachverständige Aufarbeitung und schließlich Klärung gebeten.

Dies alles geht ohne weiteres aus der gerichtlichen Beweisanordnung und den ergänzenden Hinweisen hervor. Es erschließt sich dem Senat nicht, wie die Annahme der (neuen) Bevollmächtigten, der Senat habe eine "Tendenz vorgegeben", zustande kommen konnte, wenn doch in der Beweisanordnung ausdrücklich formuliert ist, dass das Gericht nicht überprüfen könne, ob die von ihm genannten Annahmen zutreffend seien, insbesondere nicht, ob sie derzeitigem wissenschaftlichen Stand entsprechen würden, und wenn der Sachverständige gebeten wurde, die Beweisfragen zu beantworten und dabei auch auf diese Annahmen und die Aussagen in den Gutachten, die im bisherigen Verfahren eingeholt wurden, einzugehen. Die unmissverständliche Aussage in der Beweisanordnung "Das Gericht kann aber aufgrund eigener Sachkenntnis nicht überprüfen, ob diese Annahmen zutreffend sind, insbesondere nicht, ob sie dem aktuellen wissenschaftlichen Stand entsprechen" lässt keinen Interpretationsspielraum in Richtung der Annahme zu, das Gericht habe das Verfahren in eine bestimmte Richtung ("Tendenz") bringen wollen.
Somit drängt sich der Verdacht auf, dass der formulierten Annahme einer Tendenz lediglich die Funktion eines Hilfsarguments auf dem Weg zu einem für die Klägerin günstigen neuen Gutachten zukommt, weil die Beweisfragen im Berufungsverfahren - selbst durch den gemäß § 109 SGG auf Wunsch der Klägerin beauftragten Sachverständigen - im Ergebnis nicht in deren Sinne beantwortet worden sind.

Ein Verzicht auf die konkreten Hinweise/Fragestellungen kommt generell nicht in Betracht. Eine sinnvolle Aufklärung wäre ohne solche Vorbemerkungen nicht möglich. Der Senat sieht sich in den Impfschadensfällen nach dem IfSG (SGB XIV) ohnehin in erhöhtem Maße vor besondere Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsaufklärung, insbesondere in medizinisch wissenschaftlicher Hinsicht, gestellt, weil hier oftmals vor dem Hintergrund diametral gegenüberstehender "Weltanschauungen" ("absolute" Impfgegner - Impfbefürworter "um jeden Preis") in der rechtlichen Diskussion und auch der wissenschaftlichen Aufarbeitung polarisierende Standpunkte eingenommen werden, die im gerichtlichen Verfahren im Einzelnen hinterfragt und aufgeklärt werden müssen (vgl. hierzu z.B. den pauschalen Vortrag der früheren Bevollmächtigten, es würde in der "BRD" unter dem Einfluss einer überstarken Pharmalobby immer noch versucht, Erkenntnisse internationaler Forschung zu ignorieren, sowie in Deutschland versuche die Pharmalobby immer noch, Politikern, Gerichten und Ärzten glauben zu machen, Impfungen seien so harmlos wie frei verkäufliche Nussschokolade). Bei diesen Rahmenbedingungen ist es bereits nur schwer möglich, geeignete Sachverständige zu gewinnen, insbesondere solche, die von den Beteiligten gleichermaßen akzeptiert werden. Hinzu kommt das von der Rechtsprechung in Kauf genommene generelle Dilemma (vgl. z.B. Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Aufl. 2011, S. 26), dass das Gericht eigene medizinische Sachkunde - z.B. in vertieften Eigenstudien erworben - nicht in Konkurrenz zu einem Sachverständigen einbringen darf (daher hat das Gericht vorliegend bei der o.g. Beweisanordnung beim Sachverständige nachgefragt!) und sich die Richter kein medizinisches Wissen anmaßen dürfen; unzulässig ist bereits das Erwecken des Anscheins, die Ausführungen könnten auf eine solchen Anmaßung schließen lassen (zur grundsätzlichen Funktion des Sachverständigen s. z.B. BGH v. 18.03.1993 - IX ZR 198/92). Auf der anderen Seite jedoch wird vom Gericht verlangt, in den Kern der medizinischen Beurteilung und damit "tief in die Welt der medizinischen Wissenschaft" einzudringen (vgl. Kater, a.a.O., S. 26 u. 52). Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass in den praktisch bedeutsamen Fällen, in denen die medizinische Sachaufklärung wie vorliegend intensiv betrieben wird und in denen das Ergebnis teilweise widersprüchlich ist, weil wie vorliegend Gutachten mit einander entgegengesetzten Ergebnissen vorliegen, sich die oben genannten rechtlichen Anforderungen als Leerformeln erweisen (Kater, a.a.O., S. 26). Vor diesem Hintergrund würde ein Verbot konkreter Hinweise und konkreter Aufträge zur Klärung der Validität einzelner medizinischer Erfahrungssätze für das Gericht wegen der Annahme einer "Tendenz" das Ende jeder sinnvollen Sachverhaltsaufklärung in medizinisch komplexen Problemfeldern bedeuten. Im Übrigen wären bei der Auffassung, in Fällen wie dem vorliegenden liege bereits alleine wegen der Anfrage (hinsichtlich bestimmter Annahmen) beim Gutachter eine Tendenz des Gerichts vor, auch standardmäßige Abfragen bzgl. des Sachverhalts zur Erfüllung der Tatbestände sozialrechtlicher Normen nicht mehr möglich. Denn z.B. bereits die Frage nach Gesundheitsstörungen vor und nach dem (möglicherweise) schädigenden Ereignis impliziert das Vorliegen von Krankheiten/Schädigungen sowie die Relevanz des betreffenden Ereignisses; insoweit könnte man - die Anforderung an eine gerichtliche Tendenz wie im vorliegenden Fall (durch die Bevollmächtigte) weit herabsetzend - bereits von einer Tendenz des Fragenden sprechen.

