L 4 KR 3144/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 1652/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3144/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger bei der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) pflichtversichert ist.

Der 1948 geborene Kläger leistete nach dem Abitur ab dem 1. Oktober 1968 den Grundwehrdienst von 18 Monaten, den er freiwillig um sechs Monate verlängerte. Nach Ausscheiden aus der Bundeswehr wurde die Zeit vom 25. Februar 1969 bis 30. September 1970 in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert. Am 1. Oktober 1972 nahm der Kläger ein Studium auf. Im Januar 1977 ist in seinem Versicherungsverlauf ein Monat mit Pflichtbeitragszeiten für eine versicherungspflichtige Beschäftigung belegt. Nach Abschluss seines Studiums im März 1980 war der Kläger ab dem 1. Oktober 1981 versicherungspflichtig beschäftigt. Wegen der Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung im Einzelnen wird auf den Versicherungsverlauf vom 30. Juni 2022 (Bl. 11 der Senatsakte) Bezug genommen. Nach Zeiten der Absicherung in der privaten Krankenversicherung K1 von 1984 bis Februar 2003 war der Kläger ab dem 1. März 2003 durchgehend bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er ist Vater zweier 1985 und 1990 geborener Kinder.

Am 30. Dezember 2013 stellte der Kläger bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund einen Antrag auf Gewährung einer Altersrente, die ab dem 1. März 2014 bewilligt wurde.

Im Rahmen eines Erörterungstermins vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 11 KR 5213/15) am 26. April 2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine rechtsmittelfähige Entscheidung über seinen Status als Versicherter als Rentenantragsteller, mithin über die Frage, ob er pflichtversichert in der KVdR oder freiwillig versichert sei. Mit Bescheid vom 23. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. August 2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er erfülle die gesetzlichen Voraussetzungen der KVdR nicht, da in der zweiten Hälfte der Zeit zwischen erstmaliger Aufnahme einer Erwerbstätigkeit am 1. Oktober 1968 und Rentenantragstellung am 30. Dezember 2013 nicht mindestens neun Zehntel dieser Zeit eine Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung bestanden habe. Der Kläger sei in den Jahren 1983 bis 2003 privat versichert gewesen, was als Vorversicherungszeit nicht berücksichtigt werden könne. Das Sozialgericht Heilbronn (SG, S 12 KR 2593/16) wies die hiergegen gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Februar 2018 ab; die Berufung beim LSG Baden-Württemberg (L 4 KR 1337/18) nahm der Kläger am 5. Juni 2019 zurück.

Bereits am 23. März 2019 hatte der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage der Geburtsurkunden seiner Kinder die Überprüfung seiner Zugehörigkeit in der KVdR seit seinem Rentenbezug im April 2014 gemäß der Reform des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) im Jahr 2017 und der Anrechnung der Kindererziehung bei der 9/10-Regelung beantragt. Der Beklagte ermittelte daraufhin die Versicherungszeiten des Klägers neu und stellte mit Bescheiden vom 25. März 2020 und 7. April 2020 fest, dass auch unter Berücksichtigung der beiden Kinder des Klägers die Voraussetzungen für die Aufnahme in die KVdR nicht erfüllt seien. Hierbei sei von einer erstmaligen Beschäftigung des Klägers am 1. Oktober 1968 aufgrund der Nachversicherung des Klägers hinsichtlich des in diesem Zeitraum absolvierten Wehrdienstes auszugehen.

Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, er habe ab März 1969 seinen Wehrdienst aufgrund der Wehrpflicht als freiwilliger Wehrdienstleistender abgeleistet und sich nie als Zeitsoldat verpflichtet, weshalb die Berechnung der Beklagten insbesondere hinsichtlich der Aufnahme der erstmaligen Erwerbstätigkeit bestritten werde. Er habe lediglich einen Wehrsold von ca. 300,00 € erhalten, was geringfügig gewesen sei. Als Pflichtangehöriger der Bundeswehr sei er nicht krankenversicherungspflichtig gewesen, da die Streitkräfte über ein eigenes, völlig unabhängiges Versorgungssystem verfügten. Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2021 zurück. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V seien nicht gegeben, da ausgehend von dem Zeitraum 1. Oktober 1968 bis zum 30. Dezember 2013 die erforderliche 9/10-Belegung in der zweiten Hälfte dieses Zeitraumes nicht bestehe. Die erforderliche Vorversicherungszeit betrage demnach 20 Jahre, 4 Monate und 15 Tage. Der Kläger habe jedoch nur Vorversicherungszeiten von 10 Jahren und 10 Monaten; auch nach der der zum 1. Juli 2017 geänderten Rechtslage, aufgrund derer nunmehr auf die Vorversicherungszeiten auch drei Jahre pro Kind angerechnet werden, komme der Kläger nur auf 16 Jahre und 10 Monate.

