L 7 AS 175/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 AS 611/21
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 175/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Ohne schlüssige Behauptung eines Wiederaufnahmegrundes ist eine Wiederaufnahmeklage unzulässig

 

I. Die Restitutionsklage vom 12.6.2024 gegen das Urteil des Senats vom 22. September 2022 wird verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist, ob dem Kläger, Berufungskläger und Wiederaufnahmekläger (in der Folge: Kläger) nach einer Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens L 7 AS 175/22 (höhere) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 1.7. bis zum 31.12.2021 zugesprochen werden können.

Der 1991 geborene Kläger nahm am 10.6.2021 eine Beschäftigung (40-Stunden-Woche, 1 740 Euro brutto) auf. Der Beklagte, Berufungs- und Wiederaufnahmebeklagte (in der Folge: Beklagte) bewilligte auf den Leistungsantrag des Klägers vom 8. bzw 9.6.2021 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Monat Juni 2021 und lehnte für die Zeit vom 1.7. bis 31.12.2021 eine Leistungsbewilligung ab (Bescheid vom 10.8.2021). Der Kläger sei aufgrund des Einkommens aus Erwerbstätigkeit nicht leistungsberechtigt. Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 16.11.2021) und Klage (Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30.3.2022 - -) blieben ohne Erfolg. Auf die Berufung des Klägers hat der Senat den Beklagten verurteilt, dem Kläger für den Monat September 2021 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 22.9.2022). Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat das Bundessozialgericht verworfen (Beschluss vom 8.2.2023, Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses an den damaligen Bevollmächtigten des Klägers nicht aktenkundig). Der Beklagte bewilligte dem Kläger in Umsetzung des Grundurteils des Senats vom 22.9.2022 für den Monat September 2021 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II iHv 50,77 Euro (Bescheid vom 6.11.2024).

Am 12.6.2024 hat der Kläger beim Sozialgericht München die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens nach § 580 Abs 2 ZPO beantragt. Als Wiederaufnahmegrund hat er angegeben: "öffentliches Interesse, juristisches Falschentscheidens, neue Beweiskraft benötigt besondere Kündigung aufgrund eines Sexualdeliktes". Er sei am 3.6.2021 aus der Justizvollzugsanstalt M1 entlassen worden. Kurz darauf habe er in einem Gasthaus in H1 zu arbeiten begonnen. Er habe mit seinem Arbeitgeber auch ein Mietverhältnis über eine Personalwohnung abgeschlossen. Der Vermieter habe im Mietvertrag, der eine Urkunde sei, eine falsche Bankverbindung angegeben. Dann seien die Corona-Pandemie und die Sozialschutzpakete gekommen. Die tatsächliche Miete sei zu übernehmen gewesen und Vermögen habe nicht geprüft werden dürfen. Die Screenshots (über seine Kontobewegungen) bildeten Vermögenswerte ab und seien aufgrund der Rechtslage Vermögen. Im Urteil habe er nur Leistungen für den Monat September 2021 erhalten. Die Anrechnung sei nicht richtig. Tatsächlich habe er keine Mahlzeiten erhalten. Die Beklagte habe bis heute nicht bezahlt. Der ehemalige Arbeitgeber gönne ihm das Geld nicht. Das sei bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Nunmehr arbeite er über eine Zeitarbeitsfirma. Er habe weder ein Auto noch einen Führerschein (hierzu gab es Verfahren im 16. Senat). Im Winter sei er darauf angewiesen.

Das Sozialgericht München hat das Verfahren an das Landessozialgericht verwiesen (Beschluss vom 18.7.2024). Mit Schreiben vom 1., 4. und 5.9.2024 (noch an das Sozialgericht München) hat der Kläger seinen Vortrag vertieft.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Verfahren L 7 AS 175/22 wieder aufzunehmen und das Urteil des Senats vom 22.9.2022 aufzuheben sowie den Beklagten unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 30.3.2022 und des Bescheides vom 10.8.2021 idG des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2021 zu verurteilen, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung und des Regelbedarfs ohne Anrechnung von Einkommen für die Zeit vom 1.7. bis 31.12022 zu gewähren.

Der Beklagte hat von einer Antragstellung abgesehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Akten verwiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Der Antrag auf Wiederaufnahme des mit dem Urteil des Senats vom 22.9.2022 abgeschlossenen Berufungsverfahrens ist unzulässig und deshalb zu verwerfen (§ 179 Abs 1 SGG iVm § 589 Abs 1 S 2 ZPO). Der Senat konnte in Abwesenheit der Beteiligten verhandeln und entscheiden, da diese über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auf die Folgen des Ausbleibens hingewiesen worden waren (§ 110 Abs 1 S 2, § 153 Abs 1 SGG).