Es erscheint im Übrigen auch fernliegend, dass sich ausgewiesene Experten wie Prof. Dr. P und Prof. Dr. L2 in ihrem wissenschaftlichen Sachurteil von einer letztlich laienhaften, weil juristischen Sicht (s.o.) des Gerichts beeinflussen oder gar zu bestimmten Ergebnissen zwingen lassen würden.

Schließlich ist der Senat nicht daran gehindert, das vom Beklagten auf eigene Initiative hin eingeholte Gutachten von PD Dr. W zu verwerten. Er hatte jedoch zu beachten, dass es sich dabei nicht um ein Gerichts-, sondern ein Privatgutachten handelt. Das BSG weist in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Beschluss vom 26.05.2000 - B 2 U 90/00 B) darauf hin, dass nicht als gerichtliche Sachverständigengutachten erstellte ärztliche Gutachten zwar grundsätzlich einen anderen Beweiswert und eine andere Beweiskraft und somit eine andere Aussagekraft besitzen als gerichtliche Gutachten. Dies stellt aber kein Hindernis dar, ein von der Verwaltung in Auftrag gegebenen Gutachtens im Wege des Urkundenbeweises gemäß § 118 SGG i.V.m. §§ 415 ff. ZPO zu verwerten und ihm im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 SGG zu folgen, wie dies wohl auch für Privatgutachten der Klägerseite gilt. Zwar hat sich die Rechtsprechung des BSG auf im Rahmen des Verwaltungsverfahrens eingeholte Gutachten bezogen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass sich im Falle erst im Gerichtsverfahren eingeholter Privatgutachten hieraus eine Nichtverwertbarkeit ergeben könnte. Der vom Beklagten beauftragte Sachverständige gehört weder seinem ärztlichen Dienst an noch rechtfertigt er die Besorgnis der Befangenheit (vgl. BSG, Beschluss vom 10.08.1993 - 9/9a BV 185/92; vgl. auch den Beschluss des Senats vom 29.07.2015 - L 15 VG 19/15 B PKH).

Letzteres ergibt sich übrigens auch nicht im Hinblick auf die massiven Vorwürfe der früheren Bevollmächtigten der Klägerin, die von dieser insbesondere für PD Dr. W bzw. das Universitätsklinikum M geäußert worden sind, bezüglich der Durchdringung der medizinischen Forschung etc. durch die Interessen der Pharmalobby. Würde man dem "Lagerdenken" der früheren Bevollmächtigten folgen, wäre eine medizinisch-wissenschaftliche Aufklärung des vorliegenden Sachverhalts wohl ohnehin von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Von zentraler Bedeutung ist vorliegend, dass die getroffenen Feststellungen von Prof. Dr. P, Prof. Dr. L2 und PD Dr. W in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen stehen, die dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Aus diesem Grund war auch nicht noch ein weiteres gerichtliches Sachverständigengutachten auf die nicht unerheblichen Einwendungen der Klägerseite, die wiederum ein Privatgutachten vorgelegt hat (siehe oben), erforderlich. Insbesondere entsprechen auch die Vorgehensweisen der Sachverständigen dem aktuellen wissenschaftlichen Erfahrungswissen (zum Gutachten von Prof. Dr. K2 s. jedoch u.), anders als offensichtlich die Bevollmächtigte meint, wie aus ihrem Vortrag hervorgeht (s.u.).

Dass die getroffenen Feststellungen in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen stehen, die dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen, gilt auch für die verwendeten Impfstoffe Td-Virelon und Beriglobin.

Bei ersterem Impfstoff wird nach Herstellerangaben (Fachinformationen zu Td-Virelon, Stand November 2003, siehe Bl. 75 der Verwaltungsakte) im Übrigen zwar davon ausgegangen, dass zwar statistisch kein Hinweis auf eine Häufung von Erstmanifestationen oder Schubauslösungen von Autoimmunerkrankungen wie zum Beispiel MS nach Impfungen zu erkennen sei, im individuellen Fall aber dennoch nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werde, dass eine Impfung als unspezifischer Trigger einen Schub bei entsprechender Prädisposition auslösen könne. Auch die Anführung einer Erkrankung unter Nebenwirkungen in Medizinprodukte-Informationen (wie Fachinformationen) eines Impfstoffs lässt jedoch nicht den Rückschluss zu, dass ein Kausalzusammenhang gesichert besteht (vgl. z.B. das Urteil des LSG Nordrhein Westfalen vom 15.06.2012 - L 13 VJ 59/11; Friedrich/Friedrich, ZESAR 2017, 491 <493>).

