Ein neuer Antrag stellt eine Zäsur dar, ab der sich die ursprünglich streitbefangene Ablehnung mit Wirkung vom Beginn des Antragsmonats (des neuen Antrags) für die Zukunft erledigt hat. Soweit in einem derartigen Fall im Bereich der sozialen Pflegeversicherung auf die Regelung des § 39 Abs. 2 SGB X abgestellt wird, ist dieser Rechtsgedanke auch bei der privaten Pflegepflichtversicherung heranzuziehen. Maßgeblich hierfür ist die Steuerungsfunktion des Antrags und das konsensuale Verhalten der Beteiligten.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 9. August 2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen der Privaten Pflegeversicherung nach Pflegegrad 4 für die Zeit vom 1. Februar 2023 bis 31. Mai 2024.
Der 1940 geborene Kläger ist bei der Beklagten privat pflegeversichert (Tarif PVB). Grundlage des Pflegepflichtversicherungsvertrags sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die private Pflegepflichtversicherung (MB/PPV, Zusatzvereinbarungen und Tarifbedingungen). Es ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 seit dem 9. Mai 2022 sowie die Merkzeichen „B“, „G“ und „aG“ festgestellt (Bescheid des Landratsamtes W1 vom 16. September 2022).
Am 22. Februar 2023 beantragte der Kläger während eines stationären Aufenthaltes in der S1 Klinik in S2 bei der Beklagten die Gewährung von Pflegeleistungen. Daraufhin veranlasste die Beklagte eine Begutachtung des Klägers in häuslicher Umgebung durch den medizinischen Dienst der privaten Pflegeversicherung, die M1 GmbH (im Folgenden M1). Die Gutachterin U1 gab in ihrem Gutachten vom 12. März 2023 nach einem Hausbesuch des Klägers am 8. März 2023 als pflegebegründende Diagnosen Polyarthrose, Störung des Ganges und der Mobilität sowie interstitielle Lungenerkrankung an. Den beim Kläger bestehenden Hilfebedarf bewertete sie mit insgesamt 38,75 gewichteten Punkten. In Modul 1 (Mobilität) bestehe ein Hilfebedarf beim Umsetzen und beim Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs (jeweils überwiegend selbständig) sowie beim Treppensteigen (überwiegend unselbständig; 4 Einzel- und 5 gewichtete Punkte). In Modul 2 (kognitive und kommunikative Fähigkeiten) gelangte sie zu 1 Einzel- und 0 gewichteten Punkten (Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen: größtenteils vorhanden). In Modul 4 (Selbstversorgung) bestehe ein Hilfebedarf beim Waschen des vorderen Oberkörpers, im Bereich des Kopfes, im Intimbereich, beim Duschen oder Baden, beim An- und Auskleiden des Ober- und Unterkörpers (überwiegend unselbständig; 15 Einzel- und 20 gewichtete Punkte). In Modul 5 (Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen) bedürfe er der Hilfe bei der Sauerstoffabgabe (dreimal am Tag), bei Einreibungen (einmal am Tag) und bei der Medikation (dreimal pro Woche) sowie bei Arztbesuchen (einmal pro Monat; insgesamt 2 Einzel- und 10 gewichtete Punkte). In Modul 6 (Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte) sei der Kläger beim Ruhen und Schlafen überwiegend selbständig, ebenso bei der Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfeldes (2 Einzel- und 3,75 gewichtete Punkte). Hierauf gestützt gewährte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 17. März 2023 Leistungen nach dem Pflegegrad 2 ab dem 1. Februar 2023 (Bl. 102 ff. Verwaltungsakte <VA>).
Nachdem der Kläger hierzu Einwendungen erhoben hatte, holte die Beklagte das Gutachten des Gutachters W2, M1, vom 18. Juli 2023 ein. Dieser ermittelte nach einem Hausbesuch des Klägers am 17. Juli 2023 unter Berücksichtigung der pflegebegründenden Diagnosen Störungen des Ganges und der Mobilität sowie Herzinsuffizienz einen pflegerischen Gesamthilfebedarf von 37,5 gewichteten Punkten seit Januar 2023. Mit Schreiben vom 21. Juli 2023 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er mit einer Gesamtpunktzahl von 37,5 die Voraussetzungen für den Pflegegrad 3 nicht erfülle, weshalb der bisher anerkannte Pflegegrad bestehen bleibe.
Am 8. August 2023 erhob der Kläger beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage „gegen die Einstufung in Pflegeklasse 2“. Zur Begründung machte er ausführlich geltend, die Begutachtung durch den medizinischen Dienst sei in großen Teilen unrichtig, oberflächlich und falsch. Die grobe Kraft beider Hände sei wegen einer Rhizarthrose massiv eingeschränkt, sodass er Mineralwasser- oder Colaflaschen nicht mehr öffnen könne. Auch ein Schnitzel könne er selbst nicht mehr mundgerecht schneiden. Zur weiteren Begründung legte er u.a. zahlreiche Arztbriefe vor.
Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf die M1-Gutachten entgegen. Der Kläger sei zu keinem Zeitpunkt in einem dem Pflegegrad 3 entsprechenden Umfang pflegebedürftig gewesen.
