Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 28.11.2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines Leistungszuschlags nach § 43c SGB XI (Begrenzung des Eigenanteils an den pflegebedingten Aufwendungen).
Die 1927 geborene Klägerin ist bei der Beklagten pflegeversichert und erhält seit dem 1.1.2017 Pflegeleistungen, zuletzt entsprechend Pflegegrad 4. Seit November 2014 lebt sie in einer vollstationären Pflegeeinrichtung (I.). Mit dieser Einrichtung bestand bis zum 31.3.2022 lediglich ein Versorgungsvertrag der Pflegekassen, nicht hingegen eine Pflegesatzvereinbarung nach § 85 SGB XI. Die Klägerin erhielt von der Beklagten für ihre pflegebedingten Aufwendungen eine anteilige Kostenerstattung nach § 91 Abs. 2 SGB XI i.H.v. 80 v.H. des von der Pflegekasse für Pflegebedürftige mit dem Pflegegrad 4 in vollstationärer Pflege gem. § 43 Abs. 2 SGB XI übernommenen Betrages (1.775,00 €), mithin 1.420,00 € monatlich.
Mit Schreiben vom 1.4.2022 legte die Klägerin bei der Beklagten „vorsorglich“ Widerspruch gegen die Ablehnung des Zuschlags gemäß dem seit dem 1.1.2022 geltenden § 43c SGB XI ein. Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5, die seit mehr als 36 Monaten Leistungen nach § 43 SGB XI beziehen, erhielten nach Satz 4 dieser Regelung (in der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung vom 11.7.2021, BGBl. I, 2754) einen Leistungszuschlag in Höhe von 70 % ihres zu zahlenden Eigenanteils an den pflegebedingten Aufwendungen (ab 1.1.2024: 75 %). Die Klägerin äußerte die Auffassung, der Zuschlag sei ihr auch bei Erhalt von Leistungen nach § 91 Abs. 2 SGB XI zu gewähren. Nach dessen Satz 2 dürfe die Erstattung 80 v.H. des Betrages nicht überschreiten, den die Pflegekassen für den einzelnen Pflegebedürftigen nach Art und Schwere seiner Pflegebedürftigkeit nach dem Dritten Abschnitt des Vierten Kapitels (§§ 43 ff. SGB XI) zu leisten hat. § 43c SGB XI sei hiervon erfasst. Diese Regelung nehme Bezug auf § 43 SGB XI im Allgemeinen und nicht allein auf die in § 43 Abs. 2 SGB XI näher konkretisierten Leistungen. § 43 Abs. 1 SGB XI normiere den grundsätzlichen Anspruch für alle Pflegebedürftigen der Pflegegrade 2 bis 5. Die §§ 85 bis 89 bzw. § 91 SGB XI, die systematisch in einem anderen Kapitel stünden, regelten hingegen die Höhe der Pflegevergütung. Auch Pflegebedürftige in Einrichtungen ohne Vergütungsvereinbarung im Sinne von §§ 85 ff. SGB XI seien damit grundsätzlich leistungsberechtigt im Sinne von § 43 SGB XI. Ein Unterschied bestehe lediglich in der Art der Kostenerstattung. Auch nach der Gesetzesbegründung zu § 43c SGB XI (BT-Drucks. 19/30560, S. 62) sei es Sinn der Regelung, „eine finanzielle Überforderung der vollstationär versorgten Pflegebedürftigen zu vermeiden“. Dazu solle der Eigenanteil der Pflegebedürftigen an der Pflegevergütung schrittweise verringert werden. Die Regelungen bezögen sich nicht allein auf Bezieher von Leistungen nach § 43 SGB XI. In der Gesetzesbegründung werde weiter ausgeführt, „mit der jeweils direkten Inrechnungstellung der nach Anwendung der Eigenanteilsbegrenzung verbleibenden Beträge durch die Pflegeeinrichtungen an die Pflegekassen und die Pflegebedürftigen könnten unnötige Vorfinanzierungen und Zahlungsvorgänge vermieden werden“. Der Gesetzgeber habe mithin nicht nur die Konstellation des § 85 SGB XI vor Augen gehabt, sondern auch § 91 SGB XI erfassen wollen. Dem stehe auch § 43c Satz 5 SGB XI („bei der Bemessung des Zeitraums werden Monate, in denen nur für einen Teilzeitraum Leistungen nach § 43 bezogen worden seien, voll mitgezählt“) nicht entgegen.