Die Sachverständigen Prof. Dr. P, Prof. Dr. L2 und PD Dr. W haben überzeugend dargelegt, dass nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand weder ein bewiesener noch ein wahrscheinlicher noch ein möglicher (im Sinne von guter Möglichkeit) Zusammenhang zwischen der Impfung mit Td-Virelon und dem Entstehen oder der dauerhaften Verschlimmerung einer MS besteht, sondern lediglich eine theoretische Möglichkeit des Zusammenhangs aufgrund der zeitlichen Abfolge von Impfung und Erstmanifestation. Dies ist für die Feststellung einer guten Möglichkeit jedoch nicht als ausreichend zu betrachten. Die Frage einer ursächlichen Verknüpfung verschiedener Impfungen und einer MS sind Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Studien gewesen. Mittlerweile existieren in der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur keine ernstzunehmenden Stimmen mehr, die davon ausgehen, eine Impfung könne eine MS auslösen. Dies haben insbesondere die ausführlichen Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. P (im Gutachten vom 28.05.2023) ohne Weiteres gezeigt. Nach der aktuellen (vgl. zur Notwendigkeit der Aktualität die oben bereits dargestellte Rspr. des BSG!) medizinischen Forschung besteht kein Zusammenhang zwischen einer Impfung (gleich welcher Art) und einer Erkrankung an MS (vgl. z.B. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 05.11.2020 - L 10 VE 46/17, m.w.N.; Sächsisches LSG, Urteil vom 26.11.2019 - L 9 VE 22/18 ZVW, unter Verweis auf eine große Studie aus dem Jahre 2019, veröffentlicht von Prof. Dr. Hemmer, TU München; vgl. auch K1/L1/K3, MedSach 2019, 23 <25>, m.w.N.).

Wie das Gesamtergebnis des Verfahrens zeigt, ist es bereits aufgrund der Ungewissheiten zu Ätiologie und Pathogenese der MS allgemein schwer, eine aussagekräftige Zusammenhangsdiskussion zu führen. Ein Kausalzusammenhang ist nach der Studienlage bei Impfungen weder für die Entstehung der MS noch für eine Verschlimmerung (im Sinne neuer Schübe) nachgewiesen; dies gilt sowohl für Lebend- als auch für Totimpfstoffe (Friedrich/Friedrich, ZESAR 2017, 491 <497>). Selbst die Studien, die eine positive Assoziation zwischen MS und Impfungen beobachten, sprechen nicht von einem Kausalzusammenhang, da diese Art von Studien solche Schlussfolgerungen nicht erlaubt (Friedrich/Friedrich, ZESAR 2017, 491 <495>, m.w.N.). Auch in diesen (Ausnahme-)Studien wird also kein Kausalzusammenhang zwischen Impfungen und MS behauptet, sondern es werden lediglich statistische Assoziationen zwischen Impfungen und einem erhöhten MS Risiko festgestellt, ohne Schlussfolgerungen für die Ursächlichkeit ziehen zu können (Friedrich/Friedrich, ZESAR 2017, 491 <498). Wenn sich in Einzelfällen im zeitlichen Zusammenhang zu einer Impfung der klinische Beginn einer MS manifestiert, spricht dies noch nicht für das Vorliegen eines ursächlichen Zusammenhangs, selbst dann nicht, wenn andere Auslöser der Erkrankung nicht ersichtlich sind. Vielmehr ist nach dem derzeitigen Sachstand der Erkenntnis in der medizinischen Wissenschaft davon auszugehen, dass es in Anbetracht der immensen Häufigkeit von Impfungen und der ebenfalls sehr beträchtlichen Häufigkeit von MS dem Zufall geschuldet ist, wenn in unterschiedlichem zeitlichen Abstand von einer vorausgegangenen Impfung sich der erste Schub einer MS einstellt (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 05.11.2020, a.a.O., m.w.N.). Eine ursächliche Verbindung kann erst angenommen werden, wenn die Häufigkeit der Manifestation einer MS innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach der Impfung höher ist als bei Personen ohne diese Impfung; die große Anzahl teils sehr aufwendiger epidemiologischer Studien zu dieser Frage hat einen entsprechenden Verdacht bezüglich der Auslösung einer MS durch Impfungen aber nicht bestätigen können (a.a.O.). Diese Bewertung steht auch im Einklang mit der Einschätzung des PEI und des RKI (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 05.11.2020, a.a.O., m.w.N.).

Nicht nachvollziehen kann der Senat die methodische Kritik bzw. die im Verfahren wiederholt vorgetragene Auffassung der Klägerseite, statistische Untersuchungen seien nicht geeignet, die vorliegende Zusammenhangsfrage (rechtssicher) zu klären. Diese Auffassung ist nicht haltbar, denn sie widerspricht den aktuellen wissenschaftlichen Anforderungen an medizinisch-wissenschaftliche Beurteilungen, wie sich (mit Ausnahme des insoweit nicht überzeugenden Gutachtens von Prof. Dr. K2) aus der gesamten Aktenlage und insbesondere den eingeholten Sachverständigengutachten ohne weiteres ergibt. Der Senat, dem die Diskussion bereits aus zahlreichen vergleichbaren Fällen bekannt ist, macht sich die sachverständigen Feststellungen nach eigener Prüfung zu eigen.