Das SG holte zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts das Gutachten der zertifizierten Pflegesachverständigen L1 vom 21. Dezember 2023 ein. Diese erhob nach Begutachtung des Klägers im häuslichen Umfeld am 4. Dezember 2023 unter Berücksichtigung der zahlreichen beim Kläger vorliegenden Diagnosen (vgl. Bl. 167 bis 171 der SG-Akte) einen Gesamthilfebedarf von 63,75 gewichteten Punkten. Hierbei berücksichtigte sie in Modul 1 aufgrund eines Hilfebedarfs beim Umsetzen und Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs (überwiegend selbständig) sowie beim Treppen steigen (unselbständig) 5 Einzel- und 5 gewichtete Punkte, in Modul 2 insgesamt 4 Einzel- und 3,75 gewichtete Punkte (Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Beteiligen an einem Gespräch: jeweils größtenteils vorhanden; Erkennen von Risiken und Gefahren: in geringem Maße vorhanden), in Modul 3 (Verhaltensweisen und psychische Problemlagen) insgesamt 3 Einzel- und 7,5 gewichtete Punkte (häufig Antriebslosigkeit bei depressive Stimmungslage), in Modul 4 insgesamt 27 Einzel- und 30 gewichtete Punkte (Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, An- und Auskleiden des Oberkörpers: jeweils überwiegend unselbständig; Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken: jeweils unselbständig; Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls und Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz: jeweils überwiegend selbständig), in Modul 5 insgesamt 3 Einzel- und 10 gewichtete Punkte (Medikation zweimal pro Tag, Absaugen und Sauerstoffgabe dreimal pro Tag, Einreibungen einmal pro Tag, körpernahe Hilfsmittel dreimal pro Tag, Arztbesuche einmal im Monat) und in Modul 6 insgesamt 8 Einzel- und 11,25 gewichtete Punkte (Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, sich beschäftigen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt und Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds: jeweils überwiegend selbständig; Ruhen und Schlafen sowie Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen: jeweils überwiegend unselbständig). Der Pflegebedarf bestehe spätestens seit Antragstellung am 22. Februar 2023. Eine Verbesserung sei aufgrund der progressiv verlaufenden Grunderkrankungen nicht zu erwarten.
Mit Schreiben vom 4. März 2024 übermittelte die Beklagte die ärztliche Stellungnahme der A1, M1, vom 12. Februar 2024 und gab hierauf gestützt ein Anerkenntnis ab, dass der Kläger seit dem 1. September 2023 einen Hilfebedarf habe, der dem Pflegegrad 3 entspreche. Sie erkläre sich bereit, rückwirkend auch für diesen Zeitraum Pflegegeld in der tariflich vereinbarten Höhe nach Pflegegrad 3 aus der privaten Pflegeversicherung des Klägers an diesen zu zahlen (Bl. 199 ff. der SG-Akte). A1 war unter Auswertung der vorhandenen Gutachten zu der Einschätzung gelangt, dass ein Gesamthilfebedarf von „50“ (gemeint 60) gewichteten Punkten bestehe (Modul 1: 5 gewichtete Punkte, Modul 2: 3,75 gewichtete Punkte, Modul 3: 0 gewichtete Punkte, Modul 4: 30 gewichtete Punkte, Modul 5: 10 gewichtete Punkte, Modul 6: 10 bzw. 11,25 gewichtete Punkte). Da seit September 2023 eine Sphinkterinsuffizienz beschrieben worden sei, könne aufgrund der Verschlechterung der Pflegegrad 3 seit diesem Zeitpunkt empfohlen werden.
Im Rahmen eines Telefonates mit dem früheren Kammervorsitzenden erklärte der Kläger, dass ihm Leistungen für die Vergangenheit nicht wichtig seien (Telefonvermerk vom 20. März 2024, Bl. 208 der SG-Akte). Dies teilte der Kammervorsitzende dem Kläger auch nochmals schriftlich mit (Verfügung vom 20. März 2024; Bl. 2 109. SG-Akte).