Der Kläger erhob hiergegen am 14. Juni 2021 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) und trug vor, er habe sich entgegen der Annahme der Beklagten nicht als Zeitsoldat verpflichtet. Der freiwillige Wehrdienst sei nicht als Erwerbsarbeit zu werten. Die erste Erwerbstätigkeit habe er am 1. Oktober 1981 und nicht am 1. Oktober 1968 aufgenommen.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie verwies auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und führte aus, dass maßgeblich für die Frage der erstmaligen Erwerbstätigkeit des Klägers sei, dass der Versicherungsverlauf des Rentenversicherungsträgers für die Zeit des Wehrdienstes infolge der durchgeführten Nachversicherung Pflichtbeitragszeiten ausweise. Dies führe dazu, dass der Kläger in dieser Zeit einem Erwerbstätigen gleichgestellt sei.

Auf Nachfrage des SG teilte B1 mit, nach ihrer Dokumentation sei dem Antrag auf Nachversicherung vom 3. Januar 1972 für die Zeit vom 25. Februar1969 bis 30. September 1970 mit Bescheid vom 19. Mai 1972 stattgegeben worden. Aufgrund der Aufbewahrungsfristen seien Unterlagen, wie Antragsvordrucke und Versicherungsnachweise nicht mehr vorhanden.

Nach vorheriger Anhörung wies das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10. Oktober 2022 ab. Die Klage sei nicht aufgrund entgegenstehender Rechtskraft des Urteils des SG vom 27. Februar 2018 (S 12 KR 2593/16) unzulässig. Aufgrund der Änderung des § 5 Abs. 2 Satz 3 SGB V zum 1. August 2017 sei die nun erhobene neue Klage zulässig. Die Klage sei jedoch unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Aufnahme in der KVdR ab dem 1. März 2014, da er die erforderliche Vorversicherungszeit nicht erfülle. Die Rahmenfrist beginne am 1. Oktober 1968, da der Kläger zu diesem Zeitpunkt eine erstmalige Erwerbstätigkeit aufgenommen habe. Es komme nicht darauf an, ob die konkrete Beschäftigung nach dem jeweils geltenden Recht in allen oder in einzelnen Zweigen der Sozialversicherung versicherungsfrei sei, denn die Vorschriften über die Versicherungsfreiheit wären überflüssig, wenn nicht die in Rede stehende Tätigkeit in abhängiger und entgeltlicher Beschäftigung seit jeher dem Grunde nach als versicherungspflichtige Beschäftigung und damit auch als Erwerbstätigkeit angesehen worden wäre. Die Wehrdienstzeit des Klägers, welche er nach eigener Aussage bei der Luftwaffe nach Absolvierung seines Grundwehrdienstes abgeleistet habe, sei eine solche erstmalige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Hinsichtlich dieser Erwerbstätigkeit habe der Kläger auch rentenrechtlich relevante Beitragszeiten mit Pflichtbeiträgen bei der Rentenversicherung, wie sich aus dem vorgelegten Versicherungsverlauf ergebe. § 58f Soldatengesetz (SG) ändere hieran nichts, da die Vorschrift keine Regelung dahingehend treffe, ob die Ableistung eines solchen Wehrdienstes als Erwerbstätigkeit im Sinne des § 5 Abs.2 Nr. 11 SGB V zu werten sei. Hinsichtlich der Berechnung der Vorversicherungszeiten innerhalb der damit geltenden Rahmenfrist vom 1. Oktober 1968 bis zum 30. Dezember 2013 seien Fehler weder vorgetragen noch ersichtlich. Bei dem Kläger bestünden damit im Rahmen dieser Rahmenfrist Vorversicherungszeiten von 16 Jahren und 10 Monaten, welche die erforderlichen Vorversicherungszeiten von 20 Jahren, 4 Monaten und 15 Tagen nicht erreichten.