Der Kostenerstattungsanspruch nach § 91 Abs. 2 Satz 2 SGB XI sei anhand der gesetzlichen Leistungshöchstbeträge zu berechnen. Diese seien für die vollstationäre Pflege in § 43 Abs. 2 SGB XI geregelt. Da § 43 SGB XI durch § 43c SGB XI modifiziert werde, sei diese Regelung auch im Rahmen der Berechnung nach § 91 Abs. 2 SGB XI anzuwenden. In dessen Satz 2 habe der Gesetzgeber widerstreitende Interessen zum Ausgleich gebracht. So solle durch die Deckelung des Kostenerstattungsanspruchs auf 80 v.H. des gesetzlichen Leistungshöchstbetrages vermieden werden, dass das Vergütungssystem durch Preisvereinbarungen zu Lasten der Pflegeversicherungen unterwandert werde. Bei § 43c SGB XI handele es sich jedoch nicht um eine zu Lasten der Pflegeversicherung abgeschlossene „Preisvereinbarung zwischen der Pflegeeinrichtung und der pflegebedürftigen Person“, sondern um eine Norm, die darauf abziele, eine finanzielle Überforderung der vollstationär versorgten Pflegebedürftigen zu vermeiden.
Zu berücksichtigen sei des Weiteren die Wahlfreiheit der Pflegebedürftigen hinsichtlich einer Pflegeeinrichtung. Die Klägerin werde ungerechtfertigt benachteiligt, wenn eine Vorschrift, die auf den Schutz vor finanzieller Überforderung ziele, bei ihr nicht angewandt werde. Auch gegenüber den nach § 91 SGB XI abrechnenden Pflegeheimen käme es zu einer Benachteiligung. Kein Pflegeheim könne gezwungen werden, sich auf eine Vergütungsvereinbarung einzulassen. Die Beklagte greife mit der Verwehrung des Leistungszuschlags in unzulässiger Weise in den Wettbewerb zwischen den Pflegeeinrichtungen ein, denn die Pflegebedürftigen würden in der Regel die Pflegeeinrichtungen wählen, in der ihnen der Leistungszuschlag gewährt werde. Wäre § 43c SGB XI allein im Rahmen der §§ 84 ff. SGB XI zu berücksichtigen, würde sich hieraus eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ergeben. Diese Argumentation werde durch eine (seitens der Klägerin vorgelegte, undatierte) Stellungnahme des ehemaligen Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung (Staatssekretär Westerfellhaus) gestützt. Hiernach sei auch im Rahmen der Berechnung des Kostenerstattungsverfahrens nach § 91 SGB XI der Leistungszuschlag nach § 43 c SGB XI in Höhe von 80 v.H. zu berücksichtigen.
Mit Bescheid vom 13.4.2022 lehnte die Beklagte, die das o.g. Schreiben der Klägerin als Leistungsantrag auslegte, die Gewährung eines Leistungszuschlags nach § 43c SGB XI ab. Zur Begründung führte sie u.a. aus, ein solcher Zuschlag sei an den Bezug von Leistungen nach § 43 SGB XI gebunden, wohingegen der Klägerin für ihre pflegebedingten Aufwendungen Kosten nach § 91 Abs. 2 SGB XI erstattet würden. Erstattungsberechtigte nach dieser Regelung würden in § 43c SGB XI nicht benannt. Darüber hinaus beziehe sich der Leistungszuschlag nach § 43c SGB XI auf den Eigenanteil, den ein Empfänger von stationärer Pflege zu leisten habe. Erstattungsempfänger nach § 91 SGB XI hätten keinen Eigenanteil an das Pflegeheim zu entrichten. Sie seien verpflichtet, den Gesamtbetrag zu zahlen, und bekämen auch nur einen anteiligen Zuschuss von der Pflegekasse. Den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin lehnte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1.8.2022 aus den Gründen des Ausgangsbescheides als unbegründet ab.