Nach Anhörung der Beteiligten verurteilte das SG mit Gerichtsbescheid vom 9. August 2024 die Beklagte entsprechend ihres Teilanerkenntnisses vom 4. März 2024, dem Kläger Pflegegeld nach Pflegegrad 3 ab dem 1. September 2023 zu gewähren, und wies die Klage im Übrigen ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen für eine Zuordnung zu Pflegegrad 3 seien bei dem Kläger entsprechend des Teilanerkenntnisses der Beklagten vom 4. März 2024 ab dem 1. September 2023 gegeben. Die Gewährung von Leistungen nach einem höheren Pflegegrad bereits ab Antragstellung habe der Kläger zuletzt nicht weiterverfolgt. Die Voraussetzungen des Pflegegrades 4 lägen nicht vor. Dies ergebe sich aus dem Gutachten der Sachverständigen L1, die schlüssig und überzeugend zu einem Punktwert von 63,75 gewichteten Punkten gelangt sei. In Modul 1 seien nicht mehr als 5 gewichtete Einzelpunkte zu berücksichtigen. Der Kläger habe bei der Begutachtung selbständig eine Sitzposition einhalten können. Selbständiges Aufstehen sei ebenfalls möglich gewesen sowie eine Veränderung der Position im Bett. Kurze Strecken innerhalb der Wohnung könnten unter Überwachung und Begleitung zurückgelegt werden, was einer überwiegenden Selbständigkeit entspreche. In Modul 2 könnten keine weiteren Punkte berücksichtigt werden. Der Kläger sei bei der Begutachtung örtlich und zeitlich orientiert gewesen und habe die Gutachtenssituation erfassen können. Er sei ebenfalls in der Lage, das vorliegende Klageverfahren selbständig zu führen und seine Situation darzulegen. Die teilweise Vergesslichkeit und Unterstützung bei Gesprächen sei von der Gutachterin bereits berücksichtigt worden. In Modul 3 sei die depressive Stimmungslage berücksichtigt worden. Zusätzliche Angststörungen ergäben sich aus den vorhandenen ärztlichen Unterlagen nicht. Der mehrfache nächtliche Toilettengang und die folgenden Einschlafprobleme fielen nicht unter den Punkt nächtliche Unruhe. Dieser umfasse nächtliches Umherirren oder nächtliche Unruhephasen bis zur Umkehr des Tag-Nacht-Rhythmus. Dies liege beim Kläger nicht vor. In Modul 4 seien 30 gewichtete Punkte zu berücksichtigen. Eine höhere Bewertung lasse sich nicht begründen. Bezüglich des Waschens sowie An- und Auskleidens könne sich der Kläger noch in geringem Maße beteiligen. Eine völlige Unselbständigkeit lasse sich daher nicht begründen. Diese liege im Bereich Duschen und Baden vor und sei entsprechend berücksichtigt worden. Die völlige Unselbständigkeit bei der Vorbereitung von Essen und Trinken sei bei der Bewertung ebenfalls berücksichtigt worden. Essen und Trinken müsse dem Kläger angereicht werden, er sei jedoch in der Lage, selbständig zu schlucken. Zwar müsse die Nahrungsaufnahme überwacht werden, eine ständige und unmittelbare Eingreifbereitschaft sei jedoch nicht erforderlich. In Modul 5 seien keine weiteren gewichteten Punkte zu berücksichtigen. Aus dem Medikamentenplan des Klägers ergebe sich die Einnahme von Medikamenten zweimal am Tag. Auch eine dreimal tägliche Medikamentengabe würde nicht zu einer Erhöhung der Bewertung führen. Eine Gabe von Medikamenten fünfmal am Tag, wie vom Kläger vorgebracht, lasse sich nicht belegen. Die mehrfach tägliche Sauerstoffgabe sei bereits berücksichtigt worden. In Modul 6 seien bei 8 Einzelpunkten bereits 11,25 von maximal 15 möglichen gewichteten Punkten berücksichtigt worden. Selbst wenn die Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds entsprechend dem klägerischen Vortrag als völlig unselbständig eingestuft würde, ergäbe sich bei dann 10 Einzelpunkten keine Änderung in der Summe der gewichteten Punkte. Hilfebedarfe bei der Fortbewegung im außerhäuslichen Bereich und bei der Haushaltsführung - wie z.B. beim Einkaufen und Kochen - hätten keine Auswirkungen auf die Bestimmung des Pflegegrades. Der Gerichtsbescheid wurde dem Kläger am 13. August 2024 zugestellt.