Hiergegen hat der Kläger am 9. November 2022 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt, zu deren Begründung er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft hat. Die Aufnahme seiner ersten Erwerbstätigkeit sei auf Oktober 1981 festzulegen. Er sei zum 1. Oktober 1968 zum Wehrdienst eingezogen worden. Ab dem 1. März 1969 habe er sich auf Bitten des Geschwaderkommodores zu einer sechsmonatigen Weiterverpflichtung über die damals üblichen 18 Monate hinaus als freiwilliger Wehrdienstleistender verpflichtet. Während der Ausübung seines Wehrdienstes sei er mehrfach befördert (Gefreiter, Obergefreiter, Hauptgefreiter) worden. Aus diesem Grund sei entsprechend der jeweiligen Beförderung der Bezug seines Wehrsoldes angepasst worden. Dies erkläre auch die nachträgliche Nachversicherung in seinem Rentennachweis, zumal die Ableistung des Wehrdienstes, Schul- und Hochschulausbildung zu Rentenpunkten als Ersatz für Arbeitsleistung dokumentiert und somit honoriert werde. Er sei zu keinem Zeitpunkt Zeitsoldat gewesen. Die Auffassung des SG, seine Tätigkeit als freiwilliger Wehrdienstleistender ebenfalls als Erwerbstätigkeit zu werten, sei absurd. Die Erfüllung seiner Wehrpflicht sei keine Erwerbstätigkeit und die Wehrsoldbezüge ein besseres Taschengeld. Gemäß § 58f SG seien freiwillige Wehrpflichtige den gemeinen Wehrpflichtigen gleichzustellen. Insofern sei es absurd, die Erfüllung des gesetzlich verordneten Wehrdienstes gemäß geltender Gesetze zwischen 1968 und 1970 als Erwerbsarbeit zu deklarieren.

Der Kläger beantragt schriftlich,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Oktober 2022 sowie die Bescheide der Beklagten vom 25. März 2020 und 7. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 2021 aufzuheben und festzustellen, dass er seit dem 1. März 2014 Pflichtmitglied der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner ist.

Die Beklagte beantragt schriftlich,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, die angefochtene Entscheidung enthalte eine zutreffende rechtliche Würdigung des Sachverhalts.

Auf Anfrage des Senats hat die Beklagte mitgeteilt, dass auch bei einer Aufnahme der Erwerbstätigkeit am 25. Februar 1969 die Vorversicherungszeit für die KVdR nicht erfüllt wäre (Bl. 30 der Senatsakte).

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der SG-Akten, der Senatsakte sowie der Akten in den Verfahren L 11 KR 5213/15 und L 4 KR 1337/18 Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

1. Die nach §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG), ist gemäß § 105 Abs. 2 Satz 1, § 143 SGG statthaft und zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG; denn die Klage betrifft weder eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung noch einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt.

2. Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren des Klägers auf Feststellung seiner Mitgliedschaft bei der Beklagten aufgrund einer Versicherungspflicht in der KVdR ab dem 1. März 2014. Der Beginn des streitbefangenen Zeitraums ergibt sich aus dem am 23. März 2019 bei der Beklagten ausdrücklichen gestellten Antrag. Streitbefangen sind die dies ablehnenden Bescheide der Beklagten vom 25. März 2020 und 7. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2021 (§ 95 SGG). Nicht Gegenstand des Verfahrens ist die Mitgliedschaft des Klägers in der sozialen Pflegeversicherung bei der bei der Beklagten eingerichteten Pflegekasse. Weder im Ausgangs- noch im Widerspruchsbescheid wurde eine Entscheidung hierzu getroffen. Der Widerspruchsausschuss wies zwar darauf hin, soweit Beiträge der Pflegeversicherung Gegenstand des Verfahrens seien, auch die Aufgabe des Widerspruchsausschusses der Pflegeversicherung wahrzunehmen, eine Entscheidung über eine Versicherung in der Pflegeversicherung der Rentner wurde aber nicht getroffen. Die Bescheide ergingen nicht auch im Namen der Pflegekasse. Die Klage richtete sich auch ausdrücklich (nur) gegen die beklagte Krankenkasse. Auch das SG entschied nur zur Mitgliedschaft in der Krankenversicherung. Ohnehin folgt die Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) kraft Gesetzes aus der freiwilligen Krankenversicherung (vgl. Senatsurteile vom 29. Januar 2021 – L 4 KR 1241/19 – n.v. und vom 22. März 2019 – L 4 KR 2182/18 – juris, Rn. 21).

3. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthafte und zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der Versicherungspflicht in der KVdR ab 1. März 2014. Die Bescheide der Beklagten vom 25. März 2020 und 7. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2021 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Die Beklagte hat in den hier streitigen Bescheiden erneut nach weiterer Überprüfung und Beachtung der seit dem Jahr 2017 bestehenden neuen Rechtslage (Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung [Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG] vom 4. April 2017, BGBl. I 2017, S. 778) über eine Versicherungspflicht des Klägers nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V entschieden, sodass die Bestandskraft des Bescheids vom 23. Mai 2016, der auf Grundlage des alten Rechts erging, einer Versicherungspflicht ab dem 1. März 2014 nicht entgegensteht.

Versicherungspflichtig sind nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens 9/10 der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 SGB V versichert waren.

a) Der Kläger erfüllt zwar die Eingangsvoraussetzungen. Denn er bezieht seit dem 1. März 2014 eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die er am 30. Dezember 2013 beantragt hatte. Dies entnimmt der Senat u.a. dem vorliegenden Versicherungsverlauf vom 30. Juni 2022 (Bl. 11 der Senatsakte) sowie der durch den Kläger vorgelegten Bestätigung der den Antrag aufnehmenden Ortsbehörde für die Arbeiter- und Angestelltenversicherung (Bl. 9 der SG-Akte) und ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Eine die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V ausschließende hauptberufliche Selbständigkeit oder vorrangige Versicherungspflicht nach Absatz 1 Nr. 1 bis 7 oder 8 (§ 5 Abs. 5 und 8 SGB V) besteht im streitbefangenen Zeitraum nicht. Anhaltspunkte für eine solche sind weder den vorliegenden Akten noch dem Vorbringen der Beteiligten zu entnehmen.

b) Die erforderliche Vorversicherungszeit wird durch den Kläger aber nicht erfüllt.

§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V bestimmt die Rahmenfrist für die Berechnung der 9/10-Belegung als den Zeitraum zwischen der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags. Die Rahmenfrist umfasst damit das gesamte Erwerbsleben von der erstmaligen Aufnahme einer entgeltlichen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit bis zum Rentenantrag. Der Tag der Aufnahme der Erwerbstätigkeit ist mitzurechnen; der Tag der Rentenantragstellung bleibt unberücksichtigt (Vossen, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand: Januar 2020, § 5 SGB V Rn. 69).

aa) Der Kläger nahm erstmals am 25. Februar 1969 eine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V auf.

Eine Erwerbstätigkeit ist grundsätzlich jede auf Erwerb gerichtete Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit einschließlich betrieblicher Berufsausbildung unabhängig davon, wie sie versicherungsrechtlich zu beurteilen war (BSG, Urteil vom 8. November 1983 – 12 RK 26/82 – juris, Rn. 11f.; BSG, Urteil vom 22. Februar 1996 – 12 RK 33/94 – juris, Rn 18). Die Rahmenfrist umfasst das gesamte Erwerbsleben. Bei ihrer Ermittlung sind beispielsweise auch Zeiten einer Erwerbstätigkeit zu berücksichtigten, in denen ein Erwerbstätiger der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung nicht angehören konnte, oder in denen er dazu zwar berechtigt war, aber davon keinen Gebrauch gemacht hat (BSG, Urteil vom 8. November 1983 – 12 RK 26/82 – juris, Rn. 15 und Urteil vom 11. August 1983 – 12 RK 12/83 – juris, Rn. 15). Unerheblich ist, ob die konkrete Beschäftigung nach dem jeweils geltenden Recht in allen oder in einzelnen Zweigen der Sozialversicherung versicherungsfrei ist, denn die Vorschriften über die Versicherungsfreiheit wären überflüssig, wenn nicht die in Rede stehende Tätigkeit in abhängiger und entgeltlicher Beschäftigung seit jeher dem Grunde nach als versicherungspflichtige Beschäftigung und damit auch als Erwerbstätigkeit angesehen worden wäre (vgl. BSG, Urteil vom 17. Mai 2001 – B 12 KR 33/00 R – juris, Rn.  16; BSG 22. Februar 1996 – 12 RK 33/94 – juris Rn. 19; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Oktober 2019 – L 11 KR 3621/18 – juris, Rn. 31). Nicht als Erwerbstätigkeit in diesem Sinne sind der Grundwehrdienst, der Zivildienst oder Tätigkeiten nach dem Entwicklungshelfergesetz anzusehen (Gerlach, in: Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB V, 2. EL 2024, § 5 SGB V Rn. 439, Vossen, a.a.O., § 5 SGB V Rn. 69). Mit einer entgeltlichen Beschäftigung, die auf einer Dienstverpflichtung beruht, wird aber jedenfalls dann erstmals eine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V aufgenommen, wenn sie Versicherungspflicht begründete (BSG, Urteil vom 17. Mai 2001 – B 12 KR 33/00 R – juris, Rn.17 ff.). Auch mit Aufnahme einer nach ihrer Ausgestaltung oder aufgrund ausdrücklicher Regelung versicherungsfreien Beschäftigung beginnt die Rahmenfrist (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Oktober 2019 – L 11 KR 3621/18 – juris, Rn. 31).

Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen stellt die Tätigkeit des Klägers ab dem 25. Februar 1969 eine Erwerbstätigkeit dar. Wie ausgeführt, begründet der Wehrdienst als solcher, den der Kläger am 1. Oktober 1968 angetreten hat, nicht die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Ab dem Zeitpunkt der Nachversicherung am 25. Februar 1969 liegt zur Überzeugung des Senats aber eine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V vor. Dem Antrag vom 3. Januar 1972 auf Nachversicherung der Zeit vom 25. Februar 1969 bis zum 30. September 1970 wurde mit Bescheid vom 19. Mai 1972 stattgegeben. Dies entnimmt der Senat der Auskunft der B1 gegenüber dem SG sowie dem vorliegenden Versicherungsverlauf vom 30. Juni 2022 (Bl. 11 der Senatsakte) und wird durch den Kläger auch nicht bestritten. Die Entrichtung von Nachversicherungsbeiträgen in die gesetzliche Rentenversicherung nach § 8 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) begründet weder aktuell noch für die Vergangenheit eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie dient dem Ausgleich dafür, dass ein Versorgungsanspruch aus einem in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnis nicht oder nicht mehr besteht. Nachversicherte stehen zwar gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten gleich, eine rückwirkende generelle Gleichstellung der versicherungsfreien Tätigkeit mit einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis, die zur rückwirkenden Versicherungspflicht auch in der gesetzlichen Krankenversicherung führen könnte, hat der Gesetzgeber jedoch weder im SGB VI noch im SGB V angeordnet (BSG, Urteil vom 5. Juli 2006 – B 12 KR 15/05 R – juris, Rn. 15). Gleichwohl ist ab dem Zeitpunkt der Nachversicherung die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V erfolgt. Mit einer entgeltlichen Beschäftigung, die auf einer Dienstverpflichtung beruht, wird jedenfalls dann erstmals eine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V aufgenommen, wenn sie Versicherungspflicht begründete.  Für die Festlegung des Beginns der Rahmenfrist lässt das Gesetz die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Übrigen auch dann genügen, wenn diese nicht zur Versicherungspflicht führt. Denn wer eine Erwerbstätigkeit aufnimmt, ist in der Regel sowohl rechtlich als auch wirtschaftlich in der Lage, für seinen Krankenversicherungsschutz zu sorgen. Läge nur dann die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit vor, wenn diese auch Versicherungspflicht begründete, wären diejenigen begünstigt, die zunächst zwar erwerbstätig, aber nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert waren. Daraus, dass die Rahmenfrist auch mit nicht versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeiten beginnt, kann jedoch nicht hergeleitet werden, dass Zeiten unberücksichtigt bleiben müssten, in denen - wie hier aufgrund der Nachversicherung - Versicherungspflicht bestanden hat. Denn dann hat das Erwerbsleben begonnen, womit die Rahmenfrist anfängt und nunmehr eine bestimmte Vorversicherungszeit verlangt wird (BSG, Urteil vom 17. Mai 2001 – B 12 KR 33/00 R – juris, Rn.17 ff.).

Der Kläger hat sich nach seinen eigenen Angaben ab dem 1. März 1969 freiwillig über den verpflichtenden Wehrdienst von damals 18 Monaten hinaus verpflichtet. Er hat dafür – auch nach seinen eigenen Angaben – ein Entgelt erhalten, wobei der Wehrsold den jeweiligen Beförderungen angepasst wurde. Dass die Tätigkeit zunächst versicherungsfrei war, anschließend jedoch nachversichert worden ist, ändert hieran nichts. Die Tätigkeit als Soldat ist aufgrund besonderer Vorschriften in den einzelnen Zweigen zur Sozialversicherung versicherungsfrei. Dass es später zu einer Nachversicherung kam, zeigt aber gerade, dass die Tätigkeit als solche als Erwerbstätigkeit angesehen wird (vgl. zur Nachversicherung einer Beamtin auf Probe LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Oktober 2019 – L 11 KR 2621/18 – juris, Rn. 32).