Die Klägerin hat am 18.8.2022 Klage bei dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhoben und hiermit den Leistungszuschlag ab dem 1.1.2022 in gesetzlicher Höhe begehrt. Da sie bereits seit mehr als 36 Monaten Leistungen der vollstationären Pflege erhalte, belaufe sich der ihr zustehende monatliche Leistungszuschlag zum Stand Januar 2022 auf 656,08 € monatlich (70 % ihres nicht gedeckten „Eigenanteils“ von 861,15 €). Nach dem Wortlaut des § 43c SGB XI erhielten Pflegebedürftige einen Leistungszuschlag zu dem von ihnen zu tragenden Eigenanteil an pflegebedingten Aufwendungen. Dies seien nach § 4 Abs. 2 SGB XI Aufwendungen, die für die Versorgung der Pflegebedürftigen nach Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit erforderlich seien. Ausgenommen seien somit Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten, wohingegen Personal- und Ausbildungskosten nicht erfasst würden. Die Vorschrift biete keine Anhaltspunkte dafür, dass es zur Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen darüber hinaus erforderlich sei, vollstationäre Leistungen in einer Einrichtung mit bestehender Vergütungsvereinbarung in Anspruch zu nehmen. Die Einengung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 43c SGB XI widerspreche der gesetzgeberischen Konzeption nach Entlastung aller Pflegebedürftigen. Dass mit dem Begriff der Leistung im Rahmen des § 43c SGB XI nicht auf das Sachleistungsprinzip abgestellt werde, werde dadurch deutlich, dass der Gesetzgeber in der Begründung von Leistungen spreche, während er an anderen Stellen, wenn es auf eine Differenzierung ankomme, von Pflegesachleistungen oder Sachleistungen spreche.
Die Beklagte ist der Klage unter Verweis auf die von ihr in den angefochtenen Bescheiden genannten Gründe entgegengetreten. Mit Schriftsatz vom 7.11.2022 hat sie ferner mitgeteilt, dass die Klägerin seit dem 1.4.2022 - mit Abschluss einer Pflegevereinbarung mit der Pflegeeinrichtung - Leistungen nach § 43 SGB XI erhalte und damit gem. § 43c (Satz 1) SGB XI Anspruch auf einen Leistungszuschlag i.H.v. zunächst 46,53 € monatlich (5 % des von ihr zu tragenden Eigenanteils an den pflegebedingten Aufwendungen) habe. Die Klägerin hat dies als Teilanerkenntnis angenommen und im Übrigen an ihrer Klage festgehalten. Streitig bleibe die Zahlung des Leistungszuschlags für die Zeit bereits ab dem 1.1.2022 und hinsichtlich der Höhe auch die Zeit ab dem 1.4.2022. Da die Beklagte hinsichtlich des Leistungszuschlages fälschlicherweise lediglich den Bezugszeitraum ab dem 1.4.2022 berücksichtige, komme es zu entsprechend geringeren Zuschlägen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 28.11.2023 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, Voraussetzung für einen Leistungsanspruch nach § 43c SGB XI sei, dass eine finanzielle Unterstützung entsprechend § 43 Abs. 2 SGB XI geleistet werde. Nicht erfasst seien Pflegebedürftige, welche – wie die Klägerin - lediglich eine Kostenerstattung nach § 91 SGB XI erhalten. § 43c SGB XI spreche in Satz 6 ausdrücklich von einem Eigenanteil des Pflegebedürftigen. Einen solchen hätten jedoch nur diejenigen Pflegebedürftigen zu tragen, die Leistungen nach § 43 (Abs. 2) SGB XI beziehen, mit deren Pflegeeinrichtungen also eine Vergütungsvereinbarung bestehe. Personen, die einen Anspruch nach § 91 Abs. 2 SGB XI geltend machen können, hätten demgegenüber keinen Eigenanteil an die Pflegeeinrichtungen zu zahlen. Sie seien verpflichtet, zunächst den gesamten Beitrag zu zahlen und erhielten sodann eine begrenzte Erstattung. Schon eine Zusammenschau des Wortlauts der genannten drei Vorschriften stehe damit einem Anspruch nach § 43c SGB XI entgegen. In dieser Vorschrift werde auf