Selbstverständlich ist, dass Statistiken keine Aussagen über Einzelfälle treffen können. Sie ergeben jedoch Hinweise über Wahrscheinlichkeiten vom Auftreten bestimmter Ereignisse, die für die Zusammenhangsfragen von zentraler Bedeutung sein können. Für diese allgemein bekannte und naheliegende Erkenntnis hätte es keiner sachverständigen Feststellung bedurft. Klarstellend hat Prof. Dr. L2 in seinen überzeugenden und für den Senat in jeder Hinsicht nachvollziehbaren Feststellungen diese Erkenntnis jedoch ausdrücklich bestätigt. Die statistischen ("prohabilistischen") medizinischen Erfahrungssätze sind im Sinne einer mathematischen Wahrscheinlichkeit relevant; sie können weder verifiziert noch falsifiziert werden (Kater, a.a.O. S. 50, m.w.N.): Da sie einen Wahrscheinlichkeitswert angeben - maßgeblich ist die Erfahrungsbasis -, lassen sie sich bei Beurteilung der Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs ohne Weiteres heranziehen (vgl. a.a.O.).

Dem Senat erschließt sich nicht, weshalb von Klägerseite angezweifelt wird, dass statistische Erfahrungswerte zur Beantwortung von Kausalitätsfragen generell geeignet sind. Denn wer diesen Werten ihre Eignung hierzu abspricht, wendet sich damit im Grunde gegen die Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Medizin, die sich als reine Erfahrungswissenschaft, in der die Methode der Induktion maßgeblich ist, versteht (vgl. Kater, a.a.O., S. 33). Dies bedeutet im Einzelnen, dass letztlich alle allgemeine "Aussagen in einer nicht rein logischen Weise gewonnen" werden (Schluss von einer Auswahl begründeter Einzelaussagen über einen Gegenstand auf eine generelle Aussage) (a.a.O.). Es werden die Beobachtungen aus einer Anzahl untersuchter Einzelfälle bestimmter Art verallgemeinert. Problematisch ist damit, "dass sich die beobachteten Fälle (bzw. die dabei gewonnenen Feststellungen, Beschreibungen, Erfahrungen usw.) niemals mit der Gesamtzahl aller möglichen gleichartigen Fällen decken. Induktive Hypothesen sind keine Sätze, die allgemeine Gültigkeit beanspruchen können, sondern Hypothesen, die mehr oder weniger häufig bestätigt werden" (a.a.O.)

Das typische Verfahren, allgemeine Erkenntnisse in der Medizin zu gewinnen, ist also die Statistik. Durch Aufbereitung von (experimentell oder in Studien) gewonnenen Daten mittels beschreibender oder schließender statistischer Verfahren werden über die Beobachtungen von Einzelfällen hinausgehende Regelhaftigkeiten erkannt und Verallgemeinerungen vorgenommen (a.a.O.). Sich gegen dieses Vorgehen zu wenden, wie es im vorliegendem Verfahren geschehen ist, hieße also die Grundlagen der medizinischen Wissenschaft in Frage zu stellen. Dies würde letztlich dazu führen, dass an die Stelle der Heranziehung naturwissenschaftlicher Erfahrungssätze eine allgemeine Erkenntnisskepsis treten würde, dass also anerkannt würde, eine Erkenntnis sei letztlich nicht möglich. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass dies "auch das Ende jeglicher Rechtsprechungstätigkeit" wäre (Kater, a.a.O., S. 50).

Aufgrund der überzeugenden Darlegungen der o.g. beauftragten Sachverständigen kann unter Berücksichtigung dieser methodisch-theoretischen Grundlagen aus Sicht des Senats offenbleiben (a.A. wohl Kater, a.a.O., S. 50), ob vorliegend (jenseits der statistischen Erkenntnisse im engeren Sinn) weiteres medizinisches Erfahrungswissen, insbesondere pathophysiologische Erklärungsmodelle etc., heranzuziehen ist. Wegen der genannten, auf statistischen Erkenntnissen beruhenden Darlegungen ist ein Zusammenhang zwischen der MS der Klägerin und der Impfung (Primärschädigung) in jedem Fall zu verneinen; der "Nachweis" (Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit!) würde bereits hieran scheitern, selbst wenn weiteres medizinisches Erfahrungswissen in eine andere Richtung deuten würde.