Dass der Kläger nach Beendigung des Wehrdienstes ein Studium absolviert und – nach einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Januar 1977 – erst am 1. Oktober 1981 eine dauerhafte Erwerbstätigkeit aufgenommen hat, ist unerheblich. Mit der erstmaligen Aufnahme der Erwerbstätigkeit beginnt die Rahmenfrist, eine Dauerhaftigkeit dieser Aufnahme erfordert der Wortlaut gerade nicht. Diejenigen, die wie der Kläger vor dem Studium vorübergehend eine Erwerbstätigkeit aufgenommen haben, sind dadurch geschützt, dass es zur Erfüllung der 9/10-Belegung als Voraussetzung für den Beitritt lediglich auf die zweite Hälfte des Erwerbslebens ankommt (BSG, Urteil vom 22. Februar 20196 – 12 RK 33/94 – juris, Rn. 21; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.Oktober 2019 – L 11 KR 3621/18 – juris, Rn. 33)

bb) Die Rahmenfrist endet am 29. Dezember 2013.

Den - den maßgeblichen Zeitraum beendenden - Rentenantrag stellte der Kläger am 30. Dezember 2013, was der Senat dem vorliegenden Versicherungsverlauf vom 6. Februar 2014 (Bl. 3 der SG-Akte) sowie der durch den Kläger vorgelegten Bestätigung der den Antrag aufnehmenden Ortsbehörde für die Arbeiter- und Angestelltenversicherung (Bl. 9 der SG-Akte) entnimmt und zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V kommt es nicht auf den Beginn der Rente oder der Rentenzahlung an, sondern allein auf den Rentenantrag („bis zur Stellung des Rentenantrags“). Die Rahmenfrist endet mit dem Tag vor dem Tag der Rentenantragstellung (Vossen, a.a.O., § 5 SGB V Rn. 69, 71).

cc) Ausgehend von der ersten Aufnahme einer Erwerbstätigkeit am 25. Februar 1969 und dem Rentenantrag am 30. Dezember 2013 beginnt die zweite Hälfte der Rahmenfrist am 28. Juli 1991. Die erforderlichen 9/10 der zweiten Hälfte der Rahmenfrist umfasst damit 20 Jahre, 2 Monate und 9 Tage.

Der Kläger war in der Zeit vom 28. Juli 1991 bis 29. Dezember 2013 nur im Zeitraum vom 1. März 2003 bis 29. Dezember 2013 und damit 10 Jahre 9 Monate und 29 Tage Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse oder nach § 10 SGB V versichert. Im Zeitraum vom 28. Juli 1991 bis 28. Februar 2003 war der Kläger privat krankenversichert. Dies entnimmt der Senat der Bescheinigung der Versicherungszeiten der Beklagten vom 1. März 2024 und den im Verfahren durchgehend mitgeteilten Daten der Beklagten, die mit den eigenen Angaben des Klägers übereinstimmen. Auf dem Formular R810 „Meldung zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) nach § 201 Absatz 1 SGB V“ (Bl. 4 der SG-Akte) gab der Kläger selbst an, von 1984 bis Februar 2003 bei der K1 privat krankenversichert gewesen zu sein und seit dem 1. März 2003 gesetzliches Mitglied der Beklagten zu sein. Die erforderliche Vorversicherungszeit von 20 Jahren 2 Monaten und 10 Tagen hat der Kläger damit nicht erreicht. 

Die erforderliche Vorversicherungszeit ist auch nicht unter Berücksichtigung des § 5 Abs. 2 Satz 3 SGB V (in der ab 1. August 2017 geltenden Fassung des HHVG) erfüllt. Danach wird auf die nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V erforderliche Mitgliedszeit für jedes Kind, Stiefkind oder Pflegekind (§ 56 Absatz 2 Nummer 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) eine Zeit von drei Jahren angerechnet. Unabhängig davon, dass die Vorschrift keine Rückwirkung für die hier streitige Zeit ab 1. März 2014 entfaltet (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2023 – L 11 KR 2777/22 – juris, Rn. 37), wäre auch unter Anrechnung weiterer sechs Jahre (jeweils drei Jahre für die beiden Kinder des Klägers) im maßgeblichen Zeitraum lediglich 16 Jahre 9 Monate und 29 Tage Vorversicherungszeiten erreicht.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.



 

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