Hiergegen richtet sich die am 10. September 2024 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung des Klägers. Er beantrage die Anerkennung des Pflegegrads 4. Die Sachverständige L1 habe viele seiner Erkrankungen, die seit Jahren bestünden, nicht genannt, u.a. die Phrenikusparese links bei angeborenem Zwerchfellhochstand, eine schwere obstruktive und restriktive Ventilationsstörung mit beeinträchtigter CO-Diffusionskapazität, zunehmende Schwäche der Atemmuskulatur, Herzinsuffizienz, Lungenarterienembolie, imperativer Harndrang, chronische Pankreatitis, Depressionen mit Antriebslosigkeit mit Angst und Panikattacken, pulmonale Hypertonie, Stuhlinkontinenz, Schwindelsymptomatik, Polyarthrose im Bereich der Hände, der Schultergelenke, des rechten Kniegelenks, der Hüftgelenke und Knie-TEP links. Er habe bei der Begutachtung durch die Sachverständige L1 selbständig keine Sitzposition einhalten können und habe im Sessel gesessen. Er habe nur mit Mühe mit zwei bis drei Anläufen aufstehen können und habe sich sofort an der Ehefrau oder an der Wand festhalten müssen. Stehen gehe gar nicht mehr (Schwindelsymptomatik). Auch das An- und Auskleiden sei alleine nicht mehr möglich, nur mit Hilfe einer Krankenschwester, auch der Toilettengang sei alleine nicht mehr möglich. Es gebe auch keinen Medikamentenplan. Bei allen Tätigkeiten der Items 4.4.1 bis 4.4.12 bestehe Unselbständigkeit. Seine strenge Diät, die er wegen der chronischen Pankreatitis einhalten müsse, sei nicht erwähnt worden. Genauso habe er Konzerte, Vorträge etc. in den letzten zehn Jahren nicht mehr besuchen können, auch nicht Fußballspiele des SC Freiburg. Der Pflegebedarf habe seit Klagebeginn nochmals zugenommen. Soweit das SG davon ausgehe, dass er höheres Pflegegeld zuletzt nicht mehr verfolgt habe, liege ein Missverständnis vor. Aus gutachterlicher Sicht bestehe der Pflegebedarf spätestens seit Antragstellung am 22. Februar durch die S1 Klinik. Eine Verbesserung der gesundheitlichen Einschränkung und damit des Pflegebedarfs sei aufgrund der progressiv verlaufenden Grunderkrankungen nicht zu erwarten. Der Kläger hat zur weiteren Begründung u.a. den Arztbrief des J1 vom 30. Oktober 2024 vorgelegt (CT Thorax vom 29. Oktober 2024; Beurteilung „Zu 03/23 konstante ILD mit nicht eindeutigem (indeterminate) UIP-Muster ohne Zeichen einer akuten Exazerbation. Geringgradige periphere Zeichnungsvermehrung. - Nebenbefundlich Zeichen einer pulmonalen Hypertonie. - Zwerchfellhochstand links.“), den Ambulanzbrief des W3 vom 16. Oktober 2024 (kardiologische Mitbeurteilung bei pulmonaler Grunderkrankung, gute LV-Funktion, mittelgradig eingeschränkte RV Funktion mit pulmonaler Hypertonie, keine relevanten Klappenvitien) sowie die Arztbriefe des W4 vom 5. November 2024 (Diagnosen: pulmonale Lungenerkrankung, pulmonale Hypertonie und Lungenarterienembolie) und 19. Februar 2025 (stationärer Aufenthalt vom 13. bis 19. Februar 2025: aktuell rechtskardiale Dekompensation; Entlassung in gutem Allgemeinzustand).
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 9. August 2024 abzuändern und die Beklagte über ihr Teilanerkenntnisses vom 4. März 2024 hinaus zu verurteilen, ihm Pflegegeld nach Pflegegrad 4 vom 1. Februar 2023 bis 31. Mai 2024 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Kläger hat am 26. Juni 2024 bei der Beklagten einen Höherstufungsantrag gestellt. Die Beklagte hat daraufhin das auf ein Telefoninterview gestützte Gutachten der Gutachterin A2, M1, vom 19. November 2024 eingeholt. Diese gelangte zu folgendem Hilfebedarf: Modul 1: 7 Einzel- und 7,5 gewichtete Punkte, Module 2 und 3: 0 Einzel- und 0 gewichtete Punkte, Modul 4: 18 Einzel- und 20 gewichtete Punkte, Modul 5: 1 Einzel- und 5 gewichtete Punkte, Modul 6: 4 Einzel- und 7,5 gewichtete Punkte; insgesamt 40 gewichtete Punkte (seit Januar 2023; auf den weiteren Inhalt wird Bezug genommen - Bl. 69 ff. der Senatsakte). Hierauf gestützt gewährt die Beklagte dem Kläger ab dem 1. November 2024 nur noch Leistungen nach Pflegegrad 2, da sich nach den Feststellungen des medizinischen Dienstes der Pflegebedarf verringert habe (Schreiben der Beklagten vom 23. November 2024; Bl. 62 ff. der Senatsakte).
Mit Schreiben vom 23. Oktober 2024 hat der Berichterstatter die Beteiligten darauf hingewiesen, dass durch den Höherstufungsantrag des Klägers vom 26. Juni 2024 und die Entscheidung hierüber durch die Beklagte der streitige Zeitraum begrenzt werde. Es seien dann nur noch neun Monate streitig (September 2023 bis Mai 2024).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen sind, da mit den ordnungsgemäß zugestellten Ladungen auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).
2. Die nach §§ 143, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß § 105 Abs. 2 Satz 1, § 143 SGG statthaft und zulässig. Sie bedarf nicht der Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 SGG, da der Kläger höheres Pflegegeld und damit eine Geldleistung von mehr als 750,00 € begehrt.