Letztlich muss auch diese Frage jedoch nicht beantwortet werden, weil es solches weiteres (eine Kausalität belegendes) Erfahrungswissen nicht gibt. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere auch nach den schlüssigen Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. L2 in der mündlichen Verhandlung des Senats und in seinem Gutachten, steht zur Überzeugung des Senats vielmehr fest, dass bei Vorliegen sämtlicher im Gutachten des Sachverständigen ausführlich beschriebenen Vorbedingungen ein Kontakt mit dem Epstein-Barr-Virus zum Ausbruch von MS führen kann. Mit Prof. Dr. L2 geht der Senat zudem davon aus, dass unter bestimmten Bedingungen auch ein anderer Erreger infrage kommt, wenn das Epitome passt. Entsprechend der plausiblen Darlegung des Sachverständigen kann eine Impfung monophasische Erkrankungen (z.B. ADEM) auslösen, aber nicht der Startschuss für eine MS-Erkrankung mit rezidivierenden Schüben sein. Der Senat hat auch keine Veranlassung, an der nach mehrmaligem Nachfragen der Klägerseite klar geäußerten Auskunft des Sachverständigen zu zweifeln, dass eine Impfung auch bei bestehender Disposition der betroffenen Person nicht zu einem Ausbruch der MS-Erkrankung führen kann.
Im Übrigen weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass auch die konkrete Formulierung von Prof. Dr. L2 auf die Frage, ob eine Impfung bei bestehender Disposition auch zu einem Ausbruch der MS-Erkrankung führen kann, "Eher nein. Wenn Sie möchten, dass ich mich festlege: nein" in keiner Weise als Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Auskunft auszulegen ist, sondern gegebenenfalls vor dem Hintergrund der o.g. grundsätzlichen Problematik der medizinischen Wissenschaft zu verstehen ist und dem Senat jedenfalls in vollem Umfang die Gewissheit vermitteln kann, dass vorliegend Kausalität insoweit nicht gegeben ist. Es wäre zudem unstreitig, dass sich die Gerichte mit demjenigen Gewissheitsgrad zu begnügen haben, den die medizinische Wissenschaft im Einzelfall leisten kann (vgl. z.B. bereits das Urteil des BGH vom 17.02.1970 - III ZR 139/67).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick auf Zusammenhänge zwischen den Zusatzstoffen (Adjuvanzien) und MS, vorliegend des von der Klägerseite hervorgehobenen Aluminiums, wobei an dieser Stelle nicht entschieden werden muss, ob es wissenschaftlich korrekt ist, hier eine eigene Begründungsschiene zu sehen, was z.B Prof. Dr. K2 in seinem Gutachten thematisiert und verneint hat. Gegen einen kausalen Zusammenhang steht jedenfalls zunächst die Sicherheitsbewertung des PEI zu Aluminium in Impfstoffen (s.o.). Insoweit können die Vorbehalte der Klägerseite und insbesondere von Prof. Dr. M nicht überzeugen, da seine Argumentation hinsichtlich der Toxizität nicht schlüssig ist (zu dem Gutachten im Übrigen siehe unten). Vor allem aber stellen die entsprechenden Arbeiten (v.a. Shoenfeld et al.) allenfalls Theorien dar, die statistisch nicht ausreichend belegt sind (Friedrich/Friedrich, ZESAR 2017, 491 <496>; vgl. im Einzelnen unten). Zur Überzeugung des Senats ergibt sich insbesondere aus dem plausiblen und fundierten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. L2 ohne Zweifel, dass auszuschließen ist, es sei durch das Aluminiumhydroxid (Adjuvans) zur Entwicklung bzw. Auslösung der MS der Klägerin gekommen. Im Einzelnen kann hier auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen verwiesen werden.

Das Gutachten von Prof. Dr. K2 hält der Senat jedenfalls zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt nicht für überzeugend. Es hält der Überprüfung nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft nicht stand. Maßgeblich ist für diese Beurteilung vor allen Dingen, dass - wie der Beklagte (z.B. bereits in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.01.2016) zutreffend in Übereinstimmung mit den anerkannten Regeln der Wissenschaft und nicht zuletzt auch der Rechtsprechung herausgearbeitet hat - in Zeiten evidenzbasierter Medizin im Hinblick auf Zusammenhangsfragen epidemiologische/ statistische Untersuchungen von überragender Bedeutung sind, während sogenannten Expertenmeinungen mittlerweile nur noch eine nachrangige Bedeutung einzuräumen ist. Dies zeigt sich z.B. auch bei der Erstellung wissenschaftlich begründeter Leitlinien, bei denen Expertenmeinungen lediglich noch der niedrigste Evidenzgrad eingeräumt wird. Entgegen der von Prof. Dr. K2 und von der Klägerin vertretenen Meinung sind statistische Untersuchungen im Hinblick auf die Bewertung auch kausaler Zusammenhänge von Gesundheitsstörungen mit eventuell vorangegangenen Impfungen wesentlich (s. vor allem auch oben). Auch dies ergibt sich überzeugend aus den Sachverständigengutachten von Prof. Dr. P und Prof. Dr. L2.

Auch das Privatgutachten, das die Klägerseite von Prof. Dr. M vorgelegt hat, vermag die vorliegenden Ergebnisse nicht infrage zu stellen. Das Gutachten ist bereits nicht überzeugend, weil es in keiner Weise nachvollziehbar den Sachverhalt und die medizinisch-wissenschaftlichen Fragen aufarbeitet. Auch hat der Gutachter seine Ergebnisse selbst infrage gestellt mit dem Hinweis im Gutachten, dass "man auch zu ganz anderen Ergebnissen kommen" könne und dass das Suchergebnis auch davon beeinflusst sein könne, wie Fragen formuliert würden und mit welcher Intention gesucht werde. Vor allem hat er betont, dass gar nicht geklärt sei, wie das Aluminium im Gehirn die Entstehung diverser neurologischer Erkrankungen begünstigen könne. Das Ergebnis müsse erst abgewartet werden. Prof. Dr. M hat zwar mitgeteilt, das Gutachten von PD Dr. W sei "pars et pro toto" auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, ist aber auch hier einen plausiblen Beleg schuldig geblieben. Er hat schließlich dem Gutachten von Prof. Dr. K2 im Ergebnis zugestimmt, jedoch - worauf Dr. K3 zutreffend hingewiesen hat (s.o.) - ebenfalls keinen Kausalzusammenhang zwischen Impfungen und MS darlegen können. Seine Ausführungen sind aus Sicht des Senats nicht überzeugend, insbesondere kann die Hervorhebung lediglich statistischer Assoziationen zwischen Impfungen und einem erhöhten MS-Risiko vor dem Hintergrund der von ihm konkret ausgewerteten Datenlage in keiner Weise eine Kausalität belegen. Insoweit kann der Senat vollumfänglich auf die plausible versorgungsmedizinische Stellungnahme von Dr. K3 verweisen, der dies überzeugend und im Detail dargestellt hat (s.o.).

