L 13 SF 2/24 EK SF

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 13 SF 2/24 EK SF
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Im Rahmen des § 198 GVG ist eine isolierte Feststellungsklage, gerichtet auf Feststellung der unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrensm, unzulässig.

Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung der unangemessenen Dauer eines vor dem 10. Senat des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen geführten Verfahrens mit dem Aktenzeichen L 10 SF 9/18 EK KA, dessen Gegenstand vom Kläger geltend gemachte Entschädigungsansprüche wegen unangemessener Dauer von insgesamt 14 vor dem Sozialgericht (SG) Hannover und dem LSG Niedersachsen-Bremen gegen die G. geführter Klageverfahren war.

Der Kläger nahm als Zahnarzt an der vertragszahnärztlichen Versorgung teil und führte vor dem SG Hannover, dem LSG Niedersachsen-Bremen und dem Bundessozialgericht (BSG) zahlreiche Verfahren um seine Honoraransprüche. Wegen von ihm angenommener unangemessener Dauer dieser Verfahren machte er beim 10. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen zahlreiche Entschädigungsklagen anhängig.

Das dem vorliegenden Rechtsstreit zugrundeliegende Ausgangsverfahren L 10 SF 9/18 EK KA begann mit der Erhebung der Entschädigungsklage am 10. Mai 2018 und endete mit der am 25. Juni 2024 erfolgten Zustellung des Urteils vom 23. Mai 2024. Eine Verzögerungsrüge hatte der Kläger erstmals am 10. Juni 2024 – nach bereits erfolgter Verkündung des Urteils – erhoben.

Der Kläger hat am 25. Juni 2024 die vorliegende Klage erhoben, welche auf die Feststellung gerichtet ist, dass das Verfahren L 10 SF 9/18 EK KA nicht in angemessener Zeit durchgeführt worden ist. Zur Begründung trägt er vor, dass eine Verfahrensdauer von sechs Jahren für eine einzige Instanz entschieden zu lang sei und hieran allenfalls eine „weltfremde Schlafmütze“, aber kein vernünftiger Mensch zweifeln könne.

Der Kläger beantragt nach Lage der Akten,

festzustellen, dass die Dauer des Verfahrens L 10 SF 9/18 EK KA unangemessen lang war.

Der Beklagte beantragt nach Lage der Akten,

            die Klage abzuweisen.

Er verweist darauf, dass der Kläger im Ausgangsverfahren die Aufhebung eines bereits im Jahr 2020 vorgesehenen Verhandlungstermins beantragt habe und zudem mehrfach um ein Abwarten endgültiger Entscheidungen in anderen Verfahren gebeten habe. Hierauf erwidert der Kläger, dass er keine „Generalvollmacht zum unbegrenzten Trödeln“ erteilt habe.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte in Abwesenheit der vom Verhandlungstermin ordnungsgemäß benachrichtigen Beteiligten verhandeln und entscheiden, nachdem in den Terminsmitteilungen auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Die vom Kläger erhobene Feststellungsklage ist nicht statthaft und daher als unzulässig abzuweisen.