Leistungsberechtigte nach § 43 SGB XI abgestellt, nicht jedoch auf Erstattungsberechtigte nach § 91 SGB XI. Bestätigt werde diese Beurteilung durch die Gesetzesbegründung. Hiernach solle die Gesamtbelastung der „Pflegebedürftigen mit Eigenanteilen“ über den Pflegeverlauf deutlich reduziert werden. Dies ziele allein auf Pflegebedürftige, die in Einrichtungen mit einer Vergütungsvereinbarung untergebracht sind. Durch die prozentuale „Verringerung des Eigenanteils“ bleibe der Anreiz erhalten, in die Überlegungen zur Wahl eines Pflegeheims auch die Höhe des Pflegesatzes einzubeziehen. Die gesetzliche Regelung habe damit den Zweck, den Pflegebedürftigen ein Kriterium für ihre Überlegungen zur Wirtschaftlichkeit zu bieten. Insoweit liege auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vor. Vielmehr sei es sachlich begründet, dass Bewohner von Einrichtungen ohne Vergütungsvereinbarung im Gegensatz zu solchen mit einer Vergütungsvereinbarung von einem Anspruch nach § 43c SGB XI ausgeschlossen werden. Für das Gesamtsystem der sozialen Pflegeversicherung und für die Beitragszahler sei es bedeutsam, die Finanzierung bestimmten Grenzen zu unterwerfen. Bei fehlender Bindung einer Pflegeeinrichtung an solche Grenzen bestehe hingegen die Möglichkeit der Einrichtung, ihr Angebot hinsichtlich des Leistungsangebotes und der Preisgestaltung freier zu gestalten. Würde man eine solche Einrichtung durch weitergehende finanzielle Unterstützung der Pflegebedürftigen mittelbar fördern, liefe dies zu Lasten der Pflegekassen auf eine Umgehung der Vorgabe der Wirtschaftlichkeit und der Beitragssatzstabilität hinaus. Die Klägerin erhalte damit nicht bereits seit mehr als 36 Monaten, sondern erst seit dem 1.4.2022 Leistungen nach § 43 SGB XI. Über das Teilanerkenntnis hinausgehende Ansprüche stünden ihr daher nicht zu.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 11.12.2023 zugestellte Urteil am 8.1.2024 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr bisheriges Vorbringen. Bei der Kostenerstattung gemäß § 91 Abs. 2 SGB XI seien aufgrund von Wortlaut und Systematik sowie nach der Gesetzesbegründung auch die Leistungszuschläge nach § 43c SGB XI zu berücksichtigen. Nötigenfalls sei eine analoge Anwendung des § 43c SGB XI geboten, um eine Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund zu verhindern. Die Regelung habe den Zweck, eine finanzielle Überforderung aller vollstationär versorgten Pflegebedürftigen der Pflegestufen 2 bis 5 zu vermeiden. Auch im Rahmen des Kostenerstattungsverfahrens nach § 91 SGB XI verbleibe ein von den Pflegebedürftigen zu tragender Eigenanteil. Die in der Konsequenz der Auffassung der Beklagten für eine Anwendbarkeit erforderlich werdenden Umzüge von Pflegebedürftigen in Einrichtungen mit Vergütungsvereinbarungen und der damit verbundene Eingriff in die grundgesetzlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit könnten – auch im Hinblick auf den Sicherstellungsauftrag der Pflegekassen – vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen sein. Eine fehlende Anwendbarkeit des § 43c SGB XI im Falle der Kostenerstattung nach § 91 SGB XI würde ferner die gemäß § 11 Abs. 2 SGB XI garantierte Trägervielfalt unzulässig beeinträchtigen. Als Beantragung des Leistungszuschlages sei das bereits vor dem 1.4.2022 erfolgte Überlassen der Rechnungen an die Beklagte zu verstehen (Hinweis auf Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 24.4.2008 – B 9/9a SB 10/06 R -, juris Rn. 16 und vom 4.4.2006 – B 1 KR 5/05 R -, juris Rn. 14). Abgesehen davon, bestehe der Anspruch seit Änderung der Verhältnisse, hier also ab dem 1.1.2022 (Hinweis auf BSG, Urteil vom 2.2.2012 – B 8 SO 5/10 R -, juris Rn. 12 f.).