In Anbetracht der Tatsache, dass sich ein Ursachenzusammenhang zwischen den Impfungen mit Td-Virelon und Beriglobin und MS nicht positiv wissenschaftlich belegen lässt, kommt es vorliegend auch nicht darauf an, ob die Klägerin bereits vor den Impfungen an ähnlichen Symptomen gelitten hat oder ob sich Letztere erst danach gezeigt haben. Denn allein ein zeitlicher Zusammenhang zwischen den Impfungen und dem erstmaligen Auftreten der Symptome begründet nach nahezu einhelliger Auffassung keinen Kausalzusammenhang im Sinne des IfSG (vgl. für Viele z.B. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.02.2021 - L 10 VE 1/17; Friedrich/Friedrich, ZESAR 2017, 491 <497>; vgl. Teil C Ziff. 3c Versorgungsmedizinische Grundsätze - VG).

Auch die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Impfschadens nach der sog. Kannversorgung gemäß § 60 Abs. 1 IfSG i.V.m. § 61 S. 2 IfSG liegen im Fall der Klägerin nicht vor.
Eine Versorgung ist nach diesen Vorschriften mit Zustimmung des zuständigen Ministeriums zu gewähren, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur deshalb nicht als wahrscheinlich angenommen werden kann, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Nach Teil C Nr. 4.2 VG ist eine Kannversorgung zu prüfen, wenn über die Ätiologie und Pathogenese des als Schädigungsfolge geltend gemachten Leidens keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Auffassung herrscht und entsprechend die ursächliche Bedeutung von Schädigungstatbeständen für die Entstehung oder den Verlauf des Leidens nicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden kann. In diesen Fällen ist die Kannversorgung zu gewähren, wenn ein ursächlicher Einfluss des geltend gemachten schädigenden Tatbestandes in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen wird. Dabei reicht die allein theoretische Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs nicht aus. Denn die Verwaltung ist nicht ermächtigt, bei allen Krankheiten ungewisser Genese immer die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs - die so gut wie nie widerlegt werden kann - ausreichen zu lassen (vgl. BSG, SozR 3-3200 § 81 Nr. 9 m.w.N.). Es genügt nicht, wenn ein Arzt oder auch mehrere Ärzte einen Ursachenzusammenhang nur behaupten. Vielmehr ist es erforderlich, dass diese Behauptung medizinisch-biologisch nachvollziehbar begründet und durch wissenschaftliche Fakten, die insbesondere auf statistischen Erhebungen beruhen (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RV 17/94), untermauert ist. Die Fakten müssen - in Abgrenzung zu den Voraussetzungen der Pflichtversorgung - zwar (noch) nicht so beschaffen sein, dass sie bereits die überwiegende medizinische Fachwelt überzeugen. Die niedrigere Schwelle zur Kannversorgung ist daher bereits dann überschritten, wenn die vorgelegte Begründung einschließlich der diese belegenden Fakten mehr als die einfache Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs belegt (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995 - 9 RV 17/94 - und vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 5/06 R) und damit zumindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmediziner überzeugt. Es darf also nicht nur eine theoretische Möglichkeit des Zusammenhangs bestehen. Es muss sich vielmehr um eine "gute Möglichkeit" handeln, die sich in der wissenschaftlichen Medizin nur noch nicht so zur allgemeinen Lehrmeinung verdichtet hat, dass von gesicherten Erkenntnissen gesprochen werden kann (BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RV 17/94).

Im Hinblick auf die als schädigende Ereignisse angenommenen Impfungen der Klägerin fehlt es an einer fundierten, einen Ursachenzusammenhang bejahenden medizinischen Lehrmeinung im Sinne der Vorgaben der Kannversorgung (s. bereits oben). Auch dies ergibt sich aus den plausiblen Darlegungen der vom Senat beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. P und Prof. Dr. L2 (§ 109 SGG), denen der Senat nach eigener Prüfung folgt.