3. a) Gegenstand des Verfahrens ist das erkennbare (§ 123 SGG) Begehren des Klägers auf Gewährung von Pflegegeld nach Pflegegrad 4 für den Zeitraum vom 1. Februar 2023 bis 31. Mai 2024. Die begehrte Leistung (Pflegegeld) ergibt sich aus dem am 22. Februar 2023 bei der Beklagten gestellten Antrag. Der Beginn des streitigen Zeitraums folgt aus § 192 Abs. 6 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in Verbindung mit dem geschlossenen Pflegeversicherungsvertrag und den darin einbezogenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung, insbesondere dem Bedingungsteil Musterbedingungen für die private Pflegepflichtversicherung (MB/PPV) in der bei Antragstellung geltenden Fassung (BSG, Urteil vom 25. November 2015 – B 3 P 3/14 R – juris, Rn. 11), hier also in der ab dem 1. Januar 2023 geltenden Fassung. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 MB/PVV erhält der Versicherungsnehmer die Leistungen auf Antrag. Die Leistungen werden ab Antragstellung erbracht, frühestens jedoch von dem Zeitpunkt an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen (Satz 2). Wird der Antrag - wie hier - nicht in dem Kalendermonat gestellt, in dem die Pflegebedürftigkeit eingetreten ist, sondern zu einem späteren Zeitpunkt, werden die Leistungen vom Beginn des Monats der Antragstellung an erbracht (Satz 3). Soweit das SG davon ausgegangen ist, dass der Kläger zuletzt keine höheren Leistungen vor dem 1. September 2023 begehrte, trifft dies nach dem erkennbaren Willen des Klägers nicht zu. Zwar hat er dem SG telefonisch mitgeteilt, dass ihm Leistungen für die Vergangenheit „nicht wichtig“ seien, was der Senat dem Telefonvermerk vom 20. März 2024 entnimmt. Allerdings liegt hierin keine wirksame teilweise Klagerücknahme im Sinne von § 102 SGG. Eine solche einseitige Prozesshandlung kann in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht oder schriftlich gegenüber dem Gericht erklärt werden (§ 202 SGG i.V.m. § 269 Abs. 2 Sätze 1 und 2 Zivilprozessordnung <ZPO>). Eine telefonische Erklärung ist grundsätzlich nicht zulässig (Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 102 Rn. 7). Im Berufungsverfahren hat der Kläger zudem erklärt, dass das SG insoweit einem Missverständnis unterlegen sei. Der Senat kann auch über diesen erweiterten Zeitraum entscheiden, das das SG diesen Zeitraum (ab Antragstellung) wegen eines Rechtsirrtums bewusst ausgeklammert hat. Hierfür bedarf es keiner Einwilligung der Beklagten, da kein Fall des Heraufholens von Prozessresten vorliegt. Auch für eine Urteilsergänzung nach § 140 SGG ist kein Raum. Denn das SG hat den Rechtsstreit nicht durch ein verdecktes Teilurteil, sondern durch ein Vollurteil entschieden. Vielmehr hat das SG den Zeitraum ab Antragstellung bis 31. August 2023 wegen eines Rechtsirrtums bewusst ausgeklammert. Der Rechtsirrtum eines Gerichts, der auf der unzutreffenden Auslegung des geltend gemachten Klagebegehrens oder der irrtümlichen Annahme einer Beschränkung der Klage beruht, ist typischer Grund für eine bewusste Ausklammerung eines Teils des Klagebegehrens aus der einen Rechtsstreit abschließenden Entscheidung durch ein Vollurteil (BSG, Beschluss vom 2. April 2014 – B 3 KR 3/14 B – juris, Rn. 10 m.w.N.). Ein solcher Rechtsirrtum des SG liegt hier vor.
b) Zeitlich ist das Begehren auf den 31. Mai 2024 begrenzt. Denn durch den Höherstufungsantrag vom 26. Juni 2024 ist eine durch den Kläger initiierte zeitliche Zäsur eingetreten. Dieser neue Antrag stellt eine Zäsur dar, ab der sich die ursprünglich streitbefangene Ablehnung (hier: Bewilligung von Leistungen nur nach Pflegegrad 2, nicht aber nach einem höheren Pflegegrad) mit Wirkung vom Beginn des Antragsmonats (des neuen Antrags) für die Zukunft erledigt hat (zur sozialen Pflegeversicherung Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 11. November 2021 – B 3 P 2/20 R – juris, Rn. 9 und vom 17. Februar 2022 – B 3 P 6/20 R – juris, Rn. 10; Senatsurteile vom 23. September 2024 – L 4 P 1004/22 – und vom 24. Juni 2024 – L 4 P 1771/23 – jeweils n.v.). Soweit in einem derartigen Fall im Bereich der sozialen Pflegeversicherung auf die Regelung des § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) abgestellt wird (BSG, a.a.O.), ist dieser Rechtsgedanke auch bei der privaten Pflegepflichtversicherung heranzuziehen. Maßgeblich hierfür ist die Steuerungsfunktion des Antrags und das konsensuale Verhalten der Beteiligten. Denn durch die Entscheidung über den (neuen) Leistungsantrag nach § 6 Abs. 1 MB/PVV haben die Beteiligten zum Ausdruck gebracht, dass das jetzige Leistungsbegehren nicht mehr auf dem früheren Leistungsantrag beruhen soll, sondern - nach vollständiger Prüfung und Entscheidung über den neuen Antrag - dieser neue Antrag Leistungsgrundlage ist bzw. sein soll. Demensprechend bedarf es im Bereich der privaten Pflegepflichtversicherung auch nicht der „Aufhebung“ einer früheren Entscheidung, sondern maßgeblich ist das durch einen (neuen) Leistungsantrag initiierte aktuelle Leistungsverhältnis, wobei den Versicherungsnehmer zahlreiche Obliegenheiten treffen, u.a. die schriftliche Mitteilungspflicht bei einer Veränderung der Pflegebedürftigkeit (vgl. § 9 MB/PPV).
4. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld nach Pflegegrad 4 im Zeitraum vom 1. Februar 2023 bis 31. Mai 2024.