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
- das Urteil des SG Lüneburg vom 28.11.2023 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13.4.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.8.2022 aufzuheben und das Teilanerkenntnis vom 7.11.2022 abzuändern,
- die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1.1.2022 einen Leistungszuschlag nach § 43c SGB XI in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die erstinstanzliche Entscheidung. Bis zum 31.3.2022 habe die Klägerin eine Kostenerstattung nach § 91 SGB XI erhalten, erst ab dem 1.4.2022 beziehe sie Leistungen gem. § 43 Abs. 2 SGGB XI. Eine Anrechnung des vorherigen Aufenthaltes in der Einrichtung vor Beginn des Vergütungsvertrages sei nicht möglich. Da der Vergütungszuschlag gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB XI nur auf Antrag gewährt werde und das entsprechende Schreiben der Klägerin erst am 4.4.2022 eingegangen sei, sei die Berufung, bei der allein der Zeitraum vom 1.1. bis 31.3.2022 und ein Betrag von 140,58 € in Streit stünden, zudem bereits wegen fehlender Beschwer zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand von Beratung und Entscheidung geworden sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat gem. § 124 Abs. 2 SGG im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet, ist zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes von 750 € (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) wird erreicht, da die Klägerin den ihr für die Zeit vom 1.1. bis 31.3.2022 versagten Zuschlag gem. § 43c Satz 4 SGB XI i.H.v. 656,08 € monatlich, insgesamt mithin einen Betrag von 1.968,24 €, geltend macht. Zudem betrifft die Berufung vorliegend wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG), da die Klägerin die ihr seitens der Beklagten ab dem 1.4.2022 zeitlich unbegrenzt gewährten Leistungen nach § 43c SGB XI auch der Höhe nach bestreitet.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Urteil des SG vom 28.11.2023 und der Bescheid der Beklagten vom 13.4.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.8.2022 und des Teilanerkenntnisses vom 7.11.2022 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf einen Leistungszuschlag nach § 43c SGB XI bereits ab dem 1.1.2022. Ab dem 1.4.2022 (bis zum 31.3.2023) steht ihr eine solche Leistung gem. § 43c Satz 1 SGB XI a.F. lediglich i.H.v. 5 % des von ihr zu zahlenden Eigenanteils an den pflegebedingten Aufwendungen zu, in der Zeit vom 1.4. bis 31.12.2023 gem. Satz 2 i.H.v. 25 %. Entsprechend der Sätze 2 bis 4 der genannten Regelung in der ab dem 1.1.2024 gültigen Fassung vom 19.6.2023 erhöht sich der Zuschlag auf 30 % (1.4.2024 – 31.3.2024), 50 % (1.4.2024 – 31.3.2025) und 75 % (ab dem 1.4.2025).