Der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), wonach eine Klage unmittelbar auf Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer nicht statthaft ist (Urteile vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 – juris Rn. 35 und vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13 – juris Rn. 66 f.; so auch Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 21. Oktober 2022 – I-11 EK 6/21 – juris Rn. 54; Wittschier in: Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 198 GVG, Rn. 10; Reiter, NJW 2015, 2554, 2558 f.; a. A., allerdings ohne nähere Begründung: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 5. Juli 2013 – 5 C 23/12 D – juris Rn. 61 sowie – mit ausführlicher Begründung - Schenke, NJW 2015, 433). Diese Auffassung hat der BGH überzeugend dahingehend begründet, dass § 198 Abs. 4 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) das Entschädigungsgericht zu einer solchen Feststellung lediglich ermächtige, nicht aber verpflichte und damit dem Betroffenen kein subjektives Recht einräume, welches er im Klagewege durchsetzen könne. Auch weist der BGH zutreffend darauf hin, dass der Vorschrift des § 198 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 S. 1 GVG im Rahmen der Anspruchsprüfung nach § 198 Abs. 1 S. 1 GVG lediglich die Funktion eines negativen Tatbestandsmerkmals zukomme und daher auch eine allgemeine Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) (im sozialgerichtlichen Verfahren: § 55 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ausscheide, weil einzelne Elemente eines Rechtsverhältnisses nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein könnten. Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass der Entschädigungsanspruch schon nach dem Wortlaut des § 198 Abs. 2 S. 2 GVG („beansprucht werden“) unbestreitbar ein subjektives Recht darstelle mit der Folge, dass Entsprechendes auch für die Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer gelten müsse, welche an die Stelle der Entschädigung trete (so aber: Schenke, NJW 2015, 433, 434). Denn die in § 198 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 GVG geregelten Fälle der Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer stehen immer im Zusammenhang mit einer auf Geldzahlung gerichteten Entschädigungsklage und eine eigenständige, d. h. von einer auf Geldzahlung gerichteten Entschädigungsklage völlig unabhängige Bedeutung kommt der Feststellung in keinem der Fälle zu. Die Gesetzessystematik spricht daher dafür, dass der Gesetzgeber mit der Möglichkeit der Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer keinen zusätzlichen Anspruch schaffen wollte (so zutreffend Reiter, NJW 2015, 2554, 2559). Wäre dies der Fall gewesen, wäre kaum verständlich, dass der Gesetzgeber in den §§ 198 ff. GVG keine selbstständige (isolierte) Klage auf Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer vorgesehen hat. Denn Ziel des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren war es gerade, eine Rechtsschutzlücke zu schließen, die dadurch geprägt war, dass es im geltenden Prozessrecht keinen speziellen Rechtsbehelf zur Durchsetzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit gab und die von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsbehelfe in der Praxis uneinheitlich und unübersichtlich gehandhabt wurden. Diese Rechtslage entsprach nach Einschätzung des Gesetzgebers nicht der vom Bundesverfassungsgericht geforderten „Rechtsbehelfsklarheit“, die nur dann gegeben sei, wenn ein Rechtsbehelf im geschriebenen Recht stehe und in seinen Voraussetzungen für den Bürger klar erkennbar sei. Mit dem neu eingeführten Entschädigungsanspruch „mit der Möglichkeit von Entschädigungsklagen“ sollte das Rechtsschutzproblem bei überlanger Verfahrensdauer abschließend gelöst werden (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, Bundestagsdrucksache 17/3802, S. 1, 15, 16). Wenn der Gesetzgeber vor dem Hintergrund dieser Bemühungen um Schaffung klarer Rechtsbehelfe und abschließende Problemlösungen nach dem eindeutigen Wortlaut des § 198 Abs. 5 S. 1 GVG lediglich eine „Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1“, mithin eines Entschädigungsanspruchs, normiert und (nur) für diese Klage Regelungen zu den Zeitpunkten ihrer frühesten und spätesten Erhebung getroffen hat, muss dies als bewusste Entscheidung gewertet werden, zumal im gesamten Gesetzentwurf durchgehend nur von Entschädigungsklagen die Rede ist, ohne dass die Möglichkeit einer Feststellungsklage zur Durchsetzung eines Wiedergutmachungsanspruchs auch nur ansatzweise erwähnt wird. Soweit das BSG in seinem Urteil vom 15. Dezember 2015 (B 10 ÜG 1/15 R – juris Rn. 15) ausgeführt hat, es neige der Auffassung zu, dass der Betroffene einen gesondert einklagbaren Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer haben müsse, weil allein dies der im Zuge der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorgenommenen Qualifizierung der Feststellung nach § 198 Abs. 4 S. 1 GVG als „kleiner Entschädigungsanspruch“ (vgl. dazu BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/13 R – juris Rn. 57) entspreche, und dem folgend in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung und Kommentierung teilweise die Zulässigkeit einer isolierten Feststellungsklage angenommen worden ist (LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 16. Januar 2024 – L 12 SF 16/21 EK – juris Rn. 22; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24. Januar 2019 – L 11 SF 16/17 EK AS – juris Rn. 14; Röhl in: Schlegel/Voelzke, juris-PK-SGG, 2. Aufl., § 198 GVG [Stand: 18. Juni 2024], Rn. 157, 188), ändert die höchstrichterliche Qualifizierung des Feststellungsausspruchs nach Auffassung des Senats nichts daran, dass der Gesetzgeber – wie ausgeführt – ein subjektives Recht auf eine solche Feststellung nicht normiert hat und dementsprechend den gerichtlichen Rechtsschutz auf die Möglichkeit einer Entschädigungsklage beschränkt hat. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 SGG) zuzulassen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz.

 

Rechtskraft
Aus
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