Der Senat vermag nicht festzustellen, dass der Kläger im Zeitraum vom 1. Februar 2023 bis 31. Mai 2024 die Voraussetzungen für Pflegegeld nach Pflegegrad 4 erfüllte.
Anspruchsgrundlage für das geltend gemachte Pflegegeld ist § 192 Abs. 6 VVG in Verbindung mit dem geschlossenen Pflegeversicherungsvertrag und § 1 Abs. 1 Satz 1 MB/PPV. Danach leistet der Versicherer im Versicherungsfall im vertraglichem Umfang Ersatz von Aufwendungen für Pflege oder ein Pflegegeld (§ 1 Abs. 1 Satz 1 MB/PPV). Versicherungsfall ist die Pflegebedürftigkeit der versicherten Person (§ 1 Abs. 2 MB/PPV). Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 MB/PPV erhält der Versicherungsnehmer die Leistungen auf Antrag. Die Leistungen werden ab Antragstellung erbracht, frühestens jedoch von dem Zeitpunkt an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen (Satz 2).
Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 bis 4 MB/PVV sind Personen dann pflegebedürftig, wenn sie gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in Absatz 6 festgelegten Schwere bestehen.
Maßgeblich für das Vorliegen von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sind nach § 1 Abs. 3 MB/PVV die in den folgenden sechs Bereichen genannten pflegefachlich begründeten Kriterien:
1. Mobilität: Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen;
2. kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch;
3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen;
4. Selbstversorgung: Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Ernährung parenteral oder über Sonde, Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen;
5. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen in Bezug auf: a) Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel, b) Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung, c) zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie d) auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften;
6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sichbeschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.
Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten in den Bereichen der Haushaltsführung und der außerhäuslichen Aktivitäten werden nicht zusätzlich berücksichtigt, sondern fließen in die Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit ein, soweit sie in den oben genannten Bereichen abgebildet sind. Darüberhinausgehende Beeinträchtigungen in diesen beiden Bereichen wirken sich mithin nicht auf die Bestimmung des Pflegegrades aus. Sowohl die Auflistung der sechs Pflegebereiche als auch die zu deren Konkretisierung aufgeführten Pflegekriterien bilden einen abschließenden Katalog, der nicht um – vermeintlich fehlende – zusätzliche Kriterien oder gar Bereiche ergänzt werden kann (Meßling/Weiß, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, Stand: März 2025, § 14 Rn. 130). Inhaltlich erfahren die Pflegekriterien eine nähere Bestimmung durch die auf Grundlage des § 17 Abs. 1 SGB XI mit Wirkung vom 1. Januar 2017 vom Spitzenverband Bund der Pflegekassen erlassenen Richtlinien zum Verfahren der Feststellung von Pflegebedürftigkeit sowie zur pflegefachlichen Konkretisierung der Inhalte des Begutachtungsinstruments nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (Begutachtungs-Richtlinien – BRi) vom 15. April 2016 (neuerlassen am 21. August 2024 - in Kraft getreten am 26. September 2024). Soweit sich diese untergesetzlichen Regelungen innerhalb des durch Gesetz und Verfassung vorgegebenen Rahmens halten, sind sie als Konkretisierung des Gesetzes zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen zu beachten (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2024 – B 3 P 9/23 R –, Rn. 19 m.w.N.; Meßling/Weiß, a.a.O., § 14 Rn. 97 m.w.N). Die BRi sind gemäß § 23 Abs. 6 Nr. 1 SGB XI auch bei privaten Pflegeversicherungen anzuwenden (Senatsurteil vom 15. Mai 2023 – L 4 P 132/22 – juris, Rn. 38 m.w.N.; Roller, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, a.a.O., § 17 Rn. 74).
Nach § 1 Abs. 4 MB/PPV (vgl. § 15 Abs. 1 SGB XI) erhalten Pflegebedürftige nach der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten einen Grad der Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad). Der Pflegegrad wird mit Hilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments ermittelt, wobei dieses in sechs Module, entsprechend den oben genannten Bereichen, gegliedert ist. Die Kriterien der einzelnen Module sind in Kategorien unterteilt, denen Einzelpunkte zugeordnet werden. Die Kategorien stellen die in ihnen zum Ausdruck kommenden verschiedenen Schweregrade der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten dar. Die Einzelpunkte in den jeweiligen Modulen werden sodann addiert und einem jeweiligen Punktbereich zugeordnet, aus dem sich die gewichteten Punkte ergeben. Insgesamt wird für die Beurteilung des Pflegegrades die Mobilität mit 10 Prozent, die kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen zusammen mit 15 Prozent, die Selbstversorgung mit 40 Prozent, die Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen mit 20 Prozent und die Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte mit 15 Prozent gewichtet (§ 1 Abs. 5 MB/PPV; § 15 Abs. 2 Satz 8 SGB XI).