Das SG hat die für den streitigen Leistungszuschlag maßgeblichen Rechtsgrundlagen zutreffend herangezogen und zur Anwendung gebracht. Es hat den Sachverhalt vollständig und rechtsfehlerfrei gewürdigt und ist zu dem richtigen Ergebnis gelangt, dass der Gewährung eines von der Klägerin für die Zeit ab dem 1.1.2022 begehrten Leistungszuschlages i.H.v. 70 % des von ihr für pflegebedingte Aufwendungen an ihre Pflegeeinrichtung zu zahlenden „Eigenanteils“ die Tatsache entgegensteht, dass die Klägerin Pflegesachleistungen nach § 43 Abs. 2 SGB XI erst ab dem 1.4.2022 bezieht. Der keinen gesonderten Antrag erfordernde und mit dem Tage des Erfüllens der Voraussetzungen bzw. mit Rechnungstellung der Pflegeeinrichtung entstehende Leistungsanspruch auf den Zuschlag nach § 43c SGB XI (s. hierzu GKV-Spitzenverband, Gemeinsames Rundschreiben vom 19.12.2024, S. 302) setzt auch zur Überzeugung des Senats zwingend voraus, dass der Pflegebedürftige in einer vollstationären Einrichtung lebt, die eine Pflegesatzvereinbarung nach den §§ 85 ff. SGB XI mit den Pflegekassen getroffen hat und – hieran anknüpfend - Leistungen nach § 43 Abs. 2 SGB XI erhält. Nicht erfasst werden hingegen in einer Pflegeeinrichtung ohne Vergütungsvereinbarung lebende Pflegebedürftige, die zur Deckung ihrer pflegebedingten Aufwendungen eine Kostenerstattung nach § 91 Abs. 2 SGB XI erhalten. Diese Pflegebedürftigen, die für ihre Pflege zunächst „ihrer“ Pflegeeinrichtung den gesamten hierfür anfallenden Kostenbeitrag zu entrichten habe, für welchen sie sodann eine (ausschließlich in § 91 Abs. 2 SGB XI geregelte) anteilige Kostenerstattung von der Pflegekasse in Anspruch nehmen können, haben keinen zuschlagfähigen „Eigenanteil“ zu zahlen. Dies ergibt sich – worauf das SG zutreffend abgestellt hat - sowohl aus dem Wortlaut der vorliegend zwischen den Beteiligten in Streit stehenden §§ 43c, 91 Abs. 2 SGB XI mit der dortigen wiederholten Bezugnahme auf einen vom Leistungen nach § 43 SGB XI beziehenden Pflegebedürftigen zu tragenden Eigenanteil an seinen pflegebedingten Aufwendungen, als auch aus der Systematik der §§ 43, 43c und 91 SGB XI und der Begründung zur Neuregelung des § 43c SGB XI (dem zustimmend: Marwedel in: jurisPK-SGB XI, 4. Auflage, § 43c Rn. 24; Roth in: Hauck/Noftz SGB XI, 1. Ergänzungslieferung 2025, § 43c Rn. 9, 12; Giesbert in: BeckOK Sozialrecht, SGB XI, Stand: 1.1.2024, § 43c Rn. 17). In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/30560, S. 62) wird zwar zum einen als Gesetzesziel eine Vermeidung finanzieller Überforderung der vollstationär versorgten Pflegebedürftigen benannt. Anderseits wird jedoch unmissverständlich auf den von dieser Personengruppe zu tragenden „Eigenanteil an der Pflegevergütung“ verwiesen, der schrittweise verringert werden solle. Einen solchen Eigenanteil haben Pflegebedürftige in Einrichtungen ohne Vergütungsvereinbarung – wie ausgeführt – nicht zu tragen. Zudem wird vom Gesetzgeber die Erwartung geäußert, dass sich durch Einführung des § 43c SGB XI das Ausmaß der Angewiesenheit auf ergänzende Leistungen der Sozialhilfe verringern werde. Deren Inanspruchnahme wird indes im Rahmen einer Kostenerstattung bereits gem. § 91 Abs. 2 Satz 3 SGB XI ausdrücklich ausgeschlossen.