1. Für diese Entscheidung besteht die Zuständigkeit des Landessozialgerichts/des Senats, da er das angefochtene Berufungsurteil erlassen hat (§ 179 Abs 1 SGG iVm § 584 Abs 1 HalbS 3 ZPO).

2. Der Entscheidung steht nicht die Rechtshängigkeit der vom Kläger unter dem 6.9.2024 beim Sozialgericht Augsburg gegen dessen Urteil vom 30.3.2022 - -, erhobenen Restitutionsklage entgegen; die Rechtshängigkeit der vorliegend streitigen, beim Sozialgericht München am 12.6.2024 erhobenen und von dort an das Landessozialgericht verwiesenen Restitutionsklage bestand am 6.9.2024 bereits.

3. Die Restitutionsklage ist unzulässig, weil ein Wiederaufnahmegrund nicht bzw nicht ausreichend dargelegt worden ist (§ 179 Abs 1 SGG iVm §§ 578, 579, 580, 589 ZPO).

a) Die Zulässigkeit eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens erfordert nicht nur Angaben darüber, welches der vom Gesetz vorgesehenen Verfahren der Wiederaufnahme gewollt ist (§ 587 ZPO), sondern auch die schlüssige Behauptung eines der im Gesetz aufgeführten Nichtigkeits- (§ 579 ZPO) oder Restitutionsgründe (§ 580 ZPO). Zwar gehört die Bezeichnung des Anfechtungsgrundes (§ 588 Abs 1 Nr 1 ZPO) nicht zum gesetzlich vorgeschriebenen Mindestinhalt der Klage- oder Antragsschrift. Daraus folgt aber nur, dass die Tatsachen, aus denen sich der Wiederaufnahmegrund ergeben soll, nicht schon innerhalb der Klagefrist vorgetragen werden müssen; sie können in einem späteren Schriftsatz (im Urteilsverfahren auch in der mündlichen Verhandlung) nachgeschoben werden. Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass die schlüssige Behauptung eines nach §§ 579, 580 ZPO erheblichen Wiederaufnahmegrundes zur Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage gehört (vgl BSG, Beschluss vom 23.4.2014 - B 14 AS 368/13 B -, Rn 9; BFH, Beschluss vom 29.1.2016 - IX K 1/15 -, Rn 1 zitiert nach juris; B Schmidt in Meyer-Ladewig ua, SGG, 13. Aufl 2020, § 179 Rn 9; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 40. Aufl 2019, vor § 578 Rn 9; Hunke in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl 2022, § 579 Rn 1; Musielak in ders/Voigt, ZPO, 19. Aufl 2022, § 579 Rn 9 sowie § 580 Rn 25).

b) Hinsichtlich des vom Kläger angeführten öffentlichen Interesses bzw des von ihm behaupteten Vorliegens einer juristischen Fehlentscheidung ist bereits nicht ersichtlich, wie sich hierdurch einer der - abschließend aufgezählten und einer analogen Anwendung nicht zugänglichen (vgl BSG, Urteil vom 22.5.1962 - 9 RV 1430/59; Beschluss vom 23.9.1997 - 2 BU 31/97 -, Rn 5 zitiert nach juris mwN; BGH, Beschluss vom 18.12.2014 - IX ZB 65/13 -, Rn 9; BVerwG, Beschluss vom 5.1.2010 - 5 B 58/09 -, Rn 5 mwN; BFH, Beschluss vom 12.9.2007 - X B 18/03 -, Rn 15 zitiert nach juris) Wiederaufnahmegründe ergeben kann.

c) Soweit der Kläger umfassend zu seiner Tätigkeit in der Gastronomie in der Zeit von Juni 2021 bis September 2022 vorträgt und insoweit ggf Beweismittel ("neue Beweiskraft") anbietet, genügt dies nicht zur ausreichenden Darlegung des Wiederaufnahmegrundes nach § 580 Nr 7 Buchst b ZPO. Danach findet die Restitutionsklage statt, wenn der Beteiligte eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand versetzt wird, die eine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Der Kläger hat bereits nicht dargelegt, dass er eine solche Urkunde hat. Der von ihm in Bezug genommene Mietvertrag bzw die dort fehlerhafte Kontonummer taugt bereits im Hinblick darauf nicht, als der Vertrag sich bereits im Berufungsverfahren bei den Akten befand und außerdem nicht dargelegt ist, warum dieser für den Kläger günstig sein soll.

d) Weder aus dem Vortrag des Klägers noch anderweitig ergeben sich Wiederaufnahmegründe nach § 179 Abs 2, § 180 SGG.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

 

Rechtskraft
Aus
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