Auf der Basis der erreichten Gesamtpunkte sind pflegebedürftige Personen in einen der nachfolgenden Pflegegrade einzuordnen: ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, ab 70 bis unter 90 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, ab 90 bis 100 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung (§ 1 Abs. 6 MB/PPV; § 15 Abs. 3 Satz 4 SGB XI).
bb) Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens kann sich der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon überzeugen, dass der pflegerische Gesamthilfebedarf des Klägers im streitbefangenen Zeitraum mindestens 70 gewichtete Punkte erreichte und damit die Voraussetzungen des Pflegegrads 4 erfüllt waren.
Das SG hat in der angefochtenen Entscheidung ausführlich und zutreffend in Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Gutachten der Sachverständigen L1 und dem Vorbringen des Klägers festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach Pflegegrad 4 nicht gegeben sind. Der Senat schließt sich den Ausführungen des SG zum pflegerischen Gesamthilfebedarf in den einzelnen Modulen zur Vermeidung von Wiederholungen nach eigener Überprüfung vollumfänglich an und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend - insbesondere im Hinblick auf den Beginn des streitigen Zeitraums, über den das SG nicht entschieden hat - ist Folgendes auszuführen: Auch im Zeitraum ab 1. Februar 2023 erfüllte der Kläger nicht die Voraussetzungen des Pflegerades 4. Der Senat stützt sich hierbei auf die Gutachten der Gutachterin U1 vom 12. März 2023 und des Gutachters W2 vom 18. Juli 2023, die im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden konnten (vgl. etwa BSG, Urteil vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 29/13 R – juris, Rn. 19; BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51; zur Heranziehbarkeit als gerichtliche Entscheidungsgrundlage: BSG, Beschluss vom 22. Dezember 2021 – B 5 R 175/21 B – juris, Rn. 7; Urteil vom 12. Dezember 2000 – B 3 P 5/00 R – juris, Rn. 13). Hierbei ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen des Klägers und der Vorlage zahlreicher Arztbriefe, die aber im Wesentlichen einen hier nicht streitigen Zeitraum betreffen, vorab darauf hinzuweisen, dass maßgebend für die Beurteilung des Hilfebedarfs nicht ist, welche Gesundheitsstörungen vorliegen, sondern welcher konkrete Hilfebedarf aufgrund der Gesundheitsstörungen besteht, der durch eine Pflegeperson gedeckt werden muss (personeller Hilfebedarf). Der Senat verkennt nicht, dass der Kläger 84 Jahre alt ist und unter einer Vielzahl von schwerwiegenden Gesundheitsstörungen leidet; für die Feststellung eines Pflegegrades ist aber weder das Alter noch die Anzahl von Gesundheitsstörungen maßgebend. Auch die Feststellung eines GdB nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) lässt ebenso wie die Feststellung von Merkzeichen keinen Rückschluss auf den Pflegegrad zu und ist daher auch nicht geeignet, das Klagebegehren zu stützen. Während das Schwerbehindertenrecht auf alle Aspekte der Teilhabe des Einzelnen an der Gesellschaft abstellt (vgl. § 2 Abs. 1 SGB IX), ist der Pflegegrad nach § 15 SGB XI am notwendigen personellen Hilfebedarf in einem abschließenden Katalog von Pflegekriterien ausgerichtet.
Zwar ging die Sachverständige L1 in ihrem Gutachten vom 21. Dezember 2023 (Untersuchung am 4. Dezember 2023) davon aus, dass der von ihr ermittelte Gesamtpflegebedarf bereits seit Antragstellung am 22. Februar 2023 bestand. Dagegen sprechen aber die zeitnäheren Ermittlungen der ebenfalls im häuslichen Umfeld durchgeführten Begutachtungen der Gutachterin U1 (Untersuchung am 8. März 2023) und des Gutachters W2 (Untersuchung am 17. Juli 2023). Wesentliche Unterschiede ergeben sich danach vor allem in Modul 2. Die Gutachterin U1 gelangte nur zu einem Einzelpunkt (Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen: größtenteils vorhanden) und der Gutachter W2 sah in diesem Modul keine Einschränkungen. Die Sachverständige L1 bestätigte in diesem Zusammenhang zunächst, dass beim Item Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen diese Fähigkeit größtenteils vorhanden war, sie ermittelte aber eine entsprechende Einschränkung auch beim Beteiligen an einem Gespräch. Auch war das Erkennen von Risiken und Gefahren nunmehr nur in geringem Maße vorhanden. Diese Einschränkungen konnten die beiden M1-Gutachter im März und Juli 2023 noch nicht feststellen. Insofern ist davon auszugehen, dass zwischenzeitlich eine Verschlechterung im Bereich der kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten eingetreten war. Gleiches gilt im Bereich von Modul 3, bei dem die Gutachter U1 und W2 noch keine Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage feststellen konnten. Dies hält der Senat auch für nachvollziehbar. Denn nach ihren Angaben bestanden zwar psychomentale Beeinträchtigungen. Der Kläger hat hierzu aber gegenüber den Gutachtern lediglich