Der Vollständigkeit halber weist der Senat ausdrücklich darauf hin, dass die o.g. theoretische Möglichkeit, dass durch Impfungen Modulationen im Immunsystem möglich sind, die eventuell einen Krankheitsschub triggern können o.ä., nicht zur Bejahung der Kannversorgung führt, da es sich nur um eine theoretische Möglichkeit, nicht aber um eine Lehrmeinung handelt. Gleiches gilt auch für die von Klägerseite genannten Theorien von Shoenfeld et al.; "auch hier werden lediglich Theorien aufgestellt und eine neue Diag-nosekategorie vorgeschlagen" (Friedrich/Friedrich, ZESAR 2017, 491 <498>). Zudem müssten (vgl. bereits das Urteil des erkennenden Senats vom 28.07.2011 - L 15 VJ 3/09) für die Annahme der Kannversorgung nach einer solchen Lehrmeinung Erkenntnisse vorliegen, die für einen generellen - statistisch untermauerten - Zusammenhang sprechen. Eine solche Lehrmeinung gibt es aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht (auch zur Kannversorgung vgl. das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 05.11.2020 - L 10 VE 46/17, m.w.N.). Selbst Ausnahmestudien behaupten keinen Kausalzusammenhang zwischen Impfungen und MS, sondern es werden lediglich statistische Assoziationen zwischen Impfungen und einem erhöhten MS-Risiko festgestellt, ohne Schlussfolgerungen für die Ursächlichkeit ziehen zu können (Friedrich/Friedrich, ZESAR 2017, 491 <498>). Im Übrigen kann in diesem Zusammenhang auch auf das Urteil des erkennenden Senats vom 14.12.2021 (L 15 VJ 4/13) verwiesen werden (zu Annahmen von Gherardi et. al. sowie Shoenfeld et al.).

Zu einem anderen Ergebnis führt vorliegend ferner nicht die Entscheidung des EuGH vom 21.06.2017 (C-621/15) zur Auslegung der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25.07.1985. Aus dieser Entscheidung kann insbesondere nicht abgeleitet werden, dass in Bezug auf das IfSG ein anderer Kausalitätsmaßstab als der bisher dargestellte gilt und insbesondere kein wissenschaftlicher Nachweis geführt werden müsste. Insoweit verweist der Senat auf sein Urteil vom 14.12.2021 (L 15 VJ 4/13), in dem er ausdrücklich festgestellt hat:

"Die Entscheidung des EuGH ist zum Produkthaftungsrecht ergangen und hat keine Bindungswirkung in Bezug auf das IfSG. Diese folgt bereits daraus, dass das IfSG nicht in Umsetzung der Richtlinie ergangen ist (so auch LSG Nds.-Bremen, Urteil vom 23.02.2021 - L 10 VE 1/17 - juris). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der EuGH in der genannten Entscheidung lediglich ausgeführt hat, dass Art. 4 der Richtlinie 85/372/EWG, nach dem der Geschädigte den Schaden, den Fehler und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden zu beweisen hat, nicht einer nationalen Regel entgegensteht, nach der das nationale Tatsachengericht in Fällen, in denen ein Ursachenzusammenhang in der medizinischen Forschung weder nachgewiesen noch widerlegt ist, auf der Basis von bestimmten vom Kläger geltend gemachte Tatsachen trotzdem einen ursächlichen Zusammenhang bejahen kann. Hieraus folgt jedoch nicht der Umkehrschluss, dass die Mitgliedstaaten bei der gesetzlichen Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht derart umfangreiche Beweiserleichterungen zulassen müssen. Vielmehr weist der EuGH in der genannten Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass das nationale Recht und dessen Auslegung durch die Gerichte nicht zu einer Missachtung der durch Art. 4 der Richtlinie gerade eingeführten Beweislast des Geschädigten führen darf.
Nach der Rechtsprechung des BSG zum IfSG liegt die objektive Beweislast bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges ausschließlich beim Geimpften und zwar auch bei unaufgeklärtem Ursachenzusammenhang zwischen Impfung und dauerndem Gesundheitsschaden. Die gesetzlichen Beweiserleichterungen (Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs, Kannversorgung) seien ausreichend (BSG, Urteil vom 27.08.1998 - B 9 VJ 2/97 R)."

Vor allem erscheint die Entscheidung des EuGH unter allgemeinen methodisch-wissenschaftlichen Kriterien nicht haltbar, weil bloße Indizien generell keine wissenschaftliche Aussagekraft haben (Friedrich/Friedrich, ZESAR 2017, 491 <500>).

Vor dem Hintergrund der überzeugenden Ausführungen der Gutachter Prof. Dr. P, Prof. Dr. L2 und PD Dr. W und des oben wiederholt dargestellten Standes der medizinischen Forschung besteht aus Sicht des Senats in keiner Weise Anlass zu weiteren Ermittlungen. Insbesondere ist kein immunologisches oder pharmakologisches Zusatzgutachten einzuholen. Angesichts des Vorstehenden hält der Senat eine weitere Beweiserhebung für offenkundig überflüssig, weil sich aus der medizinischen Wissenschaft - wie gezeigt - keine Hinweise ergeben, dass die Erkrankung MS durch die streitgegenständliche Impfung ausgelöst werden kann. Auch Gutachten auf den Gebieten der Pharmakologie und Immunologie könnten somit hier nicht zu einem anderen Ergebnis führen (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 05.11.2020 - L 10 VE 46/17).