Soweit der Kläger auf ein Schreiben der Geschäftsstelle des Bevollmächtigten der Bundesregierung für Pflege (Beantwortung einer E-Mail des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 22.9.2021) verwiesen hat, vermag der Senat nicht zu ersehen, dass sich aus dieser keinen Einfluss auf die Gesetzesbegründung bzw. -auslegung ausübenden Stellungnahme auch nur die rechtliche Möglichkeit einer Anwendung des § 43c SGB XI auf Pflegebedürftige, die Kostenerstattungen nach § 91 Abs. 2 SGB XI beziehen, ergibt. Die in dem Schreiben geäußerte Auffassung, dass der in § 43c SGB XI geregelte Leistungszuschlag durch die Einfügung als Sechster Titel des Dritten Abschnitts des Vierten Kapitels in das SGB XI von der Kostenerstattung nach § 91 SGB XI erfasst werde, da in dessen Absatz 2 Satz 2 die Kostenerstattung auf 80 v.H. der Leistungen der Pflegekasse an einzelne Pflegebedürftige nach dem Dritten Abschnitt des Vierten Kapitels beschränkt werde, vermag einen Rechtsanspruch der Klägerin auf einen Leistungszuschlag nach § 43c SGB XI nicht zu begründen. Sofern der Pflegebevollmächtigte hiernach die Auffassung vertreten sollte, dass Pflegebedürftige wie die Klägerin in Anwendung von § 43c SGB XI einen Anspruch i.H.v. 80 v.H. des dort geregelten Leistungszuschlages erhalten können, ist dem entgegenzuhalten, dass dieser Zuschlag - wie ausgeführt – Pflegebedürftigen, die eine Kostenerstattung nach § 91 Abs. 2 SGB XI erhalten, nicht offensteht.
Der Senat folgt dem SG auch in seinen Ausführungen zum allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser ist auch zur Überzeugung des Senats nicht verletzt. Der Gesetzgeber hat bei sozialpolitischen Entscheidungen auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts grundsätzlich eine besonders weite Gestaltungsfreiheit, die nur einer eingeschränkten verfassungsrechtlichen Kontrolle unterliegt. Sozialpolitische Entscheidungen des Gesetzgebers sind hinzunehmen, solange seine Erwägungen weder offensichtlich fehl gehen noch mit der Wertordnung des GG unvereinbar sind. Der Gleichheitssatz verbietet nur eine Verteilung von Leistungen nach unsachlichen Gesichtspunkten (Bundesverfassungsgericht – BVerfG -, Nichtannahmebeschluss vom 20.3.2023 - 1 BvR 172/22 -, juris Rn. 7 m.w.N.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26.3.2014 - 1 BvR 1133/12 -, juris Rn. 17 ff [zur Differenzierung der Leistungshöhe zwischen Pflegesachleistung und Pflegegeld]). Von unsachlichen Gesichtspunkten bei der Gewährung des streitigen Zuschlags nach § 43c SGB XI nur an Pflegebedürftige, die in einer zugelassenen vollstationären Pflegeeinrichtung mit Vergütungsvereinbarung nach den §§ 85 ff. SGB XI leben, vermag der Senat nicht auszugehen. Die Notwendigkeit, die Finanzierung pflegebedingter Aufwendungen bestimmten Grenzen zu unterwerfen, ergibt sich aus der mit einer Einbeziehung der von § 91 Abs. 2 SGB XI umfassten Personen in den Kreis der Anspruchsberechtigten nach § 43c SGB XI folgenden Gefahr, dass Pflegebedürftige aus Pflegeeinrichtungen, die keine Pflegesatzvereinbarung mit den Pflegekassen getroffen haben, „ungedeckelte“ Leistungszuschläge zum Schließen der Finanzierungslücken zwischen den Zahlungsansprüchen nach § 91 Abs. 2 SGB XI und den der Höhe nach nicht begrenzten Heimkosten erhalten würden. Eine Pflegeeinrichtung wird in der Regel dann auf eine Vergütungsvereinbarung mit den Kostenträgern verzichten, wenn sie höhere Entgelte berechnen möchte, als sie in Vergütungsverhandlungen durchsetzen kann. Den Pflegebedürftigen werden also nach dem Verzicht auf eine Pflegesatzvereinbarung höhere Entgelte berechnet, als sie unter Geltung einer Vereinbarung hätten zahlen müssen. Eine derartig weitreichende finanzielle Unterstützung von Pflegebedürftigen zu Lasten der Pflegekassen stünde den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Beitragsstabilität entgegen. Die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen sind vor sich hieraus ergebenden finanziellen Benachteiligungen in der Weise geschützt, dass die Pflegekasse und die Pflegeeinrichtung sie gem. § 91 Abs. 4 SGB XI rechtzeitig auf die Rechtsfolgen der Absätze 2 und 3 hinzuweisen haben. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat im Übrigen auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten und des SG (§§ 153 Abs. 2, 136 Abs. 3 SGG). Das Vorbringen der Beteiligten im Rahmen des Berufungsverfahrens gibt lediglich Anlass zu folgenden Ausführungen:
Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin sind die Regelungen des § 43c SGB XI in Fällen wie dem vorliegenden auch nicht analog anzuwenden. Voraussetzung hierfür wäre eine vom Gesetzgeber übersehene, planwidrige Regelungslücke. Eine solche Lücke liegt nur dort vor, wo das Gesetz eine Regelung weder ausdrücklich noch konkludent getroffen hat, und es deshalb nach dem zugrundeliegenden gesetzlichen Konzept unvollständig und damit ergänzungsbedürftig ist (BSG, Urteile vom 13.3.2023 - B 12 KR 3/21 R -, vom 6.7.2022 - B 5 R 21/21 R -, juris Rn. 38, und vom 29.3.2022 - B 12 KR 1/20 R -, juris Rn. 20 m.w.N.). Hiervon vermag der Senat nicht auszugehen. Dass § 43c SGB XI – wie ausgeführt – nach Gesetzeswortlaut, -systematik und ‑begründung nur für Bezieher von Pflegesachleistungen gem. § 43 Abs. 2 SGB XI gilt und nicht auch für Empfänger von Geldleistungen in Form anteiliger Kostenerstattungen nach § 91 Abs. 2 SGB XI, belegt nicht, dass das SGB XI insoweit eine vom Gesetzgeber übersehene, planwidrige Lücke aufweist. Für eine solche Annahme spricht anlässlich der eingehenden Ausformung der Regelungen im Zusammenhang mit dem Anspruch der Pflegebedürftigen auf einen Zuschlag zur Begrenzung des Eigenanteils an ihren pflegebedingten Aufwendungen in § 43c SGB XI nichts. Insbesondere die in § 11 Abs. 2 SGB XI garantierte Trägervielfalt erfordert entgegen der Rechtsansicht der Klägerin nicht eine Gleichstellung von stationären Einrichtungen mit und ohne Vergütungsvereinbarung in allen Fragen der Finanzierung. Es steht den Pflegeeinrichtungen frei, sich dem System der Pflegesatzvereinbarungen gem. §§ 85 ff. SGB XI zu unterwerfen oder dies nicht zu tun bzw. das Ergebnis von diesbezüglichen Verhandlungen mit den Pflegekassen zu akzeptieren oder abzulehnen. Sich hieraus ergebende nachteilige Wirkungen hat der Gesetzgeber mit der Begrenzung der Kostenerstattung in § 91 Abs. 2 Satz 2 SGB XI bewusst formuliert. Gegen ein Übersehen der Problematik durch den Gesetzgeber spricht schließlich, dass dieser die Voraussetzungen zur Gewährung des Leistungszuschlages zur Begrenzung des Eigenanteils der Pflegebedürftigen an deren pflegebedingte Aufwendungen auch bei der Gesetzesnovellierung im Jahr 2024 durch Art. 2 Nr. 12 des Gesetzes zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege (Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz - PUEG) vom 19.6.2023 mit Wirkung zum 1.1.2024 (BGBl. 2023 I, Nr. 155) nicht weiter gefasst hat und – neben der erfolgten Erhöhung der Zuschläge - eine Anwendung des § 43c SGB XI nicht auch bei Kostenerstattungen nach § 91 Abs. 2 SGB XI zugelassen hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, da er der Anwendung der Regelungen des § 43c SGB XI in den Fällen des § 91 Abs. 2 SGB XI grundsätzliche Bedeutung zumisst.
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