ausgeführt, dass er zunehmend die Namen von Freunden vergesse, ebenso die Erkrankungen seiner Frau. Erst bei der Untersuchung durch die Sachverständige L1 zeigte der Kläger eine sehr belastete Stimmungslage und berichtete über eine sehr belastende Traurigkeit, was die Sachverständige nachvollziehbar als Anzeichen für eine Depression ansah. Hinzukommt, dass der Kläger gegenüber der Sachverständigen L1 erstmals angab, Antidepressiva einzunehmen, die allerdings nicht in Arztberichten aufgeführt werden. Der Pflegebedarf in den Modulen 4, 5 und 6 wurde zwar von den Gutachtern U1 und W2 ebenfalls erhoben, allerdings gelangte die Sachverständige L1 auch hier zu einem jeweils höheren Pflegebedarf. Diesbezüglich ist davon auszugehen, dass auch in diesen Bereichen eine Verschlechterung eingetreten war. So gingen - im Gegensatz zur Sachverständigen L1 - die Gutachter U1 und W2 für den Senat nachvollziehbar davon aus, dass der Kläger beim Item 4.4.4 (Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare) nur überwiegend unselbständig war; die Sachverständige L1 ging im November 2023 von Unselbständigkeit aus. Nach F 4.4.4 BRi liegt überwiegende Unselbständigkeit vor, wenn die Person geringe Anteile der Aktivität selbständig durchführen kann, zum Beispiel das Waschen des vorderen Oberkörpers. Nach den Erhebungen des Gutachters W2 war der Kläger aber noch in der Lage, beide Hände bis auf Ohrhöhe zu heben, sodass auch bei einer Minderung der groben Kraft nachvollziehbar erscheint, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch in der Lage war, seinen Oberkörper zu waschen. Dafür spricht auch die Einstufung im Item 4.4.1 (Waschen des vorderen Oberkörpers) durch die Gutachterin U1. Danach war der Kläger zwar diesbezüglich überwiegend unselbständig. Nach F 4.4.1 BRi bedeutet dies aber, dass die Person geringe Anteile der Aktivität selbständig durchführen kann, sich zum Beispiel nur Hände oder Gesicht waschen kann. Im Modul 5 gelangten sowohl die Gutachterin U1 als auch die Sachverständige L1 zu 10 gewichteten Punkten. Im Bereich des Moduls 6 ist es bei den Items 6.6.2 (Ruhen und Schlafen) und 6.6.4 (Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen) hingegen zu einer Verschlechterung gekommen, da die Sachverständige L1 jeweils von überwiegender Unselbständigkeit ausgegangen ist. Dies ist für den Senat auch nachvollziehbar, da der Kläger personelle Hilfestellung beim Schlafen gehen und nachts aufgrund der Toilettengänge benötigt, wie z.B. eine Handreichung als Aufstehhilfe und eine Begleitung, aufgrund der Sturzgefahr durch den Sauerstoffschlauch. Ebenso benötigt er Hilfe für jede geplante Aktivität. Beides erfüllt nach F4.6.4 BRi die Kriterien einer überwiegenden Unselbständigkeit.
Der Senat ist mit der Gutachterin A1 davon überzeugt, dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit einem damit einhergehenden höheren personellen Hilfebedarf erst ab September 2023 feststellbar ist. Diese hat zwar ihre Auffassung darauf gestützt, dass seit diesem Zeitpunkt eine überwiegende Stuhlinkontinenz (Sphinkterinsuffizienz) beschrieben werde. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang aber zu Recht darauf hingewiesen, dass er seit Jahren an einer Sphinkterinsuffizienz leidet. Eine Gesamtverschlechterung kann dennoch im September 2023 festgestellt werden. Denn am 13. September 2023 ließ sich der Kläger im Kantonspital A3 ambulant behandeln. K1 hielt in seinem Arztbrief vom 22. September 2023 fest, dass sich klinisch sowie funktionell ein progressiver Verlauf der ätiologisch weiter nicht sicher einzuordnenden fibrosierenden interstitiellen Lungenerkrankung, mithin eine Gesamtverschlechterung zeigte.
Soweit der Kläger im Berufungsverfahren darauf hingewiesen hat, dass er unter Ängsten leide, würde die zusätzliche Berücksichtigung von Ängsten nur zu einem weiteren Einzelpunkt führen (dann 4 Einzelpunkte im Modul 3, Item 3.10), mithin wären es weiterhin 7,5 gewichtete Punkte in diesem Modul. Sein Einwand, die Sachverständige L1 habe die von ihm seit Jahren einzuhaltende Diät nicht berücksichtigt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn es liegt kein Versäumnis der Sachverständigen vor. Einzelpunkte bei der Einhaltung einer Diät sind nur dann zu berücksichtigen, wenn die „Einsichtsfähigkeit“ der Person zur Einhaltung einer Diät eingeschränkt ist (vgl. F 4.5.16 BRi). Es geht nicht um die Vorbereitung oder Durchführung einer Verhaltensvorschrift oder Diät. Eine Einschränkung der Einsichtsfähigkeit des Klägers ist aber nach seinen eigenen Angaben gegeben, sodass hierfür keine Einzelpunkte berücksichtigt werden können.
Mit einem pflegerischen Gesamthilfebedarf im streitbefangenen Zeitraum von höchstens 63,75 gewichteten Punkten erfüllte der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegegrad 4 nicht.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 und Absatz 4 SGG.
6. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.