Anlass für weitere Ermittlungen durch den Senat und erst recht eine verfahrensrechtliche Pflicht zu weiteren Ermittlungen haben nicht bestanden. Der Antrag der Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf weitere Ermittlungen ist daher abzulehnen gewesen. Dazu bedurfte es keines gesonderten Beschlusses vor der Entscheidung durch Urteil. Vielmehr kann, wenn derartigen Anträgen nicht stattgegeben wird, unmittelbar die Entscheidung in der Sache ergehen, wobei die (Beweis-)Anträge in der Urteilsbegründung abzuhandeln sind (vgl. bereits die Urteile des Senats vom 20.06.2016 - L 15 SB 116/15 - und vom 27.09.2016 - L 15 BL 11/15, ferner Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 14. Aufl. 2023, § 103, Rn. 12c, m.w.N.).

Weitere Ermittlungen stehen für den Senat nicht einmal im Raum. Mit den zahlreichen Gutachten, vor allem den Gutachten von Prof. Dr. P und Prof. Dr. L2, liegen fundierte, plausible und überzeugende Sachverständigengutachten vor, die alle relevanten Fragen in dem sehr komplexen Fachgebiet nachvollziehbar und umfassend beantworten. Weiterer Klärungsbedarf besteht nicht (vgl. zu dieser Konstellation ausdrücklich Roos, ZFSH SGB 2020, 210, 216). Insbesondere besteht nicht im Entferntesten ein Grund für die Einholung eines weiteren Gutachtens, weil die vorliegenden Gutachten nicht überzeugend, lückenhaft, widersprüchlich oder nicht von ausreichender Sachkunde getragen wären (vgl. z.B. die Beschlüsse des BSG vom 08.12.2009 - B 5 R 148/09 B - und vom 22.09.2022 - B 9 SB 8/22 B), von falschen Voraussetzungen ausgegangen wären oder weil ein anderer Sachverständiger über bessere Forschungs- oder Erkenntnismöglichkeiten verfügen würde (für Viele z.B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 14. Aufl. 2023, § 103, Rn. 11b; Roos, ZFSH SGB 2020, 210, 216). Wegen des Fortschritts der medizinischen-pharmakologischen Wissenschaften erscheint es naheliegend, dass Letzteres in der Zukunft so sein dürfte. Ein in dieser vagen Hoffnung begründetes Abwarten scheidet jedoch offensichtlich aus.

Gleiches gilt erst recht für die Einholung so vieler Gutachten, bis es zu einem für die Klägerin günstigen Ergebnis kommt. Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass allein im Hinblick hierauf die Beauftragung eines sechsten (!) Gutachtens unter keinen Umständen in Betracht kommt.

Die Gutachten von Prof. Dr. P und Prof. Dr. L2 sind auch, wie oben im Einzelnen gezeigt wurde, in vollem Umfang verwertbar.

Schließlich ist der Beweisantrag der Bevollmächtigten der Klägerin aus der mündlichen Verhandlung auch deshalb abzulehnen, weil die Beauftragung eines neuen Gutachters mit der Maßgabe verlangt wird, diesem die beiden Gutachten der genannten Sachverständigen nicht zur Kenntnis zu bringen. Damit aber könnte das Gutachten seinen Zweck nicht erfüllen. Denn es würde damit einen wesentlichen Bestandteil der Anforderungen an medizinische Gutachten im gerichtlichen Verfahren außer Acht lassen müssen, der darin besteht, sich mit anderen, gegebenenfalls abweichenden sachverständig begründeten Positionen und Äußerungen (kritisch) auseinanderzusetzen, was gerade in dem hochkomplexen Fall des Impfschadensrecht unumgänglich ist. Die dezidierten Aussagen von Prof. Dr. P und Prof. Dr. L2 zum vorliegenden Beweisthema sind für eine umfassende Auseinandersetzung mit den einschlägigen medizinischen Erfahrungssätzen unverzichtbar.

Da die Bevollmächtigte nicht beantragt hat, dass die beiden Sachverständigengutachten unberücksichtigt bleiben müssten (etwa zu entfernen wären), sähe es das Berufungsgericht zudem aufgrund dieses zentralen Mangels eines neuen Gutachtens und der bereits erhobenen Beweise als ausgeschlossen an, dass seine Überzeugung durch die beantragte weitere Beweiserhebung - ihren Erfolg i.S.d. Klägerin unterstellt - noch erschüttert werden könnte (z.B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 14. Aufl. 2023, § 103, Rn. 8). Dies ist keine vorweggenommene Beweiswürdigung, sondern schlicht die Feststellung, dass Erkenntnisse aus überzeugenden Gutachten nicht aufgrund eines sich (von vornherein) als mangelhaft darstellenden weiteren Gutachtens erschüttert werden können.

Unter Ausklammerung der beiden Gutachten könnten kein sinnvoller Beweisauftrag und keine sachgerechte Entscheidungsfindung erfolgen.

Für die erneute Beauftragung eines weiteren (aus Klägersicht "unbeeinflussten") Sachverständigen besteht daher bei Weitem keine Veranlassung. Es steht die Vermutung im Raume, dass ein weiteres - sechstes (!) - Gutachten von der Klägerin lediglich in der Hoffnung angestrebt wurde, dass dies ("endlich") zu einem anderen Ergebnis kommen werde.

Die Berufung hat somit Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung einer Impfschadensversorgung durch den Beklagten.

Das Urteil des SG vom 12.10.2016 ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 06.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.03.2